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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Kampf der Patrioten

    Kampf der Patrioten

    Bislang galten sie als Brüder im Geiste, nun bekämpfen sie sich öffentlich: Dimitri Kisseljow, Chef der staatlichen Medienagentur Rossija Sewodnja, und der erzkonservative Dumaabgeordnete Jewgeni Fjodorow. Kisseljow wird von Kritikern gerne als „Chefpropagandist des Kreml“ bezeichnet, Fjodorow sitzt der Nationalen Befreiungsbewegung vor. Ausgerechnet die wirft Kisseljow nun „Trumpophilie“ vor.

    Was der Konflikt vor allem mit Putin, der Krim und dem Donbass zu tun hat – und nur am Rande mit Trump – das analysieren Andrej Perzew und Gleb Tscherkassow im Kommersant-Vlast.

    In der Sendung vom 19.02. holte Kisseljow zum Gegenschlag gegen Jewgeni Fjodorow und die „Nationale Befreiungsbewegung“ aus / Foto © Screenshot aus der Sendung „Westi Nedeli“ vom 19.02.2017
    In der Sendung vom 19.02. holte Kisseljow zum Gegenschlag gegen Jewgeni Fjodorow und die „Nationale Befreiungsbewegung“ aus / Foto © Screenshot aus der Sendung „Westi Nedeli“ vom 19.02.2017

    Bis vor Kurzem schienen Dimitri Kisseljow und Jewgeni Fjodorow noch auf der gleichen Seite der Barrikaden zu stehen. Kisseljow ist Fernsehmoderator und Generaldirektor von Rossija Sewodnja, Fjodorow sitzt für die Regierungspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ist außerdem Vorsitzender der Nationalen Befreiungsbewegung (NOD). Sei es die bedingungslose Unterstützung des Präsidenten Wladimir Putin und all seiner Vorhaben, sei es die harte Kritik an den USA und der Außenpolitik des Weißen Hauses, die klare Ablehnung der derzeitigen ukrainischen Führung – in vielerlei Hinsicht wirkten die beiden wie Brüder im Geiste.

    In seiner Sendung Westi Nedeli [dt. Nachrichten der Wochedek] behauptete Dimitri Kisseljow unter anderem, dass Russland die USA in „radioaktive Asche verwandeln“ könne, er prangerte nicht-systemische Oppositionelle und auch den durch und durch verdorbenen Westen an. „Schwule für Homosexuellen-Propaganda unter Minderjährigen zu bestrafen, ist nicht genug. Ihnen muss es verboten werden, Blut oder Sperma zu spenden und im Falle eines Autounfalls müssen ihre Herzen tief in der Erde vergraben oder verbrannt werden.“ Das ist eines der bekanntesten Zitate des Fernsehmoderators.

    Jewgeni Fjodorows Äußerungen wirkten wie eine logische Fortsetzung dieser Position, und seine Sympathisanten von der Nationalen Befreiungsbewegung setzten diese Ideen in die Praxis um, indem sie Kundgebungen Oppositioneller überfielen und Protestaktionen vor Medienbüros und Botschaften der „feindlichen westlichen Staaten“ abhielten. Auf der Homepage der Gruppe für das Swerdlowsker Gebiet, einer der aktivsten der NOD, wurden sogar regelmäßig Videoaufzeichnungen von Westi Nedeli verlinkt.

    Wie gewohnt haben nun Vertreter der Bewegung mit Plakaten vor einem Medienhaus protestiert. Doch diesmal war es nicht etwa das Medienunternehmen RBC – sondern die internationale Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja. Die Anhänger von Jewgeni Fjodorow beschuldigen die Agentur und ihren Direktor der „Trumpophilie“.

    Die Anhänger von Jewgeni Fjodorow beschuldigten Kisseljow der „Trumpophilie“. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und Kisseljow holte zum harten Gegenschlag aus

    Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. In der Sendung vom 19. Februar holte Dimitri Kisseljow zum harten Gegenschlag aus – gegen Jewgeni Fjodorow, gegen die Nationale Befreiungsbewegung, gegen Witali Milonow, den ultrakonservativen Dumaabgeordneten der Partei Einiges Russland, und gegen die Organisation Offiziere Russlands, die nach ihrem Angriff auf die Fotoausstellung von Jock Sturges Ruhm erlangt hatten – gegen alle radikal konservativen Kräfte also.

    Kisseljow sprach vor einer Fotocollage verschiedener Politiker mit der Bildaufschrift Die Spinnerten. Neben Milonow und Fjodorow waren darunter auch die in die Ukraine emigrierte ehemalige Dumaabgeordnete für Einiges Russland Maria Maksakowa und der St. Petersburger Jabloko-Politiker Boris Wischnewski.

    „Eigentlich gehen wir in Russland milde und nachsichtig mit spinnerten Politikern um, die uns in Erstaunen versetzen, zu irgendetwas aufrufen, oder irgendwohin abkommandieren wollen. Überraschenderweise schleichen sich diese Spinnerten in die Strukturen ein und erlangen, wenn auch nur kurzzeitig, Geltung. Mit schlauer Miene zwingen sie uns ihre dummen Diskussionen auf. Derzeit wird derart viel Blödsinn in den Äther geblasen, dass man in diesem Informationslärm untergehen könnte“, empörte sich Kisseljow. Die Nationale Befreiungsbewegung bezeichnete er dabei als einen „Wanderzirkus“, der „in Moskau umherzieht“. 

    „Besonders traurig ist, dass der Abgeordnete Fjodorow diese armen Menschen zusammengeschart hat und sie mit überdimensional großen, geradezu grotesken Georgsbändern als Fahnen ausgerüstet hat. Das stolze Symbol der russischen Wehr und der Schlacht gegen den Faschismus – das Symbol des Sieges – hat Fjodorow mit dem Namen seiner Pseudobewegung besetzt und aus dem Ganzen ein Tingeltangel unter Mitwirkung irgendwelcher Trachtenträger oder Wandersänger gemacht. Was für ein Frevel! Überhaupt ist diese Manier der Spinnerten, edle Symbole für inszenierte Skandale und leere Parolen zu vereinnahmen, wenig sympathisch“, rügte der Fernsehjournalist den NOD.

    Das stolze Symbol der Schlacht gegen den Faschismus – das Symbol des Sieges – hat Fjodorow mit dem Namen seiner Pseudobewegung besetzt und aus dem Ganzen ein Tingeltangel unter Mitwirkung irgendwelcher Trachtenträger oder Wandersänger gemacht

    Dimitri Kisseljow erinnerte auch an die Organisation Offiziere Russlands, wie sie im Herbst versucht hatte, eine Fotoausstellung von Jock Sturges, dem sie Pädophilie vorwarf, zu verwüsten. Und er brandmarkte sie dafür, sich vom Staat finanzieren zu lassen.

    Auch der größte Hüter der traditionellen Werte, Witali Milonow aus der Partei Einiges Russland, bekam sein Fett weg: „Im Sticharion – dem geistlichen Gewand für den Kirchendienst – verteidigte er die Übergabe der Isaakskathedrale, und da schickt er sich an, antisemitische Äußerungen von sich zu geben.“

    Allerdings klang auch ein Seitenhieb auf die liberalen Verteidiger der Isaakskathedrale an. Dabei sah der Moderator jedoch von persönlichen Angriffen ab und beklagte lediglich, dass die damit verbundene Diskussion den „gesunden Menschenverstand abtöten“ würde. 

    Die Antwort Jewgeni Fjodorows folgte schnell: Er drohte Dimitri Kisseljow mit einem Gerichtsverfahren und Anzeigen tausender gekränkter NOD-Anhänger, unterstellte ihm eine „Verschwörung gegen den Präsidenten“ und dass er auf Staatskosten eine Kampagne führe für den Präsidenten eines anderen Staates: Donald Trump.

    Die Haltung zum US-Präsidenten war der formale Auslöser des Konflikts: Der Pressesprecher des Weißen Hauses Sean Spicer hatte erklärt, dass Trump von Russland erwarte, in der Ukraine für Deeskalation zu sorgen und die Krim „zurückzugeben“. Bis dahin hatte das russische Fernsehen mit Donald Trump sympathisiert, nun aber fast komplett aufgehört, über ihn zu berichten. Doch auch die Kritik, die zuvor unter anderem von Kisseljow gegen Barack Obama vorgebracht worden war, blieb gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt der USA aus. Das nahmen die NOD-Aktivisten zum Anlass für ihre Empörung. Die wahren Gründe aber liegen viel tiefer.

    Die Kritik, die unter anderem von Kisseljow gegen Barack Obama vorgebracht worden war, blieb gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt der USA aus. Das nahmen die NOD-Aktivisten zum Anlass für ihre Empörung. Die wahren Gründe aber liegen viel tiefer

    Der Krim-Konsens von 2014 hatte nicht nur dazu geführt, dass 86 Prozent der Bevölkerung den politischen Kurs des Präsidenten unterstützen, sondern es hat sich auch eine recht bunte gesellschaftliche Koalition herausgebildet: von solchen, die dienstlich zum Patriotismus verpflichtet sind, bis hin zu radikalen Fürsprechern eines Konflikts mit dem Westen und Russlands „Erhebung von den Knien“. Die Frage, inwiefern die Mitglieder dieser Koalition solche Überzeugungen aufrichtig vertreten, bleibt nach wie vor offen: Der Fall von Denis Woronenkow und Maria Maksakowa hat gezeigt, dass bereits bei den ersten Anzeichen von Ärger glühende Verfechter eines gesamtnationalen Konsens bereit sind, sich als eingefleischte Dissidenten erkennen zu geben.

    Die Heterogenität dieser Koalition war auch in ihrer besten Zeit zu spüren: Die radikalen Kräfte forderten die sofortige Anerkennung der Volksrepubliken Luhansk und Donezk, eine härtere Linie gegenüber den USA sowie grundlegende Umwälzungen im Land. Gemäßigte und radikale Positionen unterschieden sich beispielsweise beim Verhältnis zum finanzwirtschaftlichen Block der Regierung. Die Radikalen sahen in ihm geradezu eine fünfte Kolonne, die das Land daran hindern würde, „sich von den Knien zu erheben“.

    Ein klarer Sieg dieser „Krim-Koalition“ war das Resultat der Dumawahl 2016. Kein einziger oppositionell eingestellter Abgeordneter schaffte es ins Unterhaus und gleichzeitig ging ein Teil der Mandate an Bewerber, die noch vor wenigen Jahren als absolute Randfiguren in der Politik galten. Diese Glanzleistung ist zum entscheidenden Wendepunkt geworden: Radikale sahen, dass ihre Kräfte gefragt waren und fingen an, nach mehr zu streben. Die Machthaber wiederum wollten sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2018 und vor dem Revolutionsjubiläum 2017 von radikalen Gesinnungen distanzieren.

    Dabei war die Regierung bereits vor den Parlamentswahlen dem radikalen Aktionismus etwas überdrüssig geworden. Fragen nach den Übergriffen auf Ausstellungen wurden auch schon bei Wladimir Putins letztjähriger Pressekonferenz gestellt. Der Präsident verurteilte sie, merkte jedoch an, dass es unter den Kulturschaffenden trotzdem Selbstbeschränkungen geben müsse.

    Die Dumawahlen waren der Wendepunkt: Radikale sahen, dass ihre Kräfte gefragt waren und strebten nach mehr

    Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte Dimitri Kisseljow den versöhnlichen Ton herausgehört. „In den Westi Nedeli vom vergangenen Sonntag haben wir das Thema [die Proteste gegen die Ausstellung von Jock Sturges und die Schließung der Fotoschau – dek] gleich zu Beginn gebracht, sogar noch vor den Wahlergebnissen (der Dumawahl im September 2016, Anm. d. Red. Vlast). Darin haben wir erklärt, dass wir gegen Vandalismus sind und gegen gesellschaftliche Organisationen, die Ausstellungen schließen oder eröffnen können“, erläuterte er im Radio Westi FM.

    Der Regierung vorzuwerfen, dass sie von den formulierten Werten abweiche, das geht den radikalen Kräften zu weit, zumindest fürs Erste. Sie haben sich unter Putins Fahne versammelt und es ist klar, dass es unmöglich ist, direkte Kritik am Präsidenten zu üben. Deshalb ist die Strategie, ehemaligen Bündnispartnern vorzuwerfen, sie würden den Präsidenten dabei hindern, die richtige Politik umzusetzen, sowohl aus systemischer als auch aus ideologischer Sicht durchaus verständlich.

    Das ist im Grunde klassisch für jede Revolution. Früher oder später machen sich unter den Siegern diejenigen bemerkbar, die nicht gänzlich einverstanden damit sind, dass dies schon der ganze und endgültige Erfolg ist. Die Radikalen – sie hatten viele Namen – bestehen darauf, dass es weiter gehen muss. Die entscheidende Frage ist, ob sie dafür die nötigen Mittel haben.

    Der Leiter des Lewada-Zentrums Lew Gudkow ist sicher, dass der Großteil der Gesellschaft sich nicht weiter radikalisieren wird und die Regierung vorhat, Druck aus dem Kessel zu lassen. „Die Norm ist in diesem Fall nicht Jewgeni Fjodorow, sondern Dimitri Kisseljow. Fjodorow ist ein Provokateur, er lotet die Grenzen des Zulässigen aus. Kisseljow hingegen wird oft als Kreml-Stimme wahrgenommen, obwohl er zu Formulierungen greifen darf, die härter sind als die offiziellen. Dieser Konflikt deutet darauf hin, dass der Kreml und die Präsidialverwaltung den radikalen Kräften vor den Wahlen und dem Revolutionsjubiläum Einhalt gebieten möchten“, meint der Soziologe.

    Dieser Konflikt deutet darauf hin, dass der Kreml den radikalen Kräften vor den Wahlen und dem Revolutionsjubiläum Einhalt gebieten möchte

    Laut des führenden wissenschaftlichen Mitarbeiters des Instituts für Soziologie der Russischen Akademie der Wissenschaften Leonti Bysow spüren die radikalen Kräfte diese Tendenz und werden nervös: „Ihnen ist klar, dass sie nicht mehr gebraucht werden, dass die Machthaber nicht viel auf sie halten und über sie hinweggehen können.“

    Zudem besteht das Problem auch darin, dass die ideologische und politische Wende von 2014 die Lage nicht nur in der Gesellschaft sondern auch auf der Straße verändert hat.

    „Vor 2014 (vor der Angliederung der Krim und dem Beginn des Konfliktes im Donbass – Anm. d. Red. Vlast) haben ein bis zwei Prozent der Bevölkerung radikale rechte Ansichten geteilt, vergleichbar mit denen von Fjodorow. Bewegungen wie NOD hätten nie genügend Menschen für eine Großkundgebung sammeln können. Die Regierung machte sich diese radikalen rechten Ideen jedoch zu eigen und bekam Zuspruch von einem Großteil der konformistisch eingestellten Wähler, die diese Überzeugungen ansonsten nicht geteilt hätten. Auch Dimitri Kisseljow hat seinen Teil dazu beigetragen“, erklärt Leonti Bysow.

    Wenn es um den Zuspruch für die Ideen der Russischen Welt und um eine „antiwestliche Einstellung“ geht, bemerkt er folgende Besonderheit: Der harte Kern der Befürworter sei gleich geblieben und nach wie vor übersichtlich, aber um ihn herum habe sich eine „riesige Peripherie“ gebildet.

    „Wenn die Gesellschaft einer derart aggressiven und suggestiven Propaganda ausgesetzt ist, fängt ein Teil davon an, sich zu radikalisieren. Früher haben die radikalen Kräfte die Opposition angegriffen, heute greifen sie Gruppen und ihre öffentlichen Vertreter an, die der Regierung gegenüber loyal eingestellt sind“, so Bysow.

    Wenn die Gesellschaft einer derart aggressiven und suggestiven Propaganda ausgesetzt ist, fängt ein Teil davon an, sich zu radikalisieren

    Gudkow ist im Übrigen der Meinung, dass das Fernsehen durchaus in der Lage wäre, die öffentliche Meinung von radikalem Gedankengut zu befreien: „Fjodorow ist kaum bekannt, in den Umfrage-Ranglisten der Politiker taucht sein Name nicht auf. Kisseljow ist ein Prominenter, der beliebteste Fernsehmoderator nach Wladimir Solowjow. Jewgeni Fjodorow wurde als spinnert bezeichnet, als solchen wird man ihn jetzt auch wahrnehmen“, resümiert der Soziologe.

    Allerdings ist eine derartige Abspaltung der radikalen Kräfte von den gemäßigten ein viel zu langwieriger Prozess, um schon jetzt mit absoluter Sicherheit sagen zu können, wer letzten Endes gewinnt und wessen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg mehr wert sein wird. Dies wird sich bestenfalls zum Ende des Präsidentschaftswahlkampfs herauskristallisieren.

    Da die Innenpolitik derzeit so abhängig ist von äußeren Faktoren, könnte eine negative Konjunkturentwicklung jedoch bewirken, dass die „Krim-Koalition“ erneut zusammenrückt. Nicht zufällig war ja der Auslöser des Streits ausgerechnet der US-Präsident mit seinen Tweets.

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  • „Zeit, dem Informationskrieg einen Riegel vorzuschieben“

    „Zeit, dem Informationskrieg einen Riegel vorzuschieben“

    Alexander Bastrykin, Chef des einflussreichen Ermittlungskomitees und ein enger Vertrauter Wladimir Putins, hat Anfang der Woche heftige Debatten ausgelöst.

    In einem Artikel im – politisch weitgehend unabhängigen – Kommersant-Wlast erklärt Bastrykin, Russland sei Opfer eines hybriden Krieges des Westens, und schlägt radikale Gegenmaßnahmen vor: Umfangreiche Gesetzesverschärfungen, die zugleich auch den Terrorismus und extremistische Bedrohungen im Inneren Russlands eindämmen sollen. Viele Kommentatoren halten Bastrykins Lagebeschreibung für fragwürdig und merken an, dass die meisten dieser Gesetze kaum verfassungskonform wären und verheerende Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit hätten.

    Wir veröffentlichen den Text aus doppeltem Grund:

    Zum einen wird an ihm deutlich, wie der Begriff des hybriden Krieges derzeit von beiden Seiten verwendet wird, und zwar fast vollkommen spiegelbildlich – der Westen klagt Russland der hybriden Kriegsführung an, Russland seinerseits den Westen. (Über die Problematik des Begriffes „hybrider Krieg“ mehr in diesen Artikeln von Kofman, Galeotti, Siegert).

    Zum anderen gewährt der Text aber auch einen seltenen Einblick in die Vorstellungswelt eines Silowik, also eines Vertreters des staatlichen Machtapparats: Er malt die These des von allen Seiten bedrohten Russlands in grellen Farben aus und stellt Lösungsvorschläge in den Raum, die in ihrer Repressivität bisher ohnegleichen sind.

    Bastrykins Artikel hat in den vergangenen Tagen hohe Wellen geschlagen: Unabhängige Medien nehmen genauso auf ihn Bezug wie regierungsnahe Quellen, in den sozialen Netzwerken wird der Text heiß diskutiert. Die Fragen stehen im Raum: Steht der Text wirklich beispielhaft für Ideen der russischen Machtelite? Ist er gar eine programmatische Ansage, die in reale Politik umgesetzt werden soll? Oder handelt es sich eher um die – vielleicht bewusst überzeichnete – Darstellung einer persönlichen Meinung? Unsere Presseschau widmet sich ganz diesem Thema und fasst die Reaktionen mit übersetzten Original-Ausschnitten zusammen.

    Im Jahr 2015 gab es in der Russischen Föderation negative Entwicklungen in Bezug auf extremistische und terroristische Verbrechen.

    Es wurden 1329 Straftaten mit extremistischem Hintergrund registriert, das sind 28,5 % mehr als im Vorjahr (1043). In 56 Föderationssubjekten ist die Zahl von Straftaten dieser Art nachweislich gestiegen. Dieser Anstieg lässt sich sowohl auf äußere (geopolitische) als auch auf innenpolitische Faktoren zurückführen.

    Seit etwa zehn Jahren befindet sich Russland, wie viele andere Staaten auch, in einem sogenannten hybriden Krieg. Dieser Krieg wird auf verschiedenen Ebenen geführt – auf politischer, ökonomischer, medialer sowie auf juristischer Ebene. Wobei er in den vergangenen Jahren eine neue Qualität erreicht hat, nämlich die einer direkten Konfrontation.

    Zu den Mitteln ökonomischer Einflussnahme zählen vor allem Handels- und Finanzsanktionen, Dumpingschlachten auf dem Ölmarkt und Währungskriege. Solche Maßnahmen führten zu einer scharfen Abwertung des Rubels, zu sinkenden Realeinkommen in der Bevölkerung, einem Einbruch der industriellen Produktion und zur wirtschaftlichen Rezession.

    Leider werden das internationale Recht und die darauf gründende Justiz immer öfter zum Instrument dieses Krieges.

    Die USA haben durch ihre Unterstützung von radikal-islamistischen und anderen radikalen ideologischen Strömungen die Lage im Nahen Osten vollständig destabilisiert

    Markante Beispiele dafür sind die Entscheidungen im Fall YUKOS1, die Entscheidung im Mordfall des FSB-Offiziers Litwinenko, der Abschlussbericht des niederländischen Sicherheitsrates zum Absturz des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 sowie die Prüfung durch den amerikanischen Geheimdienst, ob die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften an Russland und Katar 2018 und 2022 rechtmäßig war – um nur einige zu nennen.

    Aber die verheerendste Wirkung hat der Informationskrieg. Die USA haben durch ihre Unterstützung von radikal-islamistischen und anderen radikalen ideologischen Strömungen die Lage im Nahen Osten vollständig destabilisiert. Die Auswirkungen von künstlich herbeigeführten Aufständen, Revolutionen und Krisen in dieser Region bekommt Europa derzeit zu spüren. Es wurde von Flüchtlingsmassen überrannt, die einem grundlegend anderen soziokulturellen Hintergrund entstammen und die ansässige Bevölkerung verdrängen.

    Folgen dieser Politik sind außerdem terroristische Vereinigungen wie der Islamische Staat, die Al-Nusra-Front, Al-Qaida und andere Organisationen, die am bewaffneten Konflikt in Syrien beteiligt sind. Personellen Nachschub werben diese Organisationen weltweit an, auch in Russland. Mehr als tausend russische Staatsbürger sind nach Syrien in den bewaffneten Kampf gezogen.

    Ein bewährtes Mittel im Informationskrieg ist die bis zur Radikalisierung reichende Manipulation einer Ideologie, mit der sich eine bestimmte soziale Gruppe identifiziert. Es ist offensichtlich: Das religiöse, ethnokulturelle und konfessionelle Wertesystem ist jene Schicht des gesellschaftlichen Daseins, die die Wesensmerkmale jeder Nation (jedes Volkes) und ähnlicher sozialer Gruppen bestimmt – es dient der Selbstidentifikation. Viele dieser Wertvorstellungen wurden über Jahrhunderte von Generation zu Generation entwickelt, bewahrt und tradiert. Deswegen möchte auch keine Nation auf ihre Identität verzichten. Sie ist wohl die einzige wertebasierte Gemeinsamkeit, die sie mit der Waffe in der Hand zu verteidigen bereit ist, bis zum bitteren Ende, wie man so sagt.

    Im vollen Bewusstsein darüber, welch zerstörerische Kraft Konflikte entfalten, die auf Hass zwischen Nationen (oder Ethnien) gründen, haben die USA gezielt auf den Faktor Information gesetzt. Aus heutiger Sicht wird Folgendes klar: Die Unterminierung und Sabotage des ideologischen Fundaments der UdSSR, das gegründet war auf dem Prinzip der Brüderlichkeit der Völker, wurde ebenfalls von außen veranlasst und basierte darauf, Zwist zwischen den Nationen (der UdSSR) zu schüren.

    Heute ist völlig offensichtlich, dass die Konfrontationen in den 90er Jahren bereits Elemente eines beginnenden, damals noch verdeckten Informationskrieges waren

    Es ist kein Zufall, dass Anfang der 90er Jahre praktisch zeitgleich so viele zwischenethnische Konflikte hochkochen: um Bergkarabach, um Transnistrien, zwischen Georgien und Abchasien, zwischen Osseten und Inguschen.

    Zur selben Zeit gibt es die ersten Massendemonstrationen von nationalistisch gesinnten Bürgern in Kiew. Zusätzlich wurde das Staatssystem durch antisowjetische Propaganda unterminiert sowie durch die Finanzierung der politischen Opposition in Litauen, Lettland, Estland, Georgien und weiteren Ländern.

    Natürlich wurden diese Ereignisse damals von der jeweiligen Bevölkerung als lokale Konflikte aufgefasst. Doch heute ist völlig offensichtlich, dass all diese Konfrontationen Elemente eines beginnenden, damals noch verdeckten Informationskrieges waren.

    Es besteht kein Zweifel, dass diese informationsideologischen „Waffen“ auch weiterhin zur Anwendung kommen werden. Davon zeugen die gestiegenen Ausgaben im US-amerikanischen Staatshaushalt für Programme zur sogenannten Stärkung demokratischer Institutionen in an Russland grenzenden und zentralasiatischen Staaten. Der wahre Zweck dieser Mittel geht aus ihrer Bezeichnung im Haushalt hervor: „Gegenmaßnahmen gegen die russische Aggression durch Public Diplomacy und Hilfsprogramme sowie Schaffung einer stabilen Regierung in Europa.“2

    Laut Haushaltsplan sind 2017 etwa 4,3 Milliarden Dollar für solche Ausgaben vorgesehen. Davon fließt etwa eine Milliarde in Programme der sogenannten Korruptionsbekämpfung und in die Förderung der demokratischen Gesellschaften in Russlands Nachbarstaaten.

    Es ist höchste Zeit, diesem Informationskrieg einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Es braucht eine harte, adäquate und symmetrische Antwort

    Schon früher hatten sich verschiedenste öffentliche Organisationen Finanzmittel aus diesen Programmen zu eigen gemacht – unter dem Deckmantel der Förderung von Bildung, der Entwicklung der Zivilgesellschaft oder anderer scheinbar guter Absichten. Dadurch wurden im Ergebnis antirussische Stimmungen in den an unser Land grenzenden Staaten angeheizt, eine proamerikanische und prowestliche, nicht-systemische Opposition in Russland herausgebildet und interkonfessioneller wie politischer Extremismus in unserem Land verbreitet.

    Die aktuellen Ereignisse in Bergkarabach zeugen vom wiederholten Versuch jener russlandfeindlichen Kräfte, den Frieden zwischen dem armenischen und dem aserbaidschanischen Volk ins Wanken zu bringen und einen weiteren Kriegsherd an der Grenze Russlands zu schaffen.

    Ich denke, es ist höchste Zeit, diesem Informationskrieg einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Es braucht eine harte, adäquate und symmetrische Antwort. Insbesondere in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen und des möglichen Risikos, dass weitere Kräfte aktiviert werden, um die politische Lage zu destabilisieren. Schluss mit dem Spiel der Scheindemokratie, bei dem man pseudoliberalen Werten folgt! Denn Demokratie oder Volksherrschaft ist nichts anderes als die Macht des Volkes selbst, die in seinem eigenen Interesse umgesetzt wird. Das Mittel zur Verwirklichung dieser Interessen liegt im Allgemeinwohl und nicht in der absoluten Freiheit und Willkür einiger weniger Mitglieder der Gesellschaft.

    Am Wichtigsten ist es, ein Konzept für eine ideologische Staatspolitik zu entwickeln. Grundelement sollte dabei die nationale Idee sein, sie allein vermag das multinationale russische Volk zu einen

    Zur Bekämpfung von Extremismus können folgende Maßnahmen vorgeschlagen werden:

    Am Wichtigsten ist es, ein Konzept für eine ideologische Staatspolitik zu entwickeln. Grundelement sollte dabei die nationale Idee sein, sie allein vermag das multinationale russische Volk zu einen. Dieses Konzept sollte konkrete lang- und mittelfristige Maßnahmen vorsehen, die die ideologische Bildung und Erziehung unserer heranwachsenden Generation betreffen. Gerade die bewusste Widerstandsfähigkeit gegenüber radikalen religiösen und anderen Ideologien würde jenes Fundament schwächen, auf dem die derzeitigen extremistischen Ideologien gedeihen. Mit einem derartigen Schutz wäre auch die großzügigste Finanzierung einer Destabilisierung der Lage in Russland wirkungslos.

    Außerdem muss unbedingt beachtet werden, dass terroristische Gruppierungen gerade Jugendliche als eine Art natürliche Reserve ansehen. Daher müssen wir unbedingt die Initiative ergreifen und die jungen Menschen aus dieser Risikogruppe einbeziehen, um Gegenmaßnahmen zum bewaffneten Extremismus zu erarbeiten und umzusetzen.

    Es wäre sinnvoll, mit Hilfe von Aufsichts- und Kontrollorganen eine breitangelegte und detaillierte verfassungsrechtliche Überprüfung aller religiösen, nationalkulturellen und Jugendorganisationen vorzunehmen, bei denen Anlass zum Verdacht besteht, dass sie verbotene extremistische Tätigkeiten ausüben.

    Ausgehend von den im Nordkaukasus gesammelten Erfahrungen, muss eine konkrete und höchst zielgerichtete Präventionsarbeit mit Vertretern aus informellen Jugendvereinigungen organisiert werden. Ziel des Ganzen ist es, durch spezielle Maßnahmen an Informationen über negative Entwicklungen unter Jugendlichen heranzukommen sowie Ideologen und Führer radikaler Organisationen zu ermitteln, die versuchen, junge Menschen in extremistische Aktivitäten hineinzuziehen.

    Unterstützenswert sind auch positive Erfahrungen wie die in der Republik Inguschetien. Hier ist ein militärpatriotischer Verein gegründet worden: Er bringt Kinder von Ermittlungsbehörden-Mitarbeitern, die im Dienst ums Lebens gekommen sind, in Kontakt mit Kindern ehemaliger Mitglieder bewaffneter Untergrundorganisationen. Dies ermöglicht ihnen eine Annäherung und schafft eine Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses.

    Wir müssen festlegen, in welchem Maß in Russland das globale Netzwerk des Internets zensiert werden soll. In dieser Hinsicht sind die Erfahrungen anderer Staaten interessant, die sich den USA und deren Verbündeten entgegenstellen

    Das hier vorgeschlagene Konzept betrachtet es als angebracht, festzulegen, in welchem Maß in Russland das globale Netzwerk des Internets zensiert werden soll. Dieses Problem verursacht ja derzeit hitzige Debatten dadurch, dass es die Verteidiger der Informationsfreiheit  auf den Plan gerufen hat.

    In dieser Hinsicht sind die Erfahrungen anderer Staaten interessant, die sich den USA und deren Verbündeten entgegenstellen. Angesichts des beispiellosen medialen Drucks sind sie dazu übergegangen, die ausländische Presse einzuschränken, um den nationalen Informationsraum zu schützen. So hat beispielsweise das chinesische Ministerium für Industrie und Informatik zum 10. März 2016 ein Verbot von elektronischen Medien eingeführt, die vollständig oder teilweise im Besitz von im Ausland lebenden Personen sind. Solche Medien können keine Informationen mehr im Internet verbreiten, sondern bestenfalls im Printbereich. Chinesische Medien dürfen von nun an nur noch mit ausländischen Online-Medien zusammenarbeiten, wenn sie dafür eine Erlaubnis des entsprechenden Ministeriums haben. Die Leitung nationaler Medien ist chinesischen Staatsbürgern vorbehalten. Voraussetzung ist dabei, dass sich die Server von Online-Medien in der Volksrepublik befinden.

    Es ist durchaus vorstellbar, diese Erfahrungen in vernünftigem Maße auch in Russland umzusetzen.

    Internet-Provider müssen im notwendigen Umfang einheitliche Datenschutzregeln für Kunden und User ausarbeiten – für den Fall, dass derartige Auskünfte bei der Untersuchung von Gesetzesübertretungen im Bereich der IT-Sicherheit angefordert werden.

    An öffentlichen Orten mit Zugang zum World Wide Web (Bibliotheken, Schulen und andere Bildungseinrichtungen) müssen Webfilter eingebaut werden, die Websites mit extremistischen Inhalten blockieren.

    Migrationsbewegungen müssen besonders aufmerksam verfolgt werden. Gerade Migranten werden oft rekrutiert und radikalisiert

    Außerdem wäre es angebracht, ein außergerichtliches (administratives) Verfahren einzuführen, demzufolge extremistische Materialien auf eine landesweite Liste gesetzt werden. Auch müssen Domain-Namen von Websites blockiert werden können, wenn sie extremistische und radikal-nationalistische Informationen verbreiten. Falls sie den Extremismusvorwurf für nicht gerechtfertigt halten, können Informationseigner sich an die zuständigen staatlichen Organe wenden und vor Gericht ihre Unschuld beweisen.

    Mitunter rekrutieren Terrororganisationen ihren Nachwuchs im Netz. Um diese rechtswidrigen Handlungen bekämpfen zu können, muss das Spektrum strafrechtlicher Maßnahmen erweitert werden. Hierfür ist zu prüfen, wie der Besitz, die Sammlung oder das Herunterladen solchen Materials strafrechtlich zu ahnden ist.

    Migrationsbewegungen müssen besonders aufmerksam verfolgt werden. Gerade Migranten werden oft rekrutiert und radikalisiert. Viele von ihnen befinden sich trotz abgelaufener Aufenthaltserlaubnis in Russland und verschwinden so aus dem Blickfeld der Ermittlungsbehörden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die die Fragen des Aufenthalts ausländischer Staatsbürger und Staatenloser auf dem Gebiet der Russischen Föderation regeln, müssen unbedingt überprüft werden. Basierend auf den Ergebnissen müssen Ergänzungen zur Verbesserung der Gesetzeslage erfolgen.

    Spezielle Charakteristika  extremistischer Tätigkeit haben sich im Föderationskreis Krim herausgebildet. Dort wird versucht, eine antirussische Stimmung zu schaffen

    Spezielle Charakteristika extremistischer Tätigkeit haben sich im Föderationskreis Krim herausgebildet. Dort wird versucht, eine antirussische Stimmung zu schaffen, indem Informationen über geschichtliche Tatsachen verfälscht und aktuelle Geschehnisse verzerrt dargestellt werden. So wird versucht, die Ergebnisse des Referendums über den Beitritt der Krim zu Russland in Zweifel zu ziehen. Dabei ist dieser Akt rechtlicher Willensbekundung der gesamten Krim-Bevölkerung zu einem unveräußerlichen Teil des russländischen Konstitutionalismus geworden. Im Hinblick auf den Rang, den dieser Akt in der Wertehierarchie von Staat und Gesellschaft in Russland einnimmt, muss ihm zweifellos besonderer rechtlicher Schutz zuteilwerden. Dazu gehören auch strafrechtliche Mittel.

    Hier ist anzumerken, dass es völlig üblich ist, das Leugnen oder die Verfälschung historischer Ereignisse, die von besonderer Bedeutung für den Staat und die Gesellschaft sind, unter Strafe zu stellen. So ist zum Beispiel in vielen Ländern der Welt, darunter auch in Russland, das Verbreiten faschistischer Propaganda strafbar. In Frankreich und auch in einer Reihe anderer Staaten steht mittlerweile das Leugnen des Völkermords an den Armeniern unter Strafe. In Israel steht das Leugnen des Holocaust unter Strafe.

    In Anbetracht dieser Ausführungen scheint es notwendig, den im föderalen Gesetz „Zur Bekämpfung extremistischer Tätigkeiten“ definierten Extremismusbegriff so zu erweitern, dass er auch ein Phänomen wie das Leugnen der Ergebnisse eines landesweiten Referendums umfasst. Auch die gezielte Verfälschung der Geschichte unseres Staates muss entschieden unterbunden werden. In diesem Zusammenhang könnte auch Artikel 280 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation (öffentliches Anstiften zu extremistischen Handlungen) erweitert werden. Und zwar um ein Definitionsmerkmal, das ein Anstiften zu extremistischen Handlungen auch dann erkennt, wenn es in Zusammenhang mit verfälschten Informationen zu geschichtlichen Tatsachen und Ereignissen steht.

    Außerdem muss die Sozialgesetzgebung dahingehend überprüft werden, ob nahe Angehörige von Personen, die in irgendeiner Weise an Terrorismus beteiligt sind, im Fall des Todes der sie versorgenden Person Renten oder andere finanzielle Leistungen erhalten sollen. Eine Person, die sich zur Ausführung derartiger Verbrechen entschließt, muss sich darüber im Klaren sein, dass sie im Fall ihres Todes nicht nur in einem namenlosen Grab beerdigt wird, sondern dass sie damit auch ihre nahen Angehörigen um die finanzielle staatliche Unterstützung bringt.

    Eine weitere Möglichkeit des effektiven Kampfes gegen Extremismus, Terrorismus und andere kriminelle Gefahren stellt die strafrechtliche Konfiszierung von Eigentum dar.

    Entsprechende Gesetzesvorschläge sind bekanntlich in Vorbereitung und müssen schnellstmöglich verabschiedet werden. Leider hat sich dieser Prozess unnötig verzögert.

    Genauso wichtig ist es, das Rechtssystem für die internationale Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und anderen staatlichen Organen auszubauen, denen die Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus obliegt.


    1.Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatte das Den Haager Bezirksgericht die vom Schiedsgericht verfügte Strafzahlung von 50 Milliarden Dollar an ehemalige YUKOS-Aktionäre noch nicht aufgehoben. Dieses Urteil ist erst am 20. April gefallen. Eine weitere Runde in diesem Rechtsstreit ist zu erwarten.
    2. gemeint ist der Punkt: Countering Russian aggression through public diplomacy and foreign assistance programs, and building the resilience of governments and economies in Europe, Eurasia, and Central Asia in http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2016/02/252213.htm

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    Chinesisch für Anfänger

    Russland ist zum Westen auf Distanz gegangen – nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2012 bereitete Putin eine „Wende nach Osten“ vor, um „chinesischen Wind in den Segeln der russischen Wirtschaft einzufangen”. Doch China reagiert weniger enthusiastisch, als man erwartet hatte.

    Das erste Jahr der „Wende gen Osten“ ist um, und kaum jemand lässt ein gutes Haar daran. Nach Meinung der meisten von Kommersant-Wlast befragten Politiker und Unternehmer ist das Projekt gescheitert, sogar einige Beamte sind der gleichen Meinung. Das ist zwar nur eine subjektive Wahrnehmung (im Vorfeld waren keine Erfolgskriterien festgelegt worden), aber deswegen nicht weniger bemerkenswert.

    Vor dem Hintergrund der eindeutigen politischen Erfolge wirkt das vielleicht seltsam: Schließlich haben Wladimir Putin und Xi Jinping im Mai 2015 eine Kooperation zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und dem Wirtschaftsgürtel entlang der Seidenstraße vereinbart, und beide Staatsführer besuchten die jeweiligen Militärparaden in Moskau und Peking am 9. Mai und 3. September.

    Obwohl keiner offiziell eine Wende nach Osten verkündet hat, ist die Aufmerksamkeit russischer Beamter gegenüber China stark gewachsen.

    Auch die traditionelle Zusammenarbeit im Militärbereich hat sich positiv entwickelt: China war der erste ausländische Käufer von S-400 Luftabwehrsystemen und Kampfjets des Typs SU-35. Und das Unterwasserkabel für die vom Stromnetz getrennte Krim wurde auch in China hergestellt, bei Jiangsu Hengtong. Was also ist hier schiefgegangen?

    Putin richtet 2012 Kurs auf Osten

    Der Grundstein für die Wende wurde bereits 2012 im Vorfeld des APEC-Gipfeltreffens in Wladiwostok gelegt. Ein halbes Jahr zuvor, im Februar 2012, hatte Putin im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen einen Artikel veröffentlicht und darin bemerkt, Russland habe nun „die Chance, chinesischen Wind in den Segeln der russischen Wirtschaft einzufangen“. Drei Monate später wurde offiziell das Ministerium für Ostentwicklung eröffnet, zu dessen Aufgaben die Anwerbung von asiatischen Geldern zählte, insbesondere von chinesischen. Die Zusammenarbeit zwischen den Ländern entwickelte sich jedoch ziemlich schwach, abgesehen vom Energiesektor (Rosneft-Verträge von 2013 und 2014). Russische Unternehmer und Beamte waren misstrauisch gegenüber ihren chinesischen Partnern. Die Verhandlungen mit ihnen nutzten sie in erster Linie als Druckmittel gegenüber den Europäern in Energiepreisfragen.

    Die Reaktion der Chinesen auf unsere plötzliche Aufmerksamkeit war eher zurückhaltend und kühl.

    Alles änderte sich nach der Einführung der westlichen Sanktionen gegenüber Russland nach der Angliederung der Krim. „Obwohl keiner offiziell eine Wende gen Osten verkündet hat und der erste Vize-Premier Igor Schuwalow diese im Juni 2015 sogar bestritt“, erinnert sich für Kommersant-Wlast der Leiter des Asien-Programms des Carnegie-Zentrums in Moskau Alexander Gabujew, „ist die Aufmerksamkeit russischer Beamter gegenüber China spürbar gewachsen.“

    Zum „asiatischen Davos“ in Bo’ao im April 2014 reiste zum ersten Mal eine riesige russische Delegation an, unter der Leitung des Vize-Premiers Arkadi Dworkowitsch. Gazprom und CNPC, die sich zehn Jahre lang nicht über Gaslieferungen nach China einigen konnten, unterschrieben im Schnellverfahren einen Vertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren über die Lieferung von 38 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich, der auch den Bau der Pipeline Sila Sibiri umfasst. Ein Jahr später, am 8. Mai 2015, wurde er um einen Vertrag über den Bau eines zweiten Pipelinestranges und am 3. September um ein Memorandum über einen dritten Pipelinestrang ergänzt.

    Obwohl diese Vereinbarungen eine starke politische Komponente hatten sowie ernsthafte Fragen bezüglich ihrer Wirtschaftlichkeit aufwarfen, vermittelten sie das Gefühl einer wachsenden Kooperation und der Bereitschaft Chinas, langfristig in Russland zu investieren. Dies wiederum schaffte die angenehme Illusion, dass im Fall der Fälle Peking aktiv an der finanziellen Unterstützung Russlands interessiert bleiben würde, und sei es nur, um die investierten Mittel nicht zu verlieren.

    China findet wenig Anreize, in Russland zu investieren

    Aber schon Ende 2015 hat sich durch unbarmherzige Zahlen das ganze Pathos der unzerstörbaren russisch-chinesischen Freundschaft in den Augen von Experten in Luft aufgelöst. Zwar gab es Vereinbarungen über eine ganze Reihe von Großprojekten in der Maschinenbau- und Energiebranche, durch den Rubelverfall konnte man aber keinen Nutzen aus diesen Erfolgen ziehen. Der Rückgang des Handelsvolumens mit China wird 2015 circa 30 Prozent betragen.

    Chinesische Investoren machten sich nicht einmal den Preisverfall für russische Aktiva zunutze. Gerade mal 0,7 Prozent (794 Millionen US-Dollar von 116 Milliarden) aller chinesischen Auslandsinvestitionen wurden in Russland getätigt. Die Öllieferungen nach China sind zwar um 30 Prozent gestiegen, jedoch sanken aufgrund des Rubelverfalls die daraus resultierenden Einnahmen im gleichen Maße. Die Flüssiggaslieferungen fielen von Januar bis September 2015 um 51,3 Prozent, was im Geldäquivalent einem Rückgang von 71,5 Prozent entspricht. Und was den Bau des zweiten Pipelinestranges betrifft, so dringen in regelmäßigen Abständen beunruhigende Nachrichten über Verzögerungen und merkwürdige Kapriolen der chinesischen Partner durch und lassen um das Schicksal des Projekts bangen.

    Auch die Versuche russischer Staatsunternehmen, versiegte Kreditströme aus Europa durch chinesische zu ersetzen, blieben erfolglos. Chinesische Banken wissen ihre guten Beziehungen zu amerikanischen Kollegen zu schätzen (mit Ausnahme der ExIm Bank und China Development Bank, chinesischen Entsprechungen der russischen staatlichen Wneschekonombank VEB und VTB-Bank, bei deren Handeln politische Motivationen eine Rolle spielen). Sie schlossen sich faktisch den anti-russischen Sanktionen an und setzten alles daran, um Kreditvergaben herumzukommen.

    Projekte, bei denen die russische Seite nur ihr geistiges Eigentum anbietet, rufen bei den Chinesen meistens keinen Enthusiasmus hervor.

    Außerdem wurden, wie Kommersant-Wlast vom Geschäftsführer des Russland-ACEAN Business-Rates Viktor Tarussin erfuhr, viele Russen gezwungen, ihre Konten bei chinesischen Banken zu schließen und die Mittel zu anderen Banken zu transferieren. Und Gazprom verkündete, enttäuscht von den asiatischen Kollegen, am 9. Dezember, der alljährliche Investorentag, der 2015 in Singapur und Hong Kong stattgefunden hatte, würde nach London und New York zurückverlegt. Als Grund dafür nannte Gazprom Interfax „die Unentschlossenheit und den Konservativismus der asiatischen Investoren“.

    China hat kaum Gründe, aktiv in Russland zu investieren. Peking lässt sich meist von harter Wirtschaftslogik leiten und investiert normalerweise entweder in die Staaten der Ersten Welt, die in der Lage sind, Technologien oder Management-Knowhow zur Verfügung zu stellen (USA) oder Dritte-Welt-Staaten, die sich vergleichsweise billig und ohne arbeitsrechtliche Sperenzchen von Ressourcen und Anbauflächen trennen (Sudan, Simbabwe). Russland gehört weder zur ersten noch zur zweiten Kategorie.

    Im Ranking zur Geschäftsfreundlichkeit, dem Doing Business-Index, bei dem Russland im Oktober auf Platz 51 gestiegen ist, liegt China im Umfeld von Singapur (Platz 1), Hong Kong (Platz 5), Südkorea (Platz 4), Taiwan (Platz 11) und Malaysia (Platz 18). Im Global Opportunity-Index, der die Investitionsattraktivität eines Staates misst, belegt Russland den 81. Platz, Singapur den 1., Hong Kong den 2., Malaysia den 10., Südkorea den 28. und Japan den 17. Wenn es um Rechtstaatlichkeit geht, rutscht Russland sogar auf Platz 119 und landet damit in der Nachbarschaft von Nigeria und Mosambik.

    Russland hat die chinesischen Bedürfnisse falsch eingeschätzt

    Durch all die politischen Vereinbarungen und die pompösen gegenseitigen Freundschaftserklärungen entstand sowohl bei russischen Unternehmern als auch bei der Staatsbürokratie der Eindruck, nun würden die chinesischen Firmen von oben Anweisung bekommen, mit Russland Verträge unter dem Marktwert abzuschließen. Dies ist nicht geschehen.

    „Ich denke, Russland hat zu emotional auf die Verkündung der Wende gen Osten reagiert. Die Reaktion der Chinesen auf unsere plötzliche Aufmerksamkeit war dann eher zurückhaltend und kühl“, so Irina Sorokina, geschäftsführende Leiterin der Russisch-chinesischen Kammer zur Förderung des Handels in der Maschinenbau- und Innovationsindustrie. „Wir haben eine Investitionsflut aus China erwartet, aber dort zögert man lieber erst einmal und wiegt alles sehr sorgfältig ab.“

    Wo die Europäer meinen, es sei bereits eine Entscheidung getroffen, sehen die Chinesen bloß eine Grundlage für Verhandlungen.

    Ihrer Meinung nach ist für chinesische Unternehmer – egal bei welchem Projekt – die Rentabilität ihrer Investitionen am wichtigsten. Außerdem schätzen sie die Bereitschaft der Partner, auch finanziell einzusteigen, doch dazu sind russische Unternehmer oft nicht bereit. „Projekte, bei denen die russische Seite nur ihr geistiges Eigentum anbietet und von den Partnern Geld als Anteil für das gemeinsame Unternehmen verlangt, rufen bei den Chinesen meistens keinen Enthusiasmus hervor“, ergänzt Irina Sorokina.

    Wegen der Probleme bei der Wende nach Osten entstand in der russischen Staatsführung offensichtlich der Wunsch, die Situation zu verbessern. „Die Regierung hat versucht, gezielt Expertise aufzubauen“, sagt Alexander Gabujew. „Also wurde ein Ausschuss für die Förderung der Wirtschaftsinteressen in der Asien-Pazifik-Region gegründet. Ansonsten haben die unter dem ersten Vize-Premier Igor Schuwalow im Vorjahr eingeführten Gremien ihre Arbeit fortgesetzt.“ Nach Meinung von Experten reichen diese Bemühungen jedoch nicht für grundlegende Veränderungen.

    Es gibt einzelne Erfolgsbeispiele

    Gelingt der Zugang zu den chinesischen Partnern, sind die Ergebnisse oft interessant. Maxim Sokow, Generaldirektor des Metall-, Bergbau- und Energiekonzerns En+, ist überzeugt, dass es zwar nicht einfach sei, sich an die Eigentümlichkeiten des chinesischen Geschäftsgebarens zu gewöhnen, aber durchaus möglich. „Man muss bedenken, dass man mit China nicht von heut auf morgen Geschäftsbeziehungen aufbauen kann. Du musst mit den Menschen zunächst große Mengen Tee trinken und viele Worte des Respekts äußern, doch dann geht alles ziemlich schnell“, so Sokow im Gespräch mit Wlast. „Das russische Sprichwort ‘Wer langsam einspannt, der fährt schnell’ hat in China eine Entsprechung.“ Wo die Europäer meinen, es sei bereits eine Entscheidung getroffen, sehen die Chinesen bloß eine Grundlage für den nächsten Verhandlungsschritt, so Sokow.

    Im Jahr 2015 gab es eine Vereinbarung über die Gründung eines Zentrums für Datenverarbeitung. Beteiligt waren die Konzerne En+ und Lanit, die Regierung der Region Irkutsk sowie die chinesischen Unternehmen Huawei und Centrin Data Systems. Schon im Sommer 2016 soll das Rechenzentrum in Betrieb gehen. Es wird Informationen chinesischer Firmen auf von Huawei gelieferten Anlagen verarbeiten.

    Im Gegensatz zur teilweise „politischen“ Pipeline Sila Sibiri steht dieses Projekt auf rein kommerziellen Füßen und hat somit gute Aussichten auf Erfolg. Das ökonomische Kalkül ist einfach: kaltes sibirisches Klima (Server brauchen ständige Kühlung) plus billiger Strom aus sibirischen Wasserkraftwerken (hierauf entfallen 60 Prozent der Selbstkosten des Zentrums) plus der unendliche chinesische Markt, der nach immer mehr Rechenkapazität verlangt.

    Ob Russland und China sich wirklich wirtschaftlich aufeinander zubewegen, ist offen

    Das wichtigste Ergebnis des Jahres ist, dass russische Beamte und Unternehmer Asien für sich entdeckt haben und und nun beginnen, sich für die landesspezifischen Businessregeln zu interessieren. „Der Osten wurde ein Thema in Strategiesitzungen großer Unternehmen, und nicht nur in Staatsbetrieben. Wobei die Überlegungen dort bisher noch nicht sehr qualifiziert sind“, so die Beobachtungen von Dimitri Ontojew, dem Leiter des Labors für regionale Studien im Institut für Schwellenländer an der Skolkowo School of Management in Moskau. „Das Hauptproblem ist: Der Markt ist voll. Westliche Unternehmen haben sich schon vor 40 Jahren Richtung Osten gewandt, daher sind russische Firmen jetzt gezwungen, ziemlich entschieden mit den Ellbogen zu arbeiten, worauf sie nicht vorbereitet waren.“

    Das Hauptproblem ist: Der Markt ist voll. Westliche Unternehmen haben sich schon vor 40 Jahren Richtung Osten gewandt.

    Das Jahr 2016 hat vielversprechend begonnen: Am 18. Januar lud die russische Delegation im Asia Society Hong Kong Center in Hong Kong zu einer Veranstaltung ein namens Russlands Platz im Wirtschaftsmodell der Asien-Pazifik-Region – neue Möglichkeiten für Wachstum und Investitionen. Vize-Premier Arkadi Dworkowitsch und der Magnat Viktor Wexelberg versuchten, die Teilnehmer aus einflussreichen asiatischen Wirtschaftskreisen zu überzeugen, dass sich Investitionen in Russland lohnen.

    Das Auditorium reagierte zugänglich. Aber mit einer Antwort, die er auf eine Frage des Moderators Ronnie Chan gab, plauderte Arkadi Dworkowitsch zufällig das wichtigste russische Staatsgeheimnis aus: das Fehlen einer langfristigen Planung. „Wie sehen Sie Russland in 10 bis 20 Jahren?“, fragte Ronnie Chan und fügte hinzu, dass Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping auf diese Frage wohl wie aus der Pistole geschossen antworten würde. Arkadi Dworkowitsch sagte: „Als einen normalen Staat.“ Um dann zu präzisieren: „Stark und offen für die Weltgemeinschaft.” Ob diese Antwort die asiatischen Investoren zufrieden gestellt hat, sehen wir dann an den Ergebnissen des Jahres 2016.

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