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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Eine neue „goldene Generation“ im ukrainischen Fußball

    Eine neue „goldene Generation“ im ukrainischen Fußball

    Das ganze Land steht hinter der Sbirna, der ukrainischen Nationalmannschaft, die gegen Rumänien in die Fußball-Europameisterschaft startet. Der Druck ist groß, die Erwartungen sind hoch – man will  der eigenen Bevölkerung, die sich im Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg befindet, ein paar Momente des Glücks und der Genugtuung bescheren. Entsprechend groß ist auch die Hoffnung auf das Weiterkommen des Teams von Trainer Serhij Rebrow, das sich auch in Zeiten des Krieges weiterentwickelt hat. 

    Der ukrainische Journalist Yuriy Konkevych erklärt die Gründe für den kleinen Aufschwung im Fußball seines Landes und die Bedingungen, unter denen der Ballsport in Zeiten des Krieges stattfinden kann.

    Russisches Original

    Während eines Spiels in der Region Iwano-Frankiwsk knien Kinder nieder, um einem gefallenen Soldaten zu gedenken / Foto © Oleksandr Bondarenko

     

    Russland beschießt nach wie vor jeden Tag ukrainische Städte mit Raketen und Kamikaze-Drohnen, und dennoch wurde seit Februar 2024 erlaubt, dass ein Teil der Fans wieder in die Stadien zurückkehrt. Viele Teams hatten gefordert, das Reglement zu ändern und wieder Zuschauer zuzulassen. Es geht nicht ums Geschäft. Der Erlös aus dem Ticketverkauf kann gerade mal die Kosten der Spiele decken. Die Clubs wollten, dass die Arenen nicht verwaist sind, auch nicht während des Krieges. Präsident Wolodymyr Selensky  hatte seinerzeit, im Sommer 2022, die Entscheidung zur Wiederaufnahme des Profifußballs in der Ukraine – damals noch ohne Zuschauer – als Versuch deklariert, zu einem „normalen Leben“ zurückzukehren.

    „Wenn es erlaubt ist, große Konzerte zu veranstalten, wenn die Theater und Kinos geöffnet sind, warum sollen dann Fußballspiele mit Zuschauern untersagt sein? Die Fußballer spielen für die Fans.“ So fasste dann Ihor Nadein, der Präsident von Weres Riwne, gegenüber der Leitung des Ukrainischen Fußballverbandes (UAF) das Problem zusammen. Er und die Manager anderer Clubs wurden dann im Winter 2024 erhört. In dem neuen Reglement wurden rund 100 Anforderungen aufgestellt, die zu erfüllen waren, bevor man wieder Zuschauer in die Stadien lässt. Die wichtigste war, dass es in mindestens 500 Metern vom Stadion Luftschutzräume geben muss, die zu Fuß innerhalb von zehn Minuten erreichbar sind. In die Stadien werden genauso viele Fans gelassen, wie die Schutzräume aufnehmen können. Der Zugang zum Stadion muss durch Metalldetektoren erfolgen.

    Die Fußballer waren von den Neuerungen begeistert. „Das letzte Mal haben wir vor der Coronapandemie so viele Zuschauer gesehen“, sagte mir der Verteidiger bei Weres Riwne Olexander Kutscherenko nach einem Heimspiel. Es wurde nicht von Luftalarm unterbrochen. Das war eher eine Ausnahme als die Regel. Manchmal wurden die Begegnungen aber gleich mehrere Male durch russische Luftangriffe unterbrochen.

    Andrij Schewtschenkos Reformen im ukrainischen Fußball

    Dass die Fans wieder in die Stadien gelassen werden, ist nicht die einzige Reform, die Andrij Schewtschenko, Superstar des ukrainischen Fußballs und seit Januar 2024 Präsident des UAF, anstieß. Der Verband war über ein Jahr praktisch führungslos gewesen. Gegen den vorherigen Präsidenten Andrij Pawelko liefen Ermittlungen in einem Korruptionsfall. Die Probleme im ukrainischen Fußball sind durch den Krieg natürlich nur größer geworden. Ein Teil der Clubs ist von der Bildfläche verschwunden. Einige Hundert Schüler von Fußballakademien der Vereine sind ins Ausland gegangen. In der Liga gab es viele Schiedsrichterskandale und die Eigentümer der Vereine konnten sich nicht auf gemeinsame Übertragungsrechte für das Fernsehen einigen.

    Die Umstände der Rückkehr von Schewtschenko in die Ukraine, dessen Familie in London lebt, wurden von Fans und Journalisten viel diskutiert. Es wurde vermutet, dass dessen Wahl zum Präsidenten des UAF nicht ohne administrativen Druck seitens der Kanzlei des Präsidenten erfolgt sei. Dieser wollte wohl an der Spitze des ukrainischen Fußballs einen „seiner Leute“ sehen. Die Führungsstruktur des ukrainischen Fußballs ist derart aufgebaut, dass die regionalen Verbände von Leuten angeführt werden, die der Exekutive nahestehen. So war es wohl nur schwer zu bewerkstelligen, einen UAF-Kongress einzuberufen, auf dem Schewtschenko einstimmig zum neuen Präsidenten gewählt wurde, ohne dass es dann wenigstens indirekte Hinweise auf die Präsidialkanzlei gab.

    Schewtschenko, der legendäre Spieler und Trainer, begann seine neue Aufgabe mit abrupten Schritten: Fans wurden zu den Spielen zugelassen, im Verband wurde das gesamte Management ausgewechselt, bei den Spielen der Premjer-Liha werden die Schiedsrichter jetzt per Los angesetzt, und die Referees werden mit Lügendetektoren gecheckt. Die Premjer-Liha hat eine eigene Plattform zur Übertragung der Spiele geschaffen und will damit Geld machen. Im Verband gibt es jetzt eine Stelle für interne Ermittlungen, die die Korruption im ukrainischen Fußball bekämpfen soll.

    Investitionen und neue Spieler auf dem Markt

    Es klingt absurd, aber die Situation des ukrainischen Fußballs hat sich im dritten Jahr der russischen Vollinvasion verbessert. In den drei Profiligen spielten in der abgelaufenen Saison 50 Clubs: 16 in der Premjer-Liha, 20 in der Ersten Liga und 14 in der Zweiten Liga. Mehr noch: Auf dem Fußballmarkt der Ukraine gibt es jetzt neue Spieler, weil große Unternehmen nun in den Fußball investieren. Dabei werden die Gelder nicht nur für den Kauf neuer Spieler eingesetzt wie zu Zeiten des sogenannten Oligarchen-Fußballs, sondern auch für Marketing und Jugendakademien.

    Um Erfolge auf der europäischen Ebene kämpfen jetzt nicht nur Dinamo Kyjiw und Schachtar Donezk, sondern auch Dnipro-1 aus Dnipro. Krywbas trägt seine Spiele in Krywy Rih aus, unweit der Front. Der Club, der von Leuten wiederbelebt wurde, die Präsident Selensky nahestehen, gehört in der Premjer-Liha zur Spitzengruppe. In Lwiw hat zwischen den Vereinen Karpaty und Ruch ein Wettringen um Talente und Zuschauer begonnen. Ersterer ist traditionell ein Aushängeschild der Stadt und wird von dem Zuckermagnaten Wolodymyr Matkiwski gesponsort. Karpaty konnte mit einem zweiten Platz sogar seine Rückkehr in die Premjer-Liha sichern. Die Mannschaft wird von Miron Markewitsch trainiert, der Dnipro 2015 bis ins Finale der Europa League geführt hatte.

    Die ukrainische Nationalmannschaft singt die Nationalhymne beim Freundschaftsspiel gegen Polen in Warschau am 7. Juni / Foto © Maciej Rogowski/ZUMA Press Wire/IMAGO

    Ruch wurde von Hryhorii Koslowsky aufgebaut, dem reichsten Unternehmer der Stadt, der auch weiter in den Verein investiert. Die Fußballakademie von Ruch gilt als die beste in der Ukraine. Die U 19 ist stets bei den Jugendturnieren der UEFA vertreten. Und dann sorgte Polissja Schytomyr für Aufsehen. Der Club wurde im Herbst 2021 von Hennadii Butkewytsch gekauft. Er besitzt ATB, die größte ukrainische Einzelhandelskette. Der Krieg hat seinen Investitionen in den Fußball kein Ende gesetzt. In Schytomyr gibt es zwei Stadien und viele Plätze, eine Fußballakademie, und Spieler, die vom gleichen Niveau sind wie die von Dinamo und Schachtar. Noch fehlen aber die Ergebnisse. Am Ende der Saison ergatterte Polissja gerade noch den fünften Platz und konnte sich somit für die Conference League qualifizieren.

    2023 machten zwei weitere Clubs von sich reden, in die viel Geld floss. LNZ aus Tscherkassy (LNZ steht für die LNZ Group bzw. die Lebedynsky-Saatgutfabrik) hat es in die Premjer-Liha geschafft, kaufte dann bekannte Spieler und baut jetzt in Tscherkassy ein Fußballzentrum auf. Der Chef des Aufsichtsrates der Agrarholding LNZ Group, Dmytro Krawtschenko, steht auf Platz 86 der reichsten Ukrainer.

    Metalist 1925 Charkiw hat wegen der russischen Angriffe auf die ukrainische Industrie den Besitzer gewechselt. Nach einer Reihe von Raketenangriffen verlor die AES Group, der der Verein früher gehörte, sämtliche Unternehmen in den Sparten Petrochemie, Spirituosen, Bau und Energie. Neuer Besitzer des Vereins wurde im September 2023 Wolodymyr Nossow, der Begründer und Geschäftsführer von WhiteBIT, einer der größten europäischen Kryptobörsen, die in der Ukraine gegründet wurde.

    Geld für den Fußball und Rückstellung für die Spieler

    Wenn zu Kriegszeiten Profifußball gespielt wird, geht es nicht nur um gewonnene Matches, sondern auch um die moralische Komponente des Geschäfts. Wie verantwortbar ist es, Millionen Euro für das Spiel mit dem Ball auszugeben? Pawlo Petritschenko, Veteran der Streitkräfte der Ukraine, hat im Januar dieses Jahres einen Sturm der Emotionen losgetreten. Als Reaktion auf den Kauf von teuren Legionären durch Schachtar Donezk postete er auf X folgenden Tweet: „Rinat Achmetow  hat sich für 15 Millionen Euro ein brasilianisches Spielzeug gekauft. Das ist ungefähr so viel wie Sternenko [ein ukrainischer Freiwilliger – dek] in all der Zeit für FPV-Drohnen gesammelt hat. Achmetow ist der Krieg egal; seine Mannschaft spielt jetzt einfach nicht mehr in Donezk, sondern in Kyjiw“.

    Diejenigen, die Ausgaben für Fußball befürworten, verweisen beharrlich darauf, dass alle Vereine in einem gewissen Umfang für die Armee spenden und der Kauf von Spielern als Investition gilt. Schachtar verdient auch nach Beginn des großangelegten Krieges weiter. Nach Schätzungen des Portals Transfermarkt.de hat der Club aus Donezk seit 2022 für 125 Millionen Euro Fußballer verkauft. Nicht nur Schachtar ist zu einer Politik der großen Investitionen zurückgekehrt. Fast alle Clubs der Premjer-Liha haben aufsehenerregende Transfers getätigt, über die in der Ukraine diskutiert wurde. Eine klare Antwort, ob es richtig ist, während des Krieges mit Geld um sich zu werfen, das in den Fußball fließt, ist nicht in Sicht.

    Eine andere problematische Frage: Wie soll man mit Fußballern umgehen, die dienstpflichtig sind und unter die Mobilmachung fallen? Eine der Lösungsvarianten ist hier der Status eines strategisch wichtigen Unternehmens, der eine Rückstellung der Spieler ermöglicht. Mit Stand vom 1. April haben fünf Vereine diesen Status: Schachtar, Dinamo, Obolon Kyjiw, Dnipro-1 und Krywbas.

    Schewtschenko und Rebrow: das Star-Duo im ukrainischen Fußball

    Die Nationalmannschaft, die Sbirna, ist immer noch das stabilste Aushängeschild des ukrainischen Fußballs. Sie wird von allen geliebt und die Übertragungen sorgen für gute Einschaltquoten, im Hinterland wie in Frontnähe. Das war nicht immer so. Die Nationalmannschaft startete ohne Cheftrainer in die EM-Qualifikation. Die Lage wurde allmählich schwierig. Im März 2023 übernahm diese Funktion vorübergehend Ruslan Rotan, ein ehemaliger Spieler von Dnipro, der gleichzeitig die Mannschaft des Erstligaclubs Oleksandrija und die Jugendauswahl der Ukraine trainierte. Erst im Juli unterzeichnete der Verband den Vertrag mit Serhij Rebrow. Mit ihm qualifizierte sich die Ukraine dann in den Play-Offs  gegen Bosnien-Herzegowina und Island für die EM in Deutschland.

    Rebrow kehrte mit seiner Familie in die im Krieg stehende Ukraine zurück. Zuvor war er in Ungarn tätig gewesen, wo er mit Feréncvaros Budapest zweimal die Meisterschaft geholt hatte und sogar in die Gruppenphase der Champions League eingezogen war. Außerdem hatte er zuvor einen guten Vertrag mit al-Ain in den Vereinigten Arabischen Emiraten unterschrieben und dort die Meisterschaft geholt.

    „Ich persönlich werde weiterhin die Armee und diejenigen unterstützten, die Opfer des russischen Angriffskrieges wurden. Ich freue mich, dass ich in die Ukraine zurückgekehrt bin, und werde für unseren Staat arbeiten. Meine Familie kehrt ebenfalls zurück. Ich bin sehr froh, dass meine Frau meine Entscheidung so angenommen hat“, sagte Rebrow damals. Schewa [Schewtschenko – dek] und Rebrow sind wieder – wie vor 20 Jahren bei Dinamo Kyjiw – die wichtigsten Akteure im ukrainischen Fußball.

    „Der Krieg in der Ukraine geht weiter. Das ist für die Spieler schwierig, die ständig aufs Handy schauen und die Nachrichten verfolgen. In einer solchen Atmosphäre fällt die Arbeit nicht leicht. Wir verstehen, dass wir ein starkes Land repräsentieren. Wir müssen Charakter zeigen“, hatte Rebrow vor dem Spiel gegen Bosnien-Herzegowina gesagt.

    Eine neue „goldene Generation“ in der ukrainischen Nationalmannschaft

    Die Spieler der aktuellen ukrainischen Nationalmannschaft werden wieder die „goldenen Jungs“ genannt. Dort gibt es erfahrene Führungsspieler und junge Talente. Andrij Jarmolenko und Taras Stepanenko werden von der Motivation getrieben, mit der Sbirna endlich etwas zu gewinnen. Die jungen Spieler wollen sich bei einem großen internationalen Turnier zeigen und beweisen. Die meisten Spieler der heutigen Sbirna hatten es schon 2020 geschafft, bis ins Viertelfinale der EM vorzustoßen. Und sie sind Stammspieler bei Vereinen der europäischen Top-Ligen.

    Andrij Lunin hütet bei Real Madrid das Tor, Anatolii Trubin bei Benfica Lissabon. In England ist jetzt eine ganze Brigade Ukrainer am Start: Olexander Sintschenko ist eine zentrale Größe bei Arsenal. Der Transfer des 21-jährigen Mychailo Mudrik von Schachtar zu Chelsea vor zwei Jahren war eine Sensation. Witalii Mikolenko ist bei Everton ein wichtiger Verteidiger, ganz wie Illja Sabarny bei Bournemouth. Viktor Syhankow und Artem Dowbik haben in dieser Saison den spanischen Club FC Girona mit in die Champions League gebracht. Ruslan Malinowsky und Roman Jaremtschuk spielen bei Genua und Valencia. Für Mykola Schaparenko und Wolodymyr Braschko (beide bei Dinamo Kyjiw) sowie für Heorhii Sudakow (Schachtar Donezk) bedeutet die Qualifikation für die EM in Deutschland die Chance, einen europäischen Spitzenclub zu finden und einen vielstelligen Vertrag zu ergattern. Wie dem auch sei: Sie alle werden nicht nur für eine gute Platzierung bei der EM kämpfen, sondern auch für ihr Land. 

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  • Bilder vom Krieg #21

    Bilder vom Krieg #21

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Rafał Milach

    Foto © Rafał Milach

    dekoder: Ein verrußtes Gebäude und eine junge Frau mit dem Wappen der Ukraine auf der Wange – was verbindet diese beiden Bilder? 

    Rafał Milach: Ich beschäftige mich schon lange mit den unterschiedlichen Initiativen, die hier bei uns in Polen gegen die russische Aggression protestieren. Vor einigen Jahren habe ich zusammen mit anderen Fotografen, Künstlern, Wissenschaftlern und Aktivisten das Archive of Public Protests gegründet. Uns interessiert das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft und was politische Entscheidungen auslösen können. Ein Krieg ist wohl die heftigste Auswirkung, die eine politische Entscheidung auf das Leben der Menschen haben kann. Ich berichte nicht direkt über den Krieg, aber hin und wieder fahre ich auch in die Ukraine, um mir vor Ort einen Eindruck von den Folgen der russischen Aggression zu machen. Die beiden Bilder stellen die Verbindung her zwischen Krieg und Protest.

    In Deutschland gibt es zwei Arten von Demonstrationen mit Bezug zu diesem Krieg: Auf den einen fordern Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehr Unterstützung für die Ukraine, auch mit Waffen. Auf den anderen werden ein Ende dieser Unterstützung und Verhandlungen mit Russland gefordert. Gibt es so etwas auch in Polen?

    Demonstrationen, die die russische Position offen unterstützen, gibt es in Polen nicht. Aber es gibt auch hier Proteste, die von Russland benutzt werden. Das sind zum Beispiel die Proteste der Bauern gegen Importe aus der Ukraine. Oder der Widerstand rechter Politiker gegen Klima-Abkommen, die die Vorgängerregierung der rechten PiS-Partei noch selbst geschlossen hat. Das passt in die Agenda der russischen Propaganda und die Proteste spielen Russland in die Karten, ähnlich wie das in anderen Ländern Europas auch der Fall ist. 

    Wer kommt denn zu den Protesten? Sind das überwiegend Ukrainerinnen, oder auch Polinnen und Polen?

    Die Proteste werden überwiegend von Ukrainerinnen getragen. In Polen gab es ja auch schon vor dem Beginn des Krieges 2014 eine große ukrainische Diaspora. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind zum Arbeiten nach Polen gekommen. Aber nach dem Februar 2022 haben sich auch sehr viele Polen beteiligt und übrigens auch viele Menschen aus Belarus. Es gab Proteste im ganzen Land, in Wrocław, in Krakau, in Poznań und vielen anderen Städten. Über eine lange Zeit gab es fast wöchentlich Proteste, aber seit einer Weile wird es weniger. Mein Eindruck ist, dass auch die Menschen in Polen langsam müde werden von diesem Konflikt. Wenn man bedenkt, dass die polnische Gesellschaft sehr ablehnend gegenüber Migranten eingestellt ist, dann war die Solidarität nach Beginn der Vollinvasion und die Bereitschaft, Ukrainerinnen und Ukrainer aufzunehmen wirklich beeindruckend. Aber das lässt jetzt nach und vereinzelt wird auch Unmut über die Geflüchteten laut. Deswegen halte ich es für so wichtig, dass wir uns von Zeit zu Zeit daran erinnern, dass wir froh sein können, dass wir nicht direkt vom Krieg betroffen sind. Wir können uns ja nicht einmal sicher sein, dass das nicht noch kommt.

    Haben die Menschen in Polen Angst vor der russischen Aggression?

    Ja. Sie sprechen oft darüber, was passieren würde, wenn Russland unser Land angreift. Das ist gar nicht so unrealistisch, gerade wenn man unsere Geschichte kennt. Polen war ja mehrfach von Russland besetzt.

    An wen richtet sich der Protest?

    In Warschau haben sich die Demonstrierenden meistens vor der russischen Botschaft getroffen, sind dann vor das Parlament gezogen und schließlich in die Innenstadt. Sie hatten also mehrere Adressaten: Russland, die polnische Regierung und die polnische Gesellschaft. Oft haben sich ihnen auch polnische Politiker angeschlossen.

    Wie ist das Bild von dem verrußten Beton entstanden?

    Nach der Welle von Raketenangriffen auf die ukrainische Hauptstadt Anfang Februar 2024 habe ich den Schauplatz im Südwesten von Kyjiw besucht, wo Trümmer eines abgeschossenen Marschflugkörpers niedergegangen sind. Es gab mehrere Tote und einige Wohnungen wurden zerstört. Ich habe mich einer Gruppe Freiwilliger angeschlossen, die Trümmer beseitigten und verbrannte Möbel wegräumten, damit die Wohnungen wieder bewohnbar gemacht werden können. Das ist gewiss nicht mit dem vergleichbar, worunter derzeit die Menschen in Charkiw und anderen frontnahen Städten zu leiden haben. Aber selbst an Orten wie Kyjiw, die relativ gut durch Flugabwehrsysteme geschützt sind, besteht immer noch ein Risiko, unter russischen Beschuss zu geraten. 

    Sie haben sich für ein abstraktes Motiv entschieden. Warum?

    Die Medien zeigen täglich Bilder von Leid und Zerstörung. Ich fahre nicht an die Front, ich mache keine News-Fotografie. Ich interessiere mich mehr für das, was nach diesen traumatischen Ereignissen passiert, wenn der Rauch sich verzogen hat und das Leben wieder beginnt. Ich möchte zeigen, wie der Krieg auch jenseits der großen Katastrophen seine Spur in den Städten und im Leben der Menschen hinterlässt. So arbeiten wir übrigens auch beim Archive of Public Protest. Es geht um mehr als nur Berichterstattung, wir wollen die Perspektive öffnen. 

    Fotografie: Rafał Milach 
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Interview: Julian Hans
    Veröffentlicht am: 11.06.2024

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  • Presseerklärung: dekoder „unerwünscht“ in Russland

    Presseerklärung: dekoder „unerwünscht“ in Russland

    Erklärung zur Einstufung von dekoder als sogenannte „unerwünschte Organisation“ durch die Behörden der Russischen Föderation

    Mit der Einstufung von dekoder als „unerwünschte ausländische Organisation“ haben die russischen Behörden ein weiteres Mal gezeigt, dass sie keine Informationen dulden, die von der staatlich vorgegebenen Linie abweichen. dekoder gibt deutschen Leserinnen und Lesern einen Einblick in den Diskurs der unabhängigen Journalistinnen und Journalisten aus Russland und Belarus und vernetzt Wissenschaft und Journalismus über die Grenzen hinweg. Russischsprachige Leserinnen und Leser bekommen auf dekoder.org/ru verlässliche Informationen über Deutschland, Europa und Belarus – ohne Zensur der staatsnahen russischen Medien. Berichterstattung, Hintergründe, Debatten und Vernetzung, die nicht unter der Kontrolle des Staates stehen, werden vom Regime in Moskau offensichtlich als Bedrohung wahrgenommen

    Die Liste der „unerwünschten ausländischen Organisationen“, die von der russischen Generalstaatsanwaltschaft geführt wird, umfasst mittlerweile mehr als 160 Namen, darunter renommierte Forschungs-Institutionen wie das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien oder die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde. Die Listung als „unerwünschte Organisation“ soll die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten, die sich noch in Russland aufhalten, erschweren.  

    Für die Redaktion von dekoder kommt die Einstufung durch die russische Staatsanwaltschaft nicht unerwartet. Viele Redaktionen, deren Texte dekoder in Übersetzung veröffentlicht, sind inzwischen selbst als „ausländische Agenten“ oder „unerwünschte Organisationen“ eingestuft. Die meisten von ihnen arbeiten seit Beginn des vollumfänglichen Angriffskrieges auf die Ukraine im Exil. dekoder wird alles in seiner Macht Stehende tun, um Autorinnen, Autoren und Kontaktpersonen, die sich noch in Russland aufhalten, zu schützen.  

    Hintergrund 

    Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat dekoder am 31. Mai 2024 zu einer sogenannten „unerwünschten Organisation“ erklärt. „Unerwünschten Organisationen“ ist jegliche Arbeit in Russland verboten. Darüber hinaus handeln alle russischen Staatsangehörigen, die mit einer als „unerwünscht“ eingestuften Organisation zusammenarbeiten, nach russischem Gesetz ordnungswidrig. Im Wiederholungsfall greift das Strafrecht, es drohen Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren.  

    Mit der Stigmatisierung gehen die Behörden gegen die Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit vor. Das Ziel ist die Einschränkung des Pluralismus, auch in Westeuropa. Die Vermittlung von Fakten- und Hintergrundwissen zu Russland soll auch in Deutschland unterbunden werden. Russland will die unabhängige und wissenschaftlich fundierte Berichterstattung auch unterbinden, um seiner Auslandspropaganda zu mehr Wirkung zu verhelfen. 

    veröffentlicht am 3. Juni 2024 

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  • Was haben die Wahlen zum Koordinationsrat der belarussischen Opposition gebracht?

    Was haben die Wahlen zum Koordinationsrat der belarussischen Opposition gebracht?

    Bei den Wahlen zum Koordinationsrat der belarussischen Opposition, die vom 25. bis 27. Mai 2024 stattfanden, erhielt die Liste von Pawel Latuschko und der Bewegung Sa swabodu mit Abstand die meisten Stimmen. Sie wird mit 28 Abgeordneten im neuen Koordinationsrat vertreten sein. Allerdings nahmen nur 6723 Belarussen an der Abstimmung teil. 

    Welchen Sinn macht eine Wahl, wenn in Belarus selbst massive Repressionen herrschen und Hunderttausende Belarussen im Exil mit den zahlreichen Herausforderungen der neuen Heimat kämpfen? Welche Legitimität kann ein Proto-Parlament haben, wenn es insgesamt zu wenige Belarussen repräsentiert? Ist es aber nicht doch ein erstaunlicher Prozess, wenn eine verfolgte Opposition versucht, unter schwierigen Bedingungen einen demokratischen Prozess voranzutreiben? All diese Fragen werden in den belarussischen Medien und auf digitalen Plattformen diskutiert und erörtert. Wir haben einige Stimmen aus dieser Debatte zusammengestellt. 

    Pozirk: „Nicht an der harten Realität zerbrechen” 

    Der belarussische Journalist Alexander Klaskowski fragt sich, was die belarussische Opposition tun kann, um nicht noch mehr Boden in der belarussischen Gesellschaft zu verlieren. 

    [bilingbox]Die Frage ist auch, wie die westlichen Demokratien das Ergebnis der Abstimmung bewerten und wie sie dementsprechend mit dem neuen Koordinationsrat umgehen werden. 

    Die Politiker selbst sollten sich Gedanken machen, wie gut ihre Slogans ziehen und bei den Belarussen ankommen. Was sollten sie an ihren Programmen und Strategien ändern, um nicht endgültig an der harten Realität zu zerbrechen? Eine der spannendsten Fragen ist, wie sich der Koordinationsrat jetzt dem Team von Tichanowskaja gegenüber verhält. Viele Kommentatoren sahen in diesem Wahlkampf den Wunsch einiger politischer Akteure, ihre eigenen Positionen zu stärken, um Tichanowskaja und ihre Leute zu verdrängen und die Rollen auf dem Olymp der Opposition neu zu verteilen.~~~Отдельный вопрос — как оценят итоги голосования и, соответственно, как станут относиться к новому составу КС западные партнеры демократических сил. Самим политикам важно задуматься, насколько их лозунги катят, находят отклик у белорусов. Что стоит изменить в программах и стратегиях, чтобы окончательно не оторваться от суровой реальности. 
    Одна из интриг заключается в том, как поведет себя КС в отношении команды Тихановской. Многие комментаторы видели за этой кампанией желание некоторых политических игроков укрепить свои позиции, чтобы потеснить Тихановскую и ее людей, перераспределить роли на оппозиционном Олимпе.[/bilingbox]

    erschienen am 28. Mai 2024, Original

    Zerkalo: „Der Sinn der Wahlen konnte nicht vermittelt werden” 

    Der Politanalyst Artyom Shraibman ist sich sicher, dass es der Opposition nicht gelungen ist, die Bedeutung der Wahlen zu vermitteln. 

    [bilingbox]Es ist nicht gelungen, den Sinn der Wahlen zum Koordinationsrat deutlich zu machen: nicht nur der Mehrheit der Belarussen, sondern auch bedeutenden Initiativen aus Opposition und Zivilgesellschaft. Es ist bezeichnend, dass bei der Wahl viele nicht angetreten sind, die die für Belarussen wohl die greifbarste und sichtbarste Arbeit machen: Menschenrechts- und humanitäre Organisationen wie BYSOL, die Gruppierung ehemaliger Silowiki BELPOL, die regelmäßig spektakuläre Recherchen zu Fällen von Korruption und der Umgehung von Sanktionen veröffentlicht, oder die Cyberpartisanen, die es immer wieder fertigbringen, erfolgreiche Cyberattacken durchzuführen. All diese Gruppen haben nicht die Zeit gefunden oder den Sinn darin gesehen, sich an der Wahlkampagne zu beteiligen.~~~Смысл выборов в КС не удалось объяснить не только большинству беларусов, но и некоторым значимым оппозиционным и гражданским инициативам. Показательно отсутствие на выборах нескольких структур, которые занимаются, возможно, наиболее осязаемой и заметной для беларусов работой: правозащитных и гуманитарных организаций вроде BYSOL, группы экс-силовиков BELPOL, регулярно публикующей эффектные расследования случаев коррупции и обхода санкций, или «Киберпартизан», которые все еще умудряются проворачивать успешные кибератаки. Все эти группы не нашли времени или смысла участвовать в кампании.[/bilingbox]

    erschienen am 28. Mai 2024, Original

    Nasha Niva: „Es ist nicht die Zeit für Machtkämpfe” 

    Unter Bedingungen von Repression und Verfolgung Wahlen durchzuführen, mache wenig Sinn, meint der Journalist Mikola Bugai. 

    [bilingbox]Diese Wahlen können letztlich eine positive Rolle spielen, wenn sie auch erstmal ernüchtern. Wenn sie sogar denen, die es vorher nicht begriffen haben, zeigen, dass jetzt nicht die Zeit ist, um innerhalb der Opposition Machtkämpfe auszutragen, und nicht nur nicht innerhalb der Opposition: In der gegenwärtigen geopolitischen Lage ist auch ein Machtwechsel in Belarus unmöglich. Wer denkt schon an Minsk, wenn sich der Westen noch nicht mal zur Befreiung von Melitopol entschließen kann. Jetzt ist es nicht an der Zeit, sichtbare Strukturen aufzubauen. Jetzt ist es an der Zeit, alles Stille, Nicht Öffentliche und Nicht Sichtbare zu stärken und zu mehren, das dazu beiträgt, dass Belarus belarussisch und die Belarussen Belarussen bleiben, dass sie leben und arbeiten können. Die Zeiten ändern sich, und die Politik sollte sich mit ihnen verändern.~~~Но эти выборы могут сыграть и позитивную роль, если они отрезвят. Если они покажут даже тем, кто этого раньше не понимал, что сейчас не время бороться за власть внутри оппозиции, да и не только внутри оппозиции: в сложившейся геополитической ситуации и смена власти в Беларуси невозможна. Какой Минск, если Запад не может решиться на освобождение Мелитополя. Сейчас совсем не время строить видимые структуры. Сейчас самое время, чтобы тихо приумножать любые негромкие, непубличные, непофасные дела, которые помогают Беларуси оставаться белорусской, а белорусам — оставаться белорусами, жить и работать. Времена меняются, и политика тоже должна меняться вместе с ними.[/bilingbox]

    erschienen am 27. Mai 2024, Original

    Reform: „Angst hat die Belarussen von der Wahl abgehalten” 

    Der Journalist Igor Lenkewitsch führt die geringe Wahlbeteiligung vor allem auf den Terror zurück, mit dem das System Lukaschenko gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. 

    [bilingbox]Man kann sich zu Tode ärgern, wie schrecklich alles ist. Aber das wird kaum etwas an der Lage ändern. Genauso wenig wird auch der Terror nachlassen, mit dem das Regime gegen die Belarussen wütet. Viel wichtiger ist es, zu verstehen, wie man unter den gegebenen Umständen handeln soll. Wenn Massenkampagnen wegen der Angst derzeit nicht möglich sind, sollte man sich auf Bereiche konzentrieren, für die es keine große Teilnahme von Menschen braucht. Die negativen Erfahrungen dieser Wahlen muss man sich genau anschauen. Und es wäre der größte Fehler zu glauben, dass die Angst, die sich in der Gesellschaft eingenistet hat, schnell und einfach überwunden werden kann.~~~Можно убиваться по поводу того, насколько все ужасно. Но от этого положение дел вряд ли изменится. Равно как не ослабнет террор, который режим обрушил на беларусов. Гораздо важнее понять, как действовать в сложившейся обстановке. И если фактор страха не дает возможностей проводить массовые кампании, сфокусировать внимание на тех направлениях, которые не требуют вовлечения в процесс значительного количества людей. Негативный опыт этой кампании необходимо осмыслить. И самой большой ошибкой было бы считать, что поселившийся в обществе страх удастся быстро и легко переломить.[/bilingbox]

    erschienen am 28. Mai 2024, Original

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  • Menschen des Waldes

    Menschen des Waldes

    „Eine wichtige Dimension des belarussischen Lebens ist immer noch die Schutz- und Ressourcenfunktion des Waldes, das Neue ist die ökologische Sorge um ihn.“ So heißt es im Ankündigungstext zum Fotoprojekt Menschen des Waldes (belaruss. Ludzi Lesu), das die Initiative VEHA im Jahr 2021 ins Leben gerufen hat. Das Projekt geht der Beziehung der Belarussen zu ihren Wäldern auf den Grund. Im Mai 2024 wurde das fertige Buch zum Projekt mit dem Michail Anempadystau-Preis ausgezeichnet. Wir haben mit Lesia Pcholka, Kuratorin von VEHA, über das Projekt gesprochen und zeigen eine Auswahl von Bildern. 

    1978, Wjalikaja Berastawiza. Auf der Birke: Hieorhij Stracha, seine Tochter Tazzjana, sein Sohn Aleh und Natallja Lytschkouskaja. Natalljas Mutter Swjatlana steht rechts / Foto © Aljaxandr Lytschkousk, zur Verfügung gestellt von Mikola Taranda. VEHA-Archiv, Sammlung „Menschen des Waldes

    dekoder: Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?

    Lesia Pcholka: Die Idee, ein Buch zum Thema Wald zu machen, hatten wir im Jahr 2021. Direkt nach den Protesten von 2020 und während der einsetzenden massenhaften Repressionen. Die Straßen der Städte waren damals unsicheres Gelände geworden, die Wände unserer Wohnungen boten keinen Schutz mehr. Man hatte uns den städtischen Raum genommen. Die Wälder boten damals vielen Belarussen Ruhe, viele zogen aufs Land. 

    Wir machten eine Ausschreibung zu dem Thema, um Fotos zu bekommen. Die Frist endete am 20.02.2022, vier Tage vor Russlands großer Invasion in der Ukraine. Wir hatten das Material vorliegen und waren schon tief in das Thema eingestiegen, aber dann kam der Schock des Krieges. Wir diskutierten im Team lange, ob wir das Recht haben, in Zeiten solchen Leids über ein belangloses Thema wie den Wald zu sprechen. Es fehlte auch Kraft, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Trotzdem gaben wir das Buch heraus, denn wir fühlten uns dem Plan für das Projekt verpflichtet. 

    In der Folge erhielten wir Rückmeldungen, dass diese anderen Nachrichten für die Menschen wichtig waren, sie führten sie vom Schrecken weg, zeigten etwas über sie selbst, die Belarussen, über das weitergehende unsichtbare Alltagsleben in Zeiten von Krieg und Repression. Mit der Zeit begriffen wir, dass unser Thema nicht schlecht gewählt war, ich bin froh, dass wir die Arbeit am Buch zu Ende gebracht haben.

    Was für eine Beziehung haben Belarussen zum Wald?

    Dieses Thema hat meine Kollegin Asia Cimafiejeva sehr gut dargestellt in ihrem Artikel Der Wald und der Alltag der Belarussen für unser Buch. Sie schreibt darin, die Kollektion von VEHA Ludzi lesu zeige verschiedene Aspekte – sowohl private als auch öffentliche. Auf den Bildern sehen wir einerseits die lebendige Beziehung zwischen Mensch und Wald, wie sie für ein traditionelles Denken typisch ist. Wir sehen die modernistische Entfremdung von der Natur und die Rückkehr zu ihr als einem Ort der Erholung oder gar Flucht vor der Realität. Wir beobachten aber auch staatliche Interessen: wirtschaftliche und militärische. Der Wald ist Hintergrund für viele Beziehungen und Tätigkeiten des Menschen. Wir betrachten ihn nicht getrennt von uns – schon die Präsenz des Fotoapparats bezeichnet unseren Einbruch in sein Territorium. Wie positiv dieses Eindringen für den Wald ist, bleibt eine offene Frage.

    Wie kommen Sie an die Fotos für die Projekte?

    Aktuell hat das VEHA-Archiv fünf thematische Sammlungen: The Best Side/ Najlepšy bok; Girl’s night/Dziavočy viečar; Last photo/Apošny fotazdymak; People of the Forest/Ludzi Lesu; Ruins of Belarus/Ruiny Belarusi. Wir analysieren verschiedene belarussische Familienarchive und schauen, welche Motive am häufigsten auf den Fotos auftauchen, auf dieser Grundlage wählen wir unsere Themen aus. Wir machen eine Ausschreibung und die Menschen schicken uns digitale Kopien von Fotos aus ihren Privatarchiven. Darüber hinaus bitten wir um detaillierte Informationen zu Jahr und Ort der Aufnahme sowie den Namen der Abgebildeten. So bleiben die Originalfotos in den Familien, nur die Kopien werden zum Forschungsgegenstand, zum Teil des VEHA-Onlinearchivs, und in Ausstellungen und Büchern veröffentlicht. 

    Unsere letzten Bücher wurden in Belarus herausgegeben, in kleinen Auflagen von etwa 200 Exemplaren. Das Buch Ludzi Lesu ist das erste, das im Exil erschien, in Polen. Es besteht aus drei Teilen. Den ersten Teil könnte man beschreiben als Einssein mit der Natur – Menschen umarmen Bäume oder verstecken sich in hohen Waldblumenwiesen. Der zweite Teil zeigt Fotos, die den Wald als Ressource darstellen. Im dritten Teil geht es um den Wald als Erholungsgebiet und Schauplatz von Alltagshandlungen.

    Wie kommt das Projekt bei den Belarussen an?

    Das Buch Ludzi Lesu ist 2022 erschienen. Immer mehr Menschen verlassen das Land und das letzte, woran sie denken, ist ihre Bibliothek aufzufüllen. Zwar haben wir in der Galerie FAF in Warschau eine Buchpräsentation organisiert, aber es gab keine nennenswerten Rezensionen zu dem Buch. Die belarussische Kultur hat 2022 einen harten Schlag versetzt bekommen, von dem sie sich nicht so schnell erholen wird. Ich weiß nicht, wie bewusst es den Menschen im Ausland ist, dass es für Belarussen innerhalb von Belarus gefährlich ist, sich mit ihrer nationalen Kultur zu beschäftigen. Außerhalb der Landesgrenzen gilt man als Besatzernation, zusammen mit den Russen. Das sind keine förderlichen Bedingungen.

    Welches Ziel hat die Arbeit von VEHA?

    Die Fotografien im VEHA-Archiv sind keine künstlerischen Attraktionen, sondern eine kollektive Darstellung von Alltäglichkeit. Ein Abbild dessen, wo wir heute stehen. Unsere Routine, das, was wir für bedeutsam genug halten, um es zu fotografieren. Gerade in den alltäglichen Praktiken provozieren wir Veränderungen – oder aber entscheiden uns für Akzeptanz und Normalisierung. Dafür setzen wir das, was wir auf dem Foto sehen, in Beziehung zu der Zeit, in der das Foto entstanden ist, zu den politischen und sozialen Ereignissen dieser Zeit. Diese Praxis hilft dabei, das Vergangene zu ordnen, sich die eigene Geschichte zurückzuholen.

    1966, der See Naratsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Uladsimir Sadouski, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1968, Tscherwen / Foto © zur Verfügung gestellt von Stanislawа Naidowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1969–1970, Retschyza. Woĺha und Ljubou Karunnaja / Foto © zur Verfügung gestellt von Aljaxandr Drahawos, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    1974, Wolha Shukawa (links) mit einer Freundin / Foto © zur Verfügung gestellt von Vassilina Sakalouskaja, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1930er Jahre, Polesien / Foto © zur Verfügung gestellt von Fundacja Archeologia Fotografii, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1959, Tscherwen. Vera Lipen / Foto © zur Verfügung gestellt von Stanislawa Naidowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1956, Tscherwen. Vera Lipen / Foto © zur Verfügung gestellt von Stanislawa Naidowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1966, Der See Naratsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Uladsimir Sadouski, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1900–1910er Jahre, Schklou. Arbeiter der Fabrik Spartak am Ufer des Dnjepr / Foto © zur Verfügung gestellt vom Shklou District Historical and Regional Studies Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1950er Jahre,das Dorf Starasselle. In einem Garten am Apfelbaum / Foto © zur Verfügung gestellt vom Shklou District Historical and Regional Studies Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1950, Baranawitschy. Valjanzina Bahuschewitsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Maxim Schwed, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1945–1950, Maryja Jeudakimauna Pesljak / Foto © zur Verfügung gestellt von Julija Kaljada, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1934, Schklou. Im Park / Foto © zur Verfügung gestellt vom Sklou District Historical and Regional Studies Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1978, Studentin des Medizinischen Institutes Hrodna (heute staatliche Medizinische Universität Hrodna) während der studentischen Baubrigade / Foto © Alina Taranda, zur Verfügung gestellt von Mikola Taranda, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1960er Jahre, Kusali. Tolik und Siarhej Protscharawy mit Mikalai Palikarpau / Foto © zur Verfügung gestellt von Darja Palikarpawa, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1920–1930er Jahre. Mädchen beten während eines Sommercamps vor einer behelfsmäßigen Kapelle auf dem Baumstumpf eines alten Baumes / Foto © zur Verfügung gestellt von Siarhej Leskiec, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1920–1930er Jahre / Foto © zur Verfügung gestellt vom Luninets District Local History Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1980, Hluscha, Region Mahilioŭ. Ales Adamowitsch / Foto © Jauhen Koktysch, zur Verfügung gestellt von Natallja Adamowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1966, Am See Naratsch. Raman Chacjalowitsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Uladsimir Sadouski, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Fotos: VEHA-Archiv, Sammlung Menschen des Waldes
    Bildredaktion: Andy Heller
    Interview: Ingo Petz
    Veröffentlicht am: 28.05.2024

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  • Debattenschau № 91: Jelzin, die Oligarchen und die Sünden der 1990er

    Debattenschau № 91: Jelzin, die Oligarchen und die Sünden der 1990er

    Mit einer Serie einstündiger Videos haben Mitstreiter Alexej Nawalnys vom Fonds für Korruptionsbekämpfung (FBK) eine heftige Debatte über das Erbe der 1990er Jahre in Russland ausgelöst. Im Kern geht es um die Frage, wann die Weichen für den Weg in Richtung Korruption, Manipulation und Autoritarismus gestellt wurden und wer die Schuld dafür trägt, dass sich Russland nach dem Ende der Sowjetunion nicht zu einem demokratischen Rechtsstaat entwickelte. In seinem letzten programmatischen Aufsatz aus dem Straflager hatte Nawalny im August 2023 voller Wut Boris Jelzin, seine Familie und die Oligarchen der frühen Jahre dafür verantwortlich gemacht, dass Selbstbereicherung und Machterhalt über demokratische Prinzipien triumphierten. In den Videos sitzt nun Maria Pewtschich – die Direktorin von Nawalnys Fonds für Korruptionsbekämpfung (FBK) – in einer Wohnung, die mit Möbeln und Accessoires der 1990er eingerichtet ist – und kommentiert Filmausschnitte und Dokumente.

    Die Debatte um die Fehler der 1990er Jahre ist nicht neu. Aber sie wird vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse immer wieder neu geführt. Diesmal mit großer Heftigkeit. Denn es geht auch um die Verwicklung heutiger Regimegegner, die damals zu Jelzins Netzwerk aus Macht und Geld gehörten und im Gefängnis landeten oder ins Exil gingen, wie etwa Michail Chodorkowski. Während die einen sagen, es sei wichtig, die Fehler der Vergangenheit zu benennen, um sie nicht zu wiederholen, bemängeln andere, angesichts des Krieges gegen die Ukraine sei jetzt nicht die Zeit für Streit. Stattdessen müsse die Opposition geeint auf ein Ende des Krieges und des Regimes hinarbeiten. 

    Was bedeutete Demokratie im postsowjetischen Russland?

    Der Politikwissenschaftler Wladimir Gelman vertritt die Ansicht, dass nie der Weg zu einer echten Demokratisierung eingeschlagen wurde:

    [bilingbox]Die Debatte über die 1990er Jahre in Russland läuft […] letztlich auf die Frage nach den Anfängen des derzeitigen politischen Regimes hinaus: War das Land in den 1990er Jahren auf dem Weg zur Demokratie, und dann kam Putin und ruinierte alles? Oder war nach dem Zusammenbruch der Kommunistischen Partei nie von einer Demokratisierung auch nur die Rede? 
    In meinem Buch Awtoritarnaja Rossija (dt. Das autoritäre Russland) wird die zweite Sichtweise ausführlich dargestellt. Demzufolge lässt sich der politische Prozess im postkommunistischen Russland zusammenfassen mit einem Satz von Anatoli Sobtschak: „Jetzt sind wir an der Macht – und das ist Demokratie“.~~~Спор о 1990-х годах в России, […] в конечном итоге сводится к вопросу об истоках нынешнего политического режима. Действительно ли (1) в 1990-е страна двигалась к демократии, а потом пришел Путин и все испортил или же (2) изначально после краха КПСС ни о какой демократизации не было и речи. В моей книге «Авторитарная Россия» довольно подробно представлена вторая точка зрения. Предельно огрубляя, политический процесс в посткоммунистической России, согласно этой точке зрения, можно суммировать фразой Собчака на с.7 книги – «мы теперь у власти – это и есть демократия».[/bilingbox]

    erschienen am 17.04.2024, Original

    Jelzins Regierungszeit war bestimmt vom Kampf gegen die Geister der Vergangenheit

    Der Journalist Sergej Parchomenko vermisst in Pewtschichs Videos die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe, vor denen sich die Ereignisse abspielten:

    [bilingbox]Die ganze Geschichte mit Jelzin und seiner Regierungszeit begann nicht im luftleeren Raum, sondern knüpfte unmittelbar an eine jahrzehntelange Odyssee: Sowjetmacht, kommunistische Diktatur, eine durch diese Diktatur verunstaltete und gequälte sowjetische Gesellschaft, eine absurde politische Maschinerie ohne funktionierende staatliche Institutionen und eine von sozialistischer Idiotie erdrückte Wirtschaft, die in keinem Bereich funktionsfähig war. Das Ganze hat sich bis zur letzten Minute im Kampf genau dagegen entwickelt und war der Logik dieses Kampfes untergeordnet. Nein, nicht bis zur letzten Minute: Fairerweise müssen wir festhalten, dass es eine späte Periode der Schande gab, als Jelzin die Macht bereits völlig aus den Händen geglitten war und er sie einer Gruppe übergeben hatte, die nur getrieben war von Angst um ihre eigene Zukunft, von dem alleinigen Wunsch, wohlhabend aus der Herrschaft hervorzugehen und ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten.

    All diese Grundlagen sind in dem Film Verräter zu sehen. Nicht als Begleitumstände, sondern eben als tragende Grundlage. Doch die Autoren und die Erzählerin schauen das an und merken irgendwie nichts. Ringsum verschwommene Gesichter und Menschen unklarer Herkunft.

    Wer sind die alle?

    Das sind die, denen die russische (5 Minuten zuvor noch sowjetische) Wirtschaft in dem Moment gehörte, als Abramowitsch und Beresowski und Jelzins ganze Mannschaft auf der Bildfläche erschienen. Sie sind die Verkörperung des sowjetischen Systems, ja, die personifizierte sowjetische Macht. Sie verschwanden nicht, sie lösten sich nicht auf, sondern sie wehrten sich vehement gegen jede Veränderung, forderten ihren Löwenanteil und gaben ihre Positionen nur in einem erbitterten Kampf auf.

    Heutzutage wären solche Verweise auf das „sowjetische Erbe“ und die „verfluchten 90er Jahre“ die reinste Lüge und zynische Heuchelei: Denn von der UdSSR trennen uns 35 und von der „Phase der ursprünglichen Akkumulation“ der 1990er immerhin 30 Jahre.

    Jelzins Periode folgte unmittelbar auf die sowjetische, ohne Pause, dauerte weniger als ein Jahrzehnt und wurde zu einer einzigen Preiskatastrophe mit einem Ölpreis von acht bis zehn Dollar pro Barrel und einem Bezwingen der volkswirtschaftliche Katastrophe.

    Die Gesellschaft forderte eine Befreiung, eine Überwindung der sowjetischen Vergangenheit. Sie forderte kein Verbot der KPdSU, keine Lustration. Die Menschen forderten Reformen, die ihnen Hoffnung auf mehr Konsum gaben: Sie wollten Lebensmittel, Kleidung, Wohnungen, Autos, Geschirrspülmaschinen, Urlaubsreisen, Bücher und Filme, Waschmittel, ohne dafür anstehen zu müssen, sauberes Wasser in Flaschen und frisches Bier aus dem Zapfhahn. Und sie waren bereit, für diesen Konsum – oder zumindest die vage Hoffnung auf diesen Konsum – auf Vieles zu verzichten. Darunter auch auf ihre Wertpapiere, was die Aufgabe des Traums bedeutet, Gazprom-Aktionär zu werden.

    Unter diesen Umständen – in dieser sozialen und gesellschaftlichen Atmosphäre – geschah all das, was in dem Film des Fonds für Korruptionsbekämpfung (FBK) beschrieben ist, plus enorm viel mehr, was dort nicht beschrieben ist. Dem keine Beachtung zu schenken, wäre dumm. So zu tun, als sei das „nicht wichtig“, wäre unlauter. 

    Ich glaube, dass jetzt gerade der falsche Zeitpunkt für solche Debatten ist, und ausgerechnet heute hilft wütendes Streiten darüber, wer schuld daran war, was vor 35 und 25 Jahren geschah, nicht dabei, das Böse, mit dem wir es aktuell zu tun haben, zu bezwingen: Mit Putins Aggression gegen die zivilisierte Welt und der Bereitschaft dieses Diktators, Millionen Leben zu opfern, um selbst an der Macht zu bleiben.~~~Вся история Ельцина и его правления началась не на пустом месте, а отталкивалась от многодесятилетней эпопеи советской власти, коммунистической диктатуры, изуродованного и измученного этой диктатурой советского общества, нелепой политической машины, лишенной нормально действующих институтов государства, и раздавленной социалистическим идиотизмом экономики, не способной действовать ни на одном своем участке. И вся – до последне минуты – в борьбе с этим и развивалась, и логике этой борьбы была подчинена. Впрочем, нет, не до последней: справедливости ради, надо все время оговариваться, чтоб был там поздний, позорный период, когда Ельцин уже совсем упустил власть из своих рук, и отдал ее группе людей, которыми двигал только страх за свое будущее, только желание благополучно “выскочить” из власти и обеспечить лично себе безопасность.

    Вся эта основа – именно не фон, не антураж, а основа, содержательная и решающая, – в фильме ФБК присутствует. Но авторы и рассказчица смотрят на них и как бы не замечают. Какие-то люди с мутными лицами и непроясненным происхождением толпятся вокруг

    Кто они все?

    А это те, кто владели российской (еще пять минут назад советской) экономикой в тот момент, когда на сцене появились и Абрамович, и Березовский, и вся команда Ельцина. Это просто олицетворения, персонализованные воплощения советской власти и советского строя, которые никуда сами не делись, не рассосались, а ожесточенно противостояли любым изменениям, требовали своей львиной доли и первоочередного учета своих интересов, и уступали свои позиции только в свирепой борьбе.

    Это сейчас ссылки на “советское наследие” и на “проклятые девяностые” представляют собой чистейшую ложь и циничное лицемерие: потому что от СССР нас отделяет 35 лет, а от “периода первоначального накопления” 90-х – 30. 

    Ельцинский же период следовал за советским вплотную, без паузы, продолжался меньше десятилетия, и весь пришелся на одну сплошную ценовую катастрофу с нефтью по 8-10 долларов за бочку, и на преодоление хозяйственной разрухи. 

    Общество требовало освобождения от этого, преодоления советского прошлого. Не было никакого общественного запроса на запрет КПСС, например, не было запроса на люстрацию… люди требовали таких реформ, которые обещали им надежду на рост потребления: люди хотели еды, одежды, жилья, автомобилей, посудомоечных машин, поездок в отпуск, книг и фильмов, стирального порошка без очереди, чистой воды в бутылках и непрокисшего пива в разлив. И готовы были за это потребление – или хотя бы за смутную надежду на потребление – многое отдать. В том числе отдать свой ваучер, а с ним и мечту стать акционером Газпрома.

    В этих обстоятельствах – в этой общественной и политической среде – происходило все, что описано в фильме ФБК, а также и колоссальное количество того, что в нем не описано. Не обращать на это внимания – глупо. Делать вид, что это “не важно”, – нечестно.

    Я думаю, что сейчас плохое, неправильное время для этих дебатов, и именно сегодня яростные споры о том, кто виноват в случившемся 35 и 25 лет назад, нам не помогут справиться с главным злом сегодняшнего дня: путинской агрессией против цивилизованного мира и готовностью диктатора пожертвовать миллионами жизней ради того, чтоб остаться у власти.[/bilingbox]

    erschienen am 17.04.2024, Original

    Wie sich echte Politiker von Höflingen unterscheiden 

    Die Psychologin Ljudmila Petranowskaja streicht die Unterschiede zwischen den Akteuren in Jelzins Umfeld und Alexej Nawalny heraus:

    [bilingbox]Folgendes dachte ich bei der kurzweiligen Lektüre der hitzigen Debatte über die 1990er Jahre: Einer der Gründe des gegenseitigen Missverständnisses besteht darin, dass die Akteure der 1990er Jahre und Nawalny (wie wahrscheinlich auch seine Mitstreiter) grundlegend verschieden sind. 

    Erstere waren, wie man es dreht und wendet, Höflinge – Menschikows unter einem schillernden Reformzaren. Sie standen in der Gunst und erhielten Aufträge, fielen in Ungnade, waren in der Verbannung und auf der Flucht – je nachdem, wie das Leben so spielt. Aber im Fokus ihrer Aufmerksamkeit stand immer der Zar (der eine, dann der nächste). Ihr Schicksal hing immer vom Zaren ab, mit seinen Entscheidungen waren ihre Ängste und Hoffnungen verbunden – darunter nicht nur die rein egoistischen, sondern auch die erhabenen, „das Schicksal des Vaterlandes betreffenden“. Politik war in ihren Augen das, was einer mit dem anderen über irgendetwas vereinbart – ob in den Fluren der Macht, in der Banja, in den Büros. Im nächsten Schritt wird das dann als rein polittechnologische Aufgabe umgesetzt: Wie genau soll man die Ergebnisse der Vereinbarungen dem „Volk“ nahebringen? Aber der Gedanke, dass dieses „Volk“ selbst Subjekt des politischen Lebens sein könnte, wird nicht zugelassen – das Volk liebt doch bekanntermaßen die harte Hand und Almosen, ist atomisiert und beeinflussbar. Gott bewahre, dass es etwas entscheiden darf!

    Nawalny dagegen ist ein true politician. Ganz im Ernst. Eine in unseren Breiten noch nie dagewesene Spezies. Der hat sich direkt an die Menschen gewandt – hat hat ihnen nichts vorgespielt, keine von anderen verfassten Reden abgelesen, sondern den direkten Kontakt gesucht, sogar über die Köpfe der Gefängnisaufseher hinweg. Er glaubte wirklich, dass am Ende sie – die Menschen – entscheiden sollen.

    Man kann mit ihm einer Meinung sein oder nicht, ihn lieben oder hassen, aber dass er ein talentierter Politiker war (wie sehr es einem widerstrebt, hier dieses „war“ einzusetzen) – das ist schlicht Fakt.

    Dieser FBK-Film ist keine Recherche im eigentlichen Sinne, kein „Versuch, zu verstehen“, sondern ein direkt an die Menschen gerichtetes politisches Statement. Ob es wirkungsvoll ist oder nicht, wird die Zeit zeigen. Doch das Genre ist klar.

    Was sind die Ziele dieses Statements? 

    Sich von diesen kompromittierten Personen und Entscheidungen abzugrenzen und zu sagen: „So sind wir nicht.“

    Putins Lieblingsargument „Ich habe euch aus den 1990er Jahren gerettet“ und die Schlussfolgerung „Demokratie ist Lüge und Raub“ auszuhebeln.

    Eine Bewegung nach links zu markieren, denn die linke Flanke ist offen und die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit enorm.~~~Первые – это как ни крути, придворные, этакие Меньшиковы при ярком и "с загогулинами" царе-реформаторе. Бывали в фаворе и получали подряды, бывали в опале, в ссылке и в бегах – жизнь разная. Но в фокусе их внимания всегда был собственно царь (один, потом второй). От отношений с царем зависела их участь, с его решениями связывались надежды и страхи – в том числе не чисто эгоистические, а возвышенные, "про судьбы Родины". Политика в их представлении – это кто с кем о чем договорится где-то там, в коридорах, банях, кабинетах. Потом уже решается чисто политтехнологическая задача – как именно результаты договоренностей донести "народу". Но мысли о том, что сам этот "народ" может быть субъектом политической жизни не допускается – народ, как известно, любит твердую руку и подачки, атомизирован и внушаем, боже упаси пустить его решать. 

    А Навальный – он тру политик. Прям вот всерьез . Невиданный в наших краях зверь. Реально обращался к людям – не изображал, не читал написанное спичрайтерами, а прям обращался, даже через головы конвойных. Реально верил, что в конечном итоге им – людям – решать. 
    Можно с ним соглашаться или нет, любить или ненавидеть, но то, что он был (как не хочется вставлять это "был") профпригодным публичным политиком – это просто факт. 
    И фильм ФБК – это не расследование, не "попытка разобраться", а политическое высказывание, обращённое напрямую к людям. Эффективное или нет – время покажет, но жанр очевиден. 
    Какие цели высказывания? 
    Отстроиться от скомпрометированных персон и решений, сообщить "мы не такие".
    Выбить любимый аргумент Путина "я вас спасаю от 90х" и сцепку "демократия – это ложь и грабеж". 
    Обозначить движение влево, потому что левый фланг пуст, а запрос на социальную справедливость огромный. [/bilingbox]

    erschienen am 25.04.2024, Original

    „Dieser Film weckt Wut und Hass“

    Lew Schlosberg, Publizist und Jabloko-Politiker kritisiert die Serie scharf: 

    [bilingbox]Jelzin hatte nicht vor, ein Russland Putins aufzubauen, doch er hat es mit seinen vielen Fehlern herangezüchtet, hat einen historischen Raum geschaffen für eine politische Revanche des imperialen und sowjetischen Systems. 

    Aber eine Aufarbeitung der Chancen, Risiken, Fehler und Verbrechen der 1990er darf nicht zu politischen Repressionen, zur Verunglimpfung politischer Gegner und Feinde führen und nicht zum Entzünden von Rache und Bürgerkrieg anstiften.

    Der Film Verräter beantwortet die Frage „Wer ist schuld?“ auf eine Art und Weise, die nicht Gerechtigkeit durch den Rechtsstaat, sondern durch außergerichtliche Vergeltung nahelegt, wobei die Lenker der Vergeltung sich im Namen der Gesellschaft das Recht auf Gewalt herausnehmen und die Gesellschaft manipulieren, unter anderem durch ihren Schmerz und ihr Leid. Die ist eine unlautere und gefährlich provokative Technik.

    Der Film Verräter fördert keine Gerechtigkeit, sondern Revolution und Umverteilung von Eigentum und Macht durch Gewalt. Dieser Film weckt bei Erniedrigten und Beleidigten Wut und Hass. Er fördert im Land die Atmosphäre von Bürgerkrieg.
    Ich bin sicher, dass das den Autoren des Films sehr wohl bewusst ist.~~~Политически эпоха Владимира Путина выросла из эпохи Бориса Ельцина. Ельцин не планировал построить Россию Путина, но вырастил её своими многочисленными ошибками, создал историческое пространство для политического реванша имперской и советской системы. Политическая ответственность за эти последствия в значительной части лежит на Борисе Ельцине. Идеализировать Ельцина и его эпоху нельзя, хотя это была эпоха невиданного ранее исторического шанса на свободу.
    Но анализ шансов, рисков, ошибок и преступлений 1990-х не должен проводиться в технике политических репрессий, шельмования политических оппонентов и противников, не должен быть разжиганием настроений мести и гражданской войны. 
    Фильм «Предатели» даёт ответ на вопрос «Кто виноват?» в манере, предполагающей не восстановление справедливости через законность, а внесудебные кары, когда вершители возмездия присваивают себе право на насилие от имени общества и манипулируют обществом, в том числе его болью и страданиями. Это нечестная и очень опасная провокативная технология.
    Фильм «Предатели» взывает не к правосудию, а к революции, переделу собственности и власти через насилие. Этот фильм будит в униженных и оскорблённых людях гнев и ненависть. Он формирует в стране атмосферу гражданской войны.
    Уверен, что авторы фильма это хорошо понимают.[/bilingbox]

    erschienen am 22.04.2024, Original

    Dieser Film ist eine Verschwörungserzählung

    Die Medienwissenschaftlerin Xenia Lutschenko sieht in den FBK-Videos Elemente einer Verschwörungs-Erzählung:

    [bilingbox]Maria Pewtschichs Film liefert die endgültige Ausformulierung der Verschwörungerzählung „Komplott der Korruptionäre gegen Russland“. Es gibt da diese Gruppe böswilliger Verschwörer, die mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung und zum eigenen Wohl absichtlich das Leben von Millionen Menschen verschlechtert hat und das auch weiterhin tut und die „uns das Land gestohlen hat“. 

    Die Krieger des Lichts machen Jagd auf die Korruptionäre, doch die sind listig, wohlhabend und lenken im Verborgenen die ganze Welt und das Land entsprechend ihren Interessen. All dies geschieht nicht zufällig, alles ist miteinander verknüpft. Verschwörungsgläubige müssen nicht unbedingt Aluhüte tragen, typisch für sie ist eine bestimmte Art des Denkens. Es gibt Verschwörungserzählungen, die „uns“ gefallen. Also check your biases! ~~~В фильме Марии Певчих окончательно сформулирована конспирологическая теория «Заговор коррупционеров против России»: Существует некая группа злых заговорщиков, которая в целях личного обогащения и собственного блага намеренно ухудшила жизнь миллионов и продолжает это делать, «украла у нас страну». Воины света охотятся на коррупционеров, но те изобретательны, богаты и тайно управляют миром (страной) в своих интересах. Все события неслучайны, явления взаимосвязаны. Конспирология не обязательно в шапочках из фольги, это специфический тип мышления. Бывают теории заговора, которые «нам» нравится. Так что check your biases[/bilingbox]

    erschienen am 21.04.2024, Original

    Boris Jelzin stand am Beginn von billigem Populismus, Familien- und Klanwirtschaft und manipulativer Politik

    Die Demokratie wurde früh verraten, ist der Ökonom und Publizist Wladislaw Inosemzew überzeugt:

    [bilingbox]In den 1990er Jahren bildete und festigte sich ein System persönlicher Loyalitätsbeziehungen, die an die Stelle demokratischer Institutionen trat, die sich nie etablieren konnten. Die Reformen der ersten postsowjetischen Jahre legten die Grundlage für die Marktwirtschaft, wobei ehemaliges Staatseigentum an neue Eigentümer verteilt wurde. In dieser Situation hätte die Rückkehr der Kommunisten an die Macht im Jahr 1996 zu enormen Spannungen zwischen Regierung und Geschäftswelt geführt. Daraus hätte sowohl ein politischer Wettstreit entstehen können als auch eine Rechtsordnung. Doch diejenigen, die die demokratischen Reformen verrieten, zogen persönliche Garantien der Rechtsstaatlichkeit vor, was Russland in eine faschistische Diktatur führte.

    Ich erinnere mich noch lebhaft an den Sommer 1989, als in der UdSSR Millionen von Menschen an den Radioempfängern hingen, um die Debatten auf der ersten Sitzung der Volksdeputierten zu hören. Sie erlebten zum ersten Mal, wie Gesetze diskutiert und verabschiedet wurden, und das einst allmächtige Politbüro war dagegen machtlos. Dann folgten Demonstrationen und Kundgebungen, die Wahlen für die Parlamente der Unionsstaaten 1990 – und die Bereitschaft Michail Gorbatschows, sich den neuen Machthabern und letztlich dem Willen des Volkes zu beugen. 

    Diese Bereitschaft hatte Boris Jelzin nie – er begründete in moderner Zeit die Tradition von billigem Populismus, von Familien- und Klanwirtschaft, von manipulativer Politik und übermächtiger Sorge um geklautes Geld. Der Verrat der Demokratie fand in der Tat Anfang und nicht Ende der 1990er Jahre statt – hier haben die Autoren des Films absolut recht.~~~Именно в 1990-е годы в российской власти стала возникать и укрепляться система отношений личной преданности, заменившая так и не состоявшиеся демократические институты. Реформы первых постсоветских лет создали основы рыночной экономики, во многом распределили бывшую государственную собственность среди новых хозяев — и в такой ситуации возврат коммунистов к власти в 1996 году создал бы необходимое напряжение между властью и бизнесом, из которого смогли бы вырасти и конкурентная политика, и правовой порядок. Но те, кто предал демократические реформы, предпочли личные гарантии власти закона, что и привело Россию к фашистской диктатуре.

    Я прекрасно помню лето 1989 года, когда в СССР миллионы людей приникли к радиоприемникам, слушая дебаты на первом съезде народных депутатов. Они впервые увидели, как обсуждаются и принимаются законы и как всемогущее политбюро бессильно против них. Затем были демонстрации и митинги, выборы 1990 года в парламенты союзных республик — и готовность Михаила Горбачева уступить новым властям, в конечном счете — воле народа.

    Этой готовности никогда не было у Бориса Ельцина, заложившего традиции современных дешевого популизма, семейственности и клановости, манипулятивной политики и непреодолимой заботы о награбленных деньгах. Предательство демократии действительно состоялось в начале, а не конце 1990-х — и тут авторы фильма совершенно правы.[/bilingbox]

    erschienen am 23.04.2024, Original

    Aussprache mit Chance auf Versöhnung

    Der Galerist Marat Gelman war in den 1990er Jahren selbst Politikberater und räumt eine Mitschuld ein:

    [bilingbox]Nach dem FBK-Film sollten andere Journalisten mit jenen sprechen, die noch leben, damit sie ihre Sicht der Dinge darlegen. Die Augenzeugen dieser Ereignisse sollten aus heutiger Perspektive ihre Einschätzung abgeben und nicht schweigen. Ich glaube übrigens nicht, dass dies zu Uneinigkeit in der Opposition führen wird. Im Gegenteil, nach einer Aussprache, kann es zu einer Einigung kommen. Ohne verborgenen Groll. ~~~Я думаю надо историю поднять. И потом, после фильма ФБК, другим журналистам поговорить с теми кто еще жив, и пусть они выскажут свой взгляд на происходящее. Я не знаю, может окажется что Путин не мог не прийти. Я так не считаю, но вдруг. И участники тех событий должны дать оценку из сегодняшнего дня, а не молчать.[/bilingbox]

    erschienen am 17.04.2024, Original

    Der Film ist ein einziges klassisches Ressentiment

    Der Publizist Alexander Morosow lässt kein gutes Haar an der FBK-Produktion

    [bilingbox]In gewisser Hinsicht ist das der beste Beweis, nicht eines „putinschen“, sondern eines „liberalen“ Ressentiments. Das gesamte Narrativ des Films ist ein einziges klassisches Ressentiment: eine Kombination aus Demütigung, dem Erleiden einer Niederlage durch die „Verschwörung der Feinde“, multipliziert mit Heldenpose und moralischer Überlegenheit.~~~В каком-то смысле это лучшее свидетельство не "путинского", а "либерального" ресентимента. Весь нарратив фильма – это просто классический ресентимент: совмещение униженности, переживания поражения из-за "заговора врагов", помноженные на чувство героического превосходства и моральной правоты.[/bilingbox]

    erschienen am 20.04.2024, Original

    Vor dem Hintergrund des autoritären Drifts erscheint die Rolle der 1990er in neuem Licht 

    Durch den Angriff auf andere Oppositionelle könnten Nawalnys Mitstreiter Verbündete verlieren, warnt Ilja Matwejew:

    [bilingbox]Pewtschich hat eindeutig einen Nerv getroffen: Die Ereignisse der 1990er Jahre, die einerseits den Weg für den Putinismus ebneten und andererseits Akteure in den Vordergrund rückten, von denen viele später unter dem Putinismus litten – wie Michail Chodorkowski, der mehr als zehn Jahre im Gefängnis saß. Einerseits wird hier zum ersten Mal laut benannt, dass die Rolle der 1990er Jahre im Angesicht des darauf folgenden autoritären Drifts neu gedacht werden muss, andererseits bleibt bislang unklar, wie die ganze Sache endet. 

    Pewtschich hat es geschafft, sich mit den rechtsliberalen Oppositionellen anzulegen, die sie zum Teil de facto als „Verräter“ bezeichnet hat. Aber kann denn der Fonds für Korruptionsbekämpfung ein Alternativprogramm und einen Aktionsplan anbieten, die einen solch heftigen Bruch rechtfertigen würden? Mit anderen Worten: Der FBK verliert Verbündete – aber kann er weiterhin eine Führungsrolle übernehmen? Auf diese Fragen gibt es bislang keine eindeutigen Antworten, doch die Ideen-Krise sowohl in der Opposition allgemein als auch speziell im FBK dauert an, so dass das Ergebnis möglicherweise nicht erquicklich sein wird – Pewtschichs großtönende Serie wird dann zu einem Sturm im Wasserglas.~~~Певчих явно нажала на больной нерв — события 1990-х годов, которые, с одной стороны, подготовили почву для путинизма, а с другой, выдвинули на первый план действующих лиц, многие из которых впоследствии от путинизма пострадали, как Михаил Ходорковский, отсидевший в тюрьме более 10 лет. С одной стороны, впервые так громко прозвучала реплика, переосмысляющая роль 1990-х годов в последующем авторитарном дрейфе, с другой стороны, пока непонятно, чем закончится история с сериалом. 

    Певчих сумела рассориться с праволиберальными оппозиционерами, часть из которых она фактически назвала «предателями», но сможет ли ФБК предложить альтернативную программу и план действий, которые оправдали бы столь мощный разрыв? Другими словами, ФБК теряет союзников, но сможет ли он оставаться лидером? На эти вопросы пока нельзя дать однозначного ответа, но кризис идей в оппозиции в целом и в ФБК в частности продолжается, так что итог может оказаться неутешительным — громкий сериал Певчих станет бурей в стакане воды.[/bilingbox]

    erschienen am 25.04.2024, Original 

    Die 1990er ohne romantischen Kitsch 

    Der Journalist Farid Bektemirow begrüßt, dass die Opposition die 1990er Jahre nicht länger verklärt:

    [bilingbox]In meinen Augen ist der Film nichts Neues (in dem Sinne, dass die vorgestellten Fakten weitgehend bekannt und sehr grob nachgezeichnet sind). Aber als Ausgangspunkt der nicht enden wollende Debatte über das Russland der 1990er Jahre ist er durchaus geeignet. Immerhin beschreibt er das Verhältnis von Staatmacht und Volk in jenen Jahren ohne die sonst übliche romantische Verklärung der Liberalen. Und ohne diesen nostalgischen Kitsch wirkt die Realität höchst unattraktiv, verachtenswert und – in der Tat – verräterisch.~~~По мне, ролик, конечно, базовый (в смысле факты в нём по большей части общеизвестные и даны широкими мазками), но вполне работающий как точка входа в бесконечную тему российских 90-х с довольно точным описанием отношений власти и народа в те годы, просто лишённым привычного для либералов романтического флёра. А без этого флёра и ностальгии происходившее и правда выглядит крайне неприглядно, подло и – совершенно верно – предательски. [/bilingbox]

    erschienen am 20.04.2024, Original

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