Dossier

Wlast – Russlands Machteliten

Das „anarchischste“, ja das „staatsloseste Volk“ überhaupt seien die Russen, schrieb der Philosoph Nikolaj Berdjajew Anfang des 20. Jahrhunderts. Es sei aber zugleich auch ein Volk, das sich willig dem Bürokratieapparat unterwerfe und eine sehr „mächtige Staatlichkeit“ schaffe, fügte er hinzu.

Glaubt man manchen russischen Kulturologen, so hat sich an diesem Widerspruch seit Berdjajews Zeit kaum etwas verändert. 31 Prozent der russischen Bürger glauben heute, dass die Staatsmacht kriminell sei, elf Prozent stufen sie gar als parasitär ein, so die Lewada-Umfrageergebnisse aus dem Jahr 2016.

Wie geht es aber zusammen, dass über 80 Prozent der Menschen in Russland Zustimmung für den Präsidenten äußern und zugleich nur sechs Prozent meinen, dass die Staatsmacht gerecht sei?

Die Lösung des Rätsels liegt im aufgeladenen und widersprüchlichen Phänomen namens Wlast. Dieser Begriff kann sowohl den Macht- und Herrschaftsbegriff umfassen, als auch die Staatsmacht, Regierung, Behörden, Oligarchen oder auch irgendeine Obrigkeit – mit entsprechenden Schwierigkeiten bei der Übersetzung in andere Sprachen. Je nach Interpretation kann Wlast außerdem ganz andere Bedeutungsinhalte haben: Von der personifizierten Staatsmacht Putins, über die Anonymität und Unsichtbarkeit der Macht, wie man es etwa bei Kafka kennt, bis hin zum Orwellschen Unterdrückungsapparat.

Das dekoder-Dossier ist eine Annäherung an das Phänomen Wlast: Inwieweit kann man Wlast mit Putin gleichsetzen? Ist Wlast in Russland denn wirklich absolut und unteilbar, wie es ein gängiges Klischee suggeriert? Was hat sie mit der gesellschaftlichen Ordnung und mit ihrer Konstruktion zu tun? Und was bedeutet das Ganze konkret für die russische Innen- und Außenpolitik? Für das Verhältnis zur EU und zu den USA? Diese Fragen stellen sich vor allem auch angesichts der Präsidentschaftswahl im März 2018.


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    Maria Sacharowa

    Maria Sacharowa (geb. 1975) leitet seit 2015 die Pressestelle des russischen Außenministeriums. Sie ist bekannt für ihre ständige Präsenz in politischen Talkshows und äußert sich häufig in den sozialen Netzwerken. Damit wurde sie zu einem der meistzitierten russischen Diplomaten. 

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  • Gnose

    Alexej Djumin

    Alexej Djumin (geb. 1972)  ist seit 2016 Gouverneur der Region Tula. Der frühere stellvertretende Verteidigungsminister erregte im Juni 2023 Aufsehen durch seine mutmaßliche Beteiligung an der Abwendung von Prigoshins „Marsch“ nach Moskau. Als Putins ehemaliger Leibwächter pflegt er enge Beziehungen zum russischen Präsidenten.

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  • Special

    Prigoshins Aufstand: eine Chronologie der Ereignisse

    Mehrere Tausende Söldner, mit Panzern und Artillerie ausgerüstet, besetzen die Millionenstadt Rostow am Don und marschieren gen Moskau. Eine Chronologie der Ereignisse und Hintergründe zum Militär-Aufstand der Wagner-Truppen am 23. und 24. Juni.

  • Gnose

    Sergej Sobjanin

    Sergej Sobjanin (geb. 1958) ist seit 2010 Bürgermeister der Stadt Moskau. Er gilt als „Mann Putins“, wurde von diesem im Jahr 2000 zum Generalgouverneur des Gebiets Ural ernannt und setzte von dort seine politische Karriere fort. Als Bürgermeister Moskaus setzte er teilweise die Bauprojekte seines Vorgängers Juri Luschkow aus, dem Korruption vorgeworfen wurde. Sobjanin gründete eine große, von der Moskauer Regierung kontrollierte Medienholding. Im Vergleich zu seinem Vorgänger gilt er als Reformer.

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  • Gnose

    Verfassungskrise 1993

    Am 21. September 1993 brach der russische Präsident Boris Jelzin die noch geltende sozialistische Verfassung des Landes, indem er per Dekret das Parlament auflöste. Jelzin wurde seinerseits des Amtes enthoben, behielt aber Rückhalt in der Gesellschaft und Kontrolle über die Armee, die am 5. Oktober den Widerstand gegen den Präsidenten brach. Bei den zehntägigen Zusammenstößen in Moskau gab es mehr als einhundert Tote und Verletzte. Diese Ereignisse bilden die Geburtsstunde der heute geltenden russischen Verfassung. Sie prägen nachhaltig den gegenwärtigen Staatsaufbau sowie die politische Kultur Russlands.

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