дekoder | DEKODER

Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Zitat #7: „Es gibt einen Menschen, der keine Angst vor dem Atomkrieg hat”

    Zitat #7: „Es gibt einen Menschen, der keine Angst vor dem Atomkrieg hat”

    Im Programm Osoboje Mnenije (dt. Besondere Meinung) auf Echo Moskwy war zum Ende des Jahres 2018 der Schriftsteller Viktor Jerofejew zu Gast. Dabei sprach er auch über das „größte Ereignis des Jahres 2018”.
    Kurz vorher hatte Wladimir Putin eine neue Hyperschallwaffe vorgestellt: Keine Raketenabwehr könne diese abfangen, sagte er beim Test der Waffe. Bereits im Oktober 2018 hatte US-Präsident Trump angekündigt, den Abrüstungsvertrag INF zu kündigen.
    Kommt es zu einem neuen Wettrüsten?

    Viktor Jerofejew: Mir kam der Gedanke, dass wir uns an 2018 als das Jahr erinnern werden, in dem bei uns der Mensch entstanden ist, der keine Angst vor dem Atomkrieg hat. Alle haben Angst davor – ich habe Angst, Sie haben Angst, aber es gibt einen Menschen, der keine Angst hat. Er ist sehr einflussreich und heißt Putin.

    Dies ist wohl das größte Ereignis des Jahres 2018 – wir haben ihn gefunden – den Menschen, der ganz real keine Angst hat vor dem Krieg.

    […]

    Oxana Paschina: Überhaupt ist das eine ganz furchtbare Geschichte, wenn man bedenkt, dass Putin den Start der Hyperschallwaffe Avangard als wunderbares Neujahrsgeschenk bezeichnet.

    Weihnachtsbaumschmuck, ein echter Knaller.

    Hm, genau, ein super Geschenk.

    Sehen Sie, da ist nun ein Mensch auf der Welt erschienen, der keine Angst vorm Krieg hat. Vielleicht. Und keinen Krieg will – vielleicht. Der aber keine Angst vor dem Krieg hat. Kommt er? Macht nichts, wenn er kommt.

    […]

    Aber man hat den Eindruck, Putin und Trump würden ein Doppel spielen. Die USA wollen zum Jahr 2021 aus dem START-Abkommen aussteigen, aus dem ABM-Vertrag über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen sind sie längst ausgetreten – so beobachten wir in diesem Bereich ein internationales Rechts-Vakuum.

    Nein, das ist kein Vakuum.

    Oder ein neues Wettrüsten, das sowohl wir als auch die Vereinigten Staaten brauchen?

    Sie spielen im Doppel, haben aber unterschiedliche Rollen. Also ist es wie bei Mann und Frau im Paartanz – sie haben unterschiedliche Rollen in ein und demselben Tanz.

    Wer ist denn in diesem Tanz der Mann und wer die Frau?

    Ich glaub, wir haben es hier mit zwei Männern zu tun.

    Also ist es wichtig zu begreifen, wer führt.

    Darum wird natürlich gekämpft. Aber ich glaube, dass Trump führt, denn er ist groß, hinter ihm steht Amerika. Aber unser Mann gibt vor, er würde führen. Obwohl im Großen und Ganzen selbstverständlich Amerika führt – da gibts nichts zu deuteln.

    Hat Europa Angst vor uns? Wir sind ihm unangenehm. Merkt es, dass es sich mit uns aber eben abgeben muss, so wie Robinson Crusoe mit Freitag?

    Ich glaube, dass Europa immer Angst hatte vor Russland. Seit den Zeiten Iwan des Schrecklichen auf jeden Fall. Und wir sind ihm unangenehm, ja. Wir passen einfach ästhetisch nicht. Darüber hat Astolphe de Custine viel geschrieben. Er hat es sehr treffend gesagt: „Das Unglück Russlands ist nicht, dass es den Westen nachmacht, sondern, dass es ihn schlecht nachmacht.”


     

    Weitere Themen

    Wie Russland lernte, die Bombe zu lieben

    Exportgut Angst

    Infografik: Russlands Verhältnis zu den USA

    Der Mann, der den Atomkrieg verhinderte

    „Wir haben einen hybriden Krieg“

    Krasser Cocktail

  • „Wir haben einen hybriden Krieg“

    „Wir haben einen hybriden Krieg“

    Dimitri Trenin leitet das Moskauer Zentrum des US-amerikanischen Carnegie Endowment for International Peace, das als einer der einflussreichsten Thinktanks der Welt gilt. Dabei teilt Trenin nicht alle klassischen Positionen des liberalen Diskurses in Russland. 

    Im Interview mit der Novaya Gazeta spricht der renommierte Politologe sehr kritisch über die russischen Beziehungen zum Westen im Allgemeinen und zu den USA im Besonderen. Und darüber, was das alles noch mit dem Kalten Krieg zu tun hat.

    Andrej Lipski: Die Beziehungen zu den USA sind immer die reinste Achterbahnfahrt: Mal geht es hoch in die Luft, mal steil bergab. Wenn wir die derzeitige Krise vergleichen wollen, stellt sich die Frage, wodurch sie sich von anderen Einbrüchen in den Beziehungen unterscheidet, insbesondere von dem während der Blockkonfrontation, im Kalten Krieg.

    Dimitri Trenin: Erstens denke ich nicht, dass das eine Krise ist. Meiner Ansicht nach war die Krise ungefähr Anfang 2015 vorbei. Eine Krise ist ja ein zeitlich recht begrenzter Zustand, ein Bruch, ein Übergang von einem Zustand in einen anderen.

    Bis 2014 gab es einen Zustand, bei dem die Zusammenarbeit mit dem Westen überwog. Sie verschlechterte sich, war nicht besonders eng, aber es gab sie immerhin.

    Seit 2014 – und bis 2015 hatte sich das endgültig verfestigt – gibt es überwiegend Rivalität und Feindschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika, bei einer gleichzeitigen Entfremdung von Europa.

    Ich bezeichne den jetzigen Zustand als „hybriden Krieg“. Ende Februar 2014, als ich die Folgen der russischen Operation auf der Krim im Gefolge der Ereignisse in Kiew, nach dem Maidan und dem Machtwechsel einzuordnen versuchte, da hatte ich den Begriff „neuer Kalter Krieg“ verwendet. Den habe ich aber bald fallengelassen und stattdessen von einem hybriden Krieg gesprochen, einfach, um diesen weit verbreiteten Terminus zu verwenden. Gleichzeitig macht er deutlich, dass es sich um eine Konfrontation handelt, die zwar auf dem gleichen Niveau und für Russland mit der gleichen Relevanz wie der Kalte Krieg besteht (das Wort „Krieg“ ist präsent, auch wenn mich viele deswegen kritisiert haben), aber dennoch eine andere ist.

    Erst hatte ich den Begriff neuer Kalter Krieg verwendet. Jetzt spreche ich von einem hybriden Krieg

    Wenn wir jetzt von einem „neuen Kalten Krieg“ sprächen, würden wir gewissermaßen eine Wiederholung dessen erwarten, was sich in den 1940er bis in die 1980er Jahre abspielte. Die Welt hat sich jedoch geändert, und es wird keine Wiederholung geben; wir würden dadurch unsere Orientierung verlieren. Und würden jene neuen Dinge außer Acht lassen, die geschehen und geschehen werden und die es in den Zeiten des Kalten Krieges nicht gegeben hat. Das würde uns auf der intellektuellen Ebene entwaffnen.

    Und worin unterscheidet sich die derzeitige Konfrontation vom Kalten Krieg?

    In vielem. Erstens ist es kein systembildendes Phänomen. Ein solches ist der Kalte Krieg aber für das gesamte System der internationalen Beziehungen gewesen. Der derzeitige amerikanisch-russische hybride Krieg ist von großer Bedeutung, ist aber nicht zentral für die internationalen Beziehungen als Ganzes. Und zweitens handelt es sich um einen höchst asymmetrischen Krieg. Die UdSSR war den USA militärisch, politisch und ideologisch und sogar zum Teil ökonomisch gewissermaßen ebenbürtig. Heute aber hinkt Russland den Vereinigten Staaten bei den meisten Parametern nationaler Stärke hinterher.

    Der Kalte Krieg war etwas Statisches. Die Welt war geteilt. Es existierte ein Eiserner Vorhang, es gab die Berliner Mauer … Der derzeitige hybride Krieg wird unter den Bedingungen der Globalisierung geführt, und er läuft am aktivsten in Sphären, die allen zugänglich sind. 

    Der Krieg damals war zweidimensional – jetzt befinden wir uns in 3D

    Angefangen bei der Wirtschaft, wo die Sanktionen wirken, über die Medien, wo ein harter Informationskrieg geführt wird, bis hin zum Cyberbereich … Und so weiter und so fort. 
    Wenn der Krieg damals zweidimensional war, so befinden wir uns jetzt in 3D. Es gibt keine Frontlinie, keine klare Abgrenzung zwischen dem eigenen Territorium und dem des Gegners. Es gibt noch eine Reihe weiterer Besonderheiten. Das Militärische ist präsent, aber nicht dominierend. Es gibt einen Rüstungswettlauf, der steht aber nicht im Zentrum. Und ich sage es noch einmal:

    Russland hat in diesem Krieg keinen einzigen Verbündeten, nicht einmal unter seinen engsten Partnern. Niemand hat sich Russland angeschlossen. Und es wird sich auch niemand anschließen, solange Russland auf der Gegenseite nicht nur mit den Vereinigten Staaten Probleme hat, mit denen es sich in einer direkten Konfrontation befindet, sondern auch mit den Ländern Europas, die meiner Ansicht nach im Großen und Ganzen nicht in Konfrontation zu Russland stehen.

    Während des klassischen Kalten Krieges und insbesondere während der Kubakrise hat die Angst vor einer Atomkatastrophe von einem Krieg abgehalten. Danach verflüchtigte sich diese Angst allmählich. Perestroika, Reykjavík, das „neue Denken“, der Zusammenbruch des Kommunismus, der Zerfall der UdSSR, des Warschauer Paktes, das Ende der Konfrontation, des Kalten Krieges. Man konnte sich entspannen und die Rüstungsausgaben senken. 


    Die Gesellschaft zitterte nicht mehr vor Angst und glaubte nicht mehr an die Bedrohung durch einen langjährigen potenziellen Feind. Besteht nicht genau darin paradoxerweise die neue Gefahr, wenn sich die Konfrontation wiederum verschärft?

    Natürlich war der Kalte Krieg sehr viel gefährlicher für die menschliche Existenz als die Zeit jetzt. Seinerzeit gab es nicht nur ein Gefühl von Gefahr, sondern echte Gefahr. Ein massiver Atomschlag galt als durchaus real. Und wie wir wissen, gab es im Laufe des Kalten Krieges einige Fälle, bei denen der Finger über dem roten Knopf schwebte, weil die Geräte zeigten, dass es losgeht, oder weil sie irgendwas zeigten, was als massiver Raketenschlag gewertet werden konnte.

    Aber ich stimme in der Tat zu, dass die fehlende Angst vor einem realen Atomschlag die Illusion entstehen lässt, man könne militärische Gewalt einsetzen und gleichzeitig eine Eskalation im Sinne einer atomaren Auseinandersetzung ausschließen. 

    "Für die Amerikaner spielt die Außenpolitik im Prinzip eine zweitrangige Rolle." – Putin und Trump beim G20-Gipfel in Hamburg © kremlin.ru
    „Für die Amerikaner spielt die Außenpolitik im Prinzip eine zweitrangige Rolle.“ – Putin und Trump beim G20-Gipfel in Hamburg © kremlin.ru

    Meiner Ansicht nach standen wir 2016 in Syrien ziemlich dicht vor der Aussicht auf einen russisch-amerikanischen Krieg, als Hillary Clinton und ihre Berater im Wahlkampf verkündeten, sie werde, falls sie Präsidentin werde, über Syrien eine Flugverbotszone ausrufen. Was eine Flugverbotszone bedeutet, haben wir nach Libyen sehr wohl verstanden. Dann hätte die russische Führung – die zu diesem Zeitpunkt in Syrien schon über Streitkräfte verfügte, einschließlich einer Luftwaffenkomponente – vor der Wahl gestanden, sich entweder aus Syrien zurückzuziehen und die Amerikaner dort nicht zu stören oder die Flugverbotszone zu verletzen und mit den Amerikanern in bewaffneten Kontakt zu geraten. Wenn ich das richtig verstehe, waren Hillary Clinton und die Leute an ihrer Seite durchaus entschlossen. Und wenn die Vorschläge von Frau Clinton umgesetzt worden wären, hätten sie den Weg zum ersten russisch-amerikanischen Krieg geebnet.

    Es ist eine Illusion, dass eine atomare Eskalation ausgeschlossen ist

    Es gibt noch andere Bereiche, in denen wir mit den Amerikanern aneinandergeraten könnten: Ich meine heftige Cyberattacken. Nicht das, was wir bisher gesehen haben, sondern beispielsweise, eine ganze Stadt, die lahmgelegt wird, oder ein großes Kraftwerk wird abgeschaltet, oder sonst was, was als feindseliger Akt eines anderen Staates gewertet werden könnte. Es kann zu Zwischenfällen mit Flugzeugen oder Kriegsschiffen kommen, vielleicht über dem Baltikum, vielleicht über dem Schwarzen Meer, wo es ja schon vorkam, dass man dicht aufeinander zuflog oder -navigierte. Die Möglichkeit von Zusammenstößen besteht also, und sie muss ernstgenommen werden.

    Es gibt recht viele unterschiedliche Erklärungen für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und den Staaten. Viele von ihnen sind oberflächlich, nicht überzeugend, einige sogar lächerlich. Wahrscheinlich gibt es wohl fundamentale Gründe für die Widersprüche zwischen unseren Ländern. Versuchen wir also, auf den Grund vorzustoßen, wie die Archäologen sagen.

    Beschreiben würde ich das so: Nach jedem großen Konflikt, in jedem Krieg – und der Kalte Krieg war ein großer Konflikt und einem Krieg gleichzusetzen – gibt es Sieger und Besiegte. Wenn wir den Kalten Krieg aus geopolitischer Perspektive betrachten, so haben die Vereinigten Staaten und deren Verbündete gesiegt, und die Sowjetunion oder Russland, das seinerzeit Sowjetunion hieß, hat ihn verloren. Außerdem hat Russland eine sehr schmerzhafte Transformation durchgemacht, nachdem es den Kommunismus abgeschüttelt hatte. 

    Nach jedem Krieg gibt es zwei grundlegende Optionen. Entweder organisiert die siegreiche Seite auf den Ruinen des Krieges den Frieden auf eine Weise, dass die unterlegene Seite zu akzeptablen Bedingungen in ein neues System eingebunden wird. Das ist die eine Option.

    Der Westen hat die Interessen Russlands nicht berücksichtigt

    Die andere besteht darin, das besiegte Land außerhalb des [neuen] Systems zu belassen und es zu zwingen, den bitteren Kelch des Unterlegenen zu leeren, wie es beispielsweise Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg erging.

    Ich will nicht sagen, dass der Westen Russland nach dem Ende des Kalten Krieges gezwungen hätte, diesen bitteren Kelch zu leeren. Aber Russland musste die Folgen seiner geopolitischen Niederlage anerkennen. Und den Umstand, dass die Welt im Großen und Ganzen nicht unbedingt unter Berücksichtigung von Russlands Meinung eingerichtet wird, dass Russland nicht zu den Bedingungen in das neue Sicherheitssystem in Europa einbezogen wird, die es für sich als akzeptabel erachtet. Der Westen hat die Interessen Russlands nicht berücksichtigt.

    Nehmen wir einmal an, die Vereinigten Staaten hätten Russland in die NATO aufgenommen, wie das Jelzin wollte und wie Putin es anfänglich versuchte. Was wäre geschehen? Herausgekommen wäre eine ziemlich fragmentierte euroatlantische Welt, in der den USA vorgeschlagen worden wäre, auf einem Spielbrett mit den führenden EU-Staaten zu agieren – und diese drei führenden Staaten wiederum hätten ein Triumvirat Berlin – Paris – Moskau bilden können gegen oder sagen wir neben dem Bund Washington – London.

    Dimitri Trenin / © Svetlana TB/CC BY-SA 4.0
    Dimitri Trenin / © Svetlana TB/CC BY-SA 4.0

    Russland hätte, so denke ich, seine Lage ein paar Jahre lang genossen, es hätte angenommen, dass es das zweitmächtigste und zweiteinflussreichste Land der NATO ist, so eine Art „Vizepräsident der euroatlantischen Allianz“. Doch recht bald schon hätte Russland größere Ansprüche erhoben – auf einen gemeinsamen Vorsitz. Und Russland hätte dann Koalitionen gesucht, um seine Positionen zu stärken, vor allem mit Ländern wie Deutschland oder Frankreich. 
    Die Frage ist nun: Was wäre von der NATO unter solchen Bedingungen geblieben? Und wo wäre die amerikanische Führung geblieben, die amerikanische Vorherrschaft, und was hätten die Vereinigten Staaten durch eine Aufnahme Russlands in die NATO gewonnen?

    Ausgehend vom Primat der Eigeninteressen der USA, vom Primat ihres nationalen Egoismus, können wir zu dem Schluss gelangen, dass die amerikanische Weigerung, Russland in die NATO aufzunehmen, kein Ergebnis strategischer Kurzsichtigkeit war, sondern das einer recht nüchternen Kalkulation der Folgen.

    Und Putin hat das ernsthaft vorgeschlagen?

    Ich denke, ja. Der Putin der frühen 2000er Jahre wollte ein Bündnis mit dem Westen, da habe ich keine Zweifel. Nur hat Putin in den fast zwei Jahrzehnten, die er an der Macht ist, eine ganz beträchtliche Evolution vollzogen, unter anderem im Bereich der Außenpolitik.

    Um es also zusammenzufassen: Der jetzige Konflikt zwischen Russland und Amerika ist eine Folge dessen, dass nach dem vorangegangenen Konflikt keine Regelung gefunden wurde, die sowohl die unterlegene als auch die Siegerseite zufriedengestellt hätte. Wenn die Verliererseite, wie die Geschichte zeigt, stark genug ist, über genug Ressourcen verfügt und – das ist die Hauptsache – den nötigen Willen und die Bereitschaft hat, sich dem Gegner zu widersetzen, dann muss man nur eine Weile warten, bis der Konflikt erneut ausbricht.

    In Russland akzeptieren die herrschende Schicht und die Gesellschaft keine Dominanz durch jemand anderen

    Was haben die Amerikaner nicht bedacht? Sie haben nicht bedacht, dass Russland eines der wenigen Länder ist, in denen die herrschende Schicht und die Gesellschaft (aus einer Reihe von Gründen, über die wir lange reden können) ganz prinzipiell keine Dominanz durch jemand anderen akzeptieren. Und die bereit sind, einen hohen Preis zu zahlen, um nicht zum Objekt dieser Dominanz zu werden.

    Russland wiederum hat im Grunde den Platz, der ihm in der Welt nach dem Kalten Krieg angeboten wurde, aus einem ganz bestimmten Grund ausgeschlagen.

    Die Eintrittskarte in das System schien recht günstig – es musste lediglich die Führung der Vereinigten Staaten von Amerika ernsthaft anerkannt werden: Wenn ihr die anerkennt, dann werdet ihr ins Zimmer gelassen und dann, nun ja, da ist dann vieles möglich, aber ihr seid ein Teil unserer Welt.

    Und in dieser Welt befanden und befinden sich jetzt die unterschiedlichsten Länder, die längst nicht alle Demokratien sind, die längst nicht alle in sämtlicher Hinsicht sauber sind. Doch sie alle aber befinden sich dort, weil sie das Primat der amerikanischen Führung anerkennen.

    Russland hat versucht, auf irgendeine Art durch diese Tür zu kommen; einige russische Führungskräfte haben das erklärt und sind wohl persönlich bereit gewesen, etwas zu unternehmen, doch wurden sie von der Gesellschaft und der Elite zurückgezogen. 

    Und Russland weigerte sich, eine amerikanische Führung anzuerkennen. Als das klar wurde, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann und unter welchen Bedingungen Russland mit den Vereinigten Staaten zusammenstoßen würde. Weil die USA prinzipiell und niemals eine Gleichstellung mit einem anderen Land akzeptieren, nicht einmal mit China, wenn Amerika im nach Dollar bemessenem Bruttoinlandsprodukt von ihm überholt werden sollte.

    Unsere Propaganda wie auch Politiker sagen gern, dass die zunehmende Verschlechterung der Beziehungen zu den USA unter Trump eine Folge der internen Widersprüche in der amerikanischen Elite sei. Und Trump – obwohl er bereit ist, sich mit uns zu arrangieren – sei genötigt, Härte zu zeigen, um die demokratischen Opponenten in Schach zu halten und den Verdacht eines Komplotts mit den Russen loszuwerden.
    Wie stark wirkt dieser Faktor auf die Krise in unseren Beziehungen zu den USA?

    In den USA ist die Innenpolitik das Allerwichtigste. Für die Amerikaner spielt die Außenpolitik im Prinzip eine zweitrangige Rolle, da sie ausschließlich den internen Interessen Amerikas untergeordnet ist. Russland als solches gibt es für Amerikaner im Großen und Ganzen nicht. 

    Die Sanktionen zeigen, dass Russland für die Vereinigten Staaten keinen Wert darstellt

    Die Sanktionen belegen, dass Russland für die Vereinigten Staaten keinen Wert darstellt, deshalb werden alle Sanktionen so leicht akzeptiert. Wenn Russland einen Wert darstellen würde, wäre die Situation eine andere.

    Und weil es für Trumps Gegner nichts Wichtigeres gibt, als ihn zu Fall zu bringen, wird Russland als Knüppel eingesetzt, solange Trump an der Macht ist. Wenn Trump geht, dann können wir uns ausmalen, sollte es einen demokratischen Präsidenten geben, dass dieser zumindest anfänglich eine sehr harte Position gegenüber Russland einnehmen wird. 

    Bislang heißt es, dass Trump den Russen gegenüber zu milde sei, dass er, selbst wenn er all die Sanktionsgesetze und -erlasse unterzeichnet hat, in Wirklichkeit eine gewisse Warmherzigkeit gegenüber Russland empfinde. Und dass er sogar von Putin abhängig sei. Meiner Ansicht nach ist das völliger Schwachsinn, doch der findet bei jenen, die daran glauben, ein sehr großes Publikum. Deshalb denke ich, dass der Beginn der nächsten Präsidentschaft ebenfalls sehr schwer würde für die Beziehungen.

    Und es gibt noch einen Faktor. Keiner der in der amerikanischen Innenpolitik profilierten führenden Politiker wird sich in der Kommunikation mit Putin sonderlich frei fühlen. Solange Putin an der Macht ist, wird es ganz erhebliche Vorbehalte auf amerikanischer Seite geben.

    Ist Putin für die Amerikaner toxisch?

    Genau. Sie fürchten ihn, und gleichzeitig hassen ihn viele. Die Dämonisierung Putins in den Augen der amerikanischen Öffentlichkeit macht jeden, der sich ihm zu sehr nähert, bereits zu einem potenziellen Verdächtigen.

    Weitere Themen

    Trump ein Agent Putins?

    Russland und der Krieg in Syrien

    Petersburger Trolle im US-Wahlkampf

    Die Honigdachs-Doktrin

    Video #3: Putin: Hacker sind wie Künstler

    Die Wilden 1990er

  • Debattenschau № 68: Treffen von Putin und Trump

    Debattenschau № 68: Treffen von Putin und Trump

    Anfangs war die Stimmung noch frostig. Am Ende ihres Treffens in Helsinki jedoch strahlten sie beide: der russische Präsident Putin und der US-amerikanische Präsident Trump. „Der Dialog ist sehr gut verlaufen“, erklärte Trump in der anschließenden Pressekonferenz, auch Putin lobte die „geschäftsmäßige“ Atmosphäre.

    Auf Nachfrage eines Journalisten sagte Trump während der Pressekonferenz, er habe keinen Grund zu der Annahme, dass sich Russland in den US-amerikanischen Wahlkampf eingemischt habe. In den USA bringt ihm dies derzeit heftige Kritik ein, von demokratischer wie republikanischer Seite, da diese Aussage im krassen Gegensatz steht zu den Ermittlungen der US-Geheimdienste und des Sonderermittlers Robert Müller. Der Großteil der US-Medien kritisiert den Gipfel und Trumps Auftritt neben Putin. Die Washington Post etwa schrieb, Trump habe sich zu Putins „nützlichem Idioten“ gemacht.

    Viele europäische Politiker kritisierten das Treffen schon im Vorhinein. Kurz vor dem Gipfel in Helsinki hatte Trump die EU als „Gegner“ bezeichnet. Der deutsche Außenminister Heiko Maas etwa sagte in einem Interview der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, die EU könne sich nicht mehr auf die USA verlassen. Er forderte auch eine „Neuvermessung der deutsch-amerikanischen Beziehungen“.

    Wie wird das Treffen von Putin und Trump in russischen Medien bewertet: Ist Russland endlich wieder auf Augenhöhe mit den USA? Oder ist alles eine große Show? dekoder bringt Ausschnitte aus staatsnahen und unabhängigen russischen Medien.

    Republic: Auf Augenhöhe

    Egal, was beim Treffen nun herauskam oder nicht herauskam, Putin hat schon gewonnen, meint Politologe Wladimir Frolow auf dem unabhängigen Online-Portal Republic:

    [bilingbox]Das Wichtigste, das Putin bekommen hat, ist die Möglichkeit, neben dem amerikanischen Präsidenten auf einer Pressekonferenz zu stehen und die großen internationalen Probleme aufzuzählen, die er nun gemeinsam mit Donald Trump lösen wird – ohne in die Vergangenheit oder auf die Meinung anderer Staaten zu schauen. Das war genau die offizielle Anerkennung Russlands als den USA ebenbürtige globale Macht, die ersehnte „geopolitische Parität“, die der russische Präsident in der gesamten vergangenen Amtszeit angestrebt hat. ~~~Главное, что получил Путин – это возможность, стоя рядом с американским президентом на пресс-конференции, перечислять большие международные проблемы, которые он будет теперь решать вместе с Дональдом Трампом, без оглядки в прошлое и на мнение других держав. Это как раз и было официальное признание статуса России как равной США глобальной державы, заветный «геополитический паритет», к которому российский президент стремился весь свой последний срок.[/bilingbox]

    erschienen am 17.07.2018

    RT: Hysterie in Europa

    Der staatliche Auslandssender RT amüsiert sich über die Sorge und Kritik vieler europäischer Politiker an dem Treffen:

    [bilingbox]Die Sache ist die: Indem er sich das Treffen mit Putin zum Dessert aufsparte, hinterließ Donald Superstar die Europäer auf seiner Europa-Tour mit offenen Mündern. […] Am amüsantesten ist, dass er bei allem Recht behielt. Denn in den Zeitungen und Fernsehsendungen Europas – und des abdampfenden Großbritanniens – herrscht fulminante Hysterie.

    Der Wirbelsturm-Mann hat so über die verkrusteten europäischen Politiker gefegt, […] dass es eine Augenweide war. Wenn die größte Gefahr für die europäische Demokratie à la Brüssel bislang Putin war mit seinen minderjährigen Hackern, dann hat sich das jetzt schlagartig geändert.~~~А всё дело в том, что Дональд Ф. Суперстар, оставив встречу с ВВП на сладкое, так провёл своё европейское турне, что оставил местных с широко распахнутыми челюстями. […] И, что самое смешное, он был во всём прав. Судя по тому, что в газетах и на телеканалах Европы и отчаливающей от неё Британии уже который день стоит фирменная истерика. 

    Мужчина-ураган так проехался по заскорузлым европейским политикам, […] что любо-дорого посмотреть. Если раньше главной угрозой европейской демократии брюссельского разлива был лично Путин В.В. и его малолетние хакеры, то теперь версия резко изменилась.[/bilingbox]

    erschienen am 16.07.2018

    Vedomosti: Win-win-Situation

    Auf Vedomosti kommentiert Maria Shelesnowa, weshalb das Treffen ein Gewinn für beide Staatschefs war, obwohl es ohne irgendwelche Vereinbarungen zu Ende ging:

    [bilingbox]Ein solches Ergebnis sieht vor dem Hintergrund des Treffens von Trump mit einem anderen schwierigen Burschen der Weltpolitik –  Kim Jong-un – teilweise dürftig aus. Allerdings passt es sowohl Trump als auch Putin. Für den US-amerikanischen Präsidenten bedeutet das Ausbleiben von Abmachungen und Verpflichtungen – auch wenn sie schwammig wären – weniger Risiko, zu Hause wegen intensiver Kontakte mit dem toxischen Moskau angeprangert zu werden. Für Putin ist es ein Anzeichen dafür, dass Moskau Washington keinen Fingerbreit nachgegeben hat.~~~Такой исход выглядит отчасти проигрышным на фоне результата встречи Трампа с другим трудным парнем мировой политики – Ким Чен Ыном, Однако это удобно и для Трампа, и для Путина. Для американского президента отсутствие договоренностей и обязательств, пусть даже и самых расплывчатых и обтекаемых, означает снижение риска быть уличенным дома в интенсивных контактах с токсичной Москвой, для Путина – признак того, что ни пяди земли и повестки Москва Вашингтону не уступила.[/bilingbox]

    erschienen am 17.07.2018

    Radio Sputnik: Trump ist Geisel des US-Systems

    Im staatlichen Auslandsradio Sputnik argumentiert Politologe Sergej Koslow, weshalb die Sympathie Trumps allein Russland nicht reiche:

    [bilingbox]Trump muss seinem Wähler und dem amerikanischen Establishment Rechenschaft darüber ablegen, dass dieses Treffen nicht für die Katz war, dass konkrete Abmachungen getroffen wurden. Wie effektiv die Gespräche wirklich waren, lässt sich zu diesem Zeitpunkt kaum beurteilen. Ich denke, man kann schwerlich eine Annäherung erwarten, weil der amerikanische Präsident eine Geisel des US-amerikanischen politischen Systems ist.~~~Трампу необходимо отчитаться перед своим избирателем и американским истеблишментом о том, что эта встреча была проведена не зря, и что какие-то конкретные выводы были сделаны. Насколько эффективными оказались переговоры, судить сейчас достаточно сложно. Думаю, вряд ли можно ожидать потепления отношений, потому что американский президент – заложник американской политической системы.[/bilingbox]

    erschienen am 17.07.2018

    RIAFAN: Stärke Russlands anerkannt

    Auch die Nachrichenagentur RIAFAN meint, dass Trump viele „Illusionen” zerstöre:

    [bilingbox]Trump rechnet die Szenarien der Realpolitik durch, und nicht die einer virtuellen Welt. In diesen Szenarien erkennt er die Stärke Russlands an und erachtet unser Land als starken Konkurrenten. Das ist alles. Aber die, die in Illusionen leben, sind schrecklich besorgt, dass an der Spitze der USA ein Leader steht, der die Welt der Illusionen zerstört, die mit kolossalen Ressourcen in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut wurde. Wenn eine solche Welt einbricht, dann ist das wirklich eine Krise, und sie wird sich verschärfen.~~~Трамп просчитывает сценарии реальной политики, а не виртуального мира, и в этих сценариях он признает силу России и считает нашу страну сильным конкурентом. Вот и все. Но те, кто живет в иллюзиях, страшно переживают, что во главе США стоит лидер, который разрушает мир иллюзий, созданный колоссальными ресурсами за последние десятилетия. Когда такой мир рушится — это действительно кризис, и он будет усугубляться.[/bilingbox]

    erschienen am 17.07.2018

    Carnegie.ru: „Normalität” nicht unter Trump und Putin

    Politologe Dimitri Trenin betont auf der Seite des unabhängigen Think Tanks Carnegie.ru, wie wichtig die Wiederaufnahme des Dialogs sei – und hat auch eine schlechte Nachricht.

    [bilingbox]Die wichtigste Bedeutung des Treffens in Helsinki ist die Wiederaufnahme des russisch-amerikanischen Dialogs. Auf das Treffen auf neutralem Boden werden wahrscheinlich gegenseitige Besuche in Washington und Moskau folgen. Das schafft eine neue Dynamik in der Interaktion zwischen zwei Staaten auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und Übereinstimmung. Der hybride Krieg zwischen den USA und Russland geht zweifellos weiter. In diesem Krieg jedoch entstehen Regeln und Kanäle des Dialogs, nicht nur über den Heißen Draht.
    Die amerikanisch-russische Konfrontation währt nicht ewig. Mit der Zeit kann sich das Verhältnis zu einer „normalen“ Rivalität und später zu einer „einfachen“ Konkurrenz zwischen zwei Mächten entwickeln. Aber das wird wohl nicht unter Trump passieren. Und vielleicht auch nicht unter Putin.~~~Главное значение встречи в Хельсинки состоит в возобновлении российско-американского диалога. За встречей на нейтральной территории, вероятно, последует обмен визитами в Вашингтон и Москву. Такой график создаст динамику взаимодействия между двумя государственными бюрократиями в поиске точек соприкосновения и выработке формул согласия. Гибридная война между США и Россией, несомненно, продолжится. В этой войне, однако, появляются правила и каналы диалога, не только экстренной связи. Американо-российская конфронтация не вечна. Со временем она может перерасти в «нормальное» соперничество держав, а затем в их «простую» конкуренцию. Но это случится, наверное, не при Трампе. А может быть, и не при Путине.[/bilingbox]

    erschienen am 16.07.2018

    Moskowski Komsomolez: Ausgetrickst

    Michail Rostowski kann sich im Massenblatt Moskowski Komsomolez nicht nur freuen über den für Russland scheinbar positiven Ausgang des Treffens:

    [bilingbox]Beim Gespräch mit Journalisten zum Abschluss des Summits in Helsinki hat der Präsident Russlands den amerikanischen Präsidenten offensichtlich ausgetrickst. Und dieser Umstand hat mein Herz mit Stolz erfüllt, aber auch mit Besorgnis. 

    Trump auszutricksen heißt nicht, die amerikanische politische Klasse auszutricksen. Ich fürchte, dass ein Antwortgruß aus Washington nicht lange auf sich warten lassen wird. […]

    In jüngster Vergangenheit hatten innenpolitische Erwägungen Trump dazu gezwungen, offen antirussische Entscheidungen zu treffen, etwa über die Einführung schmerzhafter Sanktionen gegen wichtige Bestandteile unserer Wirtschaft.

    Ich wünsche mir, dass ich irre. Aber nach dem Summit in Helsinki könnten solche innenpolitischen Erwägungen deutlich zunehmen. Worin liegt die Moral davon? Wahrscheinlich darin: Ein bescheidener und scheuer Trump erschreckt manchmal mehr als ein Trump in der Rolle des Streithahns und Raufbolds. Bringt daher bitte jenen Trump zurück, der bei der NATO war! Mit einem solchen US-Präsidenten ist es irgendwie ruhiger und gewohnter.  ~~~В ходе общения с журналистами по итогам саммита в Хельсинки президент России очевидно переигрывал президента Америки. И это обстоятельство наполнило мое сердце не только гордостью, но и тревогой.
    Переиграть Трампа – не значит переиграть американский политический класс. Боюсь, что ответный привет из Вашингтона не заставит себя долго ждать. И дело здесь не только в “робком” поведении американского президента, но и в наступательной позиции президента российского. […]
    В совсем недавнем прошлом внутриполитические соображения заставляли Трампа принимать откровенно антироссийские решения – например, о введении болезненных санкций против важных элементов нашей экономики.
    Очень хочу ошибаться. Но после саммита в Хельсинки таких внутриполитических соображений у Трампа может резко поприбавиться. В чем мораль? Наверное в этом: скромный и застенчивый Трамп иногда пугает гораздо больше, чем Трамп в роли задиры и забияки. Верните поэтому, пожалуйста, того Трампа, который был в НАТО! С таким президентом США как-то спокойнее и привычнее.[/bilingbox]

    erschienen am 16.07.2018

    Facebook/Lilija Schewzowa: Fake-Feindschaft

    Inwiefern die Auseinandersetzung mit den USA der russischen Führung zur Legitimation dient, analysiert die Politologin Lilija Schewzowa auf ihrem Facebook-Account:

    [bilingbox]Russisch-amerikanische Summits sind verdammt, weil das russische System darauf ausgelegt ist, sich durch die Suche nach einem Feind selbst immer wieder neu zu erfinden. Amerika ist für den Kreml der ideale Feind. […] Sich mit Amerika, der einzigen Supermacht der Welt, in Bezug zu setzen, im Dialog oder in Feindschaft mit ihr zu sein – das ist auch eine Legitimierung der russischen Führung.
    Aber der Kreml will doch, selbst auf der ständigen Suche nach einem Feind, keine Konfrontation mit Amerika, werdet ihr sagen. Klar, diese Jungs sind keine Kamikaze. Das heißt, es wird darum gehen, an der Grenze zur Konfrontation entlang zu balancieren. Oder besser, sie zu imitieren: Fake-Kampf mit dem amerikanischen Giganten und gleichzeitig freundschaftliche Kaffeekränzchen mit ihm im Rahmen des „Weltkonzerts“. Das ist ein filigranes Spiel. Allerdings gelingt es dem Kreml eher schlecht in letzter Zeit. ~~~Российско-американские саммиты обречены потому, что российская система заточена на воспроизводство через поиск врага. Америка является для Кремля идеальным врагом. […] Соотнесение с Америкой, единственной мировой сверхдержавой, диалог с ней или вражда с ней- это и легитимация российского лидерства. […] Но ведь Кремль, даже находясь в постоянном поиске врага, не хочет конфронтации с Америкой, скажете вы. Конечно, эти ребята не камикадзе. Значит, речь будет идти о попытках найти способ балансирования на грани конфронтации. А лучше ее имитации: фейковая борьба с американским гигантом и одновременно дружеские посиделки с ним в рамках мирового «Концерта». Это филигранная игра. Правда, в последнее время она плохо идет у Кремля.[/bilingbox]

    erschienen am 16.07.2018

    dekoder-Redaktion

    Weitere Themen

    Presseschau № 42: Russland und die USA

    Presseschau № 43: Russland und die USA

    Infografik: Russlands Verhältnis zu den USA

    Die Honigdachs-Doktrin

    Die Erzfreunde Russland und USA

    Infografik: Wer ist Freund, wer Feind?

  • Zitat #2: „Gewaltsame Deals“

    Zitat #2: „Gewaltsame Deals“

    Vorgestern hat Trump Russland gedroht, in Syrien „smarte“ Lenkwaffen einzusetzen. Nicht einmal eine Stunde später ruderte er zurück und sagte, dass es für die USA „easy“ wäre, Russlands darbender Wirtschaft zu helfen. Der Journalist und Militärexperte Pawel Felgengauer erklärt in der Novaya Gazeta, wie ein solcher Deal „Hilfe statt Raketen“ aussehen könnte:

    Mit „smarten Lenkwaffen“ drohte Trump Russland –  Pawel Felgengauer hält dies für einen „gewaltsamen Deal“ / Foto © Gage Skidmore/flickr.com
    Mit „smarten Lenkwaffen“ drohte Trump Russland – Pawel Felgengauer hält dies für einen „gewaltsamen Deal“ / Foto © Gage Skidmore/flickr.com

    [bilingbox]Die Sanktionen werden „easy“ aufgehoben. Russland bekommt Investitionen und Technologien, und die langjährige wirtschaftliche Stagnation wird dadurch beendet. Dafür muss man [Russland – dek] aber Assad aufgeben genauso wie die Donbass-Republiken. Und wir müssen die Minsker Vereinbarungen vollständig erfüllen. Erst dann werden alle zufrieden sein. Andernfalls werden Raketen abgeschossen. […]

    Ja, als man sich in Moskau im November 2016 über Trumps Wahlsieg gefreut hatte, hat man sich einen zukünftigen Pakt, der die Spannungen mit den USA löst, anders vorgestellt. Anscheinend sind gewaltsame Deals grundlegend für Trumps Geschäftserfahrungen, ähnlich wie in Russland. Wenn es um Immobilien geht, dann kann es sein, dass eine solche Art der Übereinkunft funktioniert, und wenn sie es nicht tut – dann schreibt man einfach die Verluste ab und fängt irgendwas Neues an. Im Fall zweier atomarer Supermächte können die Verluste allerdings tatsächlich massiv ausfallen. In den USA sind viele davon überzeugt, dass Trump völlig fehl am Platze ist. Wie gefährlich das [diese Fehlbesetzung – dek] ist, ist nun auch in Moskau angekommen, wo er versucht, Russland gewaltsam zum Frieden zu zwingen.~~~Санкции будут сняты «легко», Россия получит инвестиции и технологии, многолетняя экономическая стагнация закончится, но надо «сдать» Асада. Еще, очевидно, надо «сдать» донбасские республики — безусловно, выполнить Минские соглашения, и всем будет хорошо. В случае отказа — полетят ракеты. […]
    Да, не таким представлялся будущий пакт с Трампом по глобальному разрешению противоречий с США, когда в Москве радовались в ноябре 2016-го его победе. Но, похоже, в бизнес-опыте Трампа именно такой силовой способ заключения сделок, схожий с российским, — основной. Если дело касается недвижимости, такой способ договариваться может работать, а не выйдет, то потери можно списать и браться за что-то другое. В случае двух ядерных сверхдержав потери могут оказаться вправду капитальными. В США многие уверены, что Трамп попал совсем не на свое место. Теперь, когда он пытается силой принудить Россию к миру, и до Москвы дошло, насколько это опасно.[/bilingbox]


    In ganzer Länge erschien der Artikel am 13.04.2018 in der Novaya Gazeta unter dem Titel Tramp samedlennowo dejstwija (dt. „Trump mit Zeitzündung“). Das russische Original lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie über das Zitat bei uns auf Facebook.

    Weitere Themen

    Presseschau № 42: Russland und die USA

    Presseschau № 43: Russland und die USA

    Sanktionen

    Infografik: Russlands Verhältnis zu den USA

    Russische Wirtschaftskrise 2015/16

    Zitat #1: „Wir haben eine neue Kubakrise“

  • Zitat #1: „Wir haben eine neue Kubakrise“

    Zitat #1: „Wir haben eine neue Kubakrise“

    Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien drohte Trump mit einer „starken Reaktion“. Der russische UN-Botschafter Nebensja entgegnete, dass ein Angriff „schwerwiegende Folgen“ haben werde. In The New Times appelliert der russische Militärexperte Alexander Golz an die Vernunft der Verantwortlichen:

    Der russische UN-Botschafter Nebensja drohte mit „schwerwiegenden Folgen“ bei einem amerikanischen Raketenangriff in Syrien / Foto ©  Eskinder Debebe/UN Photo
    Der russische UN-Botschafter Nebensja drohte mit „schwerwiegenden Folgen“ bei einem amerikanischen Raketenangriff in Syrien / Foto © Eskinder Debebe/UN Photo

    [bilingbox]Eine direkte kriegerische Konfrontation, die sich die Militärs Russlands und der USA noch im Februar – nach der Zerschlagung von Söldnertruppen durch die Amerikaner – nicht einzustehen getrauten, ist mittlerweile höchstwahrscheinlich.
    Die Gefahr wächst um ein Vielfaches, falls nun aus Moskau der Befehl folgt, amerikanische Raketenträger anzugreifen. Es ist klar, dass die vielfache amerikanische Überlegenheit (gewährleistet durch die Flugzeugträgerkampfgruppen der 6. Flotte, die strategische Luftwaffe sowie Stützpunkte auf Kreta, Zypern und in Neapel) Moskau wenig Chancen lässt, einen konventionellen Krieg zu gewinnen. O weh, das bedeutet, dass sehr bald die Verlockung aufkommen wird, mit dem Einsatz von Kernwaffen zu drohen … Da ist sie also, die neue Kubakrise in Zeiten der Postmoderne. Das einzige, was ein winziges bisschen Optimismus einflößt, ist die Hoffnung auf die Vernunft der Militärs, denen sehr bewusst ist, was folgen wird, wenn die Befehle erst ergangen sind.~~~Прямое военное столкновение, признать которое военные России и США побоялись в феврале, после разгрома американцами колонны наемников, сейчас становится весьма вероятным.
    Опасность возрастает многократно, если из Москвы последует приказ атаковать «носители» американских крылатых ракет. Понятно, что при многократном американском превосходстве (его обеспечивают авианосные группировки 6-го флота, стратегическая авиация, базы на Крите, Кипре, в Неаполе) у Москвы мало шансов победить в обычной войне. Увы, это означает, что очень скоро возникнет соблазн угрожать применением ядерного оружия… Вот он, новый Карибский кризис, эпохи постмодерна. Единственное, что внушает толику (очень малую) оптимизма, так это надежда на разумность военных, которые прекрасно понимают, что последует после того, как приказы будут отданы.[/bilingbox]


    In ganzer Länge erschien der Artikel am 10.04.2018 in The New Times unter dem Titel Karibski Krisis 2.0 (dt.„Kuba-Krise 2.0“). Das russische Original lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie über das Zitat bei uns auf Facebook.

    Weitere Themen

    Sergej Lawrow

    Presseschau № 44: Trumps Wahlsieg

    „Beide Seiten konstruieren in Syrien ihre Realität“

    Debattenschau № 53: Putin und Trump auf G20

    „Ich will, dass alle davon erfahren”

    Löst Syrien die Ukraine-Krise?

  • Die Erzfreunde Russland und USA

    Die Erzfreunde Russland und USA

    Russische Trolle! US-amerikanische Bedrohung! Die Hysterie in den Beziehungen zwischen Russland und den USA erreicht gerade in letzter Zeit immer wieder neue Höhepunkte. Einer, der sich dagegen wohltuend ruhig und sachlich mit dem gegenseitigen Verhältnis auseinandersetzt, ist der Historiker Ivan Kurilla. Im Interview mit Olga Filina von Kommersant-Ogonjok erklärt er unter anderem, was die besondere „Erzfreundschaft“ zwischen beiden Ländern ausmacht, was Ford mit dem Kommunismus und Sputnik mit dem US-amerikanischen Bildungssystem zu tun hat. Und warnt vor zu viel „Schaum vor dem Mund“.

    Analysiert das Verhältnis zwischen Russland und den USA ruhig und sachlich – Historiker Ivan Kurilla / Foto © Gaidar Open University
    Analysiert das Verhältnis zwischen Russland und den USA ruhig und sachlich – Historiker Ivan Kurilla / Foto © Gaidar Open University

    Kommersant-Ogonjok: Schon im Titel Ihres Buches behaupten Sie, Russland und die USA seien zwar „Erzfreunde“, aber immerhin doch Freunde. Können Sie diese These begründen?

    Ivan Kurilla: Meinem Buch liegt ein zehnjähriges Projekt zugrunde: Ich habe Materialien gesammelt, die mit der gegenseitigen Beeinflussung zwischen Russland und den USA zu tun haben. Ein paar hundert kamen da zusammen.

    Ich möchte mit einer Art Metapher beginnen: Russland ist sehr stolz auf „seine Spur“ – die materialisiert sich in den russischen Eisenbahnschienen, die eine andere Spurweite haben als die in Europa. Aber warum sind unsere russischen Eisenbahnen anders als die europäischen? Weil sie amerikanisch sind, ein Modell von 1836. Heute haben die Amerikaner natürlich andere Standards, doch im 19. Jahrhundert lieferten sie uns die Schienen, die auch Baltimore mit Ohio verbanden. Und so setzten sich bei uns die Schienen aus Maryland durch.

    Die ganze Industrialisierung verdanken wir ,amerikanischer Einmischung‘

    Und weiter: Die ganze Industrialisierung der 1930er Jahre verdanken wir „amerikanischer Einmischung“. Das Stalingrader Traktorenwerk genauso wie die Nishni Nowgoroder Automobilfabrik, die Magnitka genauso wie das Wasserkraftwerk DniproHES, sie alle wurden nach amerikanischen Plänen gebaut. Wir waren das 20. Jahrhundert hindurch einander viel näher, als man uns zu denken erlaubte.

    Auch deutsche Ingenieure arbeiteten vor dem Krieg in der Sowjetunion …

    Trotzdem spielt Amerika bei jeder unserer Modernisierungen eine ganz besondere Rolle. Es ist sogar so: Jedes Mal, wenn unser Staatschef von der „Modernisierung“ spricht, meint er „Amerikanisierung“. Mit einem Ruck wollen wir durch Europa hindurch und direkt nach Amerika. Das war schon unter Nikolaus I. so und unter Lenin, unter Chruschtschow und Gorbatschow und sogar unter Medwedew. Trotzki war da übrigens sehr ehrlich: In den 1920ern verwendete er durchweg genau diesen Begriff – „Amerikanisierung“ – wenn er dem Land den Weg in die Zukunft aufzeigte. Berühmt ist noch eine weitere Losung aus diesen Jahren: „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Ford-isierung“.

    Kommunismus ist Sowjetmacht plus Ford-isierung

    Wir erinnern uns an diese Formel natürlich mit dem Wort „Elektrifizierung“, weil die Geschichte der ersten Sowjetjahre erst in Zeiten des Anti-Amerikanismus geschrieben wurde. Der Kalte Krieg ließ uns überhaupt viel von der Präsenz Amerikas in Russland vergessen, obwohl die Spuren überall sichtbar sind, wenn man nur den Blick dafür schärft.

    Sie haben jetzt ein paar Beispiele genannt, wie Amerika Russland veränderte. Kann man auch Geschichten über den Einfluss Russlands in den USA finden?

    Die sucht man vielleicht nicht so sehr auf dem Gebiet der Technik, obwohl auch dort … etwa der Elektrotechniker Alexander Poniatoff mit seiner Firma Ampex, der den ersten funktionierenden Videorekorder erfand.

    Von der ersten Generation von Emigranten, die Russland noch als Kinder verließen und alle berühmten Hollywood-Filmstudios gründeten, rede ich schon gar nicht. Der kulturelle Einfluss von Auswanderern unseres Landes auf die USA ist wirklich offensichtlich: Man denke an Irving Berlin, aus dessen Feder die wichtigsten patriotischen Lieder Amerikas im 20. Jahrhundert stammen (inklusive God bless America), obwohl er in Tjumen geboren wurde.

    Der kulturelle Einfluss von russischen Auswanderern auf die USA ist offensichtlich

    Während des Kalten Krieges ging dann der berühmte Ausspruch des amerikanischen Impresarios Sol Hurok um, der den kulturellen Austausch zwischen UdSSR und USA organisierte: „Was ist denn unser kultureller Austausch? Das ist, wenn sie uns ihre Juden aus Odessa schicken, und wir schicken ihnen unsere Juden aus Odessa.“ Und da war viel Wahres dran.      

    Und der ideelle Einfluss, der ideologische? Der war, nehme ich an, einseitig …

    Bei den Amerikanern entwickelte sich ab dem 18. Jahrhundert, ab den ersten Puritanern, die Tradition, sich als Leader zu sehen: zuerst als religiöse („City upon a Hill“), dann als demokratische („Citadel of Freedom“) und so weiter.

    Damals im 19. Jahrhundert wurden amerikanische Verhältnisse von Nikolaus I. (der den transatlantischen Pioniergeist äußerst schätzte) und den Dekabristen (die ihre Verfassung nach amerikanischem Muster schrieben) gleichermaßen bewundert.

    Fälle, in denen wir Amerika mit unseren Ideen bereichert haben, gibt es sehr wohl. Ein hervorragendes Beispiel ist die Aufhebung der Leibeigenschaft

    Mit Russland ist das komplizierter, doch Fälle, in denen wir Amerika mit unseren Ideen bereichert haben, gibt es sehr wohl. Ein hervorragendes Beispiel ist die Aufhebung der Leibeigenschaft. Wir haben sie früher abgeschafft als Amerika die Sklaverei, und während des Bürgerkriegs studierten die USA aktiv die Erfahrungen Russlands. Wahrscheinlich haben wir sie genau in diesem Moment „eingeholt und überholt“, ohne es selbst zu bemerken.

    Eine weitere bekannte Geschichte erzählt davon, wie die Amerikaner ihr Bildungssystem zu reformieren begannen, als sie mit den Erfolgen des sowjetischen Raumfahrtprogramms konfrontiert waren. Das ist doch auch ein ideeller Einfluss.

    Wenn man heute vom Einfluss Amerikas auf Russland oder Russlands auf Amerika spricht, dann impliziert man etwas Ungutes. Bei Ihnen ist „Einfluss“ fast immer für beide Seiten vorteilhaft.

    Wir sind so oder so innenpolitische Faktoren füreinander – dem entkommen wir nicht. Wie wir wissen, folgte nach der „Entspannung“ eine neuerliche Abkühlung der Beziehung zwischen UdSSR und USA, die mit der Präsidentschaft Jimmy Carters zusammenfiel. Ich betone, der Krieg in Afghanistan begann 1979, aber das Verhältnis verschlechterte sich bereits 1977. Anlass für diese Abkühlung war, dass Carter bei einem bilateralen Gespräch die Einhaltung der Menschenrechte in der Sowjetunion in den Vordergrund rückte. In den 1960er Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass die USA etwas derartiges vorbringen: Sie hatten damals selbst eine gesetzlich verankerte Rassentrennung. In den 1970ern jedoch hatte die Bürgerrechtsbewegung in Amerika Erfolge erzielt und stand auf dem Gipfel ihrer Popularität – Carter konnte sie nicht ignorieren.

    Wir sind so oder so innenpolitische Faktoren füreinander – dem entkommen wir nicht

    Gleichzeitig verlor Amerika Mitte der 1970er auf anderen Gebieten praktisch überall: Misserfolg in Vietnam, die heftigste Wirtschaftskrise seit der Great Depression, Watergate … Beim besten Willen nichts, worauf man stolz sein konnte. Es ging darum, das Land wieder auf die Beine zu stellen. Und es zeigte sich, dass es vor diesem beklemmenden Hintergrund doch auch eine gute Nachricht gab – das Ende der Rassentrennung [im Jahr 1964 – dek], in den USA siegten die Bürgerrechte, anders als in der UdSSR!

    Die Sowjetunion, die Andersdenkende und die eigenen Bürger unterdrückte, wurde wie eine Spielkarte zu innenpolitischen Zwecken eingesetzt, um die Stärken Amerikas besser hervorzuheben.   

    Also waren wir einander nützlich als „Feindbilder“?

    Das Verhältnis zwischen Russland und den USA gestaltet sich generell auf einer bildhaften, symbolischen Ebene. Wenn sich etwas verändert darin, dann bedeutet das nicht, dass der eine dem anderen tatsächlich etwas angetan hat.  

    Kann man von einer eindeutigen Dynamik des Russlandbildes in Amerika sprechen?

    Im Laufe des ersten Jahrhunderts der Unabhängigkeit Amerikas war Russland das europäische Land, das ihm von allen am freundlichsten gesinnt war. Eine markante Episode jener Zeit war das Erscheinen von zwei russischen Geschwadern in den Häfen von New York und San Francisco im Jahr 1863. Ihre Präsenz unterstützte die Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg moralisch. Andererseits reisten in den Jahren des Krimkriegs einige Dutzend amerikanische Ärzte nach Russland, um im belagerten Sewastopol in den Spitälern zu arbeiten: Viele von ihnen starben an Infektionen, den Überlebenden überreichte unser Chirurg Pirogow zum Andenken Medaillen mit der knappen Aufschrift „Sewastopol. Alles getan, was möglich war“.

    Zu bröckeln begann das Russlandbild in den 1880er Jahren, als der Journalist und Schriftsteller George Kennan Sibirien bereiste und dort auf gebildete und liberal denkende Verbannte und Zwangsarbeiter stieß, da war zum ersten Mal die Rede von Russland als „großem Gefängnis“. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts steckten auch die USA in der Krise, da nach dem Bürgerkrieg im Süden die Weißen wieder an die Macht kamen, die Rassentrennung festgelegt wurde und sich die Amerikaner natürlich die Frage stellten: Wofür haben wir gekämpft? Da kamen die Beobachtungen von George Kennan gerade recht, der den kritischen Blick der Amerikaner von sich selbst in Richtung Russland umlenkte, à la: Seht mal, dort haben sie überhaupt die besten Leute nach Sibirien verbannt!
    Die einstigen Verfechter der Unabhängigkeit des schwarzen Südens vereinigten sich also zur amerikanischen Society of Friends of Russian Freedom, um für die Befreiung des russischen Volkes von der Alleinherrschaft zu kämpfen.

    Russland und die USA als zwei extreme Versionen von Europa: eine konservative und eine radikale

    Damals begann sich ein interessantes dreiteiliges Darstellungssystem herauszubilden, wonach Russland und Amerika zwei extreme Versionen von Europa sind: eine konservative und eine radikale. Deswegen erweist sich Russland als willkommener Vergleichspunkt – als entgegengesetzter Pol im europäischen Kulturraum. Und deswegen ist es so harscher Kritik ausgesetzt. 

    Die gegenwärtigen Anwandlungen von Antiamerikanismus und Russophobie – sind die auch der Tradition gezollt?

    Beide Länder benutzten und benutzen Bilder voneinander zur Lösung ihrer inneren Probleme. Vor allem von Problemen, die mit einer Identitätskrise zu tun haben.

    Beide Länder benutzen einander zur Lösung ihrer Identitäts-Probleme

    Wenn Russland sich von Amerika „geplagt“ fühlt, heißt das, etwas stimmt mit unserer Identität nicht, irgendwo haben wir uns verloren. Wenn Amerika sich von Russland „geplagt“ fühlt, stimmt mit Amerika etwas nicht, es schafft einfach nicht, sich zu entscheiden, wie es nun sein soll: wie Hillary, wie Obama oder wie Trump … Aus der Sicht des Durchschnittsamerikaners muss man, wenn sich Russland wirklich in die Präsidentenwahlen der USA eingemischt hat, konkrete Schritte tun, um das nicht mehr zuzulassen: die Cybersecurity verstärken, irgendwelche internationalen Verträge abschließen, zusätzliche Mittel für Geheimdienste ausgeben – was auch immer.

    Aber mit Schaum vor dem Mund zu wiederholen, wie schlecht Russland ist, trägt nicht zur Lösung des Problems bei. Das hat eine andere Funktion – den eigenen Schmerz zu lindern. Und dasselbe gilt auch für Russland.

    Weitere Themen

    Trump ein Agent Putins?

    Presseschau № 42: Russland und die USA

    Presseschau № 43: Russland und die USA

    Presseschau № 44: Trumps Wahlsieg

    Petersburger Trolle im US-Wahlkampf

    Alles wäre gut, wären da nicht diese Amis

  • Alles wäre gut, wären da nicht diese Amis

    Alles wäre gut, wären da nicht diese Amis

    Moskau, Sommer 2013. Eine Autoexplosion hier, ein Mord da: Über ein Netz von kaltblütigen Geheimagenten will die CIA die Lage in Russland destabilisieren, doch der FSB ist ihnen auf der Spur. „Konfrontation der Geheimdienste, Intrigen und echte Liebe“ – als „TV-Event des Jahres“ kündigt der staatliche Erste Kanal in Russland seine neue Serie Die Schläfer an, dessen Handlung „auf wahren Begebenheiten“ basiere.  

    Die vom Kulturministerium geförderte, aufwändig produzierte Thriller-Serie sorgt insbesondere in unabhängigen Medien für heiße Diskussionen. Sogar die jüngste Messerattacke auf Tatjana Felgengauer, die stellvertretende Chefredakteurin von Echo Moskwy, wird in Verbindung gebracht mit der Folge, in der eine Journalistin durch einen Messerstich in die Kehle ermordet wird. 

    Zusätzliche Brisanz gewinnt die Serie durch eine Stellungnahme des Regisseurs auf Vkontakte: Juri Bykow, der sich mit Filmen wie Major auch im liberalen Lager einen Namen gemacht hat, erklärt darin seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft, und wirft sich selbst vor, mit der Serie „die gesamte progressive Generation verraten“ zu haben.

    Natalja Issakowa hat die acht Folgen der Schläfer angeschaut und erklärt in einer kritischen Rezension auf Colta.ru, warum sie die Serie gefährlich findet – noch gefährlicher als Propaganda-Nachrichten.

    https://www.youtube.com/watch?v=mC6CBqRoDwA


    „Wie man Russland in acht Folgen zerstört und keiner merkt, dass es total irre ist.“ So in etwa stelle ich mir die Kernidee der Schläfer als Pitch bei einem Filmmeeting vor. Die TV-Serie Die Schläfer, ausgestrahlt im Ersten Kanal, hätte durchaus das Potenzial zu einer fabelhaften schwarzen Komödie im Stil von Borat gehabt, in der die wesentlichen Mythen und Ängste des kollektiven Unterbewussten ausgeschlachtet werden. Aber nein: Das Ganze ist völlig ernst gemeint. Wie viele Kritiker bereits festgestellt haben, unterscheiden sich Die Schläfer ideologisch kaum von Informationssendungen des staatlichen Fernsehens. Sehen wir uns an, warum die TV-Serie Die Schläfer dennoch gefährlicher ist als die Nachrichten. Aber zunächst ein paar Worte zur Handlung. 

    Der CIA-Agent mampft Hamburger

    Die Amerikaner träumen davon, Russland zu zerstören. Ein dämonischer CIA-Agent (Alexander Rapoport) fühlt sich in Russland wie der Boss. Er mampft Hamburger, und zwischen den Morden spielt er Tennis oder Schach (offenbar eine Anspielung auf das Buch The Grand Chessboard des Politologen Zbigniew Brzeziński, in dem, so heißt es oft, der Plan der USA, Russland zu vernichten, beschrieben ist). Nach seiner Pfeife tanzt sogar der amerikanische Botschafter (ein stämmiger Blondschopf, dem ehemaligen US-Botschafter in Russland Michael McFaul recht ähnlich).

    Der CIA-Mann hat überall in Russland seine Agenten, die seinerzeit von einem produktiven MGIMO-Dozenten angeworben wurden. Im nötigen Augenblick bekommen sie die Nachricht: „Wach auf“, und beginnen der Heimat Schaden zuzufügen. In den meisten Fällen tun sie das noch nicht einmal aus Angst oder Geldgier, sondern weil sie irgendwann einmal ihr Wort gegeben haben, zu intrigieren und alles ins Wanken zu bringen.

    Um Russland zu zerstören, muss die Abmachung zwischen Russland und China über den Bau der Pipeline Sila Sibiri platzen. (Wie Russland bis heute überleben konnte, wenn doch alles an dieser Pipeline hängt, bleibt ein Rätsel.) Dafür müssen die Chinesen aus dem Konzept gebracht werden, dann werden sie sich von dem unruhigen Partner schon lossagen. (Aus irgendeinem Grund haben die Macher der Serie die Vorstellung, Chinesen seien prüde und schreckhaft. Wie eine viktorianische Jungfrau brechen sie bei jeder kleinen Anspielung einen Skandal vom Zaun.)

    Korruption? Bei uns klaut die Regierung nicht

    Streng geheime Unterlagen über ein schreckliches Geheimnis werden dem Blogger Asmolow zugespielt, der sich mit Korruptionsbekämpfung beschäftigt (Gruß an Nawalny). Diese Unterlagen sollen Informationen über illegale Absprachen bei der Auftragsvergabe zum Bau der Pipeline enthalten, hinter dem Schattensystem des Geldtransfers steht der FSB. Aber das ist natürlich nicht wahr – denn bei uns klaut die Regierung nicht, und schon gar nicht der Teil der Regierung mit Schulterklappen

    Ein dämonischer CIA-Agent mampft ständig irgendwas, zwischen den Morden spielt er Tennis oder Schach / Foto © Screenshot aus dem Video „Spjaschtschije, 4 Serija“/YouTube
    Ein dämonischer CIA-Agent mampft ständig irgendwas, zwischen den Morden spielt er Tennis oder Schach / Foto © Screenshot aus dem Video „Spjaschtschije, 4 Serija“/YouTube

    Nach einer sensationellen Pressekonferenz von Asmolow über ein Anwesen und, sorry, eine Pipeline mit Entchen (c) jagen die Amerikaner das Auto des Bloggers in die Luft. Das ganze Jean-Jacques (in der Serie ist es das Café Herzen) trauert. Und eine Trollfabrik, natürlich vom State Department finanziert, trichtert dem Volk ein, der FSB würde Oppositionelle umbringen. Die schreckhaften Chinesen versuchen abermals abzuspringen. Aber ein alter sowjetischer General mit erhaben ergrautem Haar beruhigt sie – erschöpft, aber voller Nachdruck.

    Grausamer CIA, tapferer FSB

    Ein einfacher Skandal genügt den CIA-Leuten jedoch nicht. Sie wollen Tausende Unzufriedene auf die Straße bringen und eine Revolution anheizen – Hauptsache die Chinesen machen sich in die Hose und unterzeichnen den Vertrag mit Russland nicht. Doch der Plan geht nicht auf. Ein Nachwuchsblogger filmt den Anschlag auf Asmolow und verkauft das Video an oppositionelle Journalisten. Um Spuren zu verwischen, arbeitet eine russische Verräterin gewissenhaft eine Liste ab und bringt ohne mit der Wimper zu zucken alle um – auf Befehl des CIA, versteht sich. 

    In einer heiklen Situation alle umbringen: Das ist das Lieblingsverfahren der Amerikaner. Um an die geheimen Dokumente über den Bau der Sila Sibiri zu kommen, setzen sie sogar den ihnen gegenüber handzahmen IS auf die russische Botschaft in Libyen an – damit beginnt die Serie. Mehr als 20 Mitarbeiter der russischen Mission sterben, es bricht ein richtiger Krieg aus – und all das nur, damit Uncle Sam einen Aktenkoffer mit ein paar Unterlagen bekommt. So grausame Menschen sind das nämlich. 

    Ganz anders dagegen unsere tapferen Agenten des FSB. Manchmal würden sie dem Feind sogar gern symmetrisch antworten, aber sie können einfach nicht. Sie sind doch Offiziere. Menschen mit schneeweißer Weste. Sie schimpfen nie Mat und lassen ihre Leute nicht im Stich.

    Der Verräter trägt schicke Anzüge

    Du schaust einem von ihnen ins Gesicht, beispielsweise Andrej Rodionow (Igor Petrenko), und weißt: Er könnte keiner Fliege was zuleide tun. Sein ganzes Leben liebt er eine einzige Frau, die seine Gefühle nicht erwidert, und dient seiner Heimat. Zugegeben, den einen oder anderen Verräter gibt es auch bei den Organen, aber die erkennt man sofort an ihren modischen Haarschnitten aus dem Barbershop, den schicken Anzügen und den unangenehmen Stimmen. 

    Eine Autoexplosion hier, ein Mord da – über ein Netz von kaltblütigen Geheimagenten will die CIA die Lage in Russland destabilisieren / Foto © Screenshot aus dem Video „Spjaschtschije, 1 Serija“/YouTube
    Eine Autoexplosion hier, ein Mord da – über ein Netz von kaltblütigen Geheimagenten will die CIA die Lage in Russland destabilisieren / Foto © Screenshot aus dem Video „Spjaschtschije, 1 Serija“/YouTube

    Worin besteht also die Gefahr dieser Serie? Als wüssten wir nicht schon aus den Nachrichten, dass Russland von Feinden umringt ist und Oppositionelle sich selbst umbringen, nur um dem Staat eins auszuwischen. Doch in den Nachrichten werden die Emotionen nicht so angeheizt. Eine Serie dagegen bietet die Möglichkeit, ideologische Maximen unterm Deckmantel von Küssen ins Herz des Zuschauers zu meißeln. 


    Die schädlichen, liberalen Ideen vertritt selbstverständlich der Bösewicht. Über seine Argumente braucht der Zuschauer gar nicht groß nachzudenken – was soll man schon von einem Menschen erwarten, der ein Agent des State Department ist und, schlimmer noch, seine Frau mit der Frau des Darstellers Fjodor Bondartschuk betrügt. Wenn allerdings der gute FSBler mit dem sanften Bariton seiner Geliebten die Weltverschwörung gegen Russland erklärt, weiß jeder: Nur er und seine Kameraden können das Land vor der Katastrophe bewahren. 

    Alles wäre gut, wären da nicht diese Yankees

    Der Zuschauer bekommt mit den Schläfern ein aufrichtiges Melodram zu sehen, in dem die verwirrte Heldin (Natalia Rogoschkina) hin und hergerissen ist zwischen dem guten FSBler, gespielt von Igor Petrenko, und ihrem schlechten Ehemann, Dimitri Uljanow, der sich ihr zufolge zu den global russians zählt. Die Ideologie wirkt dabei wie ein leichtes, einlullendes Schneegestöber im Hintergrund, das sich sanft im Unterbewusstsein absetzt und den Zuschauer überzeugt: Russland ist ein großartiges Land, und bei uns wäre alles gut, wären da nicht diese Yankees [im Original pindossy dek]. 

    Der Regisseur der Serie Juri Bykow beharrte in der Late-Night-Show Wetscherni Urgant darauf, er habe eine Serie über die Liebe gedreht.
    In jeder Folge gibt es einen programmatischen Monolog, der wirkt, als sei er den Glaubenskriegen aus den Sozialen Netzwerken entnommen. Mit einem wesentlichen Unterschied: Die Liberalen werden in der Serie immer von Verrätern und Bösewichten vertreten. Alles Übel hängen die Macher der Serie den Bloggern und Journalisten an. 


    Das war tatsächlich nur eine Frage der Zeit – die Verfilmung von Nachrichten, all dieser Geschichten über gekreuzigte Jungen und vertilgte Dompfaffen. Die Krim (seit September im Verleih) und nun Die Schläfer sind künstlerische Umsetzungen von Propaganda.

    Russland ist umzingelt von Feinden, aber der FSB wird Russland retten

    Für Die Schläfer musste erstmal der Boden bereitet werden: auf neuem Wege zur alten Doktrin: „Russland ist umzingelt von Feinden, aber der FSB wird Russland retten.“ Das gute alte sowjetische Muster musste man wiederbeleben, das nie ganz vergessen war. Das Bild des FSBlers hat sich allmählich gewandelt: vom ehrlichen Mitarbeiter, den es in diesen Strukturen nur selten gibt und der mit den blutigen Henkern aus der Serie Es war einmal in Rostow (2015) hadert, bis zum intelligenten Typen mit den stählernen Muskeln aus Geheimnisvolle Leidenschaften (2016), ohne dessen Hilfe die sowjetischen Dichter ihr Liebesleben nicht auf die Reihe kriegen und weder ein Spiegelei braten noch Verse schreiben können.


    Eine Neubewertung der jüngsten Vergangenheit ist noch im Gange, bislang ist nicht alles eindeutig geklärt. Es kann noch nicht in Fernsehserien verwertet werden. So gibt es beispielsweise noch keine feste Meinung darüber, wie Gorbatschow zu beurteilen ist. Aber das eine oder andere hat sich mittlerweile herauskristallisiert und wurde auf Hochglanz poliert. Längst ist klar, dass die Sowjetunion unser verlorenes Paradies ist.


    Die Sowjetunion, das verlorene Paradies

    Ein Problem bei der Verfilmung von Nachrichten ist allerdings, dass der Dreh einer Serie sehr zeitaufwändig ist. Während der Entstehung der Schläfer hat sich einiges verändert. Ein Typ wie der Filmemacher mit dem Basecap, eine Mischung aus Vitali Manski und Kirill Serebrennikow, über dessen dramatische Textkraft der Tschekist Rodion sich in der Serie köstlich amüsiert, steht heute unter Arrest. Und unsere tapferen Kämpfer in Syrien lässt das Vaterland mittlerweile in Gefangenschaft umkommen.

    Der Regisseur Bykow, dem mit Der Idiot oder Major noch gelungen war, etwas Wichtiges zu sagen, äußerte sich kurz vor der Premiere auf Facebook in etwa so: Sogar wenn das Land im Unrecht ist, würde er es im Krieg immer unterstützen, weil es sein Land ist. Danach gab er seinen Austritt von Facebook bekannt – man müsse darüber nachdenken, auf wessen Seite man steht. Ich glaube, nach so einer Serie gibt es nicht mehr viel nachzudenken.


    Für ein bisschen Optimismus sorgen nur die Zahlen: Die Quoten der Schläfer lagen etwa bei 13 Prozent (beim vorangegangenen Schnüffler zur selben Sendezeit im Ersten waren es um die 19 Prozent). Vielleicht entscheidet sich der Sender bei einem Blick auf diese Zahlen dafür, von Nachrichtenverfilmungen abzusehen und sich Experimenten im reinen Entertainment-Sektor zu widmen? Immerhin gibt es zwischen Propaganda und Unterhaltung nicht umsonst einen gewaltigen Unterschied: Hier schinden wir unser Hirn, dort legen wir Heilkräuterchen auf. 

    Weitere Themen

    Gorbatschow und die Befreiung von der Lüge

    Die Täter-Debatte

    Umzingelt von Freunden?

    „Der Westen hat Russland abgewiesen“

    Wieso ist Stalin heute so populär?

    Kino #9: Major

    Petersburger Trolle im US-Wahlkampf

  • Petersburger Trolle im US-Wahlkampf

    Petersburger Trolle im US-Wahlkampf

    Hat der Kreml die US-Wahl 2016 beeinflusst? Gerüchte gibt es schon länger, auch die US-amerikanischen Geheimdienste werfen Russland vor, die Wahl manipuliert zu haben. Ihr Hauptverdächtiger ist die sogenannte Trollfabrik, die unter dem Dach der St. Petersburger Nachrichtenagentur Glawset wirken soll. Untergebracht in einem unscheinbaren Gebäude an der Uliza Sawuschkina, soll sich hier demnach eine Zentrale für die nahezu industrielle Produktion von Falschinformationen befinden.

    Nun bringt die Nachrichtenplattform RBC Licht in diese „Trollhöhle“ und recherchierte zu wichtigen Fragen: Wer steckt hinter der Kampagne zur US-Wahl? Wie teuer war sie? Der vielbeachtete investigative Artikel deckt die Mechanismen hinter der Aktion auf. 

    Uliza Sawuschkina 55 –  seit vier Jahren Sitz einer Trollfabrik? / Foto © Alexander Korjakow/Kommersant
    Uliza Sawuschkina 55 – seit vier Jahren Sitz einer Trollfabrik? / Foto © Alexander Korjakow/Kommersant

    22. Oktober 2016. Die Stadt Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina. Es ist ein sonniger Samstag. Einige Dutzend Menschen sind in den Central Park der Stadt gekommen. Allerdings nicht zum Spazierengehen, sondern zu einer Demonstration der afroamerikanischen Bevölkerung gegen Polizeigewalt. Die Protestierenden rufen am Brunnen des Parks Parolen, dann ziehen sie friedlich zum Eingang der örtlichen Polizeistation. Auf der Eingangstreppe zur Polizeiwache rufen sie einige Male: „Black Lives Matter!“ Eine populäre Parole und der Name einer Organisation, die sich für die Rechte schwarzer US-Bürger einsetzt.

    Die Aktion in Charlotte war auf Facebook ordentlich beworben worden von der Gruppe BlackMattersUS, die mit der Organisation Black Lives Matter nichts zu tun hat. Die Verbindungen von BlackMattersUS reichen weit über die Grenzen der USA hinaus – bis nach Russland in die Uliza Sawuschkina 55 in St. Petersburg.

    Diese Adresse im Primorski-Bezirk ist schon lange ein feststehender Begriff. Vor rund drei Jahren sind in das vierstöckige Gebäude in der Uliza Sawuschkina einige hundert junge Leute eingezogen, deren Hauptaufgabe es ist, patriotische Werte zu propagieren. Die Arbeit der Mitarbeiter dieser Trollfabrik (im Weiteren kurz: Fabrik), gegründet und finanziert vermutlich von dem Petersburger Geschäftsmann Jewgeni Prigoshin, bestand vor allem darin, unter fiktiven Namen non-stop Kommentare in Blogs und Sozialen Netzen des russischen Internet zu schreiben. Sie sollten das gegenwärtige Regime verteidigen, Oppositionelle kritisieren und politisch willkommene öffentliche Events unterstützen.

    Die Trollfabrik in der Uliza Sawuschkina

    Bald schon wurden in der Fabrik die anfänglich primitiven Methoden weiterentwickelt. Ungefähr zu dieser Zeit entstanden die ersten Portale, die dann zum Kern des Medien-Anteils der Organisation wurden, der sogenannten „Medienfabrik“. Eine komplette patriotische Holding, über die RBC im März 2017 berichtet hat und die mittlerweile monatlich über 50 Millionen Menschen erreicht.

    Bis Mitte 2015 war die Fabrik auf 800 bis 900 Leute angewachsen. Auch das Instrumentarium hatte sich erweitert, hinzugekommen waren Videos, Infografiken, Meme, Reportagen, Nachrichtenmeldungen, Interviews, analytische Beiträge und eigene Gruppen in den Sozialen Netzwerken. Im Januar 2017 wurde dann in einem Bericht der US-amerikanischen Geheimdienste über die Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahlen neben dem Fernsehsender RT  [Russia Todaydek] die Agentur für Internetrecherchen erwähnt. Mutmaßlich war dies eine der ersten juristischen Personen im Rahmen der Trollfabrik (die hatte ihre Tätigkeit 2015 eingestellt und war Ende 2016 aus dem Handelsregister gestrichen worden). Bald nach der Wahl Donald Trumps wurden im US-Kongress und im Senat eine Reihe von Ausschüssen eingesetzt, die die Vorkommnisse untersuchen sollten.

    US-amerikanische Firmen wie Facebook, Twitter oder Google arbeiten mit den Behörden zusammen und forschen auf ihren Plattformen nach Trollen. Westliche Medien, unter anderem The Wall Street Journal, The New York Times, CNN und The Daily Beast veröffentlichen fast täglich neue Details zu einer möglichen russischen Einmischung in die Präsidentschaftswahlen. Es werden immer neue Social-Media-Gruppen gefunden, die vor und nach den Wahlen aktiv waren, sowie Aufrufe und Veranstaltungen, die mit ihnen in Verbindung standen. Als Grundlage dieser Berichte dienen zuweilen einzelne Bilder und Videos gesperrter Gruppen.

    RBC hat jetzt eigene Recherchen angestellt. Es ist uns gelungen, die Beteiligung von Mitarbeitern aus der Uliza Sawuschkina an 120 Gruppen und Themen-Accounts in Sozialen Medien aufzudecken und deren Existenz zu belegen, ihren Inhalt zu analysieren und die Gesamtausgaben für diese Kampagne zu berechnen. Rechtfertigt das Ausmaß der Auslandstätigkeit der Trollfabrik die Hysterie, die in den USA darum entstanden ist?

    Es wurden nur Möglichkeiten getestet, es war ein Experiment. Und es hat funktioniert

    Frühjahr 2015. Ein paar Leute sind vor einem Bildschirm versammelt. Auf dem Monitor des Computers ist ein recht monotones Bild zu sehen: Menschen kommen auf einen Platz in New York, lassen den Blick schweifen, schauen auf ihre Telefone, schauen sich noch einmal um und gehen nach einiger Zeit weg.

    Einige Tage zuvor war auf Facebook mit einem Targeting auf die Bewohner von New York ein Event beworben worden: Man bekommt kostenlos einen Hotdog, wenn man zur richtigen Zeit am festgelegten Ort erscheint. Allerdings hat letztendlich niemand irgendein Würstchen bekommen. Dafür hatten andere Leute ihren Spaß: Mit Hilfe städtischer Überwachungs-Webcams wurde das Geschehen auf dem Platz online verfolgt, von St. Petersburg aus, aus einem Büro im ersten Stock der „Trollhöhle“.

    Die Aktion sollte die Praxistauglichkeit einer Hypothese prüfen, nämlich, ob sich aus der Ferne eine Aktion in einer US-amerikanischen Stadt organisieren lässt. „Es wurden nur Möglichkeiten getestet, es war ein Experiment. Und es hat funktioniert“, erinnert sich ein Mitarbeiter der Fabrik, ohne seine Freude zu verhehlen. An jenem Tag, also fast anderthalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, begann die eigentliche Arbeit der Trolle in der amerikanischen Internet-Community.

    Im März 2015 wurde auf dem Portal Super Job eine freie Stelle als „Internet-Operator (nachts)“ ausgeschrieben. Für ein Gehalt zwischen 40.000 und 50.000 Rubel [etwa 590 und 740 Euro – dek] und mit Arbeitszeiten von 21.00 bis 9.00 Uhr (nach dem Schema „zwei Nächte arbeiten, zwei Tage frei“) wurde ein Mitarbeiter für ein Büro im Primorski-Bezirk gesucht: Zu den Aufgaben gehört das Verfassen von „nachrichtlich-informierenden und analytischen“ Beiträgen „zu einem vorgegebenen Thema“. Gefordert wird unter anderem „fließendes Englisch in Wort und Schrift“ sowie Kreativität.

    Die freie Stelle wurde von der Petersburger Firma Internet-Issledowanija [dt. Internet-Recherche – dek] angeboten. Als Besitzer dieser Firma wurde damals Michail Bystrow geführt, ehemaliger Leiter der Verwaltung des Innenministeriums für den Moskowski-Bezirk von St. Petersburg. Er leitete auch die Agentur für Internetrecherchen und steht bis heute an der Spitze von Glawset, registriert unter der Adresse Uliza Sawuschkina 55 (Angaben von SPARK-Interfax).

    Über Anzeigen dieser Art wurden in der Uliza Sawuschkina Leute rekrutiert, die die amerikanischen Social-Media-Gruppen in Echtzeit bearbeiten sollten, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter der Fabrik gegenüber RBC. Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter ergänzt, dass seit Frühjahr 2015 zum Arbeitsfeld auch die „Diskreditierung der Kandidaten“ gehörte, die bei den Präsidentschaftswahlen in den USA antraten.

    Wenn Facebook die Accounts der Trolle sperrt, kauft die IT-Abteilung Proxy-Server, teilt neue IP-Adressen zu, schafft virtuelle Betriebssysteme, und die Arbeit beginnt von Neuem, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter der Fabrik. Auch kaufen sie neue SIM-Karten oder Cloud-Nummern, es werden neue Zahlungskonten eröffnet und manchmal auch Dokumentenpakete zur Registrierung von Accounts, ergänzt ein Gesprächspartner von RBC aus der Fabrik. Für die IT-Versorgung werden monatlich bis zu 200.000 Rubel [knapp 3000 Euro – dek] ausgegeben, führt eine Quelle aus, die mit der Vorgehensweise der Organisation vertraut ist.

    Einen sehr viel umfangreicheren Ausgabenposten stellen die Gehälter dar. Bis zum Sommer 2016, also innerhalb eines Jahres, hatte sich die Zahl der Mitarbeiter der Amerika-Abteilung in der Uliza Sawuschkina fast verdreifacht, auf 80 bis 90 Personen. Das sind rund zehn Prozent derjenigen, die der Fabrik zugeordnet werden können.

    Die Köpfe der Trollfabrik

    Chef der gesamten Fabrik ist de facto der 31-jährige Michail Burtschik, wie RBC berichtet hatte. Er war früher Besitzer der IT-Firmen VkAp.ru und GaGaDo und Herausgeber kommunaler Zeitungen. Burtschik hat nie offiziell bestätigt, dass er Chef der Fabrik sei oder im Büro in der Uliza Sawuschkina arbeite.

    Gegenüber RBC meinte er jedoch, dass er Medien berate, „als Fachmann für die Förderung und Entwicklung von Internet-Projekten“. Burtschik hat mit etwa 20 bis 30 Leuten zu tun, die ihrerseits wiederum, je nach Aufgabenbereich, Teams von zehn bis 100 Mitarbeitern leiten, beschreibt ein Informant der Fabrik das Arbeitsmodell.

    Auf die Frage, wer die Amerika-Abteilung leite, nannten Gesprächspartner gegenüber RBC einhellig den 27-jährigen in Aserbaidschan geborenen Ceyhun Aslanov. Einem Korrespondenten von RBC gegenüber hat Aslanov diese Information dementiert. Als Quellen dienten RBC ein aktueller Mitarbeiter der Fabrik, ein ehemaliger Mitarbeiter der Amerika-Abteilung sowie eine Person, die mit der Tätigkeit der Organisation vertraut ist. Neben diesen mündlichen Angaben liegt RBC noch eine Mitteilung aus einem Telegram-Chat vor, die Aslanov verfasst hat und in der es um die Zwischenergebnisse der Fabrik-Arbeit in den USA geht.
    Aslanov war Ende der 2000er Jahre aus der Stadt Ust-Kut (Gebiet Irkutsk) nach St. Petersburg gezogen, um dort an der Hydrometeorologischen Universität Wirtschaft zu studieren. 2009 verbrachte er einige Monate in den USA, besuchte dabei New York und Boston und fuhr 2011 nach London, wie aus den öffentlichen Informationen auf Aslanovs Profil bei Vkontakte hervorgeht. Aktuell gehören dem mutmaßlichen Leiter der Auslandsabteilung der Fabrik zwei Firmen mit Spezialisierung im Werbe- und Online-Geschäft. Eine der Firmen namens Asimut bietet Dienste an, mit denen Accounts in Sozialen Netzen gepusht werden, erzählte Aslanov und bot dem Korrespondenten von RBC sogar seine Hilfe an, um dessen persönliche Seiten hochzubringen.

    Eine Million Euro für Gehälter

    Ein beträchtlicher Teil des Content in den englischsprachigen Gruppen wurde auf Facebook mittels eingetakteter Postings veröffentlicht. Von der Gesamtbelegschaft der Auslandsabteilung arbeiteten rund zehn Mitarbeiter in Nachtschichten, die übrigen hatten eine normale Arbeitswoche (fünf Arbeitstage, zwei Tage frei). Der Budgetposten für die Gehälter der Amerika-Abteilung in der Uliza Sawuschkina liegt bei 60 bis 70 Millionen Rubel [knapp eine Million Euro – dek] jährlich. Trolle der unteren Ebene erhalten rund 55.000 Rubel [etwa 800 Euro – dek] (plus Prämien, wenn Mitglieder der Gruppen reagieren), Administratoren verdienen 80.000 bis 90.000 [etwa 1200 Euro – dek] und Führungskräfte 120.000 [1700 Euro – dek] aufwärts. Diese Zahlen nennen ein ehemaliger und ein aktueller Mitarbeiter der Fabrik.

    RBС liegt eine Liste mit fast 120 Gruppen und Themen-Accounts auf Facebook, Instagram oder Twitter vor, die bis zum August 2017 aktiv waren. Die Echtheit dieser Liste wird durch Screenshots mit Posts der Gruppen und der einzelnen Accounts bestätigt, die von den internen Panels der Administratoren aus gemacht wurden (ebenfalls gesperrt). Der Mitwirkung der Trolle an dieser Liste wurde RBC von einem Informanten aus dem engeren Umfeld der Fabrik-Leitung bestätigt. Darüber hinaus ist über die Hälfte der Twitter-Accounts auf Telefonnummern mit der russischen Ländervorwahl +7 registriert, wie aus der Passwortwiederherstellung hervorgeht.

    Zusätzlich hat RBC Linguisten gebeten, sieben Veröffentlichungen aus den Social-Media-Gruppen zu analysieren, die auf der Liste stehen. Die Autoren der Posts waren in vielen Fällen Russen. Ronald Meyer, Adjunct Associate Professor an der Columbia-Universität, und seine Kollegin Alla Smyslova, Direktorin des Programms für russischen Spracherwerb, haben hierfür „hinreichend Belege“ gefunden. Sie verwiesen auf wörtliche Übersetzungen aus dem Russischen (z. B.: „sitting on welfare“ – sidet’ na possobii / auf Stütze sitzen), auf Fehler in der Zeichensetzung ( Kommata vor „that“), auf fehlende Artikel und überhaupt auf „merkwürdige“ Formulierungen.

    Jekaterina Tschegnowa, Direktorin der Sprachenschule Star Talk, und der Englischlehrer Dimitri Bulkin meinten allerdings, dass die Publikationen in „recht sauberem Englisch“ geschrieben seien. Deshalb könne man davon ausgehen, dass die Verfasser Muttersprachler seien. Zum Teil könnte das damit zusammenhängen, dass die Trolle immer wieder Teile ihrer Posts von „echten“ US-Amerikanern übernehmen.

    Weniger als 100 Personen haben wöchentlich mehr als 1000 Beiträge verfasst und gepostet. Die Reichweite betrug beispielsweise im September 2016 durchschnittlich 20 bis 30 Millionen Nutzer. Wie ist es den Trollen gelungen, die User für ihre Fabrik-Inhalte zu interessieren?

    Das Erfolgsrezept der Trollfabrik

    Am 28. Februar 2017 hat sich Trump-Spitzenberaterin Kellyanne Conway bei einem Staatsempfang im Oval Office des Weißen Hauses mit Schuhen auf ein Sofa gekniet. Das Bild löste in den Sozialen Netzwerken einen Sturm der Entrüstung aus: Sie in dieser Position im Vordergrund und der Präsident im Hintergrund, wie er gerade mit den Direktoren der speziell für die schwarze Bevölkerung gegründeten afroamerikanischen Colleges und Hochschulen (HBCU) vor den Kameras posiert. Conway sei Respektlosigkeit gegenüber dem Oval Office, dem US-amerikanischen Volk und seinem Präsidenten vorgeworfen worden, hieß es in der BBC.   

    Am selben Tag reagierte die Bloggerin Jenn Abrams mit zwei Tweets auf die Kritik an Conways Verhalten: Ein Bild zeigte den Ex-Präsidenten Barack Obama mit den Füßen auf dem Tisch, das zweite wiederum den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton mit Monica Lewinsky im Arm. Beide Fotos wurden im Oval Office gemacht. Diese Beiträge bekamen insgesamt circa 1000 Retweets, 1,3 Millionen Likes und wurden von der britischen Zeitung Independent aufgegriffen. Backlinks zu Abrams Beiträgen wurden von RBC unter anderem auf den Webseiten von Aljazeera, Elle, Business Insider, BBC, USA Today und Yahoo gefunden. Der Account @Jenn_Abrams, der unter einer Telefonnummer mit der Vorwahl +7 registriert wurde, und die Homepage Jennabrams.com sind aktuell nicht verfügbar.

    Die Fabrik hatte Dutzende von Accounts wie den von „Jenn Abrams“. Um die zehn Mitarbeiter der amerikanischen Abteilung waren für Twitter zuständig. Ihre Aufgaben hätten nicht den Wahlkampf selbst betroffen, sondern im Einrichten von Accounts und im Durchführen von Flashmobs bestanden, die von großen Medien und zentralen Medienpersonen aufgegriffen werden sollten, erzählt ein Mitarbeiter der Fabrik.

    Mehr Clinton als Trump

    Laut einer Quelle aus dem Umfeld der Fabrik-Leitung wurde fast der gesamte US-bezogene Content der Fabrik weniger zugunsten eines konkreten Kandidaten als zu „sozial brisanten Themen“ erstellt. Es sei quasi rein zufällig zu Übereinstimmungen mit Trumps Rhetorik gekommen, was ein Informant als „Korrelation“ und nicht etwa als direkte Unterstützung bezeichnet.

    „Wir hatten nicht den Auftrag, Trump zu unterstützen. Alle Probleme waren unmittelbar auf die Arbeit der damaligen Regierungspartei [der Demokraten Anm. d. Red.] zurückzuführen. Als ihre Vertreterin trägt Hillary [Clinton Anm. d. Red.] eine Mitschuld“, sagt ein anderer. Die Analyse hunderter Publikationen ergab, dass Clinton in den Posts der Trolle wesentlich öfter vorkam als Trump.

    „Teilt das, wenn ihr glaubt, dass Muslime an 9/11 unbeteiligt waren. Seht euch an, wie viele Menschen die Wahrheit kennen“ (Post von United Muslims of America vom 11. September 2016). „Clinton besteht darauf: ‚Wir haben keinen einzigen Amerikaner in Libyen verloren‘. Die vier mit Fahnen zugedeckten Särge waren nicht leer, Hillary“ (Being Patriotic zu Clintons Verhalten ob der nationalen Tragödie vom 8. September 2016). In einer Stellungnahme hat Facebook darauf hingewiesen, dass ein Großteil der gesperrten Beiträge Themen wie LGBT, Rassismus, Immigration oder Waffenbesitz betraf und „das ganze ideologische Spektrum umfasste“.   

    Die Gesamtzahl der Fans und Follower der etwa 120 gesperrten Gruppen und Accounts betrug nahezu sechs Millionen, nach Berechnungen von RBC waren davon über die Hälfte auf Facebook und ein Drittel auf Instagram. Unterteilt man die gesperrten Gruppen nach Themen, so wird deutlich, dass die Trolle meistens politische Konflikte anheizten, und ethnische, vor allem mit Bezug auf die Probleme der schwarzen US-Bevölkerung. Insbesondere für die massenhafte Streuung dieser Themen wurde das Marketingbudget in Sozialen Netzwerken verwendet.

    „Es ist verboten, mich im Fernsehen zu zeigen, weil ich zu gewalttätig war. Klick auf Gefällt mir und Teilen, wenn du mich als Kind im Fernsehen gesehen hast, eine Pistole besitzt und niemanden angeschossen oder umgebracht hast!“ Dieses Posting wurde am 9. März in der Facebook-Gruppe South United veröffentlicht. Inmitten des Textes ist ein Bild, das die Zeichentrickfigur Yosemite Sam zeigt. Die Reichweite dieses Beitrags betrug über 17 Millionen Nutzer, 1,6 Millionen haben darauf reagiert, lediglich 3000 Nutzer haben den Beitrag auf ihrer Chronik verborgen und neun haben ihn als Spam gemeldet, wie sich aus einem Screenshot schließen lässt.

    Die Zahl der Fabrik-Beiträge auf Facebook mit vergleichbarer Reichweite lässt sich an zwei Händen abzählen. Darunter war ein Post über Veteranen und Flüchtlinge, der in der Gruppe Being Patriotic über 17,2 Millionen Personen erreicht hat. Gerade mal an die 20 Posts hatten eine Reichweite von einer Million Nutzern. Nach Berechnungen von RBC sieht die Statistik bei Twitter ganz ähnlich aus. Es gibt zwar mehrere hundert Tweets, die zehntausende Views hatten, der Löwenanteil der Tweets hatte allerding bestenfalls 1000 Views.  

    Ein Marketingbudget von 5000 US-Dollar pro Monat

    Einer internen Statistik, die RBC vorliegt, kann man entnehmen, dass das Marketingbudget in Sozialen Netzwerken etwa 5000 US-Dollar pro Monat betrug, beziehungsweise 120.000 US-Dollar für den Zeitraum von insgesamt zwei Jahren. Diese Zahlen bestätigte ein Informant aus der Organisation gegenüber RBC.
    Der wesentliche Teil des Werbeetats der Fabrik war jedoch nicht etwa für die Promotion der Gruppen an sich vorgesehen, sondern für eine Potenzierung der Hotdog-Erfahrung.   

    Im Mai 2016 erhielt Micah White, ein bekannter amerikanischer Aktivist und Mitbegründer der Bewegung Occupy Wall Street, eine E-Mail von einem gewissen Yan Davis. Dieser gab sich als ein freier Mitarbeiter der Organisation BlackMattersUS aus, die sich den Problemen der afroamerikanischen Bevölkerung widmet, und bat um ein Telefoninterview. Der Aktivist willigte ein und gab ihm seine Nummer, die anschließende Unterhaltung kam ihm allerdings seltsam vor. „Die Verbindung war schlecht und ich glaube, der Interviewer war kein Muttersprachler“, erinnert sich White gegenüber RBC. White war 2014 vom Magazin Esquire zu einem der einflussreichsten Menschen unter 35 gekürt worden.

    Jetzt ist das Interview nur noch auf der Webseite BlackMattersUS verfügbar. Außer des Tumblr-Accounts sind die Seiten der Plattform auf Facebook, Twitter und Instagram mit insgesamt über 250.000 Fans und Followern nicht mehr aufrufbar. Auch das Facebook-Profil von „Yan Davis“ wurde deaktiviert. RBC hat versucht, die Person über die Adresse zu kontaktieren, über die auch White mit dem „freien Journalisten“ kommuniziert hat, aber nach Meldung des Dienstes Readnotify wurde die E-Mail nicht geöffnet. Der Account @BlackMattersUS ist bei Twitter auf eine Telefonnummer mit der Vorwahl +7 registriert. Laut Angaben eines fabriknahen Informanten von RBC waren die Mitarbeiter, die in Nachtschichten Kommentare in Gruppen beantworteten, auch für den Beziehungsaufbau zu verschiedenen amerikanischen Aktivisten verantwortlich.

    BlackmattersUS – geführt aus Russland

    Im Gegensatz zu einem Großteil der von der Fabrik geführten Gruppen, wurde BlackMattersUS als ein nichtkommerzielles Nachrichtenportal mit eigener Redaktion präsentiert: Jeder konnte den Kampf gegen Rassismus durch Spenden über PayPal auf ein Gmail-Konto mit dem Nutzernamen xtimwalters unterstützen. Auf der Webseite werden neben Yan Davis sechs weitere Redaktionsmitglieder gelistet. RBC hat außerdem von noch zwei „Mitarbeitern“ Twitter-Accounts gefunden: Einer davon ist gesperrt, der andere seit 2016 inaktiv.   

    BlackMattersUS gelang es, ein ganzes Interview-Portfolio mit bekannten Bürgerrechtlern zu erstellen, die sich für die Gleichstellung dunkelhäutiger US-Amerikaner einsetzen. Der Kontakt mit ihnen bestand nach den Interviews weiter: Besagter White erhielt von Yan Davis im Folgenden mehrere E-Mail-Anfragen mit der Bitte, die Aktionen von BlackMattersUS zu unterstützen. So sollte er über seinen Account Informationen zu einem Protest am 14. Oktober 2016 im Gebäude des Strafgerichts von New Orleans teilen. An diesem Tag wurde der Prozess gegen den Afroamerikaner Jerome Smith wiederaufgenommen, der 1986 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Wie man auf der Seite von BlackMattersUS nachlesen kann, sei geplant gewesen, dass die Protestierenden nach der Kundgebung die Anhörung besuchen. RBC konnte jedoch nicht in Erfahrung bringen, ob tatsächlich jemand an der Protestaktion teilgenommen hat. Die Facebook-Seite der Veranstaltung wurde gesperrt.

    Mehr Belege gibt es hingegen für die anfangs erwähnte Demonstration gegen Polizeiwillkür, die ebenfalls im Oktober 2016, zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl, in Charlotte stattfand. Kurz vor Beginn der Veranstaltung kontaktierten Akteure der Gruppe BlackMattersUS per Facebook den lokalen Aktivisten und Leiter der Initiative Living Ultra-Violet Conrad James. Er sei gebeten worden, bei der Durchführung der Protestaktion zu helfen, berichtet James. Dieser erklärte sich nicht nur dazu bereit, sondern mobilisierte weitere lokale Bürgerrechtler, Afroamerikaner und andere Minderheiten. Er selbst erschien sogar mit Megafon bei dem Protest.

    Nach der Wahl: Anti-Trump-Posts

    Einige Wochen nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten habe in Charlotte eine weitere, von James zusammen mit BlackMattersUS organisierte, Kundgebung stattgefunden, erzählt der Aktivist. Unter dem Motto „Charlotte against Trump“ versammelten sich mehrere Dutzend Gegner des neugewählten Präsidenten. Solche heftigen Positionswechsel der Fabrik lassen sich damit erklären, dass in der Uliza Sawuschkina völlige Gleichgültigkeit darüber herrscht, wer das andere Land letztendlich regiert.

    Durch die Initiative von BlackMattersUS seien in den USA im Zeitraum von 2016 bis 2017 etwa zehn Veranstaltungen durchgeführt worden, berichtet ein mit der Arbeit der Fabrik vertrauter Informant. Seine Aussagen werden von organisationsinternen Berichten über die Aktionen bestätigt und von Bildern illustriert, die bisher unveröffentlicht geblieben sind (sie liegen RBC vor). Die an den Aktivitäten von BlackMattersUS beteiligten Bürger vor Ort hätten nicht gewusst, dass hinter der Organisation Trolle von der Uliza Sawuschkina standen, versichern ein Angestellter der Fabrik sowie ein ehemaliger Mitarbeiter der Amerika-Abteilung. Beide betonen, dass es keinerlei Dienstreisen aus St. Petersburg in die USA gegeben habe.    

    Unterm Strich konnten die Trolle, die sich in den Sozialen Netzwerken unter falschen Namen als Mitarbeiter von Gruppen ausgeben, etwa 100 nichtsahnende ortsansässige Aktivisten mobilisieren, die bei der Umsetzung durch ihr Offline-Engagement halfen. 

    Über die Social-Media-Gruppen der Fabrik wurden in den USA rund 40 Kundgebungen und Aktionen verschiedener Art organisiert, wie aus internen Berichten hervorgeht. Dabei kamen einige dieser Veranstaltungen erst in die amerikanischen Medien, nachdem Facebook die Informationen zu den gesperrten Beiträgen und Accounts an den Kongress übergeben hatte. So hatte Being Patriotic im August 2016  die Bewohner von 17 Städten Floridas über Facebook dazu eingeladen, an Unterstützungskundgebungen für Trump teilzunehmen, der zu diesem Zeitpunkt noch Präsidentschaftskandidat war. Mindestens zwei dieser Veranstaltungen haben auch tatsächlich stattgefunden, stellten die Journalisten von The Daily Beast in einer investigativen Recherche zu Being Patriotic fest.  

    Konnten wir den Wahlausgang beeinflussen? Natürlich nicht

    Die Ausgaben der Fabrik für die Arbeit der lokalen Organisatoren – darunter Inlandsflüge, Druckproduktion, Technik und ähnliches – beliefen sich monatlich auf circa 200.000 Rubel [knapp 3000 Euro – dek], wie RBC aus organisationsnahen Kreisen berichtet wird. Somit betrugen diese Kosten für zwei Jahre insgesamt fünf Millionen Rubel, beziehungsweise 80.000 US-Dollar, und damit etwas weniger als die Marketing-Ausgaben in den Sozialen Netzwerken.

    Heute zählt die Amerika-Abteilung in der Uliza Sawuschkina etwa 50 Mitarbeiter. Diese namen- und gesichtslose Gruppe gilt in der aktuellen Berichterstattung US-amerikanischer Medien als geradezu wichtigster Motor für den Wahlsieg Trumps. US-Präsident Trump selbst hat zu den Vorwürfen über eine mögliche Einmischung der russischen Trolle in die Präsidentschaftswahlen nie eine klare Stellung bezogen.

    Statt Präsident Putin reagierte dessen Pressesprecher Dimitri Peskow auf die Vorwürfe. „Wir wissen nicht, von wem und wie Werbung auf Facebook platziert wird und haben so etwas auch nie gemacht. Von russischer Seite gab es keinerlei Beteiligung daran“, erklärte er bei einer Pressekonferenz. Quellen aus dem Umfeld der Fabrik-Leitung beteuern, dass es „keinerlei direkte Zusammenarbeit mit Vertretern der Präsidialverwaltung gab“. Die von RBC an Prigoshin adressierte Anfrage blieb bis dato unbeantwortet.  

    Unterdessen führt die amerikanische Abteilung ihre Arbeit fort, wie ein derzeitiger und ein ehemaliger Mitarbeiter berichten. Aus dem Gebäude in der Uliza Sawuschkina würden nach wie vor englischsprachige Gruppen mit einer Gesamtreichweite von rund einer Million Menschen betrieben, so ein Angestellter. Und ein Informant aus dem Umfeld der Fabrik-Leitung sagt:

    „Konnten wir den Wahlausgang beeinflussen? Natürlich nicht. Konnten wir unentschiedene Staaten zugunsten von Trump beeinflussen? Möglicherweise. Aber die Ergebnisse haben uns selbst umgehauen. Wozu wir das alles machen? Einfach aus Spaß an der Freude.“ 

    Jetzt mitmachen! Werde Teil von dekoder!
    Jetzt mitmachen! Werde Teil von dekoder!

    Weitere Themen

    Lenta.ru

    Trump ein Agent Putins?

    Presseschau № 44: Trumps Wahlsieg

    Das Fake-Engagement

    Telegram: Privatsphäre first

    Die Cyberwehrmänner

  • Debattenschau № 53: Putin und Trump auf G20

    Debattenschau № 53: Putin und Trump auf G20

    Kurz vor dem Treffen von Putin und Trump auf dem G20-Gipfel war das Verhältnis zwischen Russland und den USA in Meinungsumfragen erneut auf einem Tiefpunkt angelangt. Kurz vorher hatte Trump in Warschau außerdem noch über das „destabilisierende Verhalten“ Russlands gewettert. Das Gespräch zwischen den beiden Staatschefs am vergangenen Freitag dauerte schließlich aber mit über zwei Stunden deutlich länger als die geplante halbe Stunde. Außer den Übersetzern waren nur die beiden Außenminister dabei, Sergej Lawrow und Rex Tillerson.

    Viel drang nicht nach außen, noch während des Gesprächs wurde bekannt, dass beide Länder eine Waffenruhe in Syrien vereinbarten. Außerdem soll ein neuer Kommunikationskanal geschaffen werden, um Gespräche über die Situation in der Ukraine zu führen. Seine Idee, mit Russland eventuell im Kampf gegen Cyberkrimininalität zu kooperieren, zog Trump nach heftiger Kritik aus Washington kurz nach dem Gespräch wieder zurück.

    Trump, wie er Putin die Hand hinstreckt, das war ein Bild, das vor allem das Staatsfernsehen immer wieder zeigte. Einen Bericht der New York Times, wonach das Gespräch zwischen beiden „hitzig“ geworden sei, wies Kreml-Sprecher Dimitri Peskow als „absurd“ zurück.

    Doch welche konkreten Ergebnisse bringt das Gespräch? Braucht es die überhaupt, oder ist das Zusammentreffen an sich schon ein Erfolg?

    dekoder zeigt Debatten-Ausschnitte aus staatsnahen wie unabhängigen Medien.

    Izvestia: Nicht ohne unseren Leader

    In der kremlnahen Izvestia bewertet Politologe Jewgeni Mintschenko das Treffen sowie den Gipfel insgesamt als Erfolg für Putin:

    [bilingbox]Festzuhalten ist: Der Gipfel in Hamburg war für die russische Delegation und Präsident Wladimir Putin gehaltvoll und produktiv. Keine einzige der wichtigen und in Hamburg gelösten Fragen ist ohne den russischen Leader entschieden worden. Demnach ist das dumme Gerede in den westlichen Medien über eine Isolation Moskaus nicht einfach nur übertrieben, sondern ganz offensichtlich eine Lüge. […] Das nahezu wichtigste ukrainische Exportgut, die Russophobie, wird man im Westen nicht länger abkaufen. Zumindest nicht in den Mengen wie früher.~~~Важно отметить, что для российской делегации и президента Владимира Путина гамбургский саммит стал очень насыщенным и продуктивным. Ни один из важных и решенных вопросов в Гамбурге не обошелся без участия российского лидера. В связи с этим глупые разговоры в западных СМИ об изоляции Москвы не просто преувеличены, а выглядят откровенной ложью. […] Чуть ли не главный экспортный украинский «товар» — русофобию — больше не станут покупать на Западе. По крайней мере в таких количествах, как раньше.[/bilingbox]

     

    erschienen am 09.07.2017

    Facebook: Nur „body language“ und Melania

    Für den liberalen Oppositionspolitiker und Wirtschaftswissenschaftler Grigori Jawlinski dagegen ist Russland weit abgeschlagen. Auch die Nachricht, dass selbst Melania das Gespräch der beiden Staatschefs nicht rechtzeitig beenden konnte, kommentiert er ironisch:

    [bilingbox]Trump ist höchst unangenehm und sogar gefährlich für uns. Vor allem, weil er schlicht auf uns pfeift und ein völliger US-Provinzler ist. Wenn wir ihm keine Probleme bereiten oder wenn Russland nicht gerade gebraucht wird, um politische Gegner zu „trollen“ (wie während des Präsidentschaftswahlkampfs), sind wir für ihn einfach Luft […] Auf dem G20-Gipfel hat Trump wiederum gezeigt, dass Russland in der amerikanischen Außenpolitik weit abgeschlagen nicht den ersten Platz einnimmt. 

    Deswegen hat auch das Treffen Putin – Trump nichts mit dem zwischen Gorbatschow und Reagan zu tun. Und nicht mal mit dem zwischen Putin und Bush. Denn mit Bush hat sich Putin getroffen, als bei allen Problemen noch die Hoffnung lebte, dass Russland und die USA ernsthafte Partner werden, beispielsweise im Kampf gegen den internationalen Terrorismus … 
    Vom Treffen Putin – Trump waren nun einzig interessante Bilder und Interpretationen der „body language“ zu erwarten. Wenigstens ein kleines Vergnügen und Nahrung für den Grips. Melania schaute kurz bei dem Treffen vorbei – was ‘ne Nachricht.~~~Трамп крайне неприятен и даже опасен для нас. Прежде всего тем, что ему на нас наплевать и он глубокий американский провинциал. Когда мы не создаем ему проблем или когда тему России нельзя использовать для того, чтобы «троллить» оппонентов (как во время президентской кампании), мы для него вообще исчезаем. […] На саммите G-20 Трамп еще раз показал, что в американской внешней политике Россия занимает далеко не первое место. Поэтому и встреча Путин-Трамп — это совсем не Горбачев-Рейган. И даже не Путин-Буш. Потому что с Бушем Путин встречался, когда при всех проблемах еще была жива надежда на то, что Россия и США станут серьезными партнерами, например, в борьбе с международным терроризмом… А вот от встречи Путина с Трампом только и можно было ожидать, что интересных картинок и расшифровок «body language». Хоть какое-то развлечение и пища для размышлений. Мелания зашла на встречу — вот и новость.[/bilingbox]

     

    erschienen am 09.07.2017

    Moskowski Komsomolez: Die Angst ist weg

    Im staatsnahen Moskowski Komsomolez vergleicht Michail Rostowski die Euphorie einiger seiner Kollegen mit dem Hochgefühl unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps. Er selbst sieht in dem Treffen jedoch keinen wirklichen Durchbruch, auch wenn es Anlässe für leise Hoffnungen gebe:

    [bilingbox]Der „neue Impuls“, den das Treffen von Putin und Trump unseren Beziehungen bringen sollte, besteht ganz einfach in Folgendem: Die kleinen Staatsbeamten beider Länder – insbesondere die US-amerikanischen – sollen einen Anreiz bekommen, innerhalb der von den Präsidenten skizzierten Agenda konkret zusammenzuarbeiten.

    Vor dem Rendezvous von Putin und Trump hatten amerikanische Staatsbeamte keinen solchen Anreiz. Stattdessen herrschte Angst: Wenn ich auch nur den kleinsten Schritt auf die Russen zugehe, wird man mich gleich zum „Agenten Moskaus“ erklären. Nach Hamburg ist diese Angst natürlich nicht vollständig verschwunden. Aber immerhin haben die Beamten und Diplomaten nun ein „Schutzmittel“, eine Ausrede: Ich führe nur die Anweisung meines unmittelbaren Chefs aus. Falls Ihnen etwas nicht gefällt, wenden Sie sich an ihn. 

    […] Was in Hamburg geschah, das ist gut. Und möge dieses „gut“ eine Fortsetzung finden.~~~

    «Новый импульс», который встреча Путин-Трамп должна придать нашим отношениям, заключается в очень простой вещи. У нижестоящих чиновников двух стран — особенно у нижестоящих американских чиновников — должен появиться стимул к конкретной работе друг с другом в рамках очерченной президентами повестки.

    До рандеву Путина и Трампа такого стимула у американских чиновников не было. Зато был страх: если я сделаю хоть крошечный шажок навстречу русским, меня тут-же объявят « агентом Москвы». После Гамбурга такой страх, естественно, полностью никуда не исчез. Но у чиновников и дипломатов появилось хоть какое-то «средство защиты», отмазка и отговорка: я выполняю прямое указание своего непосредственного начальника. Если вам что-то не нравится, то обращайтесь к нему.

    […] то, что произошло в Гамбурге — это хорошо. И дай бог, чтобы это «хорошо» получило свое продолжение.[/bilingbox]

     

    erschienen am 09.07.2017

    Republic: Wenn du gar nicht weiter weißt …

    Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow sieht wenig konkrete Ergebnisse, wie er auf dem unabhängigen Portal Republic schreibt:

    [bilingbox]Klar, dass keine Einigungen erreicht werden, die Seiten interpretieren die Aufgaben der Gruppe sehr unterschiedlich. […] Doch hier findet sich ein bekannter Lösungsansatz: Willst du ein Problem begraben, gründe einen Arbeitskreis. Und das wäre ein wichtiges positives Ergebnis des Treffens: die Isolierung des Destruktiven und die Bereitschaft voranzugehen. […]
    Es war ein Treffen zweier geopolitischer Konkurrenten, die ein einziges Thema fanden, bei dem die Interessen eine Zusammenarbeit erlauben – Syrien. Das gesamte restliche Gebiet ist voller Konfliktstoff, dessen Überwindung von beiden Leadern gehörige Abstriche und Begrenzung ihrer Ambitionen verlangt. Die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. ~~~Понятно, что ни о чем договориться не получится, стороны по-разному интерпретируют задачи такой группы (Москва традиционно хочет обсуждать национальный суверенитет над интернетом от американского информационного влияния, США – хакерские атаки на объекты критической инфраструктуры, включая теперь уже и избирательные системы в американских штатах). Но тут действует известный подход: хочешь похоронить проблему – создай комиссию. И это было бы важным позитивным итогом встречи – изоляция деструктива, готовность двигаться дальше, – весьма выгодным для России. […] 
    Это была встреча двух геополитических соперников, нашедших одну тему, где интересы позволяют работать вместе, – Сирия. Все остальное пространство занято конфликтной повесткой, преодоление которой потребует от обоих лидеров содержательных уступок и ограничения амбиций. Время для этого пока не пришло.[/bilingbox]

     

    erschienen am 08.07.2017

    RBC: Moskau steuert auf großen Konflikt zu

    Auch Politologe Alexander Morosow sieht auf RBC kein Ende der Konfrontation – ein Hauptproblem sei dabei Putins Außenpolitik, die an die der Breshnew-Jahre anknüpfe

    [bilingbox]Putin ist dabei, eine russische „Souveränität“ aufzubauen – das ist sein deklariertes Hauptziel. Er denkt sich die Souveränität praktisch im sowjetischen Sinn, nach Art der 1960er und 1970er Jahre, also als eine militärische und politische Parität. Obwohl die UdSSR real gesehen weder militärisch noch politisch gleichauf waren mit den USA, hat die Geschichte gezeigt, dass der erfolgreiche Bluff und eine aktive Außenpolitik ein Gleichgewicht geschaffen haben, welches zum Ende der 1970er Jahre in einer Reihe von Verträgen und Abmachungen verankert wurde.

    In den Jahren 2014 bis 2017 hat Putin derart krasse Schritte unternommen, dass kein Zweifel besteht, wohin die Reise geht: Krim, Donbass, Aufrüstung der Armee, Militäreinsatz in Syrien, Schaffung globaler Propaganda-Instrumente – all das zeigt, dass Moskau über verschiedene kleine Zusammenstöße mit den USA konsequent auf einen großen Konflikt vom Maßstab einer Kubakrise zusteuert. Nur bei einer solchen Entwicklung der Ereignisse hat der russische Präsident eine Chance, seine eigene Politik als Politik des Erfolgs zu festigen.~~~Путин находится в процессе постройки российского «суверенитета» — это его главная декларируемая цель. Он мыслит себе суверенитет практически по-советски, на манер 1960–1970-х годов, то есть как военный и политический паритет. История показала, что хотя в те годы у СССР не было реального военного паритета с США, но успешный блеф и активная внешняя политика привели к установлению равновесия, которое к концу 1970-х было закреплено целым рядом договоров и соглашений.

    В 2014–2017 годах Путин сделал целую серию шагов настолько резких, что нет никаких сомнений в том, куда он ведет дело: Крым, Донбасс, перевооружение армии, военная операция в Сирии, создание инструментов глобальной пропаганды — все это показывает, что Москва настойчиво движется через различные мелкие точки столкновений с США к масштабному конфликту типа Карибского кризиса. Только при таком развитии событий у российского президента есть шанс закрепить всю свою политику в качестве политики успеха.[/bilingbox]

     
    erschienen am 09.07.2017

    Carnegie.ru: Geschenk an das eigene Land und die Menschheit

    Auf Carnegie.ru meint Alexander Baunow, dass es konkrete Vereinbarungen und Zugeständnisse zwischen den beiden Staatschefs derzeit gar nicht brauche, um dennoch eine Entspannung zu erreichen:

    [bilingbox]Wenn Russland so stark und gefährlich ist, wie es in den letzten Monaten gezeichnet wird, ist keinerlei konkreter Tauschhandel nötig. Ein Erfolg ist schon die Aufhebung der Spannungen in den Beziehungen zu dem schrecklichen Feind, der fähig ist, gleichzeitig in der Welt und in den USA zerstörerisch zu handeln. Mit einem Nicht-Freund in Feindschaft leben will niemand – weder die Wirtschaftswelt noch der einfache Wähler, dem die Politiker Rechenschaft schuldig sind. Die Ausmerzung von Gefahr ohne konkreten Tauschhandel – das ist in einem solchen Fall schon ein Geschenk an das eigene Land und die Menschheit.~~~Если Россия так сильна и опасна, как ее изображают в последние месяцы, никакого конкретного размена и не нужно. Успехом будет уже снятие напряженности в отношениях со страшным противником, способным разрушительно действовать одновременно в мире и в самой Америке. Жить во вражде с недругом не хочется никому – ни бизнесу, ни простому избирателю, перед которым отчитываются политики. Устранение угрозы без конкретного размена по пунктам в таком случае – уже подарок собственной стране и человечеству.[/bilingbox]

     

    erschienen am 07.07.2017

    Rossijskaja Gaseta: So sehen Demokratie und Pluralismus aus

    Die staatsnahe Rossijskaja Gaseta beschäftigt sich auch mit den Ausschreitungen in Hamburg während des Gipfels:

    [bilingbox]Ungeachtet der Erfolge der G20 werden den vielen in die Stadt gereisten ausländischen Delegationen auch andere Bilder im Gedächtnis bleiben: brennende Barrikaden und bewaffnete Spezialeinheiten, Wasserwerfer auf Demonstranten, das ständige Dröhnen der über der Stadt kreisenden Hubschrauber, das Knallen von Böllern, die Schreie der unter Polizeiknüppel geratenen Protestler und die verschreckten Bewohner friedlicher Bezirke …

    All das war auch der Gipfel in Hamburg, der, so hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel versprochen, den Triumph der deutschen Demokratie und den in der Bevölkerung existierenden Meinungspluralismus demonstrieren sollte.

    Genau wie die in den Tagen des Summit auf der Straße ertönte 9. Symphonie von Beethoven. Ein absurdes Zusammentreffen: Während der Chor eifrig die Worte „Alle Menschen werden Brüder“ hervorbrachte, bewarfen Teilnehmer der Protestaktionen auf Hamburgs Straßen die Polizisten mit Flaschen, Steinen und schossen mit Steinschleudern … Und die in Rage gekommenen Hüter der Ordnung antworteten mit dem gesamten Arsenal.

    Die Hamburger sahen wilde Szenen: brennende Barrikaden, aufgerissene Bürgersteige, geplünderte Geschäfte.

    An den Tagen des Gipfels verwandelte sich die Stadt in eine Hölle. Das also sind die Folgen des demokratischen Spektakels, das sich die Frau Kanzlerin ausgedacht hat.~~~Несмотря на успехи “двадцатки“, у приехавших в город многочисленных иностранных делегаций в памяти останутся картины горящих баррикад и вооруженных спецназовцев, падающих под струями водометов демонстрантов, гул постоянно кружащих над городом вертолетов, хлопки петард, крики попавших под полицейские дубинки протестующих, и испуганные жители мирных кварталов… Все это – тоже саммит в Гамбурге, который, как обещала канцлер Германии Ангела Меркель, должен был продемонстрировать торжество немецкой демократии и царящий в обществе плюрализм мнений. Так же, как и сыгранная в дни саммита на улице девятая симфония Бетховена. Абсурдное совпадение: в то время как хор старательно выводил слова “Все люди станут братьями“, участники акций протеста на улицах Гамбурга кидали в полицейских бутылки, камни, стреляли из рогаток. А вошедшие в раж стражи порядка отвечали им всем арсеналом спецсредств. Жители Гамбурга наблюдали жуткие картины: горящие баррикады, развороченные тротуары, разграбленные магазины. На дни саммита город превратился в ад. Такими оказались последствия того демократического спектакля, который задумала фрау канцлер.[/bilingbox]

     

    erschienen am 09.07.2017

    dekoder-Redaktion

    Weitere Themen

    Trump ein Agent Putins?

    Presseschau № 42: Russland und die USA

    Presseschau № 43: Russland und die USA

    Presseschau № 44: Trumps Wahlsieg

    Infografik: Russlands Verhältnis zu den USA

    Kalte Freundschaft

  • Kalte Freundschaft

    Kalte Freundschaft

    „Wir sehen die USA nicht als Feind”, sagte Putin während des Direkten Drahts; zahlreiche westliche Medien berichteten darüber. Umgekehrt beschreiben russische Staatsmedien die außenpolitische Situation ihres Landes gerne als die „einer belagerten Festung“: Umgeben von Feinden trotze Russland aber erfolgreich den ständigen Versuchen des Westens, es zu vereinnahmen, so der Tenor.

    Auch Wladimir Putin betont wiederholt Russlands Großmacht-Stellung, die ständig vom Ausland unterminiert werde: Diesmal auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Dieses von der russischen Regierung organisierte Jahrestreffen internationaler Politiker, Wirtschaftsführer und -experten will neben der Wirtschaft auch die Antworten auf drängende globale Fragen fördern.

    In einer öffentlichkeitswirksamen Ansprache empfiehlt Putin dem Westen, Russlands „volle Souveränität“ anzuerkennen und seine „rechtmäßigen Interessen“ zu akzeptieren – nur so könne ein globales Machtgleichgewicht wiederhergestellt werden.

    Dem Außenpolitik-Experten Wladimir Frolow deucht dies wie ein „Zurück in die 1970er“. Auf republic.ru kommentiert der einstige Diplomat Putins geopolitisches Weltbild und zeigt auch anhand jüngster Hacker-Attacken Parallelen zur Breshnew-Zeit auf.
    Diese gilt in der russischen Geschichtsschreibung als eine Zeit, in der die Sowjetunion dem Westen Paroli bieten konnte. Ansonsten wird sie aber vor allem mit dem Sastoi assoziiert – der Epoche des Stillstands. 

    Die außenpolitische Botschaft Wladimir Putins an den sogenannten Westen ist klar: „Da könnt ihr lange warten!“ Signifikante Veränderungen in der russischen Außenpolitik sind nicht geplant, geschweige denn eine Revision des zugrundeliegenden Konzepts: „Der Westen wirkt der Wiedergeburt Russlands als Supermacht entgegen und will so die eigene Vormachtstellung in einer unipolaren Weltordnung erhalten, und Russland reagiert entsprechend auf diese Beschneidung seiner rechtmäßigen Interessen.“

    Der Konflikt mit dem Westen bleibt ein ideologischer Grundpfeiler der russischen Außenpolitik und bestimmt Moskaus Handeln auf der internationalen Bühne. Die russischen Interessen zu vertreten heißt nun fast ausschließlich, die geopolitischen und wirtschaftlichen Positionen des Westens in einem Nullsummenspiel zu untergraben.

    Das Ausmaß des Konflikts und die konkreten territorialen und diplomatischen Fronten werden variieren. Beeinflusst werden sie durch die aktuelle politische Weltlage, die Maßnahmen und die Entschiedenheit des Westens, russische Bestrebungen abzublocken, sowie die innenpolitische Situation und die außenwirtschaftliche Konjunktur. Von Letzterer hängen Russlands Ressourcen für die Durchführung einer entschlossenen Außenpolitik ab.

    Gemäßigte Phase der Konfrontation

    Putin bekundete Moskaus Interesse an einer gemäßigten Phase der Konfrontation (nicht ihrer Beendigung), das heißt an einer „Entspannung der internationalen Lage“ im Stil der zweiten Hälfte der 1970er Jahre.

    Dem Westen wird angetragen, sich mit Russlands neuem geopolitischen Status abzufinden, Russlands regionale und globale Ambitionen als legitimes Interesse zu akzeptieren und seine uneingeschränkte Souveränität anzuerkennen, sprich: sich nicht in die inneren Angelegenheiten Russlands einzumischen.

    Außerdem wird dem Westen nahegelegt, auf jegliche Kritik der russischen Innenpolitik zu verzichten, die Sanktionen aufzuheben und zu einer umfassenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit zurückzukehren.

    Zudem sollte man zu einer engen politischen Zusammenarbeit mit Moskau in allen wichtigen globalen Fragen übergehen, wobei Russlands Gleichstellung mit dem Westen anerkannt und Moskaus Propagandanarrativ Berücksichtung finden muss.

    Helsinki 2.0 – nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt

    Das alles sieht aus wie der Vorschlag eines Helsinki 2.0 – allerdings nicht mehr nur für Europa, sondern für die ganze Welt. Und mit ein paar grundlegenden Neuerungen, insbesondere im „humanitären Korb“.

    Dabei geht es um die endgültige Festlegung der Einflussgrenzen (nicht nur der geografischen, sondern auch der ideologischen – man hat nunmal unterschiedliche Auffassungen von Menschen- und Persönlichkeitsrechten), um die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten (die Art und Weise eines Machtwechsels darf nicht Gegenstand internationaler Beziehungen sein). 
    Es geht um für Russland vorteilhafte Regeln für die Anwendung von Waffengewalt (die gewaltsame äußere Einmischung als „humanitäre Intervention“ oder „Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung“ ist unzulässig, legitim sind hingegen militärische Interventionen nach Aufforderung, zur „Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung“). 
    Außerdem geht es um die Souveränität des Informationsraumes (Kontrolle über das Internet und die Medien auf dem eigenen Interessengebiet) sowie die Handelsfreiheit und staatlich kontrollierte Investitionen, unabhängig vom innen- oder außenpolitischen Tagesgeschehen.

    Völlige Intransparenz außenpolitischer Entscheidungsfindung

    Damit sind zwei potentiell destabilisierende außenpolitische Konzepte zur vorbehaltlosen Annahme auf dem Tisch. Sie stammen ebenfalls aus den guten alten 1970ern, sind aber in ihrer Form leicht abgewandelt: Die „rechtmäßigen Interessen“ und die „uneingeschränkte Souveränität“.

    Das erste Konzept schreibt Moskaus Recht auf militärisches Eingreifen im Ausland fest – sowohl im Umkreis der eigenen Landesgrenzen als auch in anderen Regionen der Welt, wo sich eine Möglichkeit bietet, bei verhältnismäßig geringem Kostenaufwand auf den Westen Druck auszuüben. Die Grenzen der „Rechtmäßigkeit“ dieser Interessen sind absichtlich nicht klar definiert und können bei Bedarf kurzerhand uminterpretiert werden. Aber das Recht zur Neuinterpretation und zur Anpassung der gesamten Außenpolitik an diese neue Fassung hat nur eine Person.

    Bei der völligen Intransparenz außenpolitischer Entscheidungsfindung wirkt die Unberechenbarkeit der russischen Außenpolitik destabilisierend auf die Weltgemeinschaft und provoziert eine Politik der Zurückhaltung.

    „Rechtmäßige Interessen“ sind heute die Krim, morgen der Donbass und der Südosten der Ukraine, in einem Jahr Syrien, in zwei Jahren Libyen, in drei Jahren die Balkanstaaten und Afghanistan. Nicht auszuschließen, dass irgendwann auch Venezuela oder Nicaragua auf dieser Liste landen.

    Enger Kreis von wahren Souveränen

    Das Konzept der „uneingeschränkten Souveränität“ für die einen birgt die Gefahr, dass sie automatisch eine begrenzte Souveränität aller anderen bedeutet. Damit wird eine Zwei-Klassen-Struktur in den internationalen Beziehungen geschaffen, in denen dann einige Länder gleicher sind als andere.

    In Wladimir Putins Weltauffassung gibt es nur wenige Staaten, die über uneingeschränkte Souveränität verfügen, sprich über die Fähigkeit, eine gänzlich unabhängige Außenpolitik zu betreiben, ohne Rücksicht auf die Meinung anderer Großmächte. Neben Russland und den USA sind das Indien, China, Brasilien und der Iran. Aber auch diese Liste ist nicht endgültig und unterliegt gelegentlicher Revision.

    Die restlichen Staaten verfügen über begrenzte Souveränität. Sie können keine eigenständigen außenpolitischen Entscheidungen treffen und müssen ihr Handeln mit ihrem Lehensherren abstimmen. Zu dieser Gruppe zählt Putin alle NATO-Länder, einschließlich Deutschland und Frankreich, weil er annimmt, dass in diesem Bündnis alles von den USA entschieden wird.

    Dieses vereinfachte Bild dient Moskau als eine perfekte Matrix der internationalen Beziehungen: Alle Schlüsselfragen und Regeln der Weltordnung werden in einem engen Kreis von wahren Souveränen ausgehandelt. Sie kontrollieren jeweils ihren Bereich und können die Meinung der anderen Staaten getrost außer Acht lassen.

    Breshnew Doktrin wiederbelebt

    Dieses Konzert der Großmächte bedeutet auch, dass Russland seinen Vasallen-Bereich hat – eine Reihe von Staaten, deren Souveränität dadurch beschränkt ist, dass sie bestimmte Aspekte der Außen-, Verteidigungs- und Handelspolitik mit Moskau abstimmen müssen. Vor allem gilt das für den Aufbau jeglicher Beziehungen zum Westen.

    Offenbar wurde Breshnews Doktrin wiederbelebt: Die Souveränität der Länder des russischen Lagers wird demzufolge nicht durch das marxistische Dogma vom Aufbau des Sozialismus begrenzt. Vielmehr geht es um den Verzicht auf eigenständige Beziehungen zum Westen und auf ein demokratisches Regierungssystem. Denn die Regierungschefs müssen in erster Linie Moskau gefallen.

    Verschärfter Ideologie-Kampf gegen den Westen

    Es gibt außerdem noch Anzeichen, dass auch an ein weiteres außenpolitisches Konzept der 1970er Jahre angeknüpft wird: Die Politik der Entspannung geht nämlich einher mit einer Verschärfung des ideologischen Kampfes der „Völker“, gegen den Westen.

    Das zeigt sich anhand von Putins wohlwollenden Aussagen über die „patriotischen Hacker, die frei sind wie Künstler“ und bereit, für das Land einzustehen. Oder dann, wenn Putin eine für den Westen schmerzliche Kontinuität suggeriert, indem er die Kritik an Russland als ein Zeichen ethnischer Russophobie darstellt.

    Der Partisanenkrieg der „patriotischen Hacker“ gegen die „russophoben Politiker“ in den westlichen Ländern wird befürwortet, quasi in alter sowjetischer Tradition einer Außenpolitik, die „befehlshörige Komsomol-Freiwillige“ unterstützt. Dank moderner Technologien ist es relativ einfach und günstig, sich direkt an das westliche Publikum zu richten und dabei eine glaubhafte Abstreitbarkeit (plausible deniability) zu wahren. So entgeht man westlichen Sanktionen („auf staatlicher Ebene machen wir das nicht“) und kann unverfroren verkünden, Russland mische sich nicht in fremde Wahlen ein, während man bei Facebook zielgerichtet Werbung für den richtigen Kandidaten postet.

    Die „freien Hacker“ und die Kriege der Bots in Sozialen Netzwerken – das ist die neue Dimension des ideologischen Kampfes, gegen die man sich im Westen im Rahmen der Meinungsfreiheit bislang nicht zur Wehr setzen kann. Im Gegensatz zu Russland können westliche Politiker unliebsame Seiten oder Postings nicht einfach blockieren. Und die Versuche des Westens, Gleiches mit Gleichem zu vergelten würden am Roskomnadsor scheitern.

    Russland wirft dem Westen „Hysterie“ vor

    Moskau behauptet, dass im Westen wegen der russischen Hacker und deren Einmischung in Wahlen geradezu „Hysterie“ und „politische Schizophrenie“ herrsche. Das sei ein Zeichen der Schwäche der westlichen Demokratien und des fehlenden Vertrauens in die eigenen Institutionen.

    Diese in zentralistischer Manier verbreitete Argumentation lässt vermuten, dass man die schöne Arbeit der Cyberfreiwilligen auch weiter billigend in Kauf nehmen wird, ohne sie als Einmischung in innere Angelegenheiten anzusehen.

    Das beim Forum vorgeschlagene Remake mit Upgrade der außenpolitischen Konzepte der 1970er Jahre ergänzt sich tatsächlich gut mit einem ähnlichen Upgrade in der Wirtschafts- und Sozialpolitik: Statt Strukturreformen, Entstaatlichung und mehr Konkurrenz wird eine allgemeine Block-Chain und Digitalwirtschaft unter strenger staatlicher Kontrolle vorgeschlagen, bei der Staatsfirmen vorschriftsgemäß „sogenannte Startups“ unterstützen. In den 1970ern nannte man das „Kampaneischina“.

    Innen- und Außenpolitik sind eng verzahnt

    Anatoli Tschubais, der ebenfalls am Forum teilgenommen hat, beschrieb das konzeptuelle Problem sehr treffend: „Das soziale, ökonomische und politische System im Land deckt überraschend viel ab, ist ausgeglichen und auf seine Weise sogar harmonisch. Es ist ein System, bei dem die Innenpolitik die Außenpolitik ergänzt. Was wiederum bedeutet, dass eine ernsthafte Umstrukturierung der Innenpolitik kaum möglich ist, ohne die Außenpolitik anzurühren. Vermutlich braucht es ganzheitliche Schritte, und das birgt große Risiken.“

    Man könnte meinen, bei einem Zeithorizont von sieben Jahren sei man mit der Strategie „Zurück in die 1970er“ innen- und außenpolitisch auf der sicheren Seite. Bleibt nur noch, die äußere Realität daran anzupassen.

    Weitere Themen

    Was hat Moskau im Angebot?

    Presseschau № 32: Fußball-Hooligans

    Pack die Badehose ein

    Presseschau № 42: Russland und die USA

    Presseschau № 43: Russland und die USA

    Russland – plötzlich im Spiegel der USA