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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Operation „Spinnennetz“

    Operation „Spinnennetz“

    Ein handelsübliches Drohnen-Schutznetz kostet fünf bis zehn Euro pro Quadratmeter. Die ukrainische Armee braucht aber ständig neue solche Abwehrnetze gegen russische Drohnenangriffe. Überall an der Front, über tausende Quadratkilometer. Freiwillige Helfer der ukrainischen Armee haben darum eine kostengünstige Alternative gefunden und ausprobiert. 

    Etwa 500 Tonnen ausgemusterte Fischernetze von niederländischen Fischereibetrieben haben sie schon zu Fronteinheiten gebracht. Die Soldaten schützen damit sich selbst und ihre Technik. Gleichzeitig verändern solche Schutznetze auch den Drohnenkampf an sich.  

    Wie genau alte Fischernetze ins Kampfgebiet kommen und dort eingesetzt werden, hat Frontliner-Reporter Artem Derkatschow in einer Fotoreportage dokumentiert.   

    Soldaten und Helfer entladen nachts im Gebiet Charkiw Lkw mit Fischernetzen für die Front. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Soldaten und Helfer entladen nachts im Gebiet Charkiw Lkw mit Fischernetzen für die Front. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    In den Lagerhallen europäischer Häfen warten tausende Tonnen ausrangierter Fischernetze auf ihren Einsatz. Ukrainische Soldaten können die gut da gebrauchen, wo im Kampfgebiet Drohnen eingesetzt werden und der Schutz davor eine der größten Herausforderungen ist.  

    Ukrainische Armeehelfer starteten darum ihre Logistik-Operation Pawtunnja (Spinnennetz). 

    Ein Fischernetz wird auf einem ukrainischen Militär-Lkw befestigt. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Ein Fischernetz wird auf einem ukrainischen Militär-Lkw befestigt. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Eine Kolonne aus zehn Lkw rollt in Richtung Kyjiw. In jedem befinden sich etwa 15 Tonnen Fischernetze. Diese Netze sind grob genug, um an der Front FPV-Drohnen abzufangen, mit denen die russische Armee häufig ukrainische Stellungen angreift. 

    Eine Kolonne aus zehn Lkw auf ihrem mehr als 2000 Kilometer weiten Weg aus den Niederlanden nach Kyjiw. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Eine Kolonne aus zehn Lkw auf ihrem mehr als 2000 Kilometer weiten Weg aus den Niederlanden nach Kyjiw. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Die ukrainischen Militärhelfer rund um die Stiftung Volonter haben die Netze aus den Niederlanden organisiert, wo in zahlreichen Hafenanlagen noch etwa 4000 Tonnen Netze lagern. Denen jagten aber auch schon russische Händler hinterher, berichten die Freiwilligen bei einem Zwischenstopp zur Transportkontrolle in Kyjiw. 

    Grobe Fischernetze aus dem Lager einer Fischfabrik in den Niederlanden, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Grobe Fischernetze aus dem Lager einer Fischfabrik in den Niederlanden, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    „Dieses Netz hier wollten Chinesen kaufen“, sagt Ihor Bondartschuk von Volonter. „Aber wir konnten unsere Partner in den Niederlanden davon zu überzeugen, sie uns kostenfrei zu geben. Wir müssen also nur Geld für die Logistik ausgeben.“ 

    Ausgediente niederländische Fischernetze erreichen die Ukraine. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Ausgediente niederländische Fischernetze erreichen die Ukraine. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Die Netze wurden früher von Fischereibetrieben zum Fischen verwendet. Aber mit der Zeit hat sich das Material abgenutzt. Dann kamen sie ins Lager, um später recycelt oder entsorgt zu werden.  

    Bis die Militärhelfer sie entdeckten: Mit ganz ähnlichen Netzen bedecken die Soldaten ihre Schützengräben und Militärtechnik, um die Stellungen zu maskieren und gleichzeitig gegen Einschläge von Lancet-Kampfdrohnen und FPV-Drohnen zu schützen. Dank der festen Struktur fängt das Netz die Drohnen oder abgeworfene Geschosse ab und wirft sie zurück, bevor sie dann in einigermaßen sicherem Abstand vom eigentlichen Ziel explodieren. Der Angreifer muss dann eine neue Attacke starten. 

    Ukrainische Soldaten holen die gelieferten Fischernetze aus einem frontnahen Dorf in der Region Charkiw. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Ukrainische Soldaten holen die gelieferten Fischernetze aus einem frontnahen Dorf in der Region Charkiw. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Wenn so beispielsweise eine gegnerische Drohne mit Hohlladungsmunition ihr eigentliches Ziel verfehlt und nicht mehr direkt in Militärtechnik einschlägt, verursacht sie nur geringe Schäden. Oder die Drohne verfängt sich im Netz und explodiert dort. 

    Ein Militärtruck mit Anti-Drohnen-Netz, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Ein Militärtruck mit Anti-Drohnen-Netz, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    „Am Anfang haben wir eine Testcharge geliefert“, berichtet der Leiter der Hilfsorganisation, Artem Kuljubajew. „Das war gar keine große Menge Netze. Sie erwiesen sich als tatsächlich effektiv und so nahmen die Anfragen verschiedener Einheiten, mit denen wir zusammenarbeiten, beträchtlich zu. Wir wollen unseren Jungs entlang der gesamten Frontlinie helfen: in den Regionen Saporishshja, Cherson, Donezk und Charkiw. Unsere Ressourcen sind unbezahlbar – die menschlichen wie die technischen: Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sind, wenn sie mit solchen Netzen abgedeckt sind, kaum mehr erreichbar für russische Angriffe.“ 

    Helfer und Soldaten entladen den Fischernetz-Transport nachts in einem frontnahen Dorf in der Region Charkiw. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Helfer und Soldaten entladen den Fischernetz-Transport nachts in einem frontnahen Dorf in der Region Charkiw. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Nach einem Zwischencheck in Kyjiw macht sich ein Teil der neuen Lieferung auf den Weg in die Oblast Charkiw. Dort kommt sie spät in der Nacht an. Das Ausladen muss schnell gehen, denn hier in Grenznähe greifen die Russen praktisch täglich auch mit Gleitbomben an. Und sicher beobachten ihre Aufklärungsdrohnen Orlan alles, was hier passiert.  

     Mit Rotlicht versucht man in Frontnähe möglichst nicht die Aufmerksamkeit der feindlichen Truppen auf sich zu ziehen. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Mit Rotlicht versucht man in Frontnähe möglichst nicht die Aufmerksamkeit der feindlichen Truppen auf sich zu ziehen. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Am nächsten Morgen befestigt einer der Soldaten, Rufname Wilhelm, direkt ein frisch geliefertes Netz an seinem Militärtruck. „Heute ist das Gras noch grün, morgen schon gelb. Welche Farbe die Netze haben, ist also nicht so wichtig“, erklärt der Soldat „Wilhelm“. „Das Wichtigste ist, dass uns diese verdammten Drohnen nicht gleich beim ersten Anflug treffen. Das ist jetzt ein Krieg der Artillerie und der Drohnen. Unsere Technik können wir jetzt gleich mit den Netzen schützen, aber unsere vordersten Stellungen leider nicht. Die Russen machen gerade viel Druck in Richtung Charkiw – haufenweise Bomben und Drohnen und Raketen. Da schaffst du es kaum, dich einzugraben, geschweige denn, Netze drüber zu ziehen.“ 

    Soldat „Wilhelm“ schützt seinen Militärtruck mit einem Fischernetz aus den Niederlanden. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Soldat „Wilhelm“ schützt seinen Militärtruck mit einem Fischernetz aus den Niederlanden. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Die Verteidigungsstellungen abzusichern, ist unter den aktuellen Kampfbedingungen keine leichte Aufgabe. Das braucht nicht nur Material, sondern auch Zeit. Jeder zusätzliche Schutz bedarf gründlicher Planung. Die Soldaten erklären, dass man während des Anbringens von Fischer- oder speziellen Anti-Drohnen-Netzen mehrere Faktoren beachten muss: So darf das Netz nicht die Bewegungsfreiheit der Soldaten in den Schützengräben beeinträchtigen. Es darf auch nicht beim Schießen und Granatenwerfen stören.

    Ein Drohnenschutznetz wird befestigt, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Ein Drohnenschutznetz wird befestigt, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Auch die Russen nutzen ähnliche Schutzvorrichtungen, erzählt ein Soldat mit Rufnamen „Dessjaty“ (dt.: der Zehnte). Bei einem der letzten Kampfflüge entdeckte der Drohnenpilot bei seinem Monitoring per Drohne ganze „Volleyballfelder“, wie er es nennt, Felder voller Netze. 

    „Da sind wir mal ziemlich weit geflogen, haben den Feind bei der Rotation der Truppen und nachrückenden Technik angegriffen“, so „Dessjaty“. „Eine Weile nach ein paar erfolgreichen Attacken haben wir entdeckt, dass sie dort Netze über ein ganzes Wäldchen ziehen. Wir nennen das jetzt Volleyballfeld. Ohne Witz – das ist über zehn Kilometer lang. Und ich sage euch, das ist kein Quatsch, das stört uns jetzt wirklich bei der Arbeit.“ 

    Ein Soldat bereitet eine Drohne für den Fronteinsatz vor. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Ein Soldat bereitet eine Drohne für den Fronteinsatz vor. Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Verteidigungsanlagen wie Anti-Drohnen-Netze zu beschädigen, ist indes schon ein eigener Teil des taktischen Drohneneinsatzes geworden. Der Pilot muss immer häufiger einen doppelten Angriff planen. Erst wenn die Verteidigung durchbrochen ist, können die eigentlichen Ziele ungehindert angegriffen werden.  

    Darum setzen sowohl die ukrainischen als auch die russischen Drohnenpiloten mittlerweile spezielle Drohnen mit Brandvorrichtungen, so genannte „Feuerzeugdrohnen“, ein. Ihre Aufgabe ist es, Netze oder andere Schutzvorkehrungen in Brand zu setzen. 

    „Wir hängen dann einen Brandsatz dran und brennen das Netz ab“, erklärt Drohnenpilot „Dessjaty“. „Ich kann auch versuchen, es zu umfliegen, oder ich zerstöre erst durch einen Einschlag das Netz und mache dann erst den eigentlichen Angriff.“ 

    Grobe Fischernetze aus dem Lager eines Fischereibetriebs in den Niederlanden, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner
    Grobe Fischernetze aus dem Lager eines Fischereibetriebs in den Niederlanden, Foto © Artem Derkatschow/Frontliner

    Bislang haben die Helfer nach eigenen Angaben etwa 500 Tonnen Fischernetze in die Ukraine gebracht. Aber das soll erst der Anfang sein: Geplant würden schon die nächsten noch größeren Transporte von noch mindestens 1000 Tonnen. 

    „Pro Tag gibt es mittlerweile bis zu zehn Angriffe hintereinander, den Russen gehen die Drohnen nicht aus. Und die Störsender funktionieren nicht immer. Wer solche Netze hat, aber nicht braucht – bringt die bitte her!“, bittet der Soldat Serhii Plotnyzky. „Was unsere Stellungen schützen kann, ist nie überflüssig. Mag es auch kein Allheilmittel gegen russische Drohnen sein, aber so manche FPV-Drohne hat sich schon in solchen Netzen verheddert.“

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  • Die vergiftete Desna

    Die Umweltzerstörung ist eine der weniger beachteten Folgen von Russlands Krieg gegen die Ukraine, so sehr sich ukrainische Vertreter und internationale Unterstützer auch bemühen, Hinweise und Belege für einen Ökozid zusammenzutragen.  

    Fehlgeleitete oder von der Flugabwehr abgeschossene Raketen verursachen Waldbrände. Schützengräben durchziehen ganze Landstriche, je näher man der über 1.200 Kilometer langen Front kommt. Die Sprengung des Kachowka-Staudamms im Juni 2023 trocknete Stauseen aus und veränderte Flussläufe. Explodierende Minen führen zu Feld- und Steppenbränden. Alle Kämpfe verunreinigen Luft, Boden und Grundwasser, besonders wenn der Beschuss Industrieanlagen trifft. Die Kriegsfolgen für die Umwelt sind vielfältig, die Zuordnung von Verantwortlichen oder gar juristischer Schuld schwierig.  

    Jüngstes Beispiel ist die Verschmutzung zweier Flüsse im Grenzgebiet der Ukraine und Russlands. Diese Gegend hat die Kursk-Offensive der ukrainischen Armee seit Sommer 2024 zu einem neuen, intensiv umkämpften Kriegsschauplatz gemacht. Gerade dort entdeckten Anwohner und Behörden im August tonnenweise tote Fische und Chemikalien im Flusswasser – zunächst im Seim, dann in der Desna. Da Letztere im Norden von Kyjiw in den Dnipro fließt, galt im September gar die Trinkwasserversorgung der Hauptstadt als gefährdet. Spekulationen über den Auslöser reichen von absichtlicher Vergiftung durch Russland bis zu Austritt von Giftstoffen durch Beschuss einer Fabrik in Flussnähe. 

    Reporter des Onlinemediums Frontliner sind darum die Desna von Kowtschyn im Norden der Region Tschernihiw gen Süden abgefahren und haben sich ein Bild vom Ausmaß der Verschmutzung und den örtlichen Auswirkungen gemacht.  

    Eine Anwohnerin im Dorf Ladynka, Oblast Tschernihiw, schaut auf den verschmutzten Fluss Desna, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Eine Anwohnerin im Dorf Ladynka, Oblast Tschernihiw, schaut auf den verschmutzten Fluss Desna, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    Die Wasserqualität der Desna verbessert sich, der Fluss wird sauberer. Das berichtet im September die Dorfverwaltung in Kulykiwka (Region Tschernihiw). Wie das nationale Umweltministerium bestätigt, verlangsamt sich die Verschmutzung. Belüftungsanlagen sind (zur Wasserreinigung – dek) in Betrieb genommen. Das Schwimmen und Angeln in der Desna ist dennoch weiterhin verboten.  

    Am 28. August 2024 ereignete sich infolge der Verschmutzung des Flusses Seim eine Umweltkatastrophe. Ausgangspunkt war die Oblast Kursk in der Russischen Föderation, die Quelle der Verschmutzung eine Zuckerraffinerie in Tjotkino, aus der mehr als 5.000 Tonnen Erzeugnisse der Rohstoffverarbeitung ins Wasser gelangt sind, sagt der Direktor des Instituts für Hydrobiologie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, Serhij Afanasjew. Nach Angaben der staatlichen Umweltinspektion erstreckte sich die Verschmutzung der Desna über eine Strecke von 242 Kilometern.   

    Durch Chemikalien im Fluss getötete Fische in der Desna im Dorf Awdijiwka, Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Durch Chemikalien im Fluss getötete Fische in der Desna im Dorf Awdijiwka, Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    Die Einwohner der Regionen Sumy und Tschernihiw waren besonders von der Freisetzung giftiger Substanzen betroffen. Die Gemeinderatsvorsitzende Julija Posternak aus Kulykiwka berichtet:  

    „Es war furchtbar. Die Desna fließt durch unsere Gemeinde und bestimmt das Leben der Menschen hier. Wir haben sofort alle über die Gefahr informiert, und das Schwimmen sowie das Trinken von Wasser aus dem Fluss verboten. Fünf Tage nach der Verschmutzung begann das Fischsterben. Am schlimmsten war es zehn Tage nach der Verschmutzung: Der Gestank war so stark, dass man keine zehn Meter an den Fluss herantreten konnte. Jetzt ist die Situation besser und das Wasser sauberer.“ 

    Auch Iwan Mychailowytsch, ein Angler aus dem Dorf Kowtschyn, berichtet, was er so noch nie erlebt habe: 

    „Der Gestank war unerträglich. Es roch wie in der Kanalisation. Das ist nicht normal“, erzählt der Anwohner. 

    Iwan Mychailowytsch kommt vom Fischen in einem der Seen bei Kowtschyn in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Iwan Mychailowytsch kommt vom Fischen in einem der Seen bei Kowtschyn in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    Seitdem regeneriert sich die Desna schrittweise, wie Olena Kramarenko, stellvertretende Ministerin für Umweltschutz und natürliche Ressourcen der Ukraine, einschätzt: 

    „Am Übergang des Seim in die Ukraine, dort wo die Verschmutzung zuerst festgestellt wurde, hat der Gehalt an gelöstem Sauerstoff im Wasser die Norm von vier Milligramm pro Kubikdezimeter erreicht. Ein Fischsterben wird nicht mehr beobachtet. In der Desna ist die Verschmutzung zurückgegangen. Sie wird punktuell erfasst und ist unterschiedlich stark. In der Oblast Tschernihiw gibt es drei Belüftungsanlagen. In der Oblast Kyjiw werden zusätzliche Belüftungssysteme installiert“, sagt Olena Kramarenko. 

    Durch Chemikalien im Fluss getötete Fische in der Desna bei Ladynka in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Durch Chemikalien im Fluss getötete Fische in der Desna bei Ladynka in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    Allerdings sei es noch zu früh, das Wasser sicher für den Haushaltsbedarf zu nutzen. Schwimmen und Angeln in der Desna bleiben komplett verboten. Laut Serhij Afanasjew vom Hydrobiologie-Institut werden die Ökosysteme der Flüsse Seim und Desna zwei bis drei Jahre brauchen, um sich zu erholen.  

    Die durch Russlands Krieg verursachte Umweltkatastrophe betrifft womöglich auch nicht nur die Bewohner der Regionen Sumy und Tschernihiw, sondern kann auch die Qualität des Trinkwassers in der Hauptstadt beeinträchtigen. Die Stadtverwaltung Kyjiw bereitet sich auf das Worst-Case-Szenario vor und legt Vorräte an sauberem Trinkwasser an.

    „Achtung! Aufgrund von nachgewiesenen Giftstoffen ist das Baden, Angeln und die Wasserentnahme für Nutztiere aus dem Fluss Desna verboten“, Aushang im Dorf Awdijiwka in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    „Achtung! Aufgrund von nachgewiesenen Giftstoffen ist das Baden, Angeln und die Wasserentnahme für Nutztiere aus dem Fluss Desna verboten“, Aushang im Dorf Awdijiwka in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    Auch langfristige Vorhersagen darüber, wie sich die Verschmutzung des Flusses Seim auf das Ökosystem der Ukraine auswirken wird, sind noch kaum möglich. Nach Angaben des amtierenden Leiters der staatlichen Umweltinspektion, Ihor Subowytsch, wurden infolge der Verschmutzung aus Russland bereits 31.000 tote Fische geborgen. Die Desna könne sich zwar selbst regenerieren, doch bislang entsprächen die physikalischen und chemischen Parameter des Wassers nicht der Norm. Die ukrainische Agentur für Wasserressourcen und die Umweltinspektion setzen ihre verstärkte Krisenüberwachung des Wasserzustands fort. 

    Anfang Oktober erklärt das Umweltschutz-Ministerium, dass schon an neun Orten Belüftungsanlagen in Betrieb seien, um weitere Vergiftung der Desna zu verhindern: sechs in der Oblast Tschernihiw und drei in der Oblast Kyjiw. Das Wasser wird dabei künstlich mit Sauerstoff gesättigt, was den Prozess der Selbstreinigung des Flusses unterstützt. Bislang sei für Kyjiw und Umgebung keine Verschlechterung der Wasserqualität für die Verbraucher festzustellen.  

    Die Desna bei Ladynka in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Die Desna bei Ladynka in der Oblast Tschernihiw, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    In der Oblast Tschernihiw ist das Fischen an der Desna nach wie vor verboten, auch wenn das Massensterben der Fische aufgehört hat. Umweltschützer nehmen weiterhin Wasserproben und untersuchen diese auf mögliche giftige Substanzen, um die Bevölkerung im Falle einer erneuten Kontamination rechtzeitig über die Gefahren der Trinkwasserentnahme aus der Desna zu informieren. 

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    Die Hexen von Butscha

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  • Die Hexen von Butscha

    Die Hexen von Butscha

    In der Kyjiwer Vorstadt Butscha hat sich die erste Freiwilligen-Flugabwehreinheit der Ukraine gegründet, in der nur Frauen dienen: Einerseits, weil es mit dem anhaltenden Krieg immer mehr an Männern mangelt. Andererseits, weil eigene Erfahrungen und Verluste durch den russischen Aggressor seit dem brutalen Massaker an der Zivilbevölkerung im Frühjahr 2022 diese Frauen zur Landesverteidigung motiviert. 

    Wenn der Arbeitstag als Ärztin oder Lehrerin endet, Kinder und Familie versorgt sind, dann kommen diese Frauen zum Militärtraining und schieben Bereitschaftsdienste bei der lokalen Flugabwehr: Nähern sich russische Drohnen oder Raketen vom Nordwesten der Hauptstadt, stehen die „Hexen von Butscha“ bereit, um die todbringenden Geschosse unschädlich zu machen. Ihre Vorgesetzten im Verteidigungsstab sind weiterhin Männer. Einer von denen sagt: „In Uniform bist du nicht mehr Frau oder Mann, da bist du Kämpfer.“ 

    Ein Reporter-Team des ukrainischen Onlinemediums Frontliner hat die erste Flugabwehr-Frauentruppe bei Militärübungen besucht und stellt einige der Kämpferinnen vor. 

    Die ukrainische Flugabwehr-Schützin „Mala“ trainiert an der Zwillingskanone eines Maxim-Maschinengewehrs, wie man russische Drohnen abschießt. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    Die ukrainische Flugabwehr-Schützin „Mala“ trainiert an der Zwillingskanone eines Maxim-Maschinengewehrs, wie man russische Drohnen abschießt. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    Eine zierliche Frau reinigt ein Maschinengewehr und gießt Wasser hinein. Sie erzählt: „Meine Aufgabe ist es, das Maschinengewehr mit Wasser zu füllen, es zu zerlegen und zusammenzubauen, das Wasser abzugießen und die Waffe in Kampfstellung zu bringen.“ Wie ein Maschinengewehr funktioniert, hat sie gelernt, als sie sich der Einheit „Hexen von Butscha“ anschloss, die den Himmel über der Region Kyjiw vor russischen Drohnen und Raketen schützt. 

    Die Gemeinde von Butscha beschloss aufgrund der demografischen Situation in der Stadt, die ersten mobilen Flugabwehrtrupps in der Ukraine zu bilden, die ausschließlich aus Frauen bestehen. Während der Besatzung von Butscha wurden fast alle Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren, die die Stadt nicht verlassen konnten, umgebracht. Insgesamt wurden in der Stadt mehr als 600 Menschen getötet und zu Tode gefoltert. Die Russen erschossen in Butscha ganze Familien. Nach der Befreiung gingen viele Männer der Stadt an die Front. Der lokale Freiwilligenverband brauchte dann eine Fraueneinheit. 

    Die Frauen-Einheit bei Kraftübungen, von Plank zu einarmigem Unterarmstütz. Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Die Frauen-Einheit bei Kraftübungen, von Plank zu einarmigem Unterarmstütz. Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    Zu den „Hexen von Butscha” gehören Frauen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlicher Bildung, aus verschiedenen Berufen und mit unterschiedlicher Lebenserfahrung. Doch jede hier sei eine Kämpferin, sagt der Stabschef mit Kampfnamen „Weles“ vom Freiwilligenverband Butscha: 

    „Männer sind stärker und eher bereit zu vehementem, aggressivem Handeln. Frauen dagegen sind reflektierter, organisierter und verantwortungsbewusster. Unsere ukrainischen Frauen sind Kosakinnen, sie sind vielen Orks überlegen. In Uniform bist du nicht mehr Frau oder Mann, da bist du Kämpfer“, so „Weles“. „Ein Kämpfer zu sein, bedeutet, mehr als Mann oder Frau zu sein. Dann ist man ein Mensch, der Verantwortung für sich selbst, für das Land und für die Menschen übernimmt, die er verteidigt.“ 

    Während ihrer mehrtägigen Einsätze wohnen die Frauen in Zeltlagern im Wald. „Mala“ flechtet ihrer Kameradin „Forsash“ die Haare, um sie unterm Helm zu verstecken. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    Während ihrer mehrtägigen Einsätze wohnen die Frauen in Zeltlagern im Wald. „Mala“ flechtet ihrer Kameradin „Forsash“ die Haare, um sie unterm Helm zu verstecken. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    Die Frauen gehen alle drei Tage in den Kampfeinsatz, dadurch können sie den Dienst mit ihrem zivilen Leben verbinden. Manche der „Hexen von Butscha” erziehen neben ihren Einsätzen zum Schutz des Luftraums noch zwei oder drei Kinder und arbeiten Vollzeit. Die Einwohner von Butscha statten den Freiwilligenverband mit Ausrüstung und Waffen aus. Geld bekommen die Kämpferinnen jedoch nicht, denn sie tun ihren Dienst bei der Flugabwehr als Freiwillige. 

    Die zwei unzertrennlichen Freundinnen „Mala” und „Forsash” sind gemeinsam der mobilen Flugabwehrtruppe beigetreten. Gemeinsam trainieren sie nun, Sturm- und Maschinengewehre zu reinigen, zu laden, damit zu schießen und in Abschnitten zu patrouillieren. Neben ihrem Dienst bei den „Hexen von Butscha” arbeiten sie in einem Krankenhaus. 

    Die Tierärztin mit Kampfnamen „Walküre“ (Alter „über 50“) meint, „die Männer gehen an die Front, deshalb ersetzen wir sie hier“. Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Die Tierärztin mit Kampfnamen „Walküre“ (Alter „über 50“) meint, „die Männer gehen an die Front, deshalb ersetzen wir sie hier“. Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    „Mala“, 26 Jahre  

    „Mala“ [ukr. die Kleine] ist Maschinengewehrschützin und lernt schnell den Umgang mit der Waffe. Es ist ein Maschinengewehr aus dem Jahr 1944, noch aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Sie nennt es liebevoll „Maximka“. Obwohl es aus dem letzten Jahrhundert stamme und ein vormodernes Wasserkühlsystem habe, schieße es gut, wenn es richtig gewartet werde, meint sie. 

     „Mala“ (im zivilen Leben Allgemeinärztin) zerlegt und reinigt ein Maxim-Maschinengewehr aus dem Jahr 1944. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    „Mala“ (im zivilen Leben Allgemeinärztin) zerlegt und reinigt ein Maxim-Maschinengewehr aus dem Jahr 1944. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    „Mala“ trainiert seit einem Monat bei den „Hexen von Butscha”. Als der Freiwilligenverband die Rekrutierung von Frauen zur Flugabwehr ankündigte, schloss sie sich ihm sofort an. „Ich wollte schon länger dienen, denn in meiner Familie sind viele bei der Armee, aber ich kann nicht zu den Streitkräften gehen, weil ich als Ärztin in einem Krankenhaus arbeite“, sagt sie. 

    Eine zusätzliche Motivation, sich der mobilen Flugabwehrgruppe anzuschließen, war die schwere Verletzung ihres Freundes, der im Serebrjanka-Wald durch eine Mine sein Bein verlor. Ihr Freund bestärkte ihre Entscheidung, sich freiwillig zu melden, und plant auch selbst, nach der Rehabilitation seinen Dienst bei „Asow” fortzusetzen. 

    „Mala“ hat ihre Ausrüstung abgelegt und ruht sich nach der Übung aus. Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    „Mala“ hat ihre Ausrüstung abgelegt und ruht sich nach der Übung aus. Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    „Forsash”, 27 Jahre  

    Mit „Mala” im Team arbeitet „Forsash”. Sie dient als Ladeschützin und Fahrerin. Bei einem Luftangriff muss sie schnell das Maschinengewehr laden und in Gefechtsstellung bringen. Ihren Kampfnamen (ukrainischer Titel des Films „Fast & Furious” – dek) gab ihr der Waffenmeister, als er das erste Mal mit ihr als Fahrerin unterwegs war. 

    „Forsash“ meint, dass Schnelligkeit für die mobilen Flugabwehrtrupps essentiell sei, da die Shahed-Drohnen sehr schnell fliegen (etwa 200 Stundenkilometer – dek). Nur wenn man die Position rechtzeitig erreicht, kann man sie abschießen. 

    „Forsash“ erhält ein Sturmgewehr aus der Waffenkammer. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    „Forsash“ erhält ein Sturmgewehr aus der Waffenkammer. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    „Forsash“ kam vor einem Monat zu der Flugabwehreinheit, um ihre Angehörigen zu schützen. „Niemand möchte, dass seine Wohnung von einer Rakete getroffen wird. Ich habe hier meine Brüder, Schwestern, Freunde, Pateneltern und Patenkinder in Butscha“, sagt sie. Sie mag es, etwas Nützliches zu tun und freut sich, dass sie ihren Dienst im Freiwilligenverband mit ihrer Arbeit als Anästhesistin auf der Intensivstation im Krankenhaus von Irpin verbinden kann. 

    Die Munition, mit der die Einheit teure russische Drohnen oder Raketen abschießt, stammt noch aus der Sowjetzeit. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    Die Munition, mit der die Einheit teure russische Drohnen oder Raketen abschießt, stammt noch aus der Sowjetzeit. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    Sowohl „Mala” als auch „Forsash” arbeiteten während der Kämpfe um Butscha und unter russischer Besatzung weiter in der medizinischen Einrichtung. Nun sind sie froh, dass sie ihren Militärdienst mit ihrem Beruf verbinden können. Es sei zwar anstrengend, im Krankenhaus und in der Territorialverteidigung Schichten zu absolvieren. Dennoch sagen die Frauen, dass sie sich daran gewöhnt hätten und mit diesen Schwierigkeiten fertig würden. 

    „Tajana”, 41 Jahre  

    Während der Kämpfe um Butscha verlor „Tajana” ihren Mann, der seinen Beruf als Journalist aufgegeben und sich am ersten Tag der Invasion als Freiwilliger der Territorialverteidigung angeschlossen hatte. Ihre Mutter starb aufgrund der ständigen Stressbelastung durch die Kämpfe und auch ihr Schwager kam ums Leben. Während der Besatzung von Butscha wurde ihr Haus und auch das ihrer Eltern zerstört, sodass sie selbst ohne Dach über dem Kopf zurückblieb. Nach dem Tod ihrer Liebsten wollte „Tajana” sich den ukrainischen Streitkräften anschließen, was man ihr jedoch wegen ihrer Traumatisierung zunächst verwehrte.

    „Tajana” mit Waffen auf dem Schießstand, Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    „Tajana” mit Waffen auf dem Schießstand, Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    Heute trainiert „Tajana” bei den „Hexen von Butscha” und arbeitet außerdem als Prüferin beim Wasserversorgungsunternehmen. Auch sie sagt, dass es schwierig sei, die Arbeit, ihren Dienst im Freiwilligenverband und die Erziehung ihrer 14-jährigen Tochter unter einen Hut zu bringen. Das Schwierigste sei jedoch nicht die körperliche Erschöpfung, sondern das Unverständnis vieler Menschen: „Nachdem ich mich hierzu entschied, sagten mir Leute: ,Hast du sie noch alle’, ‚Du hast Kinder‘, ‚Warum hast du das gemacht‘, ‚Dein Hauptberuf ist wichtiger, als den Staat zu schützen‘. In solchen Momenten wende ich mich ab und gehe, denn der Schutz unseres Staates ist für mich das Wichtigste, was wir haben.”  

    „Sie verstehen nicht, dass es ohne Sicherheit auch ihren Beruf nicht mehr gibt”,  sagt „Tajana” mit Tränen in den Augen. „Wenn es keine Ukraine mehr gibt, gibt es keine Arbeit, kein Leben, einfach nichts. Nur dank uns Freiwilligen, den Helfern und den Frauen und Männern an der Front, haben sie Arbeit, können schlafen und ihr Leben weiterleben.“ 

    Kampf-Utensilien auf dem Bett in der Unterkunft der Frauen, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Kampf-Utensilien auf dem Bett in der Unterkunft der Frauen, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

    Für „Tajana” war die Entscheidung, sich dem mobilen Flugabwehrtrupp anzuschließen, durch ihren persönlichen Schmerz bestimmt. Sie sagt, das Training bei den „Hexen von Butscha” habe ihr nach dem Tod ihres Mannes gutgetan. Nun habe sie das Gefühl, endlich wieder zu leben. 

    „Cherry”, 51 Jahre  

    „Cherry” ist durch Zufall bei den „Hexen von Butscha” gelandet. Eigentlich fuhr sie ihre Freundin zu einem Gespräch mit dem Kommandeur und beschloss dann kurzerhand, selbst dem Freiwilligenverband beizutreten. 

    Jetzt dient sie in der Einheit als operative Einsatzleiterin, fährt auf dem Territorium Patrouille und meldet Gefahren. Gleichzeitig arbeitet „Cherry” als Mathematik- und Informatiklehrerin und hat drei Kinder. Sie sagt, dass es schwierig werde, wenn im September die Schule beginne, doch sie möchte etwas zur Gemeinschaft beitragen. 

    „Cherry“ (sitzend) deckt ihre Freundin „Walküre“ bei einer Übung zum taktischen Verrücken. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    „Cherry“ (sitzend) deckt ihre Freundin „Walküre“ bei einer Übung zum taktischen Verrücken. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    Trotz der körperlichen Herausforderungen genießt „Cherry” ihre Zeit bei den „Hexen von Butscha”. Sie sagt: „Jede hier ist sie selbst, man unterstützt und hilft sich gegenseitig.“ Jeder Ukrainer sollte seinem Land größtmöglichen Nutzen bringen. „Wenn jeder das Land wirklich liebt und schätzt und nicht so tut, als gehe ihn all dies nichts an, wenn jeder ein echter Patriot ist, dann werden wir auf jeden Fall gewinnen. Man darf einander nicht hängen lassen, sondern muss sich nach eigenen Kräften so gut wie möglich unterstützen“, so „Cherry”.  

    Sie ist froh, dass ihre Familie und Freunde ihre Entscheidung für die Territorialverteidigung unterstützen, und glaubt, dass auch ihre Schüler stolz auf sie sein werden. 

    „Kalypso“, 31, Kommandeurin der „Hexen von Butscha” 

    „Kalypso” kam als erste Frau zum Freiwilligenverband in Butscha. Mit ihr begann die Gründung der Fraueneinheit. Deshalb wurde sie zur Kommandeurin ernannt. 

    „Kalypso“ legt vor dem Training ihre Kampfausrüstung und ihr Kopftuch an. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    „Kalypso“ legt vor dem Training ihre Kampfausrüstung und ihr Kopftuch an. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    Als die vollumfängliche Invasion begann, brachte sie ihre Mutter an einen sicheren Ort und griff selbst zur Waffe. Zunächst arbeitete „Kalypso” in einer schnellen Eingreiftruppe, welche die Gegend patrouillierte und Bombenschutzkeller kontrollierte, um sicherzustellen, dass sie während der Luftalarme nicht verschlossen waren. Außerdem beteiligte sie sich an der Bekämpfung von Saboteuren. Jetzt bildet sie neue Freiwillige aus, um den Himmel über der Region Kyjiw zu schützen. 

    Vor dem Krieg leitete Kalypso die Serviceabteilung einer Ladenkette, die Türen verkauft und arbeitete als Restaurantmanagerin. „Jetzt habe ich keine Zeit mehr für das zivile Leben und widme mich ganz meiner Arbeit im Freiwilligenverband. Es wäre toll, wenn in der ganzen Ukraine Frauen ihre Familien schützen könnten. Wir arbeiten im Team. Jede einzelne ist für die anderen da“, erzählt sie. 

    „Kalypso“ (links) und ihre Einheit bei der Plank-Übung, Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    „Kalypso“ (links) und ihre Einheit bei der Plank-Übung, Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    „Kalypso” ermutigt andere Frauen, sich den „Hexen von Butscha” anzuschließen. Sie sagt: „Wir haben zwar Waffen, aber nicht genügend Hände, um sie zu bedienen, also suchen wir ständig nach Freiwilligen. Viele Männer haben Angst, dass sie zur Armee eingezogen werden, wenn sie sich beim Freiwilligenverband melden, also rekrutieren wir Frauen.“ 

    „Kalypso“ zeigt „Tajana“, die sich mit dem Gewehrkolben die Lippen aufgeschlagen hat, den richtigen Positionswechsel mit der Waffe. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner
    „Kalypso“ zeigt „Tajana“, die sich mit dem Gewehrkolben die Lippen aufgeschlagen hat, den richtigen Positionswechsel mit der Waffe. Foto © Andrii Dubtschak/Frontliner

    Laut Stabschef „Weles“ machen Frauen bereits mehr als die Hälfte im gesamten Freiwilligenverband von Butscha aus. Ihre Zahl ist jedoch nicht ausreichend, weshalb die Rekrutierung fortgesetzt wird, um die „Hexen von Butscha” aufzustocken. 

    „Weles” ist stolz auf die Frauen, die sich dem mobilen Flugabwehrtrupp angeschlossen haben: „Dank ihnen können die meisten Menschen in Kyjiw und unsere Bewohner in Butscha friedlich in ihren Häusern schlafen und reagieren oft nicht einmal mehr auf Luftalarm.“ 

    Ein Flugabwehr-Trio der „Hexen von Butscha“ im Trainingseinsatz, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner
    Ein Flugabwehr-Trio der „Hexen von Butscha“ im Trainingseinsatz, Foto © Danylo Dubtschak/Frontliner

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