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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Bystro #7: Putin Forever? Wie stabil ist das System?

    Bystro #7: Putin Forever? Wie stabil ist das System?

    Wie stabil ist das System Putin? Ein schneller Überblick in vier Fragen und Antworten – einfach durchklicken oder durchwischen.

    1. 1. Umfragen zufolge steigt derzeit die Protestbereitschaft in Russland. Können Proteste, wie die gegen die Rentenreform, das System Putin ins Wanken bringen?

      Tendenziell nicht. Obwohl sich die jüngsten Proteste teilweise nicht mehr nur gegen die Regierungspartei Einiges Russland, sondern auch gegen den Präsidenten wandten. Dennoch ist ihr Destabilisierungspotential recht gering: Der Druck der Straße ist üblicherweise nämlich dann am wirksamsten, wenn der Anteil von 15- bis 30-jährigen Männern an der Gesamtbevölkerung besonders hoch ist, und wenn die Arbeits-  und Perspektivlosigkeit in dieser Alterskohorte ebenfalls hoch ist. Dies ist in Russland bei Weitem nicht der Fall. 
      Allerdings sinkt das Realeinkommen nun schon seit vier Jahren in Folge, und notwendige Wirtschaftsreformen bleiben aus. Damit wächst in der Gesellschaft laut Umfragen sowohl die Unzufriedenheit mit der Staatsführung als auch der Ruf nach Veränderungen.

    2. 2. Immer wieder heißt es, dass immer noch zwei Drittel der Russen hinter ihrem Präsidenten stehen. Die Wahlen hat Putin auch gewonnen. Muss man das nicht anerkennen?

      Die Präsidentschaftswahl im März hat er zwar gewonnen, politische Konkurrenz war aber schon im Vorfeld unterbunden – es war also keine demokratische Wahl. Bei den Gouverneurswahlen im September musste die Regierungspartei Einiges Russland dann außerdem einige herbe Schlappen einstecken. Putins Zustimmungswerte liegen derzeit zwar tatsächlich bei 66 Prozent, sind damit aber seit April 2018 um 16 Prozentpunkte gesunken.

      Parallel zur steigenden Armutsquote wächst auch der gesellschaftliche Ruf nach Veränderungen. Umfragen zufolge ist dieser Wunsch erstmals seit Mitte der 1990er Jahre wichtiger als jener nach Stabilität. Der sogenannte Krim-Konsens scheint ebenfalls zu bröckeln, doch ist es unwahrscheinlich, dass der Kreml keine Gegenmaßnahmen ergreifen wird. In Rubel gerechnet ist der durchschnittliche Ölpreis 2018 so hoch wie noch nie, damit könnten aus dem Staatshaushalt zum Beispiel Sozialprogramme bezahlt werden, um neuen Zuspruch zu gewinnen.   

    3. 3. Der russischen Wirtschaft geht es schlecht. Bringt das Putin keine Minuspunkte in der Gesellschaft?

      Tatsächlich wächst die Unzufriedenheit mit dem System Putin: Die Korruption grassiert, gleichzeitig werden bei einem relativ hohen Ölpreis Steuern erhöht und das Rentenalter heraufgesetzt. Viele Menschen in Russland bekommen vor diesem Hintergrund vermehrt den Eindruck, dass „Menschen das neue Erdöl“ seien.
      Projektionsfläche für diese Unzufriedenheit ist allerdings nicht so sehr Putin, sondern vor allem Staatsbedienstete. Sie und ihre Familienmitglieder stellen in Russland rund zwölf Millionen Menschen. Sie sind gewissermaßen Profiteure des Systems und dürften kaum an Reformen interessiert sein. Demgegenüber gelten laut offiziellen Zahlen rund 20 Millionen (laut inoffiziellen: 36 Millionen) Menschen als arm. Da sich ihre Situation mit der Zeit verschlechtert, ist es denkbar, dass ihre Unzufriedenheit wachsen könnte.  

    4. 4. Und was sagen russische Wissenschaftler? Wie schätzen Sie die Stabilität des System Putin ein?

      Da gibt es unterschiedliche Szenarien. Da die Wohlstandsdividenden in den letzten Jahren wegbrechen, behaupten einige Politologen, dass die Verdienste (Meritokratie) Putins aus den 2000er Jahren heute nur noch eine Art Amtsbonus sind. Auch der Persönlichkeitskult bricht laut Soziologen ein. Das Regime sei eine lahme Ente, innenpolitisch weitgehend handlungsunfähig. Es habe zwar noch einige Stabilisierungs-Instrumente in petto, heute wirke aber vor allem das Feindbild legitimierend. Dies ist mittelfristig jedoch ein dünner Faden, der laut manchen Wissenschaftlern durchaus vom Westen eingerissen werden könnte. 
      Andere Wissenschaftler meinen dagegen, dass das Herrschaftssystem stabil und nachhaltig sei. Einer der wichtigsten Gründe sei die sogenannte Alternativlosigkeit: Durch die systematische Ausschaltung politischer Konkurrenz gebe es im heutigen Russland keine massentauglichen Alternativen, so die Argumentation. Hinzu kommen die in den letzten Jahren massiv ausgebauten Sicherheitsstrukturen: Solche Institutionen wie die Nationalgarde schaffen einerseits eine Drohkulisse, könnten bei Protesten andererseits aber auch die Repressionen verschärfen.



    *Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.

    Text: Anton Himmelspach
    Stand: 06.12.2018

    Diese Veröffentlichung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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    Der Westen als Vorbild?!

    Wenn westliche Russland-Experten dasselbe behaupten wie die russische Staatspropaganda, dann zweifeln viele automatisch an diesen Expertenmeinungen. In einem Punkt sind sich jedoch die meisten einig: dass der Westen sich gegenüber Russland oft bigott und arrogant verhalten habe. 

    Das Feindbild des arroganten und doppelmoralischen Westens gilt für viele Beobachter als die wichtigste Legitimationsgrundlage für das System Putin. Heißt es aber im Umkehrschluss, dass diese Grundlage ins Bröckeln käme, wenn westliche Länder etwa keine Projektionsfläche für „doppelte Standards“ böten? 

    Dieses Gedankenspiel beschäftigt den Wirtschaftswissenschaftler Dimitri Trawin auf Republic. Seine Überlegungen zum sogenannten Sonderweg Russlands und die Rolle des Westens dabei hat er kürzlich in einem Buch veröffentlicht.

    Ab und zu werde ich von ausländischen Journalisten gefragt, welchen Einfluss die Sanktionen auf die Lage der Dinge in Russland haben. Meine Antwort ist für gewöhnlich, dass sie Putins Regime gestärkt haben. Und: Falls ihr Land die Absicht gehabt haben sollte, den russischen autoritären Führer zu unterstützen, so kann man sagen, dass dies durchaus gelungen ist. 
    Die Wahrnehmung von einer belagerten Festung, die durch das Fernsehen bei den Zuschauern entsteht – wobei die Sanktionen eines der Argumente sind – führt zu dem logischen Schluss, dass man „die Pferde nicht mitten im Rennen wechselt“ und somit zu dem Wunsch, sich um Wladimir Putin zu scharen.

    Die belagerte Festung

    Oft sind meine Gesprächspartner verwundert. Schließlich hatten sie angenommen, dass die Sanktionen für Putin eine Strafe für Krim und Donbass sein sollten. Mich verwundert etwas anderes: Der enge Denkhorizont der westlichen Politiker und Journalisten. 
    Manchmal lenke ich das Gespräch auf ein angrenzendes Thema und sage: Falls Sie Russland wirklich helfen wollen, dann kehren Sie erstmal vor der eigenen Tür, machen Sie sich zu einem wahrhaften Vorbild für Entwicklungsländer, wie wir eines sind. Das wäre die beste Unterstützung für die Demokratie in Russland. O weh, nach einer solchen Wendung verlieren die Gesprächspartner gewöhnlich jedwedes Interesse am Thema.

    Schade eigentlich. Denn eine echte Auseinandersetzung mit der Frage, was aus Russland wird und wie der Westen der Demokratie in Russland helfen kann, beginnt gerade dort, wo es um den Zustand der Demokratien im Westen geht. Schließlich sind die Sanktionen nicht mehr als eine formale Reaktion auf die Politik des Kreml. Das sind Pflichtübungen des Westens, aber kein Vorgehen nach gesundem Menschenverstand. Politiker mussten reagieren, damit sie von der Opposition nicht der Untätigkeit bezichtigt werden, und sie haben reagiert. Das aber, was den Westen jetzt wieder für uns attraktiv mache könnte, verlangt von den ausländischen staatlichen Akteuren keine Reaktion „aus Pflichtbewusstein“, sondern einen tiefgreifenden Wandel.

    Zum Beispiel Katalonien

    Ein aktuelles Beispiel: Die spanische Staatsanwaltschaft hat 25 Jahre Gefängnis für den stellvertretenden Ministerpräsidenten Kataloniens gefordert, der des Separatismus beschuldigt wird. Man will jemanden nur deshalb praktisch lebenslang hinter Gitter bringen, weil er die Unabhängigkeit seiner Heimat erreichen wollte, und zwar nicht durch einen Militärputsch, sondern mit demokratischen Mitteln. Man kann über den katalanischen Wunsch, den spanischen Staat zu verlassen, unterschiedlicher Meinung sein, doch gibt es im Grunde keinen Zweifel daran, dass es der aufrichtige Wunsch eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft ist und nicht eines kleinen Grüppchens von Aufrührern. Das heißt, dieser „Separatismus“ ist eine politische Frage, keine strafrechtliche. Und die muss über einen Dialog mit den „Separatisten“ gelöst werden, und nicht so, wie die spanische Staatsanwaltschaft es angeht.

    Vor dem Hintergrund des Vorgehens der „spanischen Demokratie“ erscheint das Vorgehen des Kreml zur Festigung des „vereinten und unteilbaren“ Russlands (um es mit einer Parole der Weißen im Bürgerkrieg zu formulieren), durchaus akzeptabel. Immerhin legitimiert eines der führenden Länder Europas mit seinem Vorgehen praktisch jedwede Unterdrückung von Separatismus in Entwicklungsländern. Jeder autokratische Politiker kann jetzt sagen, dass das Bestreben eines Volkes, aus einem Imperium auszuscheiden, sogar aus Sicht europäischer Demokratien scharf unterbunden werden muss. 

    Autoritäre Bestrebungen in der EU

    Ein weiteres Beispiel: Ein Vierteljahrhundert (von dem Moment der Samtenen Revolutionen 1989 in Mittel- und Osteuropa an) wurde davon geredet, dass die Tschechen, Slowaken, Polen, Ungarn, Bulgaren und Rumänen bewusst den Weg der Demokratie gewählt hätten und dass die Erfolge dieser Völker auf deren Streben nach europäischen Werten beruhen würden. Heute jedoch können wir beobachten, wie in Ungarn die Grundlage für ein autoritäres Regime gelegt wird. Und die derzeitige polnische Regierung wurde von einem bekannten demokratischen Politiker des Landes in meiner Anwesenheit als „Liliput-Regime“ bezeichnet – also ein seinem Wesen nach Putinsches Regime, nur weniger hart.

    Wobei die Verstärkung autoritärer Bestrebungen in Mittel- und Osteuropa längst nicht das Wichtigste ist, das den Autoritarismus in Russland stärkt. Über Polen und Ungarn wird selbst in unserem Fernsehen nicht viel gesprochen (es ist kein sonderlich bequemes Thema für die Propaganda). Das größte Problem ist die Ukraine. Niemand hat mehr für die Festigung des Putinschen Regimes getan als die Akteure in der ukrainischen Politik in den letzten Jahren. Sie haben mit ihrer absoluten Ineffizienz ein praktisch ideales Beispiel geschaffen, das sich endlos im russischen Fernsehen hin- und her wälzen lässt. Dem Durchschnittsbürger wird dabei Angst gemacht, was mit unserem Land geschieht, falls anstelle des „großen Putin“ ein Maidan kommt und eine antistaatliche Elite antritt, die eine Demokratisierung der Gesellschaft anstrebt.

    Vor 15 Jahren (während des ersten Maidan) hatte es viel Hoffnung gegeben, dass die Ukraine Russland beispielhaft eine wirkungsvolle demokratische Entwicklung vor Augen führen werde. Leider ist nichts dergleichen geschehen. Die Ukraine ist ein Beispiel für einen demokratischen, aber ineffizient funktionierenden Staat. In Lateinamerika hat es eine Vielzahl solcher Beispiele gegeben, und auch heute stehen die Dinge in einigen Ländern nicht besser. Aber das ferne Amerika ist eine Sache – die uns (territorial und kulturell) nahestehende Ukraine, die zu einem der ärmsten Staaten Europas geworden ist, eine andere.

    Natürlich lässt sich die Oberhand des heutigen Russlands in Bezug auf die Ukraine nicht an den Vorteilen der Putinschen Autokratie gegenüber einer schwachen Demokratie festmachen. Aller Wahrscheinlichkeit nach befände sich die Wirtschaft in Russland – wenn wir nicht all das Öl und Gas hätten – ungefähr auf dem gleichen Niveau wie die der Ukraine. Das sind aber „Feinheiten“, in denen die Experten graben können. Für den russischen Durchschnittsbürger ist die Ukraine ein klassisches Beispiel dafür, was man nicht tun sollte. Nicht umsonst widmet das russische Fernsehen diesem Land derart viel Aufmerksamkeit. Gäbe es das Phänomen Ukraine nicht – der Kreml müsste es im eigenen Interesse erfinden.

    Die US-amerikanische Tragödie

    Lassen wir nun trotzdem die Politik beiseite und wenden uns der Wirtschaft zu. Hier gibt es ein für uns äußerst wichtiges Beispiel: Griechenland, ein Land, das in eine ernste Krise gestürzt ist, weil es nicht in der Lage war, mit seinen Mitteln zu haushalten. Der Fall Griechenland führte aller Welt (auch den russischen Normalverbrauchern) vor Augen, dass die westlichen Länder eine Pyramide aus Staatsschulden anhäufen. In der Regel brechen solche Pyramiden nicht zusammen, aber wer weiß schon, wie das in Zukunft sein wird? Und so wird in der Bevölkerung Russlands die Vorstellung immer populärer, dass die USA überhaupt nichts außer grünen Papierchen produzierten und dieses Land nur ein Parasitendasein friste. Statt von effizienten amerikanischen Unternehmen zu lernen, wie eine Marktwirtschaft zu führen ist, richtet Russland seine Aufmerksamkeit vor allem auf die Ineffizienz des amerikanischen Staates, auf die Ineffizienz des Militarismus und der sozialen Sicherungssysteme, durch die die Staatsschulden genährt werden.

    Das wichtigste Problem mit Amerika liegt allerdings weniger in der Pyramide der Staatsschulden. Ich erinnere mich sehr wohl, wie leicht in der Ära von Gorbatschows Perestroika Überlegungen aufgenommen wurden, dass die USA nicht so sehr unser Feind als vielmehr ein interessantes Beispiel einer effizienten Wirtschaft sind, die es ernsthaft zu studieren gilt. Die langjährige antiamerikanische Propaganda der Sowjetunion hat kaum zu einer tiefen Verwurzelung antiamerikanischer Gefühle geführt. Das Durcheinander in unserem Land erzeugte bei normalen Leuten das natürliche Bedürfnis, positive Beispiele im Ausland zu suchen. Da sich die Erwartungen, dass wir wirtschaftlich genauso erfolgreich wie Amerika sein würden, nicht erfüllten, änderte sich die Lage in den 1990er Jahren jedoch allmählich. Den heftigsten Schlag für die eigene Reputation fügten sich die Amerikaner allerdings selbst zu. Der Krieg im Irak und das aktive Bestreben, in diversen Regionen der Welt den politischen Einfluss der USA zu verstärken, führten zu einer Akzentverschiebung im Diskurs – weg von den Erfolgen der amerikanischen Wirtschaft hin zu den Niederlagen der amerikanischen Außenpolitik. Und heute ist es selbst im Gespräch mit eher intellektuell angehauchten Menschen sehr viel schwieriger, über positive amerikanische Erfahrungen zu sprechen als noch vor 30 Jahren.

    Große Reformen oder Great Depression?

    Die Wahl unseres Weges wird zu großen Teilen davon abhängen, ob die Länder des Westens in der Lage sein werden, das eigene Haus in Ordnung zu bringen, bevor das Putinsche Regime in die Krise gerät und in Russland erneut über Veränderungen nachgedacht wird. In der Geschichte Russlands ist es mehrfach so gewesen, dass durch positive Erfahrung in Europa eine Verwestlichung angeregt wurde, während negative Erfahrungen nach einem Sonderweg suchen ließen.

    Die Petrinischen Reformen sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass der junge Zar den klaren Vorsprung der führenden europäischen Länder beim Schiffbau, bei der Organisation der Armee, im Finanzwesen und bei der Entwicklung jener Bürokratie gesehen hatte, ohne die keine Steuern eingetrieben, kein Militärhaushalt erstellt und keine Armee mit Essen, Kleidung und Munition versorgt werden können. 
    Die Großen Reformen Alexanders II. waren zu erheblichen Teilen dadurch bedingt, dass es in verschiedenen europäischen Ländern mehr Freiheiten gab und damit auch ein wirtschaftlicher Fortschritt verbunden war: Man denke nur an die Abschaffung der Leibeigenschaft in Preußen und Österreich-Ungarn und die Umsetzung der Freihandelspolitik in England und Frankreich. Die Perestroika unter Michail Gorbatschow wurde durch die deutlichen Erfolge der westlichen Wirtschaft angeregt – während sämtliche sowjetische Versuche scheiterten, das Warendefizit zu beseitigen und die Bürger der UdSSR wenigstens mit einem Mindestmaß an Waren zu versorgen, die für ein normales Leben gebraucht werden.

    In jenen Zeiten jedoch, als die Vorzüge des Westens eher zweifelhaft waren, in denen sich der Westen in seinen eigenen Widersprüchen verfing und riesige menschliche und ökonomische Verluste erlitt, verhielt Russland sich anders. So beförderte die Krise, die durch den Ersten Weltkrieg mit seinen gewaltigen Opfern ausgelöst wurde, eindeutig die Russische Revolution und – wichtiger noch – den Umstand, dass anschließend der fatale Weg des Bolschewismus eingeschlagen wurde. 
    In jener Zeit schien es, als würden die Phantasien der Marxisten eine Chance für Erfolg bedeuten, da der Weg, den die westliche bourgeoise Welt bereitet hatte, garantiert – wie Lenin schrieb – in einen monopolistischen, vor sich hin faulenden und parasitären Imperialismus führen werde, der in blutige Kriege mündet. Darüber hinaus trug die Weltwirtschaftskrise, die Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre in den Ländern des Westens ausbrach, dazu bei, dass sich die Illusion von der Effizienz des Stalinschen Wirtschaftsmodells verbreitete: Da werden Fabriken gebaut, da zeigt die Statistik nach oben, da bekommen die Menschen neue Arbeitsplätze und irren nicht – wie im Westen – als Arbeitslose umher.

    Wenn der Westen nicht bis zu dem Zeitpunkt, da eine Reform des Putinschen Systems einsetzt, als gutes Beispiel für Russland dasteht, wird es erneut eine Suche nach einem Sonderweg geben. Umso mehr, als nebenan China heranwächst, ein autoritär regiertes Land mit starkem BIP-Wachstum, beeindruckenden Bauten, strenger Disziplin … und mit vielen Problemen, die sorgsam vor fremden Blicken versteckt werden.

    Diese Übersetzung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Zitat #6: Protest macht Gouverneure

    Zitat #6: Protest macht Gouverneure

    Bewegung unter den russischen Gouverneuren: Bei den Gouverneurswahlen am Einheitlichen Wahltag Anfang September konnte in mehreren russischen Föderationssubjekten kein Kandidat eine absolute Mehrheit erzielen, weshalb dort Stichwahlen angesetzt wurden. Am Sonntag fanden diese im Chabarowski Krai sowie in der Oblast Wladimir statt. In beiden Fällen gewannen überraschend die Kandidaten der LDPR und nicht die Amtsinhaber der Regierungspartei Einiges Russland, die traditionsgemäß die überwältigende Mehrheit aller Gouverneure in Russland stellt.

    Bereits in der vergangenen Woche entschied im Primorski Krai der Kandidat der systemoppositionellen KPRF die Mehrzahl der Wahlbezirke für sich – die Ergebnisse wurden jedoch später wegen massiver Wahlmanipulationen zugunsten des Gegenkandidaten von Einiges Russland annulliert.

    Was ist da los? Woher kommen die plötzlichen Erfolge von LDPR und KPRF? dekoder hat drei Statements von kremlkritischen Politologen und Journalisten übersetzt.

    Ekaterina Schulmann (Echo Moskwy): Nicht aus Liebe 

    Politologin Ekaterina Schulmann hat bereits im Wahlergebnis des Primorski Krai vor allem einen Ausdruck des Protests gesehen, wie sie im Interview auf Echo Moskwy äußerte: 

    [bilingbox]Die heutigen Wähler stimmen für den Kandidaten aus der Opposition nicht aus Liebe zu dem Kandidaten aus der Opposition. Sie wissen oft nicht einmal, wie er heißt, wer das überhaupt ist. Sie wollen gegen die Amtsinhaber, gegen die herrschende Regierung stimmen. Es ist genau, was der von mir bereits zitierte Alexander Kynew folgendermaßen nannte: „Wähl einen Teufel mit Glatze, aber ja nicht den Kandidaten von Einiges Russland.“~~~Нынешний избиратель не голосует за оппозиционного кандидата из любви к этому оппозиционному кандидату. Он вообще не знает часто, как его зовут, кто он такой. Он хочет голосовать против инкумбента, против действующей власти. Это вот ровно то, что уже цитировавшийся мной Александр Кынев, называет «за черта лысого, только бы не а «Единую Россию».[/bilingbox]

    erschienen am 18.09.2018

    Kirill Rogow (Facebook): Das wird ein grausamer Kampf

    Der Politologe und Journalist Kirill Rogow spricht auf Facebook gar von einer „Anti-Kreml-Rallye“ und wittert nach den Ergebnissen aus der Oblast Wladimir neue Machtkämpfe im Kreml selbst:

    [bilingbox]Eine solch vernichtende Niederlage hätte ich, wie wohl alle, nicht erwartet. Beeindruckend ist Folgendes: Sobald die Menschen im ersten Wahlgang gesehen haben, dass es möglich ist, sind sie in den kleinen Spalt, der da entstanden war, hineingesprungen, um zu sagen, was sie wirklich denken. Gute Nacht und träumt schön.
    Das Spannendste liegt noch vor uns: Wenn es an die schonungslose Aufarbeitung des Themas innerhalb der Kremlmauern geht. Das wird ein grausamer Kampf mit unerwarteten Opfern. ~~~В принципе, такого разгрома я, конечно, как и все, не ожидал. Впечатляет вот это: как только люди увидели в первом туре, что это можно, они просто рванули в образовавшуюся расщелину, чтобы сказать, что они на самом деле думают.
    Спокойной ночи и хороших снов.
    Главная интрига впереди – это суровая разборка внутри кремлевских. Борьба будет жесткой и с неожиданными жертвами.[/bilingbox]

    erschienen am 24.09.2018

    Alexander Morosow (Facebook): Kluge Vorschläge der Polittechnologen

    Der kremlkritische Journalist Alexander Morosow lenkt in einem Kommentar auf Facebook sein Augenmerk darauf, was sich nun insgesamt in der politischen Landschaft Russlands ändern könnte:

    [bilingbox]Als Ergebnis der Gouverneurswahlen […] gab es von Seiten der Experten, die für Kirijenko arbeiten, bislang zwei äußerst kluge Vorschläge: Matweitschew schlug vor, dass die Gouverneure wieder ohne jegliche Demokratiespielchen direkt ernannt werden sollen; Gleb Kusnezow sprach sich für eine harte Bestrafung der drei im Parlament vertretenen Parteien aus, die als Juniorpartner von Einiges Russland auftreten – aufgrund unwürdigen Verhaltens und Erpressung.
    Gewiss, betrachtet man die Tränen der Pamfilowa, dann ist es schwierig, etwas noch Klügeres zu fordern als die Zerschlagung von KPRF-LDPR-SR und das Einstellen des idiotischen Zensus-Systems zur Vergabe von Vollmachten für die Statthalter in der Provinz.~~~по итогам губернаторских выборов, – омраченных вторыми турами (т.е. де-факто "невыполненными договоренностями") со стороны экспертов, работающих на Кириенко, пока поступили два разумных предложения: от Матвейчева – вернуться к практике прямого назначения губернаторов без всякой "игры в демократию", от Глеба Кузнецова – жестоко наказать три парламентские партии, выступающие "младшими партнерами" ЕР, за недостойное поведение и шантаж.
    Действительно, глядя на "слезы Памфиловой" трудно предложить, что-то более разумное, чем устроить разгром КПРФ-ЛДПР-СР и перестать дурачиться со сложной цензовой системой выдачи "ярлыков" наместникам в провинции.[/bilingbox]

    Vorläufiges Ergebnis der Stichwahl vom 23.9. in der Oblast Wladimir im Vergleich zum ersten Wahlgang am 9.9.

     


    Zum Zoomen mit dem Mausrad die Strg-/Ctrl-Taste gedrückt halten oder in den Vollbildmodus wechseln. Viele der Wahlbezirke, die im ersten Wahlgang noch an die Amtsinhaberin und Kandidatin von Einiges Russland Swetlana Orlowa (blau) gegangen sind, konnte der LDPR-Kandidat Wladimir Sipjagin (gelb) in der Stichwahl für sich entscheiden. Quelle: ZIK

    Diese Übersetzung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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    Infografik: Das Wahlwunder von Primorje

    Fast wäre Andrej Ischtschenko Gouverneur geworden. Gouverneur des Primorski Krai mit der Hauptstadt Wladiwostok im Fernen Osten Russlands. Nachdem am Einheitlichen Wahltag am 9. September keiner der Kandidaten dort eine absolute Mehrheit erzielen konnte, kam es am Sonntag zur Stichwahl zwischen Andrej Ischtschenko von der Kommunistischen Partei und dem Interims-Amtsinhaber Andrej Tarassenko von Einiges Russland. Während der Auszählung sah es die meiste Zeit gut aus für den Kommunisten – doch dann änderte sich das Ergebnis schlagartig.

    Ein Kommunist als Gouverneur – das wäre im gegenwärtigen Russland eine Sensation gewesen. Von den über 80 Föderationssubjekten werden die allermeisten von Mitgliedern der Machtpartei Einiges Russland geführt, nur zwei Gouverneure sind dagegen von der KPRF. 

    Nun sah es lange so aus, als würde mit Andrej Ischtschenko ein dritter dazu kommen. Als 95 Prozent aller Protokolle aus den Wahllokalen ausgewertet waren, führte Ischtschenko noch mit fast 6 Prozentpunkten Abstand gegenüber seinem Kontrahenten Tarassenko (51,6 Prozent zu 45,8 Prozent). Medienberichten zufolge gab es später über eine Stunde lang keine Aktualisierungen mehr auf der Seite der Zentralen Wahlkommission

    Bei einem Auszählungsstand von 99 Prozent aller Protokolle sah das Ergebnis jedoch ganz anders aus: Plötzlich lag Interims-Amtsinhaber Tarassenko vorn. Im vorläufigen Endergebnis wird dessen Stimmanteil mit 49,55 Prozent angegeben, der von Ischtschenko mit 48,06 Prozent. Das bedeutet, dass die neuen bzw. geänderten Ergebnisse aus nur einer Handvoll Wahllokalen den plötzlichen Sprung im Gesamtergebnis verursacht haben. Welche das sind, lässt sich in unserer Karte mit der entsprechen Filterauswahl nachvollziehen:

     


    Zum Zoomen mit dem Mausrad die Strg-/Ctrl-Taste gedrückt halten oder in den Vollbildmodus wechseln. Die Auswahl „Neue Ergebnisse“ zeigt Wahllokale, deren Protokolle um 6:41 Uhr Moskauer Zeit erstmals in der Gesamtrechnung berücksichtigt wurden. „Geänderte Ergebnisse“ zeigt Wahllokale, deren bereits berücksichtigte Protokolle noch nachträglich umgeschrieben wurden. Dargestellt sind 1310 von 1537 Wahllokalen – für die fehlenden lagen keine Koordinaten vor. Quelle: ZIK

    Die KPRF spricht von Wahlfälschungen, ihr Kandidat Ischtschenko hat auf seiner Facebook-Seite zum Protest aufgerufen und einen Hungerstreik verkündet. Auch Wahlanalysten äußern Zweifel an einem regelkonformen Zustandekommen eines solch abrupten Wechsels in den Ergebnissen. So schreibt etwa Alexander Kirejew auf seinem Blog: „Genau so sieht es aus, wenn Wahlergebnisse nachträglich umgeschrieben werden.“ 

    Der Physiker Sergej Schpilkin, der auch schon Unregelmäßigkeiten etwa bei der Dumawahl 2016 oder der diesjährigen Präsidentschaftswahl publik gemacht hatte, weist auf Besonderheiten in der Stimmverteilung hin. Diese werden erkenntlich, wenn man die Ergebnisse aus den Wahllokalen nach deren Wahlbeteiligung sortiert und in einem sogenannten Histogramm darstellt:

     

    Quelle: ZIK

    Die Glockenkurve um die Spitze bei etwa 30 Prozent Wahlbeteiligung markiert für Schpilkin den Bereich, der am ehesten einer Gaußschen Normalverteilung gleicht, was Schpilkin als Indiz für eine weitgehend ehrliche Auszählung wertet. Dort hat tatsächlich der Kandidat der KPRF mehr Stimmen geholt. 

    Der Kandidat von Einiges Russland dagegen hat deutlich mehr Stimmen in den Wahllokalen mit überdurchschnittlich hoher Wahlbeteiligung geholt. Der berühmte „Zackenbart“, die Ausreißer bei bestimmten Wahlbeteiligungs-Werten am rechten Ende der Skala (oft bei runden Zahlen wie 80 oder 95 Prozent), die eine deutliche Abweichung von einer Normalverteilungskurve darstellen, deuten für Schpilkin auf erfundene Ergebnisse hin.

    Ella Pamfilowa, Chefin der Zentralen Wahlkommission, erklärte, dass man erst allen Beschwerden nachgehen wolle, bevor das amtliche Ergebnis der Gouverneurswahl im Primorski Krai verkündet wird. Dabei schloss sie auch eine Annullierung der Wahl nicht aus. 

    Update: Am 20. September hat die Wahlkommission des Primorski Krai die Ergebnisse der Stichwahl vom 16. September für ungültig erklärt. Eine Wiederholung der Wahl fand am 16. Dezember statt. Andrej Ischtschenko von der Kommunistischen Partei blieb die Zulassung zur Wahl verwehrt. Eine Reihe von Wahlbeobachtern sprach in diesem Zusammenhang von einem Verstoß gegen das Wahlrecht. Außerdem gab es zahlreiche Hinweise auf Wahlfälschungen. Laut offiziellem Wahlergebnis gewann Oleg Koshemjako, der neue Kandidat von Einiges Russland, mit rund 62 Prozent der Stimmen.

    Text und Datenvisualisierung: Daniel Marcus
    erschienen am 17.09.2018 (Aktualisierung: 17.01.2019)

    Diese Infografik wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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    Kann Russland überhaupt Demokratie?

    Brauchen die Russen eine harte Hand? Haben sie die Regierung, die sie eben verdienen und schließlich ja auch gewählt haben? Oder sind sie naiv und von der Staatsmacht verführt? Wirtschaftswissenschaftler Dimitri Trawin fragt und kommentiert auf Rosbalt.

    Dieser Artikel ist nicht für Menschen, die denken, dass an den russischen Problemen die Engländer, Amerikaner oder dеr Backstage-Bereich der Welt schuld sind, dass Obama in unsere Hauseingänge gepisst hat, und Uljukajew (aus dem Kerker) im Auftrag des CIA oder des State Department das Rentenalter anhebt. Dieser Artikel ist, genau genommen, nicht mal für die, die nach Schuldigen suchen, sondern für die, die mal richtig aufräumen und die Perspektiven unseres Landes verstehen wollen.

    Es gibt zwei uralte Bonmots zum Verhältnis von Staatsmacht und Gesellschaft. Das erste lautet: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“, das zweite: „Nach all dem, was die Regierung dem Volk angetan hat, ist es ihre Pflicht, das Volk auch zu heiraten.“ 
    Das erste Bonmot erlegt die Schuld dem Volke auf, das nicht in der Lage ist, sich für eine anständige Regierung zu entscheiden. Das zweite setzt die Beziehung zwischen Staatsmacht und Gesellschaft einer Vergewaltigung gleich, oder zumindest einer zynischen Verführung, bei der das naive, empfängliche Volk eher zu bemitleiden denn zu verurteilen ist.

     Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient

    Aus dem Unterschied dieser analytischen Ansätze ergibt sich auch ein Unterschied im praktischen Vorgehen. Wenn das Volk unfähig ist und selbst das Regime hervorbringt, das ihm das Fell über die Ohren zieht, dann hieße das, dass es für Russland wenig Hoffnung gibt: Unsere Wirtschaft wird auf ewig stagnieren, reich werden nur diejenigen, die Zugang zum Kreml haben, während für das Volk höchstens mal das Renteneintrittsalter, mal die Steuern erhöht werden. Und ergo jeder, der so nicht leben will, sollte sich wohl besser auf und davon machen.
    Wenn es sich bei dem Problem aber um Vergewaltigung oder Verführung handelt, dann gäbe es perspektivisch Hoffnung. Schließlich könnte das Leben ohne den Vergewaltiger oder Verführer anders werden, natürlich nur, wenn das Volk nicht auf ein Abenteuer aus ist, mit dem es sich ins eigene Fleisch schneidet.

    Auf den ersten Blick scheint es, als habe das Volk genau das, was es verdient. Wir gehen zur Wahl, werfen Stimmzettel ein, unterstützen ein ums andere Mal die immer Gleichen, auch wenn das Leben dadurch keineswegs besser wird. Wir liebedienern, fallen vor unserem Herrn auf Knie, damit er uns verschone und jene bestrafe, die uns beleidigen. Wir arbeiten schlecht: sind alle hinter dem Öl her, hinter dem Gas, oder wollen unbedingt bei den Silowiki unterkommen, in den Sicherheitsapparaten, wo das Einkommen höher ist und die Arbeit weniger … Wenn das Volk mehr in jenen Bereichen arbeiten würde, wo es keine monströsen Einkommen gibt, wo wenig gezahlt wird, der Nutzen für die Gesellschaft aber groß ist … Das wäre vielleicht gut …

    Rationales Verhalten

    Stopp. Wir bauen ja nicht den Kommunismus auf, sondern entwickeln eine Marktwirtschaft. Und wir erkennen an, dass wir des Geldes wegen arbeiten, dass wir unsere Familie gut versorgen und ein gemütliches Zuhause und ein Auto haben wollen – und nicht den Traum von einer lichten Zukunft, die irgendwann anbricht … oder wohl eher nicht anbricht. In der Marktwirtschaft – in unserer, in der finnischen, in der amerikanischen – versuchen die Menschen, sich rational zu verhalten, also eben dort zu arbeiten, wo es ihnen etwas bringt.
    Eine andere Frage ist jedoch, dass es in einigen Ländern etwas bringt, ein Unternehmen aufzubauen, sich fortzubilden, Geld in langfristige Projekte zu investieren, während es in anderen besser erscheint, beim Staat unterzukommen, in der Hoffnung, wenigstens einen kleinen Teil jener Ölrente zu ergattern, von der sich vor allem diejenigen eine Scheibe abschneiden, die Verbindungen zur obersten Etage der Macht haben. Bei uns ist das zweite der Fall.

    Einfacher gesagt, verhalten sich die Menschen bei uns ungefähr so wie Menschen in anderen Marktwirtschaften auch: Sie suchen sich einen Platz, wo es gut ist, und sind bei entsprechenden Anreizen bereit, ordentlich zu schuften. Unser Staat hat allerdings ein System von Anti-Anreizen geschaffen und nötigt die Gesellschaft weniger zur Arbeit denn zur Raffgier. Und die Leute raffen, wie an ihrer Stelle und unter diesen Umständen auch Finnen oder Amerikaner raffen würden. Eine Marktwirtschaft mit guten Institutionen (Spielregeln) ist eine Methode, um reicher zu werden. Eine Marktwirtschaft mit schlechten Institutionen bedeutet den Weg in den Niedergang.

    Rational in der Wirtschaft, irrational in der Politik?

    Aber halt, könnte nun jemand sagen, der der Ansicht ist, dass das Volk bei uns dennoch nicht ganz richtig tickt. In der Wirtschaft verhalten sich diese Menschen womöglich rational, fast wie die Menschen im Westen, aber in der Politik sind sie irrational. Sie wählen Putin und demzufolge jene hässlichen Spielregeln, die er für sie geschaffen hat. Somit wäre das Volk dennoch eines solchen Präsidenten mit all seinen Deputaten, Bürokraten, Abreks und Kunaks würdig.

    Nehmen wir einmal an, das Volk würde das verdienen. Doch wenn es unsere Aufgabe ist, nicht einfach nur das Volk zu verurteilen und selbst aus Russland zu verduften, sondern auch zu verstehen, was man tun kann, dann werden wir wiederum weniger vom Volk enttäuscht sein. 
    Schließlich versucht Putin strikt, jedwede Alternative zu ihm, dem Geliebten, aus der Politik fernzuhalten, und versetzt den Wähler in eine ausweglose Lage. Wahlen geraten zu einem formalen Urnengang ohne reale Wahl – und die scheinbare Demokratie wird zu einem typischen autoritären Regime. In diesem Regime macht es keinen besonderen Unterschied, ob wir für Putin stimmen oder etwa diese Farce von Wahl boykottieren. Ein rational veranlagter Wähler denkt sich doch: Wenn mir die Wahl geboten wird zwischen einem realen Anführer, mit dem ich schon fast 20 Jahre mehr schlecht als recht lebe, und einer Truppe Clowns, von denen wer weiß was zu erwarten ist, wäre es da nicht besser, Putin zu unterstützen?

    Und die Deutschen?

    Rein moralisch erscheint mir persönlich eine solche Auswahl sehr schlecht. Aber wie bei der Abwanderung in die Sicherheitsbehörden oder in die Gaswirtschaft um des vielen Geldes wegen wirkt eine Stimmabgabe für Putin rational. Unser Wähler fürchtet das Chaos, ganz wie es auch der wohlsituierte Bürger eines westlichen Landes fürchtet. Allerdings wäre da noch der Umstand, dass der russische Durchschnittsbürger heute die Gefahren eines Lebens ohne das Patronat Putins sehr übertreibt, was angesichts der Propaganda, die sich über sein schwaches Haupt ergießt, auch nicht verwunderlich ist. In einer solchen Situation wären die Deutschen genauso durch den Wind wie Angehörige vieler anderer Nationen, die heute durchaus als zivilisiert angesehen werden.

    Die Deutschen, wie auch andere Völker hatten jene menschenverachtenden Regierungen durchaus verdient, die sie sich geschaffen hatten. Und sie verhielten sich diesen Regierungen gegenüber durchaus rational. Wobei sie mit dieser Rationalität bis zur Unmenschlichkeit gingen. So ermordeten sie beispielsweise Juden, weil diese Grausamkeit damals befördert wurde. Und als das Regime gewechselt hatte, machten sich die Deutschen umgehend an den Aufbau einer zivilisierten Gesellschaft mit Demokratie und Toleranz. Weil unter dem neuen Regime genau dies befördert wurde. 
    Aus moralischer Sicht ist die Leichtigkeit, mit der ein Volk sich einerseits dem Bösen, andererseit dem Guten hingeben kann, natürlich widerwärtig: Nicht umsonst zeigen die Deutschen bis heute Reue. Wenn wir jetzt nicht das Problem der Moral analysieren, sondern der Frage einer normalen gesellschaftlichen Entwicklung nachgehen wollen – nach dem Wechsel von einem menschenverachtenden Regime hin zu einem menschlichen – stellt sich heraus, dass so etwas durchaus möglich ist.

    Das Rationale gerät zum Konformismus

    „Also ist es so, dass jedes Volk jederzeit in der Lage ist, eine Demokratie zu errichten?“, würde jetzt lächelnd ein Skeptiker fragen, der nicht an die Möglichkeit glaubt, dass sich Russland entwickeln könnte. Natürlich nicht jedes Volk. Eine normale Entwicklung ist für gewöhnlich dann nicht möglich, wenn in der Gesellschaft irrationales Verhalten gegenüber rationalem eindeutig dominiert. Wenn man also, sagen wir mal, unbedingt Kommunismus aufbauen will, auch wenn einem der gesunde Menschenverstand sagt, dass sich das nicht umsetzen lässt. Oder wenn Gebete als Mittel zur Lösung von Problemen des Diesseits (Lohnerhöhung, bestandene Prüfungen usw.) angesehen werden. Oder wenn plötzlich freigesetzte Leidenschaft über den Verstand dominiert.

    Vor rund hundert Jahren dominierten in Russland Leidenschaften, Gebete und phantastische Träume der breiten Masse deutlich über dem rationalen Wunsch eines kleinen Teils der Gesellschaft nach dem Aufbau von Marktwirtschaft und Demokratie. Heute ist das umgekehrt. Die Massen sind höchst rational geworden. Allzu rational, wie es manchmal scheint. Das Rationale gerät zum Konformismus und zu offenem Opportunismus und Duckmäusertum. Bei Leuten mit Gewissen ruft das Abneigung hervor. Und es fallen Schlagwörter wie: „Gesocks“, „Watniki“, „Sowok“.

    Nichtsdestotrotz können die pragmatischen, rationalen und konformistisch eingestellten Russen – wie in der Vergangenheit auch andere Völker – leicht zu normalen Bürgern einer zivilisierten Welt werden, wenn das Regime aufhört, uns alle möglichen destruktiven Stimuli zu bieten.

    Normale Wahlen bringen uns dazu zu überlegen, welcher Kandidat besser ist (wie es die Menschen Anfang der 1990er Jahre taten). Eine normale Wirtschaft bringt uns dazu, Waren herzustellen, die nachgefragt werden (wie es Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre der Fall war), und nicht dazu, sich einem gaunerhaften Staat anzudienen.

    Wie aus diesem destruktiven System ein normales Russland aufzubauen wäre, ist eine gesonderte Frage, die sich in einem kurzen Artikel nicht erörtern lässt. Dass aber unser Volk bei vernünftigen Spielregeln zu einer konstruktiven Entwicklung in der Lage ist, daran habe ich persönlich keinen Zweifel.

    Diese Übersetzung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Attribute der Macht

    Attribute der Macht

    Seit Mitte der 2000er Jahre strahlt das russische Fernsehen eine „visuelle Konstante“ aus, die man „öfter sieht als den Wetterbericht“.1 Auf diese Pointe brachte es der russische Politologe Alexander Elin. Gemeint ist Wladimir Putin.
    Dabei ist der Präsident nicht nur in staatsnahen Medien allgegenwärtig: Viele russische Souvenirläden bieten entsprechende Devotionalien feil, T-Shirts mit Putins Konterfei kann man an Moskauer Flughäfen sogar im Automaten kaufen, und auf YouTube findet man rund ein Dutzend Loblieder auf den Leader

    Worin besteht der so oft in unabhängigen Medien kolportierte Persönlichkeitskult um Putin? Welche Attribute werden dem Leader zugeschrieben? Und auf welche Kraft setzt der Kreml bei den Bildern?  

    Putin-Ikonen aus der Bildersuche von Yandex. Solche Devotionalien bekommt man auch in manchen russischen Souvenirshops / Bild © Screenshot aus der Yandex-Bildersuche nach „Putin Ikona“

    Charisma und Verdienste

    In autoritären Systemen sollen das Charisma sowie die Verdienste des Herrschers den Glauben an die Rechtmäßigkeit von Herrschaftsbeziehungen hervorrufen.2 Manche russischen Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang vom Imagemaking, der Russland-Experte Richard Sakwa von der „Arbeit am Charisma“ des nationalen Leaders. Laut Sakwa hat der Aufbau der sogenannten Machtvertikale Anfang der 2000er Jahre eine Legitimitätskrise ausgelöst: Die Aushöhlung demokratischer Mechanismen erforderte demnach eine neue Legitimationsstrategie, und diese sei seit der Mitte der 2000er Jahre auch durch die ständigen „mobilisierenden Bemühungen für die Unterstützung seines [Putins] Images“3 entstanden. 

    Diese Bemühungen schlugen sich nieder in Symbolen und in Diskursen. Dazu gehört vor allem die Erzählung über das Russland der 2000er Jahre.

    Gotteswunder 

    Die postsowjetische Gesellschaft Russlands versank in den 1990er Jahren in Chaos und Kriminalität, die Privatisierung der Betriebe bot ein Schlachtfeld, das rücksichtslose Oligarchen plünderten. Als lichie 1990e – „verrückte“ oder „wilde 1990er“ – sind diese Jahre der Gesellschaft bis heute im Gedächtnis, oder auch als prokljatije, „verfluchte 1990er“. 

    Patriarch Kirill zog hier gar Parallelen zur Smuta – die Zeit der Wirren zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Das Ende dieser „Smuta“ der 1990er Jahre verglich der Patriarch entsprechend mit einem „Gotteswunder“, das aufs Engste mit Putin verknüpft sei.4Demnach sei es Putin binnen weniger Jahre gelungen, das Land „von den Knien zu erheben“. Wie ein Phönix aus der Asche sei Russland emporgestiegen und endlich wieder auf Augenhöhe mit anderen Mächten. 

    Wladislaw Surkow soll bei der Feier des ersten Wahlerfolgs Putins im Jahr 2000 das Glas erhoben und dazu aufgerufen haben, „auf die Vergöttlichung der Macht!“ zu trinken.5Viele russische Politologen sehen heute in dem Trinkspruch Programm. Hier steht Putin auf dem byzantinischen Thron in der orthodoxen Mönchsrepublik Athos. / Foto © kremlin.ru


    Handsteuerung (mit starker Hand)

    In diesem Zusammenhang ist auch immer wieder die Rede von der Handsteuerung (russ. „Reshim rutschnogo Uprawlenija“) oder der „starken Hand“ (russ. „silnaja Ruka“). Als politisches Symbol tauchen diese Begriffe vor allem im Kontext damit auf, dass Putin die Lösung bestimmter Probleme „zur Chefsache mache“ beziehungsweise sie „selbst in die Hand nehme“. Viele Politikwissenschaftler erklären die Handsteuerung auch mit dem Phänomen der Machtvertikale – die autoritäre Konsolidierung des Landes und Machtkonzentration in einer Hand. 

    So bemüht die „Arbeit am Charisma“ neben einer gewissen Art der Sakralisierung also auch das Motiv der Stärke. Musterhaft dafür steht Putins allererste Amtshandlung als Interimspräsident: Am 31. Dezember 1999 besuchte er russische Soldaten an der Front in Tschetschenien und schenkte ihnen Jagdmesser. Laut manchen Polittechnologen war es eine PR-Aktion, die darauf bedacht war, Putins Profil mit dem Attribut der Stärke zu füllen und gleichzeitig an die Popularität der Armee anzuknüpfen.6 

    Putins allererste Amtshandlung als Interimspräsident: Am 31. Dezember 1999 besuchte er russische Soldaten an der Front in Tschetschenien und schenkte ihnen Jagdmesser. / Foto © kremlin.ru

    Tatkraft und Gesundheit

    Schon einige Tage zuvor hatte Putin versprochen, „gnadenlos“ gegen die „Feinde Russlands“ vorzugehen. Als solche markierte er den tschetschenischen Separatismus, die Massenarmut und die Oligarchie.7 Diese Triade der Feinde wiederholte er auch nach seiner Amtsübernahme sehr oft, dabei sparte er auch nicht mit martialischem Vokabular: Russland müsse gegenüber seinen Feinden „tyrannisch“ sein, die Feinde seien „Ratten“, die „vernichtet“ gehören, wenn es sein muss, dann müsse man sie auch „im Scheißhaus kaltmachen“.8
    Mit dieser Wortwahl gab sich Putin einerseits als ein tatkräftiger Politiker, der „hart durchgreift“ und „Klartext“ spricht, andererseits setzte er sich aber auch von seinem Vorgänger Jelzin ab: Dieser galt vor allem zum Ende seiner Präsidentschaft als ein siecher Alkoholiker, der viele Menschen an die Epoche der sowjetischen Gerontokraten erinnerte. Auch die im Westen so oft belächelten Bilder von Putin mit freiem Oberkörper schlagen in dieselbe Kerbe: Einer Umfrage aus dem Jahr 2012 zufolge schätzten die Menschen in Russland an ihrem Präsidenten vor allem seine Tatkraft und seine Gesundheit.9 Mit diesen Eigenschaften setzte sich der Präsident nicht nur von Boris Jelzin ab, sondern auch von dessen Epoche – dem Chaos der 1990er Jahre10.  

    Fachmann am Steuer

    Seine Tatkraft stilisierte Putin auch, indem er sich am Steuer zeigte: Im Rennauto, im Kampfjet, im U-Boot, oder auf einem Mähdrescher – der Präsident schien stets darum bemüht, sich so darzustellen, als habe er fest die „Zügel (oder das Steuer) in der Hand“. Unter etwas anderen Vorzeichen ist das Motiv des „Politikers als Steuermann“ bereits bei Platon zu finden. In Politeia wandte sich der Philosoph mit diesem Gleichnis sowohl gegen Demokratie als auch gegen Oligarchie und Tyrannis: Im „idealen Staat“ solle der „echte“ Steuermann-Politiker ein Fachmann sein, nur so könne laut Platon Gerechtigkeit walten.11

    Gangster

    Der Fotograf namens Platon verewigte Putin dagegen in einem Bild, an dem sich immer noch die Geister scheiden. Das Time Magazine hatte Putin 2007 zum Mann des Jahres gewählt und schickte den Fotografen nach Moskau zu einem Shooting. Laut Platon mochte Putin das Ergebnis, „weil es ihn als harten Kerl zeigt“.12 Die politische Ikonografie der Putin-Gegner benutzt das Bild dagegen oft bei Protestveranstaltungen, als Schreckbild. 

    Laut Fotograf Platon mochte Putin das Bild, „weil es ihn als harten Kerl zeigt“. Für Kreml-Kritiker spricht das Foto jedoch Bände. / Bild © Screenshot aus der Yandex-Bildersuche nach „Putin Proteste“

    1. zit. nach/vgl.: Sartorti, Rosalinde (2007): Politiker in der russischen Ikonographie: Die mediale Inszenierung Vladimir Putins, in: Pietrow-Ennker (Hrsg.): Kultur in der Geschichte Russlands, S. 333-348, hier S. 333 ↩︎
    2. vgl. Albrecht, Holger/Frankenberger, Rolf (2010): Autoritarismus Reloaded: Konzeptionelle Anmerkungen zur vergleichenden Analyse politischer Systeme, in: Albrecht, Holger/Frankenberger, Rolf (Hrsg.): Autoritarismus Reloaded, S. 37-60, hier S. 57f. ↩︎
    3. vgl. Sakwa, Richard (2008): Putin i vlast‘ protivorečij, in: RAN. INION: Dva prezidentskich sroka V.V. Putina: dinamika peremen: Sbornik naučnych trudov, S. 10-31, hier S. 30 und Engelfried, Alexandra (2012): Zar und Star: Vladimir Putins Medienimage, in: OSTEUROPA, 62. Jg., 5/2012, S. 47-67, hier S. 60ff. ↩︎
    4. zit. nach: stoletie.ru: Cerkov’ vsegda byla s narodom ↩︎
    5. zit. nach: Pavlovskij, Gleb (2014): Sistema RF v vojne 2014 goda: De Principatu Debili, S. 69 ↩︎
    6. vgl. novayagazeta.ru: Pobedit‘ na vyborach ili stat‘ prezidentom ↩︎
    7. vgl. Ščerbinina, Nina (2010): Mifo-geroičeskoe konstruirovanie političeskoj real’nosti Rossii, S. 204 ↩︎
    8. vgl. ebd. S. 203ff. und Fleischmann, Eberhard (2010): Das Phänomen Putin. Der sprachliche Hintergrund, S. 313 ↩︎
    9. vgl. romir (2012): Neotvratimaja neotrazimost‘: 50 % rossijan po-prežnemu sčitaet, čto Vladimir Putin ne imeet nedostatkov, S. 1. und Fleischmann, Eberhard (2010): Das Phänomen Putin. Der sprachliche Hintergrund, S. 30 ↩︎
    10. vgl. Engelfried, Alexandra (2012): Zar und Star: Vladimir Putins Medienimage, in: OSTEUROPA, 62. Jg., 5/2012, S. 47-67, hier S. 48 ↩︎
    11. vgl. Platon (2000): Der Staat, Sechstes Buch, III. und IV. sowie Münkler, Herfried (1994): Arzt und Steuermann: Metaphern des Politikers, in: ders.: Politische Bilder: Politik der Metaphern, S. 125-140 ↩︎
    12. vgl. zeit.de: Putin-Fotograf Platon. „Ich spürte die kalte Autorität“ ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Alexej Nawalny

    Alexej Nawalny

    „Herr Nawalny, Sie haben das Wort.“ Ein großgewachsener Mann mit kräftigem Nacken erhebt sich, denn das letzte Wort gehört ihm, dem Angeklagten. Alexej Nawalny, der kurz zuvor seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen angekündigt hat, macht die Anklagebank zu einer politischen Bühne. Seine Rede umfasst alle zentralen Punkte der Kampagne: Die allgegenwärtige Korruption, die politische Abhängigkeit der Gerichte, die wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes, die so leicht zu beenden wäre. Er teilt in diesem Schlusswort die russische Gesellschaft in drei Gruppen und zeichnet damit ein scharfes Bild seiner Weltsicht. Da sind zuerst die „wenigen Tausend“ an der Spitze der politischen Hierarchie, die den Reichtum des Landes unter sich aufgeteilt haben. Zweitens ist da die kleine Gruppe von Nawalnys treuen Unterstützern und Mitstreitern. Die dritte schließlich ist die größte Gruppe. Die stillen Stützen der Macht: die niedrigen Ränge im Staatsdienst, die regierungstreuen Bürger. „Sie alle könnten viel besser leben“, ruft er und wendet sich persönlich an den Richter, den Staatsanwalt, den Wachmann im Saal, „wenn Sie sich nicht fürchten würden vor denen, die unser Land ausplündern!“1 Wahlkampf inmitten eines Prozesses, in dem er schließlich zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde. 

    Vier Jahre später, fast auf den Tag genau, hält der wieder angeklagte Oppositionelle eine Rede vor Gericht, in der er dem Kreml vorwirft, er wolle „einen einsperren, um Millionen einzuschüchtern“. Vorangegangen war eine Nowitschok-Vergiftung, Behandlung in der Berliner Charité und eine Rückkehr, die Beobachter zu Vergleichen mit Nelson Mandela hinriss: Schon vor der Verurteilung von Nawalny war vielen klar, dass der Oppositionspolitiker hinter Gitter kommt, einige prophezeiten ihm gar den Tod, sei er doch der größte Feind des Regimes. Wie der russische Strafvollzugsdienst FSIN am 16. Februar 2024 mitteilte, ist Nawalny in seiner Haft gestorben. 

    Auch wenn die angriffslustig gesenkte Stirn, die aufgerissenen blauen Augen während seiner Reden zuweilen einen anderen Eindruck vermitteln mochten: Alexej Nawalny kannte die Regeln und er bediente sie virtuos. Ein Jura-Abschluss im Jahr 1997, im Anschluss ein Studium der Finanzwirtschaft und ein halbes Jahr in Yale – das waren seine formalen Qualifikationen. Dazu kamen einige Jahre Arbeit in der sozialliberalen Partei Jabloko, die ihm allerdings zu vorsichtig im Umgang mit der Regierung wurde und die ihn wegen nationalistischer Parolen im Jahr 2007 rauswarf.2

    Mindestens ebenso wichtig für Nawalnys Werdegang aber war seine langjährige Erfahrung mit eigenen Unternehmen und mit den Behörden des Landes. Als Minderheitsaktionär mehrerer Staatskonzerne hatte er das Recht, interne Dokumente einzufordern. Darauf baute er seine Korruptionsbeschuldigungen auf. Doch auch die Bürger des Landes hat er in die Aufdeckungskampagnen einbezogen. Im Jahr 2011 gründete Nawalny den Fond borby s korrupziei (dt. Fonds für Korruptionsbekämpfung, FBK)3, der frühere Onlineprojekte zu Wohnungsbau, Straßen und Staatsaufträgen unter einem Dach verbindet. Sein Team spürt eingesandten Hinweisen nach und klagt – oft sogar gegen hohe Staatsbeamte, sogar gegen Wladimir Putin selbst.4 Auf diese Weise hat er nicht nur ein beachtliches Netzwerk an internetaffinen Unterstützern aufgebaut, sondern auch viel Erfahrung im Umgang mit Gerichten gesammelt. 

    Gerichtsverfahren und politische Ambitionen

    Im Sommer 2013 lautete das Urteil im berüchtigten Kirowles-Prozess auf fünf Jahre Haft, die Strafe wurde später überraschend zur Bewährung ausgesetzt. Ein Jahr später kam eine weitere Bewährungsstrafe hinzu. Sein mitangeklagter jüngerer Bruder Oleg wurde erst im Juli 2018 nach Verbüßung des vollen Strafmaßes aus der Haft entlassen. Zahlreiche Beobachter und Analysten halten die Prozesse für politisch motiviert.5 Und tatsächlich spricht einiges dafür – so zum Beispiel die Tatsache, dass es Putins Vertrauter Alexander Bastrykin war, der 2012 persönlich die Wiederaufnahme des Kirowles-Prozesses in Gang brachte, obgleich das Ermittlungskomitee den Fall zu den Akten gelegt hatte.6Und auch abseits von Gerichtsprozessen war Nawalny beständigem Druck ausgesetzt, der die Staatskasse übrigens einiges gekostet hat: In einer investigativen Reportage deckte das Medium Projekt im August 2020 auf, dass der Kreml über Blogger und Social-Media-Influencer eine dauerhafte mediale Kampagne gegen Nawalny führt und dass der FSB ihn zu jeder Zeit und an jedem Ort überwacht. 

    Doch hätte Putin von Nawalny wirklich etwas zu befürchten? Zumindest stand er im Zentrum mehrerer öffentlichkeitswirksamer Konfrontationen der letzten Jahre. Es war nicht Nawalny, der die Menschen im Jahr 2011 auf die Straße brachte – aber seine Losung von der „Partei der Gauner und Diebe“ gehörte zu den prominentesten Slogans. Und er kam als Kandidat der Partei PRP-PARNAS 2013 bei der Moskauer Bürgermeisterwahl – ohne jegliche Aufmerksamkeit vieler großer Medien – auf 27 Prozent der Stimmen. Diese Teilerfolge und seine immense Gefolgschaft im Netz ermutigten ihn zum nächsten Schritt: die Präsidentschaftswahl 2018.

    Schon das Urteil vom 08. Februar 2017 verhinderte formal eine offizielle Kandidatur. Doch Nawalnys Kampagne ging weiter, sein Team hoffte auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, oder doch noch eine politische Intervention. Doch am 25. Dezember schloss die Zentrale Wahlkommission Nawalny von der Präsidentschaftswahl aus. Der reagierte darauf mit einem Boykottaufruf für die Wahl, russische Behörden überprüfen derzeit wiederum, ob dies gegen das Gesetz verstoße.

    Soviel Aufregung um den potentiellen Kandidaten war Grund genug, sich zu fragen, was Nawalny außer seinen berüchtigten, detailreichen Recherchen zu komplexen Korruptionsnetzwerken anzubieten hatte.

    Korruption als die Wurzel allen Übels?

    Sein politisches Programm7 bestand aus sorgfältig austarierten, oft nicht allzu konkreten Statements. Befürworter eines starken, aktiven Staates fanden Anschluss in seinen Forderungen nach Mehrausgaben für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur, einem deutlich höheren Spitzensteuersatz, einem Mindestlohn in Höhe von 25.000 Rubel und einer Subventionierung von Hauskrediten für Familien. Anhänger eines zurückhaltenden Staates hat er dagegen mit der Abschaffung jeglicher Steuern für Kleinunternehmer gelockt, mit einer zurückhaltenden Geldpolitik, Dezentralisierung und der Deregulierung des Wohnungsbaus.

    Sucht man nach früheren Positionen, die keinen Eingang in sein Wahlprogramm gefunden haben, so findet man sein Bekenntnis zum orthodoxen Glauben – und seinen Hang zum Nationalismus: Er war bereits als Organisator und Redner beim Russischen Marsch in Erscheinung getreten8 und vertrat in seinem Blog eine „demokratisch“-ethnonationalistische Linie, die sich um Abgrenzung von Extremen bemüht. In einem YouTube-Clip (den er später als Witz bezeichnete) setzte er kaukasische Terroristen mit Kakerlaken gleich.9 Von solchen Botschaften hat er sich später distanziert, auch der Parole „Russland den Russen“ hat er ausdrücklich widersprochen.10

    Seine Fixierung auf Korruption als die Wurzel allen Übels, seine nationalistischen Anklänge und auch seine Teilnahme an Wahlen, die dem politischen System Funktionsfähigkeit und damit Legitimität bescheinigt, haben dabei durchaus Anstoß in oppositionellen Milieus erregt. Keinesfalls war Nawalny daher der „Oppositionsführer“, als den deutsche und selbst einige russische Medien ihn zuweilen präsentieren. Aufregung im liberalen Lager erregte beispielsweise Nawalnys Aussage, die Krim sei kein Butterbrot, das man hin- und herreichen könne: Als Präsident würde er sie nicht an die Ukraine zurückgeben, sondern ein „normales“ Referendum über den Status der Halbinsel abhalten.11 Das klang nach einem wahlstrategischen Drahtseilakt. Wie auch bei seinen nationalistischen Tönen und seinen linken Forderungen zeigte sich hier, dass Nawalny auf Mehrheiten aus war – und auch, dass er bereit war, dem Publikum das zu sagen, was er für mehrheitsfähig hielt.

    Gleichwohl hat Nawalny für viele auch eine Hoffnung symbolisiert – unabhängig davon, dass sein politischer Handlungsspielraum bis zu seiner Verurteilung im Februar 2021 sukzessive eingeschränkt wurde. Was ihn von anderen Politikern abgehoben hat, war aber nicht so sehr sein Programm, sondern vielmehr sein rhetorisches Talent und seine kompromisslose Gegnerschaft zur herrschenden Elite. Vereinfacht gesprochen sah Nawalny die Lösung von Russlands Problemen in der Formel Elitenwechsel plus Justizreform.12

    Nawalny gleich Putin minus Korruption?

    Tatsächlich war Nawalny seinem ärgsten Gegner, Präsident Putin, in mancher Hinsicht nicht unähnlich. Wie Putin zu seinem Amtsantritt im Jahr 2000, erschien er als eine charismatische und entschlossene Führungsfigur; mit seinem zentristischen Pragmatismus konnte sich theoretisch ein breites Spektrum von Bürgern identifizieren. Und Nawalny erklärte selbst: „Ein Großteil der Dinge, die ich vorhabe, formuliert Putin auch – nur setzt er sie nicht um.“13 Es fällt daher auch der regierungsnahen Presse schwer, ihn den verhassten Liberalen der 1990er zuzurechnen – vor Schmähkampagnen14 ist er trotzdem nicht sicher.

    Nawalny hat mit den klassischen Instrumenten populistischer Rhetorik operiert – für ihn gab es keine horizontalen, politischen Grundsatzkonflikte, sondern nur unten gegen oben, Volk gegen Elite. In Kombination mit seinem zentristischen Programm hätte das eine erfolgreiche Strategie im Kampf gegen ein Regime sein können, das alles für alle zu sein vorgibt und daher ideologisch kaum zu greifen ist. Nawalny setzte dem allumfassenden Putin dasselbe allumfassende Bild entgegen. Der Unterschied: Unter Nawalny, so seine wichtigste Botschaft, würde die Staatsmacht ehrlich sein, transparent und effizient.

    Gefahr für den Kreml?

    Mit diesem Programm hatte Nawalny das Potential, der Macht auf lange Sicht gefährlich zu werden. Vielleicht war das der Grund, warum für politische Reden so oft die Anklagebank herhalten musste, warum er letztendlich in der Strafkolonie gestorben ist.

    Als Nawalny am Morgen des 20. August 2020 in ein Krankenhaus in Omsk eingeliefert wurde, nachdem er auf dem Rückflug von Sibirien nach Moskau das Bewusstsein verloren hatte, stand vor diesem Hintergrund schnell der Verdacht einer Vergiftung durch den Kreml im Raum. Erhärtet wurde dieser Verdacht für viele dadurch, dass der Fall sich in eine reiche Vergiftungs-Geschichte missliebiger Personen einreiht. Auch dass die russischen Ärzte zunächst die Diagnose einer Stoffwechselstörung stellten und die Vermutung einer Vergiftung zurückwiesen, erschien vielen als typisch für die Verschleierungstaktik des Kreml. 

    Nawalny wurde jedenfalls am 22. August durch die Vermittlung der Organisation Cinema for Peace15 und die anschließende diplomatische Unterstützung der Bundesregierung nach Deutschland ausgeflogen. Während seiner Behandlung in der Berliner Charité erklärten die Ärzte am 24. August, man habe Hinweise auf eine Vergiftung mit Cholinesterase-Hemmern gefunden. Am 3. September 2020 äußerte sich die damalige Bundeskanzlerin Merkel schließlich in einem öffentlichen Statement dahingehend, dass Nawalny „Opfer eines Verbrechens“ geworden war: Ein Speziallabor der Bundeswehr hatte nachgewiesen, dass der Oppositionspolitiker mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden war.

    Am 13. Januar 2021 kündigte Nawalny an, schon am nächsten Sonntag nach Moskau zurückzukehren. Da ihm eine Verhaftung wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen drohte, lobten viele in Russland Nawalnys „mutigen“ Schritt  und verglichen den Politiker mit Nelson Mandela.

    Noch bei seiner Ankunft am Flughafen in Moskau wurde Nawalny festgenommen. In einem Gerichtsprozess, abgehalten auf einem Moskauer Polizeirevier, wurde er am Montag, 18. Januar, zu 30 Tagen U-Haft verurteilt, wie seine Sprecherin Kira Jarmysch auf Twitter mitteilte. Im anschließenden Verfahren am 2. Februar 2021 wurde seine Bewährungsstrafe im Fall Yves Rocher in eine Gefängnisstrafe umgewandelt. Er musste damit bis Oktober 2023 in eine Strafkolonie. Vorläufig bis 2023, so schien es schon damals einigen Beobachtern.

    Diese Ereignisse zogen im Januar 2021 große Proteste nach sich. Die Demonstrationen waren wegen Corona-Beschränkungen an keinem Ort von den Behörden genehmigt. Gleichwohl gingen innerhalb einer Woche im ganzen Land zweimal zehntausende Menschen auf die Straße. Der Kreml warf Nawalnys Team wie auch zuvor schon vor, Minderjährige für politische Zwecke zu missbrauchen. Gleichzeitig ging die Polizei hart, mitunter brutal gegen die Protestierenden vor und unterstrich damit die Botschaft, die sie auch schon von Nawalnys Verurteilung verbreitete: Wer sich hartnäckig weigert, die Autorität der politischen Führung anzuerkennen, muss mit immer härterer Repression rechnen.

    Nawalnys Haft, die in anschließenden Scheinprozessen immer wieder verlängert wurde, war von menschenunwürdigen Bedingungen geprägt. Das Wenige, was aus der Strafkolonie von ihm nach außen drang, klang nach Zweckoptimismus. Manchmal schien es, dass er gar darüber witzelt, immer noch am Leben zu sein. Am 16. Februar 2024 gab der russische Strafvollzugsdienst FSIN bekannt, dass Nawalny gestorben ist. 

    Aktualisiert am 16.02.2024


    1. youtube.com: Poslednee slovo Alekseja Navalnogo na povtornom processe po delu «Kirovlesa“ ↩︎
    2. shuum.ru: Aleksej Navalnyj: A ty, černožopaja, voobšče molči! ↩︎
    3. Fond borby s korrupciej ↩︎
    4. RBK: Navalnyj podal isk k Putinu ↩︎
    5. Lexikon der Politischen Strafprozesse: Nawalny, Alexei Anatoljewitsch ↩︎
    6. Nawalnys Unterstützer bezeichneten die Intervention als persönlichen Rachefeldzug Bastrykins, mit der Begründung, dass Nawalny einige Wochen zuvor Bastrykin vorgeworfen hatte, mit seinem Posten unvereinbare Geschäfte in Tschechien zu unterhalten, siehe vesti.ru: Politologi o Navalnom – realnom i virtualnom. Details zum Vorwurf hier: Livejournal Navalny: O nastojaščich inostrannych agentach ↩︎
    7. vgl. 2018.navalny.com ↩︎
    8. snob.ru: Navalnyj i nacionalizm ↩︎
    9. youtube.com: Navalnyj za legalizaciju oružija ↩︎
    10. Gleichwohl bringt er sich aber immer noch über ethnisch-religiöse Themen ins Gespräch, wie im Frühjahr 2016: Als in Moskau eine psychisch gestörte usbekische Muslima einem Kind den Kopf abschnitt, beklagte er lautstark die vermeintlich unzureichende Berichterstattung und sprach von Zensur aus politischer Korrektheit, siehe youtube.com: Debaty. Naval’nyj vs. Pozner: Polnaja versija ↩︎
    11. RBK: Aleksej Naval’nyj – RBK: «Naša glavnaja zadača – izmenit’ sejčas vse» ↩︎
    12. Zwar beklagt er auch institutionelle Schwächen des Systems, insbesondere die von der Exekutive dominierte Verfassung. Im Zentrum seiner Kritik stehen aber keine systemischen Eigenschaften, keine Anreize, denen Individuen folgen, keine Fragen der politischen Kultur. Nicht einmal die übermäßigen Befugnisse des staatlichen Gewaltapparates unterzieht er besonderer Kritik – es seien die Personen selbst, die jeglichen Sinn für Moral und ihren gesunden Menschenverstand verloren haben und in ihrer hemmungslosen Selbstbereicherung von niemandem effektiv kontrolliert werden können. ↩︎
    13. Echo Moskvy: Osoboe Mnenie: Aleksej Naval’nyj ↩︎
    14. Der regierungstreue Fernsehsender NTV lancierte bereits mehrere Sujets, die angeblich Nawalnys „versteckte Millionen“ dokumentieren sollen. ↩︎
    15. Bezahlt wurde der Transport von dem russischen Unternehmer und Philanthropen Boris Simin ↩︎

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    Die kurze Geschichte der Demokratischen Koalition

    Alexander Bastrykin

    Sieg der Stille

    Herausforderer Nawalny

    Bolotnaja-Bewegung

    „Wir sind die Macht“: Protest als Politik

  • Sakon (Gesetz)

    Sakon (Gesetz)

    Kurz vor der Präsidentschaftswahl, bei der Wladimir Putin erstmals zum Präsidenten der Russischen Föderation gewählt wurde, veröffentlichte er im Februar 2000 einen „Wählerbrief“. In diesem Text skizzierte er sein Programm und rief die „Diktatur des Gesetzes“ aus: Demokratie sei eine Diktatur des Gesetzes und nicht die Diktatur derjenigen, die amtshalber dieses Gesetz verfechten.1
    Seitdem ist die Formel „im Rahmen des Gesetzes“ (russ. w Ramkach Sakona) anscheinend zum Lieblingsausdruck Wladimir Putins geworden: Wichtigste Pflicht des Präsidenten sei es, im Rahmen des Gesetzes zu handeln, Rechtsschutzorgane und Gerichte müssen im Rahmen des Gesetzes agieren, die Durchführung von Wahlkampagnen seien ebenso nur im Rahmen des Gesetzes möglich. Auch die Opposition dürfe frei protestieren – im Rahmen des Gesetzes.

    Auch wenn man viele offene Fragen (die Legalität des Gesetzgebers, die Repressivität der Gesetze, ihre Konformität mit der Verfassung, die Unabhängigkeit der Gerichte et cetera) beiseite lässt, der Ausdruck w Ramkach Sakona bleibt spannend: 
    Denn Sakon (dt. „Gesetz“) wird in der russischen Kultur als ein vorgegebener Rahmen oder als eine Grenze verstanden, die man passieren kann. Sakon teilt zwar das Handeln in „erlaubt“ und „nicht erlaubt“, aber die Frage, ob es „gerecht“ oder „ungerecht“, „richtig” oder „falsch“ ist, beantwortet jeder für sich.

    Das Wort Sa-kon, wie auch das heutige Wort kon-ez (dt. „Ende“) oder is-koni (dt. „anfänglich“) leitet sich vom Wortstamm kon, der sowohl Ende als auch Anfang bedeuten kann, ab.2 Im Wörterbuch von Wladimir Dal wird Sakon definiert als „Schranke, die der Freiheit des Willens und des Handelns gesetzt wird“3. Der Wille und das Handeln hören aber mit dieser Grenze nicht auf, denn Sakon, so schreibt der Philologe und Kulturwissenschaftler Juri Stepanow, ist „keine höchste Kategorie, der alles, was innerhalb einer Sphäre liegt, untergeordnet ist“. Sakon spiegelt also kein Rechtssystem und hat mit Gerechtigkeit erstmal nichts zu tun. Dem Sakon setzt man das Gute, das Gewissen und die Gerechtigkeit entgegen, und dies tun sowohl die „normalen Bürger“ als auch die Machthaber. 

    Gesetz versus Gerechtigkeit

    Ein Fall, der in den 2000er Jahren für viel Aufruhr sorgte, war das Gerichtsverfahren gegen Michail Chodorkowski: Im Mai 2005 wurde der ehemalige YUKOS-Chef wegen Steuerhinterziehung und Privatisierungsbetrug zu neun Jahren Haft verurteilt. In einem zweiten Verfahren (wegen Unterschlagung und Geldwäsche) kamen noch sechs weitere Jahre hinzu. 
    Auf die Frage, ob es gerecht sei, dass Chodorkowski im Gefängnis ist, antwortete Wladimir Putin beim Direkten Draht 2010 mit einem Zitat aus einem sowjetischen Film: „Ein Dieb gehört ins Gefängnis“.4 Abgesehen von der rhetorischen Plausibilität, machte sich Putin mit diesem Zitat angreifbar: Mit eben diesem Satz erklärt ein Ermittler im gleichen Film, warum er einem Dieb das angeblich gestohlene Portemonnaie heimlich selbst untergeschoben und ihn dann quasi auf frischer Tat ertappt hatte. Ein Dieb gehört ins Gefängnis – das ist gerecht. Wie er dort aber hineingerät, das ist eine andere Frage.

    So glaubte ein Jahr vor dem Urteil (2004) über Chodorkowski fast die Hälfte der Gesellschaft, das Gericht werde ihm gegenüber keine Gerechtigkeit walten lassen und weder objektiv noch unbefangen sein5. 2013 meinte mehr als ein Drittel, dass er „auf Bestellung von oben“ verurteilt wurde.6 Es gab jedoch so gut wie keine Proteste: Auch wenn es im Fall Chodorkowski keinen gerechten Prozess gab, so schien vielen die Tatsache, dass er im Gefängnis ist, gerecht zu sein. Schließlich gehörte er zu einer Gruppe von Oligarchen, die in den „wilden“ 1990er Jahren ihre Vermögen ungerechterweise erworben hatten.7 Das gab Chodorkowski selbst zu: Der Kauf von YUKOS 1996 sei nicht gerecht gewesen. Aber legal. „Ich habe [YUKOS], wie alle anderen, nach damaligen Gesetzen gekauft“,8 kommentierte er die Situation nach seiner Begnadigung, die im Dezember 2013 erfolgte. 

    Der Knoten aus den unterschiedlichen Fäden von Recht und Gerechtigkeit ist in diesem Fall extrem verwickelt: Eine gesetzeskonforme, aber als ungerecht empfundene Tat (der Kauf von YUKOS) wird durch eine unrechtmäßige und politisch motivierte staatliche Reaktion (die Verhaftung Chodorkowskis) kompensiert, die in den Augen der Bevölkerung die Gerechtigkeit wiederherstellt. Multipliziert mit einer Menge anderer Faktoren, die reine Spekulation sind (der Staat wolle YUKOS enteignen, Chodorkowski finanziere die Opposition und bereite einen Umsturz vor et cetera), wird klar, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung des Falles unmöglich ist, die konkreten Gesetze, die nicht eingehalten wurden, ernst zu nehmen.

    Rechtlicher Pluralismus

    Das ohnehin komplexe System ist in der Tat noch komplexer, weil in Russland offensichtlich ein rechtlicher Pluralismus herrscht. Neben den staatlichen Gesetzen gelten in der wirtschaftlichen und auch in der politischen Praxis gleichzeitig die sogenannten ponjatija: ein System von Normen und Regeln, denen alle Mitglieder einer Gemeinschaft zu folgen haben. Russische Ponjatija, auch worowskoi sakon (dt. „Diebesgesetz“) genannt, sind in der kriminellen Subkultur verwurzelt. 
    Auch wenn kriminelle Autoritäten – als Diebe vor dem Gesetz oder auch als sakonniki bezeichnet – heute nicht mehr aktiver und dominanter Teil der russischen Gesellschaft sind, anders als noch in den sogenannten „wilden“ 1990ern: Die Ponjatija sind geblieben und wirken weit über die kriminelle Welt hinaus.9 Praktiken wie der otshim (dt. in etwa „Abpressen“ oder „Enteignung“) eines Unternehmens, sanos (von sanesti, dt. „etwas vorbeibringen“) und otkat (dt. etwa „zurückschaffen“, im Sinne einer Gegenleistung für Korruption) sind ein Echo dieses Pluralismus.

    Ein anderes Beispiel für den rechtlichen Pluralismus ist auch die Schattenwirtschaft, zu der in Russland schätzungsweise über 30 Millionen Menschen gehören. Die Betreiber der sogenannten Garagenwirtschaft etwa tun alles dafür, um sich vom Staat fernzuhalten. Sie lassen sich nicht von staatlichen Gesetzen, sondern vielmehr von einem System informeller Regeln und Normen leiten und bilden dabei auch eigene Verwaltungs- oder sogar Gerichtsorgane. Die Garashniki haben kein schlechtes Gewissen, weil sie dabei gegen das Gesetz verstoßen. Genauso wenig wie Lehrer, die Nachhilfe anbieten und die Einnahmen nicht versteuern, oder Bauern, die keinerlei Kontrolle unterstehen und eigene Netzwerke für den Verkauf ihrer Waren nutzen. Wenn der Staat als ungerecht wahrgenommen wird, dann ist es für viele ein legitimer Akt, diesem Staat Steuern vorzuenthalten und den eigenen gerecht erarbeiteten Lohn zu schützen.

    Achtet eure Verfassung!

    Das schwierige Verhältnis zum Gesetz in der russischen Kultur wird von Kulturwissenschaftlern zum einen mit einer unterentwickelten rechtlichen Begrifflichkeit erklärt, und zum anderen damit, dass die Bevölkerung grundlegende Gesetze nicht kennt. Viele Gesetzestexte sind für die Menschen auch nicht zugänglich, weil sie nur als geheime Ukasy existieren. Aber auch wenn die Texte veröffentlicht werden, werden diese und selbst die russische Verfassung nur selten gelesen: Laut einer Umfrage haben fast 40 Prozent der Gesellschaft nie die Verfassung gelesen, weitere 50 Prozent können sich kaum erinnern, was darin steht.10
    Die Menschenrechtsbewegung hat in Russland daher neben aufklärerischer Tätigkeit eine wichtige Aufgabe: die Menschen vor Gericht im Rahmen der bestehenden Gesetze zu schützen. Eine weitere Aufgabe besteht darin, die Regierung dazu zu bewegen, diese bestehenden Gesetze auch einzuhalten: Im Ranking der Rechtsstaatlichkeit von The World Justice Project besetzte Russland 2017-18 Rang 89 von 113. Der berühmte Aufruf aus den 1960er Jahren, der Entstehungszeit der Menschenrechtsbewegung, gilt also immer noch: „Achtet die Verfassung!“

    Verurteilte als Unglückliche

    Als eine spezielle Variante des lateinischen Sprichwortes dura lex, sed lex (dt. „Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz“) kursiert in Russland der Spruch „Die Härte russischer Gesetze wird dadurch gemildert, dass man sie nicht einhalten muss“. Er wird dem Dichter Pjotr Wjasemski zugeschrieben und gehört seit dem 19. Jahrhundert zum Schatzkästchen russischer Volksweisheiten. 
    Die repressiven Gesetze, die nicht nur das Erbe voriger Epochen, sondern durchaus auch Verfehlungen der Gegenwart sind, können gar nicht flächendeckend wirken: Das sogenannte Jarowaja-Gesetz setzt beispielsweise die Sperrung aller Online-Anbieter voraus, die sich weigern, dem Geheimdienst FSB ihre Dechiffrier-Schlüssel zur Verfügung zu stellen: Der Messenger-Dienst Telegram etwa tat dies nicht, funktioniert in Russland aber mit Einschränkungen weiterhin. Für die Teilnahme an einer nicht genehmigten Protestaktion droht per Gesetz eine 15-tägige Haft, solche Proteste finden aber immer wieder auch unbehelligt statt.11 Leonid Wolkow, der Kampagnenchef von Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, schätzt die Wahrscheinlichkeit einer Strafe in diesem Zusammenhang auf etwa ein Prozent ein.12

    Auch außerhalb des politischen Lebens ist die Bereitschaft, „von außen, von jenseits der Gesetzesgrenze zu gucken“ recht hoch. Fast jeder bewegt sich zeitweise außerhalb des Gesetzes und jeder kann zugleich stillschweigend ein Gesetzesbrecher sein. Man fühlt sich vom Staat betrogen und dazu gezwungen, keine Steuern zu zahlen oder zu klauen; es gibt zu viele Gesetze, die sich auch gegenseitig widersprechen, sodass man unweigerlich gegen eins dieser Gesetze verstößt. Nach dieser Logik kann praktisch jeder bestraft werden. Und jeder, der bestraft wird, hat Pech und verdient Mitleid.

    So gelten die 30 beim Bolotnaja-Prozess verurteilten Personen nicht als Verbrecher, sondern als zufällige Opfer des Regimes.13 Als Unglücklicher galt auch Chodorkowski, dessen frühzeitige Entlassung 2013 nur ein Drittel der Bevölkerung guthieß. Diese Bezeichnung der Verurteilten als „Unglückliche“ gelangte im 19. Jahrhundert sogar ins Wörterbuch der russischen Sprache.14 Die Frage nach der Schuld, beziehungsweise ob jemand gegen ein Gesetz verstoßen hat, spielte eine untergeordnete Rolle: „Nein, das Volk verneint das Verbrechen nicht und weiß, dass der Verbrecher schuldig ist. Das Volk weiß aber auch, dass es mit jedem Verbrecher die Schuld teilt“, kommentierte Fjodor Dostojewski das Phänomen.

    Schuld und Sühne

    Verstößt man gegen ein Gesetz, so begeht man ein prestuplenije (dt. „Verbrechen“). Wortwörtlich übersetzt: Man übertritt eine Schwelle, eine Grenze. Das Wort verwendete Dostojewski im Titel seines berühmten Romans Prestuplenije i Nakasanije, der ins Deutsche oft mit Schuld und Sühne übersetzt wird (Verbrechen und Strafe in der neuesten Übersetzung). Geleitet von einem speziellen Verständnis von Gerechtigkeit und der Überzeugung, ein Recht auf das Verbrechen zu haben, tötet der Protagonist zwei Menschen. Der größte Teil des Romans beschreibt den Weg zur Reue und bewussten Annahme der Strafe. 
    Dostojewski meinte, dass die Erfahrung der Sünde, der Überschreitung, für einen Menschen auf dem Weg zur Freiheit wichtig sei.15 Die Frage, ob das Verbrechen als Erfahrung der Grenzüberschreitung im russischen Bewusstsein den Weg zur Freiheit ebnet, bleibt offen. 


    1. Kommersant: Otkrytoe pis´mo Vladimira Putina k izbirateljam ↩︎
    2. vgl. Ėtimologičeskij slovar‘ russkogo jazyka: Zakon und Stepanov, Jurij (2004): Zakon, in: Konstanty: Slovar´ russkoj kul’tury, Moskau, S. 592-593 ↩︎
    3. Slovardalja.net: Zakon ↩︎
    4. Mesto vstreči izmenit´ nel´zja (dt. „Der Treffpunkt kann nicht geändert werden“), 1979, Regie: Stanislav Govoruchin, Schauspiel u. a. Vladimir Vyssotskij ↩︎
    5. Lenta.ru: Polovina rossijan ne verit v spravedlivost´ suda nad Chodorkovskim ↩︎
    6. Levada.ru: Obščestvennoe mnenie o Chodorkovskom ↩︎
    7. Vedomosti: Možet li Putin zakryt´ temu privatizacii und „Chodorkowski ist ein Oligarch, er soll im Gefängnis bleiben”, sagte ein politischer Aktivist in einem Interview im Rahmen des Forschungsprojektes Comparing protest actions in Soviet and post-Soviet spaces ↩︎
    8. Vedomosti: Chodorkovskij nazval priobritenie JUKOSA nespravedlivym no zakonnym ↩︎
    9. Volkov, Vadim (2014): Ponjatijnoe pravo, in: Po tu storonu prava: zakonodateli, sudy i politsija v Rossii, Moskau, S. 61 ↩︎
    10. Interfax.ru: Počti 40 % rossijan nikogda ne čitali Konstitutsiju ↩︎
    11. Die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen im Rahmen von Nawalnys Kampagne wurde auch damit gerechtfertigt, dass das Gesetz, dem die Registrierungspflicht zugrunde liegt, nicht verfassungskonform sei. Hier wird ein höher stehendes Recht, das zugleich als legitim betrachtet wird, dafür herangezogen, ein niedriger stehendes Recht als „ungerecht“ zu diskreditieren und seinen Bruch zu legitimieren. ↩︎
    12. Novaya Gazeta: Leonid Volkov: „Est´ vyžžennoe pole, i na njom tol´ko my“ ↩︎
    13. Die im Rahmen des Bolotnaja-Prozesses verurteilten Personen werden als Usniki Bolotnoj (dt. „Eingekerkerte vom Bolotnaja-Platz“) bezeichnet, das Wort Usnik hat dabei eine sehr starke Färbung, die auf eine ungerechte Haft hinweist. Die Tradition, verurteilte Oppositionelle als Opfer oder sogar als Märtyrer wahrzunehmen, geht ins 19. Jahrhundert zurück. Die literatur- und kulturwissenschaftliche Forschung zeigt, dass politische Terroristen, die hochrangige russische Politiker ermordet haben, im großen und gebildeten Teil der Gesellschaft als Heilige galten, die ihr Leben im Kampf gegen Ungerechtigkeit opferten, vgl. Siskina, L. I. (2016): Estetika smerti i etika vozmezdija: russkij političeskij terrorizm načala XX. veka v sovremennom kontekste, in: Upravlenčeskoe konsultirovanie, Nr. 5 (89), S. 212–219 ↩︎
    14. „Als ‚Unglückliche‘ [„Nesčastnye“] bezeichnet das Volk alle nach Sibirien Verbannten überhaupt“, aus: Dal´, Vladimir: Tolkovyj slovar´ zivogo velikorusskogo jazyka, zit. nach: Stepanov, S. 599 ↩︎
    15. vgl. Berdjajew, Nikolaj (1968): Mirosozercanie Dostoevskogo, Prag (Kapitel: Freiheit) ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Die Nationalzehn

    Die Nationalzehn

    Zehn Vizepremiers koordinieren derzeit die Arbeit der Regierung. Warum so viele? Und was haben sie zu entscheiden, wenn es außerdem 22 Ministerposten gibt und zudem noch eine Präsidialadministration?

    Wie die Arbeit der Regierung funktioniert und inwieweit sie noch effizient sein kann, das fragt der Wirtschaftswissenschaftler Dimitri Nekrassow auf Republic.


    Fotos © government.ru (CC BY 4.0)
    Sehr viele Vizepremiers, wie in Russland [derzeit sind es zehn – dek], gibt es in den meisten GUS-Staaten. Und zwar unabhängig vom Umfang demokratischer Prinzipien in ihrem jeweiligen politischen System – von Turkmenistan bis zur Ukraine, aber auch in einigen ehemaligen RGW-Staaten wie Bulgarien oder Rumänien, und auch in China.

    Diese Situation ist zweifellos auf die Übernahme des Regierungsmodells zurückzuführen, das noch unter Stalin entwickelt wurde.

    Dieses Modell basierte auf einer Logik, wonach die Minister fachlich versierte Experten sein sollten, die sich mit den Fragen des jeweiligen Industriezweigs auskennen. Fragen der globalen politischen Strategie sollten dann im engen Kreis von Genossen entschieden werden, die dem Politbüro oder dem Präsidium der Regierung angehörten (was sich oftmals überschnitt). Sie erarbeiteten und kontrollierten die Umsetzung der „allgemeinen Parteilinie“. Somit lag die politische Führung bei Regierungshandlungen in den Händen der Vizepremiers, die in der Regel auch Politbüro-Mitglieder waren, während die Minister für die technische Umsetzung der getroffenen Entscheidungen zuständig waren.

    Clan-Logik entscheidet

    Heutzutage gehört der Großteil der Vizepremiers in Russland (oder auch beispielsweise in der Ukraine) vor allem Clans oder politischen Einflussgruppen an, deren Interessen sie vertreten.

    Auch bei der Ernennung von Ministern driften die Prinzipien zunehmend in Richtung einer klaren Clan-Logik. Bisher aber werden Minister immer noch eher aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation ernannt, als das bei Vizepremiers der Fall ist.

    Ein weiterer Grund für die hohe Zahl der Vizepremiers ist die im Vergleich mit anderen Industrieländern hohe Zahl von eigenständigen bürokratischen Strukturen. Bei allen Unterschieden in Aufbau und Bezeichnung, liegt die Zahl der Vorsitzenden von Ministerien und Behörden, die direkt dem Regierungsoberhaupt unterstehen, in mittel und hoch entwickelten Industrieländern im Schnitt bei 12 bis 25 Personen.

    Bereits Cyril Northcote Parkinson schrieb, dass die Zahl der Regierungsmitglieder 20 bis 22 nicht übersteigen solle. Werde diese Grenze überschritten, verliere das Kabinett seine Regierbarkeit. In Russland gibt es formal 21 Ministerien [in der neuen Regierung sind es 22 – dek], allerdings müssen da noch mindestens 16 Agenturen und föderale Dienste hinzugerechnet werden. Außerdem sind viele Behörden, die formal bestimmten Ministerien unterstehen, de facto eigenständig und unmittelbar dem Regierungsoberhaupt unterstellt. Man denke nur an die Steuerbehörde, die formal dem Finanzministerium unterstellt ist. Berücksichtigt man all diese Strukturen, so steigt die Zahl der Behörden und Ministerien, die de facto zur Regierung gehören, auf über 70.

    In diesem Kontext erscheint die Zahl der Vizepremiers dann gar nicht mehr so hoch.

    Überflüssige Behörden

    Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Beamten pro 1000 Einwohner in Russland durchaus der Entwicklung des Landes entspricht und deutlich niedriger liegt als in den meisten Industrieländern. Aber es geht nicht um die absolute Größe des Staatsapparats, sondern um die hohe Anzahl überflüssiger Einheiten, die als eigenständige Behörden Funktionen übernehmen, die in Industrieländern für gewöhnlich von zusammengelegten Ministerien ausgeführt werden.

    Auch hier zeigt sich das sowjetische Erbe. Wegen der Verwaltungsbesonderheiten der Planwirtschaft lag die Zahl der branchenbezogenen Ministerien in der UdSSR wesentlich höher als in Ländern mit freier Marktwirtschaft. Offenbar war es in den 30 Jahren seit dem Zerfall der Sowjetunion einfacher, die ökonomischen Prinzipien zu ändern, als die Zahl der Behörden an das neue Niveau anzupassen.

    Sowjetisches Erbe

    Ein weiteres „sowjetisches“ Merkmal ist, dass es neben der Regierung noch eine starke Präsidialadministration gibt, in der viele Regierungsfunktionen gedoppelt sind. Damit wiederholt sich das Modell „Regierung plus Apparat des Zentralkomitees der KPdSU“. Die Präsidialadministration hat sogar ihren Sitz im ehemaligen Gebäude des Zentralkomitee-Apparats und erfüllt eine ähnliche Funktion der „politischen Kontrolle“. Typisch ist, dass dieses Modell in fast allen GUS-Staaten erhalten geblieben ist.

    Direkt über den Behörden hängt bei uns also noch die dicke Schicht aus Präsidialadministration, aus einem – für internationale Verhältnisse riesigen – Regierungsapparat, den Vizepremiers und den Helfern des Präsidenten. Ist das historische Erbe in solchen Fragen wirklich so mächtig, dass völlig unnötige Verwaltungsebenen allem Praxissinn zum Trotz erhalten bleiben?

    Ich denke, neben der objektiv hohen Zahl der eigenständigen bürokratischen Strukturen, liegt die Ursache für die Langlebigkeit solcher Zwischenämter an zwei weiteren Faktoren:

    Zum einen an der Inflation von Titeln: Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist trotz Verkleinerung der Armee und Wissenschaft die Zahl der Generäle, Doktoren und Akademiker gestiegen. Dabei ist den Menschen durchaus bewusst, dass der Wert der Titel gesunken ist. Aber aller Devaluation zum Trotz hat etwas, das in der Kindheit für so wichtig erachtet wurde, für viele auch heute noch seinen Wert.

    Zum anderen gibt es ein neues Mestnitschestwo, das gewissermaßen das Verhalten der Eliten vor Peter dem Großen wieder aufgreift. Viele Vertreter der heutigen russischen Elite wechseln oft ihre Posten, allerdings immer unter Beachtung mindestens zweier Mestnitschestwo-Regeln par exellence:
    a) der neue Posten darf vom Status nicht unter dem vorherigen liegen (es sei denn es handelt sich um eine ehrwürdige Verabschiedung in die Sinekure);
    b) der neue Vorgesetzte darf kein ehemaliger Untergebener sein.

    Man kann nicht behaupten, diese Prinzipien würden immer und zu hundert Prozent gelten. Aber ein Putin, der immer wieder dasselbe Kartendeck mit ein und denselben Figuren mischt und verteilt, könnte schlecht all die Rochaden planen, hätte er nicht die große Zahl von Präsidentenberatern und -helfern, Vertretern des Präsidenten in den Regionen, stellvertretenden Leitern der Administration und deren ersten Stellvertretern, Vizepremiers und deren ersten Stellvertretern. Hätten wir nur 15 Ministerien wie die USA, wären all diese Rochaden stark erschwert – und die politische Verantwortung würde nicht derart verschwimmen hinter einer Vielzahl von involvierten Personen.

    Diese Übersetzung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Technokratie

    Technokratie

    Wenn in den letzten Jahren neue Gouverneure, Regierungsmitglieder oder Beamte in der Präsidialverwaltung ernannt wurden, dann war immer wieder von sogenannten „jungen Technokraten“ die Rede.1 Während manche Beobachter darüber witzeln, dass die neue Technokratenriege aus der Retorte käme, versteigen sich die anderen schon dazu, von einem Elitenwandel zu sprechen. Heißt dies nun, dass Russland auf dem Weg zu einer Technokratie ist? Und was würde das für die Wirtschaftspolitik des Landes und die Stabilität des autoritären Regimes als Ganzes bedeuten?

    Russlands Technokraten, die sich so ähnlich sehen, dass sie sicher – so wird gescherzt – aus einem geheimen Kreml-Labor stammen / Quelle unbekannt
    Russlands Technokraten, die sich so ähnlich sehen, dass sie sicher – so wird gescherzt – aus einem geheimen Kreml-Labor stammen / Quelle unbekannt

    Im allgemeinsprachlichen Gebrauch scheint die Bedeutung klar zu sein: Als Technokraten werden vor allem Politmanager bezeichnet. Sie haben keinen parteipolitischen Hintergrund und sind durch ihre oft ökonomisch geprägten Fachausbildungen vor allem an pragmatischer Modernisierung und wirtschaftlichem Fortschritt interessiert. Damit unterscheiden sie sich einerseits von den auf Kontrolle versessenen Silowiki und andererseits von den als dogmatisch geltenden neokonservativen Ideologen. 

    Die Politikwissenschaft stuft eine technokratische Regierung im engeren Sinne als direkten Gegensatz zu Parteienregierungen ein. Ein technokratischer Minister hat demnach zuvor kein öffentliches Amt im Namen einer Partei innegehabt, er ist kein Parteimitglied und gilt als ein unparteiischer Experte. Gerade diese Eigenschaften bringen ihm auch das Regierungsmandat ein.2

    In europäischen Demokratien kommt es vor allem nach politischen Skandalen und ökonomischen Rezessionen zu technokratischen Regierungen. Wenn Parteienregierungen vorzeitig aufgelöst werden oder politische Blockaden nach Wahlen eine Koalitionsregierung verhindern, dann treten Technokratenregierungen oft als eine Art Allheilmittel auf den Plan.3 Die Kernelemente von Parteienregierungen der repräsentativen Demokratie bestehen unter anderem aus Konsensbildung und aus der Bereitschaft, auf Wähler einzugehen und vor ihnen Rechenschaft abzulegen. Demgegenüber zeichnen sich Technokraten vordergründig durch fachliche Expertise aus, ihre Unabhängigkeit von Parteien oder Lobbygruppen soll zudem ebenfalls bestmögliche Politikergebnisse liefern, die wiederum technisch rational begründet werden.

    „Rote“ versus „Experten“

    Ideengeschichtlich lässt sich die Technokratie mindestens auf die Zeit der Aufklärung mit ihrem ausgeprägten Wissenschafts- und Technologieglauben zurückführen. Dabei war dieser nicht auf die industrialisierten Länder des Westens beschränkt. Lenin hatte 1920 die Parole ausgegeben, dass Kommunismus Sowjetmacht plus Elektrifizierung sei. Gerade in den 1920er Jahren habe die junge Sowjetunion einen „technokratischen Eifer“4 an den Tag gelegt, der mit der Innovationsbegeisterung im England Mitte des 18. Jahrhunderts zu vergleichen sei, so der Soziologe Reinhard Bendix. 
    In der Tat zeigen Studien, dass sich nach der Oktoberrevolution 1917 eine neue technisch-naturwissenschaftlich ausgebildete Elite in der Zivilverwaltung herauszubilden begann, ohne dass jemals eine Technokratie etabliert wurde.5 In der Literatur wird der Widerspruch zwischen kommunistischer Ideologie und Modernisierungsansprüchen plakativ als Konflikt zwischen „Roten“ und „Experten“6 dargestellt.

    Im Unterschied zu stabilen Demokratien bergen technokratische Elemente für totalitäre und post-totalitäre Regime wie die Sowjetunion eine Destabilisierungsgefahr. Die Etablierung einer Technokratie in der UdSSR hätte bedeutet, dass die Herrschaft letztendlich an technisch versierte Experten übergegangen wäre, die Politik und Wirtschaft wissenschaftlich und „rational“ steuern. Dies hätte wiederum das Herrschafts- und Gewaltmonopol der Partei vollständig untergraben.7 So lässt sich erklären, warum viele führende Forscher der Sowjetunion als Gefahr für die Regimestabilität wahrgenommen wurden und dem Großen Terror zum Opfer fielen. Oder warum die im Weltraum- und Atomprogramm tätigen Größen wie Sergej Koroljow und Andrej Sacharow zumindest zeitweise in Lagerhaft oder in der Verbannung waren.

    Junge Reformer

    Doch ein solch komplexes politökonomisches System wie die Sowjetunion war auf Expertise angewiesen, und so ist es wenig verwunderlich, dass in der Staatsverwaltung auf Technokraten gesetzt wurde, insbesondere in Krisenzeiten. Während der Perestroika nahm zum Beispiel der technokratische Premierminister Nikolai Ryshkow eine führende Position im Staat ein, er regierte als eine Art technokratisches alter ego des Generalsekretärs Gorbatschow8.

    Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam im Russland der frühen 1990er Jahre eine neue Generation von jungen Reformern um Jegor Gaidar an die Macht, die vorwiegend mathematisch und wirtschaftswissenschaftlich geprägt war und eine technokratische Sicht auf die Politik vertrat. Charakteristisch hierfür etwa ist ein Zitat von Alexej Uljukajew aus dem Jahr 1995: „Die wichtigste Frage jeder Evolution ist die Abgrenzung der Macht: Wie können Entscheidungen kompetent getroffen werden, sodass diese nur von Wissen und Erfahrung abhängen, nicht jedoch von Abstimmungsergebnissen?“9

    „Mentalität“ des Technokraten

    Für gewöhnlich werden Bürokraten wie der Vorsitzende des Rechnungshofes Alexej Kudrin, Sparkassenvorsitzender German Gref, Zentralbankchefin Elwira Nabiullina, Finanzminister Anton Siluanow, Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin oder der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Sergej Kirijenko als Technokraten bezeichnet. Sie stehen für wirtschaftsliberale Politikansätze, die vor allem der makroökonomischen Stabilisierung dienen sollen.

    Politische und bürgerliche Freiheitsrechte spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Eine technokratische Geisteshaltung lehnt viele Elemente ab, die im Kern zum politischen Liberalismus gehören. Zur „Mentalität“10 des Technokraten gehören etwa, dass technisch-wissenschaftliche Lösungen Politik ersetzen sollen. Technokraten vertreten eine Grundskepsis gegenüber politischen Institutionen wie Parteien und Parlamenten sowie gegenüber der Offenheit und Gleichberechtigung der repräsentativen Demokratie. Technokraten glauben außerdem, dass soziale und politische Konflikte sowie Meinungsverschiedenheiten schädlich sind, weil sie vor allem der Unwissenheit geschuldet seien. Sie haben aus Prinzip eine Abneigung gegen moralisierende oder ideologisierende Debatten: Die Lösung von Problemen soll demnach in den verschiedenen Politikfeldern vor allem durch pragmatische und praktische Ansätze erfolgen. Insgesamt sei technischer Fortschritt und materielle Produktivität weitaus wichtiger als soziale Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit.

    Techno-Optimismus

    Vor diesem Hintergrund ist auch die Begeisterung nachvollziehbar, mit der viele russische Politiker derzeit von neuen Technologien im IT-Bereich sprechen. Viele von ihnen sehen darin auch eine Lösung für den anhaltenden Reformstau in vielen Politikfeldern. Selbst Putin, der vor einigen Jahren noch behauptete, kein Internet zu nutzen, leide nun inzwischen an der „digitalen Krankheit“, witzeln einige Beobachter. In der Tat sprechen der Präsident und seine Berater zusehends öfter von blockchain, neuronalen Netzwerken, Algorithmen, maschinellem Lernen, Automatisierung und Arbeiten in der cloud.

    Fortschritte in diesem Bereich sollen nicht nur der Wirtschaft zu Gute kommen, sondern auch das Gerichtswesen und die Staatsverwaltung effizienter machen. Der „Staat als Plattform“11 etwa ist eine der zentralen Reformempfehlungen des Zentrums für Strategische Entwicklung (CSR), dessen Ratsvorsitz Alexej Kudrin innehat. Die Grundidee dabei ist, dass die vom Staat erhobenen Daten digitalisiert und zentral abgespeichert werden. Die Analyse großer Datenmengen soll dann automatisiert erfolgen. Dadurch, so die Überlegung, können gesetzliche Regulierungen und Beamtenschaft abgebaut werden, was nicht nur staatliche Leistungen schneller und effizienter mache, sondern gleichzeitig auch institutionelle Anreize schaffe, mit denen korrupte Praktiken abgebaut werden können.

    Diese Form von Techno-Optimismus ist nicht nur für Teile der bürokratischen Elite, sondern auch für die russische Gesellschaft charakteristisch: Laut Umfragen des Eurobarometers ist Techno-Optimismus in Russland und in anderen postkommunistischen Staaten deutlich häufiger anzutreffen als in Westeuropa. Je geringer das zwischenmenschliche Vertrauen und das Vertrauen in politische und staatliche Institutionen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass geglaubt wird, mit Wissenschaft und Technik alle Probleme der Menschheit lösen zu können12. Dazu gehören zum Beispiel auch Richter-Roboter, von denen sich die Bürger gerechtere Urteile erhoffen.

    Innovationsstau trotz Techno-Optimismus

    Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum Russland es trotz zahlreicher Technokraten in Regierungsverantwortung, großem Techno-Optimismus und auch Erfindergeist in der Gesellschaft und in Unternehmern nicht schafft, die Volkswirtschaft zu modernisieren. Und warum Russland selbst im Vergleich zu anderen autoritären Regimen wie China technisch immer weiter an Boden verliert. Der MIT-Professor Loren Graham bringt dieses Dilemma in seinem Buch Lonely Ideas13 auf den Punkt: Zwar seien Russen bei „Erfindungen“ erfolgreich, hätten es aber auch in historischer Perspektive selten geschafft, diese in „Innovationen“ zu transformieren. Dazu, so Graham, wäre ein institutionelles Umfeld nötig, das auf demokratischen Entscheidungsprozessen, freier Marktwirtschaft, Wettbewerb und einem Rechtsstaat beruhe. 

    Dies, so zeigt die Geschichte Russlands, würde aber vor allem die Macht der herrschenden Elite untergraben. Der jüngste Versuch, den Instant-Messaging-Dienst Telegram in Russland zu blockieren, hat erneut demonstriert, welche Richtung die Digitalisierung in Russlands „techno-bürokratischem Autoritarismus“14 einschlägt: Neue Technologien sollen zuallererst unter der Aufsicht des Staates bleiben, unkontrollierte kreative Energie wie die von Pawel Durow wird dabei erstickt oder ins Ausland gedrängt. Mitverantwortung tragen hier aber nicht nur die Silowiki, sondern eben auch jene Technokraten, deren Weltsicht sich allzu sehr gegen politische Reformen sträubt. 


    1. Burkhardt, Fabian/Kluge, Janis (2017): Generalprobe für Russlands Präsidentschaftswahlen: Moskau stärkt seine Kontrolle über Gouverneure und regionale Finanzen, in: SWP-Aktuell 2017/A 66 ↩︎
    2. McDonnell, Duncan/Valbruzzi, Marco (2014): Defining and classifying technocrat‐led and technocratic governments, in: European Journal of Political Research 53(4), S. 654-671 ↩︎
    3. Wratil, Christopher/Pastorella, Giulia (2018): Dodging the bullet: How crises trigger technocrat‐led governments, in: European Journal of Political Research 57(2), S. 450-472 ↩︎
    4. Bendix, Reinhard (1977): Nation-building and citizenship: Studies of our changing social order, University of California Press, S. 186 ↩︎
    5. Rowney, Don K. (1989): Transition to Technocracy: The Structural Origins of the Soviet Administrative State, Cornell University Press ↩︎
    6. Bailes, Kendall E. (1974): The politics of technology: Stalin and technocratic thinking among Soviet engineers, in: The American Historical Review 79(2), S. 445-469 ↩︎
    7. Moore, Barrington (1954): Terror and Progress USSR: Some sources of change and stability in the Soviet Dictatorship, Harvard University Press, S. 189 ↩︎
    8. Bialer, Seweryn/Afferica, Joan (1985): The Genesis of Gorbachev’s World, in: Foreign Affairs 64(3), S. 605-644 ↩︎
    9. zit. nach Gel’man, Vladimir (2018): Politics versus Policy: Technocratic Traps of Russia’s Policy Reforms, in: Russian Politics 3(2), S. 283 ↩︎
    10. Putnam, Robert D. (1977): Elite transformation in advanced industrial societies: An empirical assessment of the theory of technocracy, in: Comparative Political Studies 10(3), S. 383-412 ↩︎
    11. csr.ru: Cifrovaja Transformacija Gosudarstva: Grazhdanin i Gosudarstvo v Novoj Cifrovoj Real’nosti ↩︎
    12. So die Fragen, die Respondenten bei den Umfragen gestellt werden. Meduza: Segodnja Prezident – ne političeskij, a sakral’nyj institut: Interv’ju Sociologa Viktora Vachštajna – o tom, komu doverjajut Rossijane ↩︎
    13. Graham, Loren (2013): Lonely ideas: can Russia compete?, MIT Press ↩︎
    14. Burkhardt, Fabian (2016): Ordnung der Macht: Die Generation Anton Wainos und Russlands techno-bürokratischer Autoritarismus, in: Russland-Analysen Nr. 322, S. 13-19 ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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