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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Kommt es in Belarus zu einem neuen Aufstand?

    Kommt es in Belarus zu einem neuen Aufstand?

    „Ich will dieses Regime brechen!” – Nach seiner überraschenden Freilassung gibt sich der belarussische Oppositionspolitiker Siarhej Zichanouski kämpferisch, so auch im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit.  

    Ist der Ehemann von Swjatlana Zichanouskaja, Anführerin der belarussischen Demokratiebewegung im Exil, in seiner Haltung zu optimistisch? Oder verschafft seine Freilassung der Opposition tatsächlich eine neue Dynamik, vielleicht sogar die Chance auf einen neuen Aufstand in Belarus? Und wie groß sind die Chancen, dass sich die EU und die USA auf eine Annäherung mit dem Lukaschenko-Regime einlassen, auch um die Befreiung der in Haft verbliebenen über 1200 politischen Gefangenen zu erwirken?  

    Für das Online-Portal von Radio Svaboda hat der Journalist Yury Drakakhrust mit dem Politologen Andrei Kasakewitsch gesprochen.

    Siarhej Zichanouski (m.) bei einer Kundgebung in Vilnius zusammen mit seiner Frau Swjatlana Zichanouskaja, der Anführerin der belarussischen Demokratiebewegung. / Foto © Radio Svaboda
    Siarhej Zichanouski (m.) bei einer Kundgebung in Vilnius zusammen mit seiner Frau Swjatlana Zichanouskaja, der Anführerin der belarussischen Demokratiebewegung. / Foto © Radio Svaboda

    Svaboda: Sjarhej Zichanouski ist aus dem Gefängnis frei und mit einigen entschlossenen Statements faktisch in die belarussische Politik zurückgekehrt. Was können Sie über die Reaktion der belarussischen Gesellschaft darauf sagen: die Klickzahlen seiner Youtube-Videos, Spendeneinnahmen, wie wurde in den sozialen Netzwerken und in den Medien darüber berichtet, wie reagierte die Staatspropaganda? Und was sagt uns das? 

    Andrei Kasakewitsch: Zichanouskis Auftauchen brachte in alle politischen Prozesse eine neue Dynamik, es veränderte die Kommunikation innerhalb der demokratischen Kräfte. Wir beobachten teils ein großes Interesse an seinen Interviews und Äußerungen. Die Reaktion innerhalb von Belarus lässt sich aber nur schwer erfassen. Wir können das weder an den Reaktionen auf Social Media festmachen noch an anderen Parametern. Allerdings hat er dort durchaus ein Publikum. Andere Aktivitäten, wie die Organisation von Kundgebungen, blieben aber eher erfolglos. Dass das Auftauchen eines Anführers in der belarussischen Gesellschaft etwas Nennenswertes auslöst, ist heute ganz klar beschränkt. Ich würde es eher einen neuen Impuls nennen. Dieser kann in einigen Wochen oder Monaten enden, oder zu einer stabilen Kommunikationsbasis werden. Das ist gerade noch nicht absehbar.  

    Kann eine einzige Person einen neuen gesellschaftlichen Aufstand auslösen? Kann das Auftauchen eines einzelnen Menschen einen neuen Aufstand ankündigen? 

    Das ist nur möglich, wenn diese Person über gewisse Ressourcen verfügt, über belastbare Kommunikationskanäle zur Bevölkerung. Die Zichanouskis hatten 2020 eigene Ressourcen. Wir Analytiker haben das damals nicht erkannt, aber Zichanouski hatte sich durchaus ein gewisses Netzwerk von Mitstreitern aufgebaut. Das Onlineportal Tut.by war damals sehr einflussreich, die unabhängigen Medien verfügten in Belarus über ziemliche Freiheiten. Der Zugang zu diesen Ressourcen erlaubte es, direkt mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Heute ist der Medienbereich sehr stark umgestaltet, die Verbindung zu einem großen Teil des belarussischen Publikums ist verloren gegangen. Ob man sie erneuern kann? Bislang sehen wir das nicht.  

    Was Zichanouski angeht, ist die zentrale Frage, ob er ein Publikum findet. 

    Ein wichtiger Faktor war auch: Die Menschen spürten damals, dass Veränderungen möglich waren. Sie hatten keine Angst, und vor allem diejenigen, die neu zur Bewegung gestoßen waren, vertrauten darauf, dass der Staat nicht zu brutaler Gewalt greifen würde, dass der Sieg nicht gestohlen werden könne, dass die Massenproteste auf den Straßen automatisch zu Veränderungen führen würden. Jetzt gibt es das alles nicht mehr. Ich denke, die Mehrheit glaubt nicht daran, dass es in nächster Zeit irgendwelche Veränderungen geben könnte, beziehungsweise, dass dafür irgendwelche Hebel existieren.  

    Was  Zichanouski angeht, ist die zentrale Frage, ob er ein Publikum findet. Ich denke nicht, dass im Moment irgendwelche Aktionsaufrufe bei der belarussischen Gesellschaft auf Resonanz treffen. Doch Zichanouski kann durchaus wieder Einfluss im Informationsbereich erlangen und eine eigene Zuhörerschaft finden. Hier könnte es eine Nische für ihn geben und er könnte durchaus erfolgreicher als Swjatlana Zichanouskaja werden. Allerdings ist die Gesellschaft jetzt größtenteils demobilisiert. In der Soziologie verwendet man diesen Begriff, um den Zustand nach einem gewissen Aufbruch zu beschreiben, nach einer Periode, in der die Menschen bereit waren, Risiken einzugehen und entschlossen zu handeln.  

    Viele Beobachter und Analytiker sprechen eher von Angst, von den Folgen der Einschüchterung, Sie reden über Demobilisierung. 

    Demobilisierung ist nicht einfach nur Angst. Das Konzept beruht auf der Annahme, dass die Bevölkerung nach einer Revolution ermüdet ist. Das passiert sowohl, wenn die Revolution erfolgreich war, als auch im Falle einer Niederlage, egal, ob es Repressionen gibt, oder nicht. Menschen können nicht lange im Zustand der Mobilisierung bleiben, jahre- oder jahrzehntelang. Nach dem Aufstand wenden sie sich schlicht wieder anderen Dingen zu, interessieren sich nicht mehr für Politik und zivilgesellschaftliches Engagement. Das ist ein unvermeidlicher Prozess und wäre in jedem Fall passiert, auch ohne die einschneidenden Repressionen. 

    Ein Teil der Gesellschaft ist verängstigt, das ist klar. Besonders betrifft das ein Cluster, das wir unabhängige zivilgesellschaftliche Gemeinschaft nennen, sie existierte in Belarus bis 2020. Die Repressionen gegen diese Gruppe waren besonders stark. Es gibt auch Personengruppen, in denen der Repressionsdruck weniger stark wahrgenommen wird, etwa wenn die Menschen nur unregelmäßig unabhängige belarussische Staatsmedien konsumieren. Für die meisten Menschen sind Ereignisse wie die Massenproteste 2020 etwas Außergewöhnliches, so oder so kehren sie nach einiger Zeit zum gewohnten beruflichen und familiären Alltag zurück, und das ist in Belarus im Grunde in den letzten Jahren passiert. 

    Können Zichanouskis Aktivitäten zu verstärkten Reaktionen im Land führen, etwa einer Verschärfung der Repressionen? 

    Was kann da schon noch groß verschärft werden?! Die Gruppen der traditionellen Opposition wurden schon sehr intensiv bearbeitet. Natürlich könnte man dazu übergehen, sich Leute für regierungskritische Äußerungen auch in der Raucherecke zu angeln. Aber das hätte einen negativen Nebeneffekt. Das Ausmaß an Repressionen ist in Belarus schon immer mit der außenpolitischen Situation verbunden, wobei der zentrale Faktor die Beziehung zum Westen ist: Besteht die Notwendigkeit, dieses Verhältnis zu verbessern, könnten die Repressionen entschärft werden. Schlechte Beziehungen zum Westen bringen bedeutende Einbußen – wirtschaftlich wie politisch – für die herrschende Macht und bedrohen auf lange Sicht ihre Stabilität. Der Versuch, diese Beziehungen zu verbessern, ist unvereinbar mit einer Verschärfung der Repressionen. Auf einem gewissen Niveau werden sie aber bestehen bleiben, ich sehe in nächster Zeit keine Optionen, die den Machthabern einen völligen Verzicht auf repressive Praktiken erlauben würden. Das Ausmaß kann aber abnehmen. 

    Ein wichtiges Ereignis in letzter Zeit war Swjatlana Zichanouskajas Interview mit dem Magazin POLITICO, in dem sie Trump rät, Lukaschenka zu bestrafen, statt zu besänftigen. Die Veröffentlichung führte zu einer hitzigen Diskussion innerhalb der demokratischen Kräfte. Kann man Ihrer Meinung nach erreichen, dass nach Aufhebung der Sanktionen und der Freilassung aller politischen Gefangenen neuerliche Verhaftungen in großem Umfang verhindert werden können? 

    Leider gibt es hier nur einen einzigen Mechanismus: die erzwungene Verbesserung der Beziehungen zum Westen. Einen innenpolitischen Impuls gibt es dafür nicht. Allein die wirtschaftliche Situation und die Notwendigkeit, den Einfluss Russlands auszubalancieren, zwingen dazu. Das ist ein altes Problem aller belarussischen Regierungen, das nie wirklich verschwunden ist. Diese erzwungene Reaktivierung der Beziehung zum Westen kann dazu führen, dass die Regierung die Repressionen auf ein Minimum reduzieren muss. So war es auch in der letzten Periode der normalisierten Beziehungen von 2015 bis 2020. 

    Anders als jemals zuvor ist der Grund für die hauptsächlichen Sanktionen, für den größten Druck nicht in den politischen Repressionen zu suchen, sondern in der Beteiligung am Krieg gegen die Ukraine und in Entscheidungen, die sich spürbar auf die Sicherheit der angrenzenden Staaten auswirken. Dazu zählen die „Migrationskrise“, das Auftauchen der Wagner-Truppe in Belarus sowie die Stationierung von Atomwaffen sowie der neuen Mittelstreckenwaffe Oreschnik. Belarus ist zu einer Bedrohung für die Sicherheit in der Region geworden. Genauer gesagt, es wird als Bedrohung der regionalen Sicherheit wahrgenommen, nämlich von Polen, Litauen, Lettland und der Ukraine. Dieses Problem ist nicht einfach durch innenpolitische Deeskalation zu beheben. Wenn sich in diesen Fragen nichts bewegt, wird es keine merkliche Reduzierung der Sanktionen geben.  

    An dieser Stelle stecken die Verhandlungen zwischen der belarussischen Führung und dem Westen in einer Sackgasse. Der einzige Faktor, der wirklich gegen die belarussische Führung spielt, ist die Zeit. Denn das Interesse an den belarussischen politischen Häftlingen wird mit der Zeit sinken, und dann sinkt auch ihr Wert als Ressource im politischen Handel mit dem Westen. 

    Im Verlauf des letzten Jahres kamen über dreihundert politische Gefangene frei – ist das ein Ergebnis des politischen Drucks oder der Verhandlungen? 

    Das ist natürlich ein Ergebnis des Drucks, allerdings eher ein Ergebnis des Zeitdrucks. Der hauptsächliche Faktor für die Befreiung der Häftlinge ist, dass ihre Haftzeiten enden. Die Zeit reduziert also die Anzahl der Häftlinge. Ein bedeutender Anteil der Begnadigten wäre wenige Monate später freigekommen. Die Logik ist also: Wir müssen sie ohnehin freilassen, also lasst sie uns früher rauslassen und das dann als Begnadigung verkaufen.  

    Darüber hinaus ist das Interesse an den belarussischen politischen Gefangenen in den westlichen Staaten zwar nicht gesunken, aber es wächst auch nicht sonderlich. Der Westen ist für ihre Freilassung nicht zu großen strategischen Zugeständnissen bereit. Denn es besteht immer noch das Problem des Krieges und der Sicherheit. Diese Probleme sind dem Westen wichtiger als die Frage nach der Befreiung der belarussischen politischen Gefangenen. Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Man muss auch sagen, dass die Freilassung nicht möglich wäre ohne Verhandlungen, ohne die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen den Interessen der belarussischen Führung und der westlichen Regierungen. Sowohl Druck als auch Verhandlungen haben also ihren Anteil. Der entscheidende Faktor ist jedoch die Zeit. 

    Es sieht so aus, als entfernten sich USA und EU in ihrem Ansatz gegenüber Belarus immer mehr voneinander. Gibt es Chancen auf eine Annäherung der Positionen? Kann Trump Vilnius überzeugen, den Transit für belarussisches Kali zu ermöglichen? Oder wird Trump, wie Zichanouski hofft, dass ersehnte Wort sprechen und Lukaschenka daraufhin alle politischen Häftlinge entlassen? 

    Ich wiederhole noch einmal – die schmerzhaftesten Sanktionen wurden aufgrund der Beteiligung am Krieg und der Bedrohung der Sicherheitslage erlassen. Diese Probleme bleiben für die europäischen Staaten brennend, in erster Linie für die belarussischen Nachbarn: Polen, Litauen, Lettland, Ukraine. Die USA können davor die Augen verschließen. Trump nimmt sogar den Krieg in der Ukraine nicht als bedeutsam für die Vereinigten Staaten wahr. Deshalb können sie auch leicht Kontakte zur belarussischen Führung herstellen und Verhandlungen zu einem breiten Themenspektrum führen. Dass sich die europäische Position entscheidend verändert, sehe ich allerdings nur dann, wenn es Fortschritte gibt, die den Krieg und der Sicherheit betreffen. Allein die Freilassung aller politischen Gefangenen würde den Europäern nicht genügen.  

    Im Grunde haben die Vereinigten Staaten zahlreiche Einflussmöglichkeiten in Bezug auf Belarus. Aber werden sie die wahrnehmen? 

    Für die Europäer ist Belarus ein Nachbarland, von dem sehr konkrete Bedrohungen ausgehen. Vielleicht sind viele dieser Bedrohungen gar nicht real, nur imaginiert, und vielleicht haben die europäischen Eliten sie sich ausgedacht. Aber für sie ist das nun mal die Realität, und es ist die Realität für ihre Wähler. Deshalb können sie hier nicht so einfach Zugeständnisse machen, nur damit alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Jedenfalls in nächster Zeit, solange keine anderen einschneidenden Veränderungen geschehen. Kann Trump sie überzeugen oder zwingen? Überzeugen kann er sie sicher nicht, weil die USA einen Großteil ihrer moralischen Autorität auf dem internationalen Parkett verloren haben. Früher konnten amerikanische Präsidenten auf dieser Grundlage in Europa noch etwas erreichen.  

    Kann Trump sie zwingen? Die Erfahrung zeigt, dass er Druck ausübt, bis er starken Widerstand spürt. Wenn Polen und Litauen eine konsequente Haltung einnehmen, glaube ich nicht, dass die Amerikaner sie wegen dieser belarussischen Frage stark unter Druck setzen werden. Denn für die Amerikaner ist diese Frage völlig nebensächlich. Die Position der europäischen Staaten wird wichtiger sein als jene der USA, weil sie viel stärker motiviert sind und sich von Belarus viel stärker bedroht fühlen als die USA.  

    Bei einer Kundgebung in Warschau erklärte Zichanouski, dass Trump die belarussischen politischen Gefangenen mit einem Wort befreien könne. Zichanouski meint, dass Trump gemeinsam mit Europa Lukaschenka so in die Enge treiben könne, dass letzterer Angst bekommt und alle freilässt. Könnte Trump das wirklich? Im Iran hat er kürzlich gezeigt, dass er auch zu entschiedenen Worten und entschlossenen Taten fähig ist. 

    Im Grunde haben die Vereinigten Staaten zahlreiche Einflussmöglichkeiten in Bezug auf Belarus. Ich denke, würden sie all diese Instrumente nutzen, könnten sie erreichen, dass die belarussische Führung alle politischen Gefangenen freilässt, die noch hinter Gittern sind. Allerdings sehe ich bei den Amerikanern keine Motivation, das zu tun. Diese Instrumente einzusetzen, würde für die Vereinigten Staaten nämlich auch Kosten bedeuten. Es kann die Beziehungen zwischen USA und Russland belasten, das Image der USA in der Welt beschädigen. Die Vereinigten Staaten sind wirklich ein riesiges Land mit riesigen Möglichkeiten, auf jedes Land der Welt Druck auszuüben. Aber werden sie es tun? 

    Mir fiel dazu eine Metapher ein: Beim Schach können Dame, Springer, Türme und Läufer einen Bauern am Rande des Spielfelds jederzeit „fressen“ – weil sie viel stärker sind. Aber der Sinn des Spieles besteht nicht darin, irgendeinen Bauern am Brettrand zu schlagen. Und deshalb kann dieser Bauer auch bis zum Ende des Spiels überleben – weil er eben nicht die wichtigste Figur in diesem Spiel ist. 

    Ja, ich stimme völlig zu, das ist eine Fortführung meines Gedankens. Es ist wenig wahrscheinlich, dass eine Gewinn-Verlust-Rechnung die Amerikaner auf die Idee bringt, die ganze Macht der USA einzusetzen, um die belarussischen Gefangenen zu befreien. Belarus ist für die USA, besonders für die Leute, die dort jetzt an die Macht gekommen sind, ein Land der Peripherie. Selbst die EU und Ukraine sind für sie nicht sonderlich bedeutend und freundschaftlich konnotiert. Was soll man da bitte schön über Belarus sagen? 

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  • „bedeck dieses gesicht mit einem weißen tuch …“ – ein Brief über Rückkehr

    „bedeck dieses gesicht mit einem weißen tuch …“ – ein Brief über Rückkehr

    Bis zu 600.000 Belarussen haben ihre Heimat seit 2020 verlassen, aus Angst vor Verfolgung und Repression. Sie mussten Eltern und Großeltern, Verwandte und Freunde zurücklassen, genau wie ihre Wohnungen und ihr altes Leben. Wie leben die Belarussen in der Zwangsemigration, was denken sie, was bereitet ihnen Sorgen und worauf hoffen sie? Darüber schreibt der Autor Siarhiej Dubaviec in einem Brief an seinen Freund in Minsk, belarussisch ursprünglich Mensk, für das Online-Portal Svaboda.  

    Der Platz des Sieges im Zentrum von Mensk. / Foto © Radio Svaboda
    Der Platz des Sieges im Zentrum von Mensk. / Foto © Radio Svaboda

    Ich grüße dich, mein Freund! 

    Gerade noch habe ich vom Winter geschrieben, der uns doch nicht betrogen hat und zurückgekehrt ist – da ist nun Anfang März schon wahrhaftiger Frühling. In meinem ganzen Leben habe ich so etwas noch nicht erlebt. Die globale Erwärmung ist Wirklichkeit. Aber niemand spricht wirklich darüber, niemand schlägt Alarm, dass die Gletscher schmelzen, dass im Marianengraben, wo die Erdkruste am dünnsten ist, der Ozeanboden bebt und die Lava jeden Moment hervorbrechen könnte, was wiederum neue Erdbeben, Tsunamis und Hochwasser nicht nur an extremen Punkten der Erde hervorrufen würde, sondern überall, auch in unseren Breiten.  

    Unser Nachbar in dem Haus, in dem wir in Vilnius wohnen, hat berechnet, dass auch wir überschwemmt werden, wenn „alles losbricht“. Es sieht zwar auf den ersten Blick so aus, als stände das Haus auf einem Hügel, aber Vilnius selbst liegt in einer Senke. Unser Haus daheim in einem Vorort von Mensk, das wir verlassen mussten, liegt hingegen auf einer Anhöhe, es ist sicher. Doch wir können nicht dorthin zurück, weil wir „Extremisten“ sind. Das ist doch eine Metapher, die es mit Ray Bradbury und seinem Schmetterlingseffekt aufnehmen kann: Da beeinflusst ein „rebellischer” Kühlschrankmagnet das menschliche Schicksal plötzlich stärker als eine globale Katastrophe und das Leben insgesamt.  

    Im Internet tauschen sich die belarussischen Emigranten darüber aus, was sie machen würden, wenn es in Belarus plötzlich wieder normal und sicher wäre. Natürlich würden sie die Gräber ihrer Verwandten besuchen, an den einstigen Lieblingsorten spazieren gehen, eine Sauftour mit Freunden auf den alten Routen veranstalten – und dann wieder in ihr wahres Leben im Ausland zurückkehren. Ein normales und sicheres Belarus ist in keiner Form in Sicht. Es scheint Hunderte verschiedene Meinungen zu geben, doch niemand will sich wirklich eine Rückkehr nach Belarus vorstellen, und erst recht kaum jemand plant sie schon.  

    Buchstäblich vor ein paar Tagen erschien, von mir herausgegeben, eine Anthologie über Vilnius in der belarussischen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Eine solide Auswahl von Kolas, Kupala, Bahdanowitsch, Shylka, Arsennewa, Tank, Pantschanka, Karatkewitsch, Rasanau, Minkin – die gesamte belarussische Literatur also, voller Liebe für Vilnius, für die Poesie, für das Leben. 

    Wenn wir das Buch vorstellen, taucht unweigerlich die Frage auf: Warum gibt es ein solches Buch nicht über Mensk? Ich sage dann, dass es unmöglich ist, eine so umfängliche Anthologie über Mensk zusammenzustellen. Weil mit unserem Mensk etwas nicht stimmt. Mensk ist, wie auch unsere Sprache, eine Verwundete. Im Jahr 1939 ersetzten die Bolschewiki den Namen Mensk in der belarussischen Sprache durch Minsk (die polnische Variante, die auch im Russischen so lautet.) Als 1967 zum 900-jährigen Stadtjubiläum ein Buch herausgegeben wurde (kein Lyrikband, aber es waren auch Gedichte enthalten), gab man ihm den Titel Horad i hódy (dt. Stadt und Jahre), mit einem Fehler im Belarussischen. Korrekt wäre Horad i hadý, aber dann würden Russen Horad i hády (dt. Stadt und Scheusale) lesen, was sehr hässlich wäre. Deshalb wurden die Regeln der belarussischen Sprache gebrochen und der Plural „hody“ gebildet. Kurz, sowohl die belarussische Sprache als auch die Stadt Minsk/Mensk wurden bis weit in die Zukunft erniedrigt – als hätte man ihr eine Invalidität diagnostiziert. 

    Diese Zukunft ist nun da. Ein Gedicht über Mensk, geschrieben in Mensk, gefunden im Internet, sieht heute so aus (den Buchstaben im Titel hat der Autor bewusst weggelassen, um den Gegensatz „Minsk-Mensk“ nicht zu betonen): 
     

    Mnsk 

    Platz der schwäche 

    unumstößlich grau 

    unausweichlich nah 

    das stumpfe betongesicht 

    die riesige asphaltzunge 

    plakatwandaugen 

    leichenflecken aus kastanien 

    aufgespannt am straßenrand  

    von nirgendwo nach endlos 

    bedeck dieses gesicht 

    mit einem weißen tuch 

    aus schnee 

    schick eine landetruppe 

    pusteblumen 

     

    Das ist kein Liebesgedicht. Es geht um Angst, Krieg und Tod. Der Dichter spricht aufrichtig. Wahrscheinlich ist das die allgemeine Stimmung, bei denen, die gegangen sind, denen, die geblieben sind. Deshalb gibt es auch keine echte Rückkehr, selbst nicht einmal in Gedanken. 

    Eine Freundin, die in Vilnius lebt, aber ab und zu nach Mensk fährt, sagt, dass es unser Mensk nicht mehr gibt. Auch die letzten Reste dieses urbanen Geistes, dieser belarussischen Dimension der Stadt, die wir verließen, sind verflogen … 
     

    bedeck dieses gesicht 

    mit einem weißen tuch 

     

    Übrigens wird auch in Litauen nicht sonderlich viel über den Klimawandel gesprochen. Dafür spricht man über einen möglichen Angriff auf Litauen durch Russland und Belarus. Zum ersten Mal in der Geschichte hören wir diese Wortkombination: „Belarus – Aggressor“. Wir wissen, es ist ein Oxymoron wie „heißer Schnee“, unser Belarus kann einfach kein Aggressor sein. Aber nachdem sie sich 30 Jahre lang Lukaschenkas Drohungen anhören mussten, verstehen das die Litauer möglicherweise nicht.  

    Ich weiß sogar noch, wie alles begann. Irgendwann Mitte der 1990er Jahre drohte Lukaschenka, die Gülle aus den Hrodnaer Schweinemastanlagen über den Njoman nach Litauen zu leiten. Damals dachte ich: Woher dieser mangelnde Respekt vor den Nachbarn, mitten in Friedenszeiten? Die Schmähungen und Drohungen in Richtung Litauen rissen in den folgenden 30 Jahren nicht ab. Wir wussten, dass es nicht unsere belarussische Respektlosigkeit, sondern nur die des nominellen belarussischen Präsidenten war, tatsächlich eines Moskauer Protegés. Und vor allem war es auch Respektlosigkeit uns, den Belarussen, gegenüber, denn unser Leben war nun nicht mehr friedlich zu nennen. Doch wie sollte das jemand in Litauen verstehen – ob nun Politiker oder ganz normaler Mensch? Zwei Völker lebten über Jahrhunderte friedlich zusammen, und dann wird Belarus plötzlich Aggressor. Gleichzeitig ist das echte Belarus völlig erstarrt oder im Gefängnis … 

    Bitte entschuldige meine schweren Gedanken, aber so ist es nunmal. Wenn wir Gedanken schwer nennen, gestehen wir damit doch auch ein, dass es leichte Gedanken geben kann. 

    Ich freue mich auf deinen Brief, voller leichter Gedanken. 

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  • Kulinarische Verwerfungen

    Kulinarische Verwerfungen

    Wem gehört der Chaladnik? Woher stammt der Krupnik? Was sind Kalduny? In einem Beitrag auf Radio Svaboda entführt der Historiker Alex Bely in die belarussische Küche und ihre komplexen kulturhistorischen Ursprünge. Zum Schluss gibt es nicht nur schmackhafte Erkenntnisse, sondern auch noch ein Rezept.  

    Die dekoder-Redaktion wünscht smatschna jeszi! Guten Appetit! 

    Mit einem Artikel über Chłodnik Litewski (wörtlich: Litauische Kalte Suppe) handelte sich The New York Times in Litauen und Polen eine Flut von Kommentaren ein. Ursache war, dass dieses auch in Belarus sehr beliebte Gericht als polnisch bezeichnet wurde. Die länderübergreifende Diskussion in den sozialen Netzwerken dauerte über eine Woche an, auch Belarussen beteiligen sich daran. Der Historiker Ales Bely weist darauf hin, dass die traditionellen Speisen der Völker der Rzeczpospolita eine relativ gemeinsame Geschichte haben, es aber viele Speisen gibt, die Kontroversen hervorrufen. 

    „Wenn wir jemandem ein Gericht zuschreiben, geht es gar nicht so sehr um die Rezepte. Es geht vielmehr um die Frage der ‘Verankerung’ in einer Kultur. Dass man es hier mehr kocht als da“, sagt der Historiker. Seiner Ansicht nach litt die traditionelle belarussische Küche am stärksten während der belarussischen Unabhängigkeit und in der Sowjetzeit. Damals wurde neben der Umgangssprache auch die Alltagskultur russifiziert. Die Belarussen nutzten die Unabhängigkeit nicht als Chance, um ihre eigene kulturelle Marke zu stärken. 

    „Die Alltagskultur, die die nationalen Besonderheiten markiert, wurde verwischt. Sie war zwei Globalisierungstendenzen ausgesetzt: der allgemeinen und der des Russki Mir. Man hätte sich dem widersetzen können, doch es fehlte an Institutionen. Niemand lehrt oder studiert kulturwissenschaftliche Phänomene der nationalen Küche an der Universität. Wir haben auch keine Kochkurse, die auf die nationale Küche spezialisiert sind“, sagt Bely. 

    Um ein traditionelles Gericht einer Nation zuzuordnen, meint der Experte, muss man nicht nur die historischen Grundlagen berücksichtigen, sondern auch den Status des Gerichts in der heutigen Gesellschaft: ob es als nationale Marke etabliert ist. 2024 gab Ales Bely das Buch Samy Zymus (dt. etwa: Der süße Kern) heraus, in dem er die Speisen der belarussisch-jüdischen Küche detailliert beschreibt, darunter auch jene, die wir im Folgenden vorstellen. 

    Chaladnik (Kalte Rote-Beete-Suppe) 

    Den Chaladnik könnten auch die Ukrainer für sich beanspruchen, erzählt Ales Bely. Wobei die ukrainische Küche wiederum die russische stark beeinflusst habe. Chaladnik servierte man auch in der historischen Region Lettgallen und bei Juden im Großfürstentum Litauen. Diese nannten ihn kalte buretschkes (kalte Rote Beete). Der Historiker räumt ein, dass er in der Chaladnik-Frage eher auf litauischer Seite stehe, meint aber, dass es kein ausschließlich litauisches Gericht sei. 

    Mickiewicz schreibt vom ‘chłodnik litewski’. Dreimal wird diese Speise in Pan Tadeusz erwähnt. Ihm war egal, ob er Pole oder Litauer war, das waren für ihn zwei Seiten seiner Identität.“ Dem Historiker zufolge war das Epizentrum des Chaladnik das historische Litauen – ein großer Teil des heutigen Litauen und das belarussische Njomangebiet. Die Litauer machen den Chaladnik lieber mit Kefir, sagt Bely. Man könne sogar speziellen Kefir für Chaladnik kaufen, der schon Gurken und Dill enthält. In Belarus bereite man Chaladnik lieber mit saurer Sahne (Smjatana) zu. 

     Ein Klassiker der belarussischen Küche, Chaladnik / Foto © Alesja Belanovich-Petz
    Ein Klassiker der belarussischen Küche, Chaladnik / Foto © Alesja Belanovich-Petz

    „Die Litauer waren immer stolz auf ihren Chaladnik. Es gibt sogar ein Sommerfestival in Vilnius, das dem Gericht gewidmet ist, und der Chaladnik wurde auf europäischer Ebene als nationales Kulturerbe Litauens anerkannt. Das erfordert intellektuellen, organisatorischen und emotionalen Einsatz. Die Menschen beteiligen sich an der Etablierung des Chaladnik als zutiefst litauisches Phänomen“, sagt der Historiker. Belarus könnte seiner Meinung nach den Chaladnik genauso beanspruchen wie die Litauer.  

    „Aber Belarus tut nichts dafür. Man kann solche Fragen nicht durch respektlose Diskussionen in den sozialen Netzwerken lösen. Ich verstehe, warum sich die Litauer über die Polen ärgern. Die Polen haben die Tendenz, die Beteiligung anderer Völker an der Rzeczpospolita zu vergessen. Als sei die Rzeczpospolita per se mit Polen gleichzusetzen und alles, was dazugehörte, polnisch.“ 

    Bazwinnje (Rübenkrautsuppe) 

    Bazwinnje oder Bazwinnik ist eine Suppe aus dem Kraut und den Knollen junger roter Rüben [die übrigens auch mit Mangold verwandt sind, Anm. d. Ü.], die heiß oder kalt serviert werden kann. Es hat vor allem auf dem Gebiet des historischen Litauens Tradition. „Eine lange Zeit, im 17. und 18. Jahrhundert, empfanden es die Polen als Barbarei, dass die Litauer Rübenkraut kochten. Es stellte sie für die Polen auf eine Stufe mit den Schweinen. Sie nannten die Litauer und Belarussen deshalb abwertend boćwiniarze (dt. etwa Rübenkrautler)“, erzählt der Historiker. 

    „Im 19. Jahrhundert eigneten sich die Polen die Bazwinnje dann ebenfalls an. Heute sind sie überzeugt, dass es ihr Gericht ist, obwohl sie es früher nicht mochten und Späße darüber machten“, fügt Bely hinzu. „Auf Radziwiłłs Scholle erwuchs die rote Knolle, nicht ein Kanten Brot“, zitiert er eine polnische Redensart.  

    Krupnik (Graupensuppe) 

    Die Graupensuppe Krupnik ist wohl die unter den Völkern der Rzeczpospolita am weitesten verbreitete Suppe. Die wichtigste Zutat sind Graupen, die aus Gerste, Hirse oder Roggen sein können. Hinzu kommen Möhren oder Pilze. Fleisch ist in der Regel nicht enthalten, es ist ein Armeleuteessen. Man bemühte sich, „Weißes“ hinzuzufügen, wenn nicht saure Sahne, dann wenigstens Milch. Keinesfalls sollte man den Krupnik mit dem gleichnamigen alkoholischen Getränk verwechseln. 

    In Belarus wird die Bezeichnung Krupnik heute kaum noch verwendet, merkt unser Gesprächspartner an. Er erinnert sich, dass ein Betrieb in Lida eine Fertigmischung für diese Suppe herstellte, sie aber „Perlgraupen-Pilz-Suppe“ nannte. „Die Belarussen wissen in diesen Streitigkeiten oft nicht, worum es überhaupt geht, weil gar nicht alle die Bezeichnung, wie hier Krupnik, kennen“, meint Bely.  

    Bulbjanaja Kischka (Kartoffelwurst) 

    Ales Bely ist der Ansicht, dass dieses Gericht aus Belarus stammt. In Polen wird es vorwiegend in Podlasie gekocht, „das noch vor Kurzem belarussisch war“, sagt der Historiker. 

    „Das Wort kischka (dt. eigentlich Darm, Schlauch) ist nicht polnisch. Auch das ist ein Armeleuteessen: Aus Mangel an Fleisch macht man eine Wurst aus Kartoffeln und Griebenspeck“, erläutert Bely. Aber auch in diesem Fall, macht man in Polen das bessere Nationalgerichte-Marketing. „Die Polen veranstalten eine Weltmeisterschaft im Kartoffelwurst- und Kartoffelkuchenmachen in Supraśl (einer Kleinstadt bei Białystok, Anm. d. Red.), einer einstigen Bastion der belarusssischen Kultur“, erklärt Ales Bely.  

    Schmorkraut mit Pilzen 

    Das ist eines der ältesten bekannten Rezepte der belarussischen und litauischen Küche. In Vilnius wird es Mitte des 17. Jahrhunderts erwähnt, auch in Schriftstücken des Magistrats von Mahiljou taucht das Gericht im 17. Jahrhundert auf.  

    Früher haben sich die Polen über die Speise lustig gemacht, unterstreicht der Historiker, da, wie sie fanden, Kulturgemüse und Waldfrüchte nicht zusammenpassten. Später eigneten sie sich das Gericht doch an. Schmorkraut beeinflusste das heutige (polnische Nationalgericht) Bigos. Früher wurde als Bigos einfach Hackfleisch oder -fisch bezeichnet und erst mit der Zeit kam das Kraut hinzu. Später wurde Schmorkraut mit Pilzen als Füllung verwendet, zum Beispiel für Kalduny oder Knyschy (ein belarussisches Gericht: kleine Teigtaschen für ein, zwei Bissen).  

    Kalduny (Gefüllte Teigtaschen) 

    Als Kalduny bezeichnet man traditionell kleine Teigtaschen, sagt der Historiker. „Ich habe eine Postkarte von 1975 aus einem Moskauer Verlag, der in einer Auflage von einer Million ein Kartenset zur belarussischen Küche herausgab. Sie zeigt eine Bouillon mit Kalduny – Teigtaschen wie Pelmeni. Heute findet man in Litauen in jedem beliebigen Supermarkt koldunai – dieselben Tiefkühlbeutel wie Pelmeni“, erzählt Bely. 

    Seiner Ansicht nach haben die Belarussen vergessen, dass dieses Essen eigentlich Kalduny heißt. Heute nennt man es eher Draniki (dt. Kartoffelpuffer) mit Fleischfüllung. 

    Wahrscheinlich waren es die Tataren, die die Kalduny ins Großfürstentum Litauen und die Rzeczpospolita brachten, sagt der Historiker. Es war ein Klumpen in Teig gewickeltes Fleisch, ursprünglich Hammel oder eine Mischung aus Lamm- und Rindfleisch. Später konnte die Füllung auch aus Fisch oder Kartoffeln mit Griebenspeck bestehen.  

    Bei den Tataren gab es Bräuche rund um die Kalduny. Man versuchte etwa, einen Pfeifton zu erzeugen, indem man die Teigtasche mit der Zunge geschickt an den Gaumen drückte, sodass die Luft entwich. Und fünf Kalduny mit Brühe mussten reichen, um sich satt zu essen. Das heißt, sie waren größer als Pelmeni. Ales Bely fügt hinzu, dass heute auch ein drittes Gericht Kalduny genannt wird: mit Fleisch gefüllte Kartoffelklöße. In Polen nennt man sie kartacze, in Litauen cepelinai und in Belarus, wo sie vor allem im Gebiet der Dswina Tradition haben, auch kljozki s duschami – „Klöße mit Seele“.  

    Subrouka (Wisentwodka) 

    Subrouka ist ein alkoholisches Getränk auf Kräuterbasis mit einem Alkoholgehalt von 40 Volumenprozent. Es wurde ursprünglich in der Belaweshskaja Puschtscha hergestellt, im polnisch-belarussischen Grenzland. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es bei Jägern und Förstern während der Wisentjagd beliebt, erzählt der Historiker. Die Polen machten Subrouka – Żubrówka – zur international bekannten Marke, die bei hochprozentigen Spirituosen weltweit den dritten Verkaufsrang hält. 

    „Seit mehr als 30 Jahren ist Białystok im unabhängigen Polen das Marketingzentrum für Żubrówka. Die Polen pushen ihn mit Videos und Barkeeper-Wettbewerben. Sie haben enorm investiert“, erklärt der Experte. 

    Auch in Belarus wird ein Getränk hergestellt, das Żubrówka ähnelt, aber der Name wird nicht mehr verwendet, da sich beim Zerfall der UdSSR eine russische Firma die Rechte zur Subrowka-Herstellung gesichert hat. In Belarus heißt er jetzt: Subrowatschka, Bazkawa subrowatschka, Belarusskaja dubrawa

    Ales Belys Chaladnik-Rezept 

    • Gekochte Rote Beete und frische Gurken grob reiben. 

    • Schnittlauch oder Zwiebellauch klein schneiden. Man kann auch Dill und geriebene Radieschen zugeben. 

    • Alle Zutaten mit Salz vermengen. Mit Kefir und Mineralwasser übergießen. Mit gekochtem Ei und Eiswürfeln servieren. 

    • Dazu schmecken Pellkartoffeln. 

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    Kastus Kalinouski