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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Die belarussische Opposition braucht einen Freund, aber die Ukraine keinen weiteren Feind “

    „Die belarussische Opposition braucht einen Freund, aber die Ukraine keinen weiteren Feind “

    „Wir sind nicht nur durch ein gemeinsames Schicksal und eine verwandtschaftliche Bande verbunden, sondern auch durch den Wunsch, Freunde zu sein und mit unseren Nachbarn auszukommen.” Mit diesen Worten gratulierte Alexander Lukaschenko der Ukraine am 24. August 2024 zum Unabhängigkeitstag. Eine Antwort von ukrainischer Seite gab es nicht. Denn im dritten Jahr muss sich das Land dem russischen Angriffskrieg erwehren. Einem Krieg, in den auch der belarussische Machthaber unheilvoll verstrickt ist.   

    Bis zum Beginn der großen russischen Invasion im Februar 2022 haben die belarussische und die ukrainische Regierung ein sehr pragmatisches Verhältnis gepflegt. Dieser Pragmatismus scheint jedoch trotz der Kriegsbeteiligung Lukaschenkos für die ukrainische Regierung weiterhin nützlich zu sein. Warum das so ist, erklärt Olga Loiko, Chefredakteurin des belarussischen Online-Mediums Plan B., in ihrer Analyse. 

    Die Journalistin Olga Loiko musste ihre Heimat Belarus verlassen / Foto © Siarhei Balai
    Die Journalistin Olga Loiko musste ihre Heimat Belarus verlassen / Foto © Siarhei Balai

    Belarus braucht keinen Krieg. Erstens, weil Lukaschenko klar ist, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann. „Wir wollen nicht gegen euch kämpfen. Nicht, weil wir euch so liebhaben, sondern weil dann die Front um 1200 km länger wäre. So lang ist nämlich die ganze Grenze: 1200 km.“ So gab Lukaschenko im Interview mit einem russischen TV-Sender seinen imaginären Dialog mit der Ukraine wieder, wobei er die belarussisch-ukrainische Grenze meinte. Russlands zunächst lasche Reaktion auf den Vorstoß der Ukraine in der Oblast Kursk beweist: Die Ressourcen reichen nicht einmal für die Verteidigung des eigenen Territoriums. Schon früher hatte Lukaschenko auf Vorwürfe, er würde den Bündnispartner nicht tatkräftig genug unterstützen, erwidert, er würde ja gern, aber seine Vertikale würde nicht noch eine Front schaffen. Seit 2020 sind alle Kräfte auf die Bekämpfung des inneren Feindes konzentriert. Das Aufwenden von Ressourcen auf einen Feind im Außen könnte die innere Stabilität des belarussischen Regimes ernsthaft gefährden.  

    Der zweite Grund dafür, sich aus dem Krieg herauszuhalten, ist, dass die belarussische Bevölkerung von diesem Konflikt nicht persönlich betroffen sein will. Umfragen von Chatham House zufolge unterstützte im Dezember 2023 nur rund ein Drittel der Belarussen Russlands Aggression gegen die Ukraine. Und nicht einmal die wollten, dass sich Belarus direkt beteiligt. Eine aktive Teilnahme an den Kampfhandlungen auf russischer Seite zogen nur zwei Prozent der Befragten in Betracht, ein Prozent gab an, auf ukrainischer Seite kämpfen zu wollen. Das sollte man jedoch nicht als antimilitaristischen Konsens missverstehen. Nur 29 Prozent der Befragten waren bereit, eine absolute Neutralität auszurufen, die russischen Truppen aus Belarus abzuziehen und sich auf keine der beiden Seiten zu stellen. Weitere 27 Prozent meinten, Belarus sollte Russland unterstützen und die Ukraine verurteilen, sich jedoch nicht aktiv am Krieg beteiligen.     

    Russland greift zu einer simplen Methode, um seine Staatsbürger in den Krieg zu treiben: Geld. Würde Lukaschenko so wie Putin den Kämpfern einen anständigen Sold anbieten, würde sich womöglich so mancher freiwillig melden. Indessen gibt es genug Bewerber für die Fabrik bei Orscha, in der im Schichtbetrieb Projektile für die russische Rüstungsindustrie hergestellt werden. Nichts Persönliches. Rein geschäftlich.  

    Zeiten blühender Freundschaft 

    Apropos Geschäfte. An Lukaschenkos Friedfertigkeit gegenüber seinen Nachbarn im Süden könnte man zweifeln, wären da nicht seine langjährigen und durchaus lukrativen geschäftlichen Interessen in der Ukraine – sowohl seitens des Staates als auch einzelner belarussischer Staatsbürger, darunter Geschäftsleute aus Lukaschenkos engstem Kreis. Der Krieg hat ihnen Sanktionen, gesperrte Konten und sonstige Unannehmlichkeiten beschert. Natürlich werden auch am Krieg Milliarden verdient, doch dubiose Gewinne aus der Schattenwirtschaft lassen sich nun mal schlecht mit legal erworbenen und in geordneten Bahnen ausbezahlten Einkünften vergleichen. 

    Die Ukraine war vor dem Krieg zweitstärkster Handelspartner des Landes und lag damit zum Beispiel vor China. 2021 machten die Exporte in die Ukraine 5,4 Milliarden US-Dollar aus – das sind 13,6 Prozent des gesamten belarussischen Exportvolumens.      

    Etwa die Hälfte des Gesamtexports bildeten Erdölerzeugnisse. Für Belarus war das ein äußerst lukrativer Markt: Billige Rohstoffe aus Russland und kurze Lieferstrecken schufen optimale Bedingungen für satte Gewinne. In und durch die Ukraine wurden belarussische Düngemittel, Pkw und Busse, Lebensmittel und Strom exportiert. Soweit zu den guten Handelsbeziehungen. Doch die Freundschaft ging tiefer. Wie tief, das kann man an den Lieferungen von Bitumen aus der Raffinerie des Belarussen Nikolaj Worobej sehen, der Lukaschenko und Viktor Medwedtschuk, „Putins Mann in der Ukraine“, nahestehen soll.

    Außer Bitumen lieferten Worobejs Raffinerie und andere Firmen russisches Dieselöl und Kohle in die Ukraine. 2019 segnete das Antimonopolkomitee der Ukraine den Verkauf eines 51-Prozent-Anteils aus dem Grundkapital von PrikarpatSapadtrans an Worobej ab. Dabei handelt es sich um eine Pipeline für den Transport von Dieselöl aus Russland und Belarus über die Ukraine nach Europa. Allerdings beschloss der Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine schon im Februar 2021, also ein Jahr vor der großen Invasion, diese Leitung wieder zu Staatseigentum zu machen.  

    Verbrannte Erde? Nicht unbedingt 

    Der Sanktionsdruck auf belarussische Unternehmen in der Ukraine begann im Oktober 2022, als Wolodymyr Selensky den ersten Erlass über die Anwendung „persönlicher spezieller ökonomischer und anderer Beschränkungsmaßnahmen“ unterzeichnete. So wurden gegen 118 Unternehmen und Organisationen aus Belarus Sanktionen verhängt. Ihre Vermögen in der Ukraine wurden eingefroren, die Handelsverträge aufgelöst, die Lizenzen entzogen.         

    Jetzt spielen sich die ökonomischen Beziehungen im Bereich der Schattenwirtschaft ab. Aus den besetzten ukrainischen Gebieten werden Produkte aus der Landwirtschaft ausgeführt, in Belarus verarbeitet und weltweit verkauft. Umgekehrt wird Glas über eine polnische Handelsvertretung der belarussischen Firma Gomelsteklo in die Ukraine geliefert, weil dort durch die Kriegsschäden ein dringender Bedarf an Fensterglas besteht. 

    Außerdem ist die Ukraine auf Ersatzteile für technische Geräte angewiesen, die sie massenhaft in Belarus eingekauft hat und jetzt für militärische Zwecke nutzt. Auch wenn es vorkommt, dass man wegen des Kaufs eines belarussischen Traktors auf Staatskosten vor Gericht steht. Ein Spiel ohne klare Regeln, dafür mit eindeutigen Interessen und hohen Risiken.  

    Keine Lust auf demokratische Kräfte 

    Das andere, neue Belarus, das von Lukaschenkos Regime ins Ausland vertrieben wurde, pflegt währenddessen aktiv gute Beziehungen zu den USA, der EU und anderen Ländern. Doch weder 2020 noch nach Beginn des großangelegten Krieges gelang es den demokratischen Kräften von Belarus, den Dialog mit der ukrainischen Regierung in Schwung zu bringen. Zuerst waren die Belarussen mit den stürmischen Ereignissen von 2020 beschäftigt, als auf die Präsidentenwahlen ein Massenenthusiasmus folgte, der in nicht minder massenhafte Proteste und Repressionen mündete. Dann stand Selensky angesichts des russischen Einmarsches vor unzähligen Herausforderungen, die für den Fortbestand seines Landes von zentraler Bedeutung waren.   

    Ein ernstzunehmendes Thema für ein Treffen mit der belarussischen Exilregierung bot sich ohnehin nicht an. Spenden an die ukrainischen Streitkräfte und Kämpfer für das Kalinouski-Regiment sind natürlich gern gesehen, aber für Meetings, Bündnisse und Allianzen hat Kyjiw genug andere Kandidaten. Ein beinahe zufälliger Handschlag zwischen Selensky und Tichanowskaja auf einer Veranstaltung in Deutschland im Frühjahr 2023, ein fernmündlicher Austausch von Beistandsbekundungen für die europäische Zukunft – mehr ist da nicht.   

    Was die Ukraine wirklich interessiert, ist bislang nach wie vor fest in Lukaschenkos Hand. Mit ihm scheint die ukrainische Staatsführung Kontakt zu halten und Gespräche zu führen. Im Juni 2024 konnte Kyjiw fünf Personen aus belarussischer Gefangenschaft befreien. Einer davon war Nikolai Schwez, ein Ukrainer, dem Minsk einen Sabotageakt gegen ein russisches A-50-Kampfflugzeug in Matschulischtschi vorwarf. Die Gefangenen wurden gegen Metropolit Jonathan eingetauscht, der in der Ukraine wegen prorussischer Aktivitäten verurteilt war. Lukaschenko plauderte aus Versehen aus, dass dieser Austausch auf die Bitte des russischen Präsidenten hin erfolgt sei. 

    Übrigens wartete der Tag, an dem der Austausch bekannt wurde, mit einer weiteren Überraschung auf. Am Kyjiwer Berufungsgericht wurde die Beschlagnahme eines Teils des Vermögens einer Tochterfirma des belarussischen Staatsunternehmens Belarusneft aufgehoben. Insofern ist das Verhältnis Kyjiws zu Lukaschenko zwar nicht unbedingt besser als zu Tichanowskaja, aber effektiver. Und daran wird sich in nächster Zukunft wohl auch nicht viel ändern.                     

    Angespannte Grenze 

    Sämtliche Kontakte, Übereinkünfte und Andeutungen zwischen Minsk und Kyjiw sind momentan instabil. Nach der vollumfänglichen Invasion in der Ukraine im Februar 2022, die unter anderem von belarussischem Staatsgebiet aus erfolgte, war das Risiko sehr hoch, dass auch die belarussische Armee in die Kampfhandlungen einbezogen würde. Seitdem kam es im Grenzgebiet immer wieder zu Spannungen. Sowohl Belarus als auch die Ukraine positionierten zusätzliche Kampfeinheiten, um sie dann teilweise wieder abzuziehen. 

    „Ich musste fast ein Drittel meiner Armee zusätzlich einsetzen, um das, was da war, zu verstärken. Dann haben wir über unsere Kontakte zu den ukrainischen Geheimdiensten gefragt: Wozu macht ihr denn das? Sie sagten ehrlich: Ihr wollt uns mit den Russen zusammen von Homel aus beschießen. Aber das hatten wir gar nicht vor“, beteuerte Lukaschenko im August 2024. 

    Ein Konflikt zwischen Minsk und Kyjiw ließe sich heute ohne Weiteres provozieren. Allein die Kamikaze-Drohnen, die ständig über belarussisches Territorium fliegen, bieten dazu allen Anlass. Darüber hinaus finden routinemäßige Manöver statt, zu denen sich das ukrainische Außenministerium bereits geäußert hat: „Wir warnen die Amtsträger der Republik Belarus davor, unter dem Druck aus Moskau katastrophale Fehler zu begehen. Wir rufen ihre Streitkräfte dazu auf, die feindlichen Manöver zu unterlassen und die Truppen abzuziehen.“   

    Die Angst vor einer potenziellen Eskalation bringt Lukaschenko anscheinend dazu, an seinem Bündnispartner vorbeizuverkünden, dieser habe seine Ziele bereits erreicht: „Ihr redet manchmal von Nazis. Die gibt es da gar nicht mehr. Die Ukraine ist entnazifiziert. Ein paar Randalierer laufen vielleicht noch rum, aber die interessieren keinen mehr“, behauptete er unlängst.                             

    Aber Lukaschenko widerspricht sich so oft selbst, dass man lieber auf das schauen sollte, was er tut. Manchmal spricht auch sein Schweigen Bände. Im August 2024 zum Beispiel vermied Lukaschenko es vier Tage lang tunlichst, den ukrainischen Vorstoß in der russischen Oblast Kursk zu bemerken. Von offizieller Seite tat man weder Besorgnis kund noch reagierte man auf die Unterstellungen einiger Z-Blogger, es gebe bei der Vorbereitung des Angriffs eine belarussische Spur. Man analysierte offenbar die Schwachpunkte des Bündnispartners und überlegte, wie sich die Dinge wohl weiterentwickeln mochten. Etliche dieser Szenarien wären für Lukaschenkos Regime alles andere als günstig gewesen. 

    Dieses Rechenbeispiel zum Verhältnis zwischen Kyjiw und Minsk enthält vorerst noch zu viele Variablen. Die belarussischen demokratischen Kräfte brauchen einen Freund, aber Selensky nicht noch einen Feind. Und solange Lukaschenko so viel Macht hat, wird sich Kyjiw auf keine Eskalation einlassen. Wenn man einen Krieg gegen überlegene Gegner führt, ist es wohl am klügsten, auf Pragmatismus zu setzen. Es liegt bei den Gegnern von Lukaschenkos Regime, die Ukraine in ihrem Kampf aufrichtig und konsequent zu unterstützen, ohne beleidigt zu sein, Ansprüche zu stellen oder Gegenleistungen zu erwarten.

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  • „Meine Reise durch Podlachien ist eine Zeitreise”

    „Meine Reise durch Podlachien ist eine Zeitreise”

    Im Mai 2024 brach Pavel Kritchko Richtung Osten auf. Der belarussische Fotograf hatte wegen der Repressionen seine Heimat verlassen und war in Deutschland gelandet. Er fuhr nach Podlachien, eine Region im östlichen Polen, wo eine belarussische Minderheit beheimatet ist. „Während der gesamten Expedition hatte ich das Gefühl, nach Hause zurückzukehren”, sagt Kritchko, „und die gleichen Erfahrungen zu machen, die ich als Kind gemacht habe.” 

    So entstand das Fotoprojekt Podlachien, das sich um die Suche nach Identität dreht. Wir haben mit dem Fotografen gesprochen und zeigen eine Auswahl seiner Bilder.

    Eine alte Eisenbahnbrücke an der polnisch-belarussischen Grenze, nahe dem Grenzübergang Bobrowniki, der im Februar 2023 von den polnischen Behörden geschlossen wurde, 13.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Der Schriftzug МИР (dt. Frieden oder Welt) befindet sich auf belarussischer Seite. Ende Mai 2024 präsentierten die polnischen Behörden einen Plan zur Errichtung von Grenzbefestigungen entlang der gesamten Grenzlinie zu Belarus und Russland. Die Kosten betragen voraussichtlich 2,5 Milliarden Euro.” 

     

    dekoder: Nicht alle unserer Leser haben von der Region Podlachien gehört – erzählen Sie uns ein wenig darüber. Was ist das für eine Region und was ist so besonders an ihr? 

    Pavel Kritchko: Podlachien (poln. Podlasie, belaruss. Padljaschscha) ist eine Region im Osten Polens an der Grenze zu Belarus, wo 56.000 polnische Staatsbürger leben, die im Zensus 2021 angaben, Belarussen zu sein. In der Region gibt es einige belarussische Schulen, an denen belarussische Sprache und Literatur auf dem Lehrplan stehen. Meinem Gefühl nach sind es hauptsächlich das orthodoxe Christentum und die mit kirchlichen Festtagen verbundenen volkstümlichen Bräuche, die die belarussische Gemeinschaft Podlachiens verbinden. Vor allem die ältere Generation beherrscht noch frei die podlachischen Dialekte, während die Jugend sie zwar versteht, aber nicht mehr aktiv nutzt. Jahrzehntelang galten diese Dialekte als Dorfsprache mit geringem Prestige, in letzter Zeit ist das Interesse an ihnen wieder gestiegen, da Aktivisten, Musiker und Schauspieler sie wieder unters Volk bringen. 

    Die Bewohner der grenznahen Wojewodschaft Podlachien waren im 20. Jahrhundert durch den Ersten Weltkrieg und die anschließenden nationalen und religiösen Konflikte einschneidenden Migrationszwängen ausgesetzt. Heute symbolisiert diese Region die Grenze zwischen den Belarussen, die ab 2020 ihr Land verlassen haben, und jenen, die geblieben sind, aber auch zwischen dem Westen (EU) und dem Osten (Belarus, Russland, China). Die angespannte Situation spitzte sich durch den Bau eines Grenzzauns zu, die Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika davon abhalten soll, durch Belarus in die EU zu gelangen, aber auch potentielle militärische Konflikte mit Russland verhindern soll.  

    Wie ist Ihr Fotoprojekt zu Podlachien entstanden? 

    Im März 2024 wurde ich in die Internationale Klasse für Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover aufgenommen, wo ich mit großem zeitlichem Aufwand ein Archiv der Jahre 2020 bis 2023 anlegte: Ein Teil besteht aus Fotos von den Protesten, der andere aus Geschichten aus dem Exil. Das war ein sehr eigentümliches Großprojekt über parallele Realitäten: Belarus, wie ich es 2020 gesehen hatte, und die Belarussen, die – wie ich – im Ausland gestrandet waren. Je länger ich im Exil bin, desto schwächer wird meine Verbindung zu dem Land, in dem ich geboren wurde und aufwuchs, zu den Menschen und Orten. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, dass Podlachien sich genau zwischen diesen beiden Realitäten befindet und dort viele ethnische Belarussen leben, die ungeachtet aller Schwierigkeiten und Veränderungen, die die letzten Jahrhunderte mit sich brachten, ihre Identität zu bewahren wussten. Ich dachte, diese Region könnte ein Bindeglied für mein Großprojekt sein, deshalb fuhr ich im Mai 2024 hin, um sie näher kennenzulernen.  

    Das Projekt als eine Art Spiegelbild ihrer eigenen Suche? 

    Als ich im Frühjahr 2024 durch Podlachien reiste, war ich fasziniert davon, dass ein Teil der ethnischen Belarussen dieser Gegend, oder einfach die Bewohner Podlachiens, sich jahrelang die Identitätsfrage gestellt und eine Antwort darin gefunden hatten, dass sie sich als Einheimische und ihre Dialekte als ihre bezeichneten.  

    Genau darum geht es in meinem Projekt – um das Finden und Bewahren der eigenen Identität. Darüber hinaus ist es auch ein sehr persönliches Thema. Meine Reise durch Podlachien ist eine Zeitreise, auf der ich meine Erfahrungen in verschiedenen Phasen meines Lebens nachempfinde: die Reise mit meinem Vater in sein Dorf vor 30 Jahren, oder das Belarussische Fest in Białystok, das mich irgendwie an Maladsetschna erinnerte, und viele andere Assoziationen.  

    Wie genau haben die Podlachen die Ereignisse in Belarus seit 2020 verfolgt? 

    Schwer zu sagen, weil ich 2020 in Belarus war und nicht gesehen habe, wie man in Podlachien auf die Ereignisse reagierte. Ende 2021 war ich einen Monat lang in Białystok und konnte dort die belarussische Diaspora beobachten, die sich im Exil wiederfand und die das Jahr 2020 zusammengeschweißt hatte. Diese Welle von Menschen, die ab 2020 nach Polen kamen, brachte neue Ideen, frischen Schwung und Energie, sie motivierten die schon früher emigrierten Belarussen, die den Neuankömmlingen bei der Eingewöhnung helfen wollten und konnten. 

    Ein Beispiel für die Anteilnahme an 2020 ist das Tattoo einer Belarussischlehrerin, die noch nie in Belarus war. Das Tattoo zeigt das Symbol der vereinten Opposition im Wahlkampf 2020. Ebenso kann man die Kundgebungen der lokalen Bevölkerung (sowohl polnischer Belarussen als auch einfach Polen aus Podlachien) zur Unterstützung des Wandels in Belarus erwähnen. Viele Podlachen haben Verbindungen nach Belarus: Manche haben dort Verwandte, manche haben dort gearbeitet, manche sind einfach hingefahren, um billige Zigaretten zu kaufen und zu tanken, manche hatten ein Geschäft für Belarussen, die nach Polen kamen. All das wurde von den Ereignissen 2020 indirekt beeinflusst.  

    Wie ist das Verhältnis zwischen den Podlachen und den Belarussen, die neu dazugekommen sind? 

    In Podlachien leben auch viele Belarussen, die Belarus aus politischen Gründen verlassen mussten. Man kann die Belarussen Podlachiens ins drei Gruppen unterteilen: die ethnische Minderheit (Belarussen, die in Polen geboren wurden, einen polnischen Pass haben, sich aber als Belarussen identifizieren), Belarussen, die vor 2020 emigriert sind, und diejenigen, die seit 2020 das Land verließen, um den Repressionen in Belarus oder dem Krieg in der Ukraine zu entgehen.  

    Die Frage nach dem Verhältnis zwischen diesen drei Gruppen konnte ich nicht abschließend klären. Mein Eindruck war, und das erzählte man mir auch, dass die erste Gruppe in einer anderen Realität lebt als die zweite und dritte Gruppe, sie haben unterschiedliche Interessen: Die Einen kämpfen für den Erhalt der belarussischen Schulen in der Region und für die Kultur, die Anderen müssen zunächst ihren Alltag regeln und sich ein Leben im erzwungenen Exil aufbauen.  

    Wann haben Sie selbst Belarus verlassen? 

    Im August 2021, um an einem Residenzprogramm für Fotografen in Warschau teilzunehmen, organisiert vom Kollektiv Sputnik Photo. Ich hatte ein Ticket für die Rückfahrt, aber angesichts der Umstände ließ ich es verfallen: zuerst die Gerichtsverhandlungen gegen Maria Kalesnikawa und Maxim Snak und die Urteile, dann die Selzer-Prozesse und die Verhaftung des Journalisten (Henadz – dek) Maschejka von der Komsomolskaja Prawda. Irgendwann war ich endgültig überzeugt, dass man nicht mehr offen sagen kann, was man denkt, Freunde rieten mir, ein wenig abzuwarten und nach Möglichkeit nicht sofort zurückzukehren, und schließlich ließen mich die Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze und der Beginn des Krieges in der Ukraine meine Rückkehr endgültig vergessen, solange sich nichts geändert hat.  

    War es schwer, sich an ein neues Leben zu gewöhnen? 

    Es war dann gar nicht so leicht, sich einzuleben. Das Schwierigste ist sich einzugestehen, dass es für lange ist. Es gibt einen Zustand der Ungewissheit. Leuten, die Belarus bewusst verlassen, fällt das Ankommen etwas leichter – weil es ihr Ziel ist, sich ein Leben irgendwo im Ausland aufzubauen. Ich würde nicht sagen, dass ich Heimweh habe, mich nach Dingen oder Orten sehne. Ich habe vielmehr das Gefühl, das irgendwo tief in mir vergraben zu haben und mir zu sagen, dass solche Gedanken mich nur daran hindern würden, auf die neue Umgebung einzulassen.  

    Ich habe zweieinhalb Jahre in Polen gelebt, davon fast anderthalb Jahre nur mit einem polnischen Visum [also ohne Reisemöglichkeit, Anm. dek], nun bin ich nach Hannover gezogen, um hier in die Fotografieszene einzutauchen. BelarusTown in Warschau lasse ich ein wenig hinter mir, weil es meine Integration und Sozialisation in der lokalen Gesellschaft auch ein bisschen behindert hat. Jetzt lebe ich in zwei Ländern – Deutschland und Polen: In dem einen studiere ich, im anderen setze ich meine Arbeit an den Geschichten über Belarus fort, weil es dort mehr Belarussen gibt und einfach deutlich mehr passiert. 

     

    Die Umgebung von Terespol nahe dem polnisch-belarussischen Grenzübergang für PKW und Busse, 14.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Dort wird geparkt, geschraubt und gerastet. Im Moment ist Brest-Terespol der einzige offene Grenzübergang für den Personenverkehr aus Belarus, der dortige Übergang kann jederzeit eingeschränkt oder geschlossen werden. Seit April 2022 besteht seitens der EU ein Einreiseverbot für LKW aus Belarus und Russland, auch für den Transit. Belarus reagierte umgehend und zwingt nun auch Spediteure aus der EU, ihre Fracht an der Landesgrenze zu übergeben.” 

     

    Die LKW-Warteschlange zur Ausreise nach Belarus am Zollterminal Koroszczyn, 14.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Der Fahrer, der mich aus Krzyczew in Richtung Terespol mitnahm, war ein Pole, der an den LKW-Warteschlangen Geld verdient. Er ist sehr zufrieden, dass gerade alle anderen Grenzübergänge geschlossen sind: ,Je länger sie geschlossen bleiben, desto besser für mich’.” 
    Das Mädchen Aja. Warschau, 14.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Sie ist die Tochter der belarussischen Musikerin Rusia, deren Projekt Shuma traditionelle heidnische Gesänge mit elektronischer Musik verbindet: Ethno- und Ambient-Elemente, schwerer, hypnotischer Techno und abstrakte IDM (Intelligent Dance Music). Rusias Ziel ist es, das belarussische Kulturerbe zu erhalten und weltweit bekannt zu machen.”
    Ein Tattoo auf dem Arm von Alina Wawrzeniuk zeigt das Symbol der vereinten Wahlkampfstäbe der Opposition bei den belarussischen Präsidentschaftswahlen 2020. Białystok, 12.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Alina ist Belarussischlehrerin und Leiterin einer Theatergruppe an der Schule Nr. 4 in Białystok. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Journalisten Mikołaj Wawrzeniuk, lebt sie im Dorf Gredele in Podlachien. Beide sind in Polen geboren und identifizieren sich als Belarussen ,Ich habe nie in Belarus gelebt, aber das hindert mich nicht daran, mich als Belarusse zu fühlen’, sagt Mikołaj.”
    Kinder proben ein Schauspiel über Belarus in der Theatergruppe der Belarussischlehrerin Alina Wawrzeniuk an der Schule Nr. 4 in Białystok, 12.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko  
    „Alle Kinder sind außerhalb von Belarus geboren, lernen aber Belarussisch in der Schule, in den meisten Fällen, weil ihre Eltern sich als Belarussen in Polen identifizieren. Ich fragte die Kinder, warum sie in Polen Belarussisch lernen, bekam aber nur Antworten, die eine gewisse Gewohnheit erkennen ließen: Sie gingen in den Kindergarten, wo sie Belarussisch lernten, was sie in der Schule fortsetzten, und selbst nach dem Schulabschluss seien sie weiter in der Theatergruppe aktiv.” 
    Das ehemalige Bahnhofsgebäude in Hajnówka. Heute beherbergt es das Kulturzentrum Stacja Kultury, wo regelmäßig Theaterfestivals, Künstlerresidenzen und andere Kulturveranstaltungen stattfinden, 10.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „In der Stadt gibt es nur wenige Orte, an denen junge Leute ihre Freizeit verbringen können. Ich sprach mit einer Gruppe Teenager darüber, wie sie die Situation der belarussischen Sprache einschätzen, wie Jugendliche ihre Zeit in Hajnówka verbringen und ob sie später weggehen wollen. Andrej, ein 17-jähriger ukrainischer Geflüchteter, unterhielt sich mit mir. Ich sprach belarussisch und polnisch, er verstand alles und antwortete auf Polnisch. Er lebt seit fast zwei Jahren mit seinen Eltern in Polen, zwei seiner Brüder sind an der Front, auch er denkt darüber nach, in die Ukraine zurückzukehren, wenn er 18 wird, um im Krieg zu kämpfen.” 
    Der Imker Marian in der Nähe des Dorfes Krzyczew, 14.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Marian sammelt Honig an der polnisch-belarussischen Grenze. Vor seiner Pensionierung arbeitete er in Brest (Belarus) im Eisenbahndepot und war für die Umspurung der Züge verantwortlich, die die Grenze überquerten. Die Spurweite der Eisenbahngleise in Belarus und Polen unterscheidet sich.” 
    Bewohner des polnischen Dorfes Ciełuszki kehren mit ihrem sowjetischen Wladimirez-Traktor vom Feld zurück, 04.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Das Dorf interessierte mich auch deshalb, weil mein Vater in einem Dorf namens Zeluscha im Gebiet Mahiljou geboren wurde, die Ortsnamen ähneln sich sehr. Ich erinnere mich nicht gut an meine Großeltern väterlicherseits, denn sie starben, als ich noch klein war. Ich kann mich aber sehr gut daran erinnern, wie aktiv sie Landwirtschaft betrieben, welche Tiere sie seinerzeit hatten: Hühner, Schafe, Schweine, Kühe und natürlich einen Gemüsegarten. Der Großvater war seit dem Zweiten Weltkrieg Invalide, er hatte nur ein Bein und ging an Krücken.” 
    In der Nähe des Dorfes Krzyczew, wo der Bug die polnisch-belarussische Grenze bildet, 14.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Ich lief fast zehn Kilometer, um an diesen Ort zu gelangen, wo man ohne Mauer nach Belarus schauen kann. Unterwegs wurde ich dreimal von Fahrzeugen des Grenzschutzes gestoppt. Meine Dokumente wurden kontrolliert, ich wurde befragt, was ich hier mache, warum ich fotografiere, und sie notierten meine Mobilnummer, wahrscheinlich, um später meinen Aufenthaltsort tracken zu können.” 
    Schaufenster in Białystok, 13.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko   
    „Mich interessierte die Analogie der Hautfarbe der Schaufensterpuppen mit der Situation an der Grenze, wo Belarussen und Ukrainer, die illegal die Grenze überqueren, einfach Schutz und Asyl in Polen erhalten sollen, während Menschen mit anderer Hautfarbe, Herkunft, Religion in der Regel beim Versuch, ins Land zu kommen und um Asyl zu bitten, nach Belarus zurückgeschoben werden. Einige dieser Migranten tragen extra Kreuze bei sich und erklären, dass sie ebenfalls Christen sind, in der Hoffnung auf eine andere Haltung der Grenzsoldaten.” 
    Im Hof eines agrotouristischen Anwesens im Dorf Puchły, 04.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko   
    „Meine erste Nacht in Podlachien verbrachte ich im Dorf Puchły, wo ich ein Zimmer auf einem Bauernhof gebucht hatte. Ich hatte lange gezögert, da die Anreise ohne Auto kompliziert ist. Letztlich bereute ich die Entscheidung nicht: Nachdem ich angekommen war, lernte ich die Wirtin Maria kennen, mit der ich mich gut verstand und über das Leben, die Welt, mich selbst und die Umstände sprechen konnte. Maria lud mich zum Osterfrühstück mit der Familie ein, denn es sei nicht gut, an diesem Feiertag allein zu sein, ich solle mich wie zuhause fühlen und Teil ihrer Familie sein. Das Frühstück erinnerte mich sehr an die Tradition in meiner Familie, zu Ostern zusammenzukommen.”
    Ausfahrt des Urlaubs-Bauernhofes im Dorf Puchły, unterwegs zum Ostergottesdienst in der orthodoxen Kirche in der Nacht des 04.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko   
    „Es ist etwa 23:15 Uhr und sehr dunkel. Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. Ab und an ist ein Geräusch zu hören und in der Ferne Licht zu sehen von den Autos, die ebenfalls auf dem Weg zur Kirche sind. Die Kirche verbinde ich mit meiner Großmutter (mütterlicherseits). Wir lebten alle zusammen in einer Wohnung in Minsk, und ich weiß noch, wie meine Oma fast jeden Morgen im gemeinsamen Wohnzimmer eine Kerze anzündete und betete. Ich konnte sie von meinem Zimmer aus durch den Vorhang an der Tür sehen. Im Winter, wenn es morgens noch besonders dunkel war, konnte ich das Flackern der Kerze sehen, das Flüstern der Großmutter hören und das heiße Kerzenwachs riechen.” 
    Ein Junge am orthodoxen Osterfest in der Kirche im Dorf Puchły, 05.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko   
    „Der Junge erinnert mich an mich selbst, denn ich war etwa in seinem Alter, als ich im Heimatdorf meines Vaters, Zeluscha in Belarus, orthodox getauft wurde. Ich erinnere mich nur undeutlich daran, da ich noch sehr klein war und mir während der Zeremonie heißes Kerzenwachs die Hand verbrannte. Ich glaube, meine Kirchgänge zu Gottesdiensten, Beichten und Kommunionen kann man an zwei Händen abzählen, alle fanden auf Bitten meiner Mutter statt. Sie wollte, dass ich die Tradition und den Glauben bewahre, die ihre Mutter (meine Großmutter) ihr beigebracht hatte. Ich verstand die Bedeutung dessen nicht ganz und beobachtete einfach alle notwendigen Gebräuche.”
    Osterprozession um die Kirche im Dorf Puchły, Polen, 05.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko   
    „Es gehört zu den Ostertraditionen, Ikonen und andere Gegenstände aus der Kirche zu tragen und damit dreimal um die Kirche zu gehen.” 
    Der Text des Liedes Oreszki (dt. Nüsse). Er ist in lateinischer Schrift geschrieben, die Sprache aber eigentlich ein lokaler Dialekt – eine Mischung aus Belarussisch, Ukrainisch, Polnisch und Russisch. / Foto © Pavel Kritchko 
    Mauer an der polnisch-belarussischen Grenze unweit des Dorfes Usnarz Górny, 13.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko
    Eliasz Fionik und Agata auf dem Weg in ihr Musikstudio in Bielsk Podlaski, 07.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „Doroteusz Fionik hat zwei Söhne, Eliasz und Maksym. Maksym unterstützt den Vater stärker bei der Erhaltung der Kulturtradition, er ist Mitglied im traditionellen Liederensemble Żemerwa. Eliasz hingegen scheint all das etwas ferner zu liegen, vielleicht, weil er der Jüngste ist. Er findet, dass ein Akkordeon allein und alte Methoden nicht ausreichen, um die traditionelle Kultur zu fördern. Ihn interessiert eher, wie man die traditionelle Kultur durch moderne Musik zugänglicher machen kann. Deshalb verfolgt er sein eigenes Projekt, komponiert Musik und schreibt Songtexte im lokalen podlachischen Dialekt.” 
    Ein Storch im polnischen Dorf Trześcianka, 04.05.2024 / Foto © Pavel Kritchko 
    „In den belarussischen Legenden ist der Storch (belarus. busel) ein heiliger Vogel, Verbindung zwischen Himmel und Erde, Herr und Beschützer der Ernte, des Himmelsfeuers und anderer himmlischer Elemente. Für viele Belarussen ist der Storch auch etwas Besonderes, das an Zuhause, an die Heimat erinnert. Der Storch wurde in Belarus zum Symbol der nationalen Reinheit und Wiedergeburt. Man glaubt, dass der Storch Erfolg bringt, wenn er sein Nest neben deinem Haus baut, weshalb die Menschen in den Dörfern Plattformen auf den Strommasten anbringen, damit die Störche leichter ihre Nester bauen können.” 

    Fotografie: Pavel Kritchko
    Bildredaktion: Andy Heller
    Interview: Ingo Petz
    Veröffentlicht am 21.11.2024

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    „Die Repressionen lassen nicht nach“

  • Bilder vom Krieg #24

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Nicole Tung

    Ein verwundeter ukrainischer Soldat wird bei Kurachowe in ein Frontlazarett eingeliefert / Foto © Nicole Tung 

    dekoder: Die Verteidiger der Ukraine sind im Osten des Landes seit Wochen stark unter Druck. Sie waren Ende September im Frontgebiet zwischen Pokrowsk und Kurachowe. Was haben Sie da erlebt? 

    Nicole Tung: Das Feldlazarett in Kurachowe, in dem ich dieses Foto aufgenommen habe, versorgte einen 90 Kilometer langen Frontabschnitt. Das ist ein riesiges Gebiet. Als der verwundete Soldat auf einer Trage eingeliefert wurde, wand er sich vor Schmerzen. Die Sanitäter hatten ihm diese Plastikspritze zwischen die Zähne gesteckt, damit er da draufbeißen konnte. Unter anderen Umständen hätte die Wunde an seinem linken Bein gut behandelt werden können. Aber das Bein war oberhalb des Knies mit einem Tourniquet abgebunden, um die Blutung zu stillen. Wegen des starken Beschusses konnten die Sanitäter ihn nicht gleich aus der Gefechtszone rausholen. Also lag er einen halben Tag da. Als sie ihn eingeliefert haben war das Bein schon lila. Er flehte immer wieder: „Bitte rettet mein Bein!“.  

    Welchen Eindruck haben sie insgesamt von der Situation an der Front? 

    Die Lage ist sehr ernst. Die Ukrainer verlieren stetig an Boden. Als ich den Versorgungspunkt zum ersten Mal besuchte, befand er sich im zweiten Stockwerk eines Gebäudes in Kurachowe. Beim nächsten Besuch war er in den ersten Stock verlegt worden, weil bereits Gleitbomben in die Stadt flogen. Als ich dieses Foto aufnahm, war die Front nur noch zehn Kilometer oder weniger entfernt. Erkundungsdrohnen kreisten über der Stadt und wir konnten hören, wie die Ukrainer Mörser abfeuerten. Zwei Wochen später musste das Lazarett in einen anderen Ort verlegt werden, weiter weg von der Front.

    Es gab unterschiedliche Phasen in diesem Krieg: Auf den ersten Schock nach dem Überfall folgte eine Euphorie, als die Russen zurückgeschlagen werden konnten. Wie ist die Stimmung in der Truppe zur Zeit? 

    Ich glaube, sie sind ziemlich verzweifelt, weil kein baldiges Ende des Krieges absehbar ist. Die Ukrainer sind sehr innovativ, zum Beispiel beim Einsatz von Drohnen. Aber sie können einfach nicht dieselben Ressourcen mobilisieren, wie Russland sie in die Schlacht wirft. Der Staat bemüht sich verstärkt darum, mehr Männer einzuziehen. Aber sie haben momentan einfach nicht genug Leute. Und wenn die Russen rasch vorrücken, wirkt sich das auch auf die Moral der ukrainischen Soldaten aus. Selbst wenn es in nächster Zeit Verhandlungen geben sollte, könnte das bedeuten, dass so viele Kämpfer vielleicht vergeblich gestorben sind und Russland dennoch große Territorien einnimmt. Eine verbreitete Klage lautet: „Unsere Unterstützer geben uns gerade genug Waffen, damit wir nicht verlieren. Aber nicht genug, um diesen Krieg zu gewinnen.“ 

    Zu Beginn des Krieges hatten sich viele Männer und auch Frauen freiwillig gemeldet, um ihr Land zu verteidigen. Jetzt werden Männer auch gegen ihren Willen eingezogen. Wie wirkt sich das auf die Motivation aus? 

    Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Wehrpflichtige heute nur einen oder anderthalb Monate lang ausgebildet werden, bevor sie in den Einsatz müssen. Einige werden Truppenteilen zugewiesen, die russische Stellungen stürmen müssen, das sind die gefährlichsten Einsätze. Ich war in letzter Zeit bei vielen Beerdigungen von Einberufenen. Die waren oft zwischen 40 und 50 Jahre alt, als sie nach vier Wochen Ausbildung an die Front geschickt wurden. Man kann sich denken, dass sich diese Situation auch auf die erfahreneren Soldaten auswirkt, die vielleicht schon seit 2014 kämpfen, wenn sie sehen, wie schlecht die Soldaten ausgebildet sind, die sie unterstützen sollen. 

    Sie sind eine erfahrene Reporterin und haben schon aus vielen Kriegen berichtet, unter anderem aus Syrien. Was ist das Besondere am Krieg in der Ukraine? 

    Zunächst handelt es sich aus historischer Sicht um den größten Landkrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir leben im Jahr 2024 und in Europa sitzen Menschen in Schützengräben. Zum anderen ist da die Technik: Wir sehen Artilleriegeschütze aus der Sowjetzeit und gleichzeitig Drohnen, die erst am Morgen zusammengebaut wurden. Und die Soldaten, die sie steuern, gucken durch diese VR-Brillen auf das Schlachtfeld. Dieser Kontrast ist krass. Und schließlich ist da die menschliche Seite: Die Ukrainer sind sehr widerstandsfähig. Sie halten ihr Alltagsleben unter allen Umständen aufrecht. Aber auch das wird langsam zermürbt. Einst lebendige Orte wurden ausgelöscht. In jedem Krieg gibt es Tod und Zerstörung. Aber dieser Krieg fühlt sich wirklich an wie ein Angriff auf die ukrainische Identität und ihre Geschichte. 

     

    Foto: Nicole Tung @nicoletung 
    Bildredaktion: Andy Heller @frau.heller 
    Interview: Julian Hans
    Veröffentlicht am: 11.11.2024

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    Bilder vom Krieg #25

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Pernille Sandberg

    Links: Die Tänzerin Liza Riabinia bei einer Probenpause. Rechts: Präsentation der Designerin Nadya Dzyak auf der Ukranian Fashion Week / Fotos © Pernille Sandberg

    dekoder: Als wir die Serie „Bilder vom Krieg“ gestartet haben, haben wir nicht an Fotos von Tänzerinnen oder einer Modeschau gedacht. Wie kommt der Krieg auf den Laufsteg?

    Pernille Sandberg: Ich war im Mai auf der Buchmesse in Kyjiw zu Gast und war beeindruckt von der kreativen Szene in der Ukraine. Dabei ist die Idee zu meinem Projekt A State of Uncertainty gereift. Die Menschen dort leben ständig in einem Zustand der Ungewissheit: Ungewissheit über ihre eigene Zukunft. Ungewissheit darüber, was aus ihrem Land wird. Ungewissheit, weil sie schon im nächsten Augenblick ihr Leben verlieren können. Dieses Gefühl wollte ich einfangen. Die Künstlerinnen, die ich dafür porträtiert habe, waren froh darüber, nicht als Opfer gezeigt zu werden, sondern mit ihrer Kunst. Schöpferisch zu arbeiten bedeutet, lebendig zu sein. Wenn Neues entsteht, ist das auch eine Antwort auf die zerstörende Kraft des Krieges.

    Die Frau auf dem ersten Bild wirkt zugleich erschöpft und entschlossen. In welcher Situation ist es entstanden?

    Liza Riabinia ist eine Tänzerin und Choreographin aus Kyjiw. Ich habe sie im September in ihrem Studio im Stadtteil Podil besucht. Sie probte dort zusammen mit einer anderen Tänzerin. Für die Fotosession hatten sie die Idee, die gleiche Kleidung zu tragen, die sie an dem Tag getragen hatten, als die russische Invasion begann. Sie wählten sehr düstere, atmosphärische Musik dazu. Dieses Bild ist in einer Pause entstanden, als Liza völlig erschöpft und verschwitzt aus dem Fenster schaute.

    Wie haben die Künstler in der Ukraine auf den russischen Angriff reagiert?

    Zunächst einmal sind von einem Tag auf den anderen alle Pläne in sich zusammengefallen. Liza hat in unterschiedlichen Ensembles getanzt, auch für internationale Produktionen. Die kamen jetzt nicht mehr in die Ukraine. Früher war sie viel auf Tournee, auch das ist jetzt schwieriger. Und dann kamen auch Zweifel am Sinn ihrer Arbeit: Bringt das, was ich tue, dem Land überhaupt irgendeinen Nutzen? Darf man Bilder malen, während Soldaten ihr Leben für uns opfern? Hat Musik noch einen Sinn? Wozu noch Gedichte schreiben? Wie kann man sich die Zeit nehmen, ein Buch zu lesen, wenn die Welt blutet? Aber mit der Zeit wurde vielen Künstlern klar, wie wichtig ihr Schaffen auch für die Gesellschaft ist. Dass sie den Menschen Freude machen und Lebensmut verbreiten können. Und dass Kunst und Kultur ein Gefühl der Verbundenheit und der Zusammengehörigkeit schaffen.

    Es ist schließlich auch ein erklärtes Ziel der Angreifer, die ukrainische Kultur zu zerstören…

    Kurz bevor ich im Mai zur Buchmesse nach Kyjiw reiste, hatten russische Raketen die Factor-Druckerei in Charkiw zerstört. Unter den Tausenden verbrannten Büchern in den Trümmern waren auch viele Kindenbücher, das hat die Menschen besonders getroffen.

    War es schwer, einen Zugang zu den Künstlerinnen und Künstlern zu bekommen?

    Im Gegenteil. Ich war überrascht, wie offen ich empfangen wurde und wie bereitwillig alle ihre Erlebnisse und ihre Emotionen mit mir geteilt haben. Auch ihre Zweifel und ihre Schwächen. In der Nacht, bevor wir zu einem Fotoshooting verabredet waren, gab es mehrfach Luftalarm. Wir hatten alle kaum ein Auge zugetan und waren ziemlich gerädert. Aber viele Menschen in der Ukraine gehen jeden Morgen in diesem Zustand zur Arbeit. In diesen Situationen trägt niemand eine Maske. Niemand versucht, sich als jemand anderes zu präsentieren, um dir zu gefallen. Da ist kein Platz für oberflächlichen Smalltalk. Diese Ehrlichkeit fand ich sehr befreiend.

    Was ist die Geschichte hinter dem zweiten Bild mit der Prothese auf dem Laufsteg?

    Das war auf der Kyjiw Fashion Week, die in diesem Jahr zum ersten Mal seit der Beginn des Angriffskrieges wieder stattgefunden hat. Die Veranstaltung im Kultur- und Museumskomplex Mystezkyj Arsenal war total überlaufen. Vor jeder Modenschau stand der ganze Saal auf und hat eine Schweigeminute abgehalten und der Armee gedankt, weil auch Dank ihr solche Veranstaltungen stattfinden können. Auf dem Gelände gab es auch eine große Gedenkmauer mit den Porträts von Frauen und Männern aus der Modeindustrie, die als Soldaten oder Zivillisten Opfer des Krieges geworden waren.

    Ist das Model mit der Prothese auch ein Opfer des Krieges?

    Karyna Staschtschyschtschak ist eine Tänzerin aus Odessa, die ihr Bein aufgrund einer Erkrankung in der Kindheit verloren hat. Sie tanzt sehr erfolgreich bei Wettbewerben für lateinamerikanische Tänze. Damit ist sie auch ein Vorbild für die vielen Kriegsversehrten: Auch mit einer Prothese kann man ein gutes Leben führen, sogar tanzen oder bei einer Modeschau auftreten.

    War der Krieg auch in den Kollektionen gegenwärtig?

    Viele Designer haben traditionelle Motive in ihren Kollektionen aufgegriffen als Bekenntnis zur Lebendigkeit der ukrainischen Kultur. Die Farbe Rot hat eine besondere Rolle gespielt, etwa in fließenden Stoffen, die an Blut erinnerten. Mein Eindruck, war, dass der Auftritt gerade den männlichen Models viel bedeutete: Über den Laufsteg zu gehen, die Musik zu genießen, etwas Schönes zu präsentieren und dafür gefeiert zu werden. Und für einen Moment die Angst zu vergessen, dass man vielleicht bald an die Front muss. Ich arbeite selbst in der Fashion-Industrie und habe Mode schon immer Spiegel der Gesellschaft gesehen. Aber zu erleben, welche Freude sie den Menschen in der Ukraine bringt, und dass sie gleichzeitig ihren Schmerz durch ihre Kreationen ausdrücken können, das hatte enorme Kraft.

     

    Fotos: Pernille Sandberg, aus der Serie: A State of Uncertainty
    Bildredaktion: Andy Heller
    Interview: Julian Hans
    Veröffentlicht am: 19.11.2024

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    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Sitara Ambrosio 

    Die Veranstaltung CMYK in Kyjiw bringt traditionelle ukrainische Musik und Rave-Kultur zusammen / Foto © Sitara Ambrosio
    Beim Pride Hub in Charkiw im September 2024 zeigen Masha Kovaliova, 28, und Darka Batinska, 25, offen ihre Liebe zueinander / Foto © Sitara Ambrosio

     

    dekoder: Sie haben gerade zwei Monate in Kyjiw verbracht, was ist der Fokus Ihrer Arbeit in der Ukraine? 

    Sitara Ambrosio:  Zusammen mit meiner ukrainischen Kollegin Yana Radchenko arbeite ich an einer großen Recherche über Kriegsverbrechen an queeren Menschen in der Ukraine. Das Projekt wird vom Journalisten-Netzwerk N-Ost unterstützt. Gleichzeitig interessiere ich mich auch grundsätzlich für queeres Leben in der Ukraine und dafür, was sich durch den Krieg verändert hat.  

    Sind queere Menschen denn besonderes Ziel von Kriegsverbrechen?  

    Aktuell gibt es keine eindeutigen Belege dafür, dass die russischen Truppen eine Anordnung oder einen Befehl haben, nach LGBT*Q-Personen zu suchen. Aber man muss wohl davon ausgehen, dass man als queere Person einer besonderen Gefahr ausgesetzt ist, Opfer von Folter zu werden, wenn russische Truppen eine Stadt besetzt halten. Beispiele dafür kennen wir etwas aus Cherson. Dort dokumentieren wir aktuell Fälle, bei denen Betroffene aufgrund ihrer Sexualität Misshandlungen erlebt haben. Daran sollte man auch denken, wenn man davon spricht, Teile der Ukraine an Russland abzutreten um des Friedens willen: Menschen, die schwul, lesbisch oder transsexuell sind, könnten dort dann nicht mehr leben.  

    Eines Ihrer Bilder zeigt einen Rave in Kyjiw. Was ist die Geschichte dazu?  

    Seit anderthalb Jahren gibt es in Kyjiw eine spannende Veranstaltungsreihe: Sie verbindet traditionelle ukrainische Musik und elektronische Musik. Bei diesem Rave gab es ein DJ-Pult, aber es wurde auch auf traditionellen Instrumenten gespielt. Es ist spannend zu sehen, wie die junge Generation, die so sehr darum kämpft, den Fortschritt in der Ukraine voranzubringen, gleichzeitig an Traditionen anknüpft und sich auf die Suche nach ihren Wurzeln macht. An diesem Abend waren auch viele queere Menschen da. Sie feiern und halten dabei ihre Traditionen hoch. Traditionen aufleben zu lassen und ein fortschrittliches Verständnis von Geschlechterrollen zu leben, muss kein Widerspruch sein. 

    Kann man das denn auf die ganze Ukraine übertragen? 

    Man muss schon ehrlich sagen, dass es in der ukrainischen Gesellschaft noch sehr festgeschriebene Geschlechterrollen gibt. Es kann für queere Menschen in der Ukraine auch durchaus gefährlich sein. Sie sind immer wieder Angriffen ausgesetzt. Die Ehe für alle ist in der Ukraine auch noch nicht legal. Das hat im Krieg gravierende Auswirkungen: Einerseits kämpfen ja auch queere Personen an der Front. Aber wenn eine von ihnen fällt, dann hat der Partner oder die Partnerin nicht dieselben Rechte wie Verheiratete. Etwa wenn es darum geht, über den Körper zu verfügen und eine Beerdigung zu organisieren. 

    Auf dem zweiten Bild sehen wir Teilnehmerinnen eine Pride-Veranstaltung in Charkiw. Die Fassade im Hintergrund trägt Spuren von Geschossen. Ein Pride mitten im Krieg, wie passt das zusammen? 

    Charkiw ist seit Beginn des Krieges unter Beschuss. Diese Spuren sind Einschlagstellen von Schrapnells. Also wenn irgendwo in der Nähe eine Rakete oder eine Drohne niedergeht, dann werden diese Trümmerteile von der Wucht der Explosion durch die Straßen geschleudert. Tatsächlich sehen die meisten Häuser in der Stadt inzwischen so aus. In diesem Gebäude ist das Büro von Charkiw Pride untergebracht. Es bietet einen doppelten Schutz: Einmal ist ein hinterer Raum als Luftschutzkeller ausgewiesen, bei dem die Menschen bei Alarm Zuflucht finden können. Und zum anderen lassen sich die zwei Türen des Büros doppelt verriegeln, um Schutz vor einem queerfeindlichen Angriff zu bieten. 

    Eine Loslösung von Russland, wo der Staat offen homophob auftritt, bedeutet also noch nicht automatisch eine liberalere Gesellschaft? 

    Dieses Land steht gerade auf dem Prüfstand. Eine junge Demokratie wird angegriffen und soll unter den Bedingungen eines Krieges beweisen, wie es weiter geht mit demokratischen Werten und Menschenrechten. Immerhin werden queere Veranstaltungen in der Regel sehr gut von den Behörden geschützt. Dieses Foto ist während des Pride Wochenendes entstanden. Da haben hintereinander drei unterschiedliche Veranstaltungen stattgefunden. Alle mussten von der Polizei geschützt werden. Ohne geht es nicht, weil es immer wieder zu Angriffen durch homophobe rechte Gruppen kommt. Auch die Kyjiw Pride wurde angegriffen. Soweit ich das mitbekommen habe, sind die Behörden aber mittlerweile sehr zugänglich. Die Kommunikation mit der Polizei und mit den Sicherheitskräften ist sehr gut. Das war nicht immer so. Unter den Bedingungen eines Krieges für eine offenere Gesellschaft zu kämpfen, ist extrem schwierig. 

     

    Fotografie: Sitara Thalia Ambrosio  
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller 
    Interview: Julian Hans 
    Veröffentlicht am: 14.10.2024 

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  • Wo die Pappeln wachsen

    Wo die Pappeln wachsen

    Irina Unruh kombiniert in ihrem Bildband Where The Poplars Grow Fotos aus dem Familienarchiv mit aktuellen Aufnahmen. Aus ihrem Plan, ein Buch über Kirgistan zu machen, wurde eine Reise in die eigene Familiengeschichte. Sie handelt von Flucht, Revolution und Repression – und von menschlicher Solidarität unter Fremden. Wir haben mit ihr über die Geschichte ihrer Familie und über ihr Fotoprojekt gesprochen. 

    Auf diesem Passbild bin ich acht oder neun Jahren alt. Mama hat mir Schleifen ins Haar geflochten. Viele Kinder in der Sowjetunion trugen damals diese „Bantiki“ / Foto © Irina Unruh
    Auf diesem Passbild bin ich acht oder neun Jahren alt. Mama hat mir Schleifen ins Haar geflochten. Viele Kinder in der Sowjetunion trugen damals diese „Bantiki“ / Foto © Irina Unruh

     

    dekoder: In einem Fotobuch erzählen Sie von Kirgistan, der Heimat Ihrer Kindheit. Es heißt „Where The Poplars Grow“. Was bedeuten Ihnen die Pappeln? 

    Irina Unruh: In den 20 Jahren, in denen ich nach unserer Migration in Deutschland lebte, hatte ich die Pappeln fast vergessen. Aber als ich 2008 zum ersten Mal wieder nach Kirgistan kam, fiel mir wieder ein, dass ich umgeben von Pappeln aufgewachsen bin. Selbst auf einem der ältesten Familienporträts meiner Mutter sind Pappeln im Hintergrund: auf der Tapete des Fotografen, der das Bild in seinem Studio aufgenommen hat. Viele dieser Bäume wurden von den Deutschen in unserem Dorf gepflanzt – auf Anordnung der Kolchose beim Subbotnik.  

    Wozu? 

    Pappeln wachsen schnell. Sie sollten entlang der Hauptstraße Schatten spenden. Entlang einer anderen Straße wurden Obstbäume gepflanzt. Sie verbindet die beiden deutschen Dörfer Bergtal und Grünfeld. Da kann man heute im Schatten gehen und Äpfel und Mirabellen pflücken.  

    Wie alt waren Sie, als Sie aus Kirgistan nach Deutschland kamen? 

    Ich war neun. 

    Kirgistan ist ein Thema Ihrer Arbeit, seit Sie fotografieren. Aber dieses Projekt ist das Persönlichste, es handelt von Ihrer Kindheit und Ihrer Familie. Wie kam es dazu? 

    Ursprünglich wollte ich gar kein persönliches Buch machen und auch nicht meine eigene Geschichte erzählen. Ich wollte ein Buch über Kirgistan machen und dabei erwähnen, dass dort auch Deutsche leben. Aber irgendwann fand ich es nicht mehr passend, das Land wie von außen zu beschreiben. 

    Wie ist Ihre Familie nach Kirgistan gekommen? Und wie ist sie von dort wieder zurück nach Deutschland gekommen? 

    Häufig stellen mir Leute in Deutschland die Frage: Warum seid ihr nach Deutschland gekommen? Meine Kinder wiederum fragen: Wie seid ihr nach Kirgistan gekommen? Um diese Frage zu beantworten, musste ich tatsächlich erst einmal selbst recherchieren und viele Bücher lesen. Meine Vorfahren waren Mennoniten. Fast jede Generation wurde in einem anderen Land geboren. Die Familie meines Großvaters mütterlicherseits lebte beispielsweise nach einem langen Weg der Migration im Gebiet Orenburg. Nach der Revolution versuchten meine Urgroßeltern, die Sowjetunion zu verlassen. Sie kamen mit ihrer großen Familie 1925 nach Moskau, um eine Ausreiseerlaubnis zu erlangen. Aber dann gab es von heute auf morgen einen Ausreisestopp. Ältere Geschwister meines Urgroßvaters haben es noch geschafft, aber er blieb mit seinen Kindern zurück. Wo sollten sie hin? In Moskau konnten sie nicht bleiben, zurück ins Gebiet Orenburg konnten sie auch nicht; sie fürchteten Repressionen, weil sie ihr Dorf verlassen hatten. Also sind sie nach Kirgistan geflohen, an einen Ort, wo sie keiner kannte. Dort wurde mein Großvater 1927 als jüngstes von 8 Kindern geboren. Die Familie zog aber bereits 1933 weiter in die Region Altai und 1940 erneut zurück ins heutige Kirgistan. So ähnlich war das bei allen meinen vier Großeltern: Sie waren immer auf der Suche nach einem Ort, wo sie unbehelligt leben konnten. Als Mennoniten war ihnen die Religionsfreiheit wichtig und die Befreiung vom Wehrdienst. Und immer, wenn sich die politische Situation änderte, zogen sie weiter. Insbesondere seit den 1920er Jahren sind die Familien meiner Großeltern alle paar Jahre migriert oder geflohen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es ihnen nicht mehr möglich, da sie als Deutsche bis 1956 in Sondersiedlungen leben mussten. Im Grunde suchten sie seit der Gründung der Sowjetunion und damit einhergehend des Verbotes der Religionsausübung immer wieder nach Wegen, diese zu verlassen. Nach mehreren Generationen war es 1988 dann erstmals möglich.  

    Ursprünglich waren ihre Vorfahren wahrscheinlich der Einladung Katharinas II. nach Russland gefolgt? 

    Teilweise vermutlich ja, doch die meisten sind etwas später ausgewandert. Es gab mehrere Auswanderungswellen. Meine Vorfahren kommen aus Westpreußen. Sie gehörten zu den Siedlern unter Zar Alexander I. Sie haben zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gesiedelt. Von dort sind sie dann vor den Kämpfen zwischen der Roten Armee und den Truppen des ukrainischen Revolutionärs Nestor Machno geflohen, nachdem ihre Dörfer immer wieder geplündert wurden. Das war kurz vor dem Holodomor. Ich musste mich erst durch die russische Geschichte lesen, um die Geschichte meiner eigenen Familie zu verstehen. Es gab Sätze, die in meiner Kindheit immer wieder gefallen sind, und die ich nie hinterfragt habe. Zum Beispiel der Satz: „Als Oma bei den Kirgisen lebte.“ 

    Warum lebte Ihre Oma bei den Kirgisen? 

    Meine Oma mütterlicherseits war 14, als ihre Mutter 1941 starb. Der Vater zog mit ihr und den jüngeren Geschwistern im Sommer 1941 ebenfalls aus der Region Altai nach Kirgistan. In beiden Regionen gab es zu dieser Zeit mehrere mennonitische Siedlungen. Kurz darauf wurde ihr Vater verhaftet und kam in den Gulag. Meine Oma stand mit 14 Jahren ohne Eltern da. Eine kirgisische Familie hat sie aufgenommen. Das war übrigens keine Seltenheit: Viele deutsche Kinder, deren Eltern verhaftet wurden, haben nur dank der Unterstützung kirgisischer Familien überlebt. Es gab aber auch Fälle, wo Kinder ganz ohne Eltern aufwuchsen. Oft haben sich dann die Dorfgemeinschaften um diese Kinder gekümmert. Und die Kinder wussten die ganze Zeit über nicht, ob ihre Eltern noch am Leben sind. Manchmal kamen sie zehn Jahre später aus dem Gulag zurück. 

    Man kann sich kaum unterschiedlichere Gruppen vorstellen als deutsche Mennoniten und kirgisische Muslime. Woher kam diese Solidarität? 

    Es gab gegenseitiges Verständnis: Beide Gruppen gehörten zu einer unterdrückten Minderheit. Die Kirgisen wurden von der Sowjetmacht zur Sesshaftigkeit gezwungen. Außerdem gab es Vorbilder in der Vergangenheit: Als die ersten deutschen Siedler mit Erlaubnis des Khan ins heutige Kirgistan kamen, da war es schon Herbst und der Winter stand bevor. Sie haben es nicht mehr geschafft, ihre eigenen Häuser zu bauen. Damals haben kirgisische Nomaden sie in ihren Jurten aufgenommen. Es gibt also nicht immer Angst vor Fremden, sondern auch Offenheit. 

    Sie verbinden in Ihrem Buch Bilder aus dem Familienarchiv mit aktuellen Aufnahmen. Was war die Idee dahinter? 

    Ich will zeigen, dass die Vergangenheit ein Teil von uns ist. Wir alle haben ja einen Lebensweg. Die Person, die ich heute bin, bin ich nur, weil ich gewisse Dinge erlebt habe und bestimmte Erfahrung auf meinem Lebensweg gesammelt habe. Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich gemerkt, dass in mir auch die Geschichte meiner Vorfahren weiterlebt. Dass meine Kinder heute in einem demokratischen, freien Land aufwachsen, ist nur möglich, weil meine Vorfahren Dinge durchlebt und sie auch überlebt haben. Hätten sie nicht überlebt, gäbe es uns alle nicht.  

    Hätte die kirgisische Familie nicht Ihre Großmutter aufgenommen, gäbe es heute die Familie Unruh in Deutschland nicht… 

    …zum Beispiel. Und wenn mein Großvater den Gulag nicht überlebt hätte, auch nicht. Er war nach sieben Jahren Gefangenschaft kurz vor dem Hungertod, als sie ihn eigentlich zum Sterben freigelassen haben. Mit letzter Kraft hat er es geschafft, nach Kirgistan zu kommen. Da hat meine Oma ihn dann gesundgepflegt. Mein Vater kam erst danach zur Welt. 

    Wurde in Ihrer Familie über solche Erfahrungen gesprochen? 

    Mein Vater hat immer wieder etwas erzählt. Irgendwann habe ich eine WhatsApp-Gruppe gegründet mit meinen Tanten, die haben auch viel erzählt. Es waren überhaupt eher die Frauen, die erzählt haben. Meine Tanten sagten manchmal: „Ui, Irina, du stellst Fragen! Die haben wir leider unseren Eltern selbst nie gestellt“. Vielleicht braucht es manchmal eine Generation Abstand – auch emotionalen Abstand – um solche Fragen stellen zu können. Es war eine traumatisierte Generation und manche Verhaltensweisen sind nur erklärbar, wenn man diese Geschichten kennt. Hunger war zum Beispiel bei uns am Tisch immer wieder Thema. 

    Das wirkt fast so, als wäre aus einem Fotoprojekt über Kirgistan am Ende eine Art Familien-Vermächtnis geworden? 

    Ja, und nein. Zum einen empfinde ich eine gewisse Demut und tiefe Dankbarkeit meinen Vorfahren gegenüber. Meine Familiengeschichte soll zugleich beispielhaft für viele sehr ähnliche Familiengeschichten stehen. Es war mein Wunsch, aus meiner persönlichen Perspektive zu zeigen, wie politische Entscheidungen und geopolitische Entwicklungen weitreichende Folgen und Auswirkungen auf einfache Familien und auch auf Kinder haben. Und dass es manchmal Generationen braucht, um diese Auswirkungen zu verstehen und zu verarbeiten. Neben all der Tragik war es mir auch wichtig, die hoffnungsvollen Momente von Begegnungen, Freundschaften und gegenseitiger Unterstützung zu erzählen; wie die Geschichte, dass eine kirgisische Familie meine Oma bei sich aufnahm. Meine Oma sprach nach diesen zwei Jahren fließend Kirgisisch, und im Dorf gab es auch Kirgisen, die fließend Plautdietsch sprachen. Ich sehe mein Buch auch als eine hoffnungsvolle Geschichte der menschlichen Begegnung.  

     

    Auf der Fensterbank stehen große Gläser mit eingelegten Pflaumen. In diesem Haus im Heimatdorf meiner Kindheit lebten früher Verwandte von mir. Kompott aus unserem Garten half uns über die langen kirgisischen Winter, in denen es selten frisches Obst zu kaufen gab / Foto © Irina Unruh
    Auf der Fensterbank stehen große Gläser mit eingelegten Pflaumen. In diesem Haus im Heimatdorf meiner Kindheit lebten früher Verwandte von mir. Kompott aus unserem Garten half uns über die langen kirgisischen Winter, in denen es selten frisches Obst zu kaufen gab / Foto © Irina Unruh
    Meine Tante geht mit ihren Freundinnen nach einer Hochzeit über die Hauptstraße in Telmann nach Hause in das drei Kilometer entfernt Dorf Rotfront. Die beiden Dörfer waren eng miteinander verbunden und es gehörte zum Alltag, zu Fuß in das jeweils andere Dorf zu gehen / Foto © Irina Unruh
    Meine Tante geht mit ihren Freundinnen nach einer Hochzeit über die Hauptstraße in Telmann nach Hause in das drei Kilometer entfernt Dorf Rotfront. Die beiden Dörfer waren eng miteinander verbunden und es gehörte zum Alltag, zu Fuß in das jeweils andere Dorf zu gehen / Foto © Irina Unruh
    Auf einem ihrer Migrationswege könnte die Familie meiner Oma auch durch diese Steppe im Süden Kirgistans gekommen sein. Oma sprach wenig über ihre kindlichen Fluchterfahrungen. Sie erinnerte sich aber, dass sie über die spätsommerliche Trockenheit in Kirgistan erschrak, als sie mit ihrer Familie aus Südsibirien wegzog. Dort war alles noch grün gewesen / Foto © Irina Unruh
    Auf einem ihrer Migrationswege könnte die Familie meiner Oma auch durch diese Steppe im Süden Kirgistans gekommen sein. Oma sprach wenig über ihre kindlichen Fluchterfahrungen. Sie erinnerte sich aber, dass sie über die spätsommerliche Trockenheit in Kirgistan erschrak, als sie mit ihrer Familie aus Südsibirien wegzog. Dort war alles noch grün gewesen / Foto © Irina Unruh
    Eines der letzten typischen Holztore im Dorf meiner Kindheit. In dem Haus lebte einmal eine deutsche Familie. Das Dorf wurde 1925 von deutschen Mennoniten gegründet und „Grünfeld“ genannt. Wenige Jahre später nannten die Sowjets es um in „Telman“ – nach dem deutschen Kommunisten Ernst Thälmann. Während es in Telman heute nur noch wenige Spuren von deutschen Mennoniten gibt, lebt im Nachbardorf Rotfront noch eine kleine deutsch-mennonitische Minderheit. Auch dieses Dorf wurde 1931 umbenannt - von „Bergtal“ in „Rotfront“. Offiziell heißen die beiden Orte heute noch so. Aber viele Nachfahren sprechen weiter von Grünfeld und Bergtal im Tschüi-Tal / Foto © Irina Unruh
    Eines der letzten typischen Holztore im Dorf meiner Kindheit. In dem Haus lebte einmal eine deutsche Familie. Das Dorf wurde 1925 von deutschen Mennoniten gegründet und „Grünfeld“ genannt. Wenige Jahre später nannten die Sowjets es um in „Telman“ – nach dem deutschen Kommunisten Ernst Thälmann. Während es in Telman heute nur noch wenige Spuren von deutschen Mennoniten gibt, lebt im Nachbardorf Rotfront noch eine kleine deutsch-mennonitische Minderheit. Auch dieses Dorf wurde 1931 umbenannt – von „Bergtal“ in „Rotfront“. Offiziell heißen die beiden Orte heute noch so. Aber viele Nachfahren sprechen weiter von Grünfeld und Bergtal im Tschüi-Tal / Foto © Irina Unruh

     

    Irina Unruh: Where The Poplars Grow 
    118 Seiten
    Shiftbooks
     

    Fotografie: Irina Unruh
    Bildredaktion: Andy Heller
    Interview: Julian Hans
    Veröffentlicht am: 03.10.2024

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    Bilder vom Krieg #22

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Daniel Rosenthal

    An der Marineakademie in Odessa bereiten sich 800 junge Menschen auf ein neues akademisches Jahr vor. Sie hoffen, nach dem Ende des Krieges und der Aufhebung der Seeblockade im Hafen oder in der Schifffahrt arbeiten können. Der 16-jährige Konstantin Lutsenko probiert schüchtern den Matrosenanzug an, den alle Studenten im Theatersaal der Universität tragen. Als er nach seinen Träumen gefragt wird, leuchten seine Augen. „Ich werde eine Ausbildung zum Skipper auf dem großen Meer machen“, sagt er. „Ich möchte die Welt sehen.“ / Foto © Daniel Rosenthal

     

    Ukrainische Soldaten erhalten eine Laser-Therapie in einem Sanatorium an einem geheimen Ort in der Provinz Charkiw. Sie absolvieren zwei Wochen lang ein spezielles Reha­bili­tat­ions­pro­gramm. Dann sollen sie ausgeruht in den Krieg zurückkehren. / Foto © Daniel Rosenthal 

     

    dekoder: Sie haben zwei Fotos von Ihren Reisen in der Ukraine ausgewählt: Das erste zeigt einen Jugendlichen beim Eintritt in die Marine­akademie in Odessa. Was sieht man auf dem zweiten?  

    Daniel Rosenthal: Das ist eine Szene aus einem Sanatorium. Die ukrainischen Soldaten können sich dort zwei Wochen lang erholen, bevor sie wieder zurück in den Einsatz müssen. Sie bekommen Lasertherapie und Atemtherapie und inhalieren Salz­lösung und Lavendel­duft. Dort traf ich den Bären. Das ist der Mann, der seine Hand ans Gesicht hält. Seinen Codenamen bekam er wegen seiner bärigen Statur. Er ist Maschinen­gewehr­schütze und hat bei Wuhledar gekämpft. Anderthalb Jahre war er fast kontinuierlich an der Front.  

    Und jetzt darf er sich 14 Tage in einem Sanatorium davon erholen? 

    Ich traf den Bären auf einer Bank im Park, als er eine Zigarette rauchte. Er sagte: „Es ist so still hier. Diese Stille!“ Die Stille und das Vogel­gezwitscher, das hat ihn fertig gemacht. Später hat er das erklärt: Es war immer still, bevor die Russen angegriffen haben. Stille bedeutete für ihn immer Gefahr. Und jetzt ist er in diesem Sanatorium, nach anderthalb Jahren hinter dem Maschinengewehr, und muss mit der Stille dort klarkommen. Er erzählte dann noch, dass seine Familie, die er andert­halb Jahre nicht gesehen hat, ihn besuchen kommt. Und man hat gemerkt, dass er sich natürlich einerseits freuen will, aber anderer­seits total am Ende ist und eigentlich gar nicht mehr kann. Dieser Kontrast zwischen dieser Statur und diesem Wesen, das total am Ende war, das fand ich sehr berührend.  

    Wie soll diesen Männern während zwei Wochen in einem Sana­torium geholfen werden?  

    Das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Sanatorium atmet einerseits noch den Geist der Sowjetunion, mit Bädern und Anwendungen. Zusätzlich gibt es aber auch Gesprächs­therapie und Yoga zum Beispiel. Das war natürlich ein un­glaub­liches Bild, diesen Bären und seine Kammeraden in der Yoga­stunde zu beobachten. Sie haben sich alle Mühe gegeben, es wirkte fast komisch, wenn die Umstände nicht so tragisch wären. 

    Und nach den zwei Wochen Yoga und Therapie geht es wieder zurück an die Front? 

    Danach geht es wieder in den Einsatz, ja. Das läuft so, dass der Kommandant einer Einheit Leute auswählt, von denen er glaubt, dass die eine Auszeit nötig haben. Ob die von sich aus das Bedürfnis haben, Yoga zu machen, lässt sich schwer sagen. Die leiden alle unter einer schweren post­trauma­tischen Belastungs­störung und wissen selbst gar nicht, was sie eigentlich wollen und brauchen. Wenn man sie fragt, sagen alle, sie wollen sofort zurück zu ihren Kameraden. Das scheint eine typische Reaktion von Menschen in solchen Situationen zu sein: Sie haben ein schlechtes Gewissen, dass sie ihre Kameraden im Stich lassen. Von einer Heilung sind die nach zwei Wochen natürlich weit entfernt. 

    Ihr zweites Bild zeigt den Anfang einer Karriere als Soldat. Was ist die Geschichte hinter diesem Foto?  

    Das stammt aus einer Reportage aus der Hafenstadt Odessa. Zu Beginn des Studien­jahres werden 800 junge Kadetten an der Marine­akademie auf­ge­nommen. Die Leiterin der Kleiderkammer gibt Uniformen an die Erst­semester aus. Viele träumen davon, die Meere zu befahren und die weite Welt zu sehen. In der Realität ist das Schwarze Meer weitgehend durch russische Kriegsschiffe blockiert. Diesen Clash zwischen Traum und Wirklichkeit fand ich inte­res­sant.  

    Sie fotografieren seit vielen Jahren in Kriegs- und Krisengebieten. Wie gehen Sie selbst mit den belastenden Er­lebnissen um?  

    Ich halte meine Aufenthalte an der Front oder in der wirklichen Gefahren­zone relativ kurz. Erst recht, seit ich Kinder habe. Aber natürlich wirken die Ereig­nisse nach. Oft kommen die Gefühle hoch, wenn ich wieder zuhause bin und die Bilder bearbeite und um mich herum geht das normale Alltags­leben weiter. Seit ich Vater bin, kann ich die Ver­zweif­lung der ukrainischen Eltern noch einmal ganz anders nach­empfinden. Ich glaube, das muss dich wirklich fertig machen, wenn du nicht in der Lage bist, dein Kind zu beschützen. 

     

    Fotografie: Daniel Rosenthal 
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller 
    Interview: Julian Hans 
    Veröffentlicht am: 27.09.2024 

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    Alexander Vasukovich ist einer der bekanntesten belarussischen Fotografen der jüngeren Generation. Seine Bilder erschienen in zahlreichen internationalen Zeitungen und Publikationen. Bereits seit dem Beginn des Euromaidan dokumentiert er die Ereignisse in der Ukraine, so auch den russischen Krieg seit 2014.

    In seiner Heimat wurde er im Oktober 2023 festgenommen, offiziell wegen Teilnahme an den Protesten im Jahr 2020. Dennoch gelang ihm die Flucht nach Polen, wo er derzeit lebt. Wir haben mit ihm über seine Arbeit und den Krieg in der Ukraine gesprochen und zeigen eine Auswahl seiner Bilder.

    Natalija, 44 Jahre, im Krankenhaus von Browary, Oblast Kyjiw. Sie wurde am 14. März in Tschernihiw am Bein verwundet, 24.03.2022 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    dekoder: Sie waren bereits 2013 auf dem Maidan, um die dortigen Ereignisse fotografisch festzuhalten. Warum diese Entscheidung, aus Belarus in die Ukraine zu fahren? 

    Alexander Vasukovich: Damals stand meine Karriere als Fotograf noch am Anfang, aber ich hatte bereits Erfahrung mit Aufnahmen bei Protesten gemacht: nach den [belarussischen] Präsidentschaftswahlen 2010, als die Kundgebungen mit gewaltsamer Auflösung und Haftstrafen für viele Beteiligte endete, darunter auch die Präsidentschaftskandidaten.  

    Vom ersten Maidan im Jahr 2004 hatte ich nur gehört, deshalb beschloss ich hinzufahren, als der zweite begann. Mich begeisterte, wie die Ukrainer für ihre Freiheit kämpften. Ich sah Menschen, die bereit waren, für ihre Ideen sogar ihr Leben zu opfern. Ich sah, wie den Ukrainern der Sieg gelang, und genau das wollte ich auch in meiner Heimat sehen. Deshalb fotografierte ich auch nach Beginn des Krieges im Osten der Ukraine weiter jene Menschen, die nicht einmal den Kampf fürchteten. Ich wollte die Freiwilligen zeigen, die auf der Welle des Siegesgefühls vom Maidan in den Krieg gezogen waren, um auch dort zu gewinnen. Vor Ort wurde mir dann klar, dass das im Krieg bedeutend schwieriger ist.  

    Diese Reisen wurde zur Grundlage für das sehr persönliche und schmerzhafte Projekt Commemorative photo (dt. Gedenkfoto), mit dem ich an den Wert des menschlichen Lebens erinnern wollte. Der Tod von Menschen, die wenige Augenblicke vorher noch lebendig neben mir standen, hat mich sehr getroffen. Ich schickte dann Fotos an die Angehörigen und sprach mit ihnen. So wurde dieser Krieg, obwohl ich Ausländer bin, auch ein wenig zu meinem. Deshalb konnte ich auch 2022 nicht aufhören zu fotografieren. 

    Die Fotos in dieser Auswahl stammen vor allem aus dem ersten Jahr der russischen Invasion. Nach welchen Kriterien haben Sie die Bilder ausgewählt? 

    Ich sehe drei zentrale Gründe dafür, dass die Bilder hauptsächlich aus dem ersten Jahr stammen. Da ist zum einen die Intensität dessen, was passierte, dann die Abwesenheit von Einschränkungen und Regulierungen, wo man sich aufhalten durfte, und drittens die Veränderung meiner Wahrnehmung dessen, was vor sich ging.  

    Zu Beginn des Krieges war es wesentlich einfacher, irgendwo hinzufahren und zu fotografieren. Niemanden interessierte, was du machst, du konntest in Ruhe irgendwo sein und beobachten, was passiert. Es gab befreite Gebiete, die man leicht erreichen konnte, um die Folgen der Kriegshandlungen zu dokumentieren, mit den Menschen zu sprechen, alles zu sehen, was passiert war, bevor aufgeräumt wurde. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Regeln tauchten auf. Bei meiner zweiten Reise konnte ich schon nicht mehr dorthin fahren, wohin ich wollte: Für viele Orte war die Begleitung durch einen Presseoffizier erforderlich, und da es nicht so viele gab, war das mit Wartezeiten verbunden.  

    So viel Zeit hatte ich nicht, also fuhr ich mit dem Motorrad los, weil das mein einziges Transportmittel war, und ich vor dem ersten Schnee zurück sein musste. Damals konzentrierte ich mich auf Bachmut: Ich war sehr beeindruckt, wie die Menschen dort zwischen den Stellungen lebten, während über ihren Köpfen tagelang Geschosse hin und her flogen, die manchmal nicht ans Ziel kamen und auf den schmalen Streifen zwischen den Fronten krachten. Die Menschen lebten dort und warteten darauf, dass all das endlich aufhört.  

    Bei meiner dritten Reise Ende September 2023 wollte ich in erster Linie fotografieren, wie die Zivilbevölkerung in den Frontstädten überlebte. Damals war der Zugang schon sehr schwierig, man durfte fast nirgends ohne Begleitung Zeit mit der Zivilbevölkerung verbringen, von den Begleitpersonen gab es nicht genügend und außerdem konnte man von den Menschen keine Offenheit erwarten, wenn ein Soldat daneben saß. Der einzige Ort, an dem ich in Ruhe machen konnte, was ich wollte, war die Stadt Siwersk.  

    Wie erlebten Sie die Ukrainer im Krieg? 

    Bei meiner ersten Reise waren die Menschen stark mobilisiert und sehr kämpferisch eingestellt, mit jeder weiteren Reise erschienen sie mir müder, fast alle sagten: „Hoffentlich ist es bald vorbei.“ Für mich war es damals schwer vorstellbar, wie sich das anfühlt: Du hast ein Haus, dein normales Leben, ein paar Besitztümer – und dann kommt eine Rakete, und plötzlich ist alles vorbei, du hast nichts mehr, musst flüchten und alles zurücklassen.  

    Erst als ich selbst mein Zuhause verlassen musste, ohne die Aussicht, in absehbarer Zeit zurückzukehren, konnte ich das etwas besser nachempfinden.  

    Nicht alle können und wollen evakuiert werden, bei meiner dritten Reise sprach ich mit vielen Menschen, die in ihrer Stadt blieben. Siwersk lag direkt hinter der Front, die Menschen lebten zu diesem Zeitpunkt bereits anderthalb Jahre im Keller. Auf die Frage, warum sie blieben, antworteten sie, dass sie in der Westukraine niemand brauchen würde, dass man dort darüber lachen würde, wie sie sprechen, dass man ihnen dort keine Arbeit geben würde, und sie hier wenigstens einen Ort zum Leben haben, auch wenn sie jeden Moment sterben könnten.  

    Wie wurden Sie als Belarusse aufgenommen, schließlich nutzte die russische Armee belarussisches Territorium für ihre Angriffe auf die Ukraine? 

    Bis zum Kriegsbeginn fühlte ich mich in der Ukraine wie zuhause. Es war das erste Land, in das ich gereist war, meine ersten ausländischen Freunde waren Ukrainer. Kurz vor Kriegsbeginn planten meine Freundin und ich, in die Ukraine zu fahren und unsere Freunde zu besuchen.  

    Dann begann der großangelegte Angriff, ich versuchte sofort, als Fotograf eine Akkreditierung zu erhalten. Viele wollten meine Bewerbung nicht weiterreichen, weil ich belarussischer Staatsbürger bin. Die Kollegen sagten, ich würde keine Akkreditierung erhalten, und wenn doch, dann würde man mich vor Ort nicht arbeiten lassen, mich sogar schlagen. Als ich dann jemanden gefunden hatte, der meine Akkreditierung unterstützte und meine Unterlagen einreichte, war ich auf eine lange Überprüfung und eine mögliche Absage vorbereitet, aber schon drei Tage später hatte ich die Akkreditierung. 

    Bei der ersten Reise war ich mit einer ukrainischen Freundin unterwegs und musste nicht groß erklären, wer ich bin. Bei der zweiten Reise wollte ich allein fahren, mit meinem Motorrad mit belarussischem Kennzeichen. Ich hatte gelesen, was über Belarussen im Internet geschrieben wurde und machte mir Sorgen, wie ich dort allein erklären würde, warum ich in der Ukraine unterwegs bin. Manchmal stellte ich mir vor, man würde hinter mir ausspucken, nachts meine Reifen zerstechen.  

    Aber zum Glück war die Realität ganz anders: Die Leute waren eher erfreut, einen Belarussen zu sehen, der auf der ukrainischen Seite fotografierte, sie interessierten sich dafür, wer ich bin und wie die Belarussen über den Krieg denken. Die Leute begriffen wohl, dass ich in Ordnung sein musste, weil ich bei ihnen war.  

    Ende 2023 wurden Sie in Belarus nach der Rückkehr aus der Ukraine festgenommen. Warum sind Sie überhaupt zurückgekehrt? 

    Ich habe in Belarus gelebt und bin dorthin zurückgekehrt, weil ich das Land liebe, weil meine alten Eltern dort leben und auch meine Großmutter, die jetzt schon 99 Jahre alt ist. Ich wollte dort sein und fotografieren, sobald sich etwas verändert. 

    Nach meiner dritten Reise interessierte sich der KGB an der Grenze für mich. Sie stellten viele Fragen über meine Arbeit in der Ukraine, besonders wunderten sie sich, wie ich ohne Freunde bei der ukrainischen Armee in Orte wie Butscha kommen konnte. Sie wollten nicht glauben, dass das möglich war. Nach der Befragung ließen sie mich gehen. In den folgenden Tagen wurde ich beobachtet, und nach zwei Wochen holten sie mich schließlich ab. 

    Sie durchsuchten meine Wohnung, nahmen Computer, Festplatten und Notizbücher mit. Nach zehn Tagen wurde mir eine Anklage vorgelegt. Sie lautete: Teilnahme an Protesten nach Artikel 342, Absatz 1 des Strafgesetzbuches: „Organisation von Gruppenaktivitäten, die die öffentliche Ordnung grob stören und einhergehen mit offener Zuwiderhandlung gegen gesetzliche Vorschriften der Machtorgane, oder die das Funktionieren von Verkehr, Betrieben, Einrichtungen oder Organisationen stören, oder aktive Teilnahme an solchen Aktivitäten.“ Die Anschuldigung bezog sich darauf, dass ich beim Fotografieren auf der Straße gestanden hatte, die Sicherheitskräfte also angeblich blockiert hätte. Dass ich dort als Journalist im Einsatz war, interessierte die nicht.  

    Meine Reisen in die Ukraine waren sicher ein Katalysator für die Festnahme. Über Google findet mal leicht heraus, dass ich mit fast allen unabhängigen belarussischen Medien zusammengearbeitet habe, die heute als „extremistisch“ gelistet sind. Auf diese Zusammenarbeit stehen bis zu sechs Jahre Haft. 

    Wie ist Ihnen die Flucht nach Polen gelungen? 

    Nach der Festnahme war ich drei Monate in Untersuchungshaft. Danach wurde ich zu drei Jahren Hausarrest verurteilt. Was bedeutet, dass ich das Haus nur für meine offizielle Arbeit verlassen durfte. Eine Bar oder Freizeitveranstaltungen zu besuchen war untersagt. Auch ein Besuch bei meinen Eltern und bei meiner Oma. Nach 19 Uhr musste ich zuhause sein. Die Miliz hätte jederzeit kommen und überprüfen können, ob ich zuhause und nüchtern bin.  

    Ich begriff, dass ich nichts mehr machen konnte, was mir wichtig ist. Zudem war das Risiko sehr hoch, dass ein weiteres Strafverfahren gegen mich angestrengt wird. Also beschloss ich, das Land zu verlassen, auch wenn mir das bis zuletzt widerstrebte. Aber ich wusste: Wenn ich bleibe, würde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Gefängnis landen.  

    Also kontaktierte ich den Evakuierungsdienst der Organisation BYSOL. Sie hilft ehemaligen politischen Häftlingen und ihren Familien, Belarus zu verlassen, selbst wenn ein Ausreiseverbot besteht. Details meiner Flucht kann ich nicht verraten, sonst würde ich den Fluchtweg für andere gefährden. 

     

     
    Explosionsspuren einer Mörsergranate auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums im Dorf Stojanka, Oblast Kyjiw, 31.03.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 
     
    Leichen, die im Keller eines Sommerlagers gefunden wurden. Ukrainische Beamte sagen, dass die russische Armee das Lager während der Okkupation als Stützpunkt nutzte. Butscha, Oblast Kyjiw, 04.04.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 

     

    Zerstörte Brücke über dem Fluss Siwersky Donez in der Nähe des Dorfes Salyman. Bewohner haben die Brücke selbst repariert, nachdem das Gebiet durch die ukrainische Armee befreit worden war. Oblast Charkiw, 20.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 
     
    Ein Soldat der ukrainischen Streitkräfte fährt über Felder zu den Stellungen seiner Einheit in der Nähe der Stadt Bachmut. Oblast Donezk, 15.11.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 

     

    Die Großmutter spricht mit ihrem Enkel, dem elfjährigen Daniil, nach der Beerdigung seines Vaters Wolodymyr. Er hatte bei den Spezialkräften gedient und ist im Kampf gefallen. Kyjiw, 23.03.2022, / Foto © Alexander Vasukovich 

     

    Durch Beschuss zerstörte Kirche im Dorf Lukaschiwka. Nach Angaben von Einheimischen diente sie als Lazarett für verwundete russische Soldaten und als Munitionslager. Oblast Tscherschnihiw, 10.04.2022 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    Ukrainische Soldaten laden Munition in einen Mannschaftstransportwagen. Bachmut, Oblast Donezk, 11.11.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 

     

    Halyna und Viktor im Keller eines Wohnhauses. Seit Kriegsbeginn leben sie hier. Siwersk, Oblast Donezk, 02.10.2023 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    Ein durch russische Angriffe zerstörtes Wohnhaus in der Stadt Borodjanka. Allein in den ersten Kriegsmonaten wurden hier 404 Eigenheime und Wohnhäuser zerstört. Oblast Kyjiw, 05.04.2022 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    Rettungskräfte bergen eine Leiche aus den Trümmern eines Wohnhauses in Borodjanka. Die Stadt wurde besonders hart von russischen Angriffen getroffen und erlitt die massivsten Zerstörungen in der Region Kyjiw. Oblast Kyjiw, 12.04.2022 Foto © Alexander Vasukovich
     
    Ein ukrainischer Soldat angelt von einer zerstörten Brücke über dem Fluss Siwersky Donez. Dorf Sakitne, Oblast Donezk, 26.09.2023 / Foto © Alexander Vasukovich  
     
    Sanitäter behandeln einen verwundeten Soldaten im Krankenhaus von Bachmut. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Verletzten so zu stabilisieren, dass sie von der Frontlinie wegtransportiert werden können. Oblast Donezk, 17.11.2022 / Foto © Alexander Vasukovich
     
    Eine Frau hat in einem Kyjiwer Krankenhaus ein Kind zur Welt gebracht. Kyjiw, 30.03.2022 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    Menschen überqueren den Fluss Siwersky Donez mit einem Boot, da die Brücke zerstört wurde. Stary Saltiw, Oblast Charkiw, 12.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich
     
    Ein ukrainischer Soldat posiert vor einer feuernden M-46-Kanone in der Nähe von Bachmut. Oblast Donezk, 15.11.2022 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    Zerstörte Brücke über dem Fluss Siwersky Donez. Isjum, Oblast Charkiw, 15.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 

    Leere Gräber nach der Exhumierung von Leichen in einem Massengrab aus der Zeit der russischen Besatzung. In den Wäldern nahe der Stadt wurden nach der Rückeroberung durch die ukrainischen Streitkräfte mehrere solcher Massengräber entdeckt, darunter eines mit mindestens 440 Leichen. Oblast Charkiw, 15.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 

     

    Ein hungriger Hund frisst die Überreste einer Kuh, die durch Beschuss getötet wurde. Viele Haustiere wurden von ihren Besitzern auf der Flucht zurückgelassen. Dorf Lukaschiwka, Oblast Tschernihiw, 10.04.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 

     

    Einwohner der Stadt Siwersk in einer Kantine, die von evangelischen Christen organisiert wird. Jeden Tag können Menschen hier kostenfrei eine warme Mahlzeit bekommen. Die meisten von ihnen leben in den Kellern ihrer Häuser, die durch Beschuss beschädigt wurden. Oblast Donezk, 04.10.2023 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    Rakententeil auf einem Feld in der Nähe des Dorfes Lukaschiwka. Oblast Tschernihiw, 10.04.2022 / Foto © Alexander Vasukovich
     
    Wolodymyr, 64 Jahre, repariert ein umgefallenes Kreuz auf dem Grab seines Nachbarn. Er wurde durch russischen Beschuss getötet. Da es zu riskant war, den Leichnam auf den Friedhof zu bringen, begruben sie den Freund in der Nähe des Wohnhauses, in dem er lebte. Siwersk, Oblast Donezk, 05.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 
     
    Ein Mann trägt Wasserflaschen über eine zerstörte Brücke über den Fluss Bachmutka. Die Menschen müssen den Fluss überqueren, um in den anderen Teil der Stadt zu gelangen und dort Wasser und Lebensmittel zu bekommen. Bachmut, Oblast Donezk, 29.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 
     
    Sanitäter bringen eine verletzte Frau in ein Stabilisierungszentrum in Bachmut. Die Frau und zwei weitere Zivilisten wurden beim Beschuss der Nachbarstadt Tschassiw Jar verletzt. Bachmut, Gebiet Donezk, 17.11.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 
     
    Zerstörte Brücke über dem Fluss Oskil. Gorochowatka, Oblast Donezk, 20.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich

     

    Eine tote Taube, die durch Beschuss einer Straße in der Stadt Bachmut getötet wurde. Oblast Donezk, 17.10.2022 / Foto © Alexander Vasukovich 

    Fotografie: Alexander Vasukovich
    Bildredaktion: Andy Heller
    Interview: Ingo Petz
    Veröffentlicht am: 26.09.2024

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