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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Wie kann es sein, dass man die Sprache seiner Heimat nicht beherrscht?“

    „Wie kann es sein, dass man die Sprache seiner Heimat nicht beherrscht?“

    „Wie kann es sein, dass man die Sprache seiner Heimat nicht beherrscht?“ Mit diesem unter Belarussen und Ukrainern immer wieder heiß diskutierten Thema beschäftigt sich eine Ausgabe der Artikelserie Baljutschyja pytanni (dt. Schmerzhafte Fragen) von Media_IQ, in der Experten auf drängende Fragen der Zeit antworten und diese diskutieren. Dazu hat sich das belarussische Online-Portal zwei Koryphäen auf diesem Gebiet eingeladen: den belarussischen Sprachwissenschaftler und ehemaligen Oppositionspolitiker Winzuk Wjatschorka und die ukrainische Linguistin Larysa Masenko, die in der Ukraine als eine der führenden Forscherinnen zur ukrainischen Sprache gilt. Beide diskutieren in ihren jeweiligen Muttersprachen, Belarussisch und Ukrainisch, über die Dominanz des Russischen in ihren Ländern und über die Unterschiede in der Verwendung von Sprachen in der Ukraine und Belarus. Wir bringen einen Auszug des Gesprächs.

    Media_IQ: Sind russischsprachige Belarussen Belarussen? Und russischsprachige Ukrainer Ukrainer?

    Larysa Masenko: Die zentrale Frage an dieser Stelle ist aus meiner Sicht: Welche Antwort gibt die Person auf die Frage nach der Muttersprache (ukr. ridna mowa)? Wenn ein russischsprachiger Ukrainer oder ein russischsprachiger Belarusse antworten, dass ihre Muttersprache Ukrainisch respektive Belarussisch ist, dann kann man sie als Ukrainer beziehungsweise Belarussen betrachten. 

    Mit der Unterstützung internationaler Organisationen haben wir 2006 eine große Befragung in der Ukraine durchgeführt. Wenn man die Ergebnisse betrachtet, so nannten 15 Prozent der Ukrainer Russisch als ihre Muttersprache, sie lebten mehrheitlich im Osten und Süden des Landes. Bei den Bewohnern von Kyjiw, dessen Großteil leider auch russischsprachig ist, gibt jedoch die Mehrheit als Muttersprache Ukrainisch an. Anhand dieses Kriteriums kann man also tatsächlich erkennen, ob eine Person ukrainisch ist und eine ukrainische Identität hat, obwohl sie Russisch spricht. 

    Winzuk Wjatschorka: Bei uns ist die Situation komplizierter. Unter anderem, weil wir keine konkrete, sichere Antwort auf die Frage haben, wie viele Belarussen das Belarussische als Muttersprache betrachten und was sie unter diesem Begriff überhaupt verstehen – Muttersprache. Die Sache ist, dass in der internationalen Soziolinguistik eine ganze Bandbreite an Bezeichnungen für die sprachliche Identität und das Sprachverhalten des Menschen existieren. Da gibt es mother tongue, die Muttersprache oder Erstsprache. Es gibt die Hauptsprache, die der Mensch am besten beherrscht, die Sprache, die er üblicherweise im Alltag verwendet. Und es gibt die sprachliche Identität – mit welcher Sprache verbindet der Mensch seine Herkunft, seine Familie, seine Zukunft und letztlich auch seine Nationalität.

    Belarussisch als Muttersprache, auch wenn die Mutter gar nicht Belarussisch sprach – das waren die Opfer der sowjetischen Russifizierung der 1960er und 1970er Jahre

    Bei uns wurde früher in den Volksbefragungen die Frage nach der Muttersprache ohne Erläuterung gestellt, wodurch die Befragten ihre eigene Interpretation zugrunde legen konnten, so auch das Konzept der Sprachidentität. Wenn jemand also nicht täglich Belarussisch sprach, oder nicht die belarussische Literatursprache, konnte er die belarussische Sprache dennoch als seine rodnaja mowa betrachten, also die Sprache seiner Familie und Herkunft, oder sie gar als Muttersprache bezeichnen, auch wenn seine Mutter gar nicht Belarussisch mit ihm sprach (das waren die Opfer der sowjetischen Russifizierung der 1960er und 1970er Jahre), aber die Mutter seiner Mutter, also die Großmutter, noch Belarussisch gesprochen hatte. So ergibt sich eine Perspektive, dass seine Kinder und Enkel wieder Belarussisch sprechen werden, und das hat bei uns ja tatsächlich stattgefunden – die Rückkehr zur belarussischen Sprache nach ein oder zwei Generationen.

    Was bedeutet eigentlich Belarussisch sprechen?

    Sehr wichtig ist aber auch, dass die Menschen, die selbst zurückgefunden haben oder ihre Kinder an die belarussische Sprache heranführen, sich dessen bewusst sind, dass dies die Sprache ihrer Herkunft, ihrer Familie ist. In den späteren Volkszählungen, die schon unter Lukaschenka stattfanden, wurde auf einmal erläutert, was unter rodnaja mowa zu verstehen sei: Nämlich jene Sprache, die der Mensch zuerst in seiner Kindheit gelernt hat. Damit wurde den Menschen praktisch das Recht entzogen, die Sprache ihrer Identität anzugeben. Dadurch ergab sich zwischen den Umfragen 1999 und 2009 ein absolut katastrophaler Einbruch bei den Zahlen zur sprachlichen Identität – 22 Prozent weniger gaben Belarussisch als Muttersprache an.

    Es ist wirklich beispiellos, dass sich innerhalb von zehn Jahren die sprachliche Identität einer kompletten Bevölkerung so verändert! Einerseits liegt das an der antibelarussischen Politik des Lukaschenka-Regimes, andererseits an der Veränderung der Fragestellung, durch die man Belarussisch nicht mehr als rodnaja mowa angeben konnte. 

    Ein weiterer wichtiger Punkt: Was bedeutet eigentlich Belarussisch sprechen? Wie ich schon sagte, umfasst das nicht nur die Verwendung der Standardsprache. Jede Person, die einen Dialekt spricht, spricht ohne Frage Belarussisch. Die Person selbst versteht das vielleicht als Mischsprache: „Sie wissen schon, wie wir sprechen – ein belarussisches Wort, ein polnisches Wort, ein russisches Wort, ein belarussisches Wort, ein ukrainisches Wort …“ Es ist abhängig von der Geografie. Tatsächlich sind das aber belarussische Dialekte. Nur war es den Menschen nicht möglich zuzugeben, dass sie Belarussisch sprechen – es galt als unfein. 

    In der Sowjetzeit galt das als peinlich. Und auch jetzt ist es wieder unangenehm. Dabei ist doch eine Person, die das Belarussische passiv beherrscht, es versteht und gut beherrscht, letztlich auch belarussischsprachig. Worauf ich hinaus will: Eine Person, die im Alltag Russisch spricht, aber das Belarussische versteht und beherrscht, einige Wörter einbaut, kann potenziell jederzeit zu dieser Sprache zurückkehren. Die Person ist potenziell belarussischsprachig. Und wenn irgendwelche emsigen Soziologen sagen, dass bei uns nur drei Prozent oder fünf Prozent Belarussisch sprechen, dann verstehen sie diese Hintergründe einfach nicht. 

    Insofern ist ohne Frage jeder, der Russisch spricht, aber diesen Hintergrund, diese Vorgeschichte hat, ein Belarusse, und besitzt mithin die Option, zur belarussischen Sprache zurückzukehren.

    In der Ukraine ist es wichtig, die ridna mowa als Sprache meines Volkes, meines Landes zu behandeln 

    L.M.: Hier wurde eine wichtige Frage aufgeworfen: Was ist die Muttersprache, wenn die Eltern russischsprachig sind. Bei uns sind die Großstädte am stärksten russifiziert, in den Städten leben viele Menschen, dort fand die Industrialisierung statt, es gab viel Zuzug, und so entstand der Schmelztiegel der Russifizierung. Die Kleinstädte und Dörfer verloren ukrainischsprachige Einwohner. Für die Kinder dieser Generation, die in die Städte zogen und zum Russischen übergingen, war das Ukrainische oft die Sprache von Oma und Opa, es war die Sprache ihrer Ahnen, die Sprache aller vorangegangenen Generationen. In diesem Sinne ist das Ukrainische also zweifellos ihre Muttersprache, ridna mowa. Ich möchte außerdem sagen, dass wir für unsere Situation folgende Definition gefunden haben: ridna mowa ist die Sprache meines Landes. Ich verstehe, dass ridna mowa in anderen Ländern anders definiert wird, wie Sie bereits gut beschrieben haben, am weitesten verbreitet ist das Konzept der Muttersprache. Ja, ridna mowa ist die Sprache der Mutter, von ihr lernt das Kind diese Sprache. Aber in Anbetracht unserer Situation ist es, denke ich, ebenfalls wichtig, ridna mowa als Sprache meines Volkes, meines Landes zu behandeln.

    Ist es im 21. Jahrhundert korrekt, die Identität eines Menschen über die Sprache zu definieren?

    L.M.: Die sprachliche, ethnische und nationale Identität sind doch sehr eng miteinander verbunden. In allen Ländern, hauptsächlich in den europäischen Ländern, gibt es nur eine Amtssprache; es gibt nur sehr wenige zweisprachige Staaten. Diese kann man separat besprechen, dort gibt es fast immer einen Konflikt, da jedes Volk, jede Nation ihre Identität unstrittig hauptsächlich über die Sprache definiert. Jedoch nicht nur über die Sprache, sondern auch über die Kultur, die in dieser Sprache geschaffen wird, denn in der Kultur kommt die Identität sehr klar zum Ausdruck.

    Deshalb ist es unbedingt notwendig, das Ukrainische bei uns zu verbreiten. Im Moment gibt es einen großen Umbruch, einen großen Bruch im Verhältnis zu Moskau …

    Und es hat ein starker Wechsel vieler russischsprachiger Ukrainer zum Ukrainischen begonnen. Tatsächlich hat dieser Prozess bereits nach der Revolution der Würde aktiv an Fahrt aufgenommen, nachdem im Jahr 2019 endlich das Gesetz Über die Staatssprache eingeführt wurde, das klar definierte, in welchen Bereichen das Ukrainische als Amtssprache verpflichtend zu verwenden ist. Putin und sein Umfeld dachten, nur weil es zu Sowjetzeiten gelungen war, einige Städte zu russischsprachigen zu machen, besonders die Großstädte im Osten und Süden, würden die Menschen dort die russische Armee mit Brot und Salz empfangen. Aber das Gegenteil war der Fall, die Ukrainer sehen Russland nun bewusst als Feind, sie sehen den genozidalen Krieg, der zum Zweck der Vernichtung der Ukrainer geführt wird. Ihr Widerstand ist sehr stark geworden und viele Menschen wechseln nun zur ukrainischen Sprache.

    Am schlimmsten ist, dass der Status des Belarussischen als alleinige Staatssprache nicht erhalten werden konnte

    W.W.: Die ukrainische Situation ist natürlich eine epochale Kraftprobe. Einerseits hat sich der ukrainische Staat stark für die ukrainische Sprache eingesetzt, worauf wir Belarussen in unserer aktuellen Situation nur mit Neid blicken können. Denn der aktuelle Staat, der sich Belarus nennt, verdrängt die belarussische Sprache funktional und zielgerichtet, letztlich muss man schon sagen, er vernichtet sie. Andererseits ist die Ukraine Ziel eines verbrecherischen Angriffs geworden, der unter anderem gerade mit einer sprachlichen Argumentation begründet wird. Das brachte alle an Russland angrenzenden Völker dazu aufzuwachen und zu verstehen, dass dieses Russland und die aufgezwungene Russischsprachigkeit, die von einigen als Reichtum betrachtet wird, da die russische Sprache zu den Weltsprachen gehöre und eine Brücke zu kulturellen, wissenschaftlichen und allerlei anderen Reichtümern darstelle, in Wirklichkeit die Brücke zum Einmarsch des Aggressors ist …

    Um auf die Frage zurückzukommen, ob die sprachliche Identität identisch ist mit der nationalen – ja, ich denke, dass die aktuelle sprachliche Situation in Belarus instabil und entropiehaft ist. Wenn wir in der kurzen Periode der realen Unabhängigkeit und der relativen Demokratie in der ersten Hälfte der 1990er Jahre innerhalb von sechs Jahren der belarussischen Sprache ihren Status zurückgeben konnten, ein bis zwei Millionen Schüler durch das belarussischsprachige Bildungssystem lotsen konnten, dann trat eine sprachliche Wirkung ein, die dann mit Gewalt wieder aus der Gesellschaft herausgepresst wurde, nachdem gerade sprachliches Selbstbewusstsein und funktionale sprachliche Normalität zurückgekehrt waren.  

    L.M.: Am schlimmsten ist, dass der Status des Belarussischen als alleinige Staatssprache nicht erhalten werden konnte, so wie es in der Ukraine gelungen ist. Als Lukaschenka an die Macht kam, wurde das belarussische Sprachengesetz geändert, und Russisch wurde neben Belarussisch zur Staatssprache erklärt. Natürlich öffnete das den Russifizierern und Kolonisatoren Tür und Tor. Es ist sehr bedauerlich, dass durch verschiedene Manipulationen, faktisch durch Betrug der Bevölkerung, eine Person wie Lukaschenka an die Macht gekommen ist. Denn Lukaschenka verachtet die belarussische Sprache, er hat geäußert, dass es nur zwei große Sprachen gäbe – Russisch und Englisch, Belarussisch hingegen sei sehr arm, man könne damit keine technischen Sachverhalte beschreiben, da es keine Fachtermini gäbe, und so weiter. Wie soll eine Sprachenpolitik mit einem solchen Präsidenten aussehen?

    Auch bei uns ist die sowjetische Politik noch spürbar, dass damals die hervorragendste Elite, die das Ukrainische verteidigte, ins Lager geschickt wurde, und die Russifizierung stark vorankam. Besonders unter Schtscherbyzky in den 1970er Jahren, der die ukrainische Sprache aus dem offiziellen Gebrauch nahm, auch in der Partei. 

    Sind die ukrainische und belarussische Sprache durch ihre Nähe zum Russischen bedroht?

    L.M.: Bei uns wird häufig nicht berücksichtigt, dass es einen Unterschied zwischen der individuellen Zweisprachigkeit und der staatlichen Zweisprachigkeit gibt. Wenn ein Mensch zwei Sprachen beherrscht, oder heutzutage oft auch drei, denn unsere Schüler und Studenten lernen ja auch intensiv Englisch, dann ist daran überhaupt nichts Schlimmes, im Gegenteil.

    Die staatliche Zweisprachigkeit ist jedoch ein ausgesprochen negatives Phänomen, besonders, wenn sie so ausgeprägt ist wie bei uns, in einem postimperialen Raum, wo die gesamte Bevölkerung der Ukraine und Belarus‘ in der sowjetischen Zeit Russisch lernen musste, da andernfalls keine berufliche Karriere möglich war.

    Diese Sprache verdrängte die lokalen Sprachen, so dass dieser Bilinguismus, wie sogar Wissenschaftler aus anderen Ländern bestätigen, ein Zustand des Ungleichgewichtes war, in dem ein ständiger Konflikt zwischen zwei Sprachen herrschte, da eine Sprache die andere Sprache aus deren heimischem Territorium verdrängen wollte. Ein solcher Konflikt wird nur durch den Sieg einer der beiden Sprachen gelöst, oder durch den Zerfall des Staates in zwei Teile, wie es beispielsweise in Belgien der Fall ist.

    W.W.: Ich würde die regionale Betrachtung etwas eingrenzen. Wir sind in Mittelosteuropa, und für Mittelosteuropa ist staatliche Zweisprachigkeit etwas sehr Exotisches. Die einzige Ausnahme ist zum großen Leidwesen Lukaschenkas Belarus. Auch wenn Lukaschenka hundertmal sagt „Wir haben kein Sprachproblem, es wird uns untergeschoben“, so war er es doch selbst, der nach seinem durch populistische Losungen errungenen Wahlsieg 1994 die unausweichlichen Probleme beim wirtschaftlichen und politischen Aufbau eines jungen Staates gleichsetzte mit dem Sprachenproblem, als er nämlich sagte: All diese bewussten Menschen mit ihrer Sprache seien schuld an all diesen Problemen. Das Referendum begann er ausgerechnet mit der Sprachenfrage. Er verwirrte die Menschen und stellte eine die Identität betreffende Frage, was der damaligen Gesetzeslage nach bei einem Referendum eigentlich nicht zulässig war. Die Ergebnisse sollten nur beratenden Charakter haben, aber Lukaschenka entwickelte schon damals seine eigene Haltung zu Gesetz und Verfassung. Er betrachtete das Ergebnis als verbindlich und so wurden wir das einzige postsowjetische Land, und darüber hinaus auch das einzige mittelosteuropäische Land, mit zwei Staatssprachen – und die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. 

    In komplizierten Situationen, wie der belarussischen, kann es eine Übergangszeit geben

    Bereits 2007 nahm die UNESCO die belarussische Sprache in ihren unheilvollen Atlas der gefährdeten Sprachen auf, da der Prozentsatz der Menschen, die in den Folgegenerationen die Sprache von ihren Eltern oder in der Schule lernen würden, auf ein gefährliches Niveau gesunken war. Noch stehen wir auf der ersten Stufe der Bedrohung, aber vielleicht hat sich das seit 2007 auch schon geändert und wir sind in diesem bedrohlichen UNESCO-Atlas eine Stufe höher geklettert.

    Der Status der Staatssprache bedeutet, dass ein Staatsbeamter verpflichtet ist, diese Sprache zu verwenden, dass der Staat verpflichtet ist, die Rechte dieser Sprache zu schützen, dass ich, als Belarussischsprachiger, das Recht habe, mich auf Belarussisch an jede beliebige staatliche Institution zu wenden, und auf Belarussisch eine Antwort erhalte. Nicht mehr und nicht weniger. 

    In komplizierten Situationen, wie der belarussischen, kann es eine Übergangszeit geben. In Kasachstan, wo der demokratische Charakter des politischen Systems zwar infrage steht, wird das Kasachische als Staatssprache beispielsweise für einige Zeit begleitet von Russisch als zweiter Amtssprache, das aber nicht Staatssprache ist. Allmählich, langsam, aber sicher, nähert man sich so einem Zustand, in dem die kasachische Sprache vollwertig und allgegenwärtig gebraucht wird. 

    Wenn Menschen, die sich für das Belarussische als einzige Staatssprache aussprechen, ein Hang zu Gewalt und Zwang nachgesagt wird, verfälscht das schlicht die Realität. Im Jahr 1990, als die Entscheidung getroffen wurde, Belarussisch zur alleinigen Staatssprache zu machen, beschloss man eine sehr sanfte Zeitschiene: fünf bis sechs Jahre, für das juristische Feld sogar zehn Jahre Zeit, um vollständig zur belarussischen Sprache überzugehen, unter Berücksichtigung der Ausbildung von Fachkräften, Entwicklung der Terminologie, Buchdruck, Übersetzung der Gesetzgebung. Hätte es 1994 nicht diesen populistischen Umsturz gegeben, hätten wir heute eine Situation ähnlich wie in der Ukraine. Diese Lehre sollten wir verinnerlichen und Fehler nicht wiederholen. 

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  • „Man muss Realist sein, wenn man gegen eine Diktatur kämpft“

    „Man muss Realist sein, wenn man gegen eine Diktatur kämpft“

    Sasha Filipenko hat sich seit den Ereignissen im Jahr 2020 in Belarus auch in der internationalen Welt zu einer der wichtigsten belarussischen Stimmen entwickelt. Der Schriftsteller, der in Sankt Petersburg studierte und lange in Russland als Drehbuchautor, Fernsehmoderator und Autor arbeitete und lebte, äußert sich regelmäßig zu den politischen Entwicklungen in seiner Heimat. Seine Literatur schreibt er auf Russisch. Nun sind zwei seiner Romane auf Belarussisch erschienen. Aus diesem Anlass hat sich Kazjaryna Kulakowa für das Online-Medium Salidarnasc/Gazeta.by mit Filipenko unterhalten – über die Sprachenfrage in Belarus, über das Leben im Exil und darüber, warum über Belarus in unseren Breiten so wenig bekannt ist.

    Sasha Filipenko: Die Übersetzung meiner Bücher ins Belarussische ist natürlich ein sehr bedeutendes Ereignis für mich. Fast ein Jahr lang haben wir versucht, das möglich zu machen, es war nicht leicht. Die Leute sehen nur: Da ist ein neues Buch erschienen, aber damit es dazu kommen konnte, haben wir viel gearbeitet. Und ich bin sehr froh, dass es gelungen ist. 

    Salidarnasc: Worin bestanden die Schwierigkeiten?

    Einige belarussische Verleger sagten, das Buch sei schon auf Russisch erschienen, es sei sehr bekannt, und alle, die es lesen wollen, hätten es wohl schon gelesen, deshalb würde es sich schwer verkaufen lassen. Es war also schwierig, einen Verlag zu finden, weshalb ich dem Gutenberg Verlag sehr dankbar bin, dass es nun endlich so weit ist. 

    Für mich ist die Sprache eine Frage des Werkzeugkastens

    Die Übersetzung ist, wie ich finde, sehr gut geworden. Ich schreibe nicht auf Belarussisch, mein Gefühl für die Sprache ist nicht so gut. Als die Übersetzerin und die Lektorin mit der Arbeit begannen, merkte ich, dass sie das Belarussische sehr viel besser beherrschen als ich. Für mich ist das einfach eine Frage des Werkzeugkastens.

    Die belarussische Ausgabe von Filipenkos „Der ehemalige Sohn“ / Foto © gutenbergpublisher.eu
    Die belarussische Ausgabe von Filipenkos „Der ehemalige Sohn“ / Foto © gutenbergpublisher.eu


    Empfehlen Sie den Belarussen, die die Bücher bereits auf Russisch gelesen haben, sie noch einmal auf Belarussisch zu lesen?

    Natürlich, ich finde das sehr interessant. Man liest diese Geschichte nicht anders, aber wie mit einem anderen Blick. Für mich selbst war es sehr spannend.

    Die Sprachenfrage ist unter den Belarussen gerade ein heißes Thema: Viele Belarussen gehen zum Belarussischen über, der zukünftige Status unserer Sprache wird diskutiert. Wie denken Sie darüber?

    Ich sehe, dass die Mehrheit der Belarussen, die zum Belarussischen wechseln, im Ausland lebt. In Warschau und in Tbilissi. Ich weiß nicht, wie das der belarussischen Sprache im Inland helfen kann. Ich denke, es wäre gut, wenn die Belarussen in Belarus belarussisch sprechen würden. Zweitens scheint mir, dass viele Belarussen, die vorher nie belarussisch gesprochen haben, damit jetzt beginnen, weil das Russische toxisch geworden ist, die belarussische Sprache aber nicht – mit Belarussisch ist alles in Ordnung, damit ist man sozusagen ein guter Mensch und ein echter Belarusse.

    Doch für mich selbst existiert die Sprachenfrage nicht. Mir ist es gleich, wer ihr seid und welche Sprache ihr sprecht. Entsprechend sind für mich Belarussen nicht besser oder schlechter, je nachdem, ob sie belarussisch oder russisch sprechen. Diese Entscheidung trifft jeder für sich.

    Wir müssen zuallererst mit unseren Kindern belarussisch sprechen

    Die Situation ist jetzt so, dass die belarussische Sprache mit jedem Tag weiter vernichtet wird, das ist uns klar. Wenn wir wollen, dass sie nicht zerstört wird, dann müssen wir zuallererst, das ist das Wichtigste, mit unseren Kindern belarussisch sprechen. Danach kann jede Person schon selbst entscheiden, welche Sprache sie verwenden möchte. 

    Sprechen Sie belarussisch mit Ihrem Sohn, oder lernt er vielleicht belarussisch?

    Er lernt nirgends Belarussisch, aber er schaut sich belarussischsprachige Videos auf YouTube an. Natürlich unterhalten wir uns auf Belarussisch, und er hört auch, wie wir mit Freunden belarussisch sprechen. Ich spreche mit meinem Sohn englisch, französisch und russisch. Später, wenn er entscheidet, wo er leben möchte, wird er schon selbst wählen, welche Sprache er sprechen möchte. 

    Er weiß, dass er belarussische Wurzeln und auch diese Sprache hat. Aber jetzt ist es schwierig für ihn, sie zu lernen, auch Russisch lernt er nirgends, weil wir in der Schweiz leben. 

    Die belarussische Übersetzung Ihrer Bücher wird online auf der Verlagswebsite zugänglich sein. Das ist eine gute Neuigkeit für die Menschen in Belarus, denn sie können die Bücher ohne irgendwelche Hindernisse lesen. Halten Sie Kontakt zu Belarussen im Land und können Sie etwas über das Verhältnis der Menschen untereinander sagen?

    Ich spreche mit vielen Leuten in Belarus, allein schon für die Arbeit, da ich auch als Journalist tätig bin und für die europäische Presse schreibe. Im Moment sind alle sehr still geworden. Aber das bedeutet keinesfalls, dass sie sich aufgegeben haben. Sicher, es gab eine Niederlage (im Jahr 2020, Anm. d. Red.), es ist uns nicht gelungen, unser Ziel zu erreichen. 

    Wir haben eine Schlacht verloren, aber der Krieg ist noch im Gange

    Aber ich weiß, dass die Belarussen wieder protestieren werden, sobald sich eine Möglichkeit ergibt, in diesem Sinne ist nichts vorbei. Wir haben eine Schlacht verloren, aber der Krieg ist noch im Gange, und deshalb gehen auch täglich die Repressionen weiter. Diejenigen, die weiterhin an der Macht festhalten, spüren: Würden die Repressionen aufhören, wäre den Belarussen klar, dass eine Art Tauwetter beginnt, und dann könnten sie wieder auf die Straßen gehen.

    Die größte Auszeichnung für mich war übrigens (darüber habe ich kürzlich in Berlin berichtet, wo ich zum ersten Mal Romanauszüge auf Belarussisch vor Publikum las), dass Menschen, die 2020 in Haft kamen, dort mein Buch Der ehemalige Sohn gelesen und es von Zelle zu Zelle weitergereicht haben. Ich weiß, dass dieses Buch den Menschen etwas bedeutete, dass es für sie wie eine Therapie hinter Gittern war.

    In der französischen Zeitschrift Kometa haben Sie ein Art Reiseführer für das heutige Belarus geschrieben. Was überrascht Ausländer in Bezug auf Belarus am meisten, und was verwundert Sie in diesem Kontext wiederum?

    Mich wundert, dass niemand irgendetwas über Belarus weiß. Aber mir scheint, daran tragen wir auch selbst Schuld. Es fällt sehr schwer zu beschreiben, was da gerade vor sich geht. Und den Menschen in Europa fällt es ebenso schwer, das zu glauben. In der Schweiz habe ich von Leuten gehört, die drei Tage bei uns waren: in Belarus gäbe es gute Restaurants, saubere Straßen und man könne nicht sagen, dass Lukaschenka ein Diktator sei. Die Menschen begreifen also nicht wirklich, was im Land passiert.

    Vor einer Woche, bei einem Auftritt in Basel, begann eine Schweizerin plötzlich zu erzählen, dass sie sich für das belarussische Rentensystem interessiere und es für viel besser als das der Schweiz halte. Bei uns würde es den Rentnern besser gehen, als denen in der Schweiz, sie hätten zudem die Möglichkeit, ins Sanatorium zu fahren. Ich hörte mir das an und überlegte, ob diese Frau wohl einen Monat lang so leben könnte, wie ein belarussischer Rentner.

    Eine weitere dringliche Frage ist die nach den politischen Gefangenen. Es gibt keine einheitliche Lösung, wie man die Menschen aus der Haft befreien könnte. Sie sind in dieser Frage nicht mehr nur Beobachter, denn vor Kurzem wurde Ihr Vater verhaftet. Was denken Sie über die Frage der politischen Häftlinge?

    Ich sehe, dass Leute jetzt sagen, man müsse Zugeständnisse machen, die Sanktionen beenden, um die politischen Gefangenen freizubekommen. Als würden die Mächtigen nach der Freilassung nicht einfach andere festnehmen. Ich denke, dass noch am selben Tag neue Leute hinter Gitter kämen, denn das Regime hätte die Bestätigung: ja, es funktioniert.

    Die Menschen müssen freikommen, ohne dass es Bedingungen gibt

    Meine Eltern sind aktuell Geiseln in Minsk. Aber dennoch weiß ich, dass es nur eine einzige Option gibt: Die Menschen müssen freikommen, ohne dass es Bedingungen gibt. Den Machthabern muss klar sein, dass es keinerlei Verhandlungen geben wird: Die Leute müssen einfach nur freigelassen werden. Jemand hat gesagt, dass selbst im Krieg beide Seiten Gefangene austauschen. Aber wir haben keine Kriegsgefangenen hier, in Warschau gibt es keinen Asarjonak oder jemanden von deren Seite. Und die Abänderung der Sanktionen im Austausch gegen Gefangene – das ist auch keine Option.

    Wir können uns vorstellen, dass Kalesnikawa und Babaryka freigelassen werden, und jeder Belarusse wünscht sich, dass das geschieht. Aber es gibt dabei einen Preis, den es zu zahlen gilt, wenn am nächsten Tag ein anderer Mensch dafür verhaftet wird. Wie kann man das nicht berücksichtigen? Und warum heißt es, man habe kein Herz und kein Mitgefühl, wenn man die Idee der Zugeständnisse nicht mitträgt? Im Gegenteil, man hat sehr wohl Herz und Mitgefühl, nur muss man eben Realist sein, wenn man gegen eine Diktatur kämpft.

    Sie haben viele Male gesagt, dass vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine das belarussische Thema in Vergessenheit gerät. Ändert sich das in letzter Zeit?

    Ja, jetzt gerät auch das Thema Ukraine in Vergessenheit. Es gab die Ereignisse in Israel und andere. Ich glaube, dass die Ukrainer sich jetzt allmählich so fühlen, wie wir uns gefühlt haben. Ich arbeite mit Journalisten zusammen, die über die Vorwahlkampagne in den USA berichten, und bei all den Kandidaten und den Kommunalwahlen kommt die Ukraine auf dem zehnten oder elften Platz. Natürlich werden die Nachbarländer die Ukraine weiter stark unterstützen. Aber für die Menschen, die in Portugal, Spanien oder Italien leben … Mein Sohn kommt aus seiner Schweizer Schule und erzählt, dass die Leute in der Schweiz nicht wissen, dass in der Ukraine Krieg ist. 

    Wir begeistern uns für Konflikte wie für Netflix-Serien

    Mir scheint, wir begeistern uns für Konflikte wie für Netflix-Serien: Komm, lass uns die zweite Staffel schauen. Aber dann ist es nicht mehr spannend, und los, wir schauen einfach eine andere Serie. Was wir also tun können, ist, weiterhin darüber zu berichten, dass sich nichts geändert hat. 

    Sie erzählen viel über Ihre Arbeit als Journalist. Aber schreiben Sie gerade auch Bücher?

    Ja, ich habe begonnen, an einem neuen Buch zu arbeiten. 

    Vor etwas mehr als einem Jahr sagten Sie, dass Sie keine Bücher schreiben können – was hat sich geändert? Und worum geht es in dem neuen Buch, wenn man fragen darf?

    Das ist noch geheim. Einige Zeit lang war ich erschöpft und konnte nicht schreiben. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, ein neues Buch zu beginnen. Es ist eine schwierige Frage, ob es gerade überhaupt einen Sinn hat, Bücher zu schreiben, denn du begreifst, dass Bücher überhaupt nichts bewirken. Aber andererseits beeinflussen sie dich selbst und viele Leser, oder sie werden zu Theaterstücken. Wenn ich mir also anschaue, was gerade auf unserer Welt passiert, dann wird mir klar, dass nur darin Sinn steckt – Kultur, Literatur, Theater.

    In Berlin gab es eine Inszenierung auf der Grundlage von Kremulator. Das hat sehr stark auf mich gewirkt, nicht in dem Sinne, dass ich stolz bin, weil mein Buch inszeniert wurde, sondern weil der Regisseur Maxim Dsidsenka und alle Mitwirkenden aus eigener Kraft, ohne Unterstützung eines Theaters oder so, ein großartiges Stück auf die Beine gestellt haben. 

    Kunst zu schaffen ist das, was wir tun können, um Menschen zu bleiben

    Für mich ist es sehr wichtig und wesentlich, dass Menschen sich der Kunst widmen – trotz allem. Dann beginne ich auch zu denken, dass ich schreiben muss, und schreibe. Deshalb finde ich, dass es gerade jetzt sehr wichtig ist, Kunst zu schaffen – es ist das, was wir tun können, um Menschen zu bleiben. 

    In Ihrem Roman Rückkehr nach Ostrog haben Sie den großangelegten Krieg Russlands gegen die Ukraine vorausgesagt. Was denken Sie heute über die Zukunft: Stehen wir an der Schwelle zu einer großen Katastrophe oder kommen doch positive Veränderungen auf uns zu?

    Darf ich die Frage nicht beantworten? Alles, was ich sage, wird nachher wahr. Noch vor Ostrog habe ich 2015/16 in einem Interview gesagt, dass ein großer Krieg kommen wird. Was ich jetzt sehe und fühle … Ich habe keine guten Prognosen. Daher lassen Sie mich bitte diese Frage nicht beantworten.

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  • „Russland braucht jetzt ein solches Belarus“

    „Russland braucht jetzt ein solches Belarus“

    Mit keinem anderen Staatsführer trifft sich Wladimir Putin derart häufig wie mit seinem belarussischen Kollegen Alexander Lukaschenko. Vor allem seit dem Beginn der Proteste in Belarus im Jahr 2020 und seit Beginn der russischen Großinvasion in die Ukraine hat die Anzahl der Besuche, die bis auf zwei Ausnahmen allesamt in Russland stattfanden, deutlich zugenommen. Die Gründe sind klar: Lukaschenko ist für Putin trotz aller Differenzen in der Vergangenheit der loyalste Verbündete; der russische Präsident hält dem belarussischen Diktator im Gegenzug den Rücken frei, unterstützt ihn wirtschaftlich, versucht aber gleichzeitig, den russischen Einfluss in Belarus weiter zu erhöhen. Erstaunlich ist dabei immer wieder, wie Lukaschenko für sich Vorteile auszumachen versucht, obwohl er weiß, dass er sich gegenüber dem Kreml in der deutlich schwächeren Position befindet. 

    Nun war Lukaschenko Ende vergangener Woche wieder in Moskau, es war bereits das zweite Treffen zwischen den beiden Staatenführern in diesem Jahr. Die Treffen werden in unabhängigen belarussischen Medien regelmäßig eingehend diskutiert. Dabei standen diesmal vor allem diese Fragen im Vordergrund: Welche aktuelle Rolle spielt Lukaschenko für Putin im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Könnte Belarus immer noch mit eigenen Truppen eingreifen? Oder wäre es dem Kreml dienlicher, wenn Lukaschenko Russland mit seinen industriellen Möglichkeiten im Kampf gegen die Sanktionsauswirkungen unterstützt und er für den Fall, dass es doch irgendwann zu Verhandlungen mit der Ukraine kommen sollte, die Rolle des „Friedensstifters“ für Putin übernimmt? Der belarussische Journalist Alexander Klaskowski gibt in seiner Analyse für das Online-Medium Pozirk Antworten auf diese und andere Fragen.

    Alexander Lukaschenko teilte bei seinem Besuch im Kreml am 12. April vor Journalisten mit: „Ich bestreite ja nicht, dass wir ein Co-Aggressor sind“. Dabei unterstrich er aber auch: „Jeder erfüllt seine Aufgabe.“ Anders gesagt, Wladimir Putin und Lukaschenko haben sich offenbar auf eine Aufgabenteilung in der ukrainischen Frage (und darüber hinaus) geeinigt. Diese spezielle Aufgabenteilung zeigte sich auch darin, dass der Gast während seines aktuellen Besuchs als Sprachrohr des Kreml zum Thema Friedensgespräche mit Kyjiw fungierte. Er trat vehement dafür ein, die Verhandlungen von Istanbul 2022 als Grundlage zu nehmen und diskreditierte die für Juni geplante Konferenz in der Schweiz, zu der Moskau nicht eingeladen wurde. Putin pflichtete – wie es sich für einen Zaren ziemt – großmütig bei. 

    Selbst wenn Lukaschenko zugibt, Co-Aggressor zu sein, hindert ihn das nicht daran, als Friedensstifter aufzutreten. Den ukrainischen Präsidenten, den er viele Male beleidigt und als politischen Jungspund deklassiert hat, nannte er diesmal höflich beim Vor- und Vatersnamen. Kurzum, er ist ein Großmeister im Herumlavieren. 

    Russland braucht jetzt ein solches Belarus

    Die Moskauer Journalisten fragten Lukaschenko, wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätze, dass Belarus in die Kampfhandlungen eintreten müsse. Die Antwort lautete: „Eine solche Notwendigkeit gibt es nicht. Und eine solche Notwendigkeit wird es auch nicht geben.“

    Es folgten Argumente, die der belarussische Machthaber vermutlich wiederholt vor Putin von Angesicht zu Angesicht ausgebreitet hat. Heute scheint zwischen ihnen in dieser Hinsicht Konsens zu herrschen. Lukaschenko sagte: „Russland braucht jetzt ein solches Belarus – friedlich, still und ruhig, das seine Aufgabe erfüllt. Im Einzelnen werde ich Ihnen nicht erzählen, womit wir uns beschäftigen“. 

    Im Grunde kann man erraten, dass es vor allem um die Unterstützung des kriegsführenden Russland bei der Produktion von Nachschub geht – sowohl im zivilen Sektor (im Zuge der Sanktionen und der Abwanderung westlicher Firmen aus Russland sind einige Lücken entstanden) als auch im militärischen Bereich. Unter anderem hilft Minsk Moskau dabei, mithilfe von Grauimporten die Sanktionsauswirkungen zu mildern. 

    Des Weiteren erklärte Lukaschenko offen, dass es derzeit selbstmörderisch sei, sich von Belarus aus in der Ukraine einzumischen. Erstens sei „deren Grenze zu Belarus verbarrikadiert – da ist kein Rankommen. Sie ist vollständig vermint und zubetoniert, und es stehen 120.000 ukrainische Soldaten an dieser Grenze.“ 

    Zweitens, so erklärte er, würde sich in diesem Fall die Front um 1000 Kilometer – nämlich um die Länge der belarussischen Grenze mit der Ukraine, Polen und den baltischen Staaten – verlängern (jaja, die aggressiven NATO-Staaten warten nur darauf!): „Wenn wir in den Krieg eintreten, müssen wir diese Front sichern. Können wir das? Wir können das nicht. Ich sage Ihnen: Wir können das nicht. Wollen wir Probleme? Nein, wollen wir nicht.“

    Und ein weiterer Punkt: „Die Hälfte unseres Landes liegt im Hundertkilometerradius von Kyjiw (hier übertreibt er in seinem üblichen Stil – Anm. d. A.). Auch die Erdölraffinerie in Mosyr, die zum Glück bislang ohne Einschränkung arbeitet, sie wurde modernisiert, und auch die Russen tanken Benzin aus der Raffinerie Mosyr.“ Es ist anzunehmen, dass Lukaschenko faktisch wiederholt hat, was er auch Putin in ihren Tête-à-Têtes dargelegt hat. Und der ist mit dieser Argumentation bis heute mehr oder weniger einverstanden: Besser keine schlafenden Hunde wecken. Andernfalls hätte Lukaschenko keine solche Überzeugung ausgestrahlt. 

    Die Tatsache, dass der belarussische Machthaber wieder zwei Tage bei seinem Großen Bruder zu Gast war und gemeinsam mit ihm die Kosmonauten ehrte, spricht alles in allem dafür, dass zwischen ihnen gegenseitiges Verständnis eingekehrt ist. Die von einigen Kommentatoren überspitzte Version, Putin würde seinem Partner wieder und wieder verzweifelt die Daumenschrauben anziehen, erscheint eher unwahrscheinlich.

    Der Klassiker: Rückendeckung für die „russischen Brüder“ 

    Die beiden Herrscher reagierten auch auf die Äußerungen ihrer politischen Gegner und einer Reihe von Experten, dass laut Lukaschenko „Putin und Lukaschenko morgen Europa einnehmen wollen“. Der belarussische Regent versicherte, man habe „niemals solche Pläne besprochen“. Der Kremlchef bezeichnete diese Verdächtigungen als Unsinn. Auf der Gegenseite liegt das Vertrauen in die Aussagen der beiden Herrscher verständlicherweise bei Null. Die hatten auch vor dem Einmarsch in die Ukraine 2022 unverfroren versichert, nur gemeinsame Militärübungen durchzuführen

    Damals war jedoch offensichtlich, dass Truppen zusammengezogen wurden, und die Amerikaner warnten in Klartext vor einem anstehenden Überfall. Eine solch schlagkräftige Formation ist heute weder für einen erneuten Marsch auf Kyjiw von belarussischem Territorium aus noch für einen Blitzkrieg zur Einnahme von Vilnius (oder gar Warschau) ersichtlich. Sollte sich eine solche Formation bilden, dann dauert das länger als einen Monat, und würde zudem mit den heutigen Möglichkeiten der Aufklärung klar entdeckt werden. Aktuell ist es für Putin logischer, an den bestehenden Fronten in der Ukraine maximal voranzukommen, um im Falle von Friedensverhandlungen eine möglichst günstige Position zu haben. 

    Selbst wenn Russland eine neue Mobilisierung durchführt, würde das Kanonenfutter am ehesten in der Ukraine gebraucht, vielleicht für den erwarteten Angriff auf Charkiw. In dieser Situation eine weitere Front gegen die NATO zu eröffnen, wäre fraglos eine schlechte Idee.

    Lukaschenko wird hingegen mit Vergnügen den Anschein erwecken, die russischen Brüder vor einer potenziellen NATO-Aggression zu beschützen. Unter anderem behauptet er, sich den westlichen Truppen heldenhaft entgegenstellen zu wollen, sollten sie in der Ukraine auftauchen: „Jetzt haben sie begonnen, von der Verlegung eigener Truppen in die Ukraine zu reden, höchstwahrscheinlich an die Grenze zu Belarus. Wir warten, sollen sie nur kommen.“

    Doch diese Truppenverlegung ist bislang mit einer Heugabel auf Wasser geschrieben, und so oder so ist klar, dass die Franzosen oder auch die Briten nicht in die Offensive gehen würden. Doch Lukaschenko ist es wichtig, Moskau davon zu überzeugen, wie wertvoll seine Mission ist, die verdammten Westler zurückzuhalten, die an den Grenzen des Unionsstaates mit den Panzerketten rasseln. 

    Die Weltraumparty soll weitergehen – die Kosten trägt der große Bruder

    Derweil hat der belarussische Bündnispartner es eilig, Dividenden aus der aktuellen Situation einzustreichen. Am 11. April sagte er im Kreml zu Journalisten: „Wenn wir schon Aggressoren sind, sollten offen gestanden auch die gleichen Bedingungen für die Wirtschaftssubjekte und die Menschen gleich sein.“

    Zwar ist das doppelt gemoppelt, doch der Inhalt ist verständlich. Als einziger Verbündeter des kriegsführenden Imperiums will Minsk ein Maximum an Vorteilen. Im Gespräch mit Putin merkte Lukaschenko an: „Die Kredite, die für gemeinsame Projekte bewilligt wurden – 100 Milliarden Russische Rubel [circa 1 Milliarde Euro – dek] – sind schon zu über 80 Prozent in Projekten umgesetzt.“ Die Andeutung ist klar: Es wäre keine Sünde, noch ein paar Kreditmittel rüberwachsen zu lassen.

    Zudem ist Lukaschenko sichtlich euphorisch ob der Tatsache, dass es locker gelungen ist, auf das russische Raumfahrtprogramm aufzuspringen. Am 26. März rutschte ihm raus, dass der Weltraumflug Belarus 70 Millionen Dollar kosten würde, Russland allerdings diese Ausgaben übernehme. Jetzt überredet Lukaschenko Putin, wieder belarussische Kosmonauten in den Orbit zu schicken. Dem belarussischen Machthaber gefällt eindeutig das Image des Anführers einer Raumfahrernation, und er wünscht sich eine Fortführung der Party, zumal der große Bruder die Kosten dafür übernimmt. 

    Der Wohlstand wackelt, doch Lukaschenko ist es gewohnt, sich herauszuwinden

    In den ersten Wochen der großangelegten Invasion Russlands in der Ukraine, besonders, nachdem die Angreifer bei Kyjiw aufs Maul bekommen hatten, wirkte Lukaschenko nervös und gereizt. Jetzt ist er viel lockerer: Er konnte die Entsendung seiner Truppen in diesen Fleischwolf vorerst abwenden und von Russland neue Produktionsaufträge bekommen. Die russische Armee drängt die Ukrainer zurück. Ein Teil der westlichen Politiker tendiert scheinbar dazu, Kyjiw zu einem Frieden zu ungünstigen Bedingungen zu zwingen. Die Ansichten einiger Kommentatoren, dass Putin den belarussischen Vasallen im Falle eines Friedensabkommens mit der Ukraine weniger schätzen wird, die Subventionen streicht und Belarus als Trostpreis annektiert, kann man anzweifeln. 

    Eine friedliche Verschnaufpause würde Moskau am ehesten nutzen, um Kraft und Ressourcen für eine „Endlösung der Ukraine-Frage“ zu sammeln. Und dann weiterzumachen. Und bei solchen Plänen kann der belarussische Verbündete noch sehr nützlich sein. Warum ihn also verprellen? Wie man sieht, hat sich Lukaschenko, dieser Meister des Manövers, begabt im Springen zwischen Strömungen, unglaublich geschickt an die Situation des großen Krieges in der Nachbarschaft angepasst (und dabei der eigenen Wählerschaft noch das Image des weisen und starken Friedensschützers in die Köpfe gepflanzt). 

    Es steht auf einem anderen Blatt, dass sein Wohlstand arg wacklig ist. Auf dem russischen Markt verschlechtert sich langsam die Stimmung. Bei den Händlern dort haben sich große Produktionsvorräte angesammelt, worüber sich Lukaschenko kürzlich bei einem Branchentreffen empörte. Auch die belarussische Außenhandelsbilanz verschlechtert sich – Äquatorialguinea ist, auch wenn man hundertmal hinfliegt, ein schlechter Ersatz für EU und Ukraine. Die einseitige Orientierung auf den russischen Markt und die Bindung im Bereich der Exportlogistik verstärken die Abhängigkeit vom Imperium. Das Russische Imperium seinerseits, sieht man von der Weltraumprotzerei ab, kann im Bereich innovativer Technologien nicht behilflich sein. Zudem atmet es Aggression, sie ist sein Modus vivendi. Mit einem solchen Großen Bruder kann sich der ganze relative Wohlstand, der heute vorhanden ist, unversehens in Nichts auflösen.
     
    Doch Lukaschenko hat keine Wahl, nach Den Haag will er ja auch nicht. Er ist es gewohnt, sich herauszuwinden, und tut das auch heute, wenn er versucht, selbst aus dem Status des Co-Aggressors den größtmöglichen Gewinn zu pressen.

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  • „Vielen Dank ist nicht genug, um ein neues Leben zu beginnen“

    „Vielen Dank ist nicht genug, um ein neues Leben zu beginnen“

    Schätzungen zufolge kämpfen rund 1500 bis 2000 Freiwillige aus Belarus aktuell auf Seiten der Ukraine, beispielsweise im Kalinouski-Regiment. Nach ihrem Einsatz können sie nicht zurück in ihre Heimat, da sie dort politisch verfolgt werden würden, für die Ukraine erhalten sie häufig keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie gehen also ins Exil, nicht selten nach Polen, wo infolge der Repressionen in Belarus bereits viele Belarussen gelandet sind. Dort müssen sie sich ein neues Leben aufbauen, was alles andere als leicht ist, da sie vom Krieg gezeichnet sind.  

    Wie hilft man solchen Menschen? Was brauchen sie, um im Alltag wieder ankommen zu können? Die Redaktion des belarussischen Auslandssenders Euroradio hat mit betroffenen Belarussen gesprochen und mit Aktivisten und Organisationen, die sich für sie einsetzen. 

    Manchmal schickte Zichi („der Stille”) Fotos mit neutralem Hintergrund nach Hause. Seine Familie dachte, der neutrale Hintergrund sei Warschau. Tatsächlich war die Mehrzahl der Bilder in der Südukraine aufgenommen. Der belarussische Freiwillige nahm an Militäroperationen teil, von denen wir in den Nachrichten gelesen haben – an der Befreiung des Gebietes um Cherson, der ukrainischen Sommeroffensive. Doch kürzlich tauchte wirklich Warschau auf seinen Fotos auf. Nach zwei Jahren Einsatz hatte er beschlossen, ins zivile Leben zurückzukehren, erhielt aber in der Ukraine keinen Aufenthaltsstatus. So musste er nach Polen gehen. In Warschau ist es schwieriger für Zichi als bei Cherson. Keine Arbeit, keine Waffenbrüder – nur eine Posttraumatische Belastungsstörung und Depressionen. Wenn Belarussen in der Emigration hören, wo Zichi die letzten zwei Jahre verbracht hat, sagen sie „vielen Dank“. Doch das ist nicht genug, um ein neues Leben zu beginnen.

    Die belarussischen Freiwilligen haben aber keinen Staat, der sich um sie kümmert

    Der Ehemann von Olha Haltschenko aus Kyjiw ging 2014 als Freiwilliger an die Front. Damals hatte er einen russischen Pass. 2022 meldete sich auch ihr Vater als Freiwilliger. Seit 2014 verfolgt Olha aufmerksam, wie in der Bevölkerung auf Wellen heißer Liebe zur Truppe Wellen ebenso starken Desinteresses folgen. „Das ist ein natürliches Verhalten in allen Gesellschaften. Zuerst ein Hoch der Popularität der Armee. Wenn die Soldaten dann heimkehren und versuchen, sich im zivilen Leben zu integrieren, kommt eine Gegenströmung. 2014 bis 2015 waren bei uns alle „die Liebsten, die Besten, unsere schönsten Jungs“. Dann ging es los: „Wir haben euch nicht dorthin geschickt“, „Warum bekommt ihr Ermäßigungen, warum könnt ihr kostenlos Bahn fahren? Das haben wir alles miterlebt.“ Als die Empathie der ukrainischen Gesellschaft weniger wurde, blieb den Soldaten noch der Staat mit seinen Garantien (auch wenn sie teilweise seltsam anmuten – das Veteranengesetz ist alt und garantiert den Teilnehmern von Kriegseinsätzen bis heute ein kostenloses Festnetztelefon und einen Rundfunkempfänger). 

    Die belarussischen Freiwilligen haben aber keinen Staat, der sich um sie kümmert. Und wenn in der Zivilgesellschaft die Empathie „abhanden kommt”, bleibt ihnen überhaupt nichts. „Der Veteran hat seine Zeit, seine Gesundheit, seine Karriere, manchmal sogar seine Familie geopfert. Was kann die Gesellschaft einen Menschen geben, um dieses Opfer zu kompensieren?“, überlegt Olha Haltschenko. „Die brennendste Frage ist zunächst die Unterstützung bei der Reha. Die Wiederherstellung der Gesundheit ist die erste Sorge des Veteranen und der Veteranin, sowohl physisch als auch mental. Man muss nicht der Staat sein, um finanziell zu helfen, den Menschen die Möglichkeit zu geben, einen Psychologen, Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten (der Menschen mit Verletzungen hilft, ihre Fähigkeiten zurückzuerlangen) aufzusuchen. 

    Eine weitere wichtige Bitte von Seiten der Veteranen ist die Sicherung eines gewissen Zeremoniells in Bezug auf die gefallenen Kameraden und die Unterstützung ihrer Familien. Es ist ihnen wichtig, das Gedenken an ihre Freunde zu erhalten, die Leistung der Gefallenen zu ehren. Die dritte Bitte ist die Unterstützung bei der Umsetzung eigener Möglichkeiten jenseits der Front. Das kann Hilfe bei der Arbeitssuche sein, bei der Aufnahme einer geschäftlichen Unternehmung, bei der Ausbildung, beim Erwerb neuer Kompetenzen. Denn oft geraten die Menschen bei der Rückkehr in eine Welt, die sich verändert hat, besonders, wenn sie in Bereichen gearbeitet haben, die sich dynamisch entwickeln.“  

    Hat jemand beispielsweise im IT-Bereich gearbeitet, stellt er fest, dass seine Kenntnisse nach zwei Jahren veraltet sind und er Weiterbildung braucht, seine Fähigkeiten erweitern muss, um auf dem Arbeitsmarkt wieder wettbewerbsfähig zu sein. Dann ist es gut, wenn jemand hilft, passende Kurse und das Geld dafür zu finden. 

    Es ist gut, wenn die Familie wartet – doch nicht alle werden erwartet

    „Aber das Leben ist doch völlig anders“, dachte Zichi kürzlich, als er mit Belarussen und Ukrainern in Warschau zusammensaß. Aber wie es ist, das erzählte er niemandem in dieser Runde. Auch nicht, dass er im Schlafsack in der Südukraine bequemer schlief, als im Bett in Warschau. Soldaten kommen nicht gern in relativ friedliche Städte wie Kyjiw oder Lwiw, auch nicht zur Erholung. Sie haben sich an das stressige Leben im Feld gewöhnt und wissen häufig nicht, was sie tun sollen, wenn dieser Stress plötzlich fehlt, sagt Maryna, Neurologin im Rehabilitationszentrum Lanka. „Man muss einen Menschen nicht bis ins kleinste Detail ausfragen, was er erlebt hat. Mit der Zeit, wenn das Vertrauen stärker wird, erzählt er selbst von diesen Ereignissen, um sie zu verarbeiten.“ 

    Wenn nach der Rückkehr von der Front die Familie wartet, ist das Ankommen leichter. Doch unter den Freiwilligen gibt es auch solche, die nach dem Kriegsausbruch keinen Kontakt zu ihren Nächsten halten konnten. Es gibt solche, deren Verwandte in Belarus leben. Und es gibt Familien, die nicht wissen, dass der neutrale Hintergrund auf dem Foto im ukrainischen Mykolajiw ist, nicht in Warschau. „Natürlich hilft das Gefühl ungemein, dass du sicher bist, geliebt wirst, dass jemand auf dich gewartet hat. Wenn eine geliebte Person von der Front zurückkehrt, empfehle ich, sie in einfache Alltagshandlungen einzubinden. Bei uns im Lanka-Zentrum hat man erstmal einen Tag zum Ankommen, danach werden die Aufgenommenen gebeten, sich an der Alltagstätigkeiten zu beteiligen. Man kann der Person auch ein Haustier schenken, ja, das ist ein verantwortungsvoller Schritt. Aber einfache Tätigkeiten – du hast einen Hund, du musst mit ihm spazieren gehen, du musst ihn dressieren – erden hervorragend. 

    Ich weiß, viele Soldaten treffen sich gern mit ihren Kampfbrüdern, mit denen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Man sollte sich aber nicht auf die sozialen Kontakte innerhalb dieser Kleingruppe beschränken. Regelmäßige Treffen mit einem nachvollziehbaren Zeitplan vereinbaren zu können, ist aber eine gute Sache. Sie werden dann zur beruhigenden Routine.“  

    „Alle wenden sich von uns ab: Auf dem Konto sind Null Złoty“

    Wenn du nicht weißt, wohin du gehen kannst, suchst du dir Gleichgesinnte. In Polen gibt es eine Veteranenorganisation – die Assoziation der belarussischen freiwilligen Kämpfer. Man hilft sich gegenseitig, Unterkunft, Kleidung und Arbeit zu finden. Es ist einfach eine Chatgruppe in einem Messengerdienst. 

    „Vor kurzem suchte ein Kamerad Wohnung und Arbeit in der Umgebung von Warschau. Wir verbreiteten den Aufruf und konnten ihm helfen, wir fanden alles“, erzählt Pawel Marjeuski, ein Vertreter der Organisation. „Manchmal sammeln wir, um jemandem für einen Monat die Unterkunft im Hostel zu bezahlen. Gerade heute habe ich einem Kameraden Geld überwiesen, so viel ich konnte. Wenn größere Beträge notwendig sind, wenden wir uns an BYSOL und starten eine Sammlung für die Rehabilitation. Wir haben kein Zentrum, in das man kommen kann, um uns zu treffen, denn wir haben keine Finanzierung. Überhaupt keine. Wir haben eine Stiftung in Polen registriert, um die Probleme unserer Leute lösen zu können. Aber auf dem Konto sind Null Złoty. Es gibt keine Spenden und es ist uns auch nicht gelungen, Fördermittel zu bekommen, die Fördermittelgeber betrachten uns als Kombattanten und wollen nicht mit uns zusammenarbeiten. Unser Traum ist es, eine Finanzierung zu finden, um allen Leuten wenigstens ein bis zwei Wochen im Hostel bezahlen zu können. Aber bislang erhalten wir nur Ablehnungen.“  

    Zudem benötigen wir dringend Spezialisten für die Arbeit mit Suchterkrankungen

    Als Pawel selbst im Sommer 2022 aus der Ukraine zurückkam, kam er bei Freunden unter. Im ersten Monat ängstigten ihn die Geräusche der Flugzeuge und Hubschrauber, die über Warschau flogen. „Bei vielen tritt hier eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auf. Den einen stören die Straßenbahnen, ein anderer hat Panikattacken, weil es vor dem Fenster so ruhig ist und niemand schießt. Eines der größten Probleme ist es, einen Psychologen zu finden. Auch wir helfen in erster Linie dabei, Psychologen zu finden, erst danach kommt die Arbeitssuche. Arbeiten kannst du auch morgen noch, aber ohne psychologische Hilfe Mist bauen, das kann sofort passieren.“ 

    Das Problem ist, dass der minimale Stundensatz für einen Psychologen in Warschau bei 70 Euro liegt, erklärt Pawel. Es gibt Psychologen, die belarussischen Veteranen kostenfrei helfen. Manchmal wenden sich die Männer an Organisationen, die politischen Häftlingen helfen, dort hilft man ihnen, Spezialisten zu finden. Im Reha-Zentrum Lanka wurde auch versucht, unter den Belarussen Psychologen für die Veteranen zu finden, die mit den Opfern der Repressionen von 2020 gearbeitet hatten. Aber es stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen keine Kriegstraumata bearbeiten können. 

    „Bislang arbeiten wir nur mit ukrainischen Psychologen, die Erfahrung mit der Arbeit der ATO haben. Sie haben erprobte Methoden. Die Kameraden und Kameradinnen melden zurück, dass ihnen die Arbeit mit diesen Spezialisten passt, dass es ihnen im Laufe des Prozesses besser geht. Die Hilfe belarussischer Psychologen lehnten die Kämpfer häufig ab, da sie kein Vertrauensverhältnis aufbauen konnten.  

    Zudem benötigen wir dringend Spezialisten für die Arbeit mit Suchterkrankungen. Wenn sich eine PTBS ausprägt, kommt es leicht auch zur Ausprägung von Abhängigkeiten, beide Zustände gehen gerne Hand in Hand. In einer solchen Situation ist eine Abhängigkeit bösartig, sie verläuft sehr schnell und zerstörerisch. Wenn der Mensch das Problem erkennt und Hilfe sucht, ist es gut, wenn diese umgehend geleistet werden kann. Aber es ist schwierig, belarussisch- oder russischsprachige Spezialisten in Europa zu finden, und die Wartelisten sind lang.” 

    „Wir deklarieren nicht explizit, dass wir Jobs für Männer mit Kampferfahrung suchen” 

    Die Propaganda liebt die Geschichte von den Legionären, die um des Geldes Willen in der Ukraine kämpfen. Wie kann es dann sein, dass die Männer nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg oft nicht mal das Geld für ein Hostel haben? „Sie kommen nicht als Millionäre zurück, der Sold ist nicht sehr hoch. Seien wir ehrlich – wer würde, egal in welcher europäischen Stadt, für 2000 Dollar im Monat sein Leben riskieren?“, sagt Pawel Marjeuski. „Viele kaufen von diesem Geld Munition, die es im Lager oder über die Freiwilligen nicht gibt. Viele mieten Wohnungen, nicht alle leben im Feldlager. Deshalb kehren alle mit unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten von der Front zurück.“ 

    Der ehemalige Kämpfer Zichi bei seiner neuen Arbeit in Warschau / Illustration © Euroradio
    Der ehemalige Kämpfer Zichi bei seiner neuen Arbeit in Warschau / Illustration © Euroradio

    Wer heute in Warschau ein Uber bestellt, könnte auf Zichi treffen. Doch er ist anonym unterwegs: Seine Familie ist in Belarus geblieben, daher verbirgt er seinen wahren Namen und auch seinen wahren Kampfnamen. Wenn ihr ihm helfen wollt, im zivilen Leben anzukommen, schreibt an unsere Redaktion. Zichi braucht weniger Geld als eine Arbeit. Er hofft, dass ein halbwegs geordneter Tagesablauf und eine interessante Tätigkeit ihm helfen werden, sich in seinem neuen Leben zurechtzufinden.  

    Die Assoziation der belarussischen freiwilligen Kämpfer verfolgt die Entwicklung belarussischer Unternehmen in Polen und sammelt Stellenangebote. Aber während es in einem Staat Unterstützung für Veteranen bei der Aufnahme einer neuen Arbeit gäbe, können die belarussischen Exilgemeinschaften dies nicht leisten. „Wir deklarieren nicht explizit, dass wir Jobs für Männer mit Kampferfahrung suchen. Ich bitte die belarussischen Unternehmer einfach, mir etwas über die offenen Stellen zu erzählen, und die Männer bewerben sich dann ganz allgemein, ohne irgendeine Bevorzugung. Sie kommen also inkognito dort an“, erzählt Pawel.  

    Manchmal gelingt es den Freiwilligen auch, in Umschulungsprogrammen unterzukommen, aber in diesen Gruppen gibt es nicht für alle Platz. Gibt es denn irgendeine Priorisierung für Veteranen? „Wo, in Polen?“, wundert sich Pawel. „Das Einzige, was uns von anderen unterscheidet, ist, dass wir mehr Aufmerksamkeit seitens des polnischen Staates haben. Ich weiß, dass es für politische Häftlinge doppelt so schnell geht, internationalen Schutzstatus zu erhalten, als für Leute mit Kampferfahrung.“ 

    „Das Front-End einer Gesellschaft muss auf die Arbeit mit Veteranen vorbereitet sein“ 

    Kürzlich kehrte ein schwedischer Freiwilliger, der in der Ukraine gekämpft hatte, nach Hause zurück. Sofort nach seiner Ankunft in Schweden kontaktierten ihn mehrere Organisationen, die ihm psychologische Hilfe anboten. Er lehnte die Hilfe ab. „Ich habe wirklich keine Probleme“, versichert uns unser Gesprächspartner. Er schloss sich nicht einmal einer der Veteranenorganisationen an, die sich zum Zweck der gegenseitigen Unterstützung treffen, und meinte, er hätte auch so genug Unterstützung. Handelt es sich nicht um Freiwillige, sondern um Berufssoldaten – schwedische Soldaten nehmen an internationalen Missionen teil, zum Beispiel waren sie lange in Afghanistan präsent –, verpflichtet sich der Staat, die Rückkehrer für den Zeitraum von zehn Jahren zu unterstützen.  

    Heute gibt es in Polen etwa zehn belarussische Freiwillige mit Unterstützungsbedarf. Hauptsächlich geht es um Hilfe bei der Arbeitssuche, bei einigen um die Bezahlung von Arztrechnungen. Das ist wenig, es braucht keinen großen Staat, um zu helfen. Um den Bedarf der Kämpfer in der ersten Zeit zu sichern, würde es völlig genügen, wenn diejenigen, die Posts über die Befreiung Belarus‘ mit der Waffe in der Hand liken, etwas spenden würden.

    Ehemalige Kämpfen leider häufig unter posttraumatischen Störungen / Illustration © Euroradio
    Ehemalige Kämpfen leider häufig unter posttraumatischen Störungen / Illustration © Euroradio

    Insgesamt waren wenigstens 1000 Belarussen an den Kampfhandlungen in der Ukraine beteiligt, sagt Maryna. Zu verschiedenen Zeitpunkten können sie Hilfe der Diaspora und der Zivilgesellschaft benötigen. Zudem muss die Gesellschaft darauf vorbereitet sein, dass Menschen mit neuen Reaktionen aus dem Krieg zurückkehren. Olha Haltschenko insistiert: Nicht die Veteranen sollen denken, dass sie jemandem zur Last fallen, dass sie sich in das alte, schwer verständliche System integrieren müssen. Sondern die Gesellschaft muss verstehen, wie Menschen ticken, die im Krieg waren.  

    „Sie stottern unter Umständen, können in der Menge die Orientierung verlieren, fühlen sich vielleicht unwohl oder gestört, wenn es ringsum sehr laut ist. Sie können stark auf etwas reagieren, das anderen normal erscheint. Das Front-End der Gesellschaft – Ärzte, Juristen, Verkäufer – muss dafür bereit sein, dass nebenan Veteranen wohnen, dass sie zu ihrer Kundschaft gehören können. In den USA hat die Polizei besondere Vorschriften für die Gesprächsführung mit Veteranen. Man darf zum Beispiel nicht hinter ihrem Rücken gehen oder sie umzingeln, da das verständlicherweise aggressive Reaktionen hervorrufen kann.  

    Außerdem muss man darauf eingestellt sein, dass es Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft gibt. Auch in der Ukraine gibt es bis heute Probleme im Umgang mit diesen Menschen, man zeigt mit dem Finger auf sie oder fragt sie übergriffig aus.  

    Wie soll man sich also verhalten? 

    In der Ukraine gab es eine Kampagne: Beim Anblick eines Soldaten legten die Menschen die Hand aufs Herz, um ihren Respekt auszudrücken. Ich mache das auch: Wenn ich in der Menge einen Soldaten sehe, jemanden, der offensichtlich im Kampfeinsatz war, versuche ich zu nicken oder zu lächeln. Meist wollen die Veteranen keine große Aufmerksamkeit. Ihnen genügen Akzeptanz und Verständnis, angemessenes Verhalten, Respekt vor ihren Erfahrungen im Kampfeinsatz.“

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  • „In Belarus ist eine moderne Zivilgesellschaft entstanden”

    „In Belarus ist eine moderne Zivilgesellschaft entstanden”

    Polen ist Belarus nicht nur geographisch nahe, sondern auch kulturhistorisch. Jahrhunderte waren die beiden Länder in der Polnisch-Litauischen Adelsrepublik verbunden. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs entschied sich Polen für eine demokratische Entwicklung und eine Orientierung gen Westen, während Belarus mit einem diktatorischen System dem postsowjetischen Raum vehaftet blieb und sich vor allem ab 1994 verstärkt Richtung Russland orientierte. 

    Trotz dieser offensichtlichen Nähe scheint das Ausmaß der Repressionen in Belarus für viele Polen unbegreiflich zu sein. Auch würden sie nicht verstehen, dass es womöglich den Belarussen zu verdanken sei, dass Russland sich nicht schon längst bis an die polnische Grenze ausgedehnt hat. Diese Beobachtungen erörtert der belarussische Journalist und Autor Sewjaryn Kwjatkouski auf der Online-Plattform von Nowy Tschas

    Aktuellen Ergebnissen des polnischen Sozialforschungsinstituts CBOS zufolge stehen 47 Prozent der Polen den Belarussen feindselig gegenüber. Dabei ist allerdings nicht näher benannt, um welche Belarussen es geht – diejenigen, die erst kürzlich nach Polen migriert sind oder Belarussen im Allgemeinen oder die Belarussen, die Lukaschenko unterstützen.  

    Das erste Mal begegnete mir Fremdenfeindlichkeit in Polen komischerweise in Białystok. Das ist merkwürdig, weil Belarussen in der Grenzregion eigentlich schon seit dreißig Jahren fest zum Landschaftsbild gehören. Es gibt dort viele Verbindungen zwischen den Menschen, sowohl familiär als auch durch den kleinen Grenzhandel. Ich musste damals für einige Tage ins Krankenhaus und rief beim Personal reges Interesse hervor – ein Schriftsteller und Journalist aus Belarus war dort zum ersten Mal. Es war der elfte Monat des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und mehr als zwei Jahre seit Beginn der Massenrepressionen in Belarus.  

    Tatsächlich haben sich die Belarussen enorm verändert, aus der postsowjetischen Bevölkerung ist eine moderne Zivilgesellschaft geworden 

    „Und, was haben Sie vor – vielleicht weiter nach Deutschland?“ Zuerst dachte ich, dass man mich für einen Wirtschaftsflüchtling hält. Dann wurde mir klar, dass die Menschen hier über den Zustrom verschiedener Migrantengruppen besorgt waren. Die Ukrainer flüchten vor den Raketen, die Belarussen vor … Aus den Gesprächen begriff ich, dass im Krankenhaus kaum jemand wirklich eine Ahnung hatte, was gerade einmal 40 Kilometer Richtung Osten passierte. Die polnischen Medien haben das Leben in Belarus in den vergangenen dreißig Jahren zwar ausführlich beleuchtet. Und natürlich beginnt und endet jeder Beitrag mit dem Wort „Lukaschenka“. Doch im Unterschied zu anderen Nachbarländern von Belarus wird in Polen auch rege über die belarussische Gesellschaft berichtet. Die polnischen Leser der Auslandsrubrik kennen im Zusammenhang mit Belarus also die Worte „Diktatur“ und „Repressionen“. Erzählt man von den belarussischen Realia, erhält man in der Regel mitfühlende Blicke und etwas wie „ja ja, wir wissen Bescheid“. Doch sind die Ereignisse von 2020 und das, was heute passiert, völlig verschiedene Epochen.  

    Tatsächlich haben sich die Belarussen enorm verändert, aus der postsowjetischen Bevölkerung ist eine moderne Zivilgesellschaft geworden. Vielleicht stehen deshalb vierzig Kilometer östlich von Białystok noch keine russischen Panzer. Im Herbst 2020 nannte die polnische Regierung die Zahl von einer halben Million Belarussen, die Polen bereit sei, als Geflüchtete aufzunehmen. Heute wissen wir, dass in den letzten drei Jahren insgesamt etwa 350.000 Belarussen ihr Land verlassen haben

    Unabhängig davon, welche Partei regiert, war Polen auf staatlicher Ebene der belarussischen nationaldemokratischen Bewegung gegenüber immer positiv eingestellt. Das liegt vermutlich daran, dass alles Belarussisch-Demokratische automatisch als anti-imperial und damit Polen verbunden wahrgenommen wird. Angenommen, von den 350.000 emigrierten Belarussen haben sich 200.000 in Polen niedergelassen. Zusammen mit den ukrainischen Geflüchteten ist das eine sehr große Zahl. Aber es sind weit weniger Menschen, als Polen anfangs erwartet, und auch als die Lukaschisten erhofft hatten. „Belarussen“ und „Lukaschisten“ – diese Unterscheidung treffen Belarussen jetzt in Gesprächen.  

    Russische Panzer stehen noch nicht an der Grenze zu Polen, weil die Lukaschisten es nicht geschafft haben, die Struktur der Gesellschaft zu ihrem Vorteil zu verändern. Was ist dort, hinter der Wand? Diesem Zaun, der gegen die gezielt organisierten Migranten aus Asien gebaut wurde. Dort, hinter der Wand, werden täglich Menschen verhaftet. Dutzende Menschen werden gleichzeitig eingesackt. Architekten, Ärzte, Anwälte, Arbeiter aus verschiedenen Betrieben werden angeklagt. Kinderreiche Eltern, alte Menschen, Minderjährige werden zu Haftstrafen verurteilt. 

    Man spricht von etwa 50.000 Menschen, die eine Untersuchungshaft durchlaufen haben, und etwa 5000, die aufgrund von Strafsachen verurteilt wurden und einsitzen. Über die Anführer der Bewegung von 2020 gibt es kaum Informationen, von einigen gibt es nicht einmal die Auskunft, ob sie noch am Leben sind. Ja, in Belarus gibt es keine Erschießungen auf offener Straße wie bei den deutschen Nazis, aber die Folter der „Politischen“ in den Gefängnissen nähert sich dem Niveau der stalinschen Lager. 

    Im August 2020 war im Süden von Minsk, bei der Stadt Sluzk, bereits ein Konzentrationslager eingerichtet worden, es bestand drei Tage lang. Die Proteste waren so massiv, dass die Lukaschisten einfach nicht wussten, wie sie die große Anzahl an Festgenommenen bewältigen sollten. Doch vor dem Konzentrationslager schreckten sie zurück. Bis zum heutigen Tag. Auf sechs Millionen erwachsene Staatsbürger kamen in den ersten vier Monaten der revolutionären Ereignisse 2020 mehr als eine Million Menschen, die äußerst aktiv daran teilnahmen. Nehmen wir noch jene hinzu, die die Familien der Verhafteten finanziell oder logistisch unterstützten, und die, die Menschen in ihren Wohnungen versteckten. Und wie viele fühlten mit, auch wenn sie nicht teilnehmen konnten! 

    Heute mit einer politischen Einstellung in Belarus zu bleiben – das ist auch ein Akt des Widerstandes 

    Weder Politologen noch Soziologen haben Zweifel daran, dass dort, östlich von Białystok, die absolute Mehrheit der Menschen Lukaschenko nicht unterstützt. Und es ist keine gleichgültige, sondern eine aktive Haltung. Und sie bedeutet, dass diese Mehrheit auch den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht akzeptiert. Zum Zeitpunkt der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 hatte die Repressionswalze in Belarus bereits totalen Charakter angenommen. Man konnte für alles hinter Gitter kommen: für einen roten Streifen an weißen Socken, für eine weiß-rot-weiße Fernseherverpackung auf dem Balkon, für rote und weiße Schneeflöckchen im Fenster. Die weiß-rot-weiße nationale Flagge war zum Symbol des Freiheitskampfes geworden. Mit Beginn des großangelegten Krieges gingen die Menschen in Belarus auf die Straße, um die Ukraine zu unterstützen, auch wenn sie wussten, dass sie festgenommen und gefoltert würden (mit Schlägen, Hunger, Kälte, Chlorwasser auf dem Zellenboden). 

    In der erzwungenen Emigration hatte ich Gelegenheit, mit Ukrainern zu sprechen, die den Bombardements entkommen waren. Wenn wir, die Belarussen, ihnen erzählten, was die Lukaschisten selbst mit jenen machen, die nur Administrativstrafen absitzen, stehen den Menschen, über denen Bombensplitter hinweggeflogen sind, die Haare zu Berge. Heute mit einer politischen Einstellung in Belarus zu bleiben – das ist auch ein Akt des Widerstandes. Unter den Belarussen zweifelt kaum jemand daran, dass sie Ereignisse von 2020 den Beginn der russischen Invasion in der Ukraine verzögert haben, da Putin ruhiges Hinterland brauchte. Doch auch heute, 2024, ist Belarus kein zuverlässiger Aufmarschort für potenzielle Interventionen im Baltikum oder Polen.  

    Im Krankenhaus von Białystok antworte ich auf die Frage, ob ich nicht weiter in den Westen ziehen wolle, dass Belarus doch sehr nah sei und ich dorthin müsse. Jetzt gilt es nur noch zu verstehen, wie das gehen kann. Aber das ist nicht nur eine belarussische, sondern eine kollektive Frage an alle, die verstehen, dass Russland, und mit ihm Lukaschenko, gestoppt werden müssen. 

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  • „Es spielen nicht die Besten, sondern die politisch Verlässlichsten”

    „Es spielen nicht die Besten, sondern die politisch Verlässlichsten”

    Im Gegensatz zu russischen Vereinen und der russischen Nationalmannschaft dürfen Vertreter des Fußballs aus Belarus weiterhin an europäischen Wettbewerben teilnehmen. Belarussische Vereine und der Verband wurden im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der Verstrickung der belarussischen Staatsführung in die Großinvasion nicht sanktioniert. Während es ein Verein wie BATE Borissow in der Vergangenheit sogar in die Gruppenphase der Champions League schaffte und sich auch andere Vereine für die Gruppenphasen der europäischen Wettbewerbe qualifizieren konnte – mittlerweile befindet sich der belarussische Fußball in einer tiefen Krise. Ein entscheidender Grund dafür ist auch die enge Verstrickung des Fußballs mit dem politischen und staatswirtschaftlichen System von Alexander Lukaschenko. Die Führung über den Fußball übernehmen also keine Experten, sondern vor allem staatliche Funktionäre, die auch die politische Kontrolle sicherstellen sollen. Die organisierten Fanszenen des Landes wurden durch Repressionen und Verfolgung nahezu vollständig zerschlagen, sodass die Spiele der höchsten Klasse des Landes kaum noch Zuschauer anziehen.   

    Lukaschenko, der sich bekanntlich eher für Eishockey begeistert, zeigte sich bei einem kürzlich einberufenen Treffen mit Sportfunktionären wenig begeistert vom Zustand des Fußballs im Land. In einem Beitrag für das Online-Medium Reform.by erklärt Igor Lenkewitsch nicht nur dem Leser, sondern indirekt eben auch Lukaschenko, warum der Staatschef und sein Machtwahn das eigentliche Problem für den Fußball sind. Ein tiefer Einblick in die Machtspielchen des belarussischen Fußballs.

    Kürzlich lenkte Alexander Lukaschenko die Aufmerksamkeit wieder einmal auf „die beliebteste Sportart unserer Bevölkerung“. Die Ergebnisse seien mau, die Spielergehälter unangemessen hoch. Und noch dazu habe der neue Chef des Fußballverbands dem Sportminister irgendeine Information vorenthalten. Dabei ist es ausgerechnet das staatliche System mit seinen Entscheidungen, das den belarussischen Fußball immer tiefer und tiefer in den Abgrund reißt.  

    Keine der bisherigen Manöverkritiken Lukaschenkos hatten positive Auswirkungen auf den hiesigen Fußball. In Erinnerung geblieben ist eine Konferenz zur Entwicklung des Fußballs im Jahr 2018, an deren Beginn Lukaschenko den damaligen Vorsitzenden des Belarussischen Fußballverbandes Sergej Rumas sowie die anderen anwesenden Funktionäre und Trainer fragte: „Schämt ihr euch nicht für den Zustand des Fußballsports in unserem Land?“ Aus den Fotos dieser Veranstaltung kann man schließen, dass sie sich schämten. Sie sitzen mit gesenkten Köpfen da. 

    Im belarussischen Fußball stecken zu viel Staat und äußerst wenig Eigenständigkeit 

    Bei dieser Konferenz wurde beschlossen, eine einheitliche Trainingsmethodik für den Fußballnachwuchs einzuführen. Damit sollte, so die Idee, der Fußball aus seinem Tief geholt werden. Zudem erklärte Lukaschenko damals, der Belarussische Fußballverband müsse reorganisiert werden. „Es müssen kompetente Leute gefunden und ein guter Verband geschaffen werden, der die Trainer unterstützt, kontrolliert und steuert“, sagte er. Ein Jahr später legte Rumas sein Amt nieder. Als Nachfolger kam der ehemalige Militärkommissar der Oblast Brest, der Parlamentsabgeordnete Wladimir Basanow. Die im Land etablierte Tradition, ehemalige Sicherheitskräfte und Militärs an der Spitze von Sportverbänden zu installieren, ist schon zum Gegenstand allgemeinen Spotts geworden. Die jahrelange Praxis zeigt, dass es keinen Effekt hat, auf militärische Ordnung und harte Disziplin zu setzen, um eine bestimmte Sportart voranzubringen. Im Sport genügt es nicht, „Im Laufschritt Marsch“ zu rufen und das Wort „schnell“ zu ergänzen. Da müssen Profis ran. Das heißt auch, dass sie sich an der Arbeit beteiligen, auf Positionen unter dem jeweiligen Militärkommissar. Ab da greift die Theorie der negativen Auslese – diejenigen, die dem Militärkommissar widersprechen, leben sich im System nicht ein. An der Oberfläche schwimmen die, die noch das dümmste Unterfangen unterstützen. Wir ergänzen noch das dünne politische Eis, auf dem sich die vaterländischen Sportler und Funktionäre bewegen und erhalten die zwei Schlüsselprobleme des belarussischen Sports: In ihm steckt zu viel Staat und äußerst wenig Eigenständigkeit.  

    Bankier – Artillerist – Tierwirt

    Der Bankier Rumas wurde gegen den Artilleristen Basanow ausgetauscht – und für den einheimischen Fußball schämte man sich immer mehr und mehr. Es gibt den Ausdruck „Fremdschämen“, bei uns müsste man dafür den Begriff „Fußballscham“ einführen. Die Ergebnisse der Nationalmannschaft und der anderen Ligen wurden immer schlechter. Zu dem Zeitpunkt, als die bereits erwähnte Konferenz stattfand, in der Spielzeit 2018/19, spielte BATE Borissow noch in der Europe League. Seitdem ist kein belarussischer Verein mehr über die Qualifikationsrunde hinausgekommen. Von der Nationalmannschaft ganz zu schweigen – die Anzahl der Spiele ohne Sieg droht als Errungenschaft ins Guinness-Buch der Rekorde einzugehen.  

    2021 machte Lukaschenko dem neuen Vorsitzenden des Belarussischen Fußballverbands (ABFF) Basanow bereits die Hölle heiß. Und wieder ging es um Scham. „Ich verstehe nicht, warum du die Spieler gestern aufs Feld gelassen hast. […] Es war beschämend, zuzuschauen“, maßregelte er den Verbandschef. „Es ist erbärmlich, was der Fußball heute bietet, das geht gar nicht.“ Auch der Sportminister, Sergej Kowaltschuk, bekam da sein Fett weg. Und was brachte es? Nichts. Sie plauderten und gingen ihrer Wege. Umgehende organisatorische Konsequenzen folgten nicht. Bassanow blieb nur eine Amtszeit in seiner Funktion als Verbandschef. 2023 wurde schon der dritte Fachmann Vorsitzender des ABFF: Nikolaj Scherstnjow, ehemaliger Vorsitzender der Witebsker Gebietsverwaltung, Absolvent der tierwirtschaftlichen Fakultät der Witebsker Staatlichen Akademie für Veterinärmedizin.  

    Als Kommentar zu diesem Ringelspiel an der Spitze des Belarussischen Fußballverbands stellte ein Bekannter von mir eine interessante Hypothese auf. Zuerst wurde beschlossen, dass es dem Fußball an finanziellen Mitteln mangele, und man ernannte einen Bankier. Dann, dass man lernen müsse, zielgenau zu treffen. Da wurde ein Artillerist engagiert. Und dann begriffen sie, dass Selektion notwendig sei. Also holten sie einen zuchterfahrenen Tierwirt. Lustig? Nun ja. Obwohl es in dem beschriebenen Konstrukt, anders als in der Realität, wenigstens eine gewisse Logik gibt. Von Selektion hatte man ja schon 2018 gesprochen. Sogar ein entsprechendes Programm war ausgearbeitet, bestätigt und eingeführt worden. Und nun, sechs Jahre später, fordert Lukaschenko wieder ein, dass innerhalb von sechs Monaten Ordnung ins System des Fußballtrainings gebracht werden müsse.  

    Negative Selektion 

    Nach den Ereignissen von 2020 riefen viele belarussische Fußballer dazu auf, die Gewalt im Land zu stoppen. Wohlbemerkt – sie forderten keinen Machtwechsel oder eine Überprüfung der vom Regime verkündeten Wahlergebnisse. Sie hofften einfach nur, das Land könne in einen gewissen Gesetzesrahmen zurückkehren. Und schon das genügte, um auf „schwarze Listen“ zu gelangen. Die Spieler blieben faktisch arbeitslos zurück – ihnen wurde verboten, für die Klubs zu spielen, bei denen sie unter Vertrag standen.  

    Die Geschichte zieht sich nun schon längere Zeit hin. Ein gefragter Spieler hat das Land verlassen, um bei ausländischen Meisterschaften für eine zweit- oder drittklassige Mannschaft anzutreten. Ein anderer kehrte dem großen Sport gezwungenermaßen den Rücken. Ein dritter zeigte offen Reue, um sich von der Schuld freizukaufen.  

    Dem Vernehmen nach rührt aus dieser Gemengelage auch der Konflikt des neuen Verbandschefs Scherstnjow mit dem Sportministerium und dessen Oberhaupt Kowaltschuk, den Lukaschenko in seiner Ansprache erwähnte. Scherstnjow kann man zum Vertreter einer Politik des „eine neue Seite aufschlagen” zählen – er tritt dafür ein, dass alle Spieler, gegenüber denen politische Zweifel bestanden, ohne zusätzliche Auflagen eine Amnestie erhalten. Kowaltschuk wiederum forderte „aktive Buße“, beispielsweise sollen die Spieler eine Begnadigungskommission durchlaufen. Bislang steht es 1:0 für das Sportministerium: Die Rückkehrkommission der Republik Belarus entschied im Januar, sieben Fußballspieler wieder spielen zu lassen. Allerdings stehen auf der „schwarzen Liste“ bedeutend mehr Namen. Es ist anzunehmen, dass die unterschiedlichen Auffassungen dazu die Ursache des Konflikts zwischen Verbandschef und Sportminister sind.  

    Verlierer dieses verdeckten Machtgerangels ist der Fußball 

    Wobei es auch in der Vergangenheit Konflikte zwischen Ministerium und Verband gab: Es war ein Kampf um Einflusssphären. Tatsache ist, dass der Fußballverband einen Großteil der finanziellen Mittel für seine Tätigkeit und Projekte von der FIFA und dem Europäischen Fußballverband (UEFA) erhält. Dadurch ist der Verband weniger abhängig vom Staat und vom Sportministerium als andere unserer nationalen Sportverbände. Das ärgerte die Chefetage des Ministeriums. Zu Zeiten des einflussreichen Verbandschefs Sergej Rumas wurde dem Ministerium oft mit klaren Worten eine Abfuhr erteilt. Mit Basanow änderte sich die Situation deutlich, der Belarussische Fußballverband hob nun bei jeglichen Anordnungen des Ministers oder seiner Vertreter die Hand zum Mützenrand. Es ist anzunehmen, dass das Sportministerium jetzt, indem es mit Scherstnjow bricht, die Bewahrung eines für sich selbst günstigen Beziehungsmodells einfordert. Der Verbandsvorsitzende wiederum bemüht sich, nach Möglichkeit der Hyperaufsicht des lästigen Ministeriums zu entkommen. Zumal Scherstnjow größeres Gewicht hat als sein Vorgänger Basanow.  

    Es spielen nicht die Besten, sondern die politisch Verlässlichen 

    Verlierer dieses verdeckten Machtgerangels ist der Fußball. Die Spieler, darunter auch starke, gemessen an unserer Nationalliga, sitzen auf der Ersatzbank. Oder sie verlassen das Land. Letztlich sinkt dadurch das Niveau der Landesmeisterschaft. Und darin besteht die negative Selektion – es spielen nicht die Besten, sondern die politisch Verlässlichen. Die Fans ignorieren demonstrativ die Spiele und zeigen damit ihre Einstellung zu alldem. Das Regime sollte sich also zunächst selbst an die These der Trennung von Sport und Politik erinnern, bevor es sie auf internationaler Ebene einfordert. 

    Als weiteres Problem kommt die Begrenzung der Trainer- und Spielergehälter hinzu, die der Staat ab der Saison 2021 eingeführt hat und bis heute unablässig weiter herabsetzt. Das zieht starke Legionäre aus der Landesliga ab, die oft noch weitere Landsleute mitnehmen. Zudem sind die Möglichkeiten der Klubs zur Sponsorensuche durch die allgemeine wirtschaftliche Situation des Landes eingeschränkt. So verlor Naftan Nowopolozk beispielsweise vor Kurzem das Unternehmen als Sponsor, dessen Namen der Fußballklub trägt. Auch die Beschränkung des Einsatzes von Nachwuchsspielern auf dem Platz ist nicht förderlich, da es dazu zwingt, die Spieler abhängig vom Geburtstag und nicht von Fähigkeiten und Trainingsstand einzusetzen. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Die vom Staat ergriffenen Maßnahmen, die die Entwicklung des einheimischen Fußballs fördern sollten, gereichen ihm also in Wirklichkeit zum Nachteil.  

    Die Regierung soll den Fußball besser aus ihrem Interessenfeld streichen 

    Dennoch suggeriert man weiterhin lebhafte Geschäftigkeit. Heute wurde zum wiederholten Mal entschieden, die „Technologie zur Ausbildung des Fußballspielers“ zu ändern. Zum wievielten Mal? Auch der aktuelle Anlauf im Fußball wird also offensichtlich ohne Erfolg bleiben. Häkchen gemacht, geredet, weitergezogen. Mit weiteren Rücktritten, Umbesetzungen und Programmen ist der Sache auch nicht zu helfen. Denn die Praxis zeigt: Je mehr sich der Staat in eine Handlungssphäre einmischt, desto schlimmer wird die Situation in dem Bereich.  

    Die Regierung soll den Fußball besser endlich vergessen, aus ihrem Interessenfeld streichen, so als würde er überhaupt nicht existieren. Kein Geld geben, aber auch keine Ratschläge. Dann lernt die Fußballwelt entweder, selbständig zu schwimmen, oder sie geht unter. Wohin der Weg eben führt. Ein solch radikaler Ansatz wäre übrigens der Entwicklung des gesamten belarussischen Sports zuträglich, nicht nur im Fußball.

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  • „Ich habe Sehnsucht, dieses Land ist mir sehr nah“

    „Ich habe Sehnsucht, dieses Land ist mir sehr nah“

    Um einem Strafverfahren zu entgehen, verließ die Aktivistin Kira Bojarenko ihre Heimat Belarus. Weil sie von jetzt auf gleich abreisen musste, musste sie ihre Ausweisdokumente zurücklassen. Den 24. Februar 2022, den Beginn der russischen Invasion in die Ukraine, erlebte sie in Kyjiw. Sie flüchtete aus der Ukraine und kehrte nach einiger Zeit dorthin zurück, wurde bei einem Raketenangriff verletzt und wird zurzeit in Polen behandelt.

    Im Interview mit dem belarussischen Ableger des Online-Mediums Mediazona erzählt die Belarussin davon, wie es ist, wenn das Schicksal alle Lebenspläne durchwirbelt, wenn man einfach durchkommen muss, dabei aber seine Ideale nicht aus dem Blick lässt.

    Vor zwei Jahren erwachten die Bewohner eines Kyjiwer Hauses von Explosionsgeräuschen. In dem Haus lebten vor allem Belarussen, die vor den Repressionen geflüchtet waren. Niemand hatte ernsthaft daran geglaubt, dass ein Krieg beginnen würde. Einige Hausbewohner besaßen aus verschiedenen Gründen nicht einmal Papiere, darunter auch die damals 31-jährige Kira Bojarenko. Ihr Pass war bei den belarussischen Sicherheitsbehörden geblieben, als sie das Land überstürzt verlassen hatte, da sie wegen Störung der öffentlichen Ordnung angeklagt worden war. 

    Viele der Hausbewohner beschlossen, die Ukraine zu verlassen. Alle zusammen hatten nur ein Auto, daher sollten zuerst die Kinder und die Erwachsenen ohne Papiere an die polnische Grenze gebracht werden. Noch am selben Tag erreichten sie den Grenzübergang in Hruschiw, mussten dort aufgrund der langen Warteschlange aber bis zum 27. Februar warten. 

    „Es war hart: kleine Kinder im Auto, kaum Sachen dabei, wir hatten nur ein paar Flaschen Wasser eingepackt, und die waren alle. Alle wollten essen und trinken, aber an der Grenze gab es keine Geschäfte, keine Häuser. Die Tankstellen waren schon leergekauft“, berichtet Kira.

    An der Schlange durften nur jene vorbei, die Kinder unter drei Jahren dabeihatten. Eine Frau bat eindringlich darum, vorgelassen zu werden, obwohl ihr Kind älter war, erinnert sich Kira. Die Ukrainerin sagte, dass sie das Kind zur Grenze bringen und dann zurückkommen würde. Letztlich wurde die Frau vorgelassen und kehrte einige Zeit später in Begleitung mehrerer Autos mit Wasser und Nahrung zurück, die sie an die wartenden Menschen verteilte. Die Belarussin erinnert sich, dass ein ukrainischer Grenzer am Kontrollpunkt sagte: „Was wollt ihr eigentlich, ihr Belarussen. Wir haben euch reingelassen, und ihr schießt auf uns.“ 

    „Ich sagte ihm damals: Hier gibt es keine Belarussen, die nicht unter diesem Regime gelitten hätten und die der Ukraine nicht dankbar sind. Was sollen wir denn tun – an die Grenze zurückkehren und die Raketen mit bloßen Händen abfangen?“

    „In Polen ist die Integration schwerer.“ – Rückkehr in die Ukraine

    In Polen erhielten die belarussischen Geflüchteten Hilfe von Freiwilligen – Wasser, Essen und eine Unterkunft in einem Schulgebäude, das als Aufnahmeeinrichtung diente, später dann in einem Dorf bei Warschau. „Unsere größte und einzige Bitte war damals, nicht getrennt zu werden. Wir wollten als Hausgruppe zusammenbleiben, erst einmal zu uns kommen.“

    In Polen erhielt Kira internationalen Schutzstatus. Während ihre Anerkennung geklärt wurde, arbeitete sie in einem Call Center der Organisation Helping to leave, die Ukrainern dabei half, die besetzten Gebiete zu verlassen. Die Belarussin sprach mit Menschen, die Hilfe brauchten, und half bei der Zusammenstellung von Evakuierungsrouten. 

    Im vergangenen Jahr empfahl ihr eine Freundin, die selbst ein Auto für die ukrainischen Streitkräfte überführte und humanitäre Hilfsgüter in die Ukraine brachte, bei einem Transport mitzufahren. Kira fuhr mit Papieren der Organisation, für die sie arbeitete, in die Ukraine und beschloss schließlich, in Kyjiw zu bleiben. In Polen sei es schwierig gewesen, sich zu integrieren, erzählt sie, die Ukraine sei ihr näher, zudem waren da noch Freunde.

    Freiwilligendienst in Cherson: „Unterwegs musste ich mich um Alte kümmern, sie füttern, Windeln wechseln, weil sie oft bettlägerig waren“

    In Kyjiw beschloss Kira, dass sie mehr tun könne als nur Telefondienst. Die Organisation schlug ihr vor, nach Cherson zu fahren und bewegungseingeschränkten Menschen bei der Evakuierung aus der Stadt zu helfen. Kira willigte ein. 

    Die Arbeit bestand darin, Alte und Menschen mit Behinderung bei der Evakuierung aus gefährlichen Stadtteilen von Cherson zu begleiten. Kira zufolge waren das manchmal Leute, die ihr Haus verloren hatten, Menschen, die aus Kellern geholt wurden. Die Freiwilligen (Kira nennt sie „Blutsbrüder“) sammelten die Leute in jenen Stadtteilen ein, die am häufigsten beschossen wurden, und brachten sie zum Bahnhof. Kira fuhr dann gemeinsam mit ihnen mit dem Zug und übergab sie am Zielpunkt anderen Freiwilligen, die sie dann in Gruppenunterkünften unterbrachten. „Unterwegs musste ich mich um sie kümmern, sie füttern, Windeln wechseln, weil sie ganz oft bettlägerig waren.“

    Auf jeder Fahrt begleitete die Freiwillige drei bis sieben Personen. Jede von ihnen hatte ihre eigene Geschichte, einige davon sind Kira besonders im Gedächtnis geblieben. Die erste Geschichte ist die von einem Großmütterchen, das 104 Jahre alt war. „Sie hatte schon einen Krieg überlebt, und jetzt erlebte sie wieder Beschuss und hatte ihr Zuhause verloren.“

    Die zweite Geschichte ist die von einer Frau mit einem schweren Beckenbruch, die zuerst mit der Evakuierung einverstanden war, dann aber die ganze Reise über nach Cherson zurückwollte, weil dort kürzlich ihr Ehemann gestorben war. „Sie war sogar böse auf mich, als ich sagte, dass ihr Mann tot sei und sie nun weiterleben müsse, dass man sie an einen guten Ort brächte. Wir waren ja keine ausgebildeten Psychologen.“

    „Im Bein steckten Splitter.“ – Die Verletzung

    Im Juni 2023 erlitt Kira in Cherson eine Verletzung. Sie war gerade auf dem Heimweg von der Migrationsstelle, als sie unter Beschuss geriet. Sie wartete an einer Haltestelle auf den Bus, als ein Geschoss in ein nahegelegenes Haus einschlug. Im ersten Moment war der Schock so stark, dass sie nichts begriff oder spürte. Ein Ukrainer, der gerade mit dem Auto vorbeikam, bot Kira Hilfe an, brachte sie nach Hause, da bald der nächste Angriff beginnen konnte. Und so war es auch: Kira kam in ihre Wohnung, ging auf den Balkon, um zu rauchen und sich nach dem Erlebten zu beruhigen, als die Stadt erneut von Raketen angegriffen wurde.

    „Ich nahm ein Kopfkissen und eine Decke und ging zum Ausruhen ins Badezimmer, da das der sicherste Ort ist. Dort begriff ich schließlich, dass etwas nicht stimmte. Es stellte sich heraus, dass in meinem Bein ein Splitter steckte.“ 

    Kira erzählt, dass sie selbst ein Tourniquet anlegte, das sie damals immer bei sich trug, und den Fremdkörper aus der Wunde entfernte. Sie wählte den Rettungsdienst, kam aber nicht durch, da das Netz beeinträchtigt war. Am nächsten Morgen rief sie dann andere Freiwillige an, die sie ins Krankenhaus Tropinki brachten. „Der Arzt sagte, ich hätte alles richtig gemacht, ich solle die Wunde reinigen, frisch verbinden und in einer Woche wieder zu ihm kommen.“
    Aber nach zwei Tagen hatte Kira stark erhöhte Temperatur und ihr Bein war aufs Doppelte angeschwollen. Sie musste schnell ins Krankenhaus. 

    „Da ich nicht alle Splitter erwischt hatte, war eine Entzündung entstanden, die Wunde war infiziert. Ich musste im Krankenhaus bleiben.“ Einige Tage später hatten Kiras Freiwilligenfreunde erreicht, dass sie nach Kyjiw verlegt werden konnte, um nicht unter dauerhaftem Beschuss im Chersoner Krankenhaus bleiben zu müssen. Nach Kyjiw reiste die Belarussin allein. Sie kam in das Krankenhaus, in dem sie im Endeffekt mehrere Monate blieb, die Ärzte entfernten eitriges Gewebe, reinigten die Wunde, gaben ihr Medikamente gegen Schmerzen und gegen die Schwellung. Kira zufolge hätte sie eine Hauttransplantation benötigt, aber in Kyjiw gab es Probleme mit einer solchen Operation. Kira beschloss, nach Polen zurückzukehren. In einem Krankenhaus in Białystok bekam sie schließlich eine Hauttransplantation. 

    Im Moment lebt die Belarussin in Polen und macht ihre Reha. Wenn die Wunde geheilt und ihr psychischer Zustand stabilisiert sind, plant sie, in die Ukraine zurückzukehren. „Ich habe Sehnsucht nach der Ukraine, dort sind meine Freunde, und das Land ist mir sehr vertraut. Aber noch ist da eine Art unterschwellige Angst. Selbst als hier in Polen zu Silvester überall die Feuerwerke krachten, habe ich mich unwohl gefühlt.“

    Das Leben in Cherson war nicht leicht: Die Geschäfte schlossen bereits um 15 Uhr, nur die ukrainische Kette ATB hatte bis 19 Uhr geöffnet. Ab 21 Uhr herrschte in der Stadt Ausgangssperre, niemand durfte mehr auf die Straße. Und ständig Beschuss. Im Februar 2021 war Kira in Minsk festgenommen worden, sie verbrachte ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Dann wurden ihre Haftbedingungen geändert, sie kam aus der Untersuchungshaft frei und nutzte diese Chance, um Belarus zu verlassen, ungeachtet dessen, dass ihr Pass bei den Sicherheitsbehörden verblieben war. „Ich verglich Cherson mit Minsk, mit dem Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin. Es war sehr ähnlich, die gleichen Häuser, nur dass bei vielen Fensterscheiben fehlten und in den oberen Etagen häufig Wohnungen durch Angriffe ausgebrannt waren.“

    Nach Minsk kann Kira nicht zurück. Deshalb möchte sie wenigstens in Cherson leben, der Stadt, die sie an ihr Zuhause erinnert, trotz Krieg.

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  • Grenzen, Sprachen und das Schweigen: Eine Kartografie unserer Zukunft

    Grenzen, Sprachen und das Schweigen: Eine Kartografie unserer Zukunft

    Hanna Yankuta, 1984 geboren in der westbelarussischen Stadt Hrodna, hat sich als Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin einen Namen gemacht. Zu ihren Werken gehören Essays, zahlreiche Kinderbücher sowie Romanübersetzungen von Jane Austen oder Sally Rooney ins Belarussische. 2023 hat sie ihren Debütroman Tschas pustasellja (dt. Unkrautzeit) im Verlag Januškevič veröffentlicht, der von der Kritik vielfach gelobt wurde.

    „Um öffentlich über Belarus zu sprechen, muss man die Worte abwägen, um niemandem zu schaden“, schreibt sie in ihrem Essay für unser Projekt Spurensuche in der Zukunft. Gerade die, die heute im Exil sind, können sich zwar vermeintlich frei über die Vorgänge in Belarus äußern. Allerdings muss ihnen dabei klar sein, dass sie keine Namen derjenigen nennen, die in Belarus geblieben sind, um sie so möglicherweise nicht zu gefährden. Die neue Mauer zwischen Belarus und den Belarussen, die ins Exil geflohen sind, ist das zentrale Thema dieses Textes. Wie können die Belarussen wieder zusammenfinden, wenn diejenigen, die draußen sind, nur noch das Belarus ihrer Vergangenheit erinnern und gleichzeitig nicht mehr am täglichen Leben in Belarus teilhaben können und damit an der Zukunft des Landes und seiner Gesellschaft? 

    беларуская версія

    „Knoten der Hoffnung“ / Illustration © Tosla
    „Knoten der Hoffnung“ / Illustration © Tosla

    Mich fasziniert schon seit langer Zeit, dass Karten nicht das wiedergeben, was ich um mich herum sehe. Nicht nur die auf Papier gedruckten, die einen bestimmten Moment festhalten und genau einen Moment später schon ungenau geworden sind, sondern auch Online-Apps, die sich ständig erneuern und der unsteten Realität anpassen. Karten, die eigentlich eine Art schematische Kopie der Welt sein müssten, bleiben in Wahrheit immer hinter ihr zurück. Auf ihnen abgebildete Objekte sind längst wieder verschwunden, und neue, bereits existierende, Objekte erscheinen noch nicht auf der Karte, obwohl wir sie auf unseren Streifzügen schon finden. Da ist ein Laden – auf der Karte gibt es ihn, in Wirklichkeit ist er schon weg. Ist er pleite? Oder umgezogen? Dort ein Gutshaus aus dem 19. Jahrhundert – wurde es abgerissen? Da eine ukrainische Stadt an der Frontlinie – dem Erdboden gleichgemacht? Klickt man Marjinka auf Google Maps an, sieht man Fotos von Häusern, Kirchen und Parks. Aber bereits im März 2023 war ein Video im Internet mit endlosen schwarzen Ruinenfeldern aufgetaucht, dem heutigen Antlitz von Marjinka. Karten sind ein Fenster in die Vergangenheit. Unsere Welt ist eine Welt der Karten, auf denen verschiedene Zeiten koexistieren. 
            Mit Voraussagen über die Zukunft ist es dasselbe.


           ***
           Bald wird es drei Jahre her sein, dass ich Belarus verlassen habe, und schon anderthalb Jahre, dass ich zum letzten Mal dort war. Aktuell lebe ich in Polen. Noch 2022 ist es mir gelungen, zwei Mal die polnisch-belarussische Grenze zu passieren, um Verwandte zu treffen, Dinge zu erledigen und zu sehen, wie es meinem Land geht. Damals gelangte ich über den Grenzübergang Bobrowniki – Berastawiza nach Belarus, den man leicht auf der Karte findet. Seit dem 10. Februar 2023 ist er geschlossen. Die Grenzübergänge werden immer weniger, Reisen nach Belarus immer riskanter, Menschen werden direkt an der Grenze festgenommen, oder zu Hause, einige Tage nach der Rückkehr ins Land. Und ich weiß nicht, wie lange es noch riskant sein wird, wie viel Zeit noch vergehen wird, bis ich wieder hinfahren kann. 
            Belarus stelle ich mir jetzt so vor, wie ich es vor anderthalb Jahren gesehen habe, auch wenn sich dort seit dieser Zeit sicher viel verändert hat. Das Land hat sich verändert, meine Sicht darauf – doch mein Bild von ihm nicht. Wenn ich mir eine Rückkehr vorstelle, dann sehe ich veraltete Bilder – wie ich früher in Minsk lebte. Belarus lebt schon in der Zukunft, ich lebe in seiner Vergangenheit. Ich meine nicht, was die Nachrichten melden, sondern was wirklich passiert. Wir können nicht mehr in derselben Zeit leben, zumindest für eine gewisse Dauer gehen unsere Zukünfte getrennte Wege. Ich gehe meinen, Belarus seinen. Eine Zukunft, die wir nicht miteinander teilen können – ich darf nicht in Belarus‘ Zukunft hinein, und Belarus interessiert sich nicht für meine. 
            Wir haben nur eine sehr kleine Auswahl an Mitteln, um auf die jeweils andere Zukunft Einfluss zu nehmen. 2023 wurde beispielsweise ein Gesetz erlassen, dass belarussische Pässe nicht mehr in den Auslandsvertretungen erneuert werden können, sondern nur noch persönlich im Land. Wenn die Gültigkeit meines Reisepasses abläuft, kann ich also keinen neuen mehr erhalten. So versucht der Staat, Einfluss auf mich zu nehmen, mir etwas zu beweisen. Es verkompliziert mein Leben, aber irgendwie werde ich damit zurechtkommen. Meine Art, mit Belarus zu interagieren, sind Bücher. Wenngleich sie derzeit, wenn überhaupt, dann nur noch als geheime Schmuggelware ins Land gelangen. Es ist viel leichter, Bücher aus Belarus herauszubringen, als welche hinein. Und ich kann nicht mehr Teil ihres Lebens sein, meine Teilhabe wird gefiltert, diejenigen, die an der Macht sind, nehmen meine Bücher als schädlich wahr. 
            Auch zu diesem Zweck existieren Grenzen.


           ***
           Vielleicht sind Landkarten aber auch ein Fenster in die Zukunft?
           Belarus grenzt an fünf Länder, die längste Grenze teilen wir mit Russland, darauf folgt, etwas kürzer, die zur Ukraine. Dann kommen Litauen, Polen und – mit der kürzesten gemeinsamen Grenze – Lettland. Diese Grenzen sind sehr aufschlussreich. Belarus – das sind 1283 Kilometer Russlands, 1084 Kilometer der Ukraine, etwa 679 Kilometer Litauens, etwas mehr als 398 Kilometer Polens und fast 173 Kilometer Lettlands (gemäß Informationen des Belarussischen Grenzschutzkomitees und Wikipedia). Wir haben also 1250 Kilometer Europäische Union, etwas weniger als Russland, aber sobald sich die Ukraine der EU anschließt, wird das Übergewicht offensichtlich sein. Die Grenze hat natürlich zwei Seiten. Polen verbinden etwas mehr als 398 Kilometer mit Belarus (etwa elf Prozent der Gesamtlänge der polnischen Staatsgrenze), Russland 1283 Kilometer. Prozentual gesehen ist die belarussische Grenze mit Russland länger als die russische Grenze mit Belarus. Geografie ist gnadenlos. 
            Die Funktionen von Grenzen: sich selbst abgrenzen und sich von anderen abgrenzen. Die eigenen Konturen genau umreißen, kein Eindringen und Durchdringen zulassen – von Menschen, Ideen, Einflüssen. Das Innere zum Monolithen machen, zu einer eigenen Angelegenheit. Zu einer Art Gefängnis. Belarus ist ein Ort mit sehr deutlich umrissenen Grenzen, nicht jede Person darf dort leben, selbst die Staatsbürgerschaft bietet keine Garantie. Viele finden sich jenseits der Grenzen wieder: die Grenzen betreffen nicht nur Staaten, sie zerteilen auch unsere Gemeinschaften. Die belarussische Welt ist jetzt in Teile zerlegt, und über die Grenzen hinweg den Kontakt zu halten – mit Familie, Freunden, Kollegen – ist aktuell unsere Aufgabe.
            Die Grenze zwischen Belarus und Russland ist, mit einigen Ausnahmen, offen und wird kaum kontrolliert. Die Grenze zwischen Belarus und der Ukraine ist vermint. An der Grenze zwischen Belarus und Polen ist ein Zaun, an der Grenze zwischen Belarus und Litauen ein Zaun, an der Grenze zwischen Belarus und Lettland ein Zaun. Und doch sind wir noch nicht vollkommen isoliert, auch wenn alles in diese Richtung führt. Bis zur völligen Isolation braucht es viel mehr.

     
            ***
            Es gibt eine Zukunft, die wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen können. Diese Zukunft ist jedoch sehr fern und wird von den exakten Wissenschaften prognostiziert. In 24.000 Jahren wird sich in der Zone um Tschernobyl die Anzahl des radioaktiven Elements Plutonium-239 um die Hälfte verringert haben. In 100.000 Jahren wird sich die Karte der Sternbilder am Himmel bis zur Unkenntlichkeit verändert haben. In 250 Millionen Jahren wird sich alles Festland auf der Erde zu einem Superkontinent vereint haben, den wir heute, in seiner fernen Vergangenheit, Pangaea Proxima nennen. In etwa einer Milliarde Jahre wird die Sonne heller werden, die Ozeane auf unserem Planeten verdampfen, und noch einige Milliarden Jahre später bläst sie sich zu einem Roten Riesen auf, um dann zu einem Weißen Zwerg zusammenzuschrumpfen. Und wenn die Erde bis dahin noch nicht in den höllischen Sonnenstrahlen zu Asche zerfallen ist, beginnt sie schrittweise abzukühlen und wird schließlich zu einem kalten, von Finsternis umgebenen Stück Materie, auf dem niemals wieder Leben in einer uns bekannten Form entstehen können wird. 


            ***
            Die Sprache weiß auch etwas über die Zukunft. „Nie wieder soll Krieg sein“ ist eine in Belarus wohlbekannte Phrase. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie je jemand auf Russisch gesagt hätte. Eine weitere: „Wollt ihr ukrainische Verhältnisse?“ Wenn über etwas viel gesprochen wird, dann geschieht das nicht grundlos, die Sprache ebnet der Zukunft den Weg. Man muss nur aufmerksam hinhören. 


            ***
            In letzter Zeit schreiben Soziologen und Politologen immer häufiger, die Zukunft der belarussischen Proteste sei bereits angebrochen, es existiere eine neue Norm. Die Welt habe sich verändert, sei schon eine andere. Aber wenn man Google Maps öffnet und eines der Minsker Stadtviertel anklickt, kann man noch ein Foto der in Belarus verbotenen weiß-rot-weißen Flagge finden, die über einem Gebäude weht, als hätte 2020 nie geendet. Damals schien es, man könne nun für immer solche Symbole aus dem Fenster hängen, wider jegliche Repression.
            Die Zukunft zerfällt in Fragmente, wie dieser Text. Sie schreibt sich wie ein Gedicht – denn manchmal kann nur die Poesie dieser Wirklichkeit beikommen. 
            Was ist Zukunft für politische Emigranten, für Geflüchtete? Entweder Kopf voran in den Strudel des neuen Lebens springen, oder mit aller Kraft, den Umständen zum Trotz, am Alten festhalten. Viele wählen immer wieder die zweite Variante, leben in der Vergangenheit, in Erwartung einer Möglichkeit zur Rückkehr. „Die Epoche hat uns im Griff“, sagen wir. Aber sie ist es nicht, die uns im Griff hat, sondern wir sind es, die sich an ihr festklammern. Wir wollen im Jahr 2020 bleiben, Realität und Zeitrechnung zum Trotz. Denn das, was wir um uns herum sehen, entspricht nicht dem, wie wir in unserem Inneren leben. Und dafür gibt es eine Erklärung – die Trägheit der Psyche, die nur schlecht mit Veränderung zurechtkommt. 
            Um nach Belarus zurückkehren zu können, dürfte ich diesen Text nicht schreiben. Immer wenn ich öffentlich etwas sage, bezahle ich dafür mit meinem Recht auf Heimkehr. Letztlich ist das aktuell kein allzu hoher Preis, die Einsätze steigen täglich. Ich muss jeden Tag die Entscheidung treffen: Lebe ich, als gäbe es Belarus nicht, und füge mich in den Alltag des neuen Landes ein, oder aber entsage ich einem normalen, privaten Leben. Und bislang entsage ich noch, denn ich will dieses normale, private Leben nicht, das die Realität mir anbietet. Und wenigstens bislang hat es mir seine spezifischen Verpflichtungen noch nicht auferlegt. 


            ***
            Selbst am Rande einer Diktatur (und so könnte ich das Leben politischer Emigranten beschreiben) erfordert das Leben Disziplin, selbst bei Kleinigkeiten. Ich treffe ständig auf sie. Ich kaufe Weihnachtspostkarten, um sie nach Belarus zu schicken, auf vielen sind weiße und rote Details, wie die weiß-rot-weiße Flagge. Ich schaue mir die Postkarten mit der Lupe an und überlege: ist das erlaubt oder nicht? Wenn ich jemandem in Belarus eine Nachricht schreibe, überlege ich mir jedes Wort, besonders, wenn es entferntere Bekannte sind, mit denen ich nicht regelmäßig in Kontakt bin. Ist es sicher oder nicht? Ich weiß nicht, wer in diesem Moment ihr Mobiltelefon in den Händen hält. „Kann ich dir gerade schreiben?“ In der Korrespondenz erinnere ich immer wieder daran: nach dem Lesen löschen. In den Sozialen Medien schreibe ich immer dazu: Wenn ihr in Belarus seid, liked das nicht. Bevor ich darüber nachdenke, was erlaubt ist, denke ich darüber nach, was verboten ist. Ich bin ein Mensch der Diktatur und auch meine Ängste (sowohl die eigenen, als auch die von den Vorfahren geerbten) sind in der Diktatur geboren. 


            ***
            Wenn ich jetzt Google Maps öffne, sehe ich alle Namen auf Polnisch, entsprechend meinem Standort. Es ist durchaus bedeutsam, in welcher Sprache die Ortsnamen auf einer Karte stehen. Sonst hätten die Russen in den besetzten ukrainischen Gebieten die Wegweiser und Ortsschilder nicht ausgetauscht – von ukrainischen in russische. In der Minsker Metro würden die Beschriftungen in belarussischer Lacinka nicht mit den russischen, kyrillischen Bezeichnungen überschrieben. Sogar das Alphabet hat eine Bedeutung. 


            ***
            Wir leben in einer Situation, in der wir aktiv kolonisiert werden. Unser Nachbarstaat Russland (1283 Kilometer Zukunft mit Russland) gibt Unmengen an Ressourcen dafür aus, dass wir unter seinem Einfluss bleiben. Diesem Prozess können wir uns nicht entziehen, denn unsere Ressourcen – egal welcher belarussischen Community oder gar des gesamten Staates Belarus – reichen dafür nicht aus. Die Möglichkeiten Russlands, des Russischen Imperiums, waren immer unvergleichlich größer als unsere. Und wenn jemand will, dass es dich – so, wie du dich selbst siehst – nicht geben soll, und viel Kraft und Ressourcen in dieses Ziel investiert, dann ist Widerstand sehr schwer.
            Russifizierung ist nicht nur Sprache und Kultur, es ist auch die Art zu Denken. In einer solchen Situation wächst die Sprache stets über sich hinaus. Es ist nicht nur die Sprache Belarussisch oder Russisch. Es ist auch die Sprache der Liebe, zum Eigenen und zum Fremden, oder die des Hasses, auch auf das Eigene und das Fremde. Am 13. Februar 2023 sprach der belarussische Menschenrechtler und Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki bei seinem Gerichtsprozess über nationale Aussöhnung – auch dazu ist Sprache fähig. Er wurde zu zehn Jahren Straflager verurteilt. Aber die Sprache kartografiert auch die Unmöglichkeit dieser Versöhnung, den Unwillen, wie die „andere Seite“ zu sein, das Verlangen, alles von sich abzuwaschen, was irgendwie mit dem anderen verbinden könnte. Da sind sie, da sind wir (Wos jany, a wos my) – so heißt ein Gedicht von Alhierd Bacharevič aus dem Jahr 2020. Dieses Gedicht ist auch heute noch aktuell. 
            Sprache legitimiert und spaltet, und diese Spaltung ist schwer zu überwinden.
            Wenn die Realität zerbricht, in tausend Scherben zersplittert, wie soll man diese dann benennen? Worte werden gleichzeitig bedeutungsvoll und bedeutungslos, Wörterbücher neu zusammengestellt. Ein Gefängniswörterbuch, ein Kriegswörterbuch. Manchmal denke ich, wenn man alles korrekt beschreibt, allem eine sinnhafte Bezeichnung gibt, hat unsere Sicht eine Chance, an Klarheit zu gewinnen. Vielleicht würden wir dann auch sehen, in welcher Welt wir leben und wo die Wege sind, die irgendwohin führen. Aber es ist unmöglich, alles zu beschreiben, immer wieder bleibt etwas nicht greifbar, bleibt blind voranzugehen eine unserer heutigen Herausforderungen. Wir wissen nicht einmal, welche Sprache(n) wir und unsere Kinder in zehn Jahren sprechen werden. Vielleicht werden viele schon die Sprachen der Länder sprechen, in die wir heute flüchten: polnisch, litauisch, deutsch und andere. Doch uns steht bevor, über uns zu sprechen, unter anderem, um uns und unsere Zukunft auf Worten aufzubauen.
            Wenn ich versuche, meine Welt zu beschreiben, dann feilsche ich scheinbar mit der Sprache, bitte sie darum, mir ein wenig mehr zu erlauben, als ich vermag.


            ***
            Es ist bereits unmöglich zu erinnern, was 2020 wirklich geschehen ist. Die Erinnerung verzerrt diese Zeit, wie auch Karten die Realität verfremden, und später wird uns nur noch übrigbleiben, dokumentarische Zeugenaussagen zu sammeln und den eigenen Erinnerungen die fremden gegenüberzustellen. Später – wann wird das sein? Die Zukunft der Proteste – wann werden wir uns erlauben, uns an sie zu erinnern? Wann wird man das ohne Leerzeichen tun können, ohne Namen auszulassen und ohne Fotos unkenntlich zu machen? Die Leerzeichen verfestigen sich im Gedächtnis, bleiben als weiße Flecken darin zurück, unbezwingbar. Im besten Fall kann man vielleicht die Karte dieser weißen Flecken etwas verändern. Das ist das Ergebnis zahlreicher Faktoren, darunter Propaganda und Lügen. Sie wachsen in unser Leben, als würden wir uns nicht widersetzen und uns nicht von ihnen abgrenzen. Und wir müssen auch das berücksichtigen: Wir verändern uns unter ihrem Einfluss, oft unbemerkt für uns selbst. Eine Korrektur daran sollte man überall vornehmen – in der Emigration, innerer wie äußerer, in Belarus und jenseits der Landesgrenzen. Denn für Lügen, wie auch für Gewalt, ist jeder Raum zu eng, sie streben nach draußen, wollen immer neue Territorien erobern. Sie sind fähig, sogar aus Entfernung Einfluss auszuüben. Doch dasselbe kann man auch über die Freiheit sagen, so, wie wir sie sehen. Und in diesem Sinne erleiden Grenzen – und die, die sie bauen, auf beiden Seiten – eine Niederlage. 


            ***
            Ich kann nichts über Belarus erzählen, nur über die Belarussen, die im Ausland leben. Über mich selbst. Denn über Belarus weiß ich nichts mehr, und wenn ich etwas weiß, muss ich die Zunge im Zaum halten. Um öffentlich über Belarus zu sprechen, muss man die Worte abwägen, um niemandem zu schaden. Oft überprüfe ich, bevor ich etwas ausspreche, und sei es nur ein unschuldiger Fakt, ob jemand diese Information schon einmal öffentlich geteilt hat. Bestenfalls in einem Bericht von Menschenrechtsorganisationen, denn ihnen traue ich: Wenn sie etwas veröffentlichen, heißt das, dass man darüber sprechen kann. Bei öffentlichen Auftritten wähle ich meine Formulierungen sorgfältig, aus Angst, etwas preiszugeben, unnötig Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken – Namen, Bücher, Ereignisse, oder irgendwelche Tricks und Kniffe, die im Land helfen. 
            Ich kann nur mit Pausen sprechen, wäge jeden Satz ab. Manchmal ist das Wichtigste die Pause selbst.
            Jedes ENTER in diesem Text ist eine Pause, drei Sternchen sind eine lange Pause.
            Ich muss langsam sprechen.
            Das Schweigen betrifft nicht nur jene, die in Belarus geblieben sind, es überschreitet auch die Grenzen und wird zum charakteristischen Zug der Zeit der Diktatur.
            Das Schweigen hat viele Gesichter.
            Es gibt das Schweigen von den einstigen Opfern der sowjetischen Repressionen und das Schweigen von den anderen Völkern, die auf unserem Gebiet lebten. Geschlossene Archive. Verborgene Statistiken. Durchgestrichene Erinnerungen an die ersten Tage nach den Wahlen 2020, als tausende Menschen Folter und Qualen durchlebten. Die Vernichtung der unabhängigen Medien und ihre Abstempelung als „extremistisch“ (einem unabhängigen Medium ein Interview zu geben, einfach nur etwas zu sagen – ist schon ein Verbrechen). Augenzeugen werden weggesperrt. Incommunicado – das gewaltsame Blockieren jeglicher Kontakte der politischen Gefangenen mit der Außenwelt und das Fernhalten jeglicher Nachrichten und Informationen.
            Wir wissen nichts: Nicht, wie viele Menschen an Covid gestorben sind, nicht, wie viele das Land verlassen haben, nicht, wie viele im Gefängnis sitzen. Wir haben keine genauen Zahlen, wir haben nur Dunkelziffern, die anhand von geschätzten Angaben gemessen werden, mathematisch oder intuitiv.
            Jemand in Belarus schweigt aus Sprachlosigkeit. Weil es ihm an Worten fehlt, das zu beschreiben, was vor sich geht, weil es nicht in Worte zu fassen ist.
            Jemand erlegt sich ein Tabu auf, über Gefängnisse und Repressionen zu sprechen, weil das eine direkte Erfahrung unendlichen Leids ist, über die zu theoretisieren wie Blasphemie erscheint.
            Jemand entscheidet sich zu schweigen, nachdem Russland die Ukraine überfallen hat, um so den ukrainischen Stimmen mehr Raum zu geben.
            Schweigen ist aktives Handeln.


            ***
            Das Schweigen hat Zukunft.
            In dieser Zukunft kommen alle belarussischen politischen Häftlinge aus den Gefängnissen frei und erzählen, was man mit ihnen all diese Zeit über gemacht hat. Es gibt offene Gesprächsrunden über die Gewalt während und nach den Wahlen im Jahr 2020. Die Archive werden geöffnet, man kann sich ein vollständiges Bild von den Repressionen der Sowjetzeit machen, ebenso von allen anderen Zeiten, die bei uns Spuren hinterlassen haben. 
            Das Schweigen ist vielschichtig, früher oder später holt es jeden ein.
            Und wir müssen bereit sein für das Grauen, wenn wir erfahren, was das Schweigen vor uns verbirgt, wenn es endlich gebrochen wird. 


            ***
            Außerdem gibt es noch die Unsichtbarkeit, sie hat zwei Formen. Die erste besteht darin, wenn du dich versteckst, dich in ein Chamäleon verwandelst, dich unsichtbar machst, absichtlich unerreichbar für fremde Augen. Das ist eine Art Macht über die Welt, manchmal die einzige, die man sich erkämpfen kann. Die zweite Form ergibt sich daraus, dass man dich nicht sehen will, dich von den Karten und aus der Geschichte streicht. Wenn jemand sich weigert, dich zu sehen, dann gibt es dich scheinbar nicht. Auch das sind aktive Handlungen – sowohl das Unsichtbarsein, als auch das Nicht-sehen-Wollen. Das Nicht-sehen-Wollen ist der erste Schritt zur Isolation.
            Es ist sehr leicht, nicht zu sehen, was hinter der Mauer passiert. 


            ***
            Aber es ist unsere Zeit, es ist unsere Geschichte, und wir müssen sie durchleben, unsere Träume mit den Karten abgleichen. Bei uns wird es nicht wie in Warschau. Wir werden nicht wie die in Berlin. Wenn wir eine Chance kriegen und es schaffen sie zu nutzen, dann werden wir vielleicht nicht wie die im „Moskauer Umland“. Und wie wird es dann? Wie in Minsk, wie in Slonim, wie in Shabinka. Wenn nicht für mich, so doch für jemanden, der nach mir kommt. Das kann mir die Zukunft nicht wegnehmen. Denn das Wichtigste, was ich als Belarussin seit 2020 habe, ist das Vertrauen in die Menschen. Ich glaube wirklich an die Belarussen, an die drinnen wie draußen. Ich glaube, dass wir alles nur Mögliche tun, uns vorantasten auf der Suche nach unserem weiteren Weg. Wir gehen, wie wir es vermögen und wie wir es uns ausmalen, selbst wenn wir manchmal einander nicht verstehen oder unterschiedliche Routen wählen, auf unser Ziel zu. 

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