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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Der Biden-Putin-Tango

    Der Biden-Putin-Tango

    Das Großaufgebot russischer Truppen und schweren Kriegsgeräts an der Grenze zur Ukraine hatte „internationale Besorgnis“ ausgelöst. Was soll das russische Säbelrasseln: Nur Muskelspiele oder droht gar ein weiterer Krieg? Die USA sagten der Ukraine Unterstützung zu und forderten Moskau zur Deeskalation auf. Der ukrainische Präsident Selensky drang außerdem auf einen Aktionsplan für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. 

    Nachdem Biden Putin angerufen hatte und einen gemeinsamen Gipfel vorschlug, verhängten die USA tags drauf neue Sanktionen gegen Russland – unter anderem wegen des SolarWinds-Cyberangriffs. Putin ging in seiner Rede zur Lage der Nation am 21. April auf die Situation an der Grenze zur Ukraine nicht ein, warnte stattdessen den Westen, gewisse „rote Linien“ nicht zu überschreiten. Verteidigungsminister Sergej Schoigu allerdings gab am 22. April den Rückzug der russischen Truppen bekannt. Danach informierte das russische Außenministerium wiederum über Pläne, eine „Liste unfreundlicher Staaten“ einzuführen, die USA soll auf dieser Liste stehen, so Außenamtssprecherin Sacharowa.

    Kriegsgefahr gebannt? Alles wieder gut? Politikwissenschaftlerin Lilija Schewzowa ist weniger optimistisch und analysiert auf Facebook den „Tango“, den Biden und Putin tanzen: „Moskau in die Schranken weisen und gleichzeitig kooperieren: Dieses Geschaukel endet jedes Mal mit einer Eskalation“, warnt sie.

    Ein Schritt vor, ein Schritt zurück – der Biden-Putin-Tango / Foto © Dimitri Asarow/Kommersant
    Ein Schritt vor, ein Schritt zurück – der Biden-Putin-Tango / Foto © Dimitri Asarow/Kommersant

    Es scheint, als sei der Krieg aufs nächste Mal verschoben. Doch die jüngste Eskalation der Spannungen entlang der Linie zwischen Russland und dem Westen verdeutlicht eine beunruhigende Dynamik.
    Erstens: Russland ist bereit, das Schachbrett der Weltordnung vom Tisch zu fegen. Als Anlass könnte bereits ausreichen, dass der Kreml sich beleidigt fühlt oder den Verdacht hegt, man könne ihn ignorieren. Allein die Drohung, das Brett vom Tisch zu werfen, wirkt, weil sie beim erpressten Objekt Verunsicherung hervorruft.
    Zweitens: Der Westen hat es versäumt, eine Antwort zu finden, wenn er von Russland herausgefordert wird. Bislang versuchen die liberalen Demokratien den Kreml mit einer zweigleisigen Taktik zu beschwichtigen. Kurz gesagt, mit einer Kombination zweier sich ausschließender Prinzipien: Eindämmung und Dialog.

    Eindämmung und Dialog

    Diese Zweigleisigkeit ist eine Reaktion auf das Phänomen, das Russland mittlerweile darstellt: Einerseits ist Russland ein Gegenspieler der liberalen Demokratien. Andererseits ist es in für den Westen lebenswichtige Prozesse eingebunden und teilweise in den Westen integriert (durch die dort verkehrenden Privatiers und die Mitgliedschaft in europäischen Institutionen).
    Besonders schwer hat es da Europa. Wie soll Brüssel einen Staat mit Sanktionen belegen, der Mitglied des Europarats ist? Wie soll es einen Handelspartner bestrafen? Also beschränkt sich die EU gezwungenermaßen darauf, „Besorgnis“ zu äußern angesichts der russischen Schachzüge, die es mittlerweile zu Hauf gibt.

    Nawalnys drohender Tod ist für Brüssel kein Anlass für Sanktionen

    Aus der Unvereinbarkeit von Eindämmung und Dialog erwachsen weitere Probleme: Die liberalen Demokratien sind zum Beispiel nicht in der Lage, einen Mechanismus zu schaffen, der den feindlichen Handlungen Moskaus zuvorkommt. Die EU hatte nie vor, wegen der russischen Eskalation an der ukrainischen Grenze Sanktionen einführen. Erst, wenn Russland die Grenze überschritten hätte, hätte Brüssel über solche Schritte nachgedacht. Wenn Nawalny nicht bis zum Ende des Monats freikommt, will der Europarat über ein Aussetzen der russischen Mitgliedschaft nachdenken. Doch sein drohender Tod ist in Brüssel kein Anlass für Sanktionen.
    Der Westen kann keine roten Linien für die Zukunft ziehen, deren Übertretung durch Russland dann eine Reaktion erfordert. Er kann kein Preisschild an etwas drankleben, das noch nicht passiert ist. Wenn der Westen die Sanktionsmaschine anwirft, dann reagiert er damit auf bereits Geschehenes. Und hofft darauf, dass Moskau den Preis für die Risiken versteht. Aber das Verständnis für die Risiken und deren Preise geht in Moskau und den westlichen Regierungen auseinander. Für den Kreml ist Risikobereitschaft vielleicht das einzige Mittel, sein Ziel zu erreichen.

    Väterlicher Klaps auf den Hintern 

    Nun haben die USA direkt die Initiative ergriffen, um auf Russlands Sünden an den USA zu reagieren, auf die Eskalation an der ukrainischen Grenze und auch auf Nawalny. Die Reaktion ist eben jene Zweigleisigkeit. Washington geht offenbar davon aus, dass seine Ankündigungen den Preis für die russische Eskalation ebenfalls eskalieren zu lassen, diesmal in Moskau Gehör finden.
    Vielleicht kündigen die Amerikaner im informellen Austausch an, notfalls harte Maßnahmen zu ergreifen. Aber die Sanktionen, die Biden öffentlich nennt, wirken eher wie ein väterlicher Klaps auf den Hintern.

    Biden will eindeutig keine Konfrontation mit Russland. Es geht ihm nicht darum, Putin in die Knie zu zwingen. Er brennt nicht darauf, die russische Wirtschaft zu zerstören oder einen Rachefeldzug gegen Putins engsten Kreis zu starten.
    Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Weiße Haus erkannt hat, dass es unmöglich ist, den Kreml zu zwingen, seine Denkweise und sein Weltbild zu ändern. Folglich muss es einen Weg finden, mit einem gefährlichen Spieler zu koexistieren, bei dem jederzeit das Weimar-Syndrom auftreten kann.
    Biden will, wie er es selbst formulierte, einen „Modus vivendi“. Man kann Washington verstehen. Den USA steht der Weg aus einer innenpolitischen Krise bevor. Die USA müssen sich aus Afghanistan zurückziehen – eine für sie dramatische Aufgabe. Sie müssen eine Antwort auf ihre größte Herausforderung finden – China. Zu diesen Kopfschmerzen kommen der Iran und Nordkorea. Deshalb ist es Biden wichtig, das Thema Russland einzufrieren.

    Sie werden sich wohl nicht gegenseitig mit Schuhen bewerfen

    Kurz gesagt, Biden hat sich für eine Beschwichtigungstaktik mit Elementen der Eindämmung entschieden (die sich im Anfangsstadium befindet). Infolgedessen beobachten wir ein surreales Szenario: Vertreter der amerikanischen Regierung kündigen an, dass es den Kreml teuer zu stehen kommt, wenn Moskau das Schachbrett weiter herumschwenkt. Gleichzeitig bereiten die Repräsentanten beider Präsidenten ein Treffen vor, bei dem sich die Staatsmänner aller Voraussicht nach nicht gegenseitig mit Schuhen bewerfen werden. Putin spricht auf einem von Biden organisierten Klimagipfel. Moskau schlägt Washington vor, den Dialog zur Abwehr von Cyberattacken wieder aufzunehmen. Fast ein Neustart!
    Der Kreml hat sein Ziel erreicht – er hat Amerika gezwungen, ihm zuzuhören und ein Angebot zu machen. Es geht nicht mal so sehr um Putins persönliche Ambitionen. Sondern darum, dass Russland von den USA abhängig ist – als Achse seiner Legitimität
    Man könnte einwenden: Stimmt gar nicht! Die USA haben ihre Führungsrolle eingebüßt, jetzt ist China für Moskau viel wichtiger. Mhm, ja klar, Russland hat seine Truppen an der ukrainischen Grenze zusammengezogen, um die Aufmerksamkeit Pekings zu erregen.

    Der Kreml hat sein Ziel erreicht – er hat Amerika gezwungen, ihm zuzuhören und ein Angebot zu machen

    Aber was bekommt Biden, wenn er Putin einen Dialog anbietet? Die schmerzlosen amerikanischen Sanktionen könnten im Kreml den Eindruck erwecken, Amerika sei unentschlossen. Und das könnte den Kreml zu neuen Manövern veranlassen. Abgesehen davon versteht Putin unter einem Status quo in der Ukraine etwas anderes als die Ukraine selbst oder die westlichen Staaten. Wie soll man unter diesen Umständen einen Modus vivendi erreichen? Fragen über Fragen …
    Währenddessen hat der Kreml sein Ziel erreicht und nimmt den Druck raus. Denn auch das ist eine Demonstration der Macht – die Kontrolle über den Zünder zu behalten. Putin hat dem Westen ja angekündigt, dass er den Verlauf der „roten Linie“ bestimmen wird. 
    Tatsächlich hat der Kreml eine weitere Möglichkeit, dem Westen zu antworten – indem er die unzufriedenen Russen niederwalzt. Wenn das mal nicht scharfsinnig ist: die russische Gesellschaft zu zwingen, für die westlichen Belehrungen zu bezahlen.

    Geschaukel endet mit Eskalation

    Und was weiter? Wir sollten bedenken: Biden ist nicht der erste US-Präsident, der versucht, eine zweigleisige Politik gegenüber Russland zu fahren – Moskau in die Schranken zu weisen und gleichzeitig zu kooperieren. Dieses Geschaukel endete jedes Mal mit einer Eskalation. Denn die Unvereinbarkeit der systemischen Prinzipien ist am Ende stärker als die gemeinsamen Interessen.
    Sollten die Möglichkeiten der Einflussnahme schwinden, wird sich der Kreml immer mehr auf die Instrumente der Gewaltausübung verlassen müssen – im Inneren wie im Äußeren. Nicht einmal aufgrund einer Lust an Gewalt, sondern in Ermangelung anderer Überzeugungsmittel. 
    Vermutlich wird der Dialog zwischen Russland und dem Westen auch diesmal mit einem kalten Regenschauer enden. Aber jeder neue Fehlschlag wird die Risiken erhöhen, indem er die Eskalation auf eine neue Stufe treibt und den Preis erhöht, den man dafür bezahlen muss.
    Genau deshalb ist die Zukunft beunruhigend. Und die kurzen Lichtblicke sollte man nicht mit einem Wetterumschwung verwechseln.

    PS: Jetzt wurde Tschechien zum Testfeld für die Effektivität der westlichen Zweigleisigkeit und vor allem der europäischen Solidarität.

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  • Spasibo, Herr Biden!

    Spasibo, Herr Biden!

    Massive Truppenverlegungen an die ukrainische Grenze haben in den vergangenen Tagen wiederholt Kriegsängste geschürt. Doch nun heißt es aufatmen, zumindest vorerst: Am Dienstag hat der US-Präsident Joe Biden Wladimir Putin angerufen und ihm ein Treffen in einem neutralen Land vorgeschlagen. 

    Bidens Angebot ist laut Andrej Sinizyn genau das, was der Kreml mit der Eskalation an der Grenze zur Ukraine angestrebt hat – ein Dialog „auf Augenhöhe“. Nachdem Biden den russischen Präsidenten als „Killer“ bezeichnet hat und zahlreiche westliche Politiker einen Tiefpunkt der Beziehungen zu Russland bescheinigt haben, bringt sich der Kreml offenbar zurück an den Verhandlungstisch. Gleichzeitig haben die USA am gestrigen Donnerstag, 15. April, neue Sanktionen gegen Russland verhängt – unter anderem wegen des SolarWinds-Cyberangriffs.
    Was kann bei so einem Gipfel also überhaupt rauskommen? Diese Frage stellt Sinizyn auf Republic.  

    Biden schlägt Putin ein Treffen vor – aber welche Ergebnisse sind von diesem Gipfel zu erwarten? / Foto © Matt Johnson/Flickr CC BY SA-2.0
    Biden schlägt Putin ein Treffen vor – aber welche Ergebnisse sind von diesem Gipfel zu erwarten? / Foto © Matt Johnson/Flickr CC BY SA-2.0

    Biden ist in diesem Spiel vorgeprescht – mit einem sehr guten Zug. Zumindest bis zu einem Gipfel wird es keinen Krieg geben, und der amerikanische Präsident ist in den Augen progressiver Kräfte ein Friedensstifter. 

    Völlig unklar ist, welche Ergebnisse von diesem Gipfel zu erwarten sind. Gemeinsame Themen außer Rüstungskontrolle gibt es zwischen den USA und Russland schon lange nicht mehr. Im Laufe der Vorbereitung wird der Kreml wahrscheinlich demonstrative Schritte Richtung „Entspannung“ (vielleicht die Entlassung von Alexej Nawalny?) einleiten. Aber natürlich wird er im Gegenzug verlangen, dass die Sanktionen gelockert werden, die technische Zusammenarbeit wieder aufgenommen wird et cetera. Washington wird darauf nicht eingehen, „nach allem, was war“.  

    Putin wird natürlich darauf bestehen, dass die Ukraine die Minsker Vereinbarungen umsetzt ohne jegliche Anpassungen (wie sie zuvor Wolodymyr Selensky vorgeschlagen hatte). Hier wird Putin wohl kaum mit der Unterstützung Bidens rechnen können, doch der Kreml wird bemüht sein, schon vor dem Gipfel Druck auf Selensky auszuüben – damit der „von sich aus um Verzeihung bittet“.

    Insgesamt wird es keinen Durchbruch geben, wie es ihn auch bei den Treffen von Putin mit Trump nicht gegeben hat. Die große Frage ist: Wie lange hält der Friedenseffekt von Bidens Anruf und dem geplanten Gipfel? Das traurige Fazit aus dem aktuellen Geschehen ist, dass Russland keine Hebel mehr hat, um sich in die Weltpolitik einzubringen und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – außer durch Androhung eines Krieges.  

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  • Bidens Bärendienst

    Bidens Bärendienst

    Denken Sie, dass Putin ein Killer ist? „Das tue ich“, antwortet Joe Biden, als US-Präsident noch ziemlich frisch im Amt, im ABC-Interview und löst damit eine weltweite Debatte aus: Endlich deutliche Worte? Unverschämte Beleidigung? Oder Zeichen dafür, dass die USA Russland (von Obama als „Regionalmacht“ geschmäht) wieder ernst nehmen, und sei es als Bedrohung – wie es der Historiker Sergej Radtschenko im Interview mit Meduza nahelegt. Insofern legitimiere Bidens Aussage Putin geradezu. 

    Der russische Präsident hatte zunächst mit einer Anekdote aus seiner Kindheit im Petersburger Hinterhof gekontert, damals hätte es geheißen: „Wer anderen einen Namen gibt, heißt selbst so.“ Er wünsche Biden Gesundheit, „ohne Ironie“, und bot ihm außerdem ein Gespräch an, online und live. Das Weiße Haus reagierte ausweichend, man werde sicher irgendwann wieder miteinander reden. Unmittelbar nach dem Interview hatte Moskau seinen Botschafter aus Washington zu Beratungen zurückbeordert.

    Ganz egal, welche Auswirkungen Bidens Antwort auf die russisch-amerikanischen Beziehungen haben mag: Vor allem spielt Biden der russischen Wir-sind-von-Feinden-umzingelt-Propaganda in die Hände, findet Iwan Dawydow in seinem Kommentar auf Republic.

    Der Präsident der Vereinigten Staaten hat den russischen Politikern und Propagandisten ein echtes Geschenk gemacht. Noch nie war es so leicht, Loyalität zu demonstrieren. Nach der (übrigens ziemlich unvorsichtigen) Bemerkung von Biden ist ein regelrechter Wettstreit darüber entflammt, wer wohl mutiger zurückschlagen oder sich liebedienerischer beim Führer einschleimen könne. Es lassen sich gar nicht alle zitieren – es gab bereits dutzende Reaktionen, und dieser Karneval wird wohl noch mindestens bis zum Ende der Woche andauern.

    Nehmen wir zum Beispiel Andrej Turtschak von der Regierungspartei Einiges Russland (in Journalistenkreisen natürlich vor allem für seine leidenschaftliche Liebe zu Eisenstangen bekannt): „Bidens Aussage ist Triumph des politischen Wahnsinns der USA und der altersbedingten Demenz seines Führers. Eine aus Hilflosigkeit geborene äußerste Stufe der Aggression.“ Was dann folgt ist beinahe poetisch, oder wie soll man es nennen, wenn etwas derart Heiliges berührt wird: „Wir besiegen die Pandemie. Unser Impfstoff ist der beste der Welt – die anderen planen nur. Wir haben die Familie und ihre Werte – die haben Gender und Transgender.“ Und das Wichtigste: „Überhaupt ist es schlicht eine schamlose und widerwärtige Aussage. Es ist eine Kampfansage an unser ganzes Land.“

    Oder Wjatscheslaw Wolodin. Der Duma-Vorsitzende verzichtet auf jedwede Sentimentalität und kommt direkt zum Punkt: „Biden hat mit seiner Äußerung die Bürger unseres Landes beleidigt. Aus einer ohnmächtigen Hysterie heraus. Putin ist unser Präsident, Angriffe auf ihn sind Angriffe auf unser Land.“

    Diese beiden prominenten Vertreter von Einiges Russland sind sehr politikerfahren. Oder, besser gesagt, erfahren in etwas, das in Russland schon seit Langem die Politik ersetzt. Beide spüren genau, was geschehen ist. Und beide setzen ohne zu zögern ein Gleichheitszeichen – und man beachte den feinen Unterschied – nicht zwischen Putin und dem Staat, sondern zwischen Putin und dem Land. Russland ist Putin. Sein Schmerz ist unser Schmerz. Anders kann es gar nicht sein. 

    Russland ist Putin. Sein Schmerz ist unser Schmerz

    Während sich weise Analytiker fragen, ob wir eine neue Stufe der Verschlechterung der russisch-amerikanischen Beziehungen zu erwarten haben (falls das überhaupt möglich ist), wollen wir einen Blick darauf werfen, was uns die Ereignisse über die Struktur des russischen Regimes verraten.

    Regimekritiker sprechen oft – und nachdrücklich – von der „internationalen Isolation Russlands“. Die Verteidiger des Regimes weisen diesen Vorwurf zornig zurück und behaupten, die Isolation Russlands sei ein Mythos, wobei sie sich zum Beweis auf irgendein weiteres Abkommen mit Togo über die Nichtverbreitung von Waffen im Weltraum berufen. 

    Ich würde gern mal die Begriffe genauer klären:

    Alle Probleme in den Beziehungen zu Europa und den USA hat sich Putins Russland selbst geschaffen. Sukzessive, zielstrebig, über mehrere Jahre (dieser Text erscheint übrigens am Jahrestag der Rückkehr einer gewissen Halbinsel in den Heimathafen, herzlichen Glückwunsch, liebe russische Staatsbürger). Das heißt, es ist angemessener, nicht von „Isolation“, sondern von „Selbstisolation“ zu sprechen. Die russische Föderation hat auf internationaler Ebene die Praxis der Selbstisolation eingeführt.

    Anfänglich sah es wie eine „Gefechtsaufklärung“ aus, oder sogar, ich bitte um Entschuldigung, wie ein Test: Wenn wir den Westen hier anpieksen, wie wird er reagieren? Und hier? Aber mit der Zeit entwickelte sich dies zu einer Praxis, die vor allem für den internen Gebrauch notwendig war.
    Normale Beziehungen zum „kollektiven Westen“ werden sich nicht mehr herstellen lassen, immer weniger sind die dortigen Politiker bereit, in Putin einen verhandlungsfähigen Partner zu sehen (ich nehme übrigens an, dass Biden etwas Derartiges meinte, falls seine Bemerkung überhaupt irgendeinen Sinn hatte). Denn Putin ist Russland – denken Sie an die oben angeführten Sieger-Zitate im Wettkampf um die Liebe zum Präsidenten. Man kann ihn nicht ausklammern, und man kann auch Russland nicht gänzlich aus dem internationalen Leben streichen – letztendlich ist es zu groß, zu reich an immer noch wichtigen fossilen Brennstoffen und zu gefährlich. Also wird man es zähneknirschend ertragen. Wohin auch mit ihm – der Erdball ist klein.

    Und wenn das nunmal so ist, dann kann man dem Westen ganz unverblümt Gopnik-Streiche spielen und jeden seiner Versuche, darauf zu reagieren, zum eigenen Vorteil wenden.

    Konflikt als Strategie

    Sanktionen erfreuen die russische Führung immer weniger, aber sie bringen sie nicht um (auch künftig nicht, das ist ebenfalls klar). Also ist für die innere Ordnung jede Verschärfung der Beziehungen zur Welt ein Geschenk. Worte sind hier noch willkommener als Taten. Biden hat Putin Killer genannt – nun, dann hat er ihn eben so genannt – wie viele Vorteile lassen sich doch daraus ziehen! Und zwar hier in Russland, wenn es um die Aufgabe des Machterhalts geht.

    Andere Aufgaben gibt es schon lange nicht mehr und seit die Bürger der Verfassungsänderung bei der Abstimmung an frischer Luft auf Baumstümpfen zugestimmt haben, wird nicht einmal mehr sonderlich versucht, diese Tatsache zu verbergen.

    Erheben die verdammten Russophoben jenseits des Ozeans etwa ihre Köpfe? Wagen sie es, unseren Wladimir, die Rote Sonne, zu beleidigen? Wie bitte? Auf die unverschämten Machenschaften des Buchhalters Kukuschkind werden wir, die Russen, antworten wie aus einem Mund: Rückt nahe zusammen! Schließt die Reihen! Der Feind steht vor der Tür!

    Biden hat Putin Killer genannt – nun, dann hat er ihn eben so genannt – wie viele Vorteile lassen sich doch daraus ziehen!

    Doch der eigentliche Feind des Regimes ist die eigene Bevölkerung. Deren Maß an Geduld ist zwar riesig, aber vermutlich doch nicht grenzenlos. Gegen ihre (hypothetischen) Einmischungsversuche in die Politik gilt es sich zu schützen. Mit einem Regime der Selbstisolation auf internationaler Ebene lässt sich die Notwendigkeit solcher Schutzmaßnahmen wunderbar rechtfertigen:

    All die endlosen Kommissionen, die „den Tatbestand ausländischer Einmischung untersuchen“, die Strafgesetze für ausländische Agenten, die Geschichten über eine internationale Verschwörung gegen Russland, das Einimpfen von Hass gegen die Welt über die staatlichen Fernsehsender ist nicht etwa deshalb nötig, weil die derzeitige russische Führung tatsächlich Angst vor einer Bedrohung durch den „kollektiven“ (das heißt fiktiven) Westen hat.

    Wobei es natürlich sein kann, dass sie mittlerweile tatsächlich Angst hat. Es spricht viel dafür, dass unsere Politiker, angefangen beim obersten Führer, irgendwann begonnen haben, an ihre eigene Propaganda zu glauben. Aber das ist nicht das Entscheidende.

    Das Entscheidende ist, dass es in einem Regime, das sich in internationaler Selbstisolaton befindet, leicht ist, jeden internen Kritiker zu einem Handlanger des Westens zu erklären, ihm seine Selbstbestimmung abzusprechen und ihn nicht (nur) zum Feind, sondern schlimmer noch, zum Komplizen des Feindes, zum Verräter zu machen. Ein Krieg vereinfacht das Weltbild stark, und ob tatsächlich Krieg herrscht, spielt im Endeffekt keine Rolle.

    Wenn du aber daran zweifelst, dass Krieg herrscht, heißt das, du bist ein feindlicher Agent.

    Der Leere entgegen

    Sinnvoller als darüber nachzudenken, wie sich Bidens kurze Bemerkung auf die russisch-amerikanischen Beziehungen auswirken werden, scheint es daher, sich Gedanken zu machen, was das Regime in seiner Selbstisolation auf internationaler Bühne der einfachen russischen Bevölkerung bereits (ein)gebracht hat und noch einbringen wird.

    Und hier liegen die Dinge sehr einfach. Es bedeutet, dass ein Russe, der von einem Polizisten zusammengeschlagen wurde (weil er Parolen gerufen hat, einen falschen Gesichtsausdruck hatte oder dem Polizisten zufällig seine Brieftasche gefiel) sich vom Vorsitzenden des Rats für Menschenrechte eine erbauliche Rede darüber anhören darf, wie wichtig es ist, unsere Sicherheitsbeamten zu unterstützen, die uns vor Terroristen und Verschwörern schützen. Das ist alles, was er zu hören bekommt, denn die wirklichen Menschenrechtsverteidiger haben immer weniger Raum zu überleben.

    Es bedeutet, dass es keine unabhängigen NGOs mehr geben wird, die die Wahlen verfolgen, Diabetikern helfen oder sich um obdachlose Katzen kümmern. Und es wird auch keine unabhängigen Aufklärungskampagnen mehr geben (die sowieso schon faktisch verboten sind).

    Es wird auch keine unabhängigen Medien mehr geben. Wenn sogar die Verfassung auf Bitten der Werktätigen hin geändert werden kann, warum sollte dann nicht auch eine Zeitung auf den Wunsch der Männer des Achmat-Kadyrow-Regiments geschlossen werden können? Und so wird es weitergehen.

    Für den Streit der Herren, die die Welt regieren, muss immer der Knecht seinen Kopf hinhalten.

    PS: Die Praxis der Selbstisolation ist durchaus wirksam, wir sind leider Zeugen davon. Ganz ohne Makel ist sie jedoch nicht: Unweigerlich wird der Moment kommen, da der Verweis auf die Machenschaften ausländischer Feinde und ihrer hiesigen Mitläufer nicht mehr als Antwort auf jede beliebige Frage ausreichen wird, schon gar nicht auf die einfachen. Also nicht die Fragen zu Wahlen und anderen komplizierten Angelegenheiten, sondern nach den Preisen in den Läden.

    Die Zerstörung jeglicher wirklicher Kommunikationskanäle mit der Gesellschaft ist kein Weg zur Stabilität, sondern zu einer Explosion. Aber erstens kann es ein langer Weg sein und zweitens gibt es keine Garantie, dass nach der Explosion auf den Trümmern der Autokratie von selbst ein wunderschönes Russland der Zukunft erwächst. Nach einer Explosion ist da normalerweise erstmal ein Krater. Ein Loch.

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    „Großmächte brauchen einen Großfeind“

    Joe Biden ist designierter US-Präsident – was ändert sich für Russland? Als US-Präsident Trump vor vier Jahren ins Amt kam, fürchteten viele, er könne eine Marionette Russlands werden. US-Sicherheitsdienste berichteten über russische Einmischung im Wahlkampf. Joe Biden dagegen gilt als sehr kritisch gegenüber dem Kreml, bezeichnete Trump im Wahlkampf als „Putin's puppy“, „Putins Schoßhündchen“.
    Putin versicherte kürzlich, Russland werde mit jedem US-Präsidenten zusammenarbeiten, kritisierte aber Bidens „antirussische Rhetorik“.

    Was ist aus der erwarteten Annäherung zwischen den USA und Russland unter Trump tatsächlich geworden? Und was bedeutet ein US-Präsident Joe Biden für Russland? Diese Fragen stellt Meduza drei russischen Experten für die russisch-amerikanischen Beziehungen: Andrej Kortunow, Ivan Kurilla und Dimitri Trenin.
    dekoder stellt eine weitere Analyse der Politologin Nina Chruschtschowa dazu, die Projekt veröffentlichte.

    „In Russland selbst hat sich nichts zum Guten geändert“

    Ivan Kurilla, Historiker, Professor an der Europäischen Universität Sankt Petersburg

    Die Regierungszeit Trumps wurde zu einer Enttäuschung, da die russische Seite etwas anderes erwartet hatte. Man hatte auf warmherzige Beziehungen zwischen den USA und Russland gesetzt – oder zumindest auf eine Verbesserung im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren unter Präsident Obama.

    Doch besser wurde es nicht, aus zwei Gründen: In Russland selbst hat sich in dieser Zeit nichts zum Guten geändert, es blieb alles beim Alten. In den USA war das „russische Thema“ während der Präsidenschaft Trumps äußerst heiß. Die ersten zwei Jahre beschuldigte man ihn, ein russischer Agent zu sein. In den Beziehungen zu Russland etwas in Bewegung zu bringen, wurde für ihn unmöglich. Bestraft wurde so im Endeffekt nicht Russland, sondern Trump.

    Die Sanktionen gegen Russland liefen über den Kongress. Das ist viel schlimmer, als wenn sie über die Regierung laufen – die kann Sanktionen schnell erlassen, aber auch aufheben. Damit der Kongress auch nur zur Prüfung der Aufhebung von Sanktionen schreitet, braucht es großen Druck, was äußerst unwahrscheinlich ist.    

    Auch der Druck der USA auf Europa bedeutete großen Druck auf Russland. Der Baustopp von Nord Stream 2, weil die USA Sanktionen gegen die Firmen androhten, die daran beteiligt sind, war ein noch größerer Hieb als die direkten Sanktionen. Dieser indirekte Einfluss über Europa versetzte der russischen Wirtschaft einen herben Schlag. 

    Der Druck der USA auf Europa bedeutete auch großen Druck auf Russland

    Die künftigen Beziehungen zwischen den USA und Russland werden von den Beratern abhängen, die der neue Präsident auswählt. Biden wird im Unterschied zu Trump bei wichtigen Fragen auf kollektive Entscheidungen setzen. Mit Sicherheit wird es eine aktivere Außenpolitik geben als bei Trump. Trump hatte im Gegensatz dazu Amerika aus verschiedenen Regionen der Welt abgezogen und war aus internationalen Abkommen ausgetreten. Die Demokraten werden wiederkommen. 
    Der Präsidentenwechsel bedeutet ein kleines Fenster neuer Möglichkeiten. Vielleicht wird Russland innerhalb der USA nicht mehr als Schreckgespenst benutzt. Die Sackgassen, in die unsere Beziehungen geraten sind, könnten durchbrochen werden. Aber große Hoffnungen habe ich da nicht, weil sich auf russischer Seite nichts geändert hat, und das würde jeder US-Präsident zur Voraussetzung machen.


    „Es wird auch neue Möglichkeiten geben“

    Andrej Kortunow, Leiter des Russischen Rats für internationale Angelegenheiten

    Russlands Hoffnungen in Bezug auf die USA, die vor vier Jahren aufkamen, wurden nicht erfüllt. Unsere Beziehungen mit den USA haben sich in dieser Zeit vielmehr verschlechtert, quantitativ wie qualitativ. Unter Trump wurden die russisch-amerikanischen Summits quasi abgeschafft. Wenn früher ein neuer US-Präsident gewählt wurde, gelang es schnell, ein Treffen auf höchster Ebene zu organisieren. Das war nötig, damit die Räder der schwerfälligen Staatsmaschinen in Gang kamen. In Trumps Fall gab es gerade mal ein Treffen in Helsinki 2018, das die Beziehungen nur verschlechtert hat. Gleich darauf folgten Sanktionen und Kritik an Trump dafür, dass er sich angeblich Putin ergeben habe.

    Der Hauptpfeiler in den Beziehungen zwischen den USA und Russland war immer die Rüstungskontrolle. Auch wenn sich beide Seiten über alles Mögliche stritten, auch wenn sich die Beziehungen verschlechterten, die USA und Russland waren stets der Meinung, dass die Kontrolle strategischer Waffen das ist, was ihre Beziehung so einzigartig macht auf der ganzen Welt und dass man das bewahren müsse. Unter Trump wurde all das zerstört. Die US-Administration ist aus dem INF-Vertrag ausgestiegen und hat praktisch jegliche Versuche abgelehnt, den New-Start-Vertrag zu verlängern. Das heißt: Der Grundpfeiler unserer Beziehungen ist zerstört.

    Die Rhetorik gegenüber Russland wird sich erheblich verändern

    Biden wird nun Präsident, und dies wird die Rhetorik gegenüber Russland erheblich verändern. Sie wird hart und kritisch sein, im Gegensatz zu Trump wird Biden Putin keine Komplimente machen. In einigen Bereichen wird Biden ein schwierigerer Partner sein als Trump. Er wird einen Akzent auf Menschenrechte in Russland setzen, vielleicht wird die Magnitski-Liste erweitert oder Neues beschlossen, wie zum Beispiel eine Nawalny-Liste. Intensiviert wird die Unterstützung für die Ukraine, Georgien – Staaten, die mit Russland in Konflikt stehen. Biden wird sich bereit zeigen, die Opposition in Belarus zu unterstützen und die Mittel für oppositionelle Menschenrechtsbewegungen im postsowjetischen Raum aufzustocken. Bidens Politik wird darauf abzielen, das transatlantische Bündnis wiederherzustellen und den Spielraum für russische Manöver einzuschränken. Er wird versuchen, die ruinierten Beziehungen zu den europäischen Partnern wiederherzustellen. 

    Es wird aber auch neue Möglichkeiten geben: Biden wird mehr Interesse an Rüstungskontrolle zeigen, da er die Entscheidung von Trump, sich aus dem INF-Vertrag zurückzuziehen, nicht unterstützt hat. Die wichtige Frage ist: Inwieweit ist Biden bereit, die Sanktionen gegen Russland auf ein qualitativ anderes Niveau zu heben? 


    „Unter Biden wird die Konfrontation nicht aufhören“

    Dimitri Trenin, Politikwissenschaftler, Leiter des Moskauer Carnegie-Zentrums

    Unter Trump haben die Beziehungen zwischen den USA und Russland einen neuen Negativ-Rekord erreicht. Seit der ersten Hälfte der 1980er Jahre war das Niveau nie so schlecht wie heute. Doch die Grenze oder der Tiefpunkt sind noch nicht erreicht, wir bewegen uns weiter in diese Richtung. Präsident Putin bezeichnet den Handel als ein Plus, doch der findet in beiden Richtungen nur noch minimal statt. Außerdem haben die US-amerikanischen Sanktionen den Handel russischer Firmen mit ihren wichtigsten Partnern behindert.

    Dafür sind wir in keine direkte Auseinandersetzung mit amerikanischen Streitkräften geraten, obwohl das nicht unwahrscheinlich war. 
    Sehr unerfreulich war für Russland, dass es während der vergangenen vier Jahre zum Objekt der amerikanischen Innenpolitik wurde. Wer Verbindungen zu Russland unterhielt, wurde zum Prügelknaben – vor allem die Republikaner mussten dafür einstecken. Aber auch sie verhielten sich hart gegenüber Russland, um mit den Kollegen mitzuhalten.

    Unter Biden wird die Konfrontation nicht aufhören und noch heftiger werden.

    Das Unangenehmste für Russland, was unter Biden geschehen könnte: Durch ihren Ausstieg aus dem INF-Vertrag könnten die USA in Europa riesige Raketen aufstellen, die auf die Zerstörung strategischer Zentren und Objekte in Russland zielen. Wichtige Stützpunkte und das russische Atomwaffenarsenal selbst wären dann drei bis fünf Flugminuten von Polen entfernt. Auf US-amerikanische Raketen zu reagieren wäre praktisch unmöglich. Das kann gefährlich sein und könnte dazu führen, dass Russland zur Ausarbeitung eines Präventivschlags übergeht. Im Ernstfall wird Russland nicht warten, bis eine Rakete fliegt, sondern wird als erstes zuschlagen, was die Situation auf der ganzen Welt angespannt macht. Das ist die größte militärische Gefahr. 

    Das Gute ist, dass die Rhetorik von der russischen Einmischung verstummen könnte. Sie wird nicht ganz verschwinden, aber sie wird nicht mehr so im Vordergrund stehen. 


    „Beide Länder verstehen sich als Imperien – für dieses Problem gibt es keine einfache Lösung“

    Nina Chruschtschowa, Politikwissenschaftlerin, New School, New York, Original

    Die Probleme in den russisch-amerikanischen Beziehungen sind deutlich gravierender als die Beziehungskrise zwischen den Länderchefs, unabhängig von ihrer persönlichen Politik. Beide Länder verstehen sich als Imperien, die im Zentrum des Weltgeschehens stehen – für dieses Problem gibt es keine einfache Lösung.

    Amerika – die strahlende „City upon a Hill“, die „große Demokratie“ und so weiter (Trumps Verkünden der amerikanischen Überlegenheit war keineswegs etwas Neues) – braucht es, dass alle die USA als überlegen anerkennen und so werden wollen wie sie. Russland besteht seit Jahrhunderten darauf, dass es eine Weltmacht und keine Regionalmacht ist (Obama hat Putin mit dieser Bezeichnung nach der Krim-Annexion schwer verletzt), und wird hinter niemandem herlaufen. Kopieren ja, wenn es um politische Formeln, Kino, Food Courts und so weiter geht. Aber die amerikanische Überlegenheit anerkennen – auf keinen Fall.

    Alle „Großmächte“ brauchen einen „Großfeind“. Für Russland ist das Amerika – und umgekehrt genau so.

    Ich habe viele Jahre als wissenschaftliche Assistentin für George Kennan gearbeitet, den berühmten amerikanischen Diplomaten, der US-Botschafter in der UdSSR und Philosoph des Kalten Kriegs war. Der hat gesagt, dass Russland und die USA Spiegelbilder seien. Beide Länder leiden unter einem Größen- und Heilsbringer-Komplex.

    In seiner Siegesansprache hat Biden gesagt, dass er die „Seele Amerikas heilen“ will. Diese Seele war unter jeder Administration die eines Messias. Der mit fast 78 Jahren gewählte Präsident Biden wird wohl kaum seine außenpolitischen Ansichten ändern, die sich in Zeiten der Konfrontation zwischen der UdSSR und den USA geformt haben. Und Putin ist selbst genug Messias, mit ebensolchen internationalen Ambitionen.

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    Der Vertrag über den Offenen Himmel

    Derzeit steckt die Rüstungskontrolle in einer tiefen Krise – und damit auch die mit ihr verbundenen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM): Mechanismen, die in zähen Gesprächen während des Kalten Krieges zwischen NATO und den Staaten des Warschauer Pakts vereinbart wurden, spielen heute eine immer geringere Rolle. Viele Staaten, darunter vor allem die führenden Militärmächte USA, Russland und China, zeigen kaum noch ein ernsthaftes Interesse an einer neuen Rüstungskontrollpolitik.

    Nach der Beendigung des ABM-Vertrags über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (2002), dem Rückzug Russlands aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (2007) und dem Ende des INF-Vertrags über landgestützte nukleare Mittelstreckenraketen (2019), steht nun auch der Vertrag über den Offenen Himmel (OH-Vertrag) auf der Kippe: Dieser trat 2002 in Kraft, um unbewaffnete Beobachtungsflüge über das gesamte Staatsgebiet aller 34 Teilnehmerstaaten zu ermöglichen. Der Vorteil des Vertrags besteht darin, dass die Auflösung der bei diese Flügen gemachten Aufnahmen und die technische Ausstattung der verwendeten Flugzeuge standardisiert sind. Die Regelungen werden von einer gemeinsamen Beratungskommission (OSCC) überwacht, die regelmäßig in Wien zusammentrifft und im Konsens entscheidet. Außerdem stehen die gewonnenen Daten grundsätzlich allen Mitgliedstaaten zur Verfügung. Damit trägt der Vertrag zur militärischen Vertrauensbildung zwischen NATO und Russland bei, er ist aber, gerade für Staaten ohne eigene Militärsatelliten, auch ein wichtiges Mittel, um militärische Veränderungen zu beobachten. 

    Trotz dieser Vorteile haben die USA im Mai 2020 ihren Ausstieg aus dem Vertrag angekündigt. Dieser wird im November rechtskräftig. Wird es gelingen, das Abkommen dennoch zu erhalten? 

    Russische Militärangehörige besuchen im Jahr 2009 nach einem Überflug die Elmendorf Air Force Base in Alaska / Foto © U.S. Air Force photoillistration/ Staff Sgt. Joshua Garcia
    Russische Militärangehörige besuchen im Jahr 2009 nach einem Überflug die Elmendorf Air Force Base in Alaska / Foto © U.S. Air Force photoillistration/ Staff Sgt. Joshua Garcia

    Der Vertrag über den Offenen Himmel ist ein komplexes Dokument, das auf fast 100 Seiten minutiös den Ablauf von Überflügen und Missionsplanung, die Verwendung von Sensoren und Aufnahmedaten sowie die Wahl der Beobachtungsflugzeuge festlegt. Auch Einflugpunkte, Flugplätze und die von diesen zu erreichenden Flugentfernungen sind geregelt. Außerdem definiert der Vertrag für jeden Staat sogenannte passive Quoten: Diese bestimmen, wie häufig er von anderen Teilnehmern im Jahr überflogen werden kann. Die Anzahl entspricht auch den aktiven Quoten: Überflüge, die der jeweilige Staat selbst über anderen Staaten durchführt. Insgesamt finden so durchschnittlich 100 Flüge pro Jahr statt.1 

    Militärisches Vertrauen durch Transparenz 

    Die ursprüngliche Idee für den Vertrag über den Offenen Himmel stammt noch aus den 1950er Jahren. Auf der Vier-Mächte-Konferenz 1955 in Genf schlug US-Präsident Eisenhower angesichts der zunehmenden nuklearen Aufrüstung der Sowjetunion eine gegenseitige Luftaufklärung vor. Moskau lehnte ab. Die sowjetischen Militärs sahen in den Überflügen einen Vorwand zur Spionage. Geheimhaltung galt als probates Mittel, um die damalige Unterlegenheit der UdSSR bei strategischen Nuklearwaffen zu verschleiern.

    Erst nach dem Kalten Krieg griff US-Präsident George H. W. Bush im Mai 1989 die Idee wieder auf. Gleichzeitig trieb auch die kanadische Regierung das Vorhaben voran. Diesmal stand die Kontrolle konventioneller Waffensysteme im Mittelpunkt. Außerdem entsprach dieser Wunsch nach mehr militärischer Transparenz dem politischen Zeitgeist zum Ende des Kalten Krieges. 

    Nach drei Jahren intensiver Verhandlungen unterzeichneten im März 1992 26 Staaten den Vertrag über den Offenen Himmel. Bis zu den ersten offiziellen Aufklärungsflügen vergingen jedoch noch fast zehn Jahre. Erst im November 2001 hinterlegten Russland und Belarus ihre jeweiligen Ratifizierungsurkunden. Beide Staaten bilden auch eine gemeinsame Staatengruppe, für die eine einheitliche Quote von maximal 42 Flügen pro Jahr gilt. Seit 2002 haben die Vertragspartner über 1500 gegenseitige Überflüge durchgeführt, davon rund ein Drittel über russisches beziehungsweise belarussisches Territorium. 

    Implementierung und Vertragsstreitigkeiten

    Insgesamt setzen die Teilnehmerländer den Ver­trag seit 2002 zum größten Teil regelkonform um. Bereits vor Inkrafttreten führten sie 400 Testflüge durch, um Vertrautheit im Umgang mit dem komplexen Regelwerk zu erhalten. Dennoch bestanden auch danach noch Implementierungsfragen, von denen viele jedoch im Laufe der Zeit durch Entscheidungen der Beratungskommission Offener Himmel (OSCC) und bilaterale Verhandlungen gelöst werden konnten. 

    So hob Russland beispielsweise 2016 Begrenzungen der Flughöhe über Tschetschenien auf, die es 2002 wegen der anhaltenden Konflikte in der Region eingeführt hatte. Im selben Jahr gewährten die USA Zugang zu allen Inselgebieten. Bedenken gegenüber der Sperrung und Begrenzung des nutzbaren Luftraums über Hauptstädten, darunter auch Moskau, konnten in generelle Gespräche über nationale Flugsicherheitsvorschriften überführt werden. 

    Parallel zu solchen Fortschritten haben sich die Fronten jedoch verhärtet, vor allem zwischen Russland und den USA. Seit Mai 2010 untersagt Moskau Überflüge in einem zehn Kilometer breiten Korridor an der Grenze zu den georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien im Süden des Landes. Da Russland die Souveränität beider Gebiete anerkennt, greift aus Moskauer Sicht eine entsprechende Regelung des Vertrags,2 der Überflüge in diesem Streifen zu Nichtvertragsstaaten untersagt. 

    Im Gegenzug hat Georgien seit April 2012 seine Vertragsverpflichtungen gegenüber Russland ausgesetzt. Der Streit darüber führte schließlich dazu, dass 2018 gar keine Überflüge stattfanden, weil sich die Mitgliedstaaten über die jährliche Quotenverteilung nicht einigen konnten. Ein weiterer Streitpunkt ist die im Juni 2014 von Russland eingeführte Obergrenze von 500 Kilometern für Flüge über die Oblast Kaliningrad. Moskau begründet dies offiziell mit Sicherheitsbedenken für die zivile Luftfahrt. 

    Die USA bewerten beide Fälle – den Grenzkonflikt mit Georgien und die Begrenzungen über Kaliningrad – mittlerweile als Vertragsverletzung,3 und haben Gegenmaßnahmen ergriffen: 2017 führten sie ebenfalls eine Fluglängenbegrenzung von 900 Kilometer über Hawaii ein und beschränkten die Überflugmöglichkeiten über der Inselgruppe der Aleuten in Alaska. Auch der Zugang zu einigen Flughäfen, die von Russland zuvor für die Betankung von Flugzeugen beziehungsweise die Übernachtung der Crew genutzt worden waren, wurde gestrichen. Zusätzlich haben Russland und die USA vormals bestehende bilaterale Regelungen zur besseren Umsetzung des Vertrags beendet. 

    Ausstieg der USA und die Zukunft des Vertrags

    Im Oktober 2019 wurde bekannt,4 dass US-Präsident Trump aus dem Vertrag aussteigen will. Während langjährige Gegner des Vertrags diesen Schritt begrüßten, wie etwa der republikanische Senator Tom Cotton, begannen Kongressabgeordnete in Briefen an Außenminister Mike Pompeo vor einem Austritt zu warnen.5 Im Dezember 2019 verfügte der Kongress darüber hinaus sogar parteiübergreifend neue Regelungen im sogenannten Nationalen Verteidigungs-Autorisierungsgesetz (NDAA). Sie verpflichteten die Regierung unter anderem zur Einhaltung einer 120-Tagesfrist vor Einreichung eines offiziellen Austrittsgesuchs. Doch es half nichts. 

    Am 21. Mai 2020 setzte sich die Trump-Administration über das NDAA hinweg und erklärte für den darauffolgenden Tag den Austritt der USA aus dem Vertrag.6 Dieser wird nach Ablauf von sechs Monaten im November rechtskräftig. Zwar haben führende Demokraten im US-Kongress mittlerweile auch öffentlich Einspruch gegen das aus ihrer Sicht illegale Vorgehen der Administration erhoben.7 Dass aber Präsident Trump seine Entscheidung noch einmal rückgängig machen wird oder gar vom Senat oder durch Bundesgerichte dazu gezwungen werden könnte, ist nicht zu erwarten. Die USA haben die Durchführung eigener Flüge bereits eingestellt. Darüber hinaus ist der reguläre Flugbetrieb aufgrund der Covid-19-Pandemie seit Mitte März 2020 ausgesetzt. 

    Unterdessen haben die meisten Mitglieder auf der vom Vertrag nach einem Austrittsgesuch vorgesehenen Staatenkonferenz am 6. Juli ihr Interesse am Erhalt des Abkommens bekräftigt. Russland veröffentlichte in einem ungewöhnlichen Schritt die Redebeiträge seiner beiden Vertreter, die im Detail auf Bedenken und Forderungen Moskaus verwiesen.8 Russland möchte unter anderem seine bisherigen US-gebundenen Flüge neu über Europa und Kanada verteilen. Auch der Überflug von US-amerikanischen Militäranlagen in Europa soll möglich bleiben. 
    Die eigentliche Sorge Moskaus besteht jedoch darin, dass die USA auch nach einem Austritt weiterhin alle Aufnahmen erhalten könnten, die bei Überflügen über Russland gemacht wurden. Dies ist zwar laut Vertrag nicht vorgesehen, aber angesichts der Bündnisverpflichtungen in der NATO durchaus nicht unwahrscheinlich. In den nächsten zwei Monaten werden deshalb sowohl bilateral als auch in einer gesonderten informellen Arbeitsgruppe der OSCC intensive Gespräche geführt werden. Zunächst geht es vor allem darum die offenen technischen Fragen zu klären, die der US-Austritt mit sich bringt: Wie können die dann fehlenden Flugzeugkapazitäten ersetzt werden? Wer übernimmt den Vorsitz in den bisher von den USA geleiteten informellen Arbeitsgruppen? Was bedeutet der Austritt für das Budget der OSCC? Muss die bisherige Quotenverteilung geändert werden? 

    Anfang Oktober werden die Mitgliedstaaten auf der alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenz des Vertrags dann Farbe bekennen müssen. Die Europäer und Kanada sind in einer schwierigen Lage. Sie sind aufgefordert ihre eigenen Interessen zu wahren und Russland im Vertrag zu halten, ohne die NATO als Militärbündnis öffentlich zu beschädigen. 


    1. Graef, Alexander/Kütt, Moritz (2020): Visualizing the Open Skies Treaty ↩︎
    2. Auswärtiges Amt (1992): Vertrag über den Offenen Himmel ↩︎
    3. State Department of the United States (2020): Compliance Report 2020. Die Position der USA hat sich in diesen Fällen seit 2018 gewandelt. Sprach das U.S.-Außenministerium bis dahin noch von „compliance concerns“, so wird das russische Verhalten seitdem als „treaty violation“ bezeichnet. Siehe lawfareblog.com: Graef, Alexander (2020): The End of the Open Skies Treaty and the Politics of Compliance ↩︎
    4. Gordon, Michael R./Salama, Vivian (2019): Trump moves close to ending another Post-Cold War treaty, in: The Wallstreet Journal, 27.10.2019 ↩︎
    5. Menendez, Robert/Reed, Jack (2020): Letter to Secretary of State Mike Pompeo, 28.02.2020 ↩︎
    6. Pompeo, Mike R. (2020): On the Treaty on Open Skies, 21.05.2020 ↩︎
    7. Menendez, Robert et al. (2020): Letter to Secretary of State Mike R. Pompeo and Secretary of Defense Mark T. Esper, 22.06.2020 ↩︎
    8. Außenministerium der Russischen Föderation (2020): O Konferencii gosudarstv-učastnikov Dogovora po otkrytomu nebu po rassmotreniju posledstvij vyxoda SŠA iz Dogovora, 08.07.2020 ↩︎

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  • „Die Kommentare zu den USA offenbaren die Spaltung in Russland“

    „Die Kommentare zu den USA offenbaren die Spaltung in Russland“

    Der grausame Tod von George Floyd hat in weiten Teilen der russischen Gesellschaft weniger für eine Debatte gesorgt als vielmehr die Ausschreitungen und Proteste danach. „Seit zwei Wochen gibt es in den USA Massenproteste gegen Polizeigewalt und Rassismus – und etwa genauso lang gehen in Russland die Debatten darüber, ob die systemische Ungerechtigkeit des Staates einzelne Gewaltakte seitens der Randalierer rechtfertigt“, schreibt etwa Meduza. Und in der Moskauer Ausgabe von The Village heißt es: „Die Bilder von eingeschlagenen Schaufenstern und umgekippten Autos waren bei manchen Russen eher Thema als Rassismus oder Polizeigewalt.“

    Warum ist das so? Beide Medien befragten dazu den russischen Historiker und USA-Experten Ivan Kurilla, Professor an der Europäischen Universität Sankt Petersburg. dekoder bringt Ausschnitte aus beiden Interviews. 
     

    Meduza: Warum herrscht in Russland solch große Aufregung ob der Unruhen in den Vereinigten Staaten?

    Für Russland sind die Vereinigten Staaten traditionell der „Significant Other“. Darauf, was in den USA passiert, schauen sowohl die Regierung als auch die Gesellschaft. Doch in einer Krisensituation sucht sich (auf der Erfahrungsgrundlage jenes Anderen) jeder das aus, was ihm nah und wichtig erscheint. In diesem Sinne offenbart die Masse an Kommentaren zu Amerika nicht nur, was man derzeit in Russland über die USA weiß – sondern auch die Spaltung in Russland selbst. 
    Wenn die Menschen über die Vereinigten Staaten sprechen, müssen sie sich nicht zensieren. Wobei die Überlegungen über die amerikanischen Proteste ein kompliziertes Bild der russischen Gesellschaft zeigen: Rassistische Ausbrüche, eine Spaltung in Rechts und Links, Unterstützung für die Polizei – all das wird weitaus offener ausgesprochen, als dieselben Leute dies tun würden, wenn es um Ereignisse im eigenen Land ginge.

    Wenn die Menschen über die Vereinigten Staaten sprechen, müssen sie sich nicht zensieren

    Die Russen reproduzieren die wesentlichen Spaltungen, die auch innerhalb der USA charakteristisch sind. Doch typisch in Russland ist, dass nur ganz wenige die gewalttätige Komponente des Aufruhrs rechtfertigen. Eingeschlagene Schaufenster und geplünderte Läden gelten als offensichtliche Verbrechen, die durch keinen guten Zweck geheiligt werden. 

    Tatsächlich besteht ein heftiger Kontrast zwischen betont friedlichen Protestversuchen in Russland in den letzten zehn Jahren und den Bildern aus US-amerikanischen Städten. 
    Kommentatoren aus Staatsmedien verweisen gerne darauf, dass jeglicher Protest gesetzeswidrig ist und dass friedliche Demonstranten Plünderungen den Weg ebnen. Diese Idee fügt sich gut ein in die alte Anti-Maidan-Sichtweise des Kreml.

    Die Fernsehbilder könnten bei den Menschen jedoch auch einen anderen Effekt haben: So also kann politischer Protest auch aussehen! Und sollten wir als Folge der Aufstände ernsthafte Veränderungen in der amerikanischen Politik sehen, so wird auf die Frage „Wollt ihr die gleichen Zustände haben wie in New York?“ die Antwort vielleicht lauten: „Ja, das wollen wir.“

    The Village: Könnte es Aufstände wie in den USA auch in unserem Land geben?

    100-prozentig ausschließen kann man nichts, aber in Russland ernsthafte Massenproteste vorherzusagen, ist quasi unmöglich. Bisher sind solche Vorhersagen immer missglückt. Das gegenwärtige System hat immer noch ein Sicherheitspolster, und das ist dicker, als Beobachter manchmal denken.

    Die moderne russische Polizei ist gewappnet, Menschen zu verjagen, die auf die Straße gehen. Sowohl die technische Ausstattung als auch die Ausbildung der Nationalgarde und Polizei ist darauf ausgerichtet Massenunruhen niederzuschlagen, die es in Russland derzeit nicht gibt und schon recht lange nicht mehr gegeben hat. Im Fall der amerikanischen Polizei dagegen sind Massenunruhen nicht das Problem Nummer eins, auf das man sich vorbereitet. 

    Mit Blick auf Amerika sieht unser Regime jetzt, wie Protest-Szenarien Wirklichkeit werden können. Und das kann seine Angst verstärken

    In Russland haben die Menschen Angst vor der Nationalgarde und der Polizei. Eine der Strategien des Regimes besteht darin, dem Volk zu zeigen, wie viele Polizisten es gibt, wie stark sie bewaffnet sind und wie sie Demonstranten auf den Kopf schlagen. Die Nationalgarde und die russische Polizei sind quasi ausgebildet für das, was in den USA jetzt gerade vor sich geht.

    Doch Angst haben beide Seiten: Dass unser Regime die Polizei derart trainiert, zeigt, wie sehr es solche Ereignisse wie in den USA fürchtet. Und mit Blick auf Amerika sieht unser Regime jetzt, wie solche Szenarien Wirklichkeit werden können. Und das kann die Angst verstärken (aber vielleicht sind das nur meine Mutmaßungen).

    Meduza: Ist Trump an allem Schuld?

    Man hört oft, dass die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten die Spaltung vertieft hat. Mir scheint aber vielmehr, dass Trump nur ein Symptom für die Spannungen war, die die amerikanische Gesellschaft schon lange vor 2016 erlebte.

    Diese Spannungen in Amerika werden gemeinhin als Culture Wars bezeichnet: Dazu gehören Religionskonflikte oder Konflikte in Familienfragen, das Recht auf Abtreibung, die Einstellung zu Feminismus und zu neuen Geschlechterrollen, zu leichten Drogen, zu Klimawandel und natürlich zur Frage der Hautfarbe.

    Trump war nur ein Symptom für die Spannungen, die die amerikanische Gesellschaft schon lange vor 2016 erlebte

    Aber die Krise, in der sich Amerika seit einigen Jahren befindet, hat gezeigt, dass die Annahme, während der Culture Wars würden sich gesamtgesellschaftliche Grundwerte herausbilden, illusorisch war. Ein großer Teil der Amerikaner war nicht bereit zu solch einem raschen Diskurswandel und wurde allmählich unzufriedener. Trumps Erfolg hat diesem Teil der Amerikaner lediglich ermöglicht, aus dem Schatten zu treten.

    Für die Organisation des Aufruhrs gibt er weiterhin den linken Antifa-Genossen die Schuld, und er droht, sie als terroristisch einzustufen. Dabei ist das Problem nicht nur, dass es wahrscheinlich überhaupt keine monolithische Antifa gibt. Viel schlimmer ist vielleicht, dass diese Anschuldigungen nur die Rhetorik einiger Politiker der Demokraten widerspiegeln, die den gegenwärtigen Konflikt ebenfalls aus dem Handeln externer Kräfte heraus erklären – am ehesten aus Russland. Keine der beiden Seiten blickt der Realität in die Augen. 

    The Village: Warum wittert man in den USA schon wieder eine russische Spur?

    Das ist nichts Neues: Für ein politisches System ist es sehr bequem, die Verantwortung für eine Krise im Land zu exportieren. Denn wenn die Verantwortlichen im eigenen Land sind, dann wird das wahrgenommen als Krise der politischen Elite, und die muss gelöst werden. Wenn es aber ein äußerer Feind ist, dann muss man eh nicht mit ihm verhandeln – man muss ihn anprangern und politisch ausgrenzen.

    Es ist eine nahezu instinktive Reaktion der Eliten in beiden Ländern – sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben

    Es gibt einen alten Diskurs aus Zeiten des Kalten Krieges, der nach Trumps Wahl wiederbelebt wurde: Jeder in Amerika weiß, dass Russland böse ist, und dass es alles Böse in Amerika nur deshalb gibt, weil Russland sich wieder eingemischt hat. Gleichzeitig grassiert in Russland der Antiamerikanismus: Amerika ist schlecht und will Böses. Wenn in Russland jetzt etwas losbricht, dann hören wir sofort, dass das an den Amerikanern liegt. Es ist eine nahezu instinktive Reaktion der Eliten in beiden Ländern – sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben.

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  • Die Fehler des Westens

    Die Fehler des Westens

    Glaubt man der russischen Propaganda, dann hat sich der Westen nach dem Ende des Kalten Krieges als arroganter Sieger aufgeführt: In seinem eitlen Stolz und Siegesdünkel habe er in den 1990er Jahren alles darangesetzt, Russland zu demütigen. In den 2000er Jahren sei Russland „von den Knien auferstanden“. Der doppelmoralische Westen wolle den Phönix allerdings zurück in Staub zwingen, so die propagandistische Erzählung, die unter vielen Beobachtern als die wichtigste Legitimationsgrundlage für das heutige System Putin gilt. 

    Tatsächlich zweifeln auch in liberalen Kreisen Russlands nur wenige daran, dass der Westen im Russland der 1990er Jahre etwas falsch gemacht hat, dass auch heute noch Vieles im Argen liegt in den westlichen Ländern. Ende 2018 schrieb beispielsweise der Wirtschaftswissenschaftler Dimitri Trawin: „Die Wahl unseres Weges wird zu großen Teilen davon abhängen, ob die Länder des Westens in der Lage sein werden, das eigene Haus in Ordnung zu bringen.“ 

    Eine differenzierte Perspektive eröffnet Ivan Kurilla – der russische Historiker beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte der russisch-amerikanischen Beziehungen. Auf Riddle stellt der Professor an der Europäischen Universität in Sankt Petersburg die Frage, was genau für Fehler der Westen in den 1990er Jahren begangen hat, und was er heute tun kann, um sie zu korrigieren – gemeinsam mit Russland.

    Der vorliegende Text ist eher für ein westliches Publikum geschrieben – doch für die russischen Leser muss ich von vornherein klarstellen: Es geht hier nicht darum, den autoritären Wandel oder die konfrontative Außenpolitik Russlands der letzten Jahrzehnte zu rechtfertigen. Allerdings kann ein nüchternes Gespräch darüber, was schiefgelaufen ist, nicht von russischer Seite allein geführt werden, sondern erfordert die Teilnahme seiner Partner im Westen, besonders den USA.

    Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat Russland einen schwierigen Prozess eigenständiger Entwicklung durchgemacht. In den vergangenen 30 Jahren gab es in der russischen Gesellschaft und in den Eliten viel trial and error. Der derzeitige Stand dieser Entwicklung ist weder endgültig noch befriedigend. Die Stoßrichtung wurde hauptsächlich von inneren Faktoren und dem Kräfteverhältnis innerhalb der russischen Eliten bestimmt. Sie sind es auch, die den Großteil der Verantwortung an dem unbefriedigenden Zwischenergebnis tragen.

    Gleichzeitig machten und machen Akteure von außen ihre eigenen Spieleinsätze in der russischen Politik. Sie trafen Entscheidungen, die im russischen Diskurs oft schwer wogen, indem sie politische Kräfte im Inneren des Landes stärkten oder schwächten. Die Entscheidungen der westlichen Partner basierten dabei häufig auf innenpolitischen Überlegungen oder auf einer über lange Jahre gewachsenen Tradition, Russland zu „benutzen“. Die durch westliche Kampfansagen in Russland ausgelösten Veränderungen hatten dann entsprechende Bumerangwirkung in der russischen Außenpolitik.

    Tango tanzt man zu zweit

    Um morgen die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in konstruktive Bahnen zu lenken, genügt es nicht, wenn die russischen Eliten die Fehler der Regierung heute eingestehen. Wie es in Diplomatenkreisen so schön heißt: „Tango tanzt man zu zweit“, und die Haltung, der Westen habe „immer alles richtig gemacht“, erweckt kein großes Vertrauen.

    Ich beginne mit einer allgemeinen Aussage. Die US-amerikanische Öffentlichkeit hat in den 1990er Jahren in Bezug auf die Transformation in Russland zum wiederholten Mal folgenden Zyklus durchlaufen: Ungerechtfertigt hohe Erwartungen am Anfang mündeten in eine unangemessen tiefe Enttäuschung am Schluss. 

    Von ungerechtfertigt hohen Erwartungen zur unangemessen tiefen Enttäuschung

    Ähnliche Zyklen hat es im letzten Jahrhundert mehrfach gegeben: Viktoria Shurawljowa zeichnet in ihren Arbeiten nach, wie die Amerikaner erst 1905 und dann 1917 auf ein Entstehen der „Vereinigten Staaten von Russland“ gehofft hatten, um nur wenige Monate später zu konstatieren, Russland sei in einen Zustand „gewöhnlicher Despotie“ zurückgefallen.
    Die Hoffnung auf ein Russland, das den USA ähneln würde, war in den letzten Jahren der Perestroika und den ersten Jahren des neuen russischen Staates natürlich nicht erfüllbar: Nach dem Sturz des Sowjetregimes stand die russische Gesellschaft vor zu komplexen Aufgaben in Wirtschaft, Politik und Kultur. Und sowieso hätte die Demokratisierung des Landes nicht unbedingt nach amerikanischer Schablone verlaufen müssen. Allerdings haben die USA die Hinwendung der russischen Eliten zum Autoritarismus so empfunden, als sei das gesamte Demokratisierungsprojekt gescheitert, in den letzten Jahren gar so, als sei der Feind aus Zeiten des Kalten Krieges zurückgekehrt.

    Die Gleichsetzung Russlands mit der UdSSR versperrt die Sicht auf Möglichkeiten der Zusammenarbeit 

    Ich wage dennoch zu behaupten, dass das heutige autoritäre russische Regime, das gern vorgibt, eine neue Sowjetunion zu sein, kein Pendant der UdSSR ist. Die enttäuschten Amerikaner blenden die (Jahr um Jahr schwindenden, aber immer noch bestehenden) Freiheiten aus, die die russischen Bürger im Gegensatz zu den Sowjetbürgern genießen. Die russische Gesellschaft hat einen weiten Weg zurückgelegt – wenn man sie mit der Gesellschaft von 1980 oder 1990 vergleicht und nicht mit dem Ideal in den Köpfen außenstehender Beobachter. Die für politische Zwecke so bequeme Gleichsetzung Russlands mit der UdSSR versperrt die Sicht auf Möglichkeiten der Zusammenarbeit und erleichtert es dem herrschenden Regime, die autoritäre Ordnung weiter zu festigen.

    Aber zurück zu den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Zerfall der UdSSR: Wie Juri Lotman in seinem Buch Kultur und Explosion schrieb, eröffne sich einer Gesellschaft in solchen Momenten (er bezeichnete sie als Explosionspunkte) eine Vielzahl von möglichen Wegen, wobei die Richtung der weiteren Entwicklung noch offen sei. An einem solchen Punkt stand Russland der Anfang der 1990er Jahre. Der aktive Teil der Gesellschaft hatte das altersschwache totalitäre Regime besiegt, lehnte eine Fortsetzung des Kalten Kriegs ab und hoffte darauf, bald wieder ein vollwertiges Mitglied in der Gemeinschaft der entwickelten Länder der nördlichen Hemisphäre zu werden. 

    An Explosionspunkten gibt es eine Vielzahl von möglichen Wegen

    Zur wichtigsten Frage wurde damals die nach der russischen Identität: Wer sind wir? Auf der Suche nach einer Antwort hatten viele Angehörige der reform-orientierten Elite auf eine freundschaftlich und helfend ausgestreckte Hand aus dem Westen gehofft. Für die russische Gesellschaft und die russischen Eliten bestand eine der ersten Antwortmöglichkeiten in dem Versuch, sich als Teil der ersten Welt zu identifizieren, der Welt der Rivalen von gestern, von deren Annäherung Andrej Sacharow geträumt hatte. Dieser Versuch hätte zu einer umfassenden Integration Russlands in die Strukturen der westlichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit führen können (die Rede ist von der EU bis hin zur NATO und natürlich der Schengen-Zone). Das hätte den nationalistischen Rückzug in den nachfolgenden Jahren zwar nicht verhindert, aber sehr wohl eingeschränkt, weil die in den Westen integrierten Eliten ihre privilegierte Stellung viel mehr wertzuschätzen gewusst hätten. Die Welt würde heute möglicherweise über einen russischen Brexit sprechen, den Austritt Russlands aus der EU, aber nicht über die Annexion der Krim und die Liquidierung konstitutioneller Freiheiten in Russland.

    Die Welt würde heute möglicherweise über einen russischen Brexit sprechen, aber nicht über die Annexion der Krim

    Zu diesem Zeitpunkt war die Idee von Russland als neuem Teil eines allumfassenden Westens ziemlich populär. Und das Handeln des damaligen Außenministers Andrej Kosyrew, das heute gerne als Paradebeispiel für die Preisgabe nationaler Interessen, ja fast schon Verrat gilt, lässt sich mit dem Streben nach schnellstmöglicher Integration in die internationale Gemeinschaft erklären. Gemeinsame Interessen der Weltgemeinschaft über den eigenen Staatsegoismus zu stellen, ist eine extreme Version des politischen Idealismus, doch hätte eine solche Politik die Integration in den Westen viel schneller vorantreiben und Kontexte schaffen können, die die autoritären Tendenzen im Land eingedämmt hätten. Wenn der Westen einen Schritt auf Russland zugegangen wäre.

    Aber Kosyrews Partner im Westen betrachteten Russland nicht als Teil eines gemeinsamen Ganzen, sondern versuchten in erster Linie, die Kontrolle über die neuen Länder westlich der russischen Grenzen zu sichern. Die Erweiterung der europäischen Grenzen und der NATO Richtung Osten haben vor den Grenzen Russlands Halt gemacht und zu einem Ausschluss aus Europa geführt (den Europarat und die OSZE nicht mitgezählt). Die Verantwortung für diesen Ausschluss liegt nicht allein bei der russischen Elite.

    Der Unwille (die mangelnde Bereitschaft), Russland in die westliche Gemeinschaft miteinzubeziehen, rührte von einer Triumphstimmung, die Anfang der 1990er Jahre die westlichen Eliten erfasste. Politiker sprachen plötzlich vom „Sieg des Westens“ statt vom gemeinsamen Sieg über den Kalten Krieg. Diese Haltung gegenüber Russland als besiegtem, wenn auch nicht zerschlagenem Land (wie manche Politiker im Westen heute präzisieren) äußerte sich in dem Unwillen, auf die Bedenken der Russen zu hören. Doch schon vorher war sie offensichtlich, da jegliche Integrationspläne fehlten. Manche Autoren sprechen sogar davon, dass die Erwartung eines Marschall-Plans für Russland enttäuscht wurde. Man kann dem Einwand zustimmen, dass ein solcher Plan in den frühen 1990er Jahren aufgrund von innenpolitischen und wirtschaftlichen Restriktionen in den USA und den Ländern Europas undenkbar gewesen wäre. Aber bedeutet es nicht auch, dass die westlichen Eliten unterschätzt haben, wie wichtig es ist, Russlands in den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft einzubeziehen (was im Kontrast dazu steht, dass in den 1950er Jahren sehr wohl gesehen wurde, wie wichtig es ist, Deutschland in Europa zu integrieren)? Und erwächst aus dieser Triumphstimmung nicht der Revanchismus der russischen Gesellschaft, die die Regierung in ihrem Bestreben unterstützt, den Ausgang des Kalten Krieges neu auszufechten?

    Das window of opportunity für eine Transformation stand nicht lange offen: Eine jüngst erschienene Publikation zeigt, dass die russischen Eliten bereits 1995 einen neuen antiamerikanischen Konsens ausgebildet hatten. Doch zwischen 1992 und 1994 war noch Vieles möglich gewesen (das Fenster ging daraufhin bis 2007, und dann bis 2014 immer weiter zu).

    Das window of opportunity für eine Transformation stand nicht lange offen

    Insofern hat der Westen den größten Fehler ganz zu Beginn der 1990er Jahre begangen, als seine Eliten – die sich lieber auf regionale Erfolge konzentrierten – nicht an die Möglichkeit einer russischen Integration geglaubt und so die Chance verpasst haben. Doch es gibt zwei weitere wichtige Momente, in denen die Entscheidungen des Westens die Beziehungen zu Russland zum Schlechteren verändert haben.
    Zum Einen wurde es abgelehnt, feste Vereinbarungen zu treffen. Das offensichtlichste Beispiel hierfür ist die Jackson-Vanik-Klausel. Ihre Abschaffung sollte (ihrem Sinn nach) mit dem Ende der Perestroika und der Einführung der Reisefreiheit in Kraft treten. Doch in der Praxis belegte der US-Kongress die Abschaffung mit immer neuen Bedingungen, bevor die Änderung schließlich in einem Zuge mit der Einführung neuer Sanktionen gänzlich verworfen wurde (so gerechtfertigt die Sanktionen auch gewesen sein mögen, trug diese Verquickung nicht gerade dazu bei, die USA als verlässlichen Partner wahrzunehmen).

    Kosovo als kritischer Moment

    Zum Anderen ist da die Weigerung der USA, dem internationalen Recht Priorität einzuräumen. Die Vereinigten Staaten stellen die eigene Gesetzgebung traditionell über das internationale Recht, aber die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos war ein besonders kritischer Moment. USA und NATO sprechen von einem „speziellen Einzelfall“, aber Ausnahmen machen das Prinzip zunichte. (Ohne näher auf die Auseinandersetzungen um den Kosovo einzugehen, sei daran erinnert, dass die internationale Gemeinschaft Bosnien, das eine ähnliche Tragödie erlebt hat, als einen Staat aus zwei Landesteilen erhalten hat.) Auf diese Weise hat ein starkes Land die Möglichkeit klar und deutlich demonstriert, dass es internationale Normen umgehen kann – und es ist nicht verwunderlich, dass folglich auch die russische Führung irgendwann beschlossen hat, das internationale Recht zu brechen und so die eigene Stärke zu demonstrieren.

    Für die bestmögliche Zukunft der ganzen Welt wird jede Seite ihre Fehler eingestehen müssen 

    Jede Entscheidung der USA und ihrer europäischen Partner lässt sich anhand von innenpolitischen Motiven und Einschränkungen erklären. Doch das ändert nichts an der Verantwortung der politischen Eliten im Westen – genauso wenig, wie objektive Gründe nichts ändern an der Verantwortung der russischen Führung dafür, dass das russische Regime wurde wie es ist.

    Wenn es darum geht, über die bestmögliche Zukunft für die ganze Welt nachzudenken, wird jede Seite ihre Fehler eingestehen müssen. Anders ist kein Vertrauensverhältnis möglich (dabei geht es nicht um Gleichberechtigung oder eine Verantwortungsbalance, sondern um die Bereitschaft des Partners zum Kompromiss). Wenn man in Russlands Fall von der nächsten Regierung erwarten kann, dass sie bereit sein wird, gewisse Aktivitäten der heutigen Führung zu verurteilen, stellt sich die Frage, ob das auch von politischen Kräften im Westen denkbar ist. Die NATO kann das per Definition nicht – sie besitzt schlicht kein Organ für das Eingestehen von politischen Fehlern. Es wäre also nur gerecht, solche Eingeständnisse von den jeweiligen Regierungen zu erwarten, allen voran den USA, so schwer das innerhalb der politischen Kultur Amerikas auch sein mag.

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    Um den Zerfall der Sowjetunion ranken sich in Russland heute viele Mythen. Die Schuldfrage für das, was Wladimir Putin 2005 als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hat, erhitzt in Russland immer noch viele Gemüter. 

    Für die einen war Gorbatschow der „Totengräber der Sowjetunion“. Für die anderen haben die USA den Sargnagel eingeschlagen: Während des Kalten Krieges hätten sie alles daran gesetzt, die Sowjetunion zu vernichten. 

    Steile These, meint Wirtschaftswissenschaftler Dimitri Trawin, die keiner Prüfung standhalte. In der Serie Mythen in Russland unter Putin in der Novaya Gazeta argumentiert er auch gegen diesen Mythos.

    Kurz vor Silvester 1991 ist Michail Gorbatschow zurückgetreten, und damit war der Schlusspunkt unter die Geschichte der UdSSR gesetzt. Viele sind der Ansicht, dass es Amerika war, das unser Land damals zugrunde richtete. Es sind zwar bis heute keine Belege aufgetaucht, dass die CIA oder das US-Außenministerium Gorbatschow und Jelzin bezahlt hätten, doch das stört die Anhänger dieser Verschwörungstheorie nicht. Der Untergang der Sowjetunion aufgrund der Konfrontation der Großmächte erscheint ihnen vollauf logisch. Schließlich weiß ja jeder, dass wir uns mit Washington im Kalten Krieg befanden. Dass der wichtigste und gefährlichste Gegner die USA waren. Dass die Amerikaner daran interessiert waren, den Gegner zu schwächen. Und wenn es darum geht, ihn zu schwächen, dann heißt das nach Möglichkeit auch: ihn zu zerstören. Wenn nun die UdSSR zerfallen ist, bedeutet das also: Die in Übersee gesponnenen Intrigen haben schließlich gefruchtet.

    Es sind bis heute keine Belege aufgetaucht, dass die CIA Gorbatschow und Jelzin bezahlt hätte, doch das stört die Anhänger dieser Verschwörungstheorie nicht

    Einen überzeugten Verschwörungstheoretiker kann man nicht umstimmen. Aber mit vernünftig denkenden Menschen kann man über die Logik solcher Gedankengänge sprechen, weil ja das Bestreben, den Gegner zu schwächen, in der Tat kein Mythos ist. Das Vorhaben jedoch, die UdSSR vollständig zu Grunde zu richten, ist Mythos par excellence. Ein Zusammenbruch der UdSSR war nicht das Bestreben der USA. Gorbatschow war der amerikanischen Führung sympathisch. Sie hätte es lieber gesehen, dass er unser Land weiter regiert anstatt dass da, wo einst die Sowjetunion war, eine große Anzahl selbständiger Staaten mit unberechenbaren Herrschern entsteht. Natürlich gab es in den USA unverbesserliche Hardliner, die unser Land derart hassten, dass sie bereit waren, selbst dann dagegen vorzugehen, wenn es zum Schaden ihres eigenen Landes ist. Diese Leute haben aber keine Entscheidungen auf staatlicher Ebene getroffen und keinen Einfluss auf die praktische Politik gehabt.

    Es hat womöglich einen Moment gegeben, an dem die USA tatsächlich einen Zerfall der UdSSR gewollt haben könnten, nämlich 1962, während der Kubakrise. Damals hatte Washington etliche Gründe anzunehmen, dass die Regierung in Moskau unberechenbar und die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges sehr groß ist. 

    Danach allerdings gestaltete sich die Lage besser und besser. Für sie wie auch für uns. Zuerst gelang es, die Kubakrise zu bewältigen. Die UdSSR stationierte keine Raketen auf Kuba. Danach beseitigte die Parteiführung der UdSSR Nikita Chruschtschow, der unglaublich impulsiv war und imstande, mit dem Schuh auf das Rednerpult der UNO zu schlagen und zu verkünden, dass wir Amerika erledigen. An der Spitze des Sowjetregimes stand nun Leonid Breshnew, der den Zweiten Weltkrieg durchlebt hatte und daher dem Frieden zugeneigt war. 1972 setzten ernsthafte Kontakte zwischen Washington und Moskau ein. 1975 haben wir die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet, in der die Unverletzlichkeit der Nachkriegsgrenzen in Europa anerkannt wurde. Es gab intensive Gespräche über Rüstungsbeschränkung für bestimmte Waffentypen. 

    Wir können also sagen: Wenn die Amerikaner Anfang der 1960er Jahre noch wirklich an die Möglichkeit eines Atomkrieges geglaubt und Luftschutzräume eingerichtet hatten, so war in den 1980er Jahren beiden Seiten  bewusst, dass es keinen globalen Krieg geben wird.

    In den 1980er Jahren war beiden Seiten  bewusst, dass es keinen globalen Krieg geben wird

    Die Führer der beiden Staaten beschimpften einander, und die Propagandisten verbreiteten ideologische Klischees, die einen Teil der Normalbürger beunruhigen sollten, die meisten ließen sich aber keine Angst mehr machen. 

    Und als Gorbatschow mit seinem Konzept des neuen Denkens kam und dann in ein Ende der sowjetischen Kontrolle über die Länder Mittel- und Osteuropas einwilligte, sank die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges nahezu gegen null. Es sei denn, jemand hätte versehentlich den Roten Knopf gedrückt.

    Eben jener Knopf führt uns vor Augen, dass die USA 1991 keineswegs einen Untergang der UdSSR wollten. Jeder noch so antiamerikanisch eingestellte Mensch wird nach einigem Nachdenken zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass jemand versehentlich den Knopf drückt, größer wurde, nachdem der zugängliche und berechenbare Gorbatschow abgetreten war. Außerdem stieg die Wahrscheinlichkeit eines ungewollten Krieges gar nicht so sehr wegen der Führungswechsel, sondern aufgrund des Zerfalls des Staatsapparates, der mit dem Untergang der Sowjetunion einher ging. Es kamen in den unterschiedlichen Republiken unterschiedliche neue Leute an die Macht. Mitunter ganz zufällig. Und die Atomwaffen hätten schlicht außer Kontrolle geraten,  für Geld in die Hände von Terroristen oder Banditen gelangen können. Es gibt übrigens eine ganze Reihe amerikanischer Filme, die so anfangen, dass Privatleute in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommen wollen, um die ganze Welt zu erpressen. Hier werden in der Kunst recht genau tatsächlich bestehende Ängste abgebildet.

    Die USA wollten allein wegen ihrer eigenen Sicherheit keinen Zerfall der UdSSR

    Die USA wollten also allein wegen ihrer eigenen Sicherheit keinen Zerfall der UdSSR. Und nachdem dieser dennoch eingetreten war, wollten sie ein starkes, verlässliches Russland, das die Atomwaffen aus den anderen postsowjetischen Staaten übernimmt. Die verbreitete Vorstellung, dass der Kalte Krieg unbedingt auf einen Zweikampf der Kontrahenten hinauslaufen müsse, und zwar bis zur Vernichtung des Gegners, hält keiner Prüfung stand, weder der Fakten noch der Logik.

    Es ist wichtig, dass uns das klar wird. Nicht, um Amerika zu rechtfertigen. Amerika kratzt das sowieso kein bisschen. Wichtig ist es, damit wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Wenn nämlich die Massen meinen, Amerika habe die UdSSR zugrunde gerichtet, dann wird die Gesellschaft nicht in der Lage sein, die wirklichen Gründe dafür zu verstehen, wie diese Großmacht tatsächlich in den völligen Niedergang glitt. Und diese Massen sind leicht zu manipulieren. Wenn wir uns die Köpfe nicht mit lauter Quatsch vollstopfen, werden wir bald verstehen, wie viele Probleme es in der sowjetischen Politik und Wirtschaft gegeben hat. Und genau sie waren es, die die UdSSR in den Untergang getrieben haben.

    Diese Übersetzung wurde gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

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  • Debattenschau № 73: No Conspiracy – und jetzt?!

    Debattenschau № 73: No Conspiracy – und jetzt?!

    No Conspiracy zwischen Trump und Russland: Der Abschlussbericht des US-Sonderermittlers Robert Mueller sieht keine Beweise dafür, dass es eine strafbare Zusammenarbeit zwischen Trumps Wahlkampfteam und russischen Stellen gab. Obwohl Trump sich schon kurz nach der Verkündigung des Berichts in einem Tweet als entlastet sah („Total EXONERATION. KEEP AMERICA GREAT!“) – der Vorwurf, er habe die Justiz an den Ermittlungen behindert, ist nicht ausgeräumt. 
    Außerdem sieht der Bericht eine russische Einmischung in die US-amerikanischen Wahlen als erwiesen an – durch Troll-Kampagnen in Sozialen Medien und Hackerangriffe auf das Team um Trump-Rivalin Hillary Clinton. So wurden im Laufe der Ermittlungen auch 25 russische Staatsbürger angeklagt.

    Was bedeutet der Mueller-Bericht für die russisch-amerikanischen Beziehungen? Und wie politisch motiviert waren die Ermittlungen? dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte in russischen Medien.

    Fontanka: Lächerlich

    Die Petersburger Online-Zeitung Fontanka zitiert die offizielle Stellungnahme des russischen Außenministeriums. Dieses kehrt die gängigen Vorwürfe gegen Russland um: 

    [bilingbox]Um die überflüssige Tätigkeit der riesigen Ermittlungs-Brigade zu rechtfertigen, muss man, was die im letzten Jahr vorbereiteten Anklagen von 25 russischen Bürgern angeht, festhalten, dass sie einfach lächerlich wirken.
    Die politische Motivation des Ganzen ist derart offensichtlich, dass man sie nicht anders bezeichnen kann denn als Schande der US-amerikanischen Justiz.~~~Что касается подготовленных в прошлом году, чтобы хоть как-то оправдать бесполезную деятельность огромной следственной бригады, обвинительных заключений в отношении 25 российских граждан, то они выглядят просто смехотворно. Политическая мотивированность этих дел настолько очевидна, что их невозможно охарактеризовать иначе, как позор американской юстиции.[/bilingbox]

    erschienen am 25.03.2019, Original

    Snob: Weiße Weste

    Der Journalist Konstantin Eggert fragt auf Snob nach den möglichen Folgen des Berichts für die Staatspropaganda:

    [bilingbox]Der Kreml wird nicht viel zu diesem Thema sagen, weil es in Muellers Ermittlungen um die Verbindungen von Trumps Wahlkampagne mit Moskau ging. Man muss festhalten, dass es höchstwahrscheinlich keine Zusammenarbeit von Trump mit dem Kreml gab. Wenngleich man Russlands Einmischung in die US-Wahlen als bewiesen ansehen kann. Ich glaube, dass die Geschichte mit der Einmischung und möglicherweise auch mit den Sanktionen noch nicht zu Ende ist. Womöglich werden die russischen staatsnahen Medien die Nachricht über Trumps Unschuld durch die Nachricht ersetzen, dass Russland überhaupt nichts damit zu tun habe. Die offizielle Propaganda wird diesen Gedanken pushen.~~~Кремль […]не будет много говорить на эту тему, потому что расследование Мюллера касалось именно связи предвыборной кампании Трампа с Москвой. Нужно понимать, что сотрудничества Трампа с Кремлем, скорее всего, не было. Однако факт вмешательства России в американские выборы можно считать доказанным. Думаю, история со вмешательством и, возможно, также и с санкциями не закончена.
    Вполне возможно, что российские прогосударственные СМИ будут пытаться заменить новость о том, что Трамп ни в чем не виноват, словами о том, что Россия вообще ни при чем. Официальная пропаганда будет проталкивать эту мысль.[/bilingbox]

    erschienen am 26.03.2019, Original

    RIA Nowosti: Absurde Geschichte

    Die staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti zitiert die Außenamt-Sprecherin Maria Sacharowa. Dass der Sonderermittler Robert Mueller in seinem Bericht russische Hacker erwähne, das sei eine „absurde Geschichte“, meint sie und fragt rhetorisch:

    [bilingbox]Können Sie sich vorstellen, dass die USA mit ihrem mächtigen milliardenschweren Militärbudget, mit ihrer fortschrittlichen Informationssicherheit – dass diese USA von 25 Hackern angegriffen wurden, die versucht haben, die US-Wahlen zu beeinflussen?~~~Можете себе представить, что США с самым мощным миллиардным военным бюджетом, с самой передовой информационной защитой подверглись нападению 25 хакеров, которые совершили попытку повлиять на американские выборы?[/bilingbox]

    erschienen am 25.03.2019, Original

    Facebook/Karina Orlova: Viele kleine Putins

    Echo Moskwy-Journalistin Karina Orlova versteht auf Facebook die Häme russischer Kollegen nicht:

    [bilingbox]Dass die Ermittlungen von Mueller weder mit Beschuldigungen gegen den Hauptverdächtigen begannen noch damit schlossen, zeugt nur davon, dass die USA nicht Russland sind, wo die Gerichte 0,3 Prozent Freisprüche fällen und das Ermittlungskomitee denkt, dass das sehr viel ist. Das gibt es nur in Russland: Wenn eine strafrechtliche Verfolgung begonnen hat, liegt die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs bei 0,3 Prozent.

    Und den russischen Kommentatoren und Journalisten, die Muellers Ermittlungen hämisch als „heiße Luft“ abtun, sollten lieber mal darüber nachdenken, warum die Gesellschaft in Russland, wohin sie sich auch dreht und wendet, immer bei einer Freispruchquote von 0,3 Prozent landet. Vielleicht ist ja das Problem gar nicht so sehr Putin als vielmehr, dass ein kleiner Putin mit verdrehten und totalitären Gedanken in fast jedem von uns lebt.~~~А то, что расследование Мюллера было начато и не закончилось обвинениями против подозреваемого по главному пункту, говорит только о том, что США не Россия, где суды выносят 0.3% оправдательных приговоров, а Следственный Комитет считает, что это очень много. Это только в России, если уголовное расследование начато, то на оправдание можно рассчитывать с вероятностью в 0.3%. 

    А тем из российских комментаторов и журналистов, кто со злорадством объявляет расследование Мюллера «пшиком» или «горой, родившей мышь», лучше бы задуматься, почему в России общество, куда бы оно не шло, всегда приходит к состоянию в 0.3% оправдательных приговоров. Может быть, проблема не столько в Путине, но в том, что свой маленький путин, с его искривленным и тоталитарным мышлением, живет почти в каждом из них.[/bilingbox]

    erschienen am 25.03.2019, Original

    Facebook/Wolkow: Der gesunde Menschenverstand hat gewonnen

    Oppositionspolitiker Leonid Wolkow teilt auf Facebook sowohl gegen Putin als auch gegen Trump aus: 

    [bilingbox]Ich mag Putin nicht.
    Ich mag Trump nicht.
    Ich verehre, achte, vergöttere den gesunden Menschenverstand und freue mich jedes Mal, wenn er gewinnt. 
    Ockhams Rasiermesser genügt, um sich darüber klar zu werden, dass es keiner Verschwörung zwischen Trump und Putin bedarf, um alle zu beobachtenden Fakten zu erklären. Also gab es auch keine Verschwörung. Bei schlechten Menschen treffen sich die Gedanken und Ziele auch ohne eine solche, auf ganz natürliche Art und Weise.
    Sonderermittler Mueller brauchte knapp zwei Jahre, um sich ebenfalls genau darüber klar zu werden. Gut, dass es nicht noch mehr, schade, dass es nicht weniger waren. 
    Aber insgesamt freue ich mich geradezu.~~~Не люблю Путина. 
    Не люблю Трампа.
    Обожаю, уважаю, боготворю здравый смысл, и каждый раз радуюсь его победе.
    Принцип бритвы Оккама абсолютно достаточен для того, чтобы понять, что никакой conspiracy между Трампом и Путиным не требуется для того, чтобы объяснить все наблюдаемые факты. А значит ее и не было. Просто у плохих людей мысли и цели сходятся и без того, совершенно естественным образом.
    Спецпрокурору Мюллеру понадобилось два с лишним года для того же самого. Хорошо, что не больше; жаль, что не меньше.
    Но в целом вот прямо радуюсь.[/bilingbox]

    erschienen am 24.03.2019, Original

    Republic: Trumps Wahlversprechen

    Eine Konspiration des Wahlkampfstabs von Trump mit russischen Behörden wurde nicht nachgewiesen. Wird Trump nun die Beziehungen zum Kreml verbessern? Auf diese Frage geht der Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow auf Republic ein: 

    [bilingbox]Hat sich der Einsatz bei diesem Spiel überhaupt gelohnt? Kurzfristig nicht – den russisch-amerikanischen Beziehungen hat er geschadet: Trump waren die Hände gebunden, der Sanktionsdruck auf Russland hat sich erhöht und wird vorerst nicht nachlassen. Die Sanktionen stehen in Verbindung zu der unterdessen nachgewiesenen Einmischung in die Wahlen, und nicht zur Existenz oder Nichtexistenz eines Deals mit Trump.
      
    Doch langfristig haut alles hin: Trump wurde – nicht ohne unsere Hilfe – Präsident, und Clinton nicht. Und heute, nach dem entlastenden Untersuchungsergebnis, kann Trump – woran Putin ihn unermüdlich erinnert – endlich sein äußerst wichtiges Wahlversprechen einlösen und die Beziehungen zu Russland verbessern. Doch warum schickt Russland ausgerechnet jetzt Flugzeuge mit Militärs nach Venezuela?~~~Стоила ли вообще эта игра свеч? В краткосрочном плане нет – российско-американские отношения это только ухудшило, Трамп был скован по рукам и ногам, санкционный прессинг на Россию усилился и пока не ослабнет. К санкциям имеет отношение именно вмешательство в выборы, ныне доказанное, а не наличие или отсутствие сговора с Трампом.

    Но в долгосрочном плане все получилось: Трамп, не без нашей помощи, стал президентом, а Клинтон – нет. И сегодня, после оправдательного результата расследования, Дональд Трамп, как не устает ему напоминать Владимир Путин, может, наконец, выполнить свое важнейшее предвыборное обещание – улучшить отношения с Россией. Только зачем России посылать прямо сейчас самолеты с военными в Венесуэлу?[/bilingbox]

    erschienen am 26.03.2019, Original

    Facebook/Alexander Etkind: Trumps Mauer gegenüber Russland

    Auch Historiker Alexander Etkind fragt auf Facebook nach den russisch-amerikanischen Beziehungen. Er meint, Trump werde sich nun gegenüber Russland stark abgrenzen:

    [bilingbox]Merkwürdig ist schon, wie sich die russischsprachigen Freunde über das Ergebnis der Ermittlungen freuen. Mueller hat das Vorhandensein, die Größenordnung und Intention der russischen Einmischung nachgewiesen. Einen Komplott jedoch nicht: Es hatten sich keine Beweise finden lassen, dass Trump persönlich um Einmischung gebeten hat oder dass er deswegen gewonnen hat. Natürlich erinnern wir uns alle, wie er sich gefreut und um Zugabe gebeten hat; aber das war so etwas wie Sarkasmus. 
    Nun wird der frohe Trump beweisen, dass er über jeden Verdacht erhaben ist: Seine Mauer beginnt er nicht dahin bauen, wo es nötig wäre, sondern dahin, von wo in letzter Zeit die größte Gefahr in seinem Leben ausging. Und er wird sie mit der ihm eigenen Intelligenz und Konsequenz bauen. Aber das ist so etwas wie Sarkasmus.
    ~~~Странно как радуются русскоязычные друзья итогам расследования. Мюллер доказал наличие, масштаб и замысел российского вмешательства. Он не доказал наличие сговора: не нашлось доказательств того что о вмешательстве просил лично Трамп или что он от него выиграл. Правда мы все помним как он радовался и просил еще; но то был типа сарказм. Теперь радостный Трамп будет сам доказывать, что он вне подозрений. Свою стену он начнет строить не где придется, а там, откуда исходила самая большая в его жизни опасность. И будет ее строить со свойственными ему интеллектом и последовательностью. Но это типа сарказм[/bilingbox]

    erschienen am 25.03.2019, Original

    dekoder-Redaktion

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  • Maximal abenteuerlich

    Maximal abenteuerlich

    „Je kürzer die Raketen, desto toter die Deutschen“, so lautete einer der bekanntesten Slogans der westdeutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre. Hunderttausende Menschen gingen damals auf die Straße, um friedlich gegen Atomwaffen zu demonstrieren. Am 8. Dezember 1987 atmeten sie auf: Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichneten in Washington den INF-Vertrag, auf dessen Grundlage in den Folgejahren tausende Kurz- und Mittelstreckenraketen verschrottet wurden. 

    Am 2. Februar läuft nun die Frist ab, die die USA Russland gesetzt hatten, um Beweise zu erbringen, dass die neuen 9M729-Marschflugkörper nicht gegen den INF-Vertrag verstoßen. Russland betont, dass sie eine Reichweite von 480 Kilometern hätten – also 20 Kilometer weniger, als im INF-Vertrag abgemacht. Die USA drohen dennoch, aus dem Vertrag auszusteigen.

    Droht nun wieder ein nukleares Wettrüsten? Und worin würden sich dann der neue Kalte Krieg von dem alten unterscheiden? Diese Frage stellt der russische Militärexperte Alexander Golz auf Otkrytyje Media und im Blog auf Echo Moskwy.

    Beim letzten Kalten Krieg sprach man von der Konfrontation zweier sozialer und politischer Systeme. Entsprechend kann man den Krieg heute als Ergebnis einer anderen Konfrontation sehen: nämlich der zwischen der aktuellen politischen Praxis des Westens und den Vorstellungen von Wladimir Putin darüber, wie die Welt so tickt – und diese Vorstellungen werden von der erdrückenden Mehrheit der russischen Bürger geteilt. Und sie sind mehr als nur ein Irrglaube. Sie sind eine vollkommen klare Ideologie.

    Coole Kerle spielen ein endloses Nullsummenspiel

    Diese Welt hat nur sehr indirekt etwas mit der Realität zu tun. Diese Welt ist Realpolitik. Nur ist es nicht die feingeistige Welt eines Henry Kissinger, wo das Interessengleichgewicht der führenden Weltmächte nicht nur in einem komplizierten Abgleich militärischer, sondern vor allem wirtschaftlicher Interessen besteht. Nein, das hier ist die einfache, um nicht zu sagen primitive Realpolitik eines Bismarck, Metternich und … Stalin. Schlicht gesagt, coole Kerle sitzen zusammen an einem Tisch a là Jalta und spielen miteinander ein endloses Nullsummenspiel. 
    Putins Auftritt auf der UN-Vollversammlung im Jahr 2015 wurde zu einer wahren Hymne an das System Jalta. Und richtig offen war der Präsident schließlich bei dem Treffen mit den Obersten der Streitkräfte und des militärisch-industriellen Komplexes im November 2016: „Durch das strategische Kräftegleichgewicht, das sich Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre herausgebildet hat, wurde die Welt vor großen militärischen Konflikten verschont.“

    In diesem System spielen die – vornehmlich in militärischer Hinsicht – schwächeren Länder die Rolle von Figuren auf einem Schachbrett. Sie sind dazu verdammt, sich den Großmächten unterzuordnen. Es ist kein Zufall, wenn der russische Leader in der Absicht, die europäischen Staaten zu kränken, in gewissen Abständen von ihrer „eingeschränkten Souveränität“ spricht. Es waren genau diese Vorstellungen Putins, die zur Ukraine-Krise und zur Angliederung der Krim führten. Der russische Präsident ist der festen Überzeugung, dass jede Art von Volksbewegung das Ergebnis von Verschwörungen ausländischer Geheimdienste ist. Deswegen hat er im Kiewer Maidan den Versuch des Westens gesehen, ihn vom Jalta-Tisch zu verjagen, an dem die Lenker des Schicksals der Welt tagen. Und hat auf seine Art reagiert.

    Einen derartigen Konflikt auf diplomatischem Wege zu lösen ist unmöglich. Putin wird seinen westlichen Counterpartnern niemals glauben, wenn die ihm zu erklären versuchen, dass die Zeiten, als Churchill und Stalin die Grenzen anderer Länder nach eigenem Ermessen zuschnitten, unwiederbringlich vorbei sind. Solche Erklärungsversuche hält er für Heuchelei mit dem Bestreben, ihn von der Mitgestaltung der Weltpolitik auszuschließen.  

    Was bleibt? Ein gigantisches Atomarsenal

    Russland hat keine derartigen Ressourcen wie die UdSSR im ersten Kalten Krieg. Es hat quasi keine Verbündeten. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) zeigt keinerlei Tendenzen zu einem Warschauer Pakt II zu werden. Gleichzeitig sind die meisten europäischen Staaten Mitglieder der NATO. Russland hat eine alternde Bevölkerung, aus der man beim besten Willen keine Fünf-Millionen-Armee nach sowjetischem Muster schaffen kann. War die sowjetische Armee nur effektiv, solange sie mit gigantischer Heeresmasse operiert hat, so ist die derzeitige russische Armee nur solange effektiv, wie sie mit geringer Truppenstärke auskommt. Russlands Wirtschaft ist schwach. Die Industrie ist eindeutig nicht dazu in der Lage, die Serienproduktion des gesamten Waffenspektrums abzudecken.

    Was also bleibt für das Kräftemessen mit dem Westen? Ein gigantisches Atomwaffenarsenal. Und genau aus diesem Grund betreibt der Kreml forciert die atomare Wiederaufrüstung. Jedoch: Auch wegen des Besitzes von Atomwaffen bekommt Putin bei weltpolitischen Entscheidungen kein solches Gewicht, wie er gerne hätte. Das atomare Potential kann nur zu einem politischen Instrument werden, indem man dem Westen glaubhaft macht, dass im Kreml Menschen sitzen, die nicht ganz zurechnungsfähig sind. Menschen, die fähig sind, „den Knopf zu drücken“, und zwar nicht nur als Antwort auf einen atomaren Angriff. In diese Richtung gingen während der Angliederung der Krim provokative Erklärungen, man würde beabsichtigen, „die Atomstreitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen“, und an anderer Stelle Kampfpatrouillen strategischer Bomber über dem Golf von Mexiko aussenden.

    Russland ist erheblich schwächer als der mögliche Feind. Da bleibt dem Kreml nur, maximal abenteuerlich vorzugehen, ständig höher zu pokern und auf dem schmalen Grat militärischer Konfrontation zu balancieren. Und jedes neues Abenteuer wird abgesichert durch atomare Bedrohungen. Unter solchen Bedingungen kann sich jeder beliebige Vorfall zu Wasser oder in der Luft zu einer Katastrophe auswachsen – und diese Vorfälle werden sich unwillkürlich mehren, je nach Ausmaß des NATO-Truppenzuwachses in der Ostsee und der Schwarzmeerregion. Und bei einem Konflikt im Stil der Korеa- und Kubakrise, kann der Planet abgefackelt werden.

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