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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Flucht de force mit Tscheburaschka

    Flucht de force mit Tscheburaschka

    Fünf Jahre nach Beginn der Massenproteste sind immer noch fast 1200 politische Gefangene in belarussischen Gefängnissen und Lagern interniert. Die Haftbedingungen werden von ehemaligen Häftlingen und NGOs als unmenschlich bezeichnet. Mindestens sieben politische Gefangene sind seit 2020 verstorben. 

    Um diesem Schicksal zu entgehen, hat sich der Regimekritiker Alexander (Sascha) mit Ehefrau und Tochter zur Flucht entschieden. Diese geriet zu einem lebensgefährlichen Abenteuer, das die Familie durch mehrere Länder führte. Jewgeni Kornejewez hat ihre Geschichte für das Online-Portal Mediazona Belarus aufgeschrieben. 

    Tscheburaschka ist auf der ganzen Flucht mit dabei. / Foto © privat
    Tscheburaschka ist auf der ganzen Flucht mit dabei. / Foto © privat

    „Sie können unsere echten Namen benutzen. Von unserer Familie lebt nur noch Saschas Mutter. Meine Mutter haben sie bis zum Infarkt getrieben. Als wir weg sind, kamen ständig die Silowiki: ‚Wir schnappen sie uns [deine Kinder] und sperren sie ein, sie werden eh zurück nach Belarus abgeschoben, sie sind erledigt.‘ Die haben lauter schlimme Sachen über uns gesagt, ihr Angst gemacht, und nochmal Angst. Das hat ihr Herz nicht mitgemacht. Drei Tage Koma und … ich konnte nicht einmal zur Beerdigung fahren. Zwei Jahre ist sie jetzt schon tot. Und wir haben nur noch eine Mutter für uns beide. Und zu ihr kommen sie auch“, erzählt Natalja. 

    Als einziges Erinnerungsstück an ihre Mutter ist Natalja eine Tscheburaschka-Puppe geblieben. Die Belarussin hatte gerne gestrickt, und Nataljas Mann Alexander hatte seit seiner Kindheit von einem Tscheburaschka-Kuscheltier geträumt. „Er hatte diese fixe Idee: Ich will Tscheburaschka“, erinnert sich Natalja. Da strickte ihre Mutter ihm ein Kuscheltier zum Geburtstag. „Er kommt zu ihr, und sie sagt zu ihm: ‚Hier, Sascha, für dich.‘ Er hatte sogar Tränen in den Augen. ‚Meine Schwiegermutter hat mir Tscheburaschka geschenkt, die immer bei mir bleiben wird.‘“ 

    Im November 2022 musste Sascha mitten in der Nacht aus Belarus fliehen, indem er den Njoman überquerte. Er packte seine Sachen in einen Rucksack, Tscheburaschka steckte er in einen Plastikbeutel und befestigte ihn an einer Schnur. Als Alexander am litauischen Ufer ankam, bemerkte er, dass das Stofftier weg war. „Ich zog an der Schnur, und die Plastiktüte schwamm in Richtung Belarus davon. Ich dachte nur: ‚Tscheburaschka. Den hat meine Schwiegermutter doch für mich gestrickt.‘ Ich schwamm zurück. November. Ohne Tscheburaschka geh ich nicht ins Exil!“ 

    Sascha kehrte um, fand das Kuscheltier und schwamm wieder nach Litauen. Danach irrte er zwei Stunden lang nass durch den Wald und suchte die Grenzbeamten. Jetzt begleitet Tscheburaschka das Ehepaar quer durch Europa. 

    Festnahme in Belarus 

    Früher lebte Natalja mit ihrem Mann Sascha in Hrodna. Sie hatten ein großes Grundstück inmitten von Seen gepachtet, bauten eine Ferienanlage auf, züchteten Fische und veranstalteten regelmäßig Angelwettbewerbe. Vor seiner Verhaftung, erinnert sich Sascha, hatten oft Beamte aus Hrodna bei ihnen Urlaub gemacht. „Ich konnte den Verwaltungsleiter der Oblast persönlich anrufen, wenn es ein Problem gab. Wir hatten fangfrischen Fisch, Grillplätze, auf denen die Abgeordneten sich ganz umsonst besaufen konnten. Deshalb war ich praktisch ‚unantastbar‘. So läuft das in diesem Business.“ 

    Im Pandemiejahr 2020 organisierte das Ehepaar eine Spendenaktion und stattete das Stadtkrankenhaus Nr. 2 in Hrodna mit Schutzausrüstungen aus. Als im selben Jahr die Wahlkampagne begann, trat Alexander dem Stab von Viktor Babariko bei und sammelte Unterschriften. Dann unterstützten sie Swetlana Tichanowskaja. Bei Videoaufnahmen von ihren Auftritten in Hrodna kann man Alexandra und Natalja in der ersten Reihe sehen.  

    Zwei Jahre später, 2022, holten Alexander die Silowiki.  

    „Er fuhr auf den Markt, um Fisch zu verkaufen. Da holten sie ihn. Ich habe ihn mehrmals angerufen, er drückte mich immer weg – geht nicht dran, ruft nicht zurück. Das kannte ich nicht von ihm. Ich habe einen Freund angerufen: ‚Juri, kannst du mal auf dem Markt vorbeischauen, mit Sascha stimmt was nicht.‘ Und er: ‚Vielleicht ist sein Telefon nass geworden oder so.‘ Aber ich war mir sicher, dass etwas passiert sein musste.“ 

    Alexanders Auto mit dem Fisch blieb auf dem Markt stehen, später holten es Bekannte ab. Alexander war von sechs bewaffneten Silowiki festgenommen worden, die aus einem Polizeibus gesprungen und über ihn hergefallen waren. Sie brachten ihn ins Revier, wo er die Nacht verbringen musste, und nach drei Tagen Gewahrsam kam er in U-Haft. 

    „Sie bedrohten mich nicht, aber die Demütigungen nahmen kein Ende. In U-Haft saß ich mit einem Straftäter, für den es sein viertes Mal war. Ein ganz normaler, ruhiger Typ um die 40. Er sagt zu mir: ‚Ich war sechs Jahre draußen, jetzt habe ich was geklaut, und es fühlt sich an wie nach Hause kommen.‘ Er schlief, rauchte, aß. Und ich durfte nur am Tisch sitzen und die Pritsche nicht mal angucken. Aufs Klo mit Handschellen. Die Hände auf dem Rücken. Wie soll man das machen? Und die sitzen da, glotzen und lachen: ‚Dir fällt schon was ein! Auf die Demos hast du‘s ja auch irgendwie geschafft!‘“

    Die Flucht nach Georgien über Russland 

    Währenddessen wurde ihre Wohnung durchsucht: Alles auf den Kopf gestellt, die elektronischen Geräte konfisziert. In der U-Haft überreichte die Ermittlerin Alexander eine Anklageschrift wegen Beleidigung Lukaschenkos. „‚Hier‘“, sagte sie. ‚Gegen dich liegen ein Haufen Beweise vor. Entweder du spuckst ein Scheißgeständnis aus, oder ich brumm dir das alles auf und hol deine Alte ab.‘ So reden die mit einem. Eigentlich eine attraktive Frau. Aber die Art zu reden – einfach nur abstoßend.“ 

    Natalja musste mit ihrer Tochter, einer Studentin, mehrfach zu Verhören. Die Ermittler gaben ihnen zu verstehen, dass sie das Land nicht verlassen durften und erreichbar bleiben mussten. Auch die Ferienanlage bekam Besuch von der Staatsanwaltschaft, vom Umweltministerium und der staatlichen Fischereiaufsicht Rybnadsor. „Während ich einsaß, haben sie sich mein Business unter den Nagel gerissen. Jedes Mal wieder: Anzeige – Bußgeld, Anzeige – Bußgeld, Anzeige – mit denen zu reden war sinnlos.“ 

    Zwei Monate nach seiner Verhaftung kam Alexander vors Gericht. Am 19. Mai 2022 wurde er zu zwei Jahren chimija (dt. Chemie) verurteilt – einer Haftstrafe im offenen Vollzug. Er durfte das Gericht auf freiem Fuß verlassen. Am nächsten Tag bekam das Ehepaar einen Anruf von jemandem, der sich als Anwalt vorstellte. Er wollte kein Geld und schlug ein Treffen vor, bei dem er sagte, er würde ihnen dabei helfen, Berufung einzulegen. Während der Bearbeitungszeit hätten sie die Möglichkeit, das Land zu verlassen. 

    Am 1. Juli machte sich die ganze Familie über Russland nach Georgien auf. 

    Der nächste Plan: Richtung Ukraine 

    Ihre Tochter Diana fuhr mit dem Bus, die Eltern mit dem Auto. Diana kam über die Grenze, aber Alexander und Natalja wurden nicht rausgelassen – sie fanden sich in einem russischen Lager für Personen mit Ausreiseverbot wieder. 

    „Zum Glück hatten wir das Geld für den Weg aufgeteilt. Insgesamt hatten wir 2000 US-Dollar. Unsere Tochter hatte 1000 dabei, die andere Hälfte hatten wir. Das Auto war auch noch ein bisschen was wert. „Wir beschlossen spontan, über Abchasien zu fahren. Panik. Wir fuhren über die Berge nach Tuapse am Schwarzen Meer. Dort redete ich mit den Taxi-Fahrern, die sagten: ‚Vergiss es. Wenn die Georgier ein Auto aus Abchasien sehen, schießen die sofort, und fragen erst dann nach dem Namen.“ Also beschloss das Paar, von Russland über die Ukraine nach Europa zu fahren, wo sie ihre Tochter treffen wollten. Sie entschieden sich für den Grenzübergang bei Belgorod. 

    „Ich bin quasi selbst Grenzer. War 16 Jahre in der Armee. An der Frontlinie kommt man nicht durch, da wird geschossen, alles ist vermint und so. In der Oblast Sumy ist es ruhig, kein Krieg – also wird die Grenze bewacht. Aber dazwischen, in der Grauzone, kann man durchschlüpfen. Also versuchten wir es bei Belgorod, 30 Kilometer von Charkiw entfernt. 200 Meter fehlten uns noch bis zur Grenze“, erzählt Alexander. „Und ich hab geweint: ‚Lass uns einfach hierbleiben! Nicht nach Hause fahren und auch nicht dahin‘“, ergänzt Natalja. 

    Diana schaffte es nach Tbilissi. Sie wollte sich ein Zimmer mieten, doch der Vermieter fing an, sie zu belästigen. Also zog sie weiter. Ziellos schlenderte sie durch die Straßen, bis sie mit einer Frau ins Gespräch kam, die ihr eine Unterkunft anbot. Nach dem ersten Monat durfte sie sogar gratis bei ihr wohnen, seitdem nennt Diana sie ihre „georgische Mama“.     

    In „Kriegsgefangenschaft“ 

    Bevor sie die russische Grenze überquerten, inspizierte Alexander drei Tage lang die Umgebung, suchte auf Google Maps, sah sich alles ganz genau an. Der erste Versuch misslang – Natalja blieb im Sumpf stecken, und sie mussten umkehren. In der nächsten Nacht versuchten sie es noch mal, wurden aber von russischen Soldaten aufgegriffen.  

    „Sie blendeten uns, brüllten: ‚Fresse auf den Boden!‘, schossen mit MGs. Natalja wollte wegrennen, ich konnte sie gerade noch aufhalten. Wären wir geflohen, wäre das hundertpro das Ende gewesen.“ Mit einem Sack über dem Kopf wurden die Belarussen zu einem Stützpunkt geführt, jeder in einen anderen Raum. Dort mussten sie sich nackt ausziehen und wurden befragt, wie sie an die Grenze gelangt waren. Natalja erzählt, sie sind von den Soldaten schikaniert worden.   

    „Sie wickelten sich meine Haare um die Faust und zerrten mich daran durchs ganze Zimmer. Dann fixierten sie mich mit Handschellen an ein Bett, brachten eine Flasche, stellten sie auf den Boden und sagten: ‚Weißt du, was wir gleich mit dir machen? Wir binden dir die Beine ans Bett, holen alle unsere Kameraden und lassen sie der Reihe nach ran.‘“ 

    „Als ich sie schreien hörte, sagte ich: ‚Ihr Schweine, ich werde euch alle finden und euch den Hals umdrehen!‘ Zwei Minuten später spuckte ich meine Zähne aus. Die haben richtig zugeschlagen. Natascha haben sie nicht verprügelt, nur an den Haaren durchs Zimmer gezerrt. Mir fehlen seitdem die unteren Zähne.“ Die Soldaten hielten das Paar bis zum nächsten Morgen fest. „Einer kommt rein und sagt: ‚Wieso liebt so ein junges Mädel einen alten Sack wie dich? Willst du zugucken, wie wir sie alle der Reihe nach rannehmen?‘“  

    Ausgeraubt wurden Alexander und Natalja auch. Alles Geld, das Gold – die Russen hatten ihr Auto gefunden und alles mitgenommen, was irgendwie Wert hatte. Am Morgen wurden sie gezwungen zu unterschreiben, dass sie keinerlei Beschwerden gegen die Grenzbeamten hätten. Sie bekamen von ihrem eigenen Geld 2000 Rubel [damals etwa 35 US-Dollar – dek], damit sie gleich ihre Strafe zahlen konnten, und wurden, wieder mit einem Sack über dem Kopf, zu ihrem Auto gebracht und sich selbst überlassen.    

    Zurück nach Moskau und nach Tscheljabinsk  

    Nach der „Kriegsgefangenschaft“ fuhren die beiden zu Nataljas Onkel in die Oblast Moskau. Sie erzählten ihm ihre Geschichte und begriffen, dass er sich über solche Gäste gar nicht freute. „Er war beruflich beim Militär gewesen. Den beiden Rentnern sah man an, dass sie Angst hatten. Wir blieben noch über Nacht, dann sagten wir, wir hätten Arbeit in Moskau gefunden, und reisten wieder ab.“ 

    Alexander fielen seine Verwandten im Ural ein, zu denen er seit 30 Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Er bat Diana, auf Odnoklassniki ihre Telefonnummer herauszufinden, rief an, stellte sich vor, erklärte seine Situation, dass er momentan keine Bleibe habe, und war sehr erstaunt, als sie ihn freudig einluden. Bis Tscheljabinsk waren es zwei Tage Fahrt. Tante Alexandra überließ den Belarussen ihre Wohnung und fuhr selbst auf ihre Datscha. Alexander und Natalja wandten sich an Bysol, wo ihnen empfohlen wurde, nach Wladikawkas zu fahren und von dort aus die Einreise nach Georgien zu versuchen.  

    „Im September rief Russland die Mobilmachung aus. Was da in Werchni Lars los war! Die von Bysol riefen uns an und sagten: ‚Das wird nichts, Leute, vergesst es.‘ Uns ging die Kraft aus, wir hatten kein Geld mehr, nichts.“ Sie verkauften ihr Auto, um in einem Hostel zu wohnen. Mit Flyer-Verteilen verdienten sie sich das Geld für Essen: Jeden Tag 20 Kilometer zu Fuß. 

    „Wir ernährten uns von drei Backkartoffeln aus der Mikrowelle. Geschirr hatten wir keines, nur die Mikrowelle. Brot nur scheibchenweise. Und ein Kilo 100-Rubel-Wurst. Das ist eine Wurst, die kannst du auf den Löffel nehmen, und sie bleibt dran kleben und fällt nicht runter. Zweimal die Woche kauften wir eine Tomate, so als Leckerbissen. Und Äpfel. Wenn ich irgendwo einen Apfel pflücken konnte und wir Zucker zu Hause hatten, schnitten wir das Kerngehäuse aus, füllten Zucker ein und ab in die Mikrowelle. Das war unser Nachtisch.“    

    Trennung und zurück nach Belarus 

    So lebte das Paar bis Oktober. Im Oktober bot ihnen Bysol eine Evakuierung an, für die sie sich allerdings trennen mussten. Sie fuhren nach Moskau. Natalja bekam schnell ein Visum. Dann kam die Anweisung, nach Kaliningrad zu fliegen und dort in den Zug Richtung Minsk zu steigen. Zwei Tage später war Natalja in Kaunas, Litauen. 

    „Ich hatte überhaupt kein Geld mehr. Keine Kopeke, keinen Cent. Ich kam in Kaunas am Bahnhof an und konnte nicht mal auf die Toilette, weil das was kostet. Ich stand da und heulte. Ein junger Ukrainer und seine Mutter wurden auf mich aufmerksam: ‚Wieso weinen Sie denn?‘ Sie halfen mir mit dem Internet, gaben mir ein bisschen Geld und kauften mir eine Fahrkarte nach Danzig, wo meine Tochter auf mich wartete.“ 

    Alexander bekam Instruktionen: „Bestell dir ein BlaBlaCar und fahr nach Orscha“. Die Fahrt bezahlte ihm Bysol. Eine Weile später kam eine Nachricht, er solle nach 15 Kilometern an einer Kreuzung aussteigen und sich im Wald verstecken. Das machte er. Später kam noch ein weiteres Auto. Der Fahrer fragte Alexander nach seinem Namen, ließ ihn einsteigen und fuhr mit ihm durch die Dörfer. Irgendwann erreichten sie den Stadtrand von Wizebsk, und Alexander wurde gebeten auszusteigen.  

    „Ich sagte: ‚Wie geht’s jetzt weiter, Alter?‘ Und er: ‚Keine Ahnung. Tschüss.‘ Und fuhr weg. Russische SIM-Karte, kein Empfang, kein Geld, dafür umso mehr Hunger. Ich traf ein paar Teenager, fragte sie nach einem Hotspot, sagte, ich sei Russe und hätte vergessen, meine SIM-Karte zu aktivieren.“ Gegen Abend meldeten sich die Fluchthelfer: Sie schickten ihm ein Taxi, das ihn zu einer Mietwohnung brachte, ließen ihm ein wenig Geld zukommen. „Ich stellte mein Zeug ab, kaufte zwei Packungen Pelmeni und Schmand und dachte: Scheiße nochmal, endlich mal sattessen!“ 

    Nach Wizebsk erwarteten Alexander noch ein paar Stationen, etliche Wohnungen, Häuser, Datschen, bis er Mitte November eines Nachts an den Njoman gebracht wurde und hörte: „Schwimm“. 

    Alexander (links) und Natalja bei einer Kundgebung in Polen. / Foto © privat
    Alexander (links) und Natalja bei einer Kundgebung in Polen. / Foto © privat

    Hiobsbotschaft in der Freiheit 

    In Litauen wurde Alexander in einem Flüchtlingslager untergebracht, bekam jedoch bald die Genehmigung, in die Stadt zu fahren. Dann wurde er nach Polen überstellt, weil er ein polnisches Visum hatte, und traf dort seine Frau wieder. Während das Ehepaar auf seinen Aufenthaltstitel wartete, machten die beiden hohe Schulden, weil ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt war. Als er seine Dokumente hatte, fing Alexander an, als Fernfahrer zu arbeiten. Er nahm seine Frau mit und seinen Tscheburaschka. „Mein Tscheburaschka hat ganz Europa gesehen“, scherzt er. Jetzt sind alle Schulden abbezahlt.  

    2024 wurde bei Alexander Krebs diagnostiziert.  

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  • Wo sind all die Kartoffeln hin?

    Wo sind all die Kartoffeln hin?

    Die Kartoffel ist eines der wichtigsten Nahrungsmittel in Belarus. Viele belarussische Speisen wie draniki (Reibekuchen) basieren auf der Erdknolle, die so auch zum kulturhistorischen Symbol wurde. Die Belarussen bezeichnen sich selbstironisch mitunter auch als bulbaschy (Kartoffelmenschen). Seit Monaten aber ist die Kartoffel Mangelware auf dem belarussischen Markt. Obwohl Belarus bei einer Produktion von bis zu 4.000.000 Tonnen Kartoffeln jährlich und einem Kartoffelverbrauch von durchschnittlich 162,5 Kilogramm pro Kopf und Jahr einen deutlichen Überschuss produziert. Was steckt dahinter?

    Das Online-Medium Mediazona Belarus hat Gründe für das Verschwinden der Kartoffel in Belarus recherchiert. Das Projekt Belarus. Expertise zeigt anhand des Draniki-Index, wie sich die dadurch verursachten Preissteigerungen auf die Zubereitung des dranik auswirkt. 

    Arbeiter eines landwirtschaftlichen Betriebs im Bezirk Lahoisk machen Kartoffeln bereit für den Transport. / Foto © IMAGO/ ITAR-TASS

    Anfang April haben Journalisten von Zerkalo festgestellt, dass sich die Behörden schon seit Mitte Februar Sorgen um Kartoffeln machten. Das MART (Ministerium für Handel und Wettbewerbsregulierung) hatte ein Treffen mit dem Landwirtschaftsministerium, den Verwaltungen von Minsk-Stadt und Minsk-Oblast einberufen sowie mit Vertretern großer Handelsketten.     

    Auf der Versammlung ging es um Gemüse-Engpässe: Unter anderem ging es darum, dass die Stabilisierungsspeicher, in denen bis zur nächsten Ernte Obst und Gemüse gelagert werden, ihren Abnehmern – den Handelsketten – „minderwertige Waren” liefern. Außerdem sei es wegen der Preisregulierung für Produzenten, die ihre Ernte in diese Stabilisierungsspeicher liefern, lukrativer, ihr Gemüse nicht auf dem Binnenmarkt zu verkaufen, sondern zum Beispiel nach Russland zu exportieren.  

    Bereits im Februar war das Kartoffelthema bis zu Lukaschenko durchgedrungen. „Na sowas, wir haben also keine Kartoffeln. Um wieviel sind Kartoffeln bei uns teurer geworden? Und um wieviel steigen die Preise zwischen den Ernten? Sind wir etwa unfähig, ausreichende Mengen Kartoffeln anzubauen, sie in Kellern zu lagern und sie dann der Bevölkerung zu verkaufen?“, empörte er sich.

    Der Illustrator und Designer Vladimir Tsesler hat das Kartoffeldefizit in Belarus auf seine eigene Weise kommentiert. Skarb ist das belarussische Wort für Schatz. / Bild © Vladimir Tsesler 

    Destabilisierung durch rigide Preiskontrolle 

    Der Staat hat auf mehrere Arten versucht, das Kartoffeldefizit zu beheben. Ende März verlängerte die Regierung die Lizenzierung des Kartoffelexports um drei Monate, um „sich die Kontrolle über Vorräte und Exporte aufgrund der steigenden Nachfrage und der hohen Kartoffelpreise jenseits der belarussischen Grenzen zu sichern“.     

    Im Anschluss wurden im Dekret Nr. 713 zur Preisregulierung zum siebten Mal Änderungen vorgenommen: Ab dem 17. April 2025 wurden für die gängigsten Gemüsesorten die Obergrenzen der Preise für den Großhandel und die Endkunden angehoben: für Kohl (außer Frühkraut), (ungewaschene) Karotten, Speisezwiebeln, frische Gurken und gewaschene Speisekartoffeln.   

    Während noch im März das Kilogramm Kartoffeln für den Endkunden höchstens 76 Kopeken (ca. 0,22 Euro) kosten durfte, darf der Preis jetzt mindestens bis zum 15. Mai bis zu 1 Rubel (ca. 0,28 Euro) betragen. Am 17. April reagierte das MART auf die Kartoffelfrage und verkündete, in Belarus würden Maßnahmen ergriffen, um ausreichende Mengen Kartoffeln sowie anderes Obst und Gemüse in den Läden sicherzustellen. In den darauffolgenden zwei Tagen kontrollierte das Ministerium 20 Gemüselager und fand keinerlei Verstöße.         

    „Kartoffeln gibt es genauso auf dem Markt wie alles andere, was in den Borschtsch gehört. Die Regierung hat effektive Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu verbessern die durch Preisdifferenzen entstanden waren, aufgrund derer unsere Produzenten auf den ausländischen Märkten größere Gewinne erzielten”, berichtete Darja Poloskowa, Repräsentantin des Ministeriums. 

    „Das ist von heute auf morgen [eine Preissteigerung um] 30 Prozent. Inflation haben wir ja keine? Wir halten sie unten, solang es geht, und auf einmal, hopp – 30 Prozent“, kommentierte Wirtschaftsanalyst Sergej Tschaly Poloskowas Aussage. Zerkalo berichtete, wie in der Oblast Witebsk über tausend Tonnen Kartoffeln „verlorengegangen“ seien.  Über BelPol hatte das Medium Zugang zu Chats und E-Mails von Beamten bekommen.   

    Außerdem erzählten Journalisten von Zerkalo von einem Brief des MART an das Landwirtschaftsministerium, in dem es vor einem womöglich bevorstehenden „Defizit an frischen Gurken aus den Gewächshausanlagen der Republik auf dem Verbrauchermarkt“ warnte; ebenso erreichten das Ministerium Bitten verschiedener Handelsketten, im April die Versorgung des Marktes mit Gurken zu fördern.  

    „Die Kartoffeln im Laden sind jetzt sehr klein – und so grün wie Hulk.” 

    Eine Woche nach den Kontrollen des MART spricht man in den Gemüsespeichern von Belarus noch immer von Mangel, den Preisen und der schlechten Qualität nicht nur von Kartoffeln, sondern auch zum Beispiel von Zwiebeln und Kohl.  

    „In letzter Zeit ist es plötzlich schwierig geworden, bei Euroopt oder Hit ordentliche Kartoffeln zu finden. Es gibt nur winzige, angeditschte“, erzählte Mediazona eine Befragte aus dem Gebietszentrum. Ein Bewohner einer anderen belarussischen Stadt erzählte, wie er vor ein paar Tagen das ganze Viertel nach Kartoffeln abgesucht hätte. 

    Vor drei Tagen postete eine Belarussin ein Video zu dem Thema auf TikTok: „Das Volk beschwert sich, dass die Kartoffeln im Laden jetzt sehr klein sind – und so grün wie Hulk. Die Bauern kontern: Ihr müsst schon entschuldigen, wie sollen wir was verdienen, wenn wir die Preise nicht erhöhen dürfen. Wenn auch ihr beim Einkaufen schlechte Kartoffeln gesehen habt – schreibt in die Kommentare, was denkt ihr, wer ist daran schuld?“ 

    In einem anderen TikTok erzählt ein Belarusse, er habe in der Vorwoche mit seiner Mutter in Iwanowo vergeblich nach Kohl gesucht. In vier Geschäften seien sie gewesen, doch weder im Dorf noch in der Stadt habe es Kohl gegeben. Auf Instagram ist ein Belarusse der Meinung, das mit den Kartoffeln sei ein Desaster: „Auf den Märkten gibt’s ja noch halbwegs irgendwas, aber im Supermarkt – kannst du vergessen.“ Eine andere Belarussin schreibt: „Kartoffeln sind wieder da, aber wo sind nun die Zwiebeln?“ Die Frage, „wieso die Kartoffeln so sauteuer sind“, stellt sich ein Instagram-User bis heute. 

    Der Draniki-Index verdeutlicht die Teuerungsrate einer der beliebtesten Speisen in Belarus. / Schaubild © Belarus. Expertise
    Der Draniki-Index verdeutlicht die Teuerungsrate einer der beliebtesten Speisen in Belarus. / Schaubild © Belarus. Expertise

    Das Projekt Belarus. Expertise analysiert die ökonomischen Entwicklungen in Belarus, dazu veröffentlicht das Online-Portal regelmäßig den Draniki-Index. Draniki (dt. Reibekuchen/Kartoffelpuffer) sind ein wesentlicher Bestandteil der belarussischen Küche. Der Index wird auf Grundlage von Preisentwicklungen für Produkte berechnet, die zur Zubereitung von Draniki für eine Familie mit drei bis vier Personen nötig sind (siehe Schaubild). „Die Kosten für einen Dranik mit einer teuren Beilage weisen eine hohe Teuerungsrate von 34,9 Prozent auf“, erklären die Wirtschaftsexperten in ihrer Analyse. „Die Kosten für einen Dranik mit einer preiswerten Beilage stiegen im Laufe des Jahres um 9,8 Prozent.  Bei den Zutaten verzeichneten Kartoffeln eine Rekordpreissteigerung von 35,21 Prozent im Laufe eines Jahres. Die Gründe dafür waren die Dürre, die geringere Produktion und die massiven Ausfuhren nach Russland.“ 

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  • „Sie wollten mir die Kinder wegnehmen“

    „Sie wollten mir die Kinder wegnehmen“

     

    145 politische Gefangene wurden seit Juli 2024 in Belarus freigelassen. Von einem Abflauen der Repressionen kann allerdings keine Rede sein. Die Menschenrechtsorganisation Wjasna konstatiert in ihren monatlichen Analysen „ein unverändert hohes Niveau der politisch motivierten Repressionen“. Mit den bevorstehenden sogenannten Präsidentschaftswahlen zieht das Regime die Daumenschrauben wieder deutlich an. Allein seit Anfang November wurden über 100 Personen festgenommen

    Gleichzeitig werden auch Familien und Verwandte von politischen Gefangenen häufig Ziel der Sicherheitsbehörden. Eine solche Geschichte erzählt das Online-Medium Mediazona Belarus.  

    Galina Budai, ihre Kinder und der Familienhund / Foto © privat
    Galina Budai, ihre Kinder und der Familienhund / Foto © privat

    Mitte Sommer 2023. Der achtjährige Wanja, seine elfjährige Schwester Marija und der 16-jährige Daniil haben endlich Ferien. In ihrer Wohnung in Minsk finden regelmäßig Durchsuchungen statt. Weil eine Sonderkommission entschieden hat, die Familie als „sozial gefährdet“ einzustufen. 

    Ihre Mutter Galina Budai versucht bereits seit Monaten, der Kommission zu beweisen, dass mit ihrer Familie alles in Ordnung ist. Galina muss gleichzeitig die Formulare studieren, mit denen die Beamten sie überhäufen, die Kinder erziehen und ihren Mann in der Strafkolonie unterstützen. Im September 2022 wurde der 46-jährige Andrej im Fall Busly ljazjaz (dt. Die Störche fliegen) zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Behörden lassen keine Gelegenheit aus, daran zu erinnern, nach welchem Paragrafen Andrej verurteilt wurde, wie lange er sitzen muss und dass er auf der „Terrorliste“ steht. 

    Offiziell steht die Familie unter Beobachtung, weil Galina und Andrejs Kinder zu Hause unterrichtet werden. Dabei hat sich daran jahrelang niemand gestört. Bis eines Tages der damals 15-jährige Daniil kurz nach 23 Uhr in der Metro von der Miliz aufgegriffen wurde. Er fuhr ohne Begleitung eines Erwachsenen nach Hause. Die Beamten brachten den Teenager auf die Wache und durchsuchten sein Handy. Dort fanden sie ein Abo des Telegram-Kanals von Nexta

    „Sie fragten ihn aus, wo seine Eltern sind“, erzählt Galina. „Er sagte, wo ich bin, und dass sein Vater in Untersuchungshaft sitzt. Sie wollten wissen, weswegen, da hat er geantwortet: ‚Wegen nichts.‘ Die Antwort schmeckte ihnen gar nicht, sie fingen an zu brüllen und ihn zu beschimpfen. So was kennt er von zu Hause nicht. Sie haben ihm richtig Angst eingejagt, und mir auch, als ich ihn abholen kam. Zum Abschied sagten sie, so was verjährt nicht, und wenn er sechzehn wird, kommen sie ihn wegen diesem Kanal holen.“ 

    *** 

    Über den Vorfall wurde die Einzugsschule der Kinder informiert. Weil sie zu Hause unterrichtet werden, gehen sie dort nur für die Prüfungen hin. Die Eltern haben sich immer selbst um den Unterricht gekümmert: Galina ist diplomierte Pädagogin und hat eine entsprechende Zusatzausbildung abgeschlossen. Nach Daniils Verhaftung verlangte die Schulleiterin, dass die Kinder umgehend wieder die Schulbank drücken. Für Galina kam das gar nicht in Frage. 

    „Für mich sind die Mängel des belarussischen Schulsystems offensichtlich. Wir sind zum Beispiel gegen jeglichen Militarismus, gegen den Krieg und jede Form von Gewalt. Von Freunden wissen wir aber, dass diese Themen jetzt an den Schulen zum Alltag gehören.“ Weil Galina sich weigerte, die Kinder zur Schule zu schicken, wurde eine Sonderkommission darauf angesetzt, die Familie als „sozial gefährdet“ einzustufen. Über das Schicksal der Familie entschieden die Leiterin der Bildungsabteilung im Exekutivkomitee, die Schuldirektorin, eine Beamtin vom Sozialdienst, Milizionäre und aus irgendeinem Grund sogar Feuerwehrleute. „Die Dame vom Sozialdienst erzählte irgendwas von Pflegeeltern und Adoption“, erinnert sich Galina. 

    Dass die Kinder in einer akkreditierten Online-Schule angemeldet sind und ausgezeichnete Noten haben, dass die Mutter Pädagogin ist und keiner in der Familie je irgendwie auffällig geworden ist, interessierte die Kommission nicht im Geringsten. Die Familie wurde für drei Monate als „sozial gefährdet“ eingestuft. In dem Gutachten hieß es, die Eltern würden „den Grundbedürfnissen der Kinder nicht nachkommen und den Erhalt der obligatorischen allgemeinen Sekundarschulbildung (in jeglicher Form) verhindern“. Es wurden „Maßnahmen zur Beseitigung der Ursachen und Bedingungen, die zur Schaffung eines ungünstigen Umfelds für die Kinder geführt haben“ festgesetzt. 

    *** 

    Daraufhin begannen die ständigen Kontrollen – nicht nur durch die Schule, sondern auch durch den Sozialdienst, das Bezirkskrankenhaus und – seltener – durch die Polizei. „Ich saß nicht untätig herum, sondern versuchte, den Beschluss des Exekutivkomitees anzufechten, aber vergeblich“, sagt Galina. 

    Das Bildungsministerium, an das sich Galina ebenfalls wandte, äußerte sich widersprüchlich. Ein Anwalt, den sie konsultierte, sagte, das Dokument könne auf unterschiedliche Weise ausgelegt werden: Es ließe offen, ob häuslicher Unterricht nun verboten oder erlaubt war. „Ich pochte auf mein Recht, meine Kinder zu Hause zu unterrichten, und sah seitens des Ministeriums oder der Schule keine Spur von Unterstützung. Keinen Funken Menschlichkeit. Die Schule interessiert sich nur für die Ideologie, die Zukunft der Kinder ist ihr völlig egal“, meint Galina. 

    Für die Kinder, die 70-jährige Großmutter, die in der Familie lebt, und für Galina selbst bedeutete die Aufmerksamkeit des Staates eine enorme Belastung. Die Lehrer, Sozialarbeiter, Ärzte und anderen Beteiligten kamen meist ohne jede Vorwarnung, höchstens ein Anruf 15 Minuten vor dem Besuch. Die Familie musste immer in Alarmbereitschaft sein. Die Kontrolleure überprüften, ob im Haus genug zu essen war, ob die Kinder Arbeitsplätze hatten, die richtigen Hefte und Lehrbücher. Sie durchwühlten die Dokumente und sahen nach, ob die Kinder alle vorgeschriebenen Impfungen hatten. Zu beanstanden gab es nichts – außer, dass der Vater im Gefängnis war und die Kinder zu Hause lernten anstatt in der Schule. Nach drei Monaten kam die Kommission wieder zusammen. Der Status als „sozial gefährdet“ wurde verlängert. 

    „Wir standen alle unter Schock, wir waren sicher gewesen, dass sie uns endlich in Ruhe lassen würden. Aber nein, es gab weder Mitgefühl noch Verständnis. Mir kam es damals vor, als hätte der Staat mehr Anrecht auf die Kinder als ich. Er wollte entscheiden, wie sie lernen, mit wem sie Umgang haben und so weiter.“ Wegen der fremden Leute im Haus standen die Kinder extrem unter Stress, sie machten sich Sorgen um die Mutter und vermissten ihren Vater, dem sie regelmäßig Briefe schrieben. 

    „Er hat immer sehr viel Zeit mit den Kindern verbracht. Er spielte mit ihnen, fuhr die Kleinen mit dem Fahrrad herum, machte Touren mit unserem Großen. Sie waren es gewohnt, dass Mama die Hausarbeit macht und sie unterrichtet. Papa war für sie Freizeit, Ferien. Er dachte sich immer Abenteuer für sie aus: bei Hitze im Springbrunnen baden, mit dem Großen nachts heimlich Schawarma essen fahren oder mitten in Minsk einen Igel aufspüren und ein Video von ihm machen. Er steckte voller verrückter Ideen.“ 

    Andrej Budai war Im Juli 2021 verhaftet worden. Nach der Festnahme kamen Mitarbeiter des GUBOPiK mehrfach zu ihm nach Hause, durchsuchten die Wohnung nach Waffen – alles vor den Augen der Kinder. Andrej Budai leitete zuvor ein Bauunternehmen. 

    Die Familie nach ihrer Auswanderung nach Litauen / Foto © privat
    Die Familie nach ihrer Auswanderung nach Litauen / Foto © privat

    *** 

    In der Zeit, in der die Familie als „sozial gefährdet“ galt, sprach Galina mehrfach mit dem Schulamt. Einmal sagte man ihr: „Ihnen ist doch wohl klar, dass Sie diesen Status nicht ewig behalten werden. Beim nächsten Mal übergeben wir Ihre Akte einfach der Staatsanwaltschaft, und dann geht es bis hin zum Kindesentzug.“ 

    „Man hat mir also zu verstehen gegeben, dass sie mir die Kinder wegnehmen, wenn ich nicht pariere“, erinnert sich Galina. Das war der Moment, in dem sie zum ersten Mal ernsthaft darüber nachdachte, das Land zu verlassen. Für 2023 war bereits die dritte Sitzung der Kommission anberaumt. 

    „Im Herbst wollten wir Andrej in der Kolonie besuchen. Wir wollten ihn so gerne sehen, bevor wir wegziehen, aber die Lagerleitung hat uns nicht zu ihm gelassen. Diese Situation zog sich bis zum Winter hin, der Druck wurde immer größer. Dann brach der Kontakt zu meinem Mann ab.“ Später erfuhr Galina, dass Andrej in eine andere Kolonie verlegt worden war. 

    *** 

    Galina reiste mit ihren Kindern nach Litauen aus. Die Großmutter blieb und bekam noch mehrmals Besuch von diversen Behörden, die wissen wollten, wo die Kinder sind. Die Familie hatte immer noch den Status „sozial gefährdet“. „Aber das ist nicht mehr unsere Sache“, sagt Galina. 

    In Litauen hat die Familie nun eine Aufenthaltserlaubnis, aber vor Galina liegen noch viele Herausforderungen: Arbeit finden, in die Krankenversicherung aufgenommen werden, die Sprache lernen und den Kindern dabei helfen und darauf achten, dass sie ihren Vater nicht vergessen. „Wir beten für ihn und unterstützen ihn, so gut es geht. Wir erinnern uns an gemeinsame Momente mit ihm, was er zu wem gesagt hat. Denken daran, dass wir ein Team sind. Wie unser Team am Ende abschneidet, hängt davon ab, wie jeder einzelne von uns mit der Situation umgeht. Auch wenn mein Mann physisch nicht anwesend ist, sind wir trotzdem immer zusammen.“ 

    Der älteste Sohn Daniil ist in den letzten Monaten merklich erwachsener geworden, er möchte seiner Mutter eine Stütze sein. Marija und Wanja vermissen ihren Papa sehr. Wanja habe lange nicht darüber gesprochen, erzählt Galina, aber jetzt habe er ihr anvertraut, dass sein Papa ihm fehle und es ihm wehtue, andere Jungen mit ihren Vätern zu sehen. Zu Hause in Belarus hatte Wanja eine ganze Sammlung von selbstgezüchteten Veilchen, die er zurücklassen musste. Jetzt hat Wanja auch in der neuen Heimat sein Hobby wiederaufgenommen und kümmert sich um seine Blumen. 

    Andrej Budai befindet sich währenddessen in der Strafkolonie IK-2 in Bobruisk, wo er regelmäßig in den Strafisolator gesperrt wird. Am 23. September 2024 wurde eine neue Anklage gegen den Politgefangenen verhandelt: wegen „böswilligen Ungehorsams gegen die Lagerverwaltung“. 

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    Seit anderthalb Jahren gab es keine direkten Informationen über den Zustand der belarussischen Oppositionellen Maria Kolesnikowa, die zu elf Jahren Haft verurteilt wurde. Nun sind Informationen durchgedrungen, die von ehemaligen Mitgefangenen stammen sollen. Demnach soll sich der Zustand der 42-Jährigen rapide verschlechtert haben, sie werde buchstäblich ausgehungert und wiege nur noch 45 Kilogramm.  

    Der belarussische Ableger des Onlinemediums Mediazona hat mit einem anonymen Informanten über die menschenunwürdigen Haftbedingungen gesprochen.  

    Seit mehr als eineinhalb Jahren haben Maria Kolesnikowas Angehörige keine Briefe mehr von ihr erhalten. Fast die gesamte Zeit befindet sie sich in einer Isolationszelle, in der es kein warmes Wasser gibt und nach Kanalisation riecht. Aufgrund ihres Magendurchbruchs kann sie kein Gefängnisessen zu sich nehmen, für Einkäufe im Gefängnisladen darf sie nur 40 Belarussische Rubel (ca. 11 Euro) im Monat ausgeben. Ihre Schwester Tatjana Chomitsch teilt mit, dass Kolesnikowa nur 45 Kilogramm wiege. Eine Quelle, die mit Kolesnikowas Haftbedingungen vertraut ist, hat Mediazona erzählt, was darüber bekannt ist.

    Verleihung des Karlspreises in Aachen, 26.05.2022. Bild von Maria Kolesnikowa, Preisträgerin in Abwesenheit / Foto © UtexGrabowsky/photothek.de/ IMAGO

    „Als würdest du im Klo leben“. Die Bedingungen in der Isolationszelle 

    Maria Kolesnikowa befindet sich seit dem 10. März 2023 in einer Isolationszelle (russ. PKT) der Frauenstrafkolonie Nr. 4 in Homel. Sie kam in die Isolationszelle. Drei Monate zuvor war sie mit Bauchfellentzündung aufgrund eines Magengeschwürs (Durchbruch der Magenwand) in die Notaufnahme eingeliefert worden war. 

    Die Isolationszelle hat eine Größe von etwa 1,60 mal 2,50 Metern. An den Wänden sind zwei Pritschen für je zwei Personen befestigt, die nur zur Nachtruhe von 20:30 bis 5:00 Uhr heruntergelassen werden. Die Toilette ist ein Loch im Boden einer Zellenecke, ein Blech von der Größe einer aufgeschlagenen Zeitung soll als Sichtschutz dienen. Diese Trennwand erfüllt ihren Zweck nicht: Egal, wie man sich hinhockt, man wird entblößt zu sehen sein. 

    „Der Gestank bleibt im Raum, du atmest ihn täglich ein. Du wohnst also quasi auf dem Klo“, sagt der Gesprächspartner Mediazona. In der Mitte der Zelle stehen am Boden befestigte schmale „Sitze“ und eine aus Metall geschweißte Truhe, die man ebenfalls nicht verschieben kann. Am Waschbecken gibt es nur kaltes Wasser, einmal pro Woche darf man in den Duschraum. Das einzige Fenster befindet sich direkt unter der Decke und ist auf der Innenseite vergittert. Zwischen dem Gitter und dem äußeren Fensterrahmen liegen etwa 60 Zentimeter Mauer. 

    Aufgrund ihrer Erkrankung müsste Maria eine spezielle Diät einhalten, doch in der Isolationshaft bekommt sie das, was auch die anderen Gefangenen essen. Als Maria nach dem Krankenhausaufenthalt in die Strafkolonie zurückkehrte, bat sie ihre Angehörigen, sie mit Breiflocken zu versorgen – die einzige Nahrung, die sie essen durfte. In der Isolationszelle darf sie jedoch nur einmal alle sechs Monate ein Päckchen oder kleines Paket erhalten (Art. 114 der Strafvollzugsordnung). 

    Dem Gesprächspartner von Mediazona zufolge verschlechtert sich Marias Gesundheit aufgrund der Mangelernährung und der unmenschlichen Bedingungen, denen sie seit anderthalb Jahren ausgesetzt ist. Das hat sie der Gefängnisverwaltung bereits mitgeteilt. 

    Bei einer Zellenkontrolle sagte Maria im Beisein des Leiters der Kolonie: „Ich mache mir Sorgen um meine Gesundheit“, und fragte, wo ihre Medikamentensendungen und ihre Briefe seien. Der Leiter antwortete, alle hätten sie vergessen. Einer Quelle von Nowy Tschas zufolge erhielt Maria trotz ihrer Bitten lange keine medizinische Hilfe, und Briefe wurden vor ihren Augen zerrissen. 

    Der Tagesablauf 

    In der Isolationszelle steht Maria jeden Morgen um fünf Uhr auf, klappt das schwere „Bett“ hoch und befestigt es an der Wand. Dann öffnet sich die Tür – die Gefangene nimmt den Abfalleimer und verlässt in Begleitung eines Vollzugsbeamten die Zelle, um einen Lappen und Chlorwasser zu holen. Zum Putzen hat sie etwa 15 Minuten, dann sammelt eine Gefangene aus der Hauswirtschaftskolonne alle Lappen wieder ein. 

    Gegen sechs Uhr morgens wird das Frühstück gebracht. Gewöhnlich ist es Brei mit Fettzusatz, ein Stück Weißbrot und süßer Tee. „Der Brei ist mit Milch. Er hat definitiv eine Fettbeigabe, damit er einigermaßen nahrhaft ist. Der Tee ist so extrem süß, dass man ihn nicht trinken kann“, erzählt der Gesprächspartner. Manchmal gibt es zum Frühstück auch ein gekochtes Ei oder – im Fall der Aufbaunahrung, die Maria nach der Operation bekam – Quark. Während der Mahlzeiten verteilt ein Arzt die Medikamente, die den Insassinnen verschrieben wurden. Manchmal wird bei Maria morgens ein EKG gemacht. Nach dem Frühstück ist Zellenkontrolle. Wieder geht die Tür auf, die Vollzugsbeamten kontrollieren ihr Äußeres und die Sauberkeit der Zelle. 

    Von 8:30 bis 9:00 Uhr wird sie zum Spaziergang in einen Innenhof geführt, der 1,50 mal 1,50 Meter groß und oben übergittert ist. Wer in Isolationshaft ist, dem steht nur eine halbe Stunde täglich zu. „Spaziergang ist zu viel gesagt. Eher eine halbe Stunde draußen stehen. Um diese Zeit kommt dort auch keine Sonne hin.“ 

    Nach dem Spaziergang sitzt Maria den ganzen Tag in der Zelle. Sie hat ein Handtuch, eine Zahnbürste und Zahnpasta, Toilettenpapier, (vielleicht) einen Becher und ein Buch. In der Isolationszelle kann man während der Mahlzeiten mit Erlaubnis der Mitarbeiter Wasser kochen – aber nur, wenn es einen Wasserkocher gibt und man einen eigenen Becher hat. 

    Um zwölf Uhr wird das Mittagessen verteilt. Es gibt Fruchtkaltschale oder Kompott aus Trockenfrüchten, eine Suppe und ein Hauptgericht (zum Beispiel Plow). Abendessen gibt es um 18:00 Uhr, das kann zum Beispiel Kartoffelbrei und gebratener Fisch sein. Um 20:30 Uhr beginnt die Vorbereitung auf die Nachtruhe – Maria klappt ihr „Bett“ aus. Um 21:00 Uhr ist Schlafenszeit, das Licht in den Zellen bleibt jedoch an. 

    40 Rubel pro Monat für Einkäufe im Laden 

    Maria darf pro Monat 40 Rubel (eine Basiseinheit laut Art. 114 der Strafvollzugsordnung) von ihrem Konto für Einkäufe im Laden der Strafkolonie ausgeben. Lagerinsassen, die sich nicht in Isolation befinden, werden in den Laden begleitet und dürfen sich dort die Waren selbst aussuchen. Maria schreibt eine Liste, das Geld wird von ihrem Konto abgezogen, und die Vollzugsbeamten bringen ihr die Produkte in die Zelle. Da Maria das Angebot nicht so genau kennt, kann es vorkommen, dass es das Gewünschte nicht mehr gibt. 

    Wir haben im Online-Shop der Strafkolonie 4 die Preise studiert und uns überlegt, was Maria dort für 40 Rubel kaufen könnte: 

    – 10 Rollen Toilettenpapier: 4,60 BYN 

    – 1 Packung Damenbinden: etwa 4 BYN 

    – Zahnpasta und Zahnbürste: 10 BYN 

    – Duschgel: 6,50 BYN 

    – Shampoo: fast 8 BYN 

    Wenn sie in einem Monat alle Hygieneprodukte kaufen muss, bleiben ihr etwa sieben Rubel für Essen: 

    – Tee und Kaffee: etwa 15 BYN 

    – Buchweizenflocken: 3,50 BYN 

    – 1 Packung Quark: 2 BYN 

    – Dorschleberkonserve: 20 BYN 

    – 1 Kilo Orangen: etwa 7 BYN. 

    Sie könnte zum Beispiel auch Chinakohl kaufen, für 7 Belarussische Rubel das Kilo. Oder Weißkohl für 1,5 Belarussische Rubel das Kilo, der aber schwerer und daher pro Stück teurer ist. 

    Dem Gesprächspartner von Mediazona zufolge kann Maria sich von den Hygieneprodukten Seife (die auch als Shampoo dient), Duschgel und Deodorant leisten. Toilettenpapier braucht man auf Vorrat, es ist vielseitig verwendbar, auch als Taschentuch und Slipeinlage“. Von den Nahrungsmitteln kauft sie die billigsten Kekse und Tee, Kaffee ist hingegen ein „großer Luxus“. „Letztlich muss sie sich entscheiden: entweder essen oder Haare waschen oder Toilettenpapier“, sagt der Gesprächspartner.

    „Die Situation ist nicht hart, sondern extrem gefährlich“ 

    Für den Aufenthalt in einer Isolationszelle legt die Strafvollzugsordnung eine maximale Dauer von sechs Monaten fest. Maria wurde jedoch weder nach einem halben noch nach einem Jahr entlassen. Unter gewöhnlichen Haftbedingungen – also nicht in Isolationshaft oder in der Strafzelle – leben die Frauen zu mehreren Dutzenden in sogenannten Baracken. Sie werden zur Arbeit, in den Speisesaal, in den Klub, in den Laden geführt. 

    Den Informationen von Mediazona zufolge wird Maria Kolesnikowa noch immer in Isolationshaft gehalten – bereits anderthalb Jahre lang. Fast die gesamte Zeit hat sie allein in der Zelle verbracht. Bekannt ist, dass einmal eine „zänkische“ Insassin in ihre Zelle einquartiert wurde. Kurz bevor Maria eigentlich aus der Isolation in ihre Gruppe zurückkehren sollte (am 10. März 2024), wurde sie wegen Respektlosigkeit dem Personal gegenüber mit drei Tagen Haft in der Strafzelle (SCHISO) bestraft. Ehemalige politische Gefangene erzählen, dass man im Grunde für alles gerügt werden kann, was man zum Gefängnispersonal sagt. Zum Beispiel für die Anrede „junger Mann“. Nach der Strafzelle kam Maria wieder in die Isolationszelle (PKT). 

    „Diese Situation ist nicht hart, sondern sie ist extrem gefährlich. Natürlich warten sie auf ein Reuebekenntnis von Mascha“, mutmaßt der Gesprächspartner. Den letzten Brief von Maria erhielten ihre Angehörigen am 15. Februar 2023. Sie selbst darf keine Post erhalten, ein Anwalt wird nicht vorgelassen. 

    Marias Schwester Tatjana Chomitsch schrieb dazu [auf Facebook]: „Meines Wissens leidet Maria in der Kolonie an Hunger. Sie wiegt 45 kg bei einer Größe von 1,75 m. Ihre Krankheit erfordert eine Diät, daher kann sie von der Gefängnisverpflegung nicht viel essen. […] Jemandem mit Magengeschwür Lageressen zu geben, ist praktisch Folter und ein langsamer Mord. Jemandem das Recht zu entziehen, seiner Familie zu schreiben, beschleunigt diesen Tod.“ 

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    „Du hörst auf, dich als vollwertiger Mensch zu fühlen”

    Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022, der zu jener Zeit auch von belarussischem Territorium aus geführt wurde, gab es zahlreiche Sabotageakte an Eisenbahnstrecken in Belarus. Denn die russische Armee nutzte die Infrastruktur im Nachbarland für den Transport von Militärgerät und Soldaten. Viele der sogenannten Eisenbahnpartisanen wurden schließlich festgenommen und zu drakonischen Haftstrafen verurteilt. Andere versuchten zu fliehen. Für solche Fluchtpläne braucht es mutige Aktivisten, die dafür selbst riskieren, festgenommen zu werden. So ist es Alesja ergangen: Die junge Frau tappte in eine Falle der belarussischen Sicherheitsbehörden und erlebte danach ein Martyrium in verschiedenen Haftanstalten. Das belarussische Online-Medium Mediazona Belarus hat ihre Geschichte aufgeschrieben. 

    Alesja steht entkleidet im Flur der Übergangshaftanstalt in Mahiljou, einer speziellen Ecke ohne Videokameras, wo die „nackte Durchsuchung“ stattfindet. Eine blonde Polizeibeamtin schiebt ihr einen Finger in den Mund, um nachzusehen, ob Alesja dort etwas versteckt. Ihr werden mehrere Artikel des Strafgesetzbuches vorgeworfen, darunter unter anderem Terrorismus. Später wird Terrorismus aus der Anklage gestrichen, Alesja wird zu dreieinhalb Jahren Strafkolonie verurteilt. Sie übersteht die Prügel während der Verhöre und die Haft, flüchtet nach der Entlassung nach Vilnius und erzählt nun Mediazona ihre Geschichte.  

    Alesja Bunewitsch (mittig) mit Swetlana Tichanowskaja und ihrem Mann Oleg Meteliza bei Feierlichkeiten zu Kupalle / Foto © privat 

    Alesja wurde im April 2022 nahe der litauischen Grenze festgenommen. Auf Bitten ihres Mannes, des in Litauen tätigen belarussischen Aktivisten Oleg Meteliza, hatte sie jemandem helfen wollen, die Grenze nach Litauen sicher zu überqueren. Alesja wusste nichts über die Identität dieser Menschen, aus Sicherheitsgründen bekam sie keine Informationen, damit sie „im Fall der Fälle“ im Verhör keine Namen nennen konnte. „Ich sollte das Gelände begutachten, ob man da durchkommt. Allgemeine Informationen sammeln, ob dort Grenzsoldaten sind, wie die Qualität der Wege ist, ob es Kameras gibt, Beleuchtung und so weiter.“ 

    Später stellte sich heraus, dass diese Fluchtvorbereitungen einer Gruppe von Eisenbahnpartisanen aus Babrujsk galten. Allerdings waren sie einige Tage vorher verhaftet worden, einem von ihnen schossen die Silowiki ins Knie. Das Urteil gegen die Eisenbahnpartisanen aus Babrujsk erging im Februar 2023: Dmitri Klimow und Wladimir Awramzew wurden zu je 22 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, Jewgeni Minkewitsch zu anderthalb Jahren Haft. Für Alesjas Festnahme inszenierten die Silowiki eine Spezialoperation, für die sie sich als jene Aktivisten aus Babrujsk ausgaben.  

    Alesja erinnert sich: Sie stand an einer Position, an der sie die Umgebung des Dorfes Salatje im Gebiet Hrodna im Blick hatte, sah das Auto, in denen sie die Partisanen vermutete. Allerdings fuhr es im Kreis, was Alesja ziemlich seltsam vorkam, da man sich dort eigentlich nicht verfahren konnte. „Dann hielten sie also an und nahmen mich fest. Ich verstand überhaupt nicht, was da passierte. Sie hatten sich auch nicht vorgestellt. Sie zückten ein Messer, bedrohten mich, ich solle mein Telefon hergeben. Dann schubsten und zerrten sie mich, stießen mir die Ellbogen in die Rippen, obwohl ich gar nichts machte, ich saß nur still da, weil ich unter Schock stand. Irgendwann schrie ich sogar ,Hilfe, Banditen!’. Weil sie ja wirklich so aussahen.“ 

    Sie taserten uns mit dem Elektroschocker 

    Alesja wurde in einen Wald gebracht, in dem bereits einiges los war – bewaffnete Silowiki in Sturmhauben, viele Fahrzeuge – PKWs, Kleinbusse. Auch der Belarusse Alexej Kowalewski wurde dorthin gebracht. Er hatte nichts mit den Eisenbahnpartisanen zu tun, wollte nur zusammen mit ihnen die Grenze überqueren. Zuvor war er wegen der Teilnahme an den Protesten in Minsk zu Strafarbeit verurteilt worden. Alesja fielen deutliche Spuren von Prügel an ihm auf. Die Silowiki stellten sie einander gegenüber, um herauszufinden, ob sie sich kannten. Alexej und Alesja sahen einander zum ersten Mal.  

    „Sie stellten uns zur Durchsuchung nebeneinander auf, die Hände in Handschellen erhoben, sie taserten uns mit dem Elektroschocker, erst ein Bein, dann das andere. Danach schlugen sie uns einfach ins Gesicht. Nicht fest, aber ich hatte vorher nie Gewalt erlebt. Ich wehrte mich nicht, versuchte nur, mit ihnen zu reden – was passiert und warum man mich festhält. Irgendein Ranghöherer kam und behauptete, ich sei eine europäische Prostituierte, die für Geld Verbrechen begehe. Und gab dann den Befehl, mich zu verhören.“ 

    Irgendwann trat ein Mann in Lederhandschuhen an Alesja heran. Er fasste sie am Hals und begann Fragen zu stellen: „Wie viele seid ihr in eurer Bande? Wo sind die anderen? Wer sollte euch hier abholen?“ Alesja antwortete nicht, der Mann würgte sie. Er drückte ihr immer fester die Kehle zu, bis sie fast das Bewusstsein verlor. „Was weiter geschah, liegt völlig im Nebel, ich sagte gar nichts mehr, erst dann beschlossen sie, mich zum KGB zu bringen.“ Die Verhöre dauerten mehrere Stunden, manchmal den ganzen Tag. Aus der Arrestzelle wurde sie zum KGB gebracht. Dort wurde Alesja zwar nicht mehr geschlagen, aber gezwungen, lange mit nach vorn ausgestreckten Armen dazustehen. Einer der Silowiki fuchtelte mit einem eisernen Lineal, als würde er ihr gleich auf die Hände schlagen. 

    „Ich dachte – versuch’s nur. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, ich nehme dir dein Lineal weg und schlage selbst damit zu. Wieso behandelt ihr mich so, ich benehme mich doch normal, ich wehre mich nicht, leiste keinen Widerstand. Ich will einfach nur verstehen, wo ich hineingeraten bin.“ 

    Im Verhör wurde Good Cop – Bad Cop gespielt: Einer sprach sanfter und stellte persönliche Fragen, der andere fragte nur zur Sache. Trotz allem machte Alesja Aussagen, die auf Video aufgenommen und später auf dem TV-Sender ONT gezeigt wurden. Sie hatte dem Propagandafernsehen ein Interview verweigert, weshalb diese Mitschnitte der Verhöre in dem Beitrag aufgenommen wurden „Das Schlimmste war für mich, dass ich in dem Video einen wirklich hässlichen Hut trug, weil ich einen blauen Fleck im Gesicht hatte, und weil ich überhaupt nicht gut aussah. Ich wollte nicht, dass mein Vater und meine Bekannten mich so sehen.“ 

    Aus der Untersuchungshaft nach Mahiljou 

    Aus Hrodna brachte man Alesja in die Übergangshaft nach Mahiljou. Über die Mitarbeiter dort sagt Alesja: „Bestien, anders kann man es nicht sagen. Die Frauen, die dort arbeiten, behandelten mich, als hätte ich ein Baby gefressen und wäre stolz darauf.“ Als ihre Menstruation begann, verwehrte man ihr die Aushändigung von Hygieneartikeln.   

    „Einmal drohte ich, kein Wort mehr zu sagen, bis ich Binden bekomme. Denn ich bin eine Frau und sitze jetzt in Hosen voller Blut vor euch, weil ich einfach nichts habe. Selbst meine Anwältin bat um Erlaubnis, mir Hygieneartikel zu kaufen und mitzubringen, das sei doch nicht mehr normal. Schließlich brachte mir der Ermittler Kontaktlinsenflüssigkeit, Feuchttücher, Tampons und Binden. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn ich saß wirklich in vollgebluteten Hosen dort.“ 

    Alesja hatte keine Wechselkleidung, die Schuhe hatte man ihr weggenommen, deshalb musste sie zu den Befragungen und Durchsuchungen in Socken über den Flur. Waschmittel hatte sie auch keines – für sie wurden keine Päckchen angenommen, nicht einmal Seife. Besonders erniedrigend waren die Durchsuchungen, erinnert sich die politische Gefangene. Sie musste sich komplett ausziehen, die Beamtinnen steckten ihr die Finger in den Mund, um zu schauen, ob dort nichts versteckt wäre.  

    „Die Fressluke öffnet sich, du streckst die Hände raus, sie legen dir Handschellen an. Dann öffnen sie die Zelle, du trittst heraus, sie führen dich in die Ecke, wo du dich ausziehen musst. Ich dachte gerade noch: Was für ein hübsches Mädchen, so blond, so gepflegt, das Gesicht und die Nägel. Und da sagte ebendieses Mädchen: ,Na los, Schlampe, zieh dich aus. Stringtanga? Ist der nicht zu klein?´“ 

    Vor der Verhaftung hatte Alesja mit ihrer Familie mehrere Jahre in Vilnius gelebt. Dort wartete auch ihr neunjähriger Sohn auf sie. Er hätte sie im Gefängnis besuchen können, doch die Eltern entschieden sich bewusst dafür, Kastus nicht nach Belarus zu bringen. Sie verschwiegen ihm nichts, aber, so erinnert sich Alesja, begriff er eigentlich bis zuletzt nicht richtig, was das alles bedeutete. „Die ersten Briefe, die er mir schickte, waren ganz kurz und trocken, als wäre ihm nicht klar, wie lange das dauern würde. Er dachte, ich würde bald zurückkommen. Ich hatte das Gefühl, dass er nicht freiwillig schrieb, dabei hatte ich meinen Mann gebeten, ihn nicht zu zwingen. Später verstand er irgendwie von selbst, dass ich nicht so bald nach Hause kommen würde. Da wurden seine Briefe ausführlicher, er schrieb mir, wie sein Tag war, was es zu essen gab, worüber er lachen musste, welche Filme er guckte.“ 

    Oft schrieb der Sohn an die Mutter: „Du bist meine Heldin, ich weiß, dass du Menschen geholfen hast.“ Das beruhigte Alesja – sie hatte sich große Sorgen gemacht, dass ihr Sohn denken könnte, die fremden Leute seien ihr wichtiger gewesen als er. Im Straflager wollte Alesja irgendwann keine Videoanrufe mit ihrem Sohn mehr führen. Der Grund dafür war, dass immer ein Polizeibeamter anwesend war, der in die Kamera schaute und die Gespräche mithörte. Diese Entscheidung fiel ihr nicht leicht.  

    „Ich konnte nicht zulassen, dass einer, der mir so zuwider ist, meinen Sohn sieht und unser belarussischsprachiges Gespräch hört. Belarussisch ist für die alle ohnehin ein schwieriges Thema. Deshalb ging ich einfach nicht mehr hin, entschuldigte mich in Briefen und in den normalen Telefonaten dafür. Ich sagte: Tut mir leid, Kind, ich kann das nicht.“ 

    Von einem Gefängnis ins nächste 

    Alesja wurde aus der Übergangshaft ins Untersuchungsgefängnis von Mahiljou verlegt. Die Bedingungen dort nennt sie „wie im Sanatorium“: frisch renovierte Zellen, viel Platz für persönliche Habseligkeiten und abends Warmwasser. Die „Extremisten” wurden besonders streng gehalten, aber „daran konnte man sich gewöhnen“. Einmal schrieb die Belarussin beim Hofgang den berühmten Satz „Russisches Kriegsschiff, fick dich“ an die Wand. Unter dem Schriftzug tauchten immer mehr Pluszeichen auf. In einem anderen Innenhof stand „Glauben! Können! Siegen!“

    In Mahiljou verbrachte sie fünf Monate. Dann wurde der Anklagepunkt Terrorismus fallengelassen und sie in ein Untersuchungsgefängnis in Hrodna überstellt. „Ich hatte mich gerade an Mahiljou gewöhnt, da ging wieder alles von vorn los – neue Mitinsassen, neue Zelle, sogar ein neuer Ermittlungsbeamter wurde mir zugeteilt.“ Im Untersuchungsgefängnis Hrodna herrschten schlechtere Bedingungen. Alesja erinnert sich an alte, winzige Zellen, die schon lange nicht renoviert worden waren. In einer Zelle für vier Personen konnte man gleichzeitig auf dem Bett sitzen und sich die Hände im Waschbecken waschen. 

    „Das war einfach eine Welt für sich, wie indische Slums. Winzige Zellen, niedrige Decken, alles dreckig. Als ich meine erste Zelle sah, kamen mir direkt die Tränen, aber dann nahm ich das Waschpulver, das ich noch hatte, und irgendeinen Schwamm und begann alles zu schrubben, weil es schon furchtbar war, einen Fuß auf diesen Boden zu setzen.“ 

    Die Gerichtsverhandlung 

    Im Untersuchungsgefängnis Hrodna verbrachte die Aktivistin weitere fünf Monate, dann kam ihr Fall endlich vor Gericht. Alesja machte sich vor dem ersten Gerichtstermin große Sorgen. Sie wurde in Handschellen zur Verhandlung gebracht, da die Begleitpolizei wohl nicht informiert war, dass sie nicht mehr wegen Terrorismus angeklagt war. Beim ersten Termin konnte sie ihre Familie und Freunde sehen, danach wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, da angeblich geheime Informationen zur Sprache kämen. „Lächerlich, wo sie doch alles längst auf ONT berichtet hatten.“ 

    Das Gericht verurteilte Alesja zu dreieinhalb Jahren Strafkolonie. Später wurde ihre Haft per Amnestie auf ein Jahr verkürzt – ihr Vergehen (illegaler Grenzübertritt mit Vorsatz) war nicht politisch, sie stand auf keiner Extremistenliste und die Einzelheiten des Falls schaute sich offenbar niemand so genau an. 

    Haft in der Frauenkolonie 

    Es begann ein „neues Leben“ in der Frauenkolonie IK-4 in Homel. Alesja berichtet nicht detailliert über das Lager, um jene nicht zu gefährden, die noch dort einsitzen. „Jedes Mal, wenn jemand aus der Kolonie entlassen wurde und ein Interview gab, bekamen wir das zu spüren. Einmal wurde zum Beispiel berichtet, dass [die politische Gefangene] Marfa Rabkowa regelmäßig in die Turnhalle geht. Seitdem darf sie da nicht mehr hin, vermutlich bis zum Ende ihrer Haftzeit. Man darf also auch nichts Positives sagen. Und sagst du etwas Negatives, zum Beispiel, dass es im Gefängnisladen keine Gurken gibt, nur Tomaten – dann sind auch die Tomaten weg. So funktioniert das. Und das ist schlimm: Du kommst raus und denkst, jetzt erzähle ich alles, wie es wirklich ist, wie sie die Menschen misshandeln. Aber dann verstehst du, dass es nur schlimmer wird, wenn du darüber sprichst.“ 

    Man degradiert völlig, alle anderen Bedürfnisse sind ausgelöscht

    Am schwersten war für Alesja in der Strafkolonie, dass sie keine Zeit für sich und keine Wahl hatte: Egal, wohin du gehst oder was du machst – du gehörst dir nicht. „Du hörst auf, dich als vollwertiger Mensch zu fühlen. Das System ist darauf ausgerichtet, dass du die ganze Zeit nur darüber nachdenkst, was du essen und wann du dich waschen kannst. Wie ein Tier, du überlegst nicht, welches Buch du lesen willst oder was du in einem Brief schreiben könntest. Die Gedanken drehen sich im Kreis: Morgen sieht es schlecht aus mit Frühstück, also muss ich wenigstens einen Kaffee trinken. Danach habe ich drei Dienste, dann Inventarkontrolle, wann kann ich in den Waschraum, ich muss ein Schlupfloch finden. Man degradiert völlig, alle anderen Bedürfnisse sind ausgelöscht.“ 

    Die Zeit in der Kolonie vergeht schnell, erzählt Alesja, und wenn weniger als hundert Tage bis zur Entlassung verbleiben, tauchen die Gedanken an die Freiheit auf „Du erlaubst dir, dich auf Dinge zu freuen und Pläne zu schmieden. Du lässt dir zwei Monate im Voraus einen Termin zur Maniküre machen und sehnst dich nach gepflegten Haaren und einer neuen Brille. Nach der Rückkehr in ein normales Leben. Aber das verbirgst du vor den anderen, die noch lange dortbleiben müssen, um ihnen nicht wehzutun. Sie freuen sich zwar aufrichtig für dich, aber du fühlst dich trotzdem schuldig.“ 

    Endlich in Freiheit 

    Alesja kam am 3. Mai 2024 frei. Es war ihr nicht gestattet, ihr Uniformkleid mitzunehmen, obwohl sie die Lagerkleidung selbst bezahlt hatte. „Sie nahmen mir alles weg, nicht mal die Socken, die dort ausgegeben wurden, durfte ich mitnehmen. Dabei hätte ich mit dieser Kleidung etwas vorgehabt, ich wollte sie den Leuten draußen zeigen.“ 

    Am Lagertor wurde sie von Freundinnen abgeholt – sie brachten sie in eine Wohnung, wo sie sich duschen und umziehen konnte, dann luden sie sie zu einem leckeren Essen in ein Café ein. „Als ich dann endlich zu Hause war, ging ich am späten Abend, gegen 23 Uhr, entspannt im Hausmantel vor die Tür, zündete mir eine Zigarette an und begriff – das ist es, es ist real. Endlich Freiheit. Ich kann mir das erlauben.“ 

    Einige Tage später kamen Polizisten, um sie zu kontrollieren. Sie kamen immer wieder, auch nachts, und durchsuchten ihr Handy. Später wurde sie unter Führungsaufsicht gestellt, musste zwischen 22 und 6 Uhr zuhause bleiben und durfte die Stadt nicht verlassen. Alesja plante schließlich die Ausreise – in Litauen warteten Ehemann und Sohn auf sie, und die erhöhte Aufmerksamkeit der Silowiki zwang sie zur Eile. Im Juni kam die Belarussin in Vilnius an.   

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    Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

    Darja, Oblast Mogiljow
    Ich wollte eine Freundin in Polen besuchen, die schon vor einigen Jahren unfreiwillig emigriert ist. Ich ging also belarussische Süßigkeiten einkaufen. Im Geschäft Krasny Pischtschewik kaufte ich praktisch alles – die Freundin hatte nach Neuheiten gefragt. Eine ziemlich große Tüte war zusammengekommen. Die Damen an der Kasse fragten: „Für wen kaufen Sie denn so viel?“ Ich erzählte, dass ich einer Freundin im Ausland Süßigkeiten aus der Heimat mitbringen wolle. Die Verkäuferinnen begannen mich auszufragen, wohin es gehe, Polen oder Georgien, und gaben mir dann schließlich noch eine Packung einer neuen Geleesorte für die Freundin mit – einfach so, aus Solidarität, als Geschenk von ihnen.

    Swetlana, Minsk
    Im Winter ging ich in ein Geschäft im Einkaufszentrum und probierte eine Mütze auf. Normalerweise gefällt mir selten etwas, und ich trage auch kaum Mützen, aber diese war wie für mich gemacht. Ich wollte sie unbedingt kaufen. Aber ich hatte nur die Geldkarte, Bargeld trage ich selten bei mir. Ich kramte zusammen, was noch im Portemonnaie steckte – es fehlte ein Rubel. In diesem Augenblick rief meine Schwester an. Ich erzählte ihr von der tollen Mütze, die ich gefunden habe, aber nicht kaufen kann, weil mir genau ein Rubel fehlt. Ich wollte den Laden gerade verlassen, da hielt mich eine Verkäuferin auf und gab mir einen Rubel: „Hier, nehmen Sie, das ist eine Kleinigkeit, machen Sie sich die Freude.“ Ich bedankte mich natürlich bei ihr, darauf sagte sie: „Seit 2020 helfen die Belarussen einander doch noch ganz anders.“ Mir wurde gleich sehr leicht ums Herz.

    Jelena, Minsk
    Ich musste das Land verlassen. Ohne jetzt ins Detail zu gehen: Es brannte noch nicht, aber sie hätten jeden Moment vor meiner Tür stehen können. Ich musste im Notfallmodus alles verkaufen und verschenken, was in unserer Mietwohnung stand. Möbel, einen großen Kühlschrank, eine Waschmaschine – und einen Haufen Kleinkram.
    Ein Freund arbeitete in einem Laden für Haushaltstechnik, dort gab es einen Transporter und Möbelträger. Ich verabredete mit ihm, dass er mir hilft und ich ihn und die Möbelpacker bezahle. Sie fuhren die Möbel zu Freunden, die technischen Geräte zu meinen Eltern, eine ordentliche Runde durch die ganze Stadt. Den schweren Kühlschrank trugen sie in den fünften Stock, auch ein paar Tische. Am Ende der Fahrt fragte ich, was ich schuldig sei. Er antwortete: „Ich sag’s dir später, wir müssen erst rechnen.“ Ich dachte mir, okay, sie werden ihre Tarife haben, abhängig vom Stockwerk, in das sie tragen mussten, und so weiter. Als ich ihn zwei Tage später anrief, sagte er: „Wir haben uns mit den Jungs beraten und beschlossen, dass du uns in Anbetracht der Situation nichts schuldest, wir haben das umsonst gemacht.“ Ganz ehrlich – ich musste weinen.

    Sergej, Oblast Mogiljow (belarussisch)
    Bei uns kam es ganz unerwartet zu einer Welle der Solidarität. In einem der Einkaufszentren gab es eine Aufnahmestelle für herrenlose Haustiere. Natürlich gibt es in der Stadt auch große Tierheime. Das hier war nur eine kleine Unterkunft, in der Kätzchen und Hündchen auf neue Besitzer warteten, und gleichzeitig mit ihren niedlichen Schnäuzchen Spenden für alle anderen sammelten. Ich weiß, dass viele Tiere von dort in ein neues Zuhause fanden. Aber dann passierte irgendetwas und die Aufnahmestelle schrieb auf Instagram, dass die Verwaltung beschlossen habe, ihnen den Mietvertrag zu kündigen. Da ging es aber los! Nicht einfach nur Likes und Kommentare – die Leute gingen persönlich zur Hausverwaltung oder riefen dort an, um ein gutes Wort für die Tierunterkunft einzulegen. Die Verwaltung lenkte ein, will den Vertrag nun nicht mehr kündigen und bat darum, bloß nicht mehr anzurufen. 

    Alexander, Oblast Grodno
    Im Winter kam ich mal wieder in Kurzzeithaft. Vor den Wahlen holen sie bekanntermaßen überall die Aktivisten. Aber diesmal machten sie es anständig, nur zwei Personen, ich konnte im Auto sitzen. Man merkte gleich – das waren Bullen von hier, keine zugereisten. 
    Während der Kurzzeithaft wird man jetzt manchmal für Arbeiten eingesetzt, Müllsortieren oder Ähnliches. Früher konnten wenigstens die Verwandten zu dieser Arbeitsstelle kommen und Essen und Arbeitskleidung vorbeibringen. Jetzt ist das verboten. Aber die Arbeiter, die dort waren, teilten ihr Mittagessen mit uns und brachten uns sogar mal extra was von zu Hause mit, obwohl sie selbst nur ganz wenig verdienen. So war das.

    Maxim, Mogiljow
    Bis zu meiner Festnahme im Jahr 2022 half ich einem Jungen mit einer schweren Erkrankung, Geld für Medikamente und die Behandlung zu sammeln. Es gibt sehr wenige Kinder mit dieser Diagnose in Belarus, und nach 2020 gab es auch keinerlei Aufmerksamkeit mehr für ihre Anliegen. Nicht, dass alle sie vergessen hätten, aber vermutlich bekamen sie weniger Spenden, weil im Land die politischen Gefangenen und die Haftgeschädigten hinzugekommen waren. Ich hatte mich in seine Geschichte stark reingehängt, obwohl das schwerfiel, weil der Kleine wirklich schwerkrank war und es nicht leicht hatte. Als ich wieder freikam, sah ich, dass die notwendige Summe zusammengekommen war, der Junge hatte mit seinen Eltern zur Behandlung ins Ausland reisen können, und sein Zustand war jetzt sogar stabil. Er hatte mir sogar ein Bild gemalt, zum Dank für die Beteiligung an der Sammlung. Bislang konnten wir uns aber – aus bekannten Gründen – noch nicht treffen.

    Irina, Oblast Brest (belarussisch)
    2023 kam ich aus dem Straflager frei. Kürzlich rief der Ehemann einer politischen Gefangenen an, die noch einsitzt. Er hatte sie dort besucht und die Ehefrau hatte ihn gebeten, mich zu finden – sie machten sich im Straflager Sorgen, wie es mir in der Freiheit gehe … Ich erzählte ihm von der Führungsaufsicht und der Miliz. Das Wissen kann nützlich für sie sein, in der Zukunft. 
    Diese Frau wurde in letzter Zeit mehrfach gemeldet, musste in den Strafisolator. Sie ist krank, aber um mich macht sie sich Sorgen, wie es mir in der Freiheit geht. 

    Katerina, Minsk
    Ich hatte ein Vorstellungsgespräch bei einem Online-Supermarkt und die Managerin sprach Belarussisch. Ohne nach Worten suchen zu müssen, richtig gut und flüssig. Es war schön, in Belarus Belarussisch zu hören. Ich glaube, man hört es jetzt häufiger im Ausland, es in Belarus zu sprechen, kommt praktisch einem Einzelprotest gleich.

    Dimitri, Oblast Mogiljow
    Die Inhaber eines der hiesigen Cafés organisierten in ihren Räumen Ausstellungen lokaler Künstler. Kürzlich gab es schon die dritte Vernissage. Ich war dort – einfach super! Viele Leute, Live-Musik, Gespräche, es wurde getanzt. Und alles ohne einen Schluck Alkohol auf den Tischen. Da sage noch einer, in Belarus sei alles verstummt. Für unsere Kleinstadt war das ein großes Ereignis. Man musste keinen Eintritt zahlen, konnte Kunst sehen und Kaffee trinken. Die Wirtin des Cafés kennt sich schon in der lokalen Kunstszene aus und kann alles über die Bilder erzählen. 
    Bei einem der Bilder soll man sich etwas wünschen können. Aber wie denn, frage ich, man kann es doch nicht anfassen? Darauf antwortet sie: Sprechen Sie einfach mit ihm.

    Waleri, Oblast Brest (belarussisch)
    Alles wie immer und gehabt – gute, mutige Leute tun, was getan werden muss. Als ich in Haft war, kümmerte sich ein Freund die ganze Zeit über um meine Frau, rief sie einmal pro Woche an und brachte mir ohne Not weiß-rot-weiße Pastila [eine Süßigkeit aus Fruchtpüree] in die Untersuchungshaft. Zum Ende hin war sie dann schon weiß-kirschrot-weiß, weil der Produzent das Rezept geändert hatte. Als ich in der Strafarbeit war, sammelten zwei andere Leute, die ich kaum kannte, zwei riesige Taschen voll Sachen für mich: Pullover, Hemden, Schuhe, Arbeitskleidung, mehrere Paar Handschuhe. Leute aus unterschiedlichen Kontexten halfen mir buchstäblich die gesamte Zeit über: mit Geld, Obst und Gemüse, allem.

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  • „Ich habe Sehnsucht, dieses Land ist mir sehr nah“

    „Ich habe Sehnsucht, dieses Land ist mir sehr nah“

    Um einem Strafverfahren zu entgehen, verließ die Aktivistin Kira Bojarenko ihre Heimat Belarus. Weil sie von jetzt auf gleich abreisen musste, musste sie ihre Ausweisdokumente zurücklassen. Den 24. Februar 2022, den Beginn der russischen Invasion in die Ukraine, erlebte sie in Kyjiw. Sie flüchtete aus der Ukraine und kehrte nach einiger Zeit dorthin zurück, wurde bei einem Raketenangriff verletzt und wird zurzeit in Polen behandelt.

    Im Interview mit dem belarussischen Ableger des Online-Mediums Mediazona erzählt die Belarussin davon, wie es ist, wenn das Schicksal alle Lebenspläne durchwirbelt, wenn man einfach durchkommen muss, dabei aber seine Ideale nicht aus dem Blick lässt.

    Vor zwei Jahren erwachten die Bewohner eines Kyjiwer Hauses von Explosionsgeräuschen. In dem Haus lebten vor allem Belarussen, die vor den Repressionen geflüchtet waren. Niemand hatte ernsthaft daran geglaubt, dass ein Krieg beginnen würde. Einige Hausbewohner besaßen aus verschiedenen Gründen nicht einmal Papiere, darunter auch die damals 31-jährige Kira Bojarenko. Ihr Pass war bei den belarussischen Sicherheitsbehörden geblieben, als sie das Land überstürzt verlassen hatte, da sie wegen Störung der öffentlichen Ordnung angeklagt worden war. 

    Viele der Hausbewohner beschlossen, die Ukraine zu verlassen. Alle zusammen hatten nur ein Auto, daher sollten zuerst die Kinder und die Erwachsenen ohne Papiere an die polnische Grenze gebracht werden. Noch am selben Tag erreichten sie den Grenzübergang in Hruschiw, mussten dort aufgrund der langen Warteschlange aber bis zum 27. Februar warten. 

    „Es war hart: kleine Kinder im Auto, kaum Sachen dabei, wir hatten nur ein paar Flaschen Wasser eingepackt, und die waren alle. Alle wollten essen und trinken, aber an der Grenze gab es keine Geschäfte, keine Häuser. Die Tankstellen waren schon leergekauft“, berichtet Kira.

    An der Schlange durften nur jene vorbei, die Kinder unter drei Jahren dabeihatten. Eine Frau bat eindringlich darum, vorgelassen zu werden, obwohl ihr Kind älter war, erinnert sich Kira. Die Ukrainerin sagte, dass sie das Kind zur Grenze bringen und dann zurückkommen würde. Letztlich wurde die Frau vorgelassen und kehrte einige Zeit später in Begleitung mehrerer Autos mit Wasser und Nahrung zurück, die sie an die wartenden Menschen verteilte. Die Belarussin erinnert sich, dass ein ukrainischer Grenzer am Kontrollpunkt sagte: „Was wollt ihr eigentlich, ihr Belarussen. Wir haben euch reingelassen, und ihr schießt auf uns.“ 

    „Ich sagte ihm damals: Hier gibt es keine Belarussen, die nicht unter diesem Regime gelitten hätten und die der Ukraine nicht dankbar sind. Was sollen wir denn tun – an die Grenze zurückkehren und die Raketen mit bloßen Händen abfangen?“

    „In Polen ist die Integration schwerer.“ – Rückkehr in die Ukraine

    In Polen erhielten die belarussischen Geflüchteten Hilfe von Freiwilligen – Wasser, Essen und eine Unterkunft in einem Schulgebäude, das als Aufnahmeeinrichtung diente, später dann in einem Dorf bei Warschau. „Unsere größte und einzige Bitte war damals, nicht getrennt zu werden. Wir wollten als Hausgruppe zusammenbleiben, erst einmal zu uns kommen.“

    In Polen erhielt Kira internationalen Schutzstatus. Während ihre Anerkennung geklärt wurde, arbeitete sie in einem Call Center der Organisation Helping to leave, die Ukrainern dabei half, die besetzten Gebiete zu verlassen. Die Belarussin sprach mit Menschen, die Hilfe brauchten, und half bei der Zusammenstellung von Evakuierungsrouten. 

    Im vergangenen Jahr empfahl ihr eine Freundin, die selbst ein Auto für die ukrainischen Streitkräfte überführte und humanitäre Hilfsgüter in die Ukraine brachte, bei einem Transport mitzufahren. Kira fuhr mit Papieren der Organisation, für die sie arbeitete, in die Ukraine und beschloss schließlich, in Kyjiw zu bleiben. In Polen sei es schwierig gewesen, sich zu integrieren, erzählt sie, die Ukraine sei ihr näher, zudem waren da noch Freunde.

    Freiwilligendienst in Cherson: „Unterwegs musste ich mich um Alte kümmern, sie füttern, Windeln wechseln, weil sie oft bettlägerig waren“

    In Kyjiw beschloss Kira, dass sie mehr tun könne als nur Telefondienst. Die Organisation schlug ihr vor, nach Cherson zu fahren und bewegungseingeschränkten Menschen bei der Evakuierung aus der Stadt zu helfen. Kira willigte ein. 

    Die Arbeit bestand darin, Alte und Menschen mit Behinderung bei der Evakuierung aus gefährlichen Stadtteilen von Cherson zu begleiten. Kira zufolge waren das manchmal Leute, die ihr Haus verloren hatten, Menschen, die aus Kellern geholt wurden. Die Freiwilligen (Kira nennt sie „Blutsbrüder“) sammelten die Leute in jenen Stadtteilen ein, die am häufigsten beschossen wurden, und brachten sie zum Bahnhof. Kira fuhr dann gemeinsam mit ihnen mit dem Zug und übergab sie am Zielpunkt anderen Freiwilligen, die sie dann in Gruppenunterkünften unterbrachten. „Unterwegs musste ich mich um sie kümmern, sie füttern, Windeln wechseln, weil sie ganz oft bettlägerig waren.“

    Auf jeder Fahrt begleitete die Freiwillige drei bis sieben Personen. Jede von ihnen hatte ihre eigene Geschichte, einige davon sind Kira besonders im Gedächtnis geblieben. Die erste Geschichte ist die von einem Großmütterchen, das 104 Jahre alt war. „Sie hatte schon einen Krieg überlebt, und jetzt erlebte sie wieder Beschuss und hatte ihr Zuhause verloren.“

    Die zweite Geschichte ist die von einer Frau mit einem schweren Beckenbruch, die zuerst mit der Evakuierung einverstanden war, dann aber die ganze Reise über nach Cherson zurückwollte, weil dort kürzlich ihr Ehemann gestorben war. „Sie war sogar böse auf mich, als ich sagte, dass ihr Mann tot sei und sie nun weiterleben müsse, dass man sie an einen guten Ort brächte. Wir waren ja keine ausgebildeten Psychologen.“

    „Im Bein steckten Splitter.“ – Die Verletzung

    Im Juni 2023 erlitt Kira in Cherson eine Verletzung. Sie war gerade auf dem Heimweg von der Migrationsstelle, als sie unter Beschuss geriet. Sie wartete an einer Haltestelle auf den Bus, als ein Geschoss in ein nahegelegenes Haus einschlug. Im ersten Moment war der Schock so stark, dass sie nichts begriff oder spürte. Ein Ukrainer, der gerade mit dem Auto vorbeikam, bot Kira Hilfe an, brachte sie nach Hause, da bald der nächste Angriff beginnen konnte. Und so war es auch: Kira kam in ihre Wohnung, ging auf den Balkon, um zu rauchen und sich nach dem Erlebten zu beruhigen, als die Stadt erneut von Raketen angegriffen wurde.

    „Ich nahm ein Kopfkissen und eine Decke und ging zum Ausruhen ins Badezimmer, da das der sicherste Ort ist. Dort begriff ich schließlich, dass etwas nicht stimmte. Es stellte sich heraus, dass in meinem Bein ein Splitter steckte.“ 

    Kira erzählt, dass sie selbst ein Tourniquet anlegte, das sie damals immer bei sich trug, und den Fremdkörper aus der Wunde entfernte. Sie wählte den Rettungsdienst, kam aber nicht durch, da das Netz beeinträchtigt war. Am nächsten Morgen rief sie dann andere Freiwillige an, die sie ins Krankenhaus Tropinki brachten. „Der Arzt sagte, ich hätte alles richtig gemacht, ich solle die Wunde reinigen, frisch verbinden und in einer Woche wieder zu ihm kommen.“
    Aber nach zwei Tagen hatte Kira stark erhöhte Temperatur und ihr Bein war aufs Doppelte angeschwollen. Sie musste schnell ins Krankenhaus. 

    „Da ich nicht alle Splitter erwischt hatte, war eine Entzündung entstanden, die Wunde war infiziert. Ich musste im Krankenhaus bleiben.“ Einige Tage später hatten Kiras Freiwilligenfreunde erreicht, dass sie nach Kyjiw verlegt werden konnte, um nicht unter dauerhaftem Beschuss im Chersoner Krankenhaus bleiben zu müssen. Nach Kyjiw reiste die Belarussin allein. Sie kam in das Krankenhaus, in dem sie im Endeffekt mehrere Monate blieb, die Ärzte entfernten eitriges Gewebe, reinigten die Wunde, gaben ihr Medikamente gegen Schmerzen und gegen die Schwellung. Kira zufolge hätte sie eine Hauttransplantation benötigt, aber in Kyjiw gab es Probleme mit einer solchen Operation. Kira beschloss, nach Polen zurückzukehren. In einem Krankenhaus in Białystok bekam sie schließlich eine Hauttransplantation. 

    Im Moment lebt die Belarussin in Polen und macht ihre Reha. Wenn die Wunde geheilt und ihr psychischer Zustand stabilisiert sind, plant sie, in die Ukraine zurückzukehren. „Ich habe Sehnsucht nach der Ukraine, dort sind meine Freunde, und das Land ist mir sehr vertraut. Aber noch ist da eine Art unterschwellige Angst. Selbst als hier in Polen zu Silvester überall die Feuerwerke krachten, habe ich mich unwohl gefühlt.“

    Das Leben in Cherson war nicht leicht: Die Geschäfte schlossen bereits um 15 Uhr, nur die ukrainische Kette ATB hatte bis 19 Uhr geöffnet. Ab 21 Uhr herrschte in der Stadt Ausgangssperre, niemand durfte mehr auf die Straße. Und ständig Beschuss. Im Februar 2021 war Kira in Minsk festgenommen worden, sie verbrachte ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Dann wurden ihre Haftbedingungen geändert, sie kam aus der Untersuchungshaft frei und nutzte diese Chance, um Belarus zu verlassen, ungeachtet dessen, dass ihr Pass bei den Sicherheitsbehörden verblieben war. „Ich verglich Cherson mit Minsk, mit dem Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin. Es war sehr ähnlich, die gleichen Häuser, nur dass bei vielen Fensterscheiben fehlten und in den oberen Etagen häufig Wohnungen durch Angriffe ausgebrannt waren.“

    Nach Minsk kann Kira nicht zurück. Deshalb möchte sie wenigstens in Cherson leben, der Stadt, die sie an ihr Zuhause erinnert, trotz Krieg.

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  • „Ich bleibe, um die Zukunft von Belarus vor Ort mitzugestalten“

    „Ich bleibe, um die Zukunft von Belarus vor Ort mitzugestalten“

    Auch über drei Jahre nach den Protesten von 2020 und deren Niederschlagung durch die Staatsmacht vergeht in Belarus kaum ein Tag ohne neue Festnahmen. Wie aber ist die Stimmung im Land? Wie lebt man unter einem hochrepressiven System? Ist Opposition überhaupt noch in irgendeiner Form möglich? Artikel und Reportagen, die die Atmosphäre im Land selbst beschreiben, gibt es eigentlich nicht mehr, da die Medien ins Exil gedrängt und in vielen Fällen zu „extremistischen Organisationen“ erklärt wurden und die Menschen Angst haben, Interviews zu geben. 

    Der belarussische Ableger von Mediazona hat mit drei Belarussen gesprochen, die in Belarus geblieben sind, und die Auskunft geben – über ihre Ängste, über gesellschaftlichen Widerstand und über den Blick von außen auf das, was in Belarus passiert.
     

    Die Namen der Personen im Text wurden geändert, ihre Geschichten anonymisiert. Alle drei waren vor den Repressionen Leiter von Veranstaltungsorten oder Kulturorganisationen.

    „Ich verlasse Belarus nur, wenn Lebensgefahr droht.“
    Igor, Unternehmer im Kulturbereich:

    Ich habe mich vor einiger Zeit dafür entschieden, in Belarus zu bleiben. Weil ich im Kulturbereich arbeite, weiß ich, dass ich im Ausland für die belarussische Kultur nichts bewirken könnte. Im Exil kann man kulturelle Errungenschaften nur bewahren. Wie Ausstellungsstücke im Museum, mehr nicht. Ich verlasse Belarus nur, wenn Lebensgefahr droht.

    Derzeit ist es schwer, in Belarus Geld zu verdienen: die Preise steigen, der Lebensstandard sinkt, manche Waren sind verschwunden oder sehr teuer geworden. Aber ein vollständiger Zusammenbruch droht nicht. Und wo hat man es schon leicht und schön? 

    Die Behauptung, Belarus sei ein Konzentrationslager, ist Unsinn. Sogar das gegenwärtige Belarus ist von so einer Klassifizierung noch sehr weit entfernt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Situation je vollkommen anders gewesen wäre. Schon immer konnten Initiativen von unten wegen unzähliger Widrigkeiten nur mit Ach und Krach umgesetzt werden. Deswegen liegt den Belarussen Einfallsreichtum aber auch im Blut. 

    Ich brauchte einige Zeit, um mich an die neuen Bedingungen zu gewöhnen, bis ich für meine Arbeit eine neue Routine fand. Wir versuchen etwas, wir kämpfen, wo wir können, wir erringen kleine Erfolge, freuen uns und machen den nächsten Schritt. Man kann eine Wiese noch so dick asphaltieren, das Gras kommt trotzdem durch. Erfreulich aber ist, dass vielen mittlerweile klargeworden ist, dass asphaltierte Wiesen nicht normal sind. 

    Sicher, es gibt heute weniger Menschen, die aktiv sind und denen nicht alles egal ist; viele haben das Land verlassen. Aber vieles ändert sich gerade, es bilden sich neue Kontakte, neue Formen der Vernetzung und der gegenseitigen Unterstützung. Und das hat zugenommen, denn es betrifft fast alle. Diese neuen kleinen Welten sind weiterentwickelte, verbesserte Versionen der alten. Deswegen stehen die Dinge bei uns gar nicht so schlecht, wie es scheint. 

    Es gibt zwei Belarus: das wirkliche und das erfundene

    Seit 2020 sind drei Jahre vergangen. Die Jugendlichen von damals haben mittlerweile die Schule abgeschlossen und studieren. Ich sehe neue Menschen, die sich für ihre belarussische Identität interessieren. Wegen der Umstände passiert das heutzutage im Untergrund, der Prozess ist von außen nicht sichtbar. Doch er findet statt, er ist nicht verschwunden, hat sogar Fahrt aufgenommen. Allerdings haben die Menschen Angst, ihre Überzeugungen und Interessen im öffentlichen Raum zu zeigen – zurecht. Deswegen entsteht der Eindruck, alles wäre erstickt, verstummt und alle wären gleichgültig geworden. Aber der Schein trügt. 

    Es sieht nicht so aus, als würde sich jemand außerhalb von Belarus groß für die realen Zustände im Land interessieren. Man könnte sogar meinen, den Belarussen im Exil gefalle die Vorstellung von einem Belarus als Konzentrationslager, wo alles Lebendige vernichtet, verbrannt und unter einer dicken Schicht Asphalt verborgen ist. Aber so brutal die Ereignisse von 2020 auch waren, finde ich trotzdem, dass sie gut waren für die Entstehung einer belarussischen Identität und für Belarus. Diese ganze Bewegung für ein neues Belarus im Exil hingegen erscheint mir ein Fischen im trüben Sumpfwasser zu sein. 

    Es gibt zwei Belarus: das wirkliche und das erfundene. Die beiden haben sehr wenig Berührungspunkte. Ich würde mir weniger Heuchelei, weniger Dramatisierung und mehr Zusammenarbeit wünschen.

    „Ich bleibe, um die Zukunft von Belarus vor Ort mitzugestalten.“
    Alexander, Person des öffentlichen Lebens:

    Die Stimmung in Belarus ist derzeit alles andere als beflügelnd: Sie ist gefährlich und depressiv. Man könnte die Situation auch mit einer Geiselhaft vergleichen. Man ist gezwungen, so zu tun, als gehorche man den Terroristen, zu versuchen, sie nicht zu verärgern und möglichst wenig aufzufallen, damit sie einen nicht erschießen. Andererseits weiß man, dass man das eigene Land ist, und dass man dort leben möchte. Deswegen beflügelt mich derzeit nur eins: Hier zu bleiben, um die Zukunft von Belarus vor Ort mitzugestalten, wenn sich ein kleines Fenster für solche Möglichkeiten öffnet. 

    Der Regierung geht es nicht darum, alle Menschen zu vernichten, sie sollen nur eingepfercht werden und brav Befehle ausführen. Menschen, die schon lange eingepfercht sind, können aufrichtig behaupten, in Belarus hätte sich nichts verändert.

    Jetzt haben es alle schwer: die Menschen im Exil, und die Menschen, die geblieben sind

    Schwieriger ist es für die Menschen, deren Vorstellung von Freiheit über Essen und Schlafen hinausgeht. Sie spüren dieses Konzentrationslager, weil sie ihre Bürgerrechte nicht wahrnehmen können. Man zwingt sie zu schweigen, und das ist für sie am schlimmsten. Denn nicht einmal im Bekanntenkreis ist es üblich, auszusprechen, was man denkt. 

    Das ist übrigens erstaunlich, denn früher war es anders. Ich bin seit 2001 Aktivist; es war immer möglich, gegenüber Bekannten, in der Partei oder im Netz, seine Meinung zu sagen, niemand sah darin was Schlechtes. Jetzt haben es alle schwer: die Menschen im Exil, und die Menschen, die geblieben sind. Einige meiner Verwandten sind im Exil, ich weiß, was das bedeutet. Es ist sehr schwer, seine Heimat zu verlassen und im Ausland anzukommen

    Was die Zukunft von Belarus betrifft, so muss ich immer an ein Sprichwort denken: Als erstes sind die gestorben, die dachten, es geht bald vorbei. Nach ihnen sind die gestorben, die dachten, es wäre für immer. Geblieben sind die, die gar nichts dachten und taten, was sie konnten.

    „Das Wichtigste in Belarus sind die Menschen.“
    Stanislaw, Kulturaktivist:

    In Belarus inspirieren mich die Menschen. Wenn du zu Hause sitzt und Nachrichten liest, erscheint alles furchtbar. Aber sobald du auf die Straße gehst, die Menschen siehst, wie positiv sie beim Einkaufen auf die belarussische Sprache reagieren, wie sie dich anlächeln – das inspiriert mich und das gibt mir Kraft. 

    Ich habe eine Zeitlang im Ausland gelebt, aber dort schnell den Mut verloren. Hier sehe ich die Stories von Menschen, die etwas machen, die sich zeigen, und möchte dabei sein. Manchmal, wenn ich an einem Feld vorbeifahre, einen Wald sehe, denke ich daran, dass ich jetzt nur ein Prozent davon verwirkliche, was ich könnte. Aber dieses eine Prozent verwirkliche ich in Belarus – das ist der wichtigste Antrieb, um hier zu bleiben.

    Vor einem Jahr war ich bei einem Konzert von Nejro Djubel. Es war großartig: ein voller Saal, Slam, eine Wahnsinnsatmosphäre. Danach lese ich in den Medien, das Konzert sei von Spezialkräften aufgelöst worden. Das stimmt überhaupt nicht. Spezialkräfte waren zwar da, aber wegen einer anderen Veranstaltung, die erst danach stattfand. Das ist natürlich auch schlimm. Aber wenn du im Ausland sitzt und liest, ein Konzert von Nejro Djubel sei aufgelöst worden, denkst du nur: wie furchtbar. Aber in Wirklichkeit war es ein super Konzert. 

    Deswegen scheint es, wenn man nur die Nachrichten liest, als wäre alles im Arsch, aber wenn man hier ist, sieht man die Möglichkeiten. Natürlich merkt man, dass das Leben stillsteht, vieles findet nicht mehr öffentlich statt. Aber das Wichtigste in Belarus sind die Menschen. Und ich meine gar nicht die Aktivisten und Aktivistinnen, das Wichtigste ist das Publikum. 

    Ich habe Mitgefühl mit jedem Menschen, der erzwungenermaßen ins Exil gegangen ist

    Ich fahre ab und zu ins Ausland und kenne viele Leute, die immer mal wegfahren und wiederkommen. Für sie ist das wie ein Häppchen Freiheit: Sie fahren weg, wenn es hart ist, erholen sich und kommen wieder. Das kann man finden, wie man will, aber es ist eine Tatsache, dass es solche Leute gibt. 

    Das politische Geschehen im Exil verfolge ich nicht und kenne auch niemanden, der sich dafür interessiert. Die Menschen, die in Belarus geblieben sind, haben ihre eigenen Sorgen, sie müssen zusehen, wie sie überleben, und vielen ist es grundsätzlich schnurz, was im Ausland los ist. 

    Ich habe Mitgefühl mit jedem Menschen, der erzwungenermaßen ins Exil gegangen ist. Auch im Laufe dieses Jahres werden Menschen Belarus verlassen, auch welche, die es jetzt noch gar nicht vorhaben. Aber in fünf Jahren sehe ich eine positive Perspektive: Ich hoffe auf Veränderungen und darauf, dass viele Belarussen und Belarussinnen zurückkehren.

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  • „Hau ab! Die Belarussen wollen es so!“

    „Hau ab! Die Belarussen wollen es so!“

    „Wir spielen ehrliche Musik.“ Das sagte Dimitri Golowatsch, Gitarrist der belarussischen Band Tor Band, in einem Interview. Mit ins Ohr gehenden Refrains und Melodien und Texten, die das Gefühl der Proteste von 2020 aufgreifen, wurde das bis dato völlig unbekannte Trio zu einer der populärsten Bands, ihre Songs wurden Hymnen der damaligen Demokratiebewegung. Trotz der Repressionen, die sich auch gegen Kulturschaffende richten, blieben die Musiker in Belarus. Im Januar 2023 wurde die Band zur „extremistischen Vereinigung“ erklärt, bereits im Oktober 2022 waren die Musiker festgenommen worden, seit Mitte September läuft hinter verschlossenen Türen ein Prozess gegen die Mitglieder der Band – ihnen drohen bis zu zwölf Jahre Haft.

    Der Journalist Michail Polosnjakow hat sich in einem Beitrag für Mediazona Belarus eingehend mit der weitgehend unbekannten Geschichte der Band und den Repressionen gegen die Musiker beschäftigt, die der Lukaschenko-Staat anscheinend derart fürchtet.

    Tor Band aus der ostbelarussischen Kleinstadt Rogatschow (bel. Rahatschou), das sind Dimitri Golowatsch, Jewgeni Burlo und Andrej Jaremtschik. Sie schrieben den Songtext „Wir sind kein Vieh, keine Herde, keine Feiglinge, wir sind das lebendige Volk, wir sind die Belarussen“. Das Musikvideo bekam mehr als eine Million Klicks, aufgenommen wurde es mit einzelnen Clips der Fans.

    Als die Proteste abgeflaut waren, blieb Tor Band in Belarus, Dimitri Golowatsch arbeitete weiterhin im Kulturhaus von Rogatschow. Doch irgendwann kamen sie auch an die Reihe: zuerst ein eintägiger Gewahrsam, aus dem die Musiker nicht freigelassen wurden, später wurde die Rockband zur „extremistischen Formierung“ erklärt. Den Bandmitgliedern werden mehrere Straftaten vorgeworfen, darunter auch die Diskreditierung von Belarus. 
    Mediazona stellt die Geschichte der Band vor, die die Hymne der Proteste schrieb, und sprach dazu mit Denis Daschkewitsch, ein Aktivist aus Rogatschow und ehemaliger Direktor des Kulturzentrums im Dorf Pobolowo. 

    Auftritt auf der Hauptbühne in Rogatschow am Unabhängigkeitstag

    Zu Beginn des Sommers 2020 ging Denis Daschkewitsch mit seiner Familie in Gomel im Park spazieren. An diesem Tag hörte er aus „allen Autos“ das Lied Uchodi (dt. Hau ab) von Tor Band.
    „Damals bekam ich sofort Angst um die Jungs“, sagt Daschkewitsch. 

    „Hau ab! Friedlich, still und leise
    Hau ab! Wir finden neue Ehrenleute
    Hau ab! Jetzt ist die Zeit der Mutigen, nicht der Feiglinge
    Hau ab! Die Belarussen wollen es so!“ 

    Als 2019 in Rogatschow der Unabhängigkeitstag begangen wurde, bespielte Tor Band den zentralen Platz neben der Stadtverwaltung und donnerte mit einem mehrstündigen Konzert los. Daschkewitsch erinnert sich, dass „die Jugendlichen fast durchdrehten“.
     
    Bandmitglied Dimitri Golowatsch erzählte in einem Interview. „Wir haben einen Song mit dem Text: 
    Die Revolution reift in uns heran, 
    im Innern reift Veränderung.
    Weg mit den offenen Metastasen, 
    brich die Mechanismen des Systems.
    Diesen Titel haben wir auf dem zentralen Platz von Rogatschow am Unabhängigkeitstag gespielt, Organisator war die städtische Ideologieabteilung!“

    Daschkewitsch sagt: „Bis 2020 gab es keinerlei Verdacht auf Opposition oder Terrorismus oder Extremismus. Das war eine Band, auf die die Stadtverwaltung von Rogatschow stolz war, über die in der Kreiszeitung geschrieben wurde.“ 

    Dieselbe Zeitung schrieb im März 2023 über die Band: „Ab 2020 verstärkte das eingeschworene Kollektiv aus Rogatschow seine destruktive Aktivität enorm, indem es die Interessen verschiedenster oppositioneller Strukturen bediente, und die Belarussen buchstäblich zu Brudermord und anderen rechtswidrigen Handlungen drängte.“

    Bevor sie Tor Band gründeten, spielten die Musiker in der Band Sex. Damals hatten sie Probleme mit der lokalen Verwaltung. Der Band wurde vorgeworfen, Drogenkonsum zu propagieren und Pornografie zu verbreiten. 2014 änderte die Band ihren Namen dann in Ojra. In den Texten dieser Gruppen kamen auch politische Motive vor. 

    Aus dem Titel Königreich der glücklichen Sklaven:

    „Ich sitz auf meinem Arsch an einem geilen Platz, 
    ich bin der coole Gockel auf der gold’nen Hühnerstange, 
    Jetzt verbiete ich mal all die Festivals, 
    hab kein‘ Bock zu rackern, ihr könnt mich alle mal!“

    Im Song Ach, Leute fragen die Musiker: „Wie soll man da nicht fluchen, bei 200 Dollar Monatslohn“, und „in der Glotze tönen sie, alles sei so wie es soll“. 2014 spielte die Band Konzerte in Moskau, gemeinsam mit Lyapis Trubetskoy und der Band Lumen. Außerdem gingen sie auf Tour durch die Ukraine. Bis dahin war Jewgeni Burlo der Schlagzeuger, Dimitri Golowatsch sang und spielte Gitarre – heute sind sie zwei von drei Bandmitgliedern, die im Fall der 2017 gegründeten Tor Band angeklagt sind. 

    Jewgeni Burlo hatte bis 2020 etwa zehn Jahre lang als Tontechniker im Kulturhaus von Rogatschow gearbeitet. „Er war der wichtigste Tontechniker der ganzen Stadt“, erinnert sich Denis Daschekwitsch. 
    „Alle betonten sein hohes Niveau bei Tontechnik, Bühnentechnik und Ausstattung. Woanders mussten für größere Veranstaltungen Experten aus Minsk oder Gomel kommen. In Rogatschow war das nie ein Problem.“

    Dimitri Golowatsch machte derweil Fotos und Videos auf Hochzeiten. Daschkewitsch zufolge war die Musik nicht seine Haupteinkommensquelle, sondern eher ein Hobby, in das er viel Geld hineinsteckte. 

    Ein Lied wird zum Protesthit 

    Den Titel My – ne narodez (dt. Wir sind kein Völkchen), der zu einer der Hymnen der Proteste wurde und die Band bekannt machte, hatten sie im Juni veröffentlicht. 

    „Die Leute schreiben uns: ‚Was für ein cooler Protestsong!‘ Aber es ist ein patriotischer Song, kein Protestsong. Es ist ein Song darüber, was die Leute wirklich von sich selbst denken. Seine [Lukaschenkos] Phrasen über das ‚Völkchen‘ riefen bei mir und bei vielen anderen Leuten Empörung hervor. Das hat die Selbstliebe des belarussischen Volkes wirklich stark getroffen“, sagte Golowatsch in einem Interview mit Onliner im September 2020 (der Artikel ist von der Seite gelöscht, aber noch im Webarchiv auffindbar). 

    „Wir sind kein Vieh, keine Herde, keine Feiglinge, 
    Wir sind ein lebendiges Volk, wir sind die Belarussen.
    Mit Glauben im Herzen halten wir stand, 
    die Flamme der Freiheit über uns!“

    Für den Videoclip von My – ne narodez lud die Band ihre Fans ein, Videos davon aufzunehmen, wie sie den Refrain singen. Dimitri Golowatsch zufolge haben nicht alle mitgemacht, aber diejenigen, die in den Clip aufgenommen wurden, seien „die mutigsten und verwegensten“.

    Vor dem Videodreh zu Shywje! (dt. Es lebe!) luden die Musiker per Insta-Livestream ihre Fans ein, nach Rogatschow zu kommen und im Video aufzutreten. „Als wir dann am Dnepr-Ufer die Unmenge von Autos sahen, wurden unsere Augen immer größer und in der Stadt ging das Gerücht um, eine Gang sei angerückt und bald würde wohl eine Schlägerei beginnen“, erzählte Golowatsch. 

    Noch vor dem Song My – ne narodez waren die lokalen Behörden auf die Band aufmerksam geworden. Dimitri Golowatsch berichtet, die Kreisverwaltung habe ihn angerufen und darum gebeten, weniger Aufmerksamkeit auf die Stadt Rogatschow zu lenken: „Die zentrale Aussage war: Wir wollen, dass in Rogatschow alles ruhig ist.“

    Tor Band nahmen weiterhin Songs auf und produzierten Videos. Im Clip zu Kto, jesli ne ty (dt. Wer, wenn nicht du) treten 23 Familien auf. Kinder, Eltern und Musiker singen zusammen:

    „Wer denn sonst, wenn nicht du?
    Man schenkt uns wieder Glauben
    Wir malen alles ganz weiß an
    Und vertreiben all das Grau.“

    Im Interview mit Nasha Niva sagte Dimitri Golowatsch, Tor Band habe zum Ziel, „die stabile emotionale Haltung unseres Volkes zu unterstützen“. 
    Im März 2021 brachte die Band ein Album mit allen Protesthits heraus: Finita La Commedia

    Wir waren überzeugt, dass alles vergessen sei

    „Die Musiker waren davon überzeugt, dass alles vorbei sei – und Schluss. Jewgeni Burlo nahm einen Kredit auf und kaufte sich wenige Monate vor seiner Verhaftung noch ein teures Motorrad“, erzählt Daschkewitsch. Golowatsch arbeitete auch nach den Protesten weiter als Hochzeitsfotograf, und Burlo blieb Tontechniker im Kulturhaus. Er kündigte dort Anfang Oktober 2022, wenige Wochen vor seiner Festnahme. 

    Laut Denis Daschkewitsch war eine lokale Beamtin darüber sehr empört. Nachdem die Musiker festgenommen worden waren, hatte Daschkewitsch die Beamtin angerufen. Daschkewitsch gibt an, sie habe im Gespräch zugegeben, Jewgeni Burlo schriftlich denunziert zu haben. 
    Daschkewitsch gibt ihre Worte so wieder: Er habe nicht einfach nur gekündigt. Erstens habe er den Staat verraten, der ihm auf die Beine geholfen hat. Und zweitens sei er noch so dreist gewesen, die digitale Infrastruktur zu entfernen. Mit „digitaler Insfrastruktur“ meine sie eine lizenzpflichtige Software, die Burlo nach seinem Weggang als Tontechniker im Kulturhaus deinstalliert habe. 

    „Ich sagte ihr, dass man dieses Programm zur Audioaufzeichnung aus dem Internet herunterladen kann. Habt ihr in der Kreisverwaltung  etwa alle lizensierte Windows-Versionen? Sie machen aus einer Mücke einen Elefanten“, erinnert sich Daschkewitsch. 

    Tor Band hatte noch ein weiteres Bandmitglied – den Bassisten Andrej Jaremtschik. Mediazona konnte nicht herausfinden, wann genau er zur Band gestoßen ist, und ob er 2020 dazugehörte. Neben seinem Musiker-Leben arbeitete Jaremtschik als Geschichtslehrer in der Mittelschule Nr. 5 in Rogatschow. Auf der Mitarbeiterliste der Schulwebseite ist er nach wie vor verzeichnet. 

    Plötzlich waren sie „Extremisten“ und Straftatverdächtige

    Am 28. Oktober 2022 nahmen die Silowiki alle drei Bandmitglieder sowie zwei der Ehefrauen fest. Bei den Hausdurchsuchungen wurde das komplette Musik- und Computerequipment mitgenommen, sagt Daschkewitsch. 

    „Die hätten fast einen LKW gebraucht, um das alles wegzubringen. Allein bei Golowatsch haben sie sieben Gitarren mitgenommen“, erzählt eine Bekannte der Band. 

    Damals schrieb das Menschenrechtszentrum Wjasna, dass auch die Wohnungen jener durchsucht würden, die in den Videos der Band aufgetreten waren. Dimitri Golowatschs Ehefrau Julia wurde vom Gericht zu 960 Rubel Strafe verurteilt. Die Bandmitglieder und Jaremtschuks Frau Anna Musyka wurden für 15 Tage in Gewahrsam genommen, vorgeworfen wurde ihnen die Verbreitung „extremistischen“ Materials. Bis dahin war Tor Band in keinerlei „extremistischen Listen“ aufgetaucht, aber diese Informationen verbreiteten sich in den Betrieben von Rogatschow.

    Am 4. November wurde die republikweite Liste der extremistischen Materialien um den Gerichtsbeschluss des Bezirksgerichts Gomel vom 29. August ergänzt. Die Social-Media-Seiten, der Youtube-Kanal und zehn Songs der Band wurden für „extremistisch“ erklärt. Am nächsten Tag wurden die Videos, die millionenmal angeschaut wurden, vom Youtube-Kanal der Band gelöscht. 

    Die Musiker kamen nicht nach 15 Tagen Gewahrsam frei, auch nicht nach 60 Tagen. Am 16. Januar erklärte der KGB die Band zu einer „extremistischen Vereinigung“. Neben den drei Bandmitgliedern nahm der KGB auch Julia Golowatsch in die Liste auf. 

    Die Bandmitglieder wurden in Untersuchungshaft überführt, gegen sie wurde Anklage erhoben. Man wirft ihnen Volksverhetzung, Bildung einer extremistischen Vereinigung, Diskreditierung des Landes und Beleidigung Alexander Lukaschenkos vor. Auf einen der Anklagepunkte stehen zwölf Jahre Freiheitsentzug. Der Gerichtsprozess begann am 14. September 2023 und wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. 
     
    Laut Daschkewitsch hat sich Jewgeni Burlos Gesundheitszustand in der Untersuchungshaft ernsthaft verschlechtert. Er habe bereits früher an einer Krebserkrankung gelitten, aber „ohne kritischen Verlauf“. Zudem leide der Musiker dauerhaft unter Rückenschmerzen und nehme Schmerzmittel. Informationen von Wjasna zufolge wurde bei Burlo in der U-Haft eine Hüftgelenknekrose diagnostiziert, er wurde im Gefängniskrankenhaus behandelt. 

    Über den Zustand der anderen Mitglieder von Tor Band ist nichts bekannt. 

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    Der Abgrund ist bodenlos

  • Verboten in Belarus: Literatur und Autoren

    Verboten in Belarus: Literatur und Autoren

    „Leser schreiben, dass sie meine Bücher aus Bibliotheken retten, damit sie nicht vernichtet werden. Sie bewahren sie bis zu besseren Zeiten auf. Wir schreiben das 21. Jahrhundert in Belarus: Bücher müssen aus Bibliotheken gerettet werden.“ Dies sagte Alhierd Bacharevič in einem Interview mit dem Online-Medium Zerkalo. Gleich zwei Romane des belarussischen Schriftstellers wurden von den Behörden in Belarus für „extremistisch“ erklärt. So gehen die Machthaber um Alexander Lukaschenko seit den Protesten von 2020 nicht nur gegen Oppositionelle, Aktivisten, Journalisten, Medien oder NGOs vor, sondern eben auch gegen Literatur. 

    Das Online-Medium Mediazona Belarus stellt Bücher und ihre Autoren vor, die auf der Liste „extremistischer Materialien“ gelandet sind, auf der sich das Medium seit 2022 selbst befindet. 

    Illustration © Taja L./Mediazona
    Illustration © Taja L./Mediazona

    Die im Folgenden vorgestellten Bücher wurden vom belarussischen Regime als „extremistisch“ eingestuft. Wer sie besitzt oder verbreitet, kann in Belarus mit Geld- oder Freiheitsstrafen geahndet werden.

    Alhierd Bacharevič: Sabaki Europy (Die Hunde Europas)

    Worum es geht: Die Hunde Europas – eine Antiutopie in sechs Einzelgeschichten. In einem der Handlungsstränge hat Belarus längst seine Souveränität verloren und gehört zu Russland.

    „Mir gefällt die Idee, dass die Hunde Europas die Belarussen sind. Der Hund ist ein Wesen, das stets in der Nähe des Menschen lebt, er hat seine eigene Sprache, seine Weltsicht. Der Hund ist scheinbar immer in unserer Nähe. Er versucht uns etwas zu sagen, aber wir verstehen es nicht“, erzählt der Autor über sein Buch.

    Der Autor: Der Schriftsteller Alhierd Bacharevič lebte in Deutschland, kehrte dann nach Belarus zurück und hat das Land nach den Protesten von 2020 erneut verlassen. Das Buch erschien erstmals 2017 im Verlag Lohvinau, 2021 wurde es im Verlag Januškievič neu aufgelegt. Die in Litauen gedruckte Auflage der Hunde wurde an der Grenze vom belarussischen Zoll beschlagnahmt, um eine Expertise „bezüglich Extremismus“ vorzunehmen. Am 17. Mai 2022 wurde der Roman per Gerichtsbeschluss in die Liste der extremistischen Materialien aufgenommen. 

    Der Verlag Januškievič musste seine Arbeit in Belarus nach einer Razzia in der gerade erst eröffneten Buchhandlung Knihauka einstellen. Zuerst waren Mitarbeiter der Propagandaabteilung dort aufgetaucht, später Silowiki. Die Bücher wurden mitgenommen, der Verlagsgründer und eine Mitarbeiterin wurden mehrfach wegen Ordnungswidrigkeiten bestraft. Heute führt der Verlag Januškievič seine Arbeit im Ausland fort.

    Alhierd Bacharevič schrieb, die beschlagnahmte Auflage der Hunde sei „mit Traktoren in die Erde gemalmt“ worden.


    Alhierd Bacharevič: Aposchnjaja kniha pana A (Das letzte Buch von Herrn A.)

    Das Buch wurde 2020 von den Verlagen Januškievič und Vesna gemeinsam herausgegeben. 

    Worum es geht: Der Protagonist des Buches, Herr A., muss zur Begleichung einer Schuld Märchen erzählen – aus denen dieses Buch besteht. Währenddessen wird die Welt von einer Epidemie heimgesucht.

    Bacharevič erläuterte, dass die Handlung erdacht wurde, „lange bevor das Wort Coronavirus auf der Welt auftauchte“. „Eine Gruppe von Intellektuellen versammelt sich in einem Minsker Haus, lauscht jeden Abend Märchen, während sich draußen etwas Unglaubliches abspielt, eine Epidemie, die Pest des 21. Jahrhunderts.“

    Das Buch wurde am 6. März 2023 für extremistisch erklärt. Eine Überprüfung des Buches auf „Extremismus“ befand die Spezialkommission für „nicht zielführend, da die Formulierungen offensichtlich sind“. Der Extremismus sei offensichtlich!

    Der Autor äußerte sich dazu in einem Interview mit Zerkalo: „In dunklen Zeiten ist Literatur immer auch Politik. Und so ist auch Das letzte Buch von Herrn A. keineswegs unpolitisch. Es erschien 2020. Auf der ersten Seite lesen wir: ,Es gibt kein Ziel außer dem, deine dir gegebenen Tage würdevoll und bewusst zu erleben, bis zum Ende, was auch immer die mächtigsten Mächtigen, die brutalen Spaßmacher und Blutsauger sich ausdenken‘ [hier zitiert nach der deutschen Übersetzung von Alhierd Bacharevič und Andreas Rostek, edition.fototapeta, 2023 – dek]. Herr A. erzählt im Buch verschiedene Geschichten, die meisten sind direkt mit der belarussischen Wirklichkeit verknüpft. In dem Märchen Raman Burak, der Mensch konstruieren Emigranten einen Robotermenschen. Er soll in das Land reisen, das sie verlassen haben, und den Führer der Nation töten. In dem Märchen In heitere Höhen (ein Zitat aus der Hymne der BSSR) tauscht ein Arbeiter die Staatsflagge am zentralen Fahnenmast des Landes aus und sieht, dass sie mit menschlichem Blut getränkt ist … Natürlich kann man all das als ,extremistisch‘ bezeichnen, wenn man die entstellte Sprache des Regimes verwenden möchte, die den Worten ihre ursprüngliche Bedeutung raubt.“


    Igor Iljasch, Jekaterina Andrejewa: Belorusski Donbass (Der Belarussische Donbass)

    Worum es geht: Das Buch ist der belarussischen Rolle im Krieg im Donbass gewidmet. Die Journalisten lassen Belarussen auf beiden Seiten der Front zu Wort kommen. 

    „Wir haben versucht, alle Berührungspunkte zu beleuchten: von der Beteiligung belarussischer Bürger an den Kampfhandlungen bis hin zur Rolle der Geheimdienste in diesem Prozess, vom illegalen Handel mit DNR und LNR bis hin zur Arbeit von Freiwilligen, von der politischen Konjunktur bis zur Informationsstrategie der Regierungen“, so die Autoren.

    Die Autoren: Die Journalisten Igor Iljasch und Jekaterina Andrejewa (Bachwalowa). 

    Das Buch wurde am 26. März 2021 für extremistisch erklärt. Jekaterina Andrejewa befindet sich in Haft. Zunächst wurde sie für einen Livestream vom Platz des Wandels zu zwei Jahren Straflager verurteilt, kurz vor dem Ende ihrer Haftzeit fand ein zweiter Prozess statt, in dem sie wegen „Staatsverrats“ angeklagt und zu acht Jahren und drei Monaten Straflager verurteilt wurde. 


    Anatoli Hatoutschyz: Adysseja kapitana BNR (Die Odyssee des BNR-Hauptmanns)

    Worum es geht: Das Buch handelt von Zimoch Wostrykau, einem Mitglied des Rates der Belarussischen Volksrepublik (BNR).

    „Das dramatische Schicksal eines seinem Heimatland ergebenen Belarussen unter dem Druck der bolschewistischen Kollektivierung, den Wirren der Kriegsjahre, erzwungener Emigration und schließlich der Rückkehr in die Heimat an Bord eines amerikanischen Flugzeugs, mit einem Fallschirm auf dem Rücken – zur Untermauerung der belarussischen Unabhängigkeit und Souveränität“, so heißt es im Klappentext des Buches über den Helden Zimoch Wostrykau.

    Schon Wostrykaus Vater war Repressionen ausgesetzt und starb im Gulag. Zimoch Wostrykau selbst verbrachte 23 Jahre in Straflagern und starb 2007 in Homel.

    Der Autor: Anatol Hatoutschyz ist Journalist in Homel und leitete die dortige Abteilung des Belarussischen Journalistenverbandes (BAJ). 

    Das Buch wurde am 16. März 2023 für extremistisch erklärt. Der Autor wurde mehrfach von Silowiki festgenommen, seine Wohnung wiederholt durchsucht. 


    Joseph Brodsky: Ballada pra malenki buksir (Die Ballade vom kleinen Schlepper), ein Kinderbuch, ins Belarussische übertragen von Alessja Aleinik

    Worum es geht: Ein kleines Schleppboot schuftet und schuftet, ohne je den Heimathafen zu verlassen: es schleppt Schiffe hinein in den Hafen und wieder hinaus.

    Der Autor: ist der russisch-amerikanische Schriftsteller, Dramaturg und Übersetzer Joseph Brodsky, die Übersetzerin Alessja Aleinik. 

    Das Buch erschien im Verlag Januškievič. Es wurde am 18. Oktober 2022 durch einen Beschluss des Stadtbezirksgerichtes Zentralny in Minsk für extremistisch erklärt. 

    Der Herausgeber Andrei Januschkewitsch schrieb, dass er während der Razzia in seinem Buchladen Knihauka in Minsk die Mitarbeiter der Antikorruptionsbehörde GUBOPiK fragte, was ihnen an diesem Buch Brodskys missfalle. „Ein Kindergedicht, veröffentlicht 1962, der Text ohne jeglichen Bezug zu Belarus … Zur Antwort bekam ich, dass die Farbgebung des Schleppbootes in den Illustrationen verdächtig sei (?!).“

    Illustration aus dem Buch Die Ballade vom kleinen Schlepper / Foto  © Andrei Januschkewitsch / Facebook
    Illustration aus dem Buch Die Ballade vom kleinen Schlepper / Foto © Andrei Januschkewitsch / Facebook

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