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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Mir ist klar, warum es diese ganze Prostitution gibt“

    „Mir ist klar, warum es diese ganze Prostitution gibt“

    Wer durch St. Petersburg spaziert, dem begegnen sie immer wieder, auf Zebrastreifen, Autotüren, Plakatfenstern: Anzeigen von Prostituierten und Bordellen. Meist stehen da nur ein Frauenname und eine Nummer dahinter.

    Prostitution ist in Russland ein relativ neues Phänomen, das zu Sowjetzeiten in einer absoluten Tabuzone und im Alltag kaum sichtbar war. Mit der Migration und den wirtschaftlich prekären Verhältnissen verbreitete sie sich erst nach der Perestroika. Da die Prostitution als Gewerbe verboten ist, bewegen sich die Frauen in der Illegalität, sind kaum geschützt, während das ganze Milieu hochgradig kriminalisiert ist. Vereinzelt machen Aktivisten auf die schwierige Lage der Prostituierten aufmerksam, insgesamt jedoch wird das Problem nur wenig thematisiert.

    Das Stadtmagazin Bolschoi Gorod lässt den ehemaligen Security-Mann eines Bordells zu Wort kommen. Der gibt einen subjektiven Einblick in den rauen Alltag.

    Hartes Pflaster – Prostitution in Russland ist illegal, die Frauen sind kaum geschützt. Foto © Ilya Varlamov
    Hartes Pflaster – Prostitution in Russland ist illegal, die Frauen sind kaum geschützt. Foto © Ilya Varlamov

    Ein Freund, der auch Fußballfan ist, bot mir vor ein paar Jahren an,  für ihn als Security im Bordell einzuspringen. Der Job sagte mir zu, und ich blieb Vollzeit dort. Die Wachleute wurden anständig bezahlt – für eine 24-Stunden-Schicht ungefähr 100 Dollar bar auf die Hand. Für Piter war das gutes Geld.

    Der Puff befand sich in einem Souterrain am Stadtrand. Drei Kellerräume waren mit Vorhängen abgeteilt, so dass sich jeweils zwei oder drei Nischen ergaben. So einen Laden kann man aufmachen, wenn man nicht viel Geld hat und Bullen kennt – ein Bordell aufmachen, schnell Kapital anhäufen und in ein anderes Business wechseln.  

    Unser Bordell kam ins Laufen, weil wir im ganzen Stadtviertel Werbezettel aufhängten. Sowas wie Relax 24. Da gab es extra einen Typen, der rumlief und Zettel klebte. Wenn auf diese Inserate hin viele Männer anriefen, bekam er 1500 bis 3500 Rubel [circa 20 bis 40 Euro] Manchmal meldeten sich auch Mädels, die Arbeit suchten.

    Ein Bordell aufmachen, schnell Kapital anhäufen und in ein anderes Business wechseln

    Keine Ahnung, was die Bordellbesitzerin vorher gemacht hatte, aber wahrscheinlich irgendwo am Empfang gearbeitet. Sie kannte die Bullen des Bezirks recht gut, ich denke, da nutzte sie Verbindungen von früher.

    Es war Aufgabe der Administration, Anrufe entgegenzunehmen und Präsentationen für die Kunden zu arrangieren. Die Administration machte die Kasse und die Abrechnungen, zahlte Löhne aus, organisierte den Alltag der Prostituierten und verkaufte alkoholische Getränke. Die Kohle ging an die Puffmutter oder, seltener, an einen Bullen.

    Ich kannte den Bullen, der den Kies holte. Das ganze Polizeirevier, ja der ganze Bezirk wusste, dass hier ein Bordell war. Manchmal kamen die Bullen selber als Freier. Die wurden gratis bedient. Ich hab gehört, dass sie rund 50.000 Rubel [circa 600 Euro] im Monat bekamen, aber ob das stimmt, weiß ich auch nicht.

    Auf Arbeit musste ich absolut nichts tun, nur Gäste begrüßen und verabschieden. Lesen ging nicht wirklich – Geschrei, Gestöhn, laute Musik. Das beste war, auf dem Handy zu spielen oder in sozialen Netzen rumzuhängen.

    Damit wir uns nicht langweilten, schleppten mein Freund und ich Fitnessgeräte an. Wir fanden einen abschließbaren Raum und kauften dafür Sporteinrichtung. Wir hatten da eine Scheibenhantel, ein Reck, einen Barren, Fausthanteln und Gewichte. Ich aß, schlief, trainierte, hing am Handydisplay. Konflikte mit Freiern wurden mit Worten oder Waffen gelöst. Pistole raus und höflich zum Abmarsch auffordern ging immer. Manchmal reichte auch Reizgas.

    Manchmal kamen die Bullen selber als Freier, die wurden gratis bedient

    Der Großteil der Kunden sind Arbeiter. Tadshiken, Usbeken. Manchmal auch ganz normale junge Russen. Wo mir dann oft nicht klar war, warum der keine Freundin hat. Aber nein – er geht in den Puff. Und bezahlt eine Frau, die … na eben eine unter seinem Niveau.

    Der Freier wird reingelassen und setzt sich dann auf die Gästebank. Dann kommen die verfügbaren Mädchen raus und lassen sich anschauen – das ist die Präsentation. Er sucht sich eine aus, die ihm gefällt. Die nimmt er mit aufs Zimmer.

    Die Mädchen kosteten 1200 [knapp 15 Euro]. Dafür kriegt der Kunde einen Blowjob, zweimal Verkehr und eine Entspannungsmassage. Analsex kostet extra. Ein Mädchen, das gut ankam, konnte locker bis zu zehn Freier pro Schicht bedienen. Die, die nicht so oft drankamen, zwei bis drei.

    Nutten gibt es verschiedene – Russinnen, Asiatinnen, Schwarze. Die Schwarzen haben eine eigene Chefin, die sie in Afrika für Russland anwirbt. Sie zahlt ihnen die Reise und eine Unterkunft. Die Mädchen schulden ihr dann rund eine Million Rubel [circa 12.000 Euro]. Diese Summe arbeiten sie im Bordell ab, zahlen ihr also nach jeder Schicht eine Rate. Außerdem bringt ihnen diese Frau Mittel gegen den speziellen Körpergeruch von Schwarzen und traditionelles Essen – so Fleischgerichte mit Reis. Manchmal gab’s auch Kuhschwänze.  

    Wenn sie nicht umgebracht werden oder sonst was passiert, gehen die nach Afrika zurück und starten dort gemütlich ihr eigenes Business. Zum Beispiel einen Supermarkt. Einen anderen Weg gibt es nicht. Dafür können sie herkommen, was ausprobieren und leben dann in Saus und Braus.   

    Die Afrikanerinnen wohnten im Bordell. Ich brachte ihnen russische Schimpfwörter bei. Zum Beispiel „******“ auf die Frage „Wie gehts“. Ich wollte einfach hören, wie sie das Wort „******“ [supergeil] mit ihrem Afroakzent aussprechen.

    Die Mädchen hatten keinen bestimmten Zeitplan. Kein Krankengeld und keine Sozialleistungen. Das ist keine Arbeit

    Die anderen kamen einfach zum Geld verdienen. Zum Spaß einfach nur rumhängen tat dort niemand – die Mädels mussten für die Wachleute zahlen. Auch Gleitgel und was sie sonst noch brauchten bezahlten sie aus eigener Tasche. Gummis kauften sie auch auf eigene Rechnung, und sie bumsten nie ohne. Das war absolute Bedingung. Die Freier versuchten manchmal, das Kondom abzustreifen, aber dann mischten wir uns ein, entweder ich oder die Administration.

    Ganz interessant, dass in diesem Geschäft keine Tadshikinnen genommen werden. Viele Tadshiken haben nämlich was dagegen, dass Tadshikinnen auf den Strich gehen. Dann kommen sie womöglich ins Bordell, stiften Unruhe, verletzen jemanden, nehmen die Frau mit und fahren mit ihr in den Wald und bringen sie um.

    Unsere Luder hatten keinen bestimmten Zeitplan. Kein Krankengeld und keine Sozialleistungen. Das ist keine Arbeit. Manchmal, wenn zu wenige da waren, riefen wir sie an, ansonsten scherte sich niemand drum, ob sie sich frei nahmen oder nicht. War ja ihre Kohle. Soll sie doch selber entscheiden: Kann sie krank herkommen oder nicht? Klar kann sie krank kommen. Manche kommen auch mit Fieber und ****** [arbeiten].    

    Die Mädchen landen freiwillig im Puff. Heutzutage bringt es nichts, jemand zu entführen und zu zwingen. Das gilt als besonders schweres Verbrechen, und wozu bitte jemanden klarmachen, wenn es Leute gibt, die freiwillig auf den Strich gehen?

    Wenn sie nicht umgebracht werden oder sonst was passiert, gehen die nach Afrika zurück und starten dort ihr eigenes Business

    Einmal gab’s bei uns einen Überfall. Stammkunden. Zwei klingelten an der Tür, drei versteckten sich um die Ecke. Ich war nicht dabei, mein Kollege hatte Schicht. Er sah durch den Spion bekannte Gesichter, dachte, alles ok, und machte auf. Sie schlugen ihn sofort nieder, er rollte die Treppe runter. Die, die sich versteckt hatten, stürmten rein. Sie hatten Schlagstöcke. Einer hatte eine Luftpistole. Sie schlugen meinen Kollegen zusammen, schleiften ihn ins Bordell rein, prügelten dort alle nieder. Meinem Kollegen haben sie sein Tablet und sein Geld abgenommen. Die Afrikanerinnen haben sie ausgeraubt, das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Die Kasse mitgehen lassen.     

    Die Frau am Empfang hatte sich auf dem Klo versteckt, aber sie schlugen die Tür ein, zogen sie aus dem Klo und vergewaltigten sie auch noch. Den Wachmann wollten sie auch vergewaltigen.

    Dann kam ein Polizist ins Bordell. Er kam nicht wegen dem Überfall, sondern um seine Knete zu holen. Sie sahen ihn, jagten ihm nach, und als sie ihn erwischten, schlugen sie ihn mit den Schlagstöcken und schossen ihn mit der Luftpistole an. Nahmen ihm zwei iPhones und eine Goldkette ab. Die Gangster, alles Migranten, versprachen, wiederzukommen. Sie wollten Schutzgeld erpressen.    

    Ich und die anderen Securitys beschlossen, sie zu bestrafen.

    Das nächste Mal nahm ich eine Gummigeschosspistole, einen Jagdkarabiner, mehrere Messer und Tränengas mit ins Bordell. Wir warteten, dass sie wiederkommen. Im Endeffekt kamen zwei der Gangster, einen davon erkannten wir. Sie brachten eine Torte mit. Wir stürzten uns auf sie. Sie ließen die Torte fallen und suchten Deckung. Einen verprügelte ich mit dem Pistolenschaft, es begann ein Gerangel, und mein Kumpel schoss den beiden in die Beine.

    Das nächste Mal nahm ich eine Gummigeschosspistole, einen Jagdkarabiner, mehrere Messer und Tränengas mit ins Bordell. Wir warteten, dass sie wiederkommen

    Ich nahm das Messer, packte einen von ihnen am Kragen und tat, als wäre ich ******** [irre]. Ich lachte hysterisch, heulte, brüllte ihn an und biss ihn in die Wange. Als er sein Gesicht hinter seiner Hand verbarg, stach ich mit dem Messer auf seinen Arm ein. Dann drohte ich, ihm das Ohr abzuschneiden.

    Da sah ich, dass in der Blutlache auf dem Boden Tortenstückchen schwammen. Ich fischte mit dem Messer einen Brocken Torte, schwenkte ihn im Blut und fütterte den Burschen mit dieser appetitlichen, prächtig roten Torte. Er aß. Er hatte keine Wahl, ich hatte ihm ja versprochen, ihm sonst den Mund mit dem Messer aufzuschneiden. Sie erzählten uns alles, was sie wussten.

    Dem Typen, der nichts damit zu tun hatte, rieten wir, bis zum Abend ruhig abzuwarten, und ließen ihn frei. Der andere blieb bei uns. Wir hielten ihn als Geisel, bis unsere Leute die anderen Gangster gefunden hatten. Insgesamt hielten wir sie ungefähr 20 Stunden fest. In der Zeit versuchten wir, ihnen die Kugeln aus den Beinen zu ziehen, aber vergeblich. Die Nutten riefen einen Bekannten an, der Arzt war. Der bekam die Kugeln aber auch nicht raus. Wir überredeten sie, ins Krankenhaus am anderen Ende der Stadt zu gehen.

    In der nächsten Nacht nahm uns die Polizei fest – der, den wir laufen gelassen hatten, war zu den Leuten seines Kumpels gegangen. Als die erfuhren, dass wir ihn im Bordell festhielten, verpfiffen sie uns bei den Bullen. Ich hab’s abgesessen. Die, die den Überfall gemacht haben, sitzen immer noch.

    Ich fischte mit dem Messer einen Brocken Torte, schwenkte ihn im Blut und fütterte den Burschen mit dieser appetitlichen Prächtig roten Torte

    Die Mädels im Puff hab ich verachtet. Ich hab mich sogar bemüht, sie nicht zu berühren und nichts zu nehmen, was sie in der Hand hatten. Einmal hab ich Wasser genommen, und usbekische Pistazien.

    Jemand, der so etwas macht wie die, verkommt mit der Zeit. Sie trinken, nehmen Drogen. Wir haben im Bordell Spritzen gefunden. Eine hing sicher an der Nadel – immer völlig fertig, und die Beine voller blauer Flecken. Geschwollene Füße, das Gesicht aufgedunsen, hässlich. Den Job wechseln wollten die Nutten anscheinend nicht. Sie sagten, sie haben im Bordell angefangen, weil sie sich anders nicht finanziell durchschlagen konnten.

    Ich finde es nicht in Ordnung, seinen Körper zu verkaufen, aber ich finde, jeder Mensch hat das Recht, das selbst zu entscheiden. Mir ist klar, warum es diese ganze Prostitution gibt. Daran sind nicht die Mädchen schuld. Schuld sind die Umstände rundherum.

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  • Warum sind Polizisten bestechlich?

    Warum sind Polizisten bestechlich?

    Antikorruptionskampagnen, höhere Gehälter und verschärfte Strafen für Bestechung helfen nicht gegen Korruption. An der Moskauer Hochschule für Wirtschaft HSE wurde eine Untersuchung mit tatsächlichen Mitarbeitern der russischen Polizei durchgeführt. Sie nahmen an einem Spiel teil, das ihre Neigung zur Korruption aufzeigen sollte. An diesem Spiel nahmen auch gewöhnliche Studenten teil. Die Polizisten waren dabei insgesamt öfter bereit, Bestechungsgelder zu nehmen oder zu zahlen, sogar wenn es sich offensichtlich nicht lohnte. Korruptionsprinzipien und -normen waren für sie wichtiger als Gewinne oder Risiken.

    Eine Gruppe von Forschern der Hochschule für Wirtschaft hat sich ein für Russland leidiges Thema vorgenommen: die Korruption bei der Polizei.

    Sie sind davon überzeugt, dass Korruption in einer bestimmten Kultur und bestimmten Prinzipien begründet liegt, die tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind: Wenn man einem Mitarbeiter der Staatlichen Straßenverkehrsinspektion Geld zusteckt, kann man sich ziemlich sicher sein, dass er das Geld nimmt und bei dem Vergehen ein Auge zudrückt. Wenn man einem Polizisten vorschlägt, man könne sich doch „einigen“, gibt es eigentlich keinen Zweifel, dass das funktioniert.

    Innerhalb der Polizei haben sich mittlerweile feste Korruptionsstrukturen herausgebildet. Beamte der mittleren Ebene nehmen Bestechungsgelder von den normalen Bürgern und – damit es nicht herauskommt – teilen sie sie hinterher mit ihren Vorgesetzten. So entsteht ein funktionierendes Korruptionsnetz. Dabei haben die Polizisten, wie die Studie zeigt, diese Prinzipien derart verinnerlicht, dass sie nicht von ihnen ablassen, selbst wenn die Korruption sich finanziell nicht lohnt. Sie sind bereits eine in sich geschlossene Gruppe, die durch eine bestimmte Kultur mit bestimmten Werten und Prinzipien verbunden ist.

    Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler aufgrund eines Experiments, das mit russischen Polizisten vom Polizeihauptmann bis hin zum Oberst durchgeführt wurde, von denen alle einen Zusatzlehrgang der Akademie des russischen Innenministeriums absolviert hatten. Das Durchschnittsalter der Versuchspersonen betrug 36 Jahre. Die russische Polizei befand sich während der Untersuchung gerade in einer Phase der Umstrukturierung.

    Dieselbe Untersuchung wurde mit Studierenden der Hochschule für Wirtschaft durchgeführt. Ihre Ergebnisse wurden mit denen der Polizeibeamten verglichen.

    Korruptionsspiel

    Das Experiment bestand aus einem Spiel. Ziel war nicht, einem konkreten Beamten seine Neigung zur Bestechlichkeit nachzuweisen, sondern zu verstehen, wie die Polizisten interagieren und was ihr Verhalten motiviert. Es wurde kein echtes Geld verwendet.

    Die Offiziere wurden in Gruppen zu je 5 Mann eingeteilt, alle saßen am Computer. Sie wussten, dass sie mit Leuten aus dem Raum, in dem sie saßen, in einer Gruppe waren, wussten aber nicht mit wem.

    Das Spiel bestand aus 24 Runden, die in drei Spielphasen aufgeteilt waren.

    Erste Spielphase

    In jeder Runde erhält jeder Teilnehmer 100 Punkte, das ist sein Einkommen. Dieses kann er mithilfe einer beliebigen Menge von Bestechungseinnahmen aufbessern. Dabei werden die Handlungen des Spielers mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit überwacht. Wird er geschnappt, muss er alle Bestechungspunkte zurückgeben und noch dazu 50 Strafpunkte zahlen.

    Die Mitglieder einer Gruppe können Geld in einen gemeinsamen Topf geben, quasi als kollektives Bestechungsgeld für den Vorgesetzten, der sie kontrolliert. Schaffen sie 500 Punkte zusammenzubringen, hört die Überwachung auf.

    Nach jeder Runde zählen die Teilnehmer, wie viel Geld sie bekommen und wie viel sie ausgegeben haben, dann treffen sie ihre Entscheidung für die nächste Runde.

    Damit wird modellhaft folgende Situation nachgestellt: Nehmen wir ein konkretes Polizeirevier. Die Offiziere der mittleren Ebene stehen vor einer schwierigen Wahl: Ihr Gehalt ist niedrig, es besteht jedoch die Möglichkeit, es durch Bestechungsgelder aufzubessern. Dabei besteht das Risiko, dass sie von ihren Vorgesetzten erwischt werden. Dieses Risiko kann man jedoch senken, wiederum mithilfe von Schmiergeldern: Für eine Belohnung verschließt der Vorgesetzte die Augen vor dem Vergehen des Untergebenen. Auf diese Weise entsteht ein Korruptionsnetz.

    Neuer Vorgesetzter

    In der zweiten Spielphase nach acht Runden werden die Regeln geändert: Nun kann der gemeinsame Topf plötzlich unkontrolliert verschwinden. Wenn dies geschieht, sind die Gelder der Teilnehmer verbrannt, ihre Bestechlichkeit wird nicht länger gedeckt.

    Im richtigen Leben sähe das so aus: Der Vorgesetzte wird durch einen Neuen ersetzt. Von ihm ist nicht bekannt, ob er Schmiergelder akzeptiert oder nicht. Wenn er ehrlich ist, hat die Existenz eines gemeinsamen Topfs keinen Sinn mehr. Schmiergeld nimmt der neue Vorgesetzte sowieso nicht und er hat auch nicht vor, die Vergehen seiner Untergebenen zu decken.

    Gehaltserhöhung

    In der dritten Runde steigt das Einkommen der Teilnehmer auf 300 Punkte, Schmiergeld nicht eingerechnet. Doch wenn man geschnappt wird, muss man alle Bestechungsgelder zurückzahlen, plus in dieser Runde 300 Punkte. Doch die Spieler wissen nicht, ob der Vorgesetzte bestechlich ist oder nicht, genau wie in der zweiten Spielphase.

    Tatsächlich wurde diese Methode – Gehaltserhöhung in Kombination mit drastischen Strafen – im Kampf gegen die Korruption in Georgien und vielen anderen Ländern angewandt.

    In einer solchen Situation sollte jemand, der kein Risiko will, besser kein Bestechungsgeld annehmen.

    Kultur zwingt Polizisten bestechlich zu bleiben

    Die Unterschiede zwischen den Studenten und den Polizisten wurden sofort offensichtlich. Die Wissenschaftler hatten die Regeln sachlich neutral erklärt. Den Studenten war bis zum Schluss nicht klar, dass es sich um eine Art Test auf Korruptionsanfälligkeit handelte. Den Polizisten hingegen war dies sofort klar, als sie die Spielregeln hörten.

    Die Studenten bevorzugten insgesamt wesentlich öfter ehrliches Verhalten, während die Polizisten in der Mehrheit der Fälle Korruptionsnetze aufbauten.

    Interessant war, dass die Polizisten in der ersten Spielphase weniger Bestechungsgelder nahmen, später dann die Zahl der Bestechungsfälle anstieg, obwohl sich Korruption wirtschaftlich immer weniger lohnte. Dies bestätigte, dass in Bezug auf Korruption folgendes Gesetz gilt: Je mehr Druck der Beamte ausgesetzt ist und je höher das Risiko, desto aktiver nimmt er Bestechungsgelder an. Mithilfe der Bestechungsgelder versucht er, die gestiegenen Risiken zu kompensieren. Faktisch bedeutet das, dass Antikorruptionskampagnen im Rahmen der geltenden Normen nicht funktionieren. Doch Kultur und Normen bei der Polizei ändern sich sehr langsam.

    Die Entscheidung, kein Schmiergeld mehr an die Vorgesetzten zu zahlen, trafen die Polizisten erst in der dritten Spielphase, und auch dann nicht in allen Fällen. Die Studenten versuchten insgesamt seltener, ihre Vorgesetzten zu bestechen. Solche Versuche hatte es vor allem in der ersten Spielphase gegeben, in der zweiten und dritten Phase nahmen sie ab.

    Die Strategie der Studenten war verständlich: Sie nahmen Bestechungsgelder während der ersten und zweiten Spielphase, als es sich lohnte, in der dritten Phase bevorzugten sie ehrliches Verhalten. Die Polizisten ließen sich dagegen eher von gewissen Normen und Prinzipien leiten, denen eine Korruptionskultur zugrunde liegt. De facto verhalten sich Polizisten solidarisch und wählen, ohne sich untereinander abzusprechen, die korruptionsträchtigsten Vorgehensweisen.

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    „Der Kommissar ist ein sehr netter Mensch.“