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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Man hat das Gefühl, das Leben eines Menschen ist nichts wert“

    „Man hat das Gefühl, das Leben eines Menschen ist nichts wert“

    Wenn Eltern in Russland, zumal in Kriegszeiten, nicht mehr wissen, was sie sonst für ihre Söhne tun sollen, dann wenden sie sich an die Soldatenmütter. Die Organisation mit zahlreichen Zweigstellen in ganz Russland, die es sich vor mehr als 30 Jahren zur Aufgabe gemacht hat, die Misshandlungen in der russischen Armee aufzudecken, ist später vor allem für ihre Hilfe in den beiden Tschetschenienkriegen bekannt geworden: um Söhne zu finden, die an die Front geschickt wurden und um Gefallene zu dokumentieren und den Verwandten Nachricht geben zu können.  

    Schon Wochen vor dem großflächigen Angriff, den Wladimir Putin mit den russischen Streitkräften seit dem 24. Februar 2022 gegen die Ukraine führt, haben die Anfragen bei den Soldatenmüttern wieder zugenommen. 

    Vor allem die Wehrdienstleistenden rückten dabei ins Zentrum der Aufmerksamkeit, weil schnell die Vermutung aufkam, auch sie seien in die Ukraine geschickt worden: Schilderungen junger Rekruten legten schon Tage nach dem Einmarsch nahe, dass sie in der Ukraine in Gefangenschaft geraten waren. Videos kursierten davon im Netz, oft veröffentlicht vom ukrainischen Militär, außerdem auf dem Telegram-Kanal Ischi Swoich. Aber auch Eltern wandten sich mit Hinweisen an unabhängige russische Journalisten. 

    Nachdem Präsident Putin zunächst geäußert hatte, Wehrpflichtige würden nicht eingesetzt, sondern nur Berufs- und Zeitsoldaten, so räumte das russische Verteidigungsministerium am 9. März das Gegenteil ein. Dabei versicherte die Militärführung, die Wehrpflichtigen seien, bis auf die Kriegsgefangenen, inzwischen wieder in Russland. Doch Transparenz ist kaum gegeben, auch mit Opferzahlen hält sich die russische Staatsführung bedeckt, spricht offiziell bislang lediglich von rund 500 getöteten Soldaten auf russischer Seite. US-Angaben und ukrainische Angaben gehen von mehreren tausend Toten bei den russischen Streitkräften aus. Wie viele es wirklich sind, ist unklar.

    Die Leiterin der Petersburger Soldatenmütter, Oxana Paramonowa, spricht im Interview mit dem russischen Exil-Medium Meduza darüber, wie sich ihre Arbeit vor dem Hintergrund des neuen Krieges gestaltet – über mütterliche Ohnmacht, einen Staat, der wenig preisgibt, und wie sie als Organisation auch selbst durch eine verschärfte Gesetzeslage in ihrer Arbeit beschnitten werden.

    Sascha Siwzowa: Wie hat sich die Arbeit der Soldatenmütter von Sankt Petersburg seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar verändert?

    Oxana Paramonowa: Die Arbeit unserer Organisation haben wir [bereits] im Oktober letzten Jahres verändert – wir haben so gut wie jeden Rechtsbeistand für Armeeangehörige eingestellt und nur den Auskunftsdienst beibehalten. Allein die Zahl der Anfragen bei diesem Auskunftsdienst ist seit dem 24. Februar gestiegen. Und zwar deutlich.

    Warum haben Sie das Format Ihrer Arbeit geändert?

    Unsere Organisation hat 30 Jahre lang Ersuche entgegengenommen. Die Menschen wandten sich über verschiedene Kanäle an uns, meist persönlich. In den letzten Jahren gab es eine Hotline und Online-Beratungen. Unsere Anwälte haben sich um diese Anfragen gekümmert. Wir haben Treffen mit Kommandostäben und der Militärstaatsanwaltschaft organisiert. Die Grundlage für die Arbeit waren Informationen, die wir persönlich von den Menschen erhielten.

    Im Oktober wurde der unglückselige FSB-Erlass verabschiedet, der das Sammeln jedweder Information über die Armee faktisch verbietet. Dadurch drohte den betreffenden Personen eine strafrechtliche Verfolgung, und wir waren gezwungen, diese Arbeit einzustellen.

    Was hat sich seit diesem neuen Gesetz verändert? Sie haben aufgehört, Informationen zu sammeln und Rechtshilfe zu leisten?

    Da wir jetzt keine Informationen mehr sammeln, können wir uns nur aus den Anfragen ein Bild von der allgemeinen Lage machen, aber wir können keinen aktiven Rechtsbeistand mehr leisten. Faktisch wurde uns die Möglichkeit genommen, im Namen der Organisation zu agieren, weil wir nicht schreiben können, dass uns irgendwer irgendwo irgendetwas erzählt hat. Wir brauchen konkrete Angaben, um jemanden als Organisation vertreten zu können. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir praktisch keine Daten mehr erheben – angefangen bei personenbezogen Daten bis hin zu medizinischen Auskünften, Angaben zu Straftaten und begonnenen Ermittlungen. Wir haben nicht mehr das Recht, solche Informationen zu sammeln.

    Wie stark ist die Zahl der Anfragen seit Kriegsbeginn gestiegen?

    Bis Oktober waren es viele Anfragen – um die zweitausend im Jahr. Dann gingen die Anfragen natürlich zurück, weil wir erklärt hatten, dass wir unser Arbeitsformat ändern und keine Rechtshilfe mehr anbieten können. Aber die Zahl der Anfragen, die wir seit dem 24. Februar erhalten, ist im Vergleich zu dem, was wir seit Oktober hatten, sprunghaft gestiegen. Im Oktober und November erreichten uns ein bis zwei Anrufe täglich. Jetzt sind es zwanzig.

    Was möchten die Angehörigen der Wehrpflichtigen von Ihnen wissen?

    Alle Fragen beziehen sich auf die Ereignisse seit dem 24. Februar. Uns rufen Eltern an, die meisten von ihnen bitten um Hilfe bei der Suche nach ihren Söhnen.

    Was erzählen Ihnen die Eltern der Armeeangehörigen?

    Wir sammeln praktisch keine Informationen, mit Ausnahme derer, die uns die Leute selbst geben. Je nach Fragestellung geben wir Orientierung, was man tun kann. Unter diesen Umständen fällt unsere Hilfe recht mager aus.

    Aber an der Menge der Anrufe und daran, wie es den Menschen geht, sehen wir, dass sie nirgendwo sonst anrufen können. Sie finden unsere Nummer und melden sich. Manche sagen, dass sie in der Armee-Einheit angerufen haben, aber nicht durchgekommen sind oder zu hören bekamen: „Warten Sie, Sie werden informiert.“ Manche erzählen, dass sie versucht hätten, beim Verteidigungsministerium anzurufen. Aber auf der Webseite des russischen Verteidigungsministeriums wurden seit dem 24. keine Informationen veröffentlicht, an wen sich Angehörige wenden können [das Verteidigungsministerium hat einen Tag nach dem Interview, am 9. März, eine Hotline eingerichtet – dek]. 

    Wir geben den Leuten einfach Kontakte aus dem Verteidigungsministerium weiter, die wir im Laufe der Jahre gesammelt haben. Wir arbeiten ja ziemlich eng mit verschiedenen Abteilungen innerhalb des Verteidigungsministeriums und in den jeweiligen Bezirken zusammen. Wir geben ihnen die Kontakte, die wir haben, und empfehlen den Leuten, überall anzurufen, um Kontakt zu ihren Söhnen herzustellen. Hauptsächlich geht es darum.

    Was tun Sie noch, abgesehen von der Empfehlung, welche Behörden man kontaktieren soll?

    Wir versuchen, die Eltern untereinander zu vernetzen. Das ist für uns als Organisation eine schwierige Aufgabe, manchmal nicht machbar.

    Aber es ist wichtig, dass die Eltern gemeinsam handeln. Dass sie sich koordinieren, dass jemand direkt an den Dienstort [d. h. in die Militäreinheit] fährt, an dem sie das letzte Mal Kontakt [mit dem Vermissten] hatten, dass ein anderer am Telefon sitzt und wieder ein anderer Schreiben [an das Verteidigungsministerium und andere Behörden] aufsetzt. Sie müssen sich zusammentun.

    Wir haben auch früher alles dafür getan, solche Supportgruppen entstehen zu lassen: Damit der Rekrut nicht alleine zur Musterungsbehörde geht, damit er eine Gruppe von Eltern oder seine Kameraden plus seine Eltern hinter sich hat, die wenigstens eine minimale Kontrolle darüber haben, wie der Armeedienst abläuft.

    Bei uns melden sich auch Eltern, deren Kinder erst zwei oder drei Monate gedient haben. Aber meistens sind es Eltern von Vertragssoldaten, die schon mehrere Jahre im Dienst sind

    Gibt es jetzt solche Gruppen?

    Die Menschen schätzen die aktuelle Situation sehr unterschiedlich ein. Das ist ein Problem, denn manche warten lieber ab, und andere finden, dass man sofort handeln sollte.

    Was ist besser, abwarten oder handeln?

    Die Entscheidung muss jeder selbst treffen. Ich persönlich finde immer, handeln ist besser. Ich verstehe, dass Beten auch eine Form von Handeln ist. Aber meines Erachtens nicht die einzige. Manche entscheiden sich dafür zu warten. Man kann nur hoffen, dass irgendwann das eintritt, worauf sie warten. 

    In den ersten Tagen war ich sehr aufgewühlt und habe den Eltern versucht zu erklären, dass man etwas tun muss, anstatt zu warten. Bei manchen hat es funktioniert, bei anderen nicht. Die Kooperation zwischen den Eltern ist sehr schwierig. In den meisten Fällen haben die Eltern, die bei uns anrufen, weder die Telefonnummern der Militäreinheiten noch Kontakte zu den Eltern der Kameraden ihrer Söhne.

    Bei uns melden sich auch Eltern, deren Kinder erst zwei oder drei Monate gedient haben. Aber meistens sind es Eltern von Vertragssoldaten, die schon mehrere Jahre im Dienst sind. Und selbst die haben zum Beispiel oft keine Kontaktdaten der Einheit. Ich finde das merkwürdig.

    Inwiefern merkwürdig?

    Ich habe das Gefühl, sie sind völlig abgekoppelt vom Dienst in der Armee. Die Familien haben alles dem Staat überlassen. Aber die Folgen davon, dass wir alles dem Staat überlassen haben, baden wir jetzt aus.

    Das nächste Problem wird sein, dass der Staat für das, was passiert, nur eine minimale Verantwortung übernehmen wird. Dessen muss man sich bewusst sein. Das ist es den Eltern leider nicht. Ihnen ist nicht klar, dass, egal was mit ihren Söhnen jetzt passiert, die vom Staat übernommene Verantwortung minimal sein wird.

    Wladimir Putin hat Angehörigen von in der Ukraine gefallenen Soldaten zusätzliche Kompensationen versprochen.

    Wir kriegen ein paar Vorzeigebeispiele präsentiert – Kompensationen in Millionenhöhe [in Rubel – dek] und so was. All das, was uns der Präsident versprochen hat. Der Rest wird diesen Kompensationen jahrelang hinterherrennen – im besten Fall. Schlimmstenfalls versuchen sie es einmal und geben dann auf, sagen: „Tja, so läuft das eben in unserem Land.“ Danach werden sie nur in ihrem Umfeld darüber sprechen, dass es ihnen so ergangen ist. 

    Verstehen Sie, wie die Verluste gezählt werden? Das Verteidigungsministerium spricht von 498 Gefallenen auf russischer Seite. 

    Dazu kann ich nicht viel sagen, weil die Zahlen auseinandergehen: Die beiden Kriegsparteien nennen unterschiedliche Zahlen. Das ist normal, die Menschen sollen auf diese Art beeinflusst werden. Wie sie das jeweils zählen, ist schwer zu sagen. Wenn im Netz Informationen auftauchen, dass dieser Held mit Ehren bestattet wurde, dass jener Held mit Ehren bestattet wurde, dann kann man davon ausgehen, dass das auch eine Rolle spielen wird. 

    Was meinen Sie?

    Dass möglicherweise für manche gar nichts ausgezahlt werden muss, weil sie Heldenbegräbnisse bekommen, eine Gedenktafel in ihrer Schule und in ihrem Heimatdorf, und fertig. Ich fürchte, dass sich ein Teil der Gesellschaft auch damit zufrieden geben wird, leider. 

    Wie könnte die Suche nach vermissten Soldaten offiziell aussehen?

    Auf der Website des Verteidigungsministeriums läuft kein rotes Band, wo man nach Soldaten suchen kann. Es gibt auch keine Listen mit Gefallenen. 

    Außerdem unterliegen Informationen über Verluste bei „Spezialoperationen“ seit 2015 der Geheimhaltungspflicht. So gesehen stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage sie jetzt die Namen der Gefallenen offiziell verlautbaren lassen.

    Liegen Ihnen Zahlen über Verluste vor?

    Nein, wir sammeln sie nicht. An uns wenden sich Eltern, die jemanden suchen und in der Regel keine Informationen haben. Sie versuchen, Kontakt zu ihren Söhnen herzustellen, zu erfahren, wo sie sind und wie es ihnen geht. Wir dürfen keine Daten zu Verlusten sammeln. Wir hatten ein paar Anfragen, bei denen Eltern sagten, sie hätten ihre Söhne unter den Kriegsgefangenen erkannt. Die reichen wir an Kollegen weiter, die sich mit der Suche von Kriegsgefangenen auskennen. Wir geben den Eltern den Kontakt, alles weitere erfahren sie dort, was man überhaupt machen kann.

    Mich bedrückt ihre Erwartungshaltung. Da ist keinerlei Handlung, vielmehr eine Art mütterliche Ohnmacht. Das geht mir sehr nahe

    Können Sie eine Institution nennen, die sich mit Kriegsgefangenen befasst?

    Das sind einfach Sankt Petersburger Menschenrechtsaktivisten, die bereits aus anderen Militärkampagnen Erfahrung haben. Sie wissen, an wen sich die Eltern wenden können. Aus Gesprächen mit Journalisten, die sich während des Tschetschenienkriegs mit solchen Fragen beschäftigt haben, weiß ich, dass die Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation [Tatjana Moskalkowa] dabei helfen kann. Ich empfehle den Angehörigen, dort einen Gefangenenaustausch anzuregen. Ansonsten sind es zivilgesellschaftliche Initiativen, keine offiziellen Strukturen. 

    Es heißt, die russische Armee führe womöglich mobile Krematorien mit sich. Stimmt das?

    Dazu haben wir keine gesicherten Informationen.

    Haben die Anfragen der Angehörigen, die jetzt nach Soldaten suchen, etwas gemeinsam?

    Mich bedrückt ihre Erwartungshaltung. Da ist keinerlei Handlung, vielmehr eine Art mütterliche Ohnmacht. Das geht mir sehr nahe. Ich habe verschiedene Mütter in verschiedenen Situationen erlebt, und ich weiß, wie Mütter handeln können. Momentan höre ich auf viele meiner Vorschläge nur: „Was bringt das?“ Verstehen Sie? Das klingt für mich, als sähen die Leute keinen Sinn darin, das Leben ihrer Söhne zu retten. „Wozu denn? Lassen die mich denn dort rein?“ Wenn ich zum Beispiel sage: „Fahren Sie zum Kommandostab, und fragen Sie dort nach.“ Wenn eine Mutter das will, dann lassen sie sie rein, und dann reden sie auch mit ihr. Aber wenn sie sich von all diesen Fragen abschrecken lässt und ihre eigene Kraft in Zweifel zieht, dann wird sie höchstwahrscheinlich nicht durchkommen. 

    Ist das eine Art allgemeine Ohnmacht?

    Wie auch immer man das nennen will. Es herrscht ein allgemeiner Zustand der Passivität: Apathie, Ohnmacht. Man könnte es auch schärfer formulieren. Jedenfalls hat man das Gefühl, das Leben eines Menschen sei nichts wert. Es gibt den Wunsch, irgendwo etwas zu beweisen, aber die Fähigkeit zum Handeln, um ein Leben zu retten, ist blockiert. Ich weiß nicht, ob es Angst ist, oder Schuld. Wenn man genauer hinschaut, hat da wahrscheinlich jeder sein Päckchen zu tragen. Aber dass dieser Impuls in der heutigen Zeit praktisch fehlt, ist, glaube ich, eine Tatsache. Da ist kein Impuls, Leben zu retten. 

    Was werden diese Geschehnisse noch für Folgen haben?

    Welche Folgen diese „Spezialoperationen“ in Russland haben werden? Das wird in jeder Familie anders sein. Die Frage ist, ob sie zu einem gemeinsamen Bild zusammengefügt werden, anhand dessen die Verantwortung und Beteiligung der Gesellschaft sichtbar werden, die Verantwortung des Staates, und ob daraus irgendwelche tiefgreifenden Veränderungen resultieren. Aber wahrscheinlich wird das eher ein Mosaik bleiben. Das heißt, jede Familie wird eine eigene Geschichte erleben, mit individuellen Folgen – und irgendwie damit zurechtkommen, so gut es eben geht. Und wir werden in dem Zustand verharren, in dem wir jetzt sind. Oder es wird noch schlimmer. 

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    Lukaschenkos Rollenspiele

    Fünf Stunden soll das Treffen zwischen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin am vergangenen Freitag in Moskau gedauert haben. Was hinter verschlossenen Türen genau besprochen wurde, drang im Detail nicht an die Öffentlichkeit. Natalja Eismont, Sprecherin von Lukaschenko, ließ verlautbaren, dass man „sich auf gemeinsame Schritte zur gegenseitigen Unterstützung im Zusammenhang mit dem Sanktionsdruck, einschließlich der Energiepreise“ geeinigt habe. Zudem habe Russland „ernsthafte und noch nie dagewesene Schritte unternommen, um die Wirtschaft unseres Landes zu unterstützen“. Weiterhin soll Belarus moderne russische Militärtechnik erhalten.

    Experten halten es für möglich, dass Putin Lukaschenko in die russische Hauptstadt gerufen hatte, um seinen Kollegen zum Eingreifen von belarussischen Truppen im Krieg gegen die Ukraine zu drängen. Auch vor dem Hintergrund, dass der Vorstoß der russischen Truppen bis jetzt möglicherweise nicht so verläuft, wie sich der Kreml das vorgestellt hat. Hinweise für strategische Fehler gibt es zahlreiche, zudem scheinen die Verluste unter russischen Soldaten unerwartet hoch zu sein. Auch aus Belarus gibt es Meldungen, dass nicht nur die dortigen Krankenhäuser und medizinischen Dienste an ihre Leistungsgrenze kommen, sondern auch die örtlichen Leichenhallen

    Während des Treffens kam es im belarussischen Luftraum, nahe der ukrainischen Grenze, zu einem Vorfall, bei dem russische Flugzeuge angeblich belarussische Dörfer beschossen haben sollen. Die ukrainische Führung witterte in dem Vorfall eine mögliche „False Flag“-Operation Russlands, um der belarussischen Staatsführung einen Anlass zu konstruieren, direkt in den Krieg einzugreifen. Daraufhin vermeldeten verschiedene ukrainische Medien, dass Lukaschenko um 21 Uhr (Kiewer Zeit) angreifen würde. Der Angriff blieb aus. Es gibt Anzeichen, dass Lukaschenko mitunter einer Hinhaltetaktik folgt und versucht, sich auch rhetorisch in dieser scheinbar für ihn ausweglosen Situation verschiedene Stoßrichtungen offenzuhalten.

    Ob er damit im Angesicht der Macht des Kreml überhaupt erfolgreich sein kann? Ob er nicht letzten Endes doch in den Krieg eingreift, was dies für Belarus bedeuten würde und was Lukaschenkos Versuch bedeutet, sich im Rahmen der russisch-ukrainischen Verhandlungen nach 2014 abermals als Friedensvermittler zu präsentieren – über all diese Fragen wird in den belarussischen Medien intensiv diskutiert. Wir bringen eine Auswahl an Stimmen.

    SN Plus: „Für alle Fälle und Lebenslagen“

    Bei seinem Treffen mit Wladimir Putin habe sich Alexander Lukaschenko für alle Fälle, die ihm der Krieg noch einbringen könnte, rhetorisch gewappnet, meint der Politikanalyst Waleri Karbalewitsch in seiner Analyse für das belarussische Medium SN Plus

    Vor allem war es für Putin wichtig, sich zum ersten Mal seit Kriegsbeginn mit dem Leader eines Staates zu treffen, der ihn unterstützt. In der heutigen Zeit ist das eine ziemliche Seltenheit. Vor dem Hintergrund durchweg schlechter Nachrichten braucht selbst der russische Präsident eine positive psychologische Therapie.

    Doch ich denke, der Hauptsinn dieser Gespräche lag woanders: Putin hat Lukaschenko höchstwahrscheinlich antanzen lassen, um eine aktivere Teilnahme von Belarus am Krieg zu besprechen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der russische Präsident entschieden hat, 16.000 „Freiwillige“ aus dem Nahen Osten als Kämpfer anzuwerben. Das bedeutet, dass es Putin in diesem Krieg an menschlichen Ressourcen mangelt. Doch wozu Araber einladen, wenn hier um die Ecke Belarussen sind, und ein Lukaschenko, der oft versprochen hat, Russland mit voller Kraft zu unterstützen.

    Lukaschenkos Äußerungen im öffentlichen Teil des Treffens mit Putin waren ein Meisterwerk der politischen Mimikry. Alle erforderlichen Rituale wurden ausgeführt, um dem Verbündeten Ergebenheit zu demonstrieren. Man kann sie sowohl als Rechtfertigung für Russlands Angriff auf die Ukraine lesen oder auch als Grundlage für eine direkte Kriegsbeteiligung von Belarus. Doch seine Äußerungen waren wie immer widersprüchlich und konfus. […] 

    Lukaschenkos Geschichte über irgendwelche obskuren Söldner, die sich angeblich entlang der belarussisch-ukrainischen Grenze auf das Atomkraftwerk Tschernobyl zubewegen, klingt unheilvoll. Allem Anschein nach wurde die ganze Geschichte mit den schrecklichen Söldnern erfunden für den Fall, dass es [Lukaschenko] nicht gelingt, sich aus Forderungen Russlands nach einem Einmarsch belarussischer Truppen in die Ukraine herauszuwinden. Dann würde man sagen, dass die Belarussen dort eindringen, um das Atomkraftwerk zu schützen. So wäre es keine Aggression gegen den Nachbarn, sondern ein humanitärer Akt, um die Menschheit vor dem atomaren Armageddon zu schützen.

    So hat Lukaschenko schon vorab beliebigen gegensätzlichen Handlungsoptionen den Grund bereitet. Für alle Fälle und Lebenslagen. Wenn er nicht zu seinen Worten steht, dann lassen sich beliebige surreale Bilder zeichnen, ohne Sorge um den eigenen Ruf. 

    Bald erfahren wir, ob es Putin gelungen ist Lukaschenko breitzuschlagen, dass Belarus eine aktivere Rolle in diesem beschämenden Krieg übernimmt. 

    Original, 11.03.2022


    Zerkalo.io: „Die wichtigsten Fragen entscheidet Moskau“

    Für das belarussische Online-Portal Zerkalo.io beschäftigt sich unter anderem der Politikanalyst Rygor Astapenja mit der Frage, wie sich Lukaschenkos Verstrickung in den Krieg auf die Innenpolitik des Landes auswirken wird.

    Wenn Lukaschenko das Land früher noch mit Moskau im Blick regierte, so scheint es jetzt, als würden einige Dinge in Belarus direkt von Russland geleitet. Die Verlegung russischer Truppen auf unser Staatsgebiet etwa und der Beschuss der Ukraine von belarussischem Gebiet aus – das hat Lukaschenko nicht mehr unter Kontrolle. Die Beziehungen zu Russland erinnern an sowjetische Zeiten. Die wichtigen Fragen entscheidet Moskau.

    Dass die Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien in Belarus stattfinden, rettet unser Land nicht vor der Beschuldigung an der Mittäterschaft bei der Aggression. Der Schatten dieser Anschuldigung legt sich auf alle, auf jene, die zu dem Regime halten, wie auch auf jene, die gegen das Regime sind.

    Die belarussische Frage ist wegen des Krieges logischerweise von der internationalen Tagesordnung gerutscht. Die Opfer und die Zerstörungen lösen mehr internationales Mitgefühl und Teilnahme aus als die Opfer des Regimes in Belarus. Durch die Dimensionen des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine droht eine humanitäre Katastrophe, vor deren Hintergrund das Problem der politischen Gefangenen und der Repressionen in Belarus an Gewicht verlieren.

    Original, 10.03.2022


    Salidarnasc/Gazeta.by: Lukaschenko als neuerlicher Friedensstifter?

    Pawel Mazukewitsch, belarussischer Politikanalyst und ehemaliger Mitarbeiter des Außenministeriums, erörtert in einem Beitrag für den Telegram-Kanal Puls Lenina, den das Online-Portal Salidarnasc/Gazeta.by in einem Auszug bringt, warum Lukaschenkos Versuche, sich neuerlich als Vermittler darstellen zu wollen, kaum von Erfolg gekrönt sein dürften.

    Es liegt auf der Hand, dass Alexander Lukaschenko Belarus als Verhandlungsort reanimieren will, um seine Reputation als Schurke und Aggressor durch etwas Anständiges aufzubessern.

    Die Tatsache allerdings, dass in Belarus bereits drei russisch-ukrainische Verhandlungsrunden stattgefunden haben (am 28. Februar sowie am 3. und 7. März), macht aus unserem Land noch keine Friedensplattform. Solange sich auf belarussischem Territorium russische Truppen befinden, wird Belarus nicht mehr als die Adresse sein, an dem die Treffen stattfinden.

    […]

    Keine geringe Rolle bei der Wahl dieser Adresse spielen logistische Überlegungen. Für die beteiligten Parteien ist es näher und bequemer nach Belarus zu fahren. Aus Kyjiw fliegen keine Flugzeuge, aus Moskau kommst du mit dem Flugzeug nicht weiter nach Westen als nach Belarus.

    Es gibt auch noch weitere Motive. Die Russen fühlen sich in Belarus wie die Hausherren, ihre Truppen stehen hier. Die Ukrainer haben ihre eigenen Motive. Ich teile die Ansicht, dass allein schon die Tatsache, dass die Verhandlungen in Belarus stattfinden, die Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens des belarussischen Militärs verringert. Obwohl diese Nichtbeteiligung eher auf die Interessen des Kreml zurückzuführen ist, der in dieser Phase ein vermittelndes Belarus nötiger hat als ein kriegführendes.

    Die Front ist mittlerweile eine echte Kriegsfront, die russischen Streitkräfte greifen seit zwei Wochen von Belarus aus die Ukraine an und beschießen sie, und Lukaschenko schafft weiterhin Munition herbei.

    Allen Anzeichen nach hat er nicht vor, sich aus dem Schatten des Kreml herauszubewegen und einen Abzug der russischen Truppen zu fordern. Auch wenn nur auf diesem Wege ein Friedenspferd zu satteln wäre, auf dem Belarus und womöglich die gesamte Welt aus dem Krieg herausgeführt werden würde, aus einem Krieg, der sich zu einem Weltkrieg entwickeln könnte.

    Original, 11.03.2022


    Salidarnasc/Gazeta.by: Nuancen in der Rhetorik Lukaschenkos

    Pawel Sljunkin, ehemaliger Mitarbeiter des belarussischen Außenministeriums, äußert sich in einem Kommentar für das belarussische Online-Portal Salidarnasc/Gazeta.by zur möglichen Taktik Lukaschenkos, die eigene Aggressorrolle abzuschwächen.

    Noch sieht es nicht so schlecht aus für Lukaschenko. Noch benötigt der Kreml keine Beteiligung der belarussischen Streitkräfte am Krieg. Noch übt er, also Putin, auf Lukaschenko nicht den Druck aus, den er ausüben könnte. 

    […]

    Allen ist klar, dass Lukaschenko weder Friedensstifter noch eine dritte Partei ist, noch eine neutrale Plattform. Er ist ebenso Aggressor wie Russland. Doch wichtig sind hier die Nuancen.

    Lukaschenko versucht mit seiner Unterstützung für Friedensverhandlungen das wegzuwischen, was er nicht verhindern kann, nämlich den Umstand, dass Russland das belarussische Staatsgebiet zum Überfall auf die Ukraine nutzt.

    Und das bringt ihm gewisse Früchte ein. Die Sanktionen gegen ihn sind nicht so heftig ausgefallen wie die gegen Russland. Wenn man vorgehabt hätte, die belarussische Wirtschaft abzuwürgen, dann hätte man das schneller geschafft als bei der russischen Wirtschaft. Noch allerdings geschieht das nicht. Und darauf wird Lukaschenko weiter spekulieren.

    Original, 08.03.2022


    Naviny.by: „Die Explosion des Unmuts in der Gesellschaft verhindern”

    Der belarussische Journalist Alexander Klaskowski ist in seinem Stück für Naviny.by der Meinung, dass Lukaschenkos Hauptstrategie es sein könnte, die direkte Beteiligung am Krieg, also die Entsendung eigener Truppen, zu verhindern.

    2014 hatte sich Lukaschenko merklich von der Politik des Kreml distanzieren können, als dieser die Krim eroberte und den Aufruhr im Donbass anzettelte. Durch diese besondere Haltung konnte Minsk seinerzeit die Beziehungen zum Westen merklich korrigieren.

    Gibt es für Lukaschenko jetzt die Chance, einen ähnlichen geopolitischen Trick anzuwenden, damit er nicht zusammen mit dem Regime im Kreml untergeht?

    Man möchte meinen, dass eine solche Chance nahezu ausgeschlossen ist. Die Abhängigkeit von Russland ist heute ungleich stärker. Stellen wir uns nur einmal vor, Lukaschenko würde jetzt den Abzug der russischen Truppen aus Belarus fordern. Dann würde Putin ihn wohl einfach von der politischen Bühne fegen. Es besteht kein Zweifel, dass der Kreml hierfür brutal und rücksichtslos genug ist.

    […] Nach den Ereignissen von 2020, als offensichtlich wurde, dass Lukaschenko den Rückhalt eines riesigen Teils der belarussischen Bevölkerung verloren hat, hängt sein Verbleib an der Macht vollkommen von der Gnade des Kreml ab.

    Daher besteht das Maximum, das Lukaschenko jetzt erreichen kann, darin, nach Möglichkeit eine direkte Beteiligung der belarussischen Armee an den Kämpfen gegen die Ukrainer zu vermeiden. Um, wie er sich erhofft, seine Verantwortung für die Beteiligung an der Aggression und folglich die Härte der Sanktionen zu reduzieren. Und um eine Explosion des Unmuts in der Gesellschaft abzuwenden.

    Auf jeden Fall fehlt dem derzeitigen Anführer des belarussischen Regimes die Kraft, um jene Bande zu sprengen oder wenigstens zu lösen, durch die Minsk an Moskau gekettet ist.

    Original, 10.03.2022

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  • Endkampf gegen die Realität

    Endkampf gegen die Realität

    Er lebt in einer anderen Welt – das soll Angela Merkel wenige Tage nach der Angliederung der Krim 2014 in einem Telefonat mit Barack Obama über Wladimir Putin gesagt haben. Acht Jahre später führt letzterer einen offenen Krieg gegen die gesamte Ukraine, der bereits jetzt tausende Menschen in den Tod und über eine Million in die Flucht getrieben hat. 

    In einem wütenden und zugleich selbstkritischen Meinungsstück auf Meduza schreibt der Journalist Maxim Trudoljubow über eine Welt der Lüge, mit der Putin sich selbst und sein Land vergiftet habe und nun die Ukraine in eine Katastrophe stürzt. 

    Während all der Jahre unter Putin hat die russische Regierung einen erbitterten, aggressiven Kampf gegen die gesellschaftliche Realität geführt. Die politischen Verwaltungsbeamten (Verwalter, nicht Politiker, denn niemand hat sie gewählt) sind gegen jegliche Unabhängigkeit und jeglichen Aktivismus vorgegangen und haben Politiker und Journalisten mit einem eigenen Standpunkt aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Ihre Plätze wurden von Figuren eingenommen, deren Aufgabe darin bestand, Aktivität zu heucheln und den Schein zu wahren. Die Manager der Präsidialadministration haben dafür gesorgt, jede selbstorganisierte Partei, Gruppe und Struktur in künstliche, kontrollierte Zellen umzuwandeln.

    Wie die Zerstörung der Gesellschaft zum Krieg führt

    Alles Echte ist für andersartig, ausländisch, fremd, extremistisch und sogar „terroristisch“ erklärt worden. Erinnern wir uns an das Netzwerk, das Alexej Nawalny erschaffen hat – eine Organisation, die einen politischen, gewaltlosen Kampf gegen das Regime führte und aus diesem Grund für kriminell erklärt wurde.

    Was die Zerstörung betrifft, waren die Erfolge der Manager beeindruckend. Zugegeben, doch wir sollten nicht vergessen, dass diese „Erfolge“ mithilfe von gezielten Morden, Repressionen und der Vertreibung von Menschen aus dem Land erzielt wurden. Gesichtslose Verwaltungsbeamte, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten unter der jeweiligen politischen Leitung im Kreml – Wladislaw Surkow, Wjatscheslaw Wolodin, Sergej Kirijenko – tätig waren, haben das Feld in enger Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten gesäubert. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind in der Tat erschreckend.

    Denken wir an die inhaftierten Aktivisten. Denken wir an all jene, die das Land verlassen mussten, und an die, die ihre öffentliche Tätigkeit eingestellt haben, nachdem sie sämtliche mit ihr verbundenen Risiken nüchtern abgewägt hatten. Vergessen wir auch nicht die ermordeten Politiker, Journalisten und Bürgerrechtler, wer auch immer für ihren Tod unmittelbar verantwortlich sein mag.

    Putins Verwalter wollten nicht nur die Zivilgesellschaft kontrollieren, sondern auch die Ergebnisse im Sport. Die Logik des fairen Wettbewerbs wurde untergraben: Der Leader glaubte offensichtlich nicht daran. Russische Sportler mussten um jeden Preis besser sein als alle anderen. Deshalb wurde der Wettkampf durch ein Dopingprogramm ersetzt, das dem Leader ein Bild von durchschlagendem Erfolg malen sollte. Bei den Olympischen Winterspielen 2014 ging es um das Projekt, garantiert zum Sieg zu gelangen. Die Steuerung der Spiele wurde schließlich von einem Überläufer aufgedeckt, von dem Ex-Leiter des Moskauer Antidopinglabors Grigori Rodtschenko. Dank ihm verfügen wir über ein detailliertes Bild dieser beschämenden Geschichte.

    Etwas zu erschaffen ist mit kriminellen Methoden deutlich schwieriger als etwas zu zerstören

    Etwas zu erschaffen ist mit kriminellen Methoden deutlich schwieriger als etwas zu zerstören. Deshalb wirkte das Putinsche Theater beim Versuch, eine tote Alternative zu einer lebendigen Gesellschaft aufzubauen, wie ein offensichtlicher Reinfall. Diejenigen, die uns zu den „Anderen“ (den „Ausländischen“, „Unerwünschten“) gemacht haben, haben im Grunde nie selbst etwas erschaffen, aus eigener Initiative, aus Inspiration oder dem Ruf ihres Herzens folgend. Und deshalb ist es ihnen auch nicht gelungen, ihren eigenen öffentlichen Bereich zu erschaffen – ihren eigenen offenen Raum für Diskussionen, ihre eigene Politik, eine glaubwürdige Meinungsforschung, Soziologie und Politikwissenschaft, ihre eigene Opposition und Presse.

    Alternative Wirklichkeit

    Ihre alternative Wirklichkeit wirkt wie das Zerrbild einer lebendigen Öffentlichkeit: Clowns anstelle von Politikern, Imitationen anstelle von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Propagandisten anstelle von Journalisten und Analytikern. Man konnte leicht damit leben: Die Clowns musste man nicht wählen, die Pseudoanalytiker nicht lesen, Kisseljow und Solowjow nicht anhören – denn diese Figuren entbehrten jeden eigenständigen Denkens. Sie waren schlechte Schauspieler, die einen fremden Text herunterbeten, Instrumente in einem grobschlächtigen politischen Spiel. Alles war dermaßen grob zusammengeschustert, dass man fest überzeugt war: Das Kartenhaus fällt in sich zusammen, sobald sich der Klammergriff der Sicherheitsorgane lockert. Der Grund für eine solche Lockerung hätte, wie auch ich annahm, ein natürlicher Prozess sein können – eine ökonomische Krise, die sinkende Popularität des Leaders, ein Generationenwechsel in den Machtstrukturen.

    So eine Krise hätte die künstlichen Figuren vom Feld gefegt: Die sogenannten „Politiker“ und „Journalisten“ (ja, genau, in Anführungszeichen) wären einfach von der Bildfläche verschwunden, denn sie funktionieren wie Maschinen, nur so lange, wie sie vom Staat gespeist werden. Die Bürger Russlands wären aus ihrer Verblendung erwacht und hätten mitangesehen, wie die Kulisse in sich zusammenstürzt. Wie geht doch gleich das Ende von Alice im Wunderland: Der König, die Königin, die Ritter und Richter verwandeln sich mit einem Schlag in Spielkarten. Oder das Finale von Nabokovs Einladung zur Enthauptung: „Ein Wirbelwind packte und ließ kreiseln: Staub, Lumpen, Splitter aus bemaltem Holz, Stücke vergoldeten Stucks, Pappziegel …“

    Putins alternative Wirklichkeit nicht ernstzunehmen, war ein weitverbreiteter, tragischer Fehler, ein Fehler, den auch ich begangen habe

    Doch heute bringen Raketen, Granaten und Bomben den Ukrainern und Russen den ganz realen Tod. Der Wirbelwind, der heute über das Territorium der Ukraine fegt, ist echt, die Splitter und Ziegel sind echte Splitter und Ziegel. Putins alternative Wirklichkeit nicht ernstzunehmen, war ein weit verbreiteter, tragischer Fehler, ein Fehler, den auch ich begangen habe. Diese Politik als virtuell wahrzunehmen war trügerisch. Das Bühnenbild entpuppte sich nicht als vergoldeter Stuck, die Ziegel nicht als Pappziegel. Im Gegenteil: Die von billig angeheuerten Malern bemalten groben Bühnenbilder erwachen zum Leben und werden zu Tod und Leid.

    Ich bekenne mich zutiefst der eigenen Unfähigkeit bei dem Versuch, die Kulisse herunterzureißen, als es noch möglich war – vor dem Krieg. Ich war überzeugt, dass sie von alleine fallen würde.

    Wie eine Weltanschauung die Welt zerstören kann

    Zu glauben, dass Leben, Gewissen, Talent und Anerkennung käuflich sind, ist eine minderwertige, verachtenswerte Sicht auf die Welt. Aber sie ist kein unschuldiger Fehler. Der Mann, der einst zu der Überzeugung gelangt war, dass alles käuflich und verkäuflich ist, dass man eine Gesellschaft okkupieren, unterwerfen und an ihrer Stelle seine eigene, mit Geld erkaufte Realität erschaffen kann, hat nicht nur sein Land, sondern die ganze Welt in eine Katastrophe gestürzt.

    Er hat nicht nur an seine, von ihm bezahlte Realität geglaubt, sondern sie zur Grundlage seines Handelns in der wirklichen Welt gemacht. Es ist nun klar, dass sein Plan einer kurzen Militäroperation im Bruderland auf dieser von ihm selbst geschaffenen Fiktion basierte. Offensichtlich hatte er erwartet, dass die Anwendung von Gewalt durch den „echten“ – also „seinen“ – Staat zum sofortigen Zusammenbruch des „unechten“ ukrainischen Staates führen würde. Er dachte, er hätte es mit einer Kulisse zu tun, errichtet im Auftrag von irgendwelchen feindlichen Kräften – Amerikanern, Europäern, denen er Verhalten nach seiner Manier unterstellt. Er hatte offenbar geglaubt, dass sich seine künstlich geschaffenen „Umfragewerte“ in eine echte Zustimmung seitens der russischen Gesellschaft verwandeln würden. Dass alle an die Mär von den ukrainischen „Faschisten“ und seine Mission als Befreier glauben würden. Offenbar hat er den ihn umgebenden Speichelleckern Glauben geschenkt und angenommen, Russland wäre bereit für Krieg und Sanktionen.

    Putin hat sich eingeredet, die ukrainische Gesellschaft wäre genau so ein Theater wie das, zu dem er die eigene russische Gesellschaft gemacht hat

    Putin hat sich eingeredet, die ukrainische Gesellschaft wäre genau so ein Theater wie das, zu dem er die eigene russische Gesellschaft mithilfe von Morden und Einschüchterungen gemacht hat. Er hat geglaubt, die Ukrainer – von den einfachen Soldaten auf dem Schlachtfeld bis zur ihm verhassten obersten Staatsführung – würden sich in Spielkarten verwandeln und seine Macht anerkennen. Der ukrainische Präsident – ein Comedian, der Bürgermeister von Kiew – ein Boxer. Wer sind die überhaupt? Offenbar hat er ernsthaft daran geglaubt, er sei der heutigen Ukraine und der ganzen demokratischen Welt psychologisch und moralisch überlegen. Sein defektes Bild von der Welt hat ihm die Sicht darauf verstellt, dass seine ganze „Überlegenheit“ eine Erfindung seiner eigenen Hofnarren ist. Sein Fernsehprogramm und seine Presse hatte jahrelang nur einen Auftraggeber und einen einzigen wirklichen Zuschauer – ihn selbst. Er hat sich selbst mit seiner eigenen Lüge vergiftet.

    Möglicherweise steht er vor der Entscheidung, ob er alle Zerstörungswaffen einsetzt. Das würde zu mehr Leid und Tod führen. Aber im Kern nichts verändern

    Er ist moralisch kein bisschen überlegen, niemandem. Die einzige Überlegenheit besteht in seiner militärischen Stärke. Aber um diese Überlegenheit auszuspielen, braucht es eine klare Mission, Zusammenhalt und das Bewusstsein, im Recht zu sein. Eine klare Mission, Zusammenhalt und das Bewusstsein, im Recht zu sein, haben in diesem Krieg jedoch nur die Ukrainer. Möglicherweise steht er gerade vor der Entscheidung, ob er alle Zerstörungswaffen, die ihm zur Verfügung stehen, einsetzt oder nicht. Das würde zu noch mehr Leid und Tod führen. Aber im Kern nichts verändern.

    Sein Krieg gegen die Realität hätte seine Privatsache bleiben müssen. Wenn du in Groll und Zorn auf die ganze Welt leben willst, dann tu das, so lange du willst. Doch er hat dem russischen Volk seine Anwesenheit mit Gewalt, Manipulation und Lüge  aufgedrängt. Jahrelang hat er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seine „Umfragewerte“ hoch gehalten. Indem er mit Gewalt und Drohungen die russische Gesellschaft an sich band, hat er die Identität des eigenen Volkes entwertet, das einst Seite an Seite mit den Ukrainern in einem gemeinsamen und gerechten Krieg gekämpft hat.

    Russland hat diesen Krieg moralisch verloren, indem es ihn begann

    Er hat nicht nur sich selbst vergiftet, sondern auch Russland. Er hat den Weg geebnet für jene Verachtung, mit der die Welt nicht nur auf ihn schauen wird, sondern auch auf uns, die russischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Noch viele Jahre werden wir die Welt nicht davon überzeugen können, dass „wir nicht so sind“, dass „wir das nicht waren“. Noch viele Jahre – nach Putin – werden wir in Russland eine Gesellschaft aufbauen müssen, die frei ist von politischen Kulissen und Fiktionen.

    Russland hat diesen Krieg moralisch verloren, indem es ihn begann. Ganz unabhängig vom Kampfgeschehen: Russland hat diesen Krieg verloren, als politische, ökonomische und gesellschaftliche Einheit, als Land, als Teil der Welt. Es war immer ganz normal, das Wort „Krieg“, ohne es genauer zu bestimmen, mit dem Großen Vaterländischen Krieg zu assoziieren. Jetzt hat dieses Wort eine neue Bedeutung bekommen. Es ist ein Krieg ohne genauere Bestimmung, ohne Adjektive. Es ist der Krieg, den er entfacht hat, mit dem er mich und alle Russen verantwortlich gemacht hat für die von ihm geschaffene Katastrophe.

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  • Warum Putin die Ukraine grundsätzlich missversteht

    Warum Putin die Ukraine grundsätzlich missversteht

    Wladimir Putin hat die „Entnazifizierung“ als eines seiner Ziele bei dem Angriffskrieg auf die Ukraine genannt. Er bezeichnet die politische und kulturelle Elite des Nachbarlandes als „Nazis“, so auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky, der Jude ist und der einer Familie von Holocaust-Überlebenden entstammt. Seit Jahren – vor allem seit dem Beginn der Maidan-Revolution Ende 2013, der Annexion der Krim und dem Krieg im Osten der Ukraine – bedienen der Kreml und russische Staatsmedien das Bild, die Ukraine sei von einer „faschistischen Junta“ gekapert worden und müsse von dieser befreit werden. Gleichzeitig baut der Kreml seit Jahren verstärkt Beziehungen zu rechtsextremen Parteien, Politikern und Aktivisten in Europa auf, um sie für seine Belange einzuspannen.

    Die Rhetorik des Kreml zieht dabei bewusst eine Verbindung zum Vermächtnis der Sowjetunion und ihrem Sieg über den Faschismus im Großen Vaterländischen Krieg 1945. Allerdings seien viele der alten Losungen heute nicht mehr als hohle Floskeln, meint etwa der russische Intellektuelle Lew Rubinstein: „Wörter der Nachkriegszeit wie ,Nazismus‘ und ,Faschismus‘ haben im sowjetischen und postsowjetischen Propaganda-Diskurs allmählich ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Sie entbehren heute jeglichen semantischen Inhalts. Sie, diese Wörter, werden als reine Instrumente verwendet, als vermeintlich starke und überzeugende rhetorische Figuren.“

    Putins verkündeter Plan einer „Entnazifizierung“ der Ukraine fußt auf einem kolossalen Unverständnis der ukrainischen Gesellschaft, meint Artyom Shraibman. Auf seinem Telegram-Kanal erklärt der belarussische Politikanalyst, warum dieser Plan von vornherein realitätsfern war – mit nun immer fataleren Folgen.

    Entschuldigt, dass ich so lange nicht geschrieben habe. Die Evakuierung aus der Ukraine und Fragen der Grundversorgung am neuen, sicheren Ort haben mir alle Zeit und Energie genommen. Einzig ein Interview für Echo Moskwy anlässlich seiner Schließung habe ich geschafft zu geben. Doch sie haben das Video auch von Youtube gelöscht, darum wiederhole ich meinen Grundgedanken hier. 

    Putins Hauptfehler ist nicht, dass er die Stärke seiner Armee überschätzt und die des ukrainischen Widerstands und das Ausmaß der Sanktionen unterschätzt hat. Auch nicht, dass er an den propagandistischen Quatsch über das ukrainische Brudervolk glaubt, die auch Russen seien. Oder an den Quatsch mit der volksfeindlichen Nazi-Junta (mit einem Juden an der Spitze), von der sich diese Auch-Russen befreien wollen und dabei nur auf Hilfe warten.

    Es gibt ein sehr viel ernsthafteres Problem in der Weltanschauung solcher Leute wie Putin. Fast alle, die aus dieser sowjetischen militär-tschekistischen Kultur kommen, teilen diese Weltanschauung. Das sind die, die in den 1990ern in Russland „Rot-Braune“ und später dann „Watniki“ genannt wurden. Auch jüngere Silowiki haben diese Leerstelle im Bewusstsein und auch ältere Autokraten wie Putin oder Lukaschenko.

    Keine Vorstellung von einer Gesellschaft, die sich selbst helfen kann

    Diese Leute können nicht begreifen, dass irgendwelche Gruppen von Menschen in der Lage sind, horizontal zu interagieren und ohne Oberhirten zu leben. Für sie existiert nur die Vertikale, nur die Kaserne. Nur die Eliten und eine darunter versammelte Hammelherde. Sie sind es gewohnt, in einer solchen Gesellschaft zu leben und über sie zu bestimmen – also müssen ihrer Ansicht nach wohl alle Gesellschaften so sein. 

    Hätte dieser Mythos irgendetwas mit der Realität zu tun, so wäre der Plan, Kiew schnell zu erobern, den ukrainischen Staat zu enthaupten und dem neuen Regime eine Kapitulation aufzuzwingen – verbunden mit einer „Entnazifizierung“ und weiterer Unterwerfung – völlig machbar.

    Die Ukraine ist keine Kaserne. Man kann sie nicht enthaupten, das ist ein völlig anderer Organismus

    Aber selbst wenn man die für alle Welt offensichtliche Ausbremsung der russischen Kriegsmaschinerie außer Acht lässt, die seltsamen ungedeckten Landeoperationen, das Versagen bei der Übernahme der Kontrolle über den Luftraum, das Versagen in der Versorgung und Logistik: Selbst dann ist der Plan apriori nicht machbar. Denn die Ukraine ist keine Kaserne. Man kann sie nicht enthaupten, das ist ein völlig anderer Organismus. 

    Nehmen wir einmal an, dass die militärische Stärke ausreicht, um den Widerstand der ukrainischen Armee zu brechen – was derzeit alles andere als offensichtlich ist, wenn man die sinkende Kampfmoral der Angreifer und die erstarkende Wut der Verteidiger bedenkt. Aber stellen wir uns das einmal vor.

    Was soll mit der Partisanen-Bewegung geschehen? Sollen hunderttausende Soldaten eines Besatzungs-Korps einmarschieren? Wo will man die hernehmen, wenn 90 Prozent der ins Land einmarschierten Reservetruppen es nicht schaffen, die großen Städte einzunehmen? Soll es eine Blockade der Städte und damit dort eine humanitäre Katastrophe geben? Wenn es bereits jetzt – hier wie dort – zu freiwilliger Kriegsgefangenschaft kommt – wie will man sich dann vor Fahnenflucht schützen in einer Armee, die sich selbst im Klaren darüber ist, dass sie für eine vollumfängliche Vernichtungsoperation gekommen ist und nicht für eine „chirurgisch-exakte Demilitarisierung“? 

    Der Kreml hat keine Exit-Strategie

    Wer wird sich nach einem blutigen Gemetzel, das ein solches Szenario erforderlich macht, einem Besatzer unterwerfen? Wie nachhaltig werden Vereinbarungen mit den Marionetten, die man an Selenskys Stelle platziert? Wie viele Tage werden die nach Abzug des Besatzungs-Korps überleben? Wo soll die Bürokratie herkommen, um ein besetztes Land mit 40 Millionen Menschen zu verwalten, die dem Besatzer gegenüber maximal feindlich gesinnt sind? Woher soll das Geld dafür kommen bei eingefrorenen Reserven und Sanktionen à la Nordkorea? Wie und wer überhaupt kann die Besatzung organisieren, wenn momentan schon die Organisation des Einmarsches nicht so richtig klappt? 

    Dass der Kreml in dieser Situation keine Exit-Strategie hat, ist heute das globale Hauptproblem – natürlich nach der humanitären Katastrophe in der Ukraine. Selbst wenn die gesamte russische Armeeführung begreift, welche Aufgabe da vor ihnen steht – ein Rückzug würde den politischen Tod Putins bedeuten. Und womöglich nicht nur den politischen.

    Mit dem Rücken zur Wand und als Gefangener seiner mystisch-paranoiden Einstellungen könnte Putin jeden Befehl geben. Das Schicksal der Welt könnte an einem bestimmten Punkt in den Händen der obersten Militärführer Russlands liegen, denen dann obliegt, den Befehl auszuführen oder Mensch zu bleiben

    Auf dem Weg in die Katastrophe des russischen Staates liegen leider noch sehr viele unschuldige Opfer und diesen Fakt kann ich psychologisch immer noch nicht akzeptieren. Allem Anschein nach folgt nach diesem schrecklichen Preis wirklich so etwas wie eine Entnazifizierung. Doch nicht für die Ukraine.

     

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  • Sowjetische Propagandastrategien im heutigen Kriegsrussland

    Sowjetische Propagandastrategien im heutigen Kriegsrussland

    Über Russlands Krieg gegen die gesamte Ukraine sammelt dekoder hier Analysen, Artikel und Hintergründe aus russischen, ukrainischen, belarussischen, deutschen und englischen Medien. 

    06.08.2025

    Texty: Sowjetische Propagandastrategien im heutigen Kriegsrussland 

    „Sowjetische und russländische Desinformation sind praktisch dasselbe“, sagt Todd Leventhal im Gespräch mit texty.org.ua. Inna Gadsynska und Wolodymyr Lytwynow haben für das ukrainische Rechercheportal mit dem US-amerikanischen Experten über sowjetische Desinformationskampagnen in der Prä-Internet-Ära gesprochen. Darüber, wie der KGB damals und der FSB heute weltweit „aktive Maßnahmen“ durchführte, wie die Vereinigten Staaten in den 1980er Jahren dagegen vorgingen und warum sie das heute so nicht mehr tun. Leventhal erläutert außerdem historische Parallelen zum aktuellen Kontext

    Todd Leventhal hat rund 25 Jahre Erfahrung in der Bekämpfung sowjetischer, russischer, irakischer und anderer Desinformationenkampagnen, Verschwörungserzählungen und Falschmeldungen. Er arbeitete für die United States Information Agency und das US-Außenministerium, ist Autor bzw. Co-Autor mehrerer Berichte wie Soviet Active Measures in the Post-Cold War Era (1992) und Rumors of Child Organ Trafficking: Eine moderne urbane Legende (1994). Nach seiner Pensionierung war Leventhal bis 2022 für die Bekämpfung von Desinformation in der Russland-Abteilung des Center for Global Engagement (GEC) des US-Außenministeriums tätig. 

    „Desinformation basiert häufig auf Geschichten, die die tiefsten Werte der Menschen bedrohen, Angst, Wut und Ressentiments hervorrufen und Hass und Konfrontation zwischen verschiedenen Gemeinschaften, sozialen Gruppen oder Ländern verstärken“, erklärt Leventhal. Auch die Sowjetunion habe oft zielgerichtet Horrorgeschichten verbreitet, die die Menschen glaubten und bereit waren zu akzeptieren: Je schrecklicher die Details, desto mehr Menschen glaubten sie, denn schreckliche Dinge erregen Aufmerksamkeit.  

    Leventhal erinnert sich, wie sogenannte Überläufer aus dem Umfeld des KGB den US-Behörden in den 60er und 70er Jahren vom Vorgehen des sowjetischen Geheimdienstes berichteten. Daraufhin habe die Reagan-Regierung eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe zu sowjetischer Desinformation und anderen Arten von Einflussnahme gegründet. Sie verfolgte beispielsweise solche Erzählungen wie die von der US Army, die angeblich HIV als Biowaffe entwickelt und damit die tödliche AIDS-Pandemie ab den 80er Jahren verursacht habe. Diese Verschwörungserzählung hat der KGB jahrzehntelang über Medien in Indien, Pakistan, Bulgarien bis in die damalige DDR verbreitet. 

    Den Zerfall der Sowjetunion 1991, berichtet Leventhal, hielt man dann für das Ende der sowjetischen Desinformationsaktivitäten, die US-Arbeitsgruppe wurde aufgelöst. Wiederbelebt wurden die US-staatlichen Anti-Desinfo-Instrumente laut Leventhal erst wieder 2016, nach Russlands Annexion der ukrainischen Halbinsel Krym und dem Beginn des russisch unterstützten Krieg im Osten der Ukraine: Der Kongress gründete das Global Engagement Center unter dem Dach des State Departement. 

    Das war in Trumps erster Amtszeit als US-Präsident. In der zweiten ließ Trump das Center im April 2025 von seinem Außenminister Rubio wieder schließen

    Dabei prägen laut Leventhal bis heute sowjetische Narrative die russländische Propaganda, zum Beispiel:  

    „Die Falschbehauptungen, die USA entwickelten und nutzten biologische Waffen, waren schon immer ein beliebtes Desinformationsthema für die sowjetischen Geheimdienste, da diese Waffen den Menschen Angst machen. Die Russen bedienen sich immer noch dieses Themas und verbreiten die falsche Behauptung, dass in der Ukraine angeblich amerikanische Biolabore tätig seien.“ 

    „Die wichtigsten und potenziell schädlichsten Desinformations- und Beeinflussungsoperationen zielen auf hochrangige Regierungsbeamte und Politiker in anderen Ländern ab, um sie zu Handlungen zugunsten Russlands zu bewegen. Öffentliche und verdeckte Einschüchterung oder Schmeichelei sind Standardmanipulationstechniken des KGB, die auf ausländische Führer abzielen. Die gewählten Methoden hängen dann von den spezifischen Schwachstellen der ausländischen Beamten oder Politiker ab. Die sowjetischen Nachrichtendienste versuchten oft, ausländische Führer davon zu überzeugen, dass die von ihnen befürchteten Schreckensszenarien eintreten würden, wenn sie eine antisowjetische Politik verfolgten. Die Methode war folgende: herausfinden, wovor die Zielperson am meisten Angst hat; dann eine Botschaft verfassen, die sie glauben lässt, dass ihre Ängste wahr würden, wenn sie nicht das tut, was der KGB von ihnen verlangt; wenn möglich, diese Botschaft durch eine Quelle übermitteln, der sie vertrauen und die im Idealfall heimlich vom KGB kontrolliert wird.“ 

    Dieses Vorgehen erkenne man heute wieder in den Kreml-Drohungen „Wir werden definitiv alle Waffensysteme einsetzen, die wir haben. Das ist kein Bluff“ – jedes Mal, wenn die Ukraine um Waffen bittet. Im Westen habe das Ängste vor einer Eskalation verursacht.  

    „Wir wissen, dass die russischen Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen im Krieg in der Ukraine das Handeln der USA und anderer westlicher Länder beeinflusst haben. Wir wissen, dass diese Regierungen über die Gefahr einer Eskalation sehr besorgt sind, und das ist auch gut so. Diese berechtigte Sorge stellt jedoch auch eine Schwachstelle dar, die ausgenutzt werden kann. Wir können davon ausgehen, auch wenn wir nicht sicher sein können, dass russische Geheimdienste Agenten unter ihrer Kontrolle einsetzen, um westliche Politiker mit vertraulichen Botschaften über ‚Schreckensszenarien‘, einschließlich eines Atomkriegs, zu versorgen.“ 

    Russländische und sowjetische Desinformationsaktivitäten seien darin „praktisch dasselbe“, sagt Leventhal:  

    „Das sind skrupellose Werkzeuge, die in dem ständigen Bemühen eingesetzt werden, diejenigen zu diskreditieren, zu diffamieren und zu schädigen, die die Russen als ihre Gegner betrachten, allen voran die Ukraine. Der Kreml setzt russische Geheimdienste und Presseagenturen ein, um denjenigen, die er als seine Gegner ansieht, auf jede erdenkliche Weise zu schaden, indem er jede Gelegenheit nutzt, sie zu schwächen, zu diskreditieren, in die Irre zu führen und zu verwirren. Im Zeitalter der Sozialen Medien ist es extrem einfach, Gerüchte zu verbreiten und ein ausländisches Publikum zu beeinflussen, das früher außerhalb der Reichweite der traditionellen, vor dem Internet existierenden Medien lag. Der russische Geheimdienst hat es heute viel leichter als der sowjetische Geheimdienst.“  

    Und er versuche auch bereits, KI-Programme und deren Inhalte zu beeinflussen. 

      

    Das gesamte Texty-Leventhal-Interview auf Englisch  
    und auf Ukrainisch vom 27.05.2025


    24.07.2025

    Carnegie Politika: Ministerselbstmord erschüttert Russlands politische Elite 

    Der Selbstmord von Roman Starowoit, dem ehemaligen Gouverneur der Oblast Kursk an der Grenze zur Ukraine und zuletzt Verkehrsminister Russlands, ist eine der wichtigsten innenpolitischen Nachrichten der letzten Zeit in Russland. Geradezu als „erschütternd für die russische Elite“ bezeichnet es die Politologin Tatjana Stanowaja in einem Artikel für Carnegie Politika. 

    Medienberichten zufolge wurde Starowoit, der 2019–2024 in der Oblast Kursk Regierungsoberhaupt war, der Unterschlagung von mehr als einer Milliarde Rubel (umgerechnet circa zehn Millionen Euro) verdächtigt, die eigentlich für die Befestigungen der Grenze zur Ukraine bestimmt gewesen waren. Doch im August 2024, knapp drei Monate, nachdem Starowoit als Verkehrsminister nach Moskau geholt worden war, griffen ukrainische Bodentruppen die Oblast Kursk an und besetzten einen Teil des Rajons um die Stadt Sudsha. Erst im April 2025 konnte die russische Armee die Ukrainer zurückdrängen. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde ein ehemaliger Stellvertreter von Starowoit in Kursk verhaftet.  

    Was Russland wehrlos macht, wird hart bestraft. 

    Vor dem großen Krieg gegen die Ukraine galt eine Inhaftierung von hochrangigen Staatsbeamten nur in wenigen Fällen als aussichtsreich, die bekanntesten waren Anatoli Serdjukow und Alexej Uljukajew. Der Tod von Starowoit nun dagegen, schreibt Stanowaja, „weist deutlich darauf hin, dass etwas in dem politischen System Russlands mittlerweile ganz anders funktioniert“. Wladimir Putin sei immer dafür bekannt gewesen, dass er in zwei Bereichen nachsichtig handelte: und zwar gegenüber der allgegenwärtigen Korruption und gegenüber Schwachen. Jetzt aber sei offensichtlich geworden, dass jegliche Aktivitäten bzw. Untätigkeit, die Russland wehrlos machten, hart bestraft werden. Dabei wird sehr subjektiv gedeutet, was gerade noch zulässig und was das neuerdings Unverzeihliche ist.  

    Die Wirtschaftswissenschaftlerin Alexandra Prokopenko, die sich auf die russischen Eliten spezialisiert, bewertet den Suizid von Starowoit – ebenfalls bei Carnegie Politika – als Zeichen dafür, wie „sich die innere Logik des Systems geändert hat“. Bis vor kurzem sei ein Ausscheiden aus der Politik für hochrangige Amtsträger ziemlich sicher gewesen, selbst bei Korruptionsvorwürfen. Im besten Fall habe man nach dem Rücktritt ins Ausland gehen können, im schlechtesten eine Freiheitstrafe auf Bewährung bekommen. Unter den neuen Umständen aber könne das System seinen Funktionären nicht einmal mehr ein Minimum an Sicherheiten bieten. Und das im Fall von Roman Starowoit sogar, obwohl er den Brüder Rotenberg-nahegestanden haben soll, die zu den einflussreichsten Leuten im heutigen Russland gehören. 

    Ein überwältigendes Gefühl von Hoffnungslosigkeit setzt neue Standards für das Verhalten der russischen Elite. Die Angst, im Knast zu landen, tötet im wahrsten Sinne des Wortes ihre Vertreter. 

    In seiner Freizeit, schreibt Prokopenko, sei Starowoit gerne Marathon gelaufen und habe Triathlon gemacht: „Diese Menschen sind es gewohnt, mit extrem hoher Belastung umzugehen.“ Sein Selbstmord weise also darauf hin, wie stark der Druck innerhalb des Systems gestiegen sein müsse, sodass er keinerlei Ausweg mehr gesehen habe. Weder eine hohe Position noch absichtliche Loyalität schützten noch. Der Druck müsse heute unerträglich sein.  

    Die vom Kreml gesteuerte Angst, auf der das System Putin basierte, ist außer Kontrolle geraten. 

    Vorstellbar sei nun, so Prokopenko, dass diese neue Diktatur der Angst eine Nachfrage nach transparenten und berechenbaren Institutionen und Regelwerken wecken könnte. Bei dem derzeitigen Ausmaß an Repression und Misstrauen jedoch könne die Hauptstrategie allerdings kaum in Reformen, sondern nur im reinen Überleben liegen. 

    „Das neue Unverzeihliche“ von Tatjana Stanowaja: 
    russischsprachiges Original vom 9. Juli 2025
    englischsprachige Version 

    „System ohne Ausgang “ von Alexandra Prokopenko: 
    russischsprachiges Original vom 8. Juli 2025 
    englischsprachige Version


    09.07.2025 

    Novaya Gazeta: Erfolg im Genre Denunziation  

    Das historische Gedächtnis Russlands verbindet Denunziationen vor allem mit dem Großen Terror. Doch 2014 beginnt eine neue Ära dieser Praxis: In der zunehmend autoritäreren Gesellschaft wird bürgerliches Engagement imitiert, das eigentlich politische Aufgaben des Regimes umsetzt. Die vollumfängliche russische Invasion in die Ukraine 2022 ist eine weitere Zäsur: Jetzt verbreitet sich das Denunzieren in neuen Bereichen, die früher als unpolitisch galten. Zum Beispiel in der Kinderliteratur.  

    Die Schriftstellerin Irina Lukjanowa beschreibt in der Novaya Gazeta die Geschichte ihrer Kolleginnen Irina Lissowa, die aber seit Februar 2022 alle digitalen Verbindungen in sozialen Netzwerken zu Lukjanowa und andere Autor:innen, die sich gegen den Krieg positionierten, entfernt hat.  

    Bis dahin war Lissowa nicht besonders berühmt. Doch 2024 begann sie ihre Denunziationsaktivitäten dann schon mithilfe ihres Telegram-Kanals mit über 50.000 Abonnent:innen. Ihre Zielpersonen sind in erster Linie russische Schriftsteller:innen, die gleich nach dem Angriff auf die Ukraine einen offenen Brief gegen den Krieg unterschrieben.  

    Lissowas Kollegen-Canceling 

    Sobald Lissowa eine:n dieser Kolleg:innen im Programm eines Literaturfestivals oder auf dem Plakat einer Bibliothek sieht, veröffentlicht sie unmittelbar einen Link auf diesen Brief mit einem höhnischen Kommentar. Sie kritisiert, wenn „antistaatliche“ Schriftsteller:innen für Literaturpreise nominiert werden, Verlage, die diese Autor:innen veröffentlichen, und schließlich die Buchmessen, auf der deren Bücher verkauft werden. Zu ihren ideologischen Hauptfeinden gehörten, so beschreibt es Lukjanowa, mittlerweile fast alle ehemaligen Freund:innen, Kolleg:innen und Socialmedia-Bekannten – die Kinderliteraturwelt in Russland ist ziemlich klein. 

    Lissowas will erreichen, dass niemand mehr Geld vom Staat bekommt, der:die die Regierungspolitik nicht vollständig unterstützt. Allen, die direkt oder indirekt staatliche Förderung bekommen, aber gleichzeitig den Krieg kritisieren, sollte ihrer Meinung nach das Geld entzogen werden. Sie müssten es dann selbst verdienen.  

    „Die Idee, dass du auf Geld verzichten musst, wenn du mit dem Staat nicht vollständig einverstanden bist, ist Wahnsinn: Der nächste Schritt wäre dann ja, allen Unzufriedenen die Rente oder die Krankenversicherung zu verweigern“, schreibt Lukjanowa. Das Problem bestehe ohnehin darin, dass der russische Kulturbereich seit langem stark vom russischen Staat kontrolliert wird, auch in Bezug auf Finanzierung. Es gibt praktisch kein „unabhängiges“ Geld. 

    Düstere Aussichten für Kinderliteratur 

    Lissowa aber möchte, so beobachten es andere Schriftsteller:innen, durch die bereits begonnene Neuaufteilung des Buchmarkts auch für sich einen besseren Platz in der Branche sichern. Das Problem dabei: Weder sie noch andere „patriotische“ Autor:innen haben bisher populäre Kinderbücher veröffentlicht, die „Helden der Spezialoperation“ glorifizierten oder ähnlichen Themen gewidmet wären und damit wirkliches Interesse beim Publikum hervorrufen konnten. Das räumt sogar die so genannte Z-Community ein.  

    „Der bisherige Spannungsbogen sieht wie folgt aus: eine hypertensive Krise [bei einem Opfer von Lissowas Denunziation], ein paar Entlassungen [von Personen, die sie angeschwärzt hat], ein fast gescheitertes Festival, dessen Programm zusammengestrichen wurde. Doch dies ist nur das Ende des ersten Bandes dieser Reihe. 

    Die Landschaft der Kinderliteratur erscheint nun etwa so, wie in einem hundert Jahre alten Märchen [„Die Riesenkakerlake“ (1921) von Kornej Tschukowski] beschrieben:  

    Und sie sitzen und zittern unter Büschen,  
    verstecken sich hinter sumpfigen Hügeln. 

    Man hört nur, wie ihre Zähne klappern,  
    man sieht nur, wie ihre Ohren zittern.“ 

     

    Russischsprachiges Original vom 16. Juni 2025

     


    27.06.2025 

    Pozirk: „Sie dachten, Kartoffeln wachsen im Internet“ 

    Der belarussische Kartoffelmarkt ist leergefegt, auch in Russland kommt es vermehrt zu Lieferengpässen. Hauptgrund für die Krise ist der niedrige Preis für die Erdknolle, der vom Lukaschenko-Staat festgelegt wird. Produzenten bringen ihre Bestände nicht auf den belarussischen Markt, sondern verkaufen sie weiter nach Russland, wo sie mehr Geld bekommen. Zudem werden sie von den planwirtschaftlichen Vorgaben abgeschreckt, in den Kartoffelanbau zu investieren. „Innerhalb von einem Jahrzehnt ist die Anbaufläche in Belarus laut einem Belsat-Bericht auf die Hälfte geschrumpft“, heißt es in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung. Hinzu kommt die ausgeprägte Dürre und in der Folge schlechte Ernte im Jahr 2024. Bei dekoder haben wir das Thema bereits mit einer Veröffentlichung von Mediazona Belarus beleuchtet.  

    Lukaschenko sucht die Gründe für die Kartoffelkrise nicht in seiner Regulierungspolitik, sondern – wie üblich – bei anderen. Die Schuldigen seien die „Händler“, die sich gegen ihn verschworen haben, die „Amerikaner“, die den freien Markt erfunden haben, seine unfähigen „Gouverneure“. Neuerdings attackiert er auch die Belarussen selbst und verlangt, dass sie auf ihren Datschen zum Spaten greifen sollen: „Was jammert ihr, was heult ihr? Wir haben genug Saatgut. Also pflanzt euch zwei Furchen!“ Der Journalist Alexander Klaskowski nimmt dies zum Anlass, in einem Artikel für Pozirk mit Lukaschenkos verfehlter Wirtschaftspolitik abzurechnen und dem Diktator selbst die Leviten zu lesen: „Während seiner dreißigjährigen Amtszeit hat der ehemalige Sowchosen-Direktor Lukaschenko viel Geld in landwirtschaftliche Kollektivbetriebe investiert. Und nun stellt sich heraus, dass er am Ende die Landgemeinden dermaßen angekurbelt hat, dass er seine Mitbürger auffordern muss, zu Eigenversorgung zurückzukehren?“ Zudem attackierte Lukaschenko spöttisch die Jugend, die zu faul sei, auf dem Feld zu arbeiten: „Sie dachten, Kartoffeln wachsen im Internet.“ Klaskowski rechnet vor, dass der IT-Sektor in Belarus sich zu einem äußerst produktiven Treiber des Bruttoinlandsproduktes entwickelte und damit auch den von Lukaschenko so geliebten Landwirtschaftssektor hinter sich ließ. Durch den zunehmenden Braindrain ist der Anteil des IT-Sektors am BIP jedoch stark zurückgegangen.  

    Ein weiterer Kritikpunkt von Klaskowski: Lukaschenko versuche, die Prinzipien seiner Landwirtschaft auf den Unionsstaat mit Russland zu übertragen. Der Diktator behauptet beispielsweise, dass die beiden Staaten gegen den Sanktionsdruck des Westens eine autarke Produktion und Industrie errichten könnten. Als Vergleich dient ihm die Sowjetunion. Der Journalist ruft in Erinnerung, dass die sowjetische Industrie auf den Westen angewiesen gewesen sei: „Stalins Industrialisierung basierte weitgehend auf westlicher Technologie. Damals entstanden in der UdSSR mit Hilfe ausländischer Unternehmen anderthalbtausend Fabriken und Werke. So wurde beispielsweise das Stalingrader Traktorenwerk zunächst in den USA gebaut, dann per Schiff transportiert und wieder aufgebaut. Das Gorki-Automobilwerk produzierte hauptsächlich Ford-Modelle.“ Klaskowski schließt seine Abrechnung mit einem alten Witz: „Wenn man einen Kommunisten mit der Herrschaft über die Sahara beauftragt, wird es dort an Sand mangeln.“ 

    Original vom 17.06.2025

    Übersetzung mit Google Translate

     


    13.05.2025 

    Frontliner: Wie weiter nach russischer Gefangenschaft und Folter? Ukrainer gründen „Alumni-Verein“ 

    Wenn Russland und die Ukraine Gefangene austauschen, passiert das unregelmäßig und überraschend. Nicht einmal die Namen der Ausgetauschten werden publik, bis der Austausch vollzogen ist. In der Ukraine sind diese Gefangenenaustausche für die kriegsgeplagten Menschen ein Fest, sie geben Hoffnung und bringen – durch spätere Interviews und die Dokumentation des Erlebten – die Abläufe, die Willkür und Gewalt in Russlands Haftstrukturen ans öffentliche Licht. 

    Doch was passiert mit den Betroffenen, nachdem sie aus russischer Kriegsgefangenschaft befreit werden konnten? Wie finden sie sich wieder ein in die ukrainische Gesellschaft, die sich gerade unter Kriegsbedingungen schnell verändert? Wohin gehen, wenn das Zuhause durch Russlands Krieg zerstört worden ist? Wenn Angehörige geflohen sind oder getötet wurden? Wie umgehen mit Traumatisierung, Triggerpunkten, gesundheitlichen Schäden, Alltagsroutine und Schuldgefühlen? 

    Das ukrainische Reportageportal Frontliner berichtet über einen besonderen Verein, den aus russischer Gefangenschaft freigekommene Ukrainer gegründet haben. 

    Olexii Siwak war während der russischen Besatzung 2022 seiner südukrainischen Heimatstadt Cherson gefangengenommen worden, konnte jedoch kurz vor der Rückeroberung im Herbst durch ukrainische Truppen aus der Gefangenschaft freikommen (Rubryka berichtet detailliert über seine Geschichte). Wie tausende Ukrainer in russischen Folterkammern, erlebte er Schläge, Folter und sexuelle Gewalt. Nach seiner Freilassung suchte er nach Reha-Möglichkeiten, doch die meisten staatlichen und internationalen Programme spezialisierten sich auf betroffene Frauen und Kinder.  

    Um eine systematische Unterstützung aller von Russlands Haftgewalt Betroffenen aufzubauen, gründete Siwak eine NGO – und nannte sie, nicht ganz unironisch, Wypusknyky (Wortspiel: Freigelassene und Alumni). Dieses Netzwerk unterstützt nun hunderte Männer, die russische Gefangenschaft überlebt haben. 

    Einer der ersten war Danyjil Bulgakow aus Donezk: Er war 16 und machte eine IT-Ausbildung, als 2014 von Russland unterstützte Gruppen die sogenannte Donezker Volksrepublik ausriefen. Nach seinem Abschluss zog er nach Slowjansk, dann Charkiw, arbeitete als Informatiklehrer und lebte glücklich mit seiner Freundin zusammen. Bis er ein paar Jahre später nach Donezk zurückkehren musste, um seine krebskranke Großmutter zu pflegen.  

    2020 wurde Danyjil Bulgakow dort verschleppt und angeblicher Spionage bezichtigt. Er wurde mit Elektroschocks gefoltert, man schliff ihm Zähne ab, bis sich der Kiefer entzündete. Nachdem er ein Schuldeingeständnis unterschrieben hatte, wurde er ins berüchtigte Gefängnis Isolation gebracht, das auch der ukrainische Journalist Staniyslaw Assjejew durchlaufen musste und später in einem Buch beschrieb. 

    Bulgakow erlebte in Gefangenschaft Folter, regelmäßige Schläge und Hunger. In Gefangenschaft erfuhr er auch vom Beginn der umfassenden Invasion Russlands in die Ukraine und vom Tod seiner Verwandten. Bulgakow konnte erst im Januar 2024 in das von der Ukraine kontrollierte Gebiet zurückkehren.  

    Doch die Euphorie über die Rückkehr auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet verflüchtigte sich innerhalb eines Monats. Seine Hoffnung, dass hier jemand auf ihn wartete, zerschlug sich schlagartig, als er in einem Regierungsbüro hörte: „Es wäre besser gewesen, du wärst dortgeblieben, du machst nur noch mehr Arbeit.“ Ihm fehlten ein gültiger Pass, Geld, Unterkunft etc. Sein Eindruck: „Du sitzt da in Gefangenschaft und glaubst an deinen Staat. In Wirklichkeit existieren wir nicht für den Staat. Du merkst, dass dich niemand braucht", sagt Danyjil. 

    Erst seit er Olexii Siwak und den Verein Wypusknyky kennt und über dessen Netzwerk alle nötige Beratung, Kontakte und Unterstützung organisieren konnte, fühlt er sich besser. Mittlerweile arbeitet er mit als Koordinator.  

    Heute zählt das „Alumni“-Netzwerk über 400 Mitglieder und arbeitet mit verschiedenen Stiftungen und Wohltätigkeitsorganisationen zusammen. Ihre Vertreter beraten politische Arbeitsgruppen, die Gesetze zu beispielsweise konfliktbedingter sexueller Gewalt und Entschädigungen erstellen, und Regierungsbeamte zur Kommunikation mit traumatisierten Personen. 

    Im Dezember 2024 schickten die „Alumni“ einen Brief an die Vereinten Nationen. Im Namen derjenigen, deren Leben durch russische Verbrechen zerstört wurde, fordern sie, dass Russland in den Jahresbericht der UN über sexuelle Gewalt in Konfliktgebieten aufgenommen wird. In dem Brief heißt es: „Wenn die UN Russland nicht als Kriegsverbrecher bezeichnet, macht sich die Organisation mitschuldig an dessen Verbrechen.“ 

     

    Ukrainisches Original vom 21. Februar 2025
    Hier auf Englisch

     


    03.04.2025

    Meduza / Sistema: Sind im Kampf gegen das Regime alle (finanziellen) Mittel recht?

    Lange schon wird in Russland darüber diskutiert, ob es eine „Gegenelite“ im Land gibt, die im Verborgenen die Oppositionsbewegung unterstützt – auch finanziell. Immer wieder fiel in diesem Zusammenhang der Begriff von ein „Spaltung der Elite“: Kann der Punkt kommen, an dem sich die scheinbar loyalen Wirtschaftseliten von Putin abwenden und sich gegen das Regime wenden? Derlei Spekulationen nährten die Hoffnung – oder eher die Illusion –, dass auch in Russland eine friedliche Revolution möglich sei, ähnlich dem Maidan in der Ukraine, der ebenfalls von wohlhabenden ukrainischen Geschäftsleuten unterstützt wurde. 

    Lange blieb es bei Spekulationen und Verschwörungstheorien über reiche und mächtige Hintermänner der demokratischen Opposition in Russland. Fundierte Recherchen dazu fehlten. Eine der wenigen Ausnahmen war der Unternehmer und Mäzen Boris Simin, der heute in Israel lebt und früh offen Alexej Nawalny und dessen Fonds zur Korruptionsbekämpfung (FBK) unterstütze. 2024 stellte er die Unterstützung ein. Ein anderes Beispiel ist Michail Chodorkowski, der mit seiner Open Russia Foundation offen oppositionelle Kandidatinnen und Kandidaten bei Wahlen unterstützte. 

    Das nichtstaatliche Medien bislang wenig über diese Vorgänge berichteten, hängt offensichtlich damit zusammen, dass sie selbst zumindest Teilweise von solchen Förderern profitierten. Nun haben Journalistinnen und Journalisten des Exilmediums Meduza gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von Sistema (ein Investigativprojekt der von der US-Regierung finanzierten Sender Radio Liberty und Current Time) erstmals in einer umfassenden Recherche nachgezeichnet, wie und warum unterschiedliche Unternehmer seit dem russischen Überfall auf die ganze Ukraine und der Flucht oppositioneller Politiker, Aktivisten und Redaktionen ins Exil politische und zivilgesellschaftliche Projekte fördern. 

    Wir fassen die Recherche in Stichworten zusammen. Der ganze Text ist hier auf Russisch zu finden. Und hier in Übersetzung mit Google  

    Die Beweggründe der Geldgeber 

    Die Motive sind vielschichtig: 

    • Politische Ambitionen 

    Laut mehreren Gesprächspartnern stammen die größten Spenden für oppositionelle Aktivitäten derzeit von Leonid Newslin und Michail Chodorkowski. Die beiden ehemaligen Yukos-Aktionäre spielten in den jüngsten Kontroversen innerhalb der russischen Opposition eine zentrale Rolle – insbesondere Newslin, aber auch Chodorkowski als dessen langjähriger Vertrauter. Kritiker werfen Chodorkowski vor, eine absolute Vorherrschaft in der Oppositionspolitik anzustreben, er selbst streitet das ab. 

    Newslin hegt zudem die Hoffnung, eines Tages 50 Milliarden Dollar von der russischen Regierung zu erhalten – eine Entschädigungssumme, die der Ständige Schiedshof in Den Haag den ehemaligen Yukos-Aktionären zugesprochen hat. Ein Bekannter Newslins berichtet, dieser sehe andere oppositionelle Akteur:innen vor allem als potenzielle Konkurrent:innen. 

    • Persönliche Beziehungen 

    Michail Fridman war über Jahre hinweg ein enger Freund von Boris Nemzow. Im Jahr 2018 stellte er der von Nemzows Tochter Shanna in Deutschland gegründeten Stiftung 200.000 Dollar zur Verfügung. Zu jener Zeit lagen seine geschäftlichen Interessen überwiegend in Russland. Shanna Nemzowa erinnert sich, dass Fridman die gesamte Summe in bar übergab und zur Bedingung machte, die Spende geheim zu halten – die Förderung eines offen oppositionellen Projekts wäre für ihn „extrem gefährlich“ gewesen. 

    • Ideologische Beweggründe 

    Wadim Beljajew, einst ein erfolgreicher Banker in Russland, überraschte 2012 das Publikum einer von seiner Firma geförderten Veranstaltung im Kremlpalast, als er von der Bühne aus zur Teilnahme an den damaligen Protesten gegen Putin aufrief. Nach seiner Ausreise 2017 begann er, Nawalny FBK-Stiftung finanziell zu unterstützen. Nach Beginn des Krieges im Jahr 2022 spendete er rund 500.000 Dollar, um den oppositionellen Fernsehsender Doshd im Exil neu zu beleben. Heute lebt er in Texas. 

    Ein weiterer Unterstützer ist Ilja Jurow, ebenfalls Banker und früherer Förderer des FBK. Bereits in Russland hatte er Nawalny persönlich kennengelernt und „unregelmäßige Spenden“ geleistet. Heute bezeichnet er die Summen jedoch als eher gering. Er erhielt politisches Asyl in Großbritannien. 

    Schwierige Abgrenzung der Motive 

    Die Trennung persönlicher und idealistischer Beweggründe von pragmatischen Interessen gestaltet sich oft schwierig. Ein Beispiel ist Michail Fridman, der 2022 von der EU mit Sanktionen belegt wurde. In der Folge bat er Shanna Nemzowa ihren Aussagen zufolge, ein Video aufzunehmen, das seine Unterstützung der Stiftung bestätigt. Ähnliche Bitten richtete er auch an andere prominente Oppositionelle – manche, darunter Ilja Jaschin, Dmitri Muratow und Leonid Wolkow, unterzeichneten Solidaritätsbriefe; andere, wie Shanna Nemzowa, lehnten ab. Nemzowa betont, sie habe erwartet, dass Fridman sich zunächst klar gegen die russische Aggression positioniere – was bis heute nicht geschehen sei. 

    Auch Vadim Beljajew und Ilja Jurow sehen sich mit Zweifeln konfrontiert. Beide waren Miteigentümer von Banken, die in Russland bankrottgingen, und präsentieren nun ihre Verbindungen zur Opposition als Beleg dafür, dass die gegen sie gerichteten Strafverfahren politisch motiviert seien. 

    Der brisanteste Fall betrifft Sergej Leontjew und Alexander Shelesnjak, einst Miteigentümer der „Probisnesbank“, die 2015 insolvent wurde. Beide leben seitdem im Exil in den USA. Maxim Katz wirft Leontjew vor, Hunderte Millionen Euro aus dem Firmenvermögen veruntreut und seine Spenden an den FBK als Imagekorrektur genutzt zu haben. Shelesnjak, der bis dahin als Finanzvorstand der US-Niederlassung des FBK tätig war, trat nach Veröffentlichung der Recherchen zurück. 

    Unterstützung um jeden Preis?

    Angesichts solcher Verstrickungen stellt sich die Frage: Sollten oppositionelle Politiker:innen, Journalist:innen oder zivilgesellschaftliche Akteur:innen Geld annehmen, wenn die Herkunft und die Motive der Geldgeber fragwürdig sind? Trotz gegenseitiger Vorwürfe halten einige Vertreter:innen der Opposition die finanzielle Unterstützung für unverzichtbar – besonders in Kriegszeiten. 

    Einige von ihnen ziehen Parallelen zur Geschichte: „Bei aller Abneigung gegen Lenin – als er das Geld von den Deutschen annahm, handelte er nach einer klaren politischen Logik und gewann“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer Dmitry Nekrasow. 


    26.03.2025

    Texty: Terroranschläge via Telegram 

    Seit Monaten halten Sprengstoffanschläge die ukrainischen Sicherheitsbehörden in Atem. Bereits im vergangenen Jahr sind rund 450 Personen in der Ukraine festgenommen worden, weil sie laut SBU mutmaßlich auf Initiative russischer Geheimdienste Anschläge auf Militärgebäude oder andere ukrainische Institutionen vorbereitet oder ausgeführt haben sollen.  

    Drei Fälle 2025: 

    Am 1. Februar explodierte in einem ukrainischen Kreiswehramt in Riwne ein Sprengsatz, tötete den mutmaßlichen Attentäter und verletzte acht Soldaten. Wie die Ukrajinska Prawda mit Verweis auf Informationen des SBU berichtet (eng), habe der 21-Jährige aus der Region Shytomyr zuvor auf Telegram nach Möglichkeiten gesucht, leicht Geld zu verdienen.  Ein russischer Geheimdienstoffizier habe ihn rekrutiert und ihm Geld geboten. Der Angeworbene sollte sich mit einem im Rucksack versteckten improvisierten Sprengsatz nach Riwne begeben. Der Sprengsatz war mit einem Mobiltelefon verbunden, was den Auftraggebern ermöglichte, über die Kamera zu verfolgen, wann der Angeworbene das Armeegebäude betritt, und dann die Fernzündung auszulösen.  

    Am 12. März ist bei zwei Explosionen in der Nähe des Hauptbahnhofes im westukrainischen Iwano-Frankiwsk ein Jugendlicher getötet, ein zweiter sowie zwei Passanten verletzt worden. Die Ermittlungen des SBU und der Polizei ergaben, dass der russische Geheimdienst die beiden Jugendlichen, 17 und 15 Jahre alt, via Telegram für umgerechnet 1700 US-Dollar angeworben hatte, nach Anleitung in einem eigens dafür angemieteten Zimmer im Zentrum zwei als Thermosflaschen getarnte Sprengsätze mit Fernzünder zu bauen und diese dann an speziellen Plätzen abzustellen. Wieder verfolgten die Auftraggeber die Ausführung live. Die Sprengsätze wurden auch hier ferngezündet, berichtet die Ukrajinska Prawda (eng)

    Am 23. März explodierte in einem Polizeirevier in einer Kleinstadt bei Odesa ein Sprengsatz, den mutmaßlich eine Frau in einer Plastiktüte in das Gebäude gebracht hatte. Drei Polizisten wurden leicht verletzt, die Frau kam ums Leben. Wie das Newsportal Dumska aus Odesa berichtet, sei auch hier ein Fernzünder eingebaut gewesen, die Sicherheitskräfte vermuteten wieder russische Auftraggeber. 

    Die Recherche:  

    Wie solch ein Anwerben potenzieller, meist junger Attentäter durch russische Geheimdienste per Telegram funktioniert, hat die Redaktion des Onlinemediums texty.org recherchiert (eng):  

    Die ganze Geschichte begann in einem halbdunklen unterirdischen Fußgängerübergang in einem Wohngebiet der Hauptstadt. Ein Bekannter eines der Autoren dieses Artikels entdeckte ein seltsames Graffiti mit der Adresse eines Telegram-Kanals. Neugierig geworden, folgte er der Adresse. 

    Die weiteren Ereignisse entwickelten sich wie in einem Detektivroman: Auf den ersten Blick schien der Link ein einfacher Klon typischer russischer Propaganda-Quellen über die Arbeit des Rekrutierungsamtes zu sein [Spezielle russische Desinformationskampagnen via Social Media bringen die Mobilisierung für die ukrainische Armee seit Langem gezielt in Misskredit. – dek]. Alles entsprach den Propagandanachrichten: ein Video, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann zur Mobilisierung in ein Auto gezerrt wird, verzweifelte Kommentare seiner Familie und wütende Beiträge des Admins, wie lange das noch so weitergehen könne. So wurden wir allmählich, aber sehr eindringlich, zur Notwendigkeit echter Gewalt gegen Vertreter der Rekrutierungsämter und der ukrainischen Behörden im Allgemeinen geführt. 

    Später erhielten die Rechercheure eine Preisliste: „für persönliche Daten von Mitarbeitern der Rekrutierungsämter – 100 US-Dollar, Brand in einem Dienstwagen – 2000 Dollar/Minibus – 3000 Dollar. 5000 US-Dollar für ein abgebranntes Rekrutierungsbüro, Preis auf Verhandlungsbasis für einen ‚neutralisierten Nazi‘.“ 

    All dies war so einfach und offen, dass wir uns bis zu einem gewissen Punkt fragten, ob es sich um eine Falle des ukrainischen Geheimdienstes handelte, der versuchte, potenzielle Kollaborateure zu erwischen. Also beschlossen wir, mit dem Administrator des Telegram-Kanals zu sprechen, um mehr herauszufinden. 

    Es folgten Online-Formulare über Kenntnisse und Fähigkeiten sowie ein Online-Interview zur persönlichen Motivation. Daraufhin erhielten die Journalisten Auftragsangebote: für 30 Graffiti mit Foto-Beleg wurden ihnen bis zu 160 US-Dollar versprochen. Später sollte es mehr Geld geben – für Brandanschläge auf Autos.  

    Geld zu verdienen ist in der Kriegszeit wichtig für die Menschen in der Ukraine, gerade für Jugendliche: Die Löhne sinken (vor allem im öffentlichen Dienst), die Preise steigen, darüber hinaus müssen zusätzliche Bedarfe von Militär oder Kriegsschäden gedeckt werden.  

    Die Texty-Journalisten stießen letztlich auf ein ganzes Netzwerk solcher Kanäle. Viele davon kamen ganz ohne „Russische Welt“-Propaganda aus, und boten einfach Geld. Über jugendliche „Interessierte“ freuten sich die Telegram-Admins besonders. Außerdem würden auch Kontaktpersonen, die der russischen Seite Koordinaten ukrainischer Militärstellungen übermitteln, häufig online gesucht und gefunden, schreiben die Autoren. Im Land laufen bereits mehrere Verfahren gegen Personen, die auf diese Weise Ziel-Koordinaten für russische Luftangriffe geliefert haben könnten. 

    Über das Gefahrenpotential des in der Ukraine weit verbreiteten Social-Media-Dienstes Telegram berichtet Texty außerdem in einem ausführlichen Analyse-Artikel (eng)

    Wegen der zunehmenden Online-Anwerbung ukrainischer Jugendlicher als potenzielle Attentäter, hat der ukrainische Geheimdienst mittlerweile einen Chat-Bot eingerichtet, in dem solche Anwerbeversuche gemeldet werden können – tatsächlich ebenfalls via Telegram. In Schulen wird darüber aufgeklärt und vor den Folgen gewarnt. Am 20. März meldete so beispielsweise ein Sechstklässler in Ternopil, dass Unbekannte versucht hätten, ihn über Telegram anzuwerben. 

    Hintergrund:  

    Neben diesen mutmaßlich angeworbenen Sprengstoffanschlägen kommt es wegen der drängenderen Mobilisierung wehrfähiger Männer in der Ukraine tatsächlich immer wieder zu einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen jenen, die nicht zum Krieg eingezogen werden wollen, beziehungsweise deren Angehörigen und Armeevertretern.  

    Ähnliche Vorfälle hat es in der Vergangenheit auch in Russland gegeben: Als sich nach der Teilmobilmachung im Herbst 2022 Brandanschläge auf russische Rekrutierungsbüros häuften, brachten die Behörden die Ereignisse mit Online-Anwerbung der Täter durch den ukrainischen Geheimdienst in Verbindung (BBC Russia, censor.net (rus)). 


    20.02.2025

    Carnegie Politika: Nicht verstandene Lektionen. Warum es Trump kaum gelingen wird, Moskau und Kyjiw zum Frieden zu zwingen.

    Trump will mit Putin über die Ukraine verhandeln – Ukrainer und Europäer müssen vor der Tür warten. Während in Europa Entsetzen herrscht, erinnert Michail Korostikow daran, dass Donald Trump in der Vergangenheit ähnliche außenpolitische Initiativen startete, die alle nach demselben Muster und schließlich im Sande verliefen. Zum Beispiel seine Treffen mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un: 

    „Trump packt tatsächlich gern Konflikte an, die bis dahin als unlösbar galten. Aber sein Enthusiasmus hat auch eine Kehrseite – Trump beschäftigt sich nicht gern mit Details und er verliert schnell das Interesse, wenn sich ein Problem nicht auf Anhieb lösen lässt“, schreibt Korostikow. 

    Kurz vor dem Beginn von Trumps erster Amtszeit im Jahr 2016 hatte Nordkorea zwei Atomtests durchgeführt und mit unterschiedlichem Erfolg mehrere Raketen gestartet. Als Reaktion darauf verhängte der UN-Sicherheitsrat in seltener Einheit harte Sanktionen gegen das Land. Viele Experten waren damals der Meinung, dass Kim einfach nicht auf sein Atomprogramm verzichten kann, weil es eine Überlebensfrage für sein Regime sei. Ähnliches wird heute über Wladimir Putin und die Kontrolle über die Ukraine gesagt. Doch Trump habe es damals trotzdem versucht, um der ganzen Welt zu beweisen, dass er auch den schwersten internationalen Konflikt mit Leichtigkeit zu lösen imstande ist. 

    Der US-Präsident begann mit einer Drohung: Er drohte Pjöngjang mit „Feuer und Zorn, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat“ (vergleichbar mit den jüngsten Drohungen, Russland mit Sanktionen zu belegen, wie es sie noch nie gegeben hat, während er die Härte der bestehenden Sanktionen als ‚3 von 10‘ einstufte). Offensichtlich unbeeindruckt von diesen Drohungen führte Kim Jong-un einen sechsten Atomtest durch und erhöhte sogar den Einsatz noch, indem er über die Dauer von einigen Monaten den USA und ihren Verbündeten mit einem Atomkrieg drohte. 

    Die Olympischen Winterspiele in Südkorea Anfang 2018 habe Kim dann zum Anlass genommen, seine Taktik zu ändern und Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. 

    Trump sah die Gelegenheit gekommen, den Konflikt rasch zu lösen. Dabei verkündete die US-Administration ambitioniert eine „schnelle, umfassende, unumkehrbare und überprüfbare Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel“ (das kann man mit den jüngsten Versprechungen vergleichen, den russisch-ukrainischen Krieg „innerhalb von 24 Stunden nach Amtsantritt“ oder maximal „binnen 100 Tagen“ zu lösen). 

    Um Kim zur Erfüllung dieser Wünsche zu bewegen, war Trump zu bisher beispiellosen Zugeständnissen bereit. Der US-Präsident stimmte einem ersten und dann auch einem weiteren Gipfeltreffen der beiden Staatschefs zu, das erste 2018 in Singapur, das zweite im Jahr darauf in Vietnam. Entgegen seiner traditionellen Streitlust, bemühte sich Trump ganz offensichtlich, die Situation mit den Augen seines Opponenten zu betrachten. Deshalb sagte er die gemeinsamen Manöver ab, die die USA und Südkorea für den Juni 2018 geplant hatten, und nannte sie „sehr provokative Kriegsspiele“ (denken Sie hier an seine jüngsten Erklärungen, am russisch-ukrainischen Krieg trage zuallererst Joe Biden die Schuld).  

    Zum Dank habe Trump aus Pjöngjang überschwängliche Lobesworte erhalten, die ihm in seiner Heimat oft verwehrt blieben. Ganze 27 „Liebesbriefe“ – so drückte Trump sich aus – habe Kim ihm geschrieben. Das sei unterm Strich dann aber auch das einzige Ergebnis seiner Charme-Offensive an den nordkoreanischen Diktator geblieben, resümiert Korostikow: „Nordkorea hat nicht auf seine Atomwaffen verzichtet, die Beziehungen zu den USA und ihren Verbündeten verschlechtern sich weiter und die Atomtests werden fortgesetzt.“  

    Offenbar war Trump im Umgang mit Kim seiner bewährten Verhandlungstaktik gefolgt: Er zählte darauf, dass die Härte der amerikanischen Drohungen den nordkoreanischen Diktator zunächst in Schrecken versetzen, und dass er anschließend unter dem Eindruck der plötzlichen Großherzigkeit der Amerikaner dahinschmelzen werde. Unter dem Eindruck dieser emotionalen Achterbahnfahrt sollte er dann etwas unterschreiben, das die Situation grundlegend ändert.  

    Eine solche Taktik hatte in den Jahren 2017/2018 tatsächlich im Umgang mit einigen Ländern funktioniert, die von den USA abhängig sind. Etwa bei den Handelsgesprächen mit Kanada, Mexico und Südkorea. Sie alle ließen sich dazu drängen, bestehende Verträge aufzulösen und neue Handelsvereinbarungen zu schließen, die für die USA vorteilhafter waren. Aber dasselbe von Nordkorea zu erwarten, dessen Wirtschaft völlig von den USA abgeschottet ist, erschien seltsam. Es verwundert daher auch nicht, dass derselbe Ansatz in den Beziehungen zu Pjöngjang scheiterte. 

    Ähnlich sei es Trump mit diesem Ansatz mit einer Reihe anderer Länder ergangen. Etwa mit China oder bei dem Versuch, mit Putin eine Einigung zu Syrien zu erzielen oder den Iran zum Verzicht auf sein Atomprogramm zu bewegen.  

    Einen ähnlichen Ausgang erwartet Korostikow für Trumps Ukraine-Initiative: „Nach dem zweiten Treffen wird Trumps Interesse an dem Thema unweigerlich nachlassen, und der russisch-ukrainische Konflikt wird endgültig den Europäern überlassen.“  

    Das vollständige Original auf Russisch (17.02.2025)


    22.01.2025

    Texty: Ukrainische Kriegsgefangene – drei Geschichten aus einem russischen „Todeslager“ 

     „Im September 2022 erhielt ich den einzigen Brief meines Mannes aus der Gefangenschaft. Er war auf Russisch geschrieben: ‘Hallo, meine Frau. Ich befinde mich in Gefangenschaft in der Russischen Föderation. Wurde verwundet. Sie ernähren mich und geben mir Kleidung und sorgen für die nötige medizinische Versorgung. Ich warte auf einen Austausch und eine schnelle Rückkehr nach Hause.’  Zweifellos wurde ihm dieser Brief diktiert. Aber schon das war eine große Freude für mich – eine Bestätigung, dass mein Mann am Leben war.“ 

    Das berichtet dem ukrainischen Recherchemedium Texty.org.ua Oksana Hryzjuk, die Ehefrau von Oleksandr Hryzjuk, der im April 2022 im Verteidigungskampf gegen die russische Armee in der Ukraine gefangen genommen worden war.  Im Januar 2024 wurde seine Familie informiert, dass nur sein Leichnam aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück in die Ukraine überstellt werden konnte.  

    Bei der Recherche zu den Haftbedingungen ukrainischer Kriegsgefangener in russischen Gefängnissen stoßen die Texty-Journalisten dann auf Ungereimtheiten – auch bei den ukrainischen Behörden im Umgang mit aus Russland übermittelten Daten. Die Autoren kritisieren, dass man beispielsweise in Russland bescheinigte Todesursachen ukrainischer Kriegsgefangener zu leichtfertig übernehme, ohne die konkreten Umstände zu hinterfragen und selbstständig zu ermitteln. 

    Allein dass die ukrainischen Kriegsgefangenen in Russland in regulären Strafvollzugsanstalten statt in eigenen Einrichtungen für Kriegsgefangene interniert werden, verstößt laut dem ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Dmytro Lubinez und der Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen (Abschnitt 2, Artikel 22) gegen geltendes Völkerrecht. Zudem sind seit Jahren Folterskandale in russischen Gefängnissen bekannt. In Russlands großem Krieg gegen die Ukraine entscheiden sich so manche russische Männer gar für Front statt Knast

    Oleksandr Hryzjuks Frau Oksana fährt fort: 

    „Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Als wir am 25. Januar nach Kyjiw zur Identifizierung des Leichnams kamen, war ich schockiert von dem, was ich sah. Es war ein grausamer Anblick. Was mich am meisten bestürzte, war, wie abgemagert sein Körper war. Der Pathologe sagte, dass er weniger als 50 Kilogramm wog. 

    Dabei war Sascha groß – 1,80 Meter. Vor seiner Gefangenschaft wog er 110 Kilo und war gesund. Was von ihm übrig war, waren nur noch Haut und Knochen. Sein Kopf war voller Blutergüsse, seine Nase war schief, und an seinen Zeigefingern fehlten die Nägel. Ob sie herausgerissen oder zertrümmert wurden, weiß ich nicht. Überall an seinem Körper waren Folterspuren zu sehen. 

    Seine Zellengenossen erzählten mir später, wie sie gefoltert wurden. Jeden Tag wurden sie verprügelt. Sie wurden entweder in der Zelle geschlagen oder nach draußen gebracht. Sie schlugen sie sehr brutal, besonders meinen Mann. Denn er war groß, stattlich, aus der Westukraine und wollte kein Russisch sprechen.  

    Zu essen bekamen sie kaum etwas. Am Feiertag liefen Hunde auf dem Gefängnishof herum. Die Wärter sammelten die Reste des Hundefutters ein, mischten Hundehaare dazu und gaben es ihnen [den Gefangenen – dek] als Essen. 

    Als wir die Sterbeurkunde erhielten, stand dort Tuberkulose. Das Gleiche gilt für die Todesursache. In der russischen Zusammenfassung heißt es, er sei in einem Krankenhaus gestorben, und die Todesursache sei eine Lungenentzündung gewesen. Von unserer Seite heißt es Tuberkulose und Lungenversagen. Aber ich verstehe nicht, warum unsere Seite im Wesentlichen die russische Position akzeptiert und die Todesursachen einfach auf Krankheiten zurückführt. 

    Es wird mit keinem Wort erwähnt, dass er in Kriegsgefangenschaft war. Es stellt sich also heraus, dass die russische Seite so human war, dass sie ihn zur Behandlung in ihr Krankenhaus gebracht hat? Und im Bürgeramt bei uns antwortet man mir: ‘Was können wir tun, wenn das die Dokumente sind, die er bei sich hatte?’ 

    Nun wurde das Material an die Staatsanwaltschaft übergeben. Dort hat man den Fall unter Artikel 438, Teil 1 des Strafgesetzbuches der Ukraine (grausame Behandlung von Kriegsgefangenen oder Zivilisten – Texty) neu eingestuft. Ich hoffe, dass die richtigen Schlüsse gezogen werden.“ 

    Texty hat die Geschichte von Oleksandr Hryzjuk sowie zwei weiteren ukrainischen Kriegsgefangenen in ein und demselben russischen Gefängnis dokumentiert: der Isolationshaftanstalt Nummer 2 in Wjasma (Oblast Smolensk).  

    Nur einer von den Dreien, Oleksii Krezu, kann selbst berichten – denn er hat überlebt. Und er kann den Tod von Oleksandr Hryzjuk in Wjasma bezeugen.  

    Seit seiner Befreiung werden Krezus Tuberkulose- und Hepatitis-B-Erkrankungen behandelt, die er sich in Gefangenschaft zugezogen hat. 

    Das vollständige Original auf Ukrainisch (25.06.2024) / auf Englisch 


    30.12.2024

    Frontliner: Wie Russland die Bergleute im Osten der Ukraine instrumentalisierte, um sich den Donbas einzuverleiben – eine Familiengeschichte 

    „Die Geschichte meines Großvaters ist typisch für einen großen Teil der älteren Generation in der Region. Solche gebrochenen Leben sind zu Steinen in jener Mauer geworden, die Russland seit Jahrzehnten zwischen dem Donbas und dem Rest der Ukraine zu errichten versucht.“   

    Woher kommt die Unterstützung für die russischen Besatzer im Osten der Ukraine? Wie zerbrechen ganze Familien über politischen Konflikten? Der ukrainische Journalist Danylo Bumazenko hat die Geschichte seines Opas für das ukrainische Reportagemedium Frontliner aufgeschrieben und erforscht an diesem persönlichen Beispiel, wie sich die russische Weltsicht im Donbas ausbreitete. 

    Er berichtet von der Umsiedlung russischer Arbeiter in den Donbas und vom relativen Wohlstand durch harte Arbeit. Er erzählt liebevoll von Details aus dem sowjetischen Alltag, aber auch von der Bergbaukrise Ende der 1980er Jahre und Demos der Bergleute für Wohlstand und gegen die Kommunistische Partei bis zum Protestmarsch nach Kyjiw. 

    Großvater Anatoli geht 1991 in Rente – in dem Jahr, in dem die Ukraine ihre Unabhängigkeit erreicht. Er ist dafür, obwohl er sich weiter als Russe identifiziert. Denn er will der „roten Seuche“ entfliehen, die ihm in den letzten Jahren das Leben so schwer gemacht hatte.

    Die wirtschaftliche Lage nach dem Zerfall der Sowjetunion ist katastrophal: Hyperinflation, wilde Privatisierungen, Währungswechsel. Nach zwei Jahren Pause geht Anatoli wieder arbeiten – jetzt Gelegenheitsjobs statt Bergwerk. Immer seltener reisen er und seine Frau zu den Kindern nach Poltawa. Als die Frau stirbt, versinkt er in Einsamkeit – und im russisch dominierten Fernsehprogramm. Als seine Tochter ihm einmal am 23. Februar zum „Tag des Vaterlandverteidigers“ gratuliert, beschimpft er sie und ihre Familie als Banderowzy

    Bis zu seinem letzten Tag hatte Anatoli das Gefühl, dass jeder in diesem Land ein Fremder für ihn war. Seine Tochter Switlana zog zu ihrer Schwester Iryna nach Poltawa, reiste jedoch mehrere Monate lang in die besetzten Gebiete, um ihre Habseligkeiten und Dokumente abzuholen.  

    Sie sagte, sie habe Explosionen gehört und an manchen Orten russische Flaggen gesehen. Anatoli glaubte seiner Tochter nicht. „Bist du verrückt, oder was?“, antwortete er. Er glaubte, die Ukrainer würden lügen und die Russen seien Opfer von Verleumdungen. Er sagte, die Ukrainer seien mit sich selbst im Krieg. Manchmal hatte Anatoli Angst, die Wohnung zu verlassen und nach draußen zu gehen, weil er befürchtete, jemand würde ihm wegen seiner politischen Ansichten ins Gesicht spucken. 

    So lebten sie fünf Jahre lang nebeneinanderher, bis der ehemalige Bergmann an Leberzirrhose starb, vielleicht auch an all der Wut und all dem Hass auf alle um sich herum. Anatolii hat Russlands großen Krieg gegen die Ukraine nicht mehr erlebt. 

    Illustriert wird diese sehr persönliche Geschichte mit Dokumenten aus dem privaten Familienarchiv sowie Bildern des ukrainischen Fotografen Walerii Milosserdow aus dessen 1990er-Jahre-Serie „Verlassene Leute“.   

    Original auf Ukrainisch (14.12.2024) / auf Englisch 


    22.12.2024

    Texty: Wie Russland ukrainische Kriegsgefangene vors Gericht zerrt 

    „Ich verpasse euch Elektroschocks, und ihr müsst rufen, dass ihr glücklich seid.“ Also gaben sie uns Elektroschocks, und wir schrien: „Wir sind glücklich! Wir sind glücklich!“ Als der Strom abgestellt wurde, fingen sie wieder an: „Schreib das Geständnis.“   

    Als im Oktober 2024 der ukrainische Journalist und Menschenrechtler Maxym Butkewytsch aus russischer Kriegsgefangenschaft freikam, konnte erstmals ein Betroffener direkt von russischen „Gerichtsverfahren“ gegen ukrainische Kriegsgefangene berichten. 

    Das ukrainische Onlinemedium Texty.org hat weiter recherchiert, wie solche Prozesse konstruiert und die Gefangenen zu falschen Geständnissen gezwungen werden. Es berichten zwei freigekommene ukrainische Soldaten, die in russischer Kriegsgefangenschaft in Scheinprozessen wegen angeblicher Kriegsverbrechen verurteilt wurden. Außerdem kommt anonym ein Koordinator der ukrainischen Juristen-NGO Poschuk.Polon (dt.: Suche.Gefangenschaft) zu Wort, der den Ablauf der Gefangenschaft und die fabrizierten Verfahren charakterisiert: 

    Für ukrainische Gefangene beginnt alles mit dem Ort der Inhaftierung. Einige werden sofort in Untersuchungshaftanstalten gebracht, andere in anderen, wenig bekannten Bereichen der modernen russischen Gulag-Lager. Für die Inhaftierung von Gefangenen werden Stockwerke, Gebäude oder sogar ganze Einrichtungen des russischen Strafvollzugs bereitgestellt, wo alles darauf ausgerichtet ist, die Menschen zu brechen

    Interessanterweise haben sich einige Mitarbeiter verschiedener ukrainischer Strafvollzugsanstalten, Untersuchungshaftanstalten und Gerichte in den besetzten Teilen der Regionen Donezk und Luhansk, ganz organisch in dieses Foltersystem integriert. 

    Der Koordinator des Projekts Poschuk.Polon, der darum bat, anonym zu bleiben:  

    „Der Leiter des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation, Alexander Bastrykin, sagte, dass fast dreitausend Strafverfahren eröffnet worden seien – wie er es ausdrückte, „über die Fakten der Verbrechen der Ukraine im Donbas“. Diese können nun nicht einfach wieder ausgesetzt werden. Sie müssen mit einem Prozess enden.“ 

    Der Koordinator des Projekts Poschuk.Polon: „Damit es zu einem Prozess kommen kann, sind Ermittlungen erforderlich. Diese Ermittlungen müssen einen strafrechtlichen Fall fabrizieren. Sie können buchstäblich ab dem Zeitpunkt der Festnahme oder nach einer beliebigen Zeitspanne damit beginnen, einen Strafprozess zu fabrizieren. In der Verhandlung zeigen die Dokumente beispielsweise, dass eine Person im September festgenommen und erst im Januar des folgenden Jahres in Untersuchungshaft genommen wurde. Wo er von September bis Januar war, bleibt ein völliges Rätsel. Denn offiziell war er nirgends zu finden. Das heißt, entweder befand sich die Person im Keller oder in einem der Haftzentren der Militärpolizei, wo man bereits an dieser Person arbeitete und einen Fall fabrizierte.“ 

    Das wichtigste Gericht sei das „Oberste Gericht der DNR“ (die sogenannte Donezker Volksrepublik), manchmal würden die Fälle auch in Rostow im Südlichen Militärbezirksgericht abgeschlossen, so die Quelle weiter: 

    „Die Personen, die heute für diese Gefangenenlager [in den besetzten Gebieten – dek] zuständig sind, waren bereits zu ukrainischen Zeiten dafür verantwortlich, und jetzt, während der Besatzung, haben sie ihre Jobs behalten. Wir sprechen hier von ganzen Dynastien. Dies gilt nicht nur für das Gefangenenlager, sondern auch für andere Strafverfolgungsbehörden.“  


    Ukrainisches Original (17.12.2025) / englische Version


    23.08.2024

    Zerkalo: Warum in Belarus politische Gefangene entlassen werden

    In den vergangenen Tagen wurden in Belarus 19 politische Gefangene aus der Haft entlassen, es sollen insgesamt bis zu 30 Personen folgen. Anfang Juli waren laut der Menschenrechtsorganisation Wjasna bereits 43 politische Gefangene auf freien Fuß gesetzt worden, während sich beim großen Gefangenenaustausch zwischen Russland, den USA, Deutschland und anderen Ländern kein einziger Belarusse unter den Freigelassenen befand. Warum diese Amnestien durch Lukaschenko?  

    Für eine Abschwächung der Repressionen gibt es keine Anzeichen. Allein im Juli wurden 221 Fälle politisch motivierter Repression verzeichnet, weiterhin gibt es rund 1300 politische Gefangene. Der Politanalyst Artyom Shraibman sieht in seinem Beitrag auf Zerkalo vor allem zwei Gründe für Lukaschenkos Motivation: „Erstens könnte demonstrativer Humanitarismus bei den Wahlen 2025 eine Trumpfkarte für das heimische Publikum sein. Das heißt, den Menschen die gute Seite Lukaschenkos zu zeigen und die Spannungen in der Gesellschaft etwas abzubauen.“ Viel wichtiger scheint für Shraibman aber ein anderes Kalkül: „Vielleicht hofft er, mit so kleinen Zugeständnissen trotz aller anderen Probleme ein Entgegenkommen der EU und der USA auszuhandeln… Und zweitens ist es durchaus möglich, dass Lukaschenko seine Perspektiven im Dialog mit dem Westen in einem breiteren Kontext betrachtet und beispielsweise einen regionalen Neustart aufgrund der Aufnahme der Verhandlungen über die Ukraine erwartet.“ 

    Für beide Szenarien sieht Shraibman allerdings nicht sehr große Erfolgschancen, was er detailliert erklärt: Verhandlungen über einen Waffenstillstand, von dem auch Lukaschenko durch mögliche Sanktionsabschwächungen profitieren könnte, hält er in naher Zukunft für nicht realistisch. Zudem fehle im Westen aktuell schlicht der politische Wille, mit Lukaschenko in einen Dialog zu treten, sogar wenn es erstmal nur ein symbolischer Akt der Annäherung wäre.  


    Russisches Original (vom 22.08.2024) / Übersetzung mit Google Translate 


    26.07.2024

    Nasha Niva: Der Fall Krieger – „Es bleiben mehr Fragen als Antworten” 
     
    Am 25. Juni sendete der belarussischen Staatssender BT einen rund 15-minütigen Beitrag über den Fall des Deutschen Rico Krieger, der im Oktober 2023 in Minsk festgenommen und kürzlich von einem Gericht in Belarus zum Tode verurteilt wurde. Die Vorwürfe: Söldnertum, Terrorismus, Spionage. Er soll, so wird es in dem Propagandabeitrag dargestellt, Militärobjekte am Rande von Minsk ausspioniert und einen Rucksack mit Sprengstoff an den Gleisen eines in der Nähe gelegenen Bahnhofs abgelegt haben. Am 5. Oktober 2023 meldeten die Behörden dort eine Explosion. Personen waren dabei nicht zu Schaden gekommen. In dem Video sagt Krieger, dass er im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes gehandelt habe. Das belarussische Medium Nasha Niva hat sich den TV-Beitrag angesehen und kommt zu dem Schluss, dass es darin sehr viele Ungereimtheiten und damit ungeklärte Fragen gebe. Warum einen Anschlag auf einen leeren Bahnhof von Minsk? Auch sei bisher nicht bekannt, dass der ukrainische Geheimdienst Testaufgaben für Ausländer organisiere, die – so angeblich der Plan Kriegers – auf Seiten der Ukraine kämpfen wollen. Der Beitrag mündet in der eindringlichen Aufforderung Kriegers an die Bundesregierung, ihn zu vor dem Tod zu bewahren. Nasha Niva resümiert: „Insgesamt erweckt der Film den Eindruck, dass Krieger vom belarussischen oder russischen Geheimdienst in eine Falle gelockt wurde … Das Leitmotiv des Videos ist, dass Deutschland Krieger so schnell wie möglich retten und allen Bedingungen zustimmen muss.“
     
    Russisches Original (vom 25.07.2024) / Übersetzung mit Google Translate 


    11.06.2024

    Mediazona: Der Preis für Bachmut   

    „Unser Geschäft ist der Tod und die Geschäfte laufen gut“: So lautet einer der Slogans der von Jewgeni Prigoshin aufgebauten Söldnerarmee TschWK Wagner. Das Daten-Team von Mediazona und der russischsprachige Dienst der BBC haben Dokumente ausgewertet, in denen die Namen von über 20.000 gefallenen Wagner-Söldnern sowie Zahlungen an deren Hinterbliebenen aufgelistet sind. Demnach sind gut 19.500 Söldner im sogenannten „Fleischwolf von Bachmut“ gefallen – in der blutigen Schlacht um die inzwischen nahezu vollständig zerstörte ostukrainische Kleinstadt Bachmut im Frühjahr 2023. Gut 17.000 davon waren von Putin begnadigte Häftlinge aus Gefängnissen und Strafkolonien. Die Redaktionen halten die Dokumente für authentisch, zumal sie mit eigens recherchierten Gefallenen-Registern und anderen geleakten Datenbanken übereinstimmen. Anhand der Nummerierung der Erkennungsmarken schätzen sie die Gesamtzahl der in den Krieg geschickten Häftlinge auf mindestens 48.000. Bei knapp 44.000 davon konnte auch die Strafkolonie identifiziert werden, aus der sie angeworben wurden. Mediazona hat diese Daten in einer interaktiven Karte aufbereitet. 

    russisches Original (vom 10.06.2024) / englische Version / Übersetzung mit Google Translate


    21.05.2024

    Lola Tagajewa: Wie Russlands Krieg die Gründung von Verstka provoziert hat

    „Ich sah, wie Medien geschlossen wurden, und mir schien: Da fallen Bastionen, Schutzwände eines angemessenen Weltbildes für viele Menschen, während die gewaltige Masse der propagandistischen Unmenschen auch die letzten bei Verstand gebliebenen Menschenwesen verschlingt. Außerdem hatte ich sehr viel Mitgefühl mit den Ukrainern und allen, die unter dem Krieg leiden.“ – Die Journalistin Lola Tagajewa beschreibt in einem Beitrag für den Blog Inymi slowami (dt. Mit anderen Worten) des US-amerikanischen Kennan Institutes, wie sie im Frühjahr 2022, kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, das Medium Verstka gegründet hat, das auch für dekoder zu einer wichtigen Stimme der unabhängigen russischen Medienwelt geworden ist.

    russisches Original (vom 20.05.2024) / deutsche Übersetzung


    16.05.2024

    Carnegie: Putin’s Reshuffle Is About Optimization, Not Change 

    Mit dem Personalwechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums habe Wladimir Putin zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, analysiert die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja vom Carnegie Russia Eurasia Center: „Er ist den unpopulären Schoigu losgeworden und hat Beloussow die Aufgabe übertragen, die Kriegsanstrengungen zu optimieren.“ Außerdem werde damit der wachsende Konflikt zwischen Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie vorerst beruhigt, die sich gegenseitig Inkompetenz und Korruption vorwerfen. Die Umstrukturierung sei aber auch ein Experiment, da Beloussow bisher keine mächtige Figur gewesen sei und sich auf dem neuen Posten erst beweisen müsse, während Schoigu als neuer Chef des Sicherheitsrates nun eine Institution ohne eigenen Machtapparat führe.  

    russisches Original (vom 13.05.2024) / englische Version


    10.05.2024

    Novaya Gazeta Europe: Die letzte Parade

    „Putin hält eine Rede über den endlosen Krieg […] Von der Tribüne aus beobachten das Staatsoberhäupter, deren gemeinsamer Nenner die völlige Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Bürgern ist“, so resümiert Kirill Martynow die Parade zum diesjährigen Tag des Sieges in Moskau in der Novaya Gazeta Europe. Putins Rede ist den sowjetischen Veteranen des Zweiten Weltkriegs gewidmet, doch seine wahre Haltung ihnen gegenüber zeige sich gerade in der Ukraine, meint Martynow: „Wanda Objedkowa hat den Holocaust und die Besetzung der Ukraine durch die Nazis überlebt – und wurde im Keller im zerstörten Mariupol getötet, beim Angriff der russischen Armee. Sie war 91 Jahre alt. Borys Romantschenko, 96, hat Buchenwald überlebt und wurde in seiner Wohnung in Charkiw getötet – von einer russischen Granate.“ Putins konstruierte „mystische Verbindung zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der heutigen Aggression gegen die Ukraine“ sei ein schwerer Missbrauch des Gedenkens, kritisiert Martynow: „Die [damaligen] Frontsoldaten erinnerten sich nicht gern an ihre Heldentaten und antworteten trocken, dass sich so etwas nicht wiederholen dürfe. Jetzt, wo es fast keine echten Veteranen mehr gibt, hat sich die Diktatur das Volksgedenken angeeignet und es zu einer Maschine zur Vernichtung von Menschen gemacht.“

    Original (vom 09.05.2024) / Übersetzung mit Google Translate


    03.05.2024

    Pozirk: Im Kampf gegen unabhängigen Journalismus

    Im Rahmen des Tags der Pressefreiheit beschäftigt sich der Journalist Dimitri Nikolajewitsch für das Online-Medium Pozirk mit der Lage des Zeitungsmarktes in Belarus. Die Zahl der Zeitungen sei, so schreibt Nikolajewitsch, insgesamt deutlich zurückgegangen, nämlich zwischen 2019 und 2023 um 21 Prozent. Aktuell sind 199 staatliche und 168 nichtstaatliche Zeitungen registriert. „Die Tatsache“, kommentiert der Autor, „dass es fast so viele nichtstaatliche wie staatliche Zeitungen gibt, sollte nicht in die Irre führen: Nach dem Motto, dies sei eine klare Bestätigung dafür, dass es in Belarus Meinungsfreiheit gebe. Der Punkt aber ist, dass unter den nichtstaatlichen Publikationen auf dem Markt nur noch die unverfänglichen übriggeblieben sind, beispielsweise für Datschniki, Freunde von Witzen und Kreuzworträtseln.“ 

    Zur Erinnerung: Seit den Protesten von 2020 gehen die Machthaber mit scharfen Repressionen gegen Journalisten und Medien vor, unabhängiger Journalismus in Belarus ist eigentlich nicht mehr möglich, Medien wie Zerkalo oder Nasha Niva wurden ins Exil getrieben. Der regionale Zeitungsmarkt wurde in Belarus traditionell auch von unabhängigen Verlegern und Medienmachern besetzt, um guten lokalen Journalismus zu machen, aber auch weil sich so Geld verdienen ließ. Der Staat setzt nach wie vor auf staatliche Druckpublikationen in der Provinz, weil er so am besten unter der deutlich älteren Bevölkerung seine Propaganda verbreiten kann. Die Brestskaja Gaseta beispielsweise war eine sehr erfolgreiche unabhängige Zeitung im Westen von Belarus. Viktor Martschuk, Chefredakteur, sagt, dass er „nicht einmal daran gedacht habe, auf die Papierausgabe zu verzichten“. Die Veröffentlichung der Zeitung wurde nur deshalb eingestellt, „weil belarussische Druckereien die Zusammenarbeit verweigerten“. Martschuk sagt, dass es eindeutig „politische“ Motive der Behörden gewesen seien, die Publikation vom Medienmarkt zu entfernen: „Dafür gab es keine wirtschaftlichen Gründe: Wir waren zahlungsfähig, leisteten regelmäßig und pünktlich Vorauszahlungen – damals war das für die Druckerei super profitabel, weil eben die Staatszeitungen in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.“ Für den Autor ist klar, warum die Behörden Medien als „extremistisch“ abstempeln und auch derart konsequent gegen die Weitergabe von unabhängigen journalistischen Inhalten via Telegram vorgehen: „Nach der de facto-Ausweisung des unabhängigen Journalismus aus dem Land konnten die Behörden den Menschen, die es gewohnt waren, Nachrichten zu lesen und nicht bloß von ideologischen Abteilungen genehmigte Auskünfte und Thesen, keine echte Alternative bieten.”

    Original (vom 02.05.2024) / Übersetzung mit Google Translate


    28.03.2024

    Mediazona: „Wir dürfen nicht in die Auge-um-Auge-Logik abrutschen“

    Sergej Babinez, der Vorsitzende des Teams gegen Folter, spricht im Interview mit Mediazona über die Zunahme von Folter seit 2022 und warum Staatsbedienstete neuerdings öffentlich mit Folter prahlen.

    russisches Original (vom 25.03.2024) / englische Version / Übersetzung mit Google Translate


    27.03.2024

    Pozirk: Ein Konflikt, bei dem es um die Zukunft von Belarus geht

    Der 25. März ist ein bedeutender inoffizieller Feiertag der belarussischen Opposition. Er geht zurück auf die Ausrufung der Belarussischen Volksrepublik (BNR) an eben jenem Tag im Jahr 1918 in Minsk. Es war das erste moderne belarussische Staatsprojekt. Auch wenn es nur neun Monate überlebte, spielt es für die belarussische Unabhängigkeitsbewegung eine enorme Bedeutung. Gerade heute – in einer Zeit, in der das System Lukaschenko diese mit Gewalt und Repressionen zu unterdrücken versucht. 

    Aus Anlass des diesjährigen Feiertags widmet sich der belarussische Journalist Alexander Klaskowski in einem Text für das Online-Medium Pozirk dem Dsen Woli, dessen Geschichte er rekapituliert. Dabei weist er darauf hin, dass die Belarussen zurzeit der BSSR nichts von diesem Tag wussten, dass dieser vor allem von der damaligen belarussischen Diaspora begangen wurde. Mit der Unabhängigkeitserklärung 1991 aber wurden die weiß-rot-weiße Flagge der einstigen BNR und das Wappen Pahonja zu den Staatssymbolen der Republik Belarus, 1995 schließlich wieder abgeschafft von Lukaschenko, der mit der Einführung der bis heute gültigen Flagge seinen neosowjetischen Kurs betonte. Danach blieben die Farben vor allem ein Symbol der oppositionellen Nationalbewegung. Dann, mit den Protesten von 2020, wurde die weiß-rot-weiße Fahne zum Symbol einer neuen Demokratiebewegung. Klaskowski: „Das Paradoxe daran war, dass sich die Nationalisten der alten Schule aus verschiedenen Gründen nicht an dieser Wahlkampagne beteiligten, und das Team von Swetlana Tichanowskaja warb überhaupt nicht für die weiß-rot-weiße-Symbolik. Wahrscheinlich spielten sowohl die langjährige Aufklärungsarbeit der alten, ideologischen Opposition als auch die einfache Ästhetik der Symbolik selbst eine Rolle. Sie war ein starker Kontrast zu den offiziellen Symbolen des Regimes, ein ausdrucksstarkes Zeichen für eine politische Alternative.“ 

    Lukaschenko hat die Protestsymbolik verbieten lassen und unter Strafe gestellt. Zudem versucht das System, die BNR-Narrative im Land selbst auszumerzen, sie umzudeuten, stattdessen das Russische Imperium und die Sowjetunion als Förderer der belarussischen Eigenstaatlichkeit zu betonen. „Die intensive Debatte um den Dsen Woli ist ein Konflikt“, schreibt Klaskowski, „bei dem es weniger um die Geschichte als um die Zukunft von Belarus geht. Und es ist nicht nur ein Konflikt, sondern ein grausamer Kampf zwischen zwei Projekten. Das eine ist ein fehlerhaftes Projekt der Bindung an das Imperium, das das Land durch Degradierung und Verlust der Unabhängigkeit bedroht. Das zweite ist das Projekt eines demokratischen, den europäischen Werten verpflichteten und wahrhaft belarussischen Belarus.“

    Original (vom 25.03.2023) / Übersetzung mit Google Translate


    26.03.2024

    Verstka: 300.000 neue Soldaten für die Belagerung von Charkiw

    Das russische Verteidigungsministerium plant, mindestens 300.000 neue Soldaten für den Kampf in der Ukraine zu rekrutieren. Das hat Verstka von vier verschiedenen Informanten aus der Präsidialadministration, regionalen Regierungen sowie von einem hochrangigen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums erfahren, die nicht namentlich genannt werden. Das Hauptaugenmerk soll dabei zunächst auf Reservisten liegen, von denen es in Russland laut Verstka etwa zwei Millionen gibt. Ferner sollen Wehrdienstleistende dazu gedrängt werden, als Vertragssoldaten weiter zu machen. Grund dafür sei der allmählich versiegende Zufluss derer, die sich für einen Kriegseinsatz in der Ukraine entscheiden. Die Gesprächspartner von Verstka nennen die Vorbereitungen zur neuen Einberufung im Frühjahr hinter vorgehaltener Hand eine „Mobilmachung 2.0“. Die neu rekrutierten Soldaten sollen an die Südgrenze Russlands verlegt werden, sodass die dort im Einsatz befindlichen erfahrenen Soldaten frei werden: für einen neuen Angriff auf die ostukrainische Stadt Charkiw. 

    Original (vom 22.03.2024) / Übersetzung mit Google Translate


    25.03.2024

    Novaya Gazeta Europe: Trauer mit Bombern

    Nach dem brutalen Terror-Anschlag auf das Konzerthaus Crocus City Hall in der Nähe von Moskau gibt die Novaya Gazeta Europa der russischen Führung eine Mitschuld am Tod von mehr als 130 Menschen. Der Anschlag sei überhaupt nur möglich gewesen, weil Russlands Behörden, die eigentlich für die Bekämpfung von Terrorismus zuständig sind, komplett versagt hätten, schreibt Kirill Martynow, der Chefredakteur der Zeitung. Denn statt sich um die Abwehr terroristischer Bedrohung zu kümmern, hätten sie sich auf die politische Verfolgung Andersdenkender und die Besatzung in der Ukraine konzentriert. 

    „Offensichtlich haben sie die falschen Leute bekämpft. Europa bedroht Russland in keiner Weise, und seine Politiker sind die ersten, die den von Terroristen getöteten Russen ihr Beileid aussprechen. Es ist Putin, der um seine persönliche Macht fürchtet, der in der europäischen Demokratie eine Bedrohung sieht und versucht, alle davon zu überzeugen, dass Russland einen ,Sonderweg' braucht, der auf Krieg und Gewalt beruht.“

    Original auf Russisch (vom 24.03.2024) / Übersetzung mit Google Translate


    21.03.2024

    Meduza: Die am stärksten gefälschte Wahl in der Geschichte Russlands

    Bei der Präsidentschaftswahl am 17. März 2024 hat sich Wladimir Putin mit einem Rekordergebnis von 87 Prozent feiern lassen. Doch Wahlforschungen zeigen: Auch die Wahlfälschungen lagen auf Rekordniveau. Der Programmierer und Wahlanalyst Iwan Schukschin kommt in seinen Berechnungen auf 22 Millionen gefälschte Stimmen – so viele wie noch nie in der Geschichte der russischen Wahlen. Meduza hat ausführlich erklärt und durchgerechnet, wie sich mit der Methode des Physikers Sergej Schpilkin statistische Anomalien aufdecken lassen und was diese letztlich über das Wahlergebnis sagen.

    russisches Original (vom 20.03.2024) / englische Version / Übersetzung mit Google Translate


    19.03.2024

    Bericht der UN-Kommission zu russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine

    Am 15. März hat die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine ihren jüngsten Bericht veröffentlicht. Das komplette Dokument ist hier als PDF abrufbar.


    04.12.2023

    Projekt: Wie Putin den Krieg gegen die Ukraine 2014 begonnen hat

    „Der kollektive Westen hat den Krieg entfesselt, indem er 2014 in der Ukraine einen verfassungsfeindlichen, bewaffneten Umsturz organisiert und unterstützt hat und anschließend einen Genozid an den Menschen im Donbas befördert und verteidigt hat.“ Mit diesen Worten rechtfertigt Putin seinen Großangriff auf die Ukraine 2022. Doch zahlreiche Zeugnisse aus der Zeit der Maidan-Proteste, der Krim-Annexion und des Krieges in der Ostukraine ab 2014 zeichnen ein gänzlich anderes Bild. Diese hat der Investigativ-Journalist Andrej Sacharow in einem vielbeachteten Dokumentarfilm für das russische Online-Medium Projekt zusammengetragen: Sein Krieg: Wie Putin den Krieg gegen die Ukraine wirklich begann.

    Die Recherchen stützen sich auf öffentlich verfügbares Videomaterial, auf abgehörte Telefonate, die als Indizien im MH17-Prozess verwendet wurden, auf Archive geleakter E-Mails und vor allem auch auf direkte Äußerungen zentraler Akteure des sogenannten „russischen Frühlings“. Das sind zumeist russische Staatsbürger, die als „Separatisten“ die Abspaltung der Donbas-Gebiete und schließlich die militärische Auseinandersetzung mit der Kyjiwer Regierung beförderten. Einer davon ist Igor Strelkow, der etwa 2014 schon in einem Interview die Kreml-Erzählung vom innerukrainischen „Bürgerkrieg“ widerlegte: „Den Auslöser für den Krieg habe ich gedrückt. Hätte meine Einheit nicht die Grenze [von der bereits russisch okkupierten Krim in den Donbas – dek] überquert, hätte alles so geendet wie in Charkiw oder Odessa. Es hätte ein paar Dutzend Tote, Verbrannte und Festnahmen gegeben und das wär’s.“ Ebenfalls zu Wort kommt Dorshi Batomunkujew, ein Panzerfahrer aus Burjatien, der damals im Gefecht in der Ostukraine schwerste Verbrennungen erlitt und mit einem Interview gegenüber der Novaya Gazeta einen von vielen Belegen dafür lieferte, dass Russland seine reguläre Armee in diesem Krieg unmittelbar einsetzt, obwohl der Kreml das öffentlich immer wieder bestritten hat: „Wir wussten, worauf wir uns einlassen.“

    Projekt resümiert: „[Putin] hat es nicht bei der Krim belassen und sich entschlossen, den Südosten [der Ukraine] anzuzünden. Das hat nicht wirklich geklappt […] also wurde Strelkow mit Waffen nach Slowjansk geschickt, das war zeitlich koordiniert mit der Erstürmung von Waffenarsenalen des [ukrainischen Geheimdienstes] SBU in Donezk und Luhansk. Die Ukraine hat das abgewehrt und Russland half mit bewaffneten prorussischen Einheiten, schließlich dann mit dem de-facto-Einsatz der Armee.“

    Film (russisch mit englischen Untertiteln; vom 28. November 2023) / Textversion (russisch)


    14.11.2023

    Carnegie: Auf dem Weg nach Turkmenistan

    Im Februar 2024 werden die belarussischen Machthaber erstmals seit 2020 – das Jahr der gefälschten Präsidentschaftswahlen, die eine ungeahnte Protestwelle in Bewegung setzte – wieder Wahlen abhalten, und zwar Kommunal- und Parlamentswahlen. Der belarussische Politanalyst Artyom Shraibman nimmt dies zum Anlass, in einem Beitrag für Carnegie zu erörtern, welchen Sinn Wahlen haben, die de facto keine sind. In einem Land, das weiterhin mit brutalen Repressionen gegen alle Andersdenkenden vorgeht. Shraibman: „Von einer ehrlichen Stimmenauszählung ist schon lange keine Rede mehr. Wahlen werden für die Bürokratie weniger zu einem Stresstest als vielmehr zu einem Verwaltungsritual, in dem es keinen Raum für Ideenkämpfe gibt.“ Mittlerweile sind auch alle Oppositionsparteien verboten worden, übrig geblieben sind vier Parteien, die das System Lukaschenkos unterstützen. Für alle, die gegen Lukaschenko sind, ist es schlicht zu gefährlich, an den Wahlen in irgendeiner Form teilzunehmen. „Daher wird die belarussische Opposition diesen Wahlkampf und höchstwahrscheinlich auch die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2025 ignorieren“, so Shraibman, „sofern sich nichts radikal ändert. Zudem ist Lukaschenko aus Sicht der Exiloppositionellen seit 2020 ein illegitimer Usurpator, was bedeutet, dass auch die von ihm angekündigten Wahlen zunächst illegitim sind.“ Als interessanteste Neuerung sieht Shraibman die Einführung einer Art Politbüro. 15 Personen sollen in das Präsidium der Obersten Nationalversammlung berufen werden. Shraibman spricht von einem Prozess der „Turkmenistanisierung“, bedeutet: Erstmals wird das System Lukaschenko nur eine institutionalisierte Klientel in den Prozess der Legitimierung und des Machterhalts einbeziehen. Eine Klientel, die – solange Lukaschenko das Sagen hat – wenig Einfluss haben wird. Aber, so Shraibman, würde allein die Tatsache, dass diese Personen berufen sind, über die Zukunft von Belarus nachzudenken, dazu führen, dass sich auch das Nachdenken über die Zeit nach Lukaschenko so institutionalisieren könnte.

    russisches Original (vom 7. November 2023) / Übersetzung in Google Translate


    06.10.2023

    Reform.by: Die Belarussen im Land nicht vergessen

    Anfang Oktober fand in Warschau eine Sitzung des Übergangskabinetts Swetlana Tichanowskajas statt – und zwar vor den Delegierten des Koordinationsrates, der als Kontrollgremium für die oppositionelle Führungsstruktur fungieren soll. Dabei umriss die belarussische Oppositionsführerin die Aufgaben, die sie für die Opposition sieht. Igor Lenkewitsch vom Online-Medium Reform.by fasst sie so zusammen: „Zu den erklärten Prioritäten gehören die Unterstützung der Repressierten, die Strafverfolgung derjenigen, die sich der im Lande begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, die Unterstützung der Belarussen im Exil und die Verteidigung der Unabhängigkeit.“ 

    Lenkewitsch macht eine weitere essentielle Aufgabe aus, die nicht ausreichend erwähnt und diskutiert worden sei: Die Opposition müsse sich mit einem detaillierten Aktionsplan für „ein Zeitfenster der Möglichkeiten“ vorbereiten, das einen Machtwechsel in Belarus ermöglichen könnte. Denn: „… wie so oft, wird dies ganz unerwartet geschehen.“ Dieser Plan sei laut Tichanowskaja zwar bereits erarbeitet, dabei werde allerdings, so Lenkewitsch, eine Entwicklung unterschätzt: „Repressionen, Informationsblockade, Erschöpfung und vor allem die Loslösung von allen Prozessen – all dies führt unweigerlich zu Apathie in der Gesellschaft und zum Verlust des Interesses an den Aktivitäten der demokratischen Kräfte, die irgendwo weit weg sind und deren Tätigkeit, so scheint es, keine Auswirkungen auf die umgebende Realität hat.“ Deshalb sei es wichtig, „für die im Land lebenden Menschen Möglichkeiten zu schaffen und zu nutzen, damit sie in die aktive Politik zurückkehren können.“ Dazu gehöre, dass man mit allen Mitteln versuchen muss, die Belarussen im Land an den Diskussionen um die Zukunft des Landes zu beteiligen. Lenkewitsch schreibt: „Eine kompetente Alternative zur Propaganda des Regimes zu schaffen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der heutigen Zeit. Dafür gibt es heute im Ausland genügend Spezialisten und Experten. Und das wäre auch ein Bindeglied, ein Kanal für die Interaktion und das Engagement derjenigen, die heute in Belarus leben.“

    russisches Original (vom 3. Oktober 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    05.10.2023

    Sysblok: Zurück zum Wodka

    Johnnie Walker ist gegangen: Im Zuge der Sanktionen wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben sich westliche Produzenten vom russischen Markt alkoholischer Getränke zurückgezogen. Trotzdem ist der Alkoholkonsum im Jahr 2022 gestiegen. Vor allem Wodka wird wieder mehr getrunken. Whisky aus heimischer Herstellung konnte sich derweil nicht durchsetzen, berichtet das Portal Sysblok.ru.

    russisches Original (vom 28. September 2023) / Übersetzung aus Google Translate


     

    04.10.2023

    Sibir.Realii: Wer verliert und wer profitiert

    Die Menschen in Russland leiden unter dem Putin-Regime und müssen durch Krieg und Sanktionen große Einschnitte hinnehmen? Der Historiker Sergej Tschernyschow hält das für ein Zerrbild aus dem liberalen, Moskau-zentrischen Diskurs. Der Rubelkurs fällt, Reisen ins (westliche) Ausland werden immer schwieriger, Bürgerrechte und Freiheiten werden weiter eingeschränkt, Familien durch Emigration getrennt – für Tschernyschow sind das Einschränkungen, die vor allem eine urbane Minderheit betreffen, wie er in seinem Beitrag für Sibir.Realii argumentiert. Jenseits der Metropolen hätten die Leute im Großen und Ganzen eigentlich nichts verloren, denn „sie haben auch nichts besonderes zu verlieren“: Auslandsreisen waren für die meisten eh noch nie ein Thema, von inhaftierten Theaterregisseuren haben viele vermutlich eh nie gehört und auch steigende Preise sind kein Grund zur Sorge: „Auf Supermärkte haben diese Menschen eh nie vertraut. Sie haben den Keller voll mit Kartoffeln und eingelegtem Gemüse für den ganzen Winter. Irgendwie kommen wir da schon durch.“ Der Krieg bietet vielen in der Provinz sogar ungeahnte Einkommensmöglichkeiten als Soldat: „Geldzuwendungen in einem Ausmaß, das sie in ihren normalen Jobs auch in vielen Jahren nicht erreichen würden, zusammen mit dem Gefühl, an etwas Großem [dem Kampf gegen den „Faschismus“] teilzuhaben – das ist eine explosive Mischung“, resümiert der Autor.

    russisches Original (vom 17. September 2023) / englische Version / Übersetzung aus Google Translate


     

    29.09.2023

    Recht politisch: Aserbaidschan, Bergkarabach und Armenien

    Hörempfehlung: Stefan Meister, Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien, erklärt den Konflikt um Bergkarabach in 30 Minuten im Detail und trotzdem für jeden verständlich im Podcast Recht politisch von Ralph Janik.

    Original (vom 20. September 2023) / auf Spotify


    Verstka: Drogen im Krieg

    Mephedron, Alpha-PVP, jede Menge Marihuana und rezeptpflichtige Medikamente aus der Apotheke: Verstka hat recherchiert, welche Drogen russische Soldaten im Krieg gegen die Ukraine konsumieren, wie sie auch im Frontgebiet an ihren Stoff kommen und welche Konsequenzen dafür drohen. Telegram-Bots nehmen Bestellungen auf, gezahlt werden kann bequem per Karte – auf die die Soldaten auch ihren üppigen Sold erhalten – und geliefert wird sogar bis in den Schützengraben. Den Berichten zufolge wird vor allem unter den mobilisierten Soldaten und auch eher im Hinterland konsumiert. „Aus Langeweile“, erläutert ein Gesprächspartner: „Als ich im Unterschlupf Flakka geraucht habe, war mir ein möglicher Paranoia-Anfall scheißegal. Langeweile ist deutlich schlimmer.“ „Aber stell dir das nicht so vor, dass wir hier zugedröhnt im Schützengraben kämpfen. Davon habe ich nichts gehört“, schildert ein anderer die Lage: „An der Front saufen sie viel. Aber dass sie unter Amphetamin in den Angriff gehen – weiß der Teufel.“ Kontrollen auf psychoaktive Substanzen gebe es fast keine und wenn, „dann gibst du einfach die Urinprobe von jemand anderem ab“, erklärt ein Soldat. Es gibt allerdings auch Berichte von Soldaten, die wegen Drogenkonsums in ein Strafbataillon verlegt wurden. Was das heißt, erklärt ein Gesprächspartner so: „Die Leute da sind immer an der ersten Frontlinie und nehmen das Feuer auf sich. Das sind zu 95 Prozent Todeskandidaten.“

    Original (vom 28. September 2023) / Übersetzung von Google Translate


    28.09.2023

    iStories: Von der Einberufung bis ins Grab

    Ein Jahr nach Verkündung der Mobilmachung in Russland hat die Redaktion von iStories mit Unterstützung des Conflict Intelligence Team nachgezählt, wer einberufen wurde, wie viele von ihnen umgekommen sind und welche Schlachten besonders tödlich waren.

    Original (vom 21. September 2023) / Übersetzung von Google Translate


    13.09.2023

    Ukrainian Analytical Digest: Language Usage and Language Policy

    Ukrainian Analytical Digest heißt der neue englischsprachige Ableger der Ukraine-Analysen. In der ersten Ausgabe geht es um Sprachverwendung und Sprachpolitik in der Ukraine. In einem der Beiträge untersucht etwa der Politikwissenschaftler Wolodymyr Kulyk von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, wie sich Russlands Angriffskrieg auf die Sprachpraxis in der Ukraine ausgewirkt hat: „Entgegen den Erwartungen Putins reagierten die meisten Ukrainer auf die russische Invasion mit einer stärkeren Bindung an ihr Land und ihre Nation“. Dazu gehöre auch, dass die ukrainische Sprache Umfragen zufolge deutlich häufiger im Alltag verwendet werde als zuvor – in allen Teilen des Landes.

    englisches Original (September 2023)


    11.09.2023

    Pozirk: „Die belarussische Diaspora ist zu einem politischen Faktor geworden”

    „Auf der psychologischen Ebene kommt eine solche Entscheidung einem Racheakt sehr nahe. Mit diesem Erlass versetzte Alexander Lukaschenko seinen Gegnern einen schmerzhaften Schlag. Wirklich eine absonderliche Abgeltung für das Trauma der Proteste von 2020.“ So urteilt der Politologe Waleri Karbalewitsch auf Pozirk über den neuen Präsidialerlass, der festlegt, dass die Botschaften keine Ausweisdokumente mehr an die Exil-Belarussen ausgeben dürfen. Sie müssen dazu nun in die Heimat reisen, wo sie möglicherweise festgenommen werden können. Belarussische Bürger, die im Westen leben, würden also a priori als Feinde gelten. Dies, so Karbalewitsch, werde die Belarussen im Ausland dazu drängen, eine neue Staatsbürgerschaft anzunehmen. „Eine andere Frage ist, inwieweit es Lukaschenko möglich sein wird, seinen Traum zu verwirklichen, Belarus in ein Land seiner Fans zu verwandeln.“ Aber durch diesen Erlass sieht Karbalewitsch vor allem einen wichtigen Faktor bestätigt: „Mit diesem Akt erkennt das Regime de facto das bedeutende politische Gewicht der belarussischen demokratischen Gemeinschaft im Ausland an. Es geht nicht nur um das Büro von Swetlana Tichanowskaja oder das Vereinigte Übergangskabinett. Die Diaspora ist zu einem politischen Faktor geworden; auf die ein oder andere Weise beeinflusst sie die Politik des Westens gegenüber dem offiziellen Minsk.“

    Original (vom 08.09.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    Novaya Gazeta Europe: Ferienlager mit Militärpropaganda

    Das Artek auf der Krim galt als „Mutter aller Pionierlager“ und ist für viele der Inbegriff einer glücklichen sowjetischen Kindheit. Heute schreiben Kinder dort Briefe an Soldaten der russischen Besatzungstruppen in der Ukraine und lernen in Ferienfreizeiten der Junarmija mehr über den Militärdienst in Russland. „Leider ist aus dem Erholungslager für Kinder heute ein Zentrum zur Militarisierung von diesen geworden“, hieß es dazu schon 2020 von der Vertretung des ukrainischen Präsidenten auf der Krim. Die Novaya Gazeta Europe erzählt die Geschichte des berühmten Ferienlagers, in dem seit der russischen Annexion der Krim 2014 ein anderer Wind weht. 

    Original (vom 05.09.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    08.09.2023

    Pozirk: Grenzprobleme

    In seiner neuesten Analyse für das Online-Medizm Pozirk beschäftigt sich der belarussische Journalist Alexander Klaskowski unter verschiedenen Aspekten mit der Situation an der EU-Grenze zu Belarus, die in den vergangenen Monaten aufgrund der in Belarus stationierten Wagner-Söldner im Fokus stand. Nach dem Tod von Prigoshin hat sich die Situation entspannt, wie Klaskowski schreibt. Die Grenzschließungen, die Litauen und Polen angedroht hatten, seien möglicherweise vom Tisch. Auch die Absage Russlands des Großmanövers Sapad 2023, das traditionell in Belarus stattfindet, hätte zu einer gewissen Entspannung geführt. Das Manöver der OVKS-Truppen, das stattdessen stattfindet, sei nicht in derselben Bedrohungskategorie anzusiedeln. Ein weiterer Grund für die Spannungen war der stetige Flüchtlingsstrom, der von den belarussischen Machthabern im Herbst 2021 lanciert wurde, in Richtung EU. Nach neuesten Erkenntnissen sind die Zahlen der Migranten rückläufig: „Höchstwahrscheinlich wird Minsk diesen Prozess weiterhin überwachen und regulieren und ihn am Schwelen halten.“ Dennoch warnt Klaskowski davor, die Grenzssituation nun als erledigt anzusehen: „Ja, Lukaschenko kann seine Rhetorik von Zeit zu Zeit abmildern, vor seinen Nachbarn buckeln, um nicht in eine vollständige Blockade zu geraten. Aber im Prinzip sieht er den Westen als heimtückischen Feind, der gegen seine, Lukaschenkos, sakrale Macht intrigiert. Außerdem ist die Abhängigkeit vom Kreml so groß, dass es unmöglich ist, seinen Satelliten aus der Umlaufbahn herauszulösen.“

    Original (vom 06.09.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    07.09.2023

    Forbes.ru: Verrat und Tod der wissenschaflitchen Inteligenz

    Am 29. August hat der Direktor des Instituts für USA- und Kanada-Studien an der russischen Akademie der Wissenschaften einen Text veröffentlicht, der es in sich hatte (→ Übersetzung). Ohne den Krieg gegen die Ukraine zu erwähnen, setzte Waleri Garbusow die gegenwärtige russische Außenpolitik mit den expansionistischen Traditionen des russischen Imperiums ins Verhältnis, kritisierte „pseudopatriotischen Wahnsinn“ und „totale Staatspropaganda“, die nur einem Zweck dienten: das gegenwärtige Regime an der Macht zu halten. Der „imperiale Komplex“ führe ins Verderben, da Russland nicht in der Lage sei, mit den tatsächlichen Großmächten USA und China mitzuhalten. Zwei Tage, nachdem der Artikel in der Nesawissimaja Gaseta erschienen war, entließ Wissenschaftsminister Waleri Falkow den Historiker von seinem Posten als Institutsdirektor. Das Außergewöhnliche sei gar nicht Garbusows Analyse der Verhältnisse, schreibt der politische Analyst Andrej Kolesnikow bei Forbes.ru. Unter den Intellektuellen des Landes teilten die meisten diese Einschätzung. Allerdings redeten sie nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Der Konformismus der Intellektuellen habe schon in der Sowjetunion in die Rückständigkeit geführt, kritisiert Kolesnikow und fragt: Was wäre, wenn die ganze wissenschaftliche Elite des Landes sich so verhalten würde wie Garbusow? Wahrscheinlich wäre das Land ein anderes.

    Original (vom 04.04.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    Verstka: „Ich schäme mich für meine Generation, sie ist an allem schuld“

    Rentner gelten als Kernwählerschaft Wladimir Putins. Umfragen zufolge unterstützen sie den Krieg gegen die Ukraine stärker als alle anderen Altersgruppen. Doch es gibt auch Gegenbeispiele: Verstka stellt Menschen im Rentenalter vor, die für ihre Meinungsäußerung gegen den Krieg Freunde, Arbeit oder gar ihre Freiheit verloren haben und trotz drakonischer Strafen bei ihrer Haltung bleiben. Dolite (65) aus Nachodka etwa wurde zu eineinhalb Jahren Straflager verurteilt, weil sie im Internet Russland als „faschistischen Staat“ bezeichnet und den „faschiZzZtischen Okkupanten“ den Tod gewünscht hatte: „All die zerstörten Häuser, die vielen Toten und die Art und Weise, wie die Welt damit umgeht – das ist alles falsch und ich kann es einfach nicht mit ansehen.“

    Original (vom 15.08.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    05.09.2023

    Foreign Policy: Neue russische Schulbücher propagieren Hass gegen die Ukraine und den Westen

    Schüler und Schülerinnen der 11. Klasse in Russland haben mit dem neuen Schuljahr ein neues Lehrbuch für den Geschichtsunterricht bekommen: Geschichte Russlands – von 1945 bis ins frühe 21. Jahrhundert. Meduza-Investigativjournalist Alexej Kowaljow hat sich für Foreign Policy mit dem Werk beschäftigt und sieht darin historische Schönfärberei, Indoktrinierung und eine versuchte Rechtfertigung für den Krieg gegen die Ukraine: „Die schändlichsten Kapitel der sowjetischen Geschichte – Genozide, Massendeportationen, politische Gefangene, Massenhinrichtungen – werden kaum erwähnt. Und wenn, dann sind sie stets eingerahmt von Kommentaren, die die Gräueltaten kleinreden, die Täter reinwaschen und die Opfer oder den Westen verantwortlich machen.“ Bezeichnend sei, dass der Hauptautor Wladimir Medinski kein Historiker ist, sondern der ehemalige Kulturminister, der schon damals für Geschichtsklitterungen in der Kritik stand. „Offensichtlich geht es weniger darum, dass die Schüler etwas über Geschichte lernen, als darum, dass Putin und seine Propagandisten ihren historischen Groll an sie weitergeben, damit sie die Ziele des Kreml unterstützen, das Imperium wiederherzustellen“, resümiert Kowaljow. Doch er ist skeptisch, ob das funktionieren wird: „Es bleibt abzuwarten, ob die groben Falschdarstellungen des Lehrbuchs russische Teenager täuschen können, von denen viele technisch versiert genug sind, alternative Informationsquellen zu suchen und zu finden, obwohl der Kreml sich nach besten Kräften bemüht, diese zu blockieren.“

    Original (vom 03.09.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    01.09.2023

    Berliner Morgenpost: Schule im Krieg

    Heute ist Tag des Wissens, auch in der Ukraine beginnt heute das neue Schuljahr. Was das heißt unter Kriegsbedingungen und wie das funktioniert, das hat der Kyjiwer Journalist Denis Trubetskoy für die Berliner Morgenpost aufgeschrieben: Lernen bei Luftalarm, hybrider Unterricht via Internet und TV, improvisierte Klassenzimmer in der U-Bahn und 1300 zerstörte Schulen.

    Original (vom 31.08.2023)


    23.08.2023

    Pozirk: Schließt Polen die Grenze zu Belarus?

    Litauen hat bereits zwei Grenzpunkte zu Belarus geschlossen. Auch zwischen Polen und seinem Nachbarland haben sich die Spannungen in den letzten Monaten merklich erhöht. Vor allem seitdem ein Teil der Wagner-Söldner nach Prigoshins Aufstand in Belarus gelandet sind. Der Journalist Alexander Klaskowski analysiert in seinem Stück für Pozirk die komplexe Lage. Der polnische Vize-Innenminister Maciej Wonsik spreche von 3500–5000 Söldnern und droht mit einer kompletten Grenzschließung. Lukaschenko hatte die Provokationen zusätzlich befeuert, indem er sagte, die Wagner-Truppe könnte „einen Ausflug nach Warschau oder Rzeszow“ machen. Dies nahm der belarussische Machthaber nun zurück und betonte, dass man die Beziehungen zu Polen verbessern müsse. Eine Grenzschließung würde vor allem Belarus wirtschaftlich treffen und auch die Belarussen, die den „kleinen Grenzverkehr“ in die EU nutzen. Zudem würde eine weitere Isolierung Lukaschenkos seine Abhängigkeit zum Kreml erhöhen. 

    Klaskwoski ist der Meinung, dass Lukaschenko womöglich versuchen könnte, die Wagner-Truppe wieder loszuwerden. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Lukaschenko aktuell schwierige Verhandlungen mit Wladimir Putin und seinem ehemaligen Koch über das Schicksal der Ex-Rebellen führt, die in Zelten bei Ossipowitschi sitzen.“ Dass die Wagnerianer eine wirkliche Bedrohung für Litauen und Polen darstellen, hält Klaskowski für unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sei, dass die Situation vor allem aus innenpolitischen Gründen ausgenutzt werde. Denn in Polen stehen im Oktober Wahlen an, in Litauen im kommenden Jahr. Lukaschenko wiederum versucht, mit den Mitteln der Propaganda und Provokation seinen Preise gegenüber Putin zu erhöhen – als Pufferzone zur EU und zum Westen. Eine schwierige Ausgangslage, die sich, so Klaskowski, bis zu den Wahlen in Polen wohl nicht verbessern werde. Die Entscheidung, ob die Grenze tatsächlich geschlossen wird, werde wohl im polnischen Wahlkampf entschieden werden. Es sei denn, Lukaschenko mache ernsthafte Zugeständnisse und lasse beispielsweise Andrzej Poczobut frei, einen belarussischen Journalisten, der zur polnischen Minderheit gehört und der zu acht Jahren Haft verurteilt wurde.

    russisches Original (vom 22.08.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    IPG Journal: Der Weg der Opposition in die Heimat ist versperrt

     

    Für das Online-Medium IPG Journal beschäftigt sich der belarussische Politanalyst Artyom Shraibman mit der Lage der belarussischen Opposition, ihren Aktivitäten, Möglichkeiten und ihren politischen Zielen. Dabei goutiert er, dass es dem Team Tichanowskaja gelungen sei, mit der Bildung des Übergangskabinetts neue Gesichter und andere Gruppen einzubinden, und dass der Koordinationsrat zu einer Art Protoparlament erweitert wird, um die Legitimität der oppositionellen Strukturen und ihrer Arbeit im Exil zu stärken. Allerdings stellt er fest, dass das Gremium immer noch nicht über einen stabilen Apparat verfüge, keine Finanzierung und keine politischen Erfolge. Zudem seien die geplanten Wahlen für dieses Protoparlament ausschließlich für die geflohenen Belarussen interessant, sowie der neue Pass für Belarussen im Exil. Solange Lukaschenko an der Macht bleibe und von Putin gestützt werde, habe die Opposition kaum Chancen, direkten Einfluss auf die Geschicke in Belarus selbst zu nehmen. Dabei spielt der Ausgang des Krieges in der Ukraine eine entscheidende Rolle. Dort entsteht um das Kalinouski-Regiment eine radikalere Oppositionsstruktur. „Die Entstehung eines alternativen Oppositionszentrums um die unversöhnlichsten und militantesten Strukturen mit einer anderen Sicht auf den Weg zur Befreiung von Belarus wurde zum Symptom dafür, dass der Rest der Opposition Probleme mit solch einer Vision hatte.“ Was kann die Opposition um Tichanowskaja in dieser schwierigen Lag überhaupt tun? Shraibman resümiert: „Die demokratischen Kräfte haben bereits begonnen, die Messlatte für ihre Initiativen und Ambitionen zu senken, aber bisher fällt es ihnen schwer, offen zuzugeben, dass ihnen hinsichtlich verfügbarer Optionen nur bleibt, die Welt an die Probleme der Belarussen zu erinnern und ihre humanitären Probleme zu lösen und die eigene Existenz bis zu besseren Zeiten zu sichern.”

    russisches Original (vom 18.08.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    16.08.2023

    Projekt: Die Hunde des Krieges. Russische Oligarchen der Kriegszeit

    Die russischen Geldeliten unterstützen den Krieg nicht nur, sie verdienen auch daran, wie eine Recherche des gemeinnützigen Investigativ-Onlineportals Projekt zeigt. 

    „Mindestens 83 Personen aus dem letzten Forbes-Vorkriegs-Ranking der 200 reichsten Russen waren offen an der Versorgung der russischen Armee und der Rüstungsindustrie beteiligt.

    Gegen 82 von ihnen sind Sanktionen verhängt worden, aber nur 14 dieser 82 sind in allen Gerichtsbarkeiten der pro-ukrainischen Koalition sanktioniert. Und 34 überhaupt nur in der Ukraine. Die Gesamtsumme der offen zugänglichen Verträge, die die Unternehmen dieser Geschäftsleute während des Kriegs in der Ukraine (seit 2014) mit der russischen Rüstungsindustrie abgeschlossen haben, ist riesig – nicht weniger als 220 Milliarden Rubel, also fast drei Milliarden US-Dollar (im Durchschnittskurs von 2021).“

    russisches Original (vom 31.07.2023) / englisches Original (vom 31.07.2023) / Übersetzung aus Google Translate

     

    iStories: Wie russische Milliardäre die Armee mit Söldnern versorgen

    Die russischen Oligarchen gehören zu den größten Unterstützern des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Laut einer Recherche des gemeinnützigen Investigativ-Onlineportals Projekt gehören sie auch zu den größten Profiteuren. iStories hat zudem herausgefunden, dass viele ihrer Unternehmen auch ziemlich direkt an dem Krieg teilnehmen: Die Firmen von Oleg Deripaska, Leonid Mikhelson und anderen Geschäftsleuten heuern Söldner an, setzen sie auf ihre Gehaltslisten – und entgehen trotzdem teilweise den westlichen Sanktionen. 

    russisches Original (vom 01.08.2023) / englisches Original (vom 01.08.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    11.08.2023

    Berliner Morgenpost: Ukrainischer Fußball-Star erlebte Butscha – jetzt kämpft er 

    „Wladyslaw Waschtschuk ist bei Dynamo Kiew eine Fußball-Legende und einer der bekanntesten Sportler der Ukraine. […] Nun verteidigt einer der besten Innenverteidiger, den die Ukraine bis dato hervorbrachte, sein Heimatland gegen Russland. Wie kam es dazu?“ Der Kyjiwer Journalist Denis Trubetskoy erzählt in der Berliner Morgenpost die Geschichte des Profi-Fußballers, den das unter russischer Besatzung Erlebte zum freiwilligen Fronteinsatz bewegte: „Ich habe die russische Welt in Hostomel erlebt und hatte danach viel Zeit zum Nachdenken. Und ich will nicht, dass meine Kinder die Grausamkeit sehen, die diese Terroristen mit sich bringen.“

    Original (vom 10.08.2023)


    09.08.2023

    Ilja Sheguljow: Ukraine offline

    „Wir sind alle Menschen und sollten Mensch bleiben“, sagt Iryna aus dem westukrainischen Riwne und nimmt den russischen Journalisten in ihrem Auto mit über die Grenze nach Ungarn – auch wenn das erhebliche Komplikationen bei der Grenzkontrolle bedeuten kann. Ilja Sheguljow ist durch die Ukraine gereist und erzählt in seinem Beitrag für den Blog Inymi slowami (dt. Mit anderen Worten) des US-amerikanischen Kennan Institutes, welche Herzlichkeit ihm dort entgegengebracht wurde: „Ich staune immer wieder über die Warmherzigkeit der Menschen, die trotz Krieg bereit sind zu helfen – sogar mir, einem Bürger des Landes, das gerade die Nachbarn bombardiert.“

    russisches Original (vom 08.08.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    08.08.2023

    Pozirk: Belarussische Opposition – die Chancen des Machtwechsels

    Am vergangenen Wochenende fand in Warschau, organisiert von der belarussischen Exil-Opposition um Swetlana Tichanowskaja, die Konferenz „Neues Belarus” statt. Alexander Klaskowski war dabei und analysiert in einem Beitrag für Pozirk die Diskussionen bei der Konferenz und die Entwicklung der Opposition seit dem Beginn der Proteste 2020 und ihrer Niederschlagung, die bis heute andauert. Bei all dem steht die Frage im Mittelpunkt, wie es der Opposition gelingen kann, einen Machtwechsel in Belarus herbeizuführen. 

    Klaskowski hält die Mittel, die die Opposition dafür zur Verfügung hat, allesamt nicht für sonderlich wirkungsmächtig. Auf eine Verschärfung der Sanktionspolitik durch den Westen, von der man sich eine Aufkündigung der Loyalität der Eliten gegenüber Lukaschenko erhoffe, habe die Opposition so gut wie keine Möglichkeiten direkt einzuwirken. Auch sanfte Ideen wie die Rückkehr zu einem nationalen Dialog „gelten heute als utopisch”, so Klaskowski. Ein radikales Vorgehen, möglicherweise mit Waffengewalt, unter Führung des Kalinouski-Regiments, das zurzeit auf Seiten der Ukraine kämpft, sei aktuell wenig realistisch, da es kein entschiedenes Zusammengehen der dafür nötigen Strukturen und Personen in der Opposition geben würde. Vertreter des Kalinouski-Regiments kritisieren Tichanowskaja und ihr Kabinett zwar scharf, stellen ihre Führungsrolle aber nicht infrage.

    Auch in konzeptioneller Hinsicht stellen sich entscheidende Fragen. Tichanowskaja setze voll und ganz auf die EU und auf die endgültige Abkehr von Russland. Allerdings, so wirft Klaskowski ein, zeigten die Umfragen der letzten Jahre, dass die belarussische Gesellschaft in dieser Frage nach wir vor gespalten sei. „Die europäische Wahl ist eher charakteristisch für den protestierenden Teil der Belarussen.” Klaskwoski goutiert die schwierige Arbeit der Opposition, hält aber – auch im Angesicht der ständigen Durchhalteparolen – fest, dass die Aussichten auf einen Machtwechsel insgesamt sehr ernüchternd seien. Er resümiert: „Ja, aus historischer Sicht scheinen die Regime von Lukaschenko und Putin dem Untergang geweiht zu sein, aber das kann angesichts der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens nur ein schwächerer Trost sein.”

    Original (vom 06.08.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    02.08.2023

    IPG Journal: „Solange Putin an der Macht ist, wird der Krieg weitergehen“

    Der Moskauer Soziologe Grigori Judin charakterisiert Russland im Interview mit dem IPG Journal als „sterbendes Reich“: „Man erkennt das daran, dass es den Regionen, die es kontrollieren will, nichts zu bieten hat […] Und deshalb setzt Russland auch ausschließlich auf Gewalt.“ 

    Für Friedensverhandlungen mit Putin sieht er keine Chance: „In dem Krieg geht es ja um die Frage, ob die Ukraine ein souveräner Staat ist. Man würde sie jedoch bevormunden, wenn man sie an den Verhandlungstisch zwänge. Damit würde man implizit Putins Behauptung akzeptieren, dass die Ukraine kein souveräner Staat ist und dass andere die Bedingungen diktieren können.“ Unter Putin werde der Krieg immer weitergehen und eskalieren: „Wenn Putin in der Ukraine Erfolg hat, wird er es nicht dabei belassen […] Ich behaupte nicht, dass dieser Plan aufgeht. Aber es gibt ihn, das muss man im Hinterkopf behalten.“

    Für die deutsche Russlandpolitik der vergangenen Jahre findet Judin scharfe Worte: „Spätestens seit dem brutal niedergeschlagenen Aufstand in Russland 2011 und 2012 war völlig klar, dass die deutsche Wirtschaft und Politik es mit Leuten zu tun hat, die bereit sind, die russische Demokratie zu zerstören […] Kanzlerin Merkels Politik war absolut unvernünftig. Das war, als gebe man die Sicherheit ganz Europas für einen schrecklichen Deal über wichtige Energieressourcen her.“

    englisches Original (vom 01.08.2023) / deutsche Übersetzung


    20.07.2023

    Carnegie Politika: Was die Ergebnisse des NATO-Gipfels in Vilnius für Russland bedeuten

    „Der NATO-Gipfel in Vilnius vergangene Woche hat gezeigt, dass der Krieg gegen die Ukraine für Russland zu einer strategischen Katastrophe wird“ – diese Bilanz zieht Alexander Gabujew in seiner Analyse auf Carnegie Politika. „Als Putin die Öffentlichkeit Ende 2021 auf den Krieg vorbereitete, sprach er von der hypothetischen Gefahr amerikanischer Hyperschall-Raketen in der Ukraine, was für den Kreml inakzeptabel sei. [Mit dem NATO-Beitritt von Finnland und bald Schweden] bekommt Washington [theoretisch] massenweise Orte für eine Stationierung solcher Waffen auf NATO-Gebiet in unmittelbarer Nähe zu Moskau und Sankt Petersburg.“ 

    Noch drastischer sei die bewirkte Entfremdung der Ukrainer: „Wie schon alle vorherigen Versuche Putins, Kontrolle über die Ukraine zu gewinnen, hat die Invasion letztendlich zu einer noch größeren Entfernung von Russland geführt – diesmal wohl endgültig.“ Für die Ukraine sieht Gabujew eine mögliche Zukunft als „europäisches Israel“ mit hochgerüsteten, modernen Streitkräften, „das die Besatzer hasst und nach einer Wiederherstellung der international anerkannten Grenzen von 1991 strebt. Das wäre genau das Szenario, das die Invasion nach Putins Logik hätte verhindern sollen.“

    Moskau setzte dagegen auf die Vorteile in einem langgezogenen Krieg bei niedrigerer Intensität: „Wenn die Sicherheitsreserven für zwei oder drei Jahre ausreichen, […] so hofft der Kreml einfach, systematisch das Leben in der Ukraine unerträglich zu machen, sie in verbrannte Erde zu verwandeln. Und irgendwann werden im Westen vielleicht Politiker an die Macht kommen, mit denen man sich einigen kann.“ Gabujews Fazit daher: „Solange das Regime noch Kraft hat, wird der Krieg andauern – trotz der täglich länger werdenden Liste der negativen Folgen.“

    russisches Original (vom 19.07.2023) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Carnegie Politika: Kein Ausstieg, sondern eine Pause. Hat das Getreideabkommen eine Zukunft?

    Russland hat Anfang der Woche das Getreideabkommen mit der Ukraine auslaufen lassen, das vor einem Jahr geschlossen wurde, um eine sichere Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer zu garantieren. Alexandra Prokopenko liefert dazu auf Carnegie Politika Hintergründe und eine Einordnung: „Beim Getreideabkommen, das Putin anfangs als Druckmittel auf die Ukraine und den Westen sah, ist Moskau zum rein formellen Partner geworden: Er wird beachtet, weil er unberechenbar ist, aber seine Drohungen nimmt niemand ernst. Schon im August erwartet Erdogan einen Besuch von Putin, bei dem es auch um das Abkommen gehen soll. Der türkische Staatschef verfügt über mehrere Druckmittel, um Russland von einer Rückkehr zur Umsetzung des Abkommens zu überzeugen – falls das nicht schon den afrikanischen Staatschefs vor ihm gelingt.“

    russisches Original (vom 18.07.2023) / englisches Original (vom 19.07.2023) / Übersetzung aus Google Translate 


    14.07.2023

    Projekt: Le Chef oder der Koch / Meduza: Prigoshins Karriere vom Kleinkriminellen zum Wagner-Chef

    Vom Leningrader Kleinkriminellen zum Wagner-Rebellen, der sich mit Putin anlegt: Das gemeinnützige Investigativ-Onlineportal Projekt hat umfangreiches Material über Jewgeni Prigoshin zusammengetragen: basierend auf Aussagen krimineller Komplizen, E-Mail-Hacks und Erinnerungen ehemaliger Mitarbeiter seiner Unternehmen. Eine Zusammenfassung von Meduza sammelt die wichtigsten Punkte:

    Schon im Alter von 18 Jahren habe man den jungen Prigoshin demnach beim Stehlen erwischt: direkt nach Schulende. Da saß er zum ersten Mal im Gefängnis. Doch es blieb nicht bei der Kleinkriminalität: Prigoshin fand schnell ins große Geschäft. Nachdem er einige Jahre lang eine Sankt Petersburger Einzelhandelskette geführt hatte, eröffnete er 1995 sein erstes Restaurant. 

    Die Gastronomie war für Prigoshin ein Sprungbrett in die Welt der politischen Eliten. Einer seiner damaligen Gäste war damals Wladimir Putin. Den Angaben von Projekt zufolge genoss der seitens Prigoshin immensen Respekt. In der dritten Person habe er über den späteren russischen Präsidenten ausschließlich in Großbuchstaben geschrieben: „ER”. 

    Alsbald rief Prigoshin selbst seine ersten politischen Projekte ins Leben: eine Trollfabrik und einen Propagandafilm. In letzterem wurde behauptet, Bürger würden gegen Bezahlung an oppositionellen Kundgebungen in Russland teilnehmen. 

    Infolge der Gründung der Wagner-Gruppe 2014 kam es zu zahlreichen Verstrickungen im Rohstoffraub in verschiedenen afrikanischen Ländern, schreibt Projekt. Der Chef der Wagner-Söldner begann demzufolge, Diamanten, Gold und Kaffee zu fördern – neben den militärischen Einsätzen in mindestens 13 Ländern. Sein Hang zur extremen Gewalt zieht sich durch die Aussagen der ehemaligen Mitarbeiter. Trotzdem scheint seine Gefolgschaft weiterhin zu ihm zu halten – den Aufstand seiner Söldner, die gen Moskau verrückten, beschreiben seine Anhänger demnach als impulsiven Kontrollverlust.

    russisches Original von Projekt (vom 12.07.2023) / Übersetzung aus Google Translate

    Zusammenfassung von MeduzaÜbersetzung aus Google Translate


    30.06.2023

    Open Democracy: Zum ersten Mal wird Theater im postsowjetischen Russland angeklagt

    Während die Unterdrückung in Russland zunimmt, wurden Anfang Mai in Moskau die Regisseurin und die Autorin eines preisgekrönten Theaterstücks wegen angeblicher „Rechtfertigung von Terrorismus” festgenommen: Swetlana Petriitschuk und Shenja Berkowitsch. Es ist das erste Mal, dass im postsowjetischen Russland Strafanzeige wegen einer Theaterproduktion erhoben wurde. Bei früheren Anklagen im Theaterbereich, zum Beispiel gegen Kirill Serebrennikow, wurden Wirtschaftsverbrechen o. ä. ins Feld geführt. 

    Das angeklagte Stück – ausgezeichnet mit zwei Goldenen Masken, einem großen Theaterpreis in Moskau – handelt von russischen Frauen, die mit Kämpfern des IS zunächst im Internet korrespondieren, auf der Suche und in der Hoffnung auf die große Liebe. Das ist das große Ziel in ihrem Leben, und es ist in Russland mit seinen teils gewaltbereiten, unterdrückenden Männern oft schwer zu erreichen. So kommt es zu der Bereitschaft, ihr Leben in die Hände ihnen völlig unbekannter Muslime zu geben. Das Stück ist eine kunstvolle Montage aus Gerichtsdokumenten der Frauen nach ihrer Rückkehr nach Moskau und dem Märchen Finist, heller Falke.

    Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen besuchten Experten und der Staatsanwaltschaft die Aufführung und „kamen zu dem Schluss, dass sie sowohl terroristische Ideologien als auch Feminismus enthielt, was im Widerspruch zu Russlands ,männlicher Lebensweise‘ stand.“

    Auf Open Democracy berichtet Mikhail Kaluzhsky über den Fall. Er ist ein russischer Theaterregisseur, Journalist und war Kurator für den Berliner Teil des Festivals Echo Lubimowka. Das trat in diesem Jahr an die Stelle des für die Moskauer Theaterlandschaft sehr wichtigen Lubimowka Festivals und trug ein Echo davon in viele europäische Städte.

    Am Freitag, den 30.06.23 um 13 Uhr Moskauer Zeit, 12 Uhr MESZ wird das Gericht tagen und über eine Verlängerung der Untersuchungshaft für Swetlana Petriitschuk und Shenja Berkowitsch entscheiden.

    englisches Original (vom 17.05.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    27.06.2023

    Meduza: Welche Lektion die Silowiki aus Prigoshins Aufstand ziehen

    „Bei Konflikten im inneren Kreis Putins, sollte man sich besser nicht einmischen“ – das ist die Lehre, die Angehörige der Sicherheitsorgane aus dem Aufstand Prigoshins ziehen. Zu diesem Schluss kommen auf Meduza die Journalisten Andrej Soldatow und Irina Borogan, bekannt für ihre Arbeiten über Russlands Geheimdienste. Die Ereignisse vom Wochenende sehen sie als Prigoshins Versuch, seine angeschlagene Lage zu verbessern. Für Prigoshins Misere habe es zwei Hauptursachen gegeben: (1) Die Einsicht im Kreml, dass man nicht (mehr) auf Prigoshins Wagner-Söldner angewiesen ist. (2) Die Einsicht im Verteidigungs­ministerium, dass dies ein günstiger Zeitpunkt ist, um private Militärunternehmen – allen voran Wagner – unter die eigene Kontrolle zu bringen. Prigoshin habe seinen Status neu verhandeln wollen und sei einer einfachen Logik gefolgt: „Je stärker die Krise, desto besser die Karten.“

    Armee und Geheimdienste hätten darauf keine wirkliche Antwort gehabt. Soldatow und Borogan erklären das mit Angst und der Rolle persönlicher Verbundenheiten, auf das Putins System baue: „Was, wenn Prigoshin eine direkte Verbindung zu Putin hat? Was, wenn er plötzlich einen Deal mit dem Präsidenten schließt? Wen wird Putin für ein Blutvergießen verantwortlich machen – seinen Kameraden oder die Generäle?“ Die Zurückhaltung sei schließlich nicht umsonst gewesen, da es tatsächlich eine Einigung gab. Die Sicherheitsorgane sollen Putin und sein Regime schützen. Wenn es für sie aber klüger ist, sich rauszuhalten, auch wenn Putins Herrschaft bedroht ist, dann habe der Präsident ein Problem.

    russisches Original (vom 26.06.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    26.06.2023

    Meduza: Wie der Kreml versucht hat, mit Prigoshin zu verhandeln

    Ein Blick hinter die Kulissen zu den Ereignissen vom Wochenende liefert Andrej Perzew auf Meduza. Der Journalist hat mit anonymen Informanten im bzw. mit Nähe zum Kreml darüber gesprochen, wie der Kreml versucht hat, mit dem aufständischen Chef der Wagner-Söldner Jewgeni Prigoshin zu verhandeln, während dessen Militärkolonne bereits Richtung Moskau rollte. „[Prigoshins] Forderungen waren nebulös und seltsam: Schoigu absetzen, sich nicht in die Angelegenheiten von Wagner einmischen, mehr Geld. Aber nach solchen Aktionen gab es für ihn keinen Platz mehr im System“, sagt ein Informant. Zunächst habe man versucht, die Situation „mehr oder weniger friedlich“ zu lösen, was jedoch zu keiner Einigung führte. Danach soll der Kreml angeordnet haben, dass Gouverneure und Politiker Prigoshin öffentlich als „Verräter“ verurteilen. Auch Putin tat das in seiner Rede am Morgen des 24. Juni, womit eine friedliche Lösung ausgeschlossen schien. 

    Gegen Mittag habe Prigoshin dann selbst den Kontakt zum Kreml gesucht: „Er hat versucht, Putin zu erreichen, aber der Präsident wollte nicht mit ihm reden.“ Nach Angaben der Informanten von Meduza habe Prigoshin wohl verstanden, dass er „das Maß überschritten“ habe und „die Aussichten für den Fortgang seiner Militärkolonne nebulös“ seien. Nach diesem Sinneswandel habe man im Kreml beschlossen, nicht auf „blutige Kollision“ zu gehen. An den finalen Verhandlungen habe eine große Gruppe von Beamten teilgenommen. Alexander Lukaschenkos Leitung dabei sei dadurch zu erklären, dass Prigoshin auf (protokollarisch) „ranghöchste“ Verhandlungspartner bestanden habe – und die Auswahl da nicht mehr groß war, da Putin nicht mit Prigoshin in Kontakt treten wollte. 

    Insgesamt sind sich die Gesprächspartner von Meduza einig, dass Prigoshin verloren habe: „Er ist aus Russland verdrängt. So etwas verzeiht der Präsident nicht.“ Doch auch für Putin werde es, so ein Informant, angesichts der gezeigten Schwäche schwerer, „die Machtvertikale zu konsolidieren“ – Versuche, „das System umzubauen“, würden seitens der russischen Elite mehr werden. 

    russisches Original (vom 26. Juni 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    24.06.2023

    The Spectator: Russland ist in einer tiefen Krise

    „Die bisher größte Herausforderung für Putins Herrschaft“, so nennt der Historiker Sergey Radchenko den von Wagner-Chef Prigoshin verkündeten Aufstand gegen die russische Militärführung. In The Spectator identifiziert er drei Schlüsselfaktoren und skizziert weitere Entwicklungspfade.

    (1) Eine wichtige Rolle spiele sicher die ukrainische Gegenoffensive, die russische Truppen bindet. (2) Prigoshin hat womöglich geahnt, dass sich Putin im Konflikt Wagner vs. Verteidigungsministerium hinter seinen Verteidigungsminister stellen werde (seine Rolle war zuvor ambivalent). (3) Prigoshin kann womöglich auf Leute im Kreml zählen, die ihn unterstützen. 

    In der gegenwärtigen unübersichtlichen Lage sieht Radchenko drei Richtungen der Entwicklung: (1) „Astreiner Putsch“: Prigoshin kommt nach Moskau, Putin wird abgesetzt oder stirbt. Unwahrscheinlich, aber nicht undenkbar. (2) „Bürgerkriegs-Szenario“: Prigoshin kann eine regionale Basis (wie aktuell Rostow) halten, was zu langwierigen Machtkämpfen führen kann. (3) „Kirow-Szenario“: Prigoshin wird gefangen genommen oder getötet. Womöglich folgen Erklärungen, Prigoshin sei ein CIA-Agent gewesen, sowie neue, brutale Repressionen. 

    „Russland hat eine reiche Geschichte gescheiterter Umsturzversuche“, schreibt Radchenko: Der Zusammenbruch der UdSSR folgte kurz nach dem fehlgeschlagenen Augustputsch 1991, auf den gescheiterten Marsch auf Petrograd von General Kornilow 1917 folgte später der Russische Bürgerkrieg

    englisches OriginalÜbersetzung aus Google Translate


    23.06.2023

    Carnegie Politika: Warum Putin den Krieg nie beenden wird

    „Solange Putin im Kreml sitzt, wird der Krieg weitergehen“, warnte der Moskauer Soziologe Grigori Judin im Februar. Ähnlich sieht das Maxim Samorukow: Der Krieg bietet Putin allerlei Vorteile, während eine Beendigung nur zu unkalkulierbaren Risiken führen würde. So argumentiert der Carnegie-Analyst in seinem Gastbeitrag für Foreign Policy, der in russischer Fassung auch auf Carnegie Politika erschienen ist: „Egal wie erschöpft Russlands Ressourcen sein mögen – es wird sich bei Bedarf immer eine Möglichkeit finden, den Krieg zu verlängern. Weil nicht Krieg zu führen für Putin einfach noch gefährlicher wäre.“ 

    Die wirtschaftliche Ausrichtung weg von Europa hin zu Asien, die Beseitigung der noch verbliebenen unabhängigen Medien, die Integration von Belarus und Vieles mehr – all diese Ziele habe Putin schon vorher gehabt, „doch erst der Krieg hat es Putin ermöglicht, diese dem gesamten russischen Staatsapparat und sogar der Gesellschaft als Prioritäten aufzuzwingen“, schreibt Samorukow: „Putins langjährige Träume erfüllen sich einer nach dem anderen. Warum sollte er aufhören?“ Natürlich habe all das auch einen hohen Preis für Russland, doch das sei aus Putins Sicht mit Blick auf die Geschichtsbücher nicht entscheidend: „Tausende Menschenleben und Milliarden von Dollars – das ist alles vergänglicher Staub, an dessen Bewahrung sich niemand erinnern wird. Erinnern wird man sich dagegen an Siege und Errungenschaften.“

    Im Falle einer Beendigung des Krieges, so Samorukow, müsse sich Putin fragen, was er fortan tun soll („Was sollte ihn nach solch einem Unterfangen schon interessieren? Den Wohnungsbau reformieren? Eine Autobahn von Moskau nach Kasan bauen? Sollte er deswegen den Krieg aufgeben?“). Und gleichzeitig werde man ihm unangenehme Fragen stellen, die letztlich seine Herrschaft bedrohen könnten: „Was waren eigentlich die Ziele der Invasion? Zu welchem Preis? Und war es das wirklich wert?“

    russisches Original (vom 16.06.2023) / Übersetzung aus Google Translate


    02.06.2023

    Carnegie Politika: Warum die Regierung die Drohnenangriffe ignoriert

    Ob Sabotageakte in der Oblast Belgorod oder Drohnenangriffe auf Moskau – aus dem Kreml bleibt es zu solchen Vorfällen auffällig still: Wo viele angesichts der Verunsicherung in der russischen Bevölkerung eine Ansprache Putins erwarten würden, folgt Beschwichtigung und Kleinreden, meist durch Kremlsprecher Peskow. Die Politologin Tatjana Stanowaja ergründet auf Carnegie Politika, woher das kommt und was das bedeutet: „Es ist der Eindruck entstanden, dass jene rote Linien des Kreml entweder nie existierten oder überaus flexibel sind […] So ist das russische System aufgebaut: All seine Ressourcen sind nicht darauf konzentriert, Attacken abzuwehren oder die Lage [angemessen] zu bewerten, sondern darauf, Verantwortung maximal von sich zu weisen.“

    Russisches Original (vom 30. Mai 2023) / Englische Version / Übersetzung aus Google Translate


    24.04.2023

    SN Plus: Moskau hat einen „Igel in die Hose losgelassen

    Der Ausspruch „Igel in der Hose“ geht auf Nikita Chruschtschow zurück, der in Anbahnung der Kuba-Krise gesagt haben soll, man „müsse einen Igel in die Hosen von Uncle Sam lassen“. Der belarussische Politologe Waleri Karbalewitsch nutzt die Redewendung auf SN Plus um zu verdeutlichen, warum der Kreml dem Chef der sogenannten DNR, Denis Puschilin, einen Besuch beim belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko „verordnet“ hat. Dieser Besuch fand am 18. April 2023 in Minsk statt. Daraufhin kam es zum Eklat in den ukrainisch-belarussischen Beziehungen. Der ukrainische Präsident Wolodomyr Selensky ließ seinen Botschafter in Minsk abberufen, was trotz Lukaschenkos Verstrickung in den russischen Angriffskrieg bisher nicht geschehen war. Karbalewitsch analysiert, warum Moskau an Puschilins Besuch Interesse hat und was dies für die Zukunft der ukrainisch-belarussischen Beziehungen bedeuten könnte. Fährt Lukaschenko etwa eine zweigleisige Politik, indem er loyal zum Kreml steht und gleichzeitig versucht, geheime Absprachen mit der ukrainischen Führung zu treffen? Diese wiederum habe Interesse daran, Lukaschenko an einem direkten Eintreten in den Krieg zu hindern: Die Ukraine habe laut Karbalewitsch womöglich sogar Lobbyarbeit bei der EU geleistet, um weitere Sanktionen gegen Belarus zu verhindern. Mit dem Empfang von Puschilin habe Lukaschenko nun allerdings „seinen Rubikon“ überschritten – womit auch die Chancen steigen, dass Kyjiw Swetlana Tichanowskaja offiziell als Oppositionsführerin anerkennen könnte, was bis dato nicht passiert ist.

    Original (vom 21. April 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    04.04.2023

    The Guardian: „My country has fallen out of time“

    In einem öffentlichen Brief, der in der englischen Zeitung The Guardian erschienen ist, wendet sich der russische Schriftsteller Michail Schischkin an einen ukrainischen Soldaten, wohl stellvertretend für alle Ukrainer, die ihr Land gegen den russischen Angriff verteidigen. „Züchten Diktatoren und Diktaturen Sklavenpopulationen oder Sklavenpopulationen Diktatoren?“, fragt Schischkin. „Die Ukraine konnte aus diesem Höllenkreis entkommen, aus unserer gemeinsamen, monströsen, blutigen Vergangenheit. Aus diesem Grund wird es von russischen Betrügern gehasst. Eine freie und demokratische Ukraine kann der russischen Bevölkerung als Vorbild dienen, weshalb es Putin so wichtig ist, sie zu vernichten.“ Schischkin fragt sich, warum seine Landsleute im Angesicht dieses Horrors schweigen. Er zieht die Geschichte zu Rate, weist darauf hin, dass das Schweigen immer eine russische Überlebensstrategie war. Aber dann kam im Herbst die Mobilmachung, die so viele Familien in Russland betrifft und trifft. Warum wieder nur Schweigen, kaum Protest? 

    Schischkin sieht nur eine Erklärung: „Mein Land ist aus der Zeit gefallen … die meisten Russen leben geistig in der Vergangenheit, als sich die Menschen ihrem Stamm anschlossen. Unser Stamm hat immer recht, und die anderen Stämme sind unsere Feinde und wollen uns vernichten.“ Schischkin sieht die Möglichkeit einer Zukunft nur in einem Weg: in der totalen Niederlage Russlands.

    englisches Original (vom 2. April 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    28.03.2023

    Projekt: Brain Drain – Wissenschaftler verlassen erneut Russland

    „Ganze Fachbereiche stehen still, es wird einfach nicht mehr geforscht. Wir sind um Jahre zurückgeworfen“, sagt der russische Astrophysiker Sergej Popow. Die Biografie des Professors der Russischen Akademie der Wissenschaften ähnelt der von zahlreichen namhaften Kolleginnen und Kollegen: 2016 wurde er vom Staat für die „Treue zur Wissenschaft“ ausgezeichnet, im Februar 2022 hat er mit über 8000 Wissenschaftlern einen offenen Brief gegen den Krieg unterzeichnet und wenige Monate später das Land verlassen. Projekt hat Fälle wie diesen zusammengetragen. „In der Tradition der 1930er Jahre“ wurden viele mit Hilfe von Denunziationen und Schnüffeleien aus ihren Positionen gedrängt, wie die Redaktion schreibt. 

    In dem Artikel geht es außerdem um eine fortschreitende Zensur bei Büchern zur LGBT-Thematik etwa, die nach der verschärften Gesetzgebung plötzlich aus den Bibliotheken verschwinden oder nur noch in der „18+“-Abteilung zu finden sind. Projekt hat sich außerdem die Vergabepraxis für öffentliche Fördergelder im Bildungsbereich angesehen und festgestellt, dass im vergangenen Jahr besonders viele Vorhaben gefördert wurden, bei denen es um „patriotische Erziehung“ geht.

    russisches Original (vom 27. März 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    23.03.2023

    Wjorstka: Verunsicherung nach Haftbefehl gegen Putin

    Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin soll in der russischen Machtelite für Verunsicherung gesorgt haben – davon zeugen auch die (meist anonymen) Aussagen von Politikern und Beamten, mit denen Wjorstka gesprochen hat: „Anfangs wusste keiner, wie darauf zu reagieren ist“, sagt einer der Gesprächspartner – es habe lange keine Anweisungen gegeben, weswegen die Mehrheit zunächst geschwiegen habe. Erst als Maria Sacharowa, die Sprecherin des Außenministeriums, den Haftbefehl „juristisch nichtig“ nannte, sei die Stoßrichtung der öffentlichen Kommentare klar geworden. Ein kremlnaher Polittechnologe spricht von einem Loyalitätstest, „den nicht alle bestehen werden“. Er erwartet eine weitere Spaltung der Eliten und ein noch aktiveres Vorgehen gegen „Helfershelfer“: „Sie werden die eigenen Leute schlagen, damit die anderen Angst bekommen.“

    russisches Original / Übersetzung aus Google Translate


    21.03.2023

    Meduza: Was der Kreml zum Haftbefehl gegen Putin denkt

    Der am Freitag vom Internationalen Strafgerichtshof erlassene Haftbefehl gegen Putin soll für den Kreml höchst unerwartet gekommen sein. Das schreibt Andrej Perzew in einem Artikel auf Meduza, der sich auf anonyme Quellen mit Nähe zur Präsidialadministration stützt. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2024 habe man versucht, ein neues Image für Putin aufzubauen: als „Kämpfer gegen den Westen“, als „Beschützer der Länder Lateinamerikas und Afrikas vor kolonialer Unterdrückung“ und „einem der wichtigsten Leader der multipolaren Welt“. Wegen eingeschränkter Reisemöglichkeiten ins Ausland sei dies jedoch nun erheblich erschwert, betonen die Gesprächspartner gegenüber Meduza: Für Putin seien „selbst die Länder der GUS nicht mehr sicher“. 

    russisches Original / Übersetzung aus Google Translate 


    16.03.2023

    Pozirk: Der Koordinationsrat ist wohl kein einfacher Partner für das Team Tichanowskaja

    In der belarussischen Opposition, die bekanntlich vor allem aus dem Exil heraus agieren muss, gibt es sehr viele Bewegungen und Diskussionen, die nur selten von internationalen Medien abgebildet werden. In einem Beitrag für das Online-Medium Pozirk beschäftigt sich der Journalist Alexander Klaskowski mit den neuesten Entwicklungen. 

    Im vergangenen Jahr hat das Team um Swetlana Tichanowskaja eine Art Übergangskabinett gebildet, auch um andere oppositionelle Gruppierungen enger an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Dabei wurde auch festgelegt, dass der Koordinationsrat, der im August 2020 ursprünglich gebildet worden war, um bekannte Wissenschaftler, Politiker, Experten und Aktivisten in unterschiedlichen Gruppen den Prozess des politischen Wandels gestalten zu lassen, in eine Art Parlament überführt werden soll. Diese komplexe und komplizierte Reform, die die demokratische Meinungs- und Entscheidungsbildung der Opposition im Exil nach dem Prinzip der Gewaltenteilung institutionalisieren soll, zieht sich allerdings seit Monaten hin und droht, die Opposition zu spalten. Auch weil die Angst umgeht, dass sich dabei Gruppierungen durchsetzen könnten, die bereit sind, mit Lukaschenko zu verhandeln. Vor allem zeige sich auch, so Klaskowski, dass der Koordinationsrat plane, entscheidende Fragen der Personalpolitik wie beispielsweise im Ministerrat bestimmen und auch die Arbeit des Teams Tichanowskaja entscheidend kontrollieren zu wollen und damit möglicherweise auszubremsen. Zudem stelle sich die Frage nach der Legitimität des Koordinationsrates, der nicht von den Belarussen gewählt wurde, sondern in den bestimmte gesellschaftliche und politische Gruppe Vertreter entsandt haben. Klaskowski geht auch auf aktuelle Streitpunkte der Opposition ein, wie die Sanktionen des Westens, die Rolle des Kalinouski-Regiments in der Ukraine, überhaupt auf die Schwierigkeiten zwischen der ukrainischen Führung und der neuen belarussischen Opposition. Klaskowski stellt alle diese Prozesse sehr detailliert dar und fordert nur eines: dass man nicht in den Geist der alten Opposition verfallen dürfe.

    russisches Original (vom 14. März 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    13.03.2023

    GIP: Is Georgia on the Path to Authoritarianism?

    In der vergangenen Woche kam es in der georgischen Hauptstadt Tbilissi zu Massenprotesten. Auslöser war das sogenannte „Agentengesetz“, das die Regierungspartei Georgischer Traum durchsetzen wollte. Infolge der Proteste lehnte das Parlament das Gesetz in der zweiten Lesung ab. Das Gesetz orientiert sich an einem Gesetz in Russland, mit dem der Kreml seit 2012 gegen Journalisten, Medien, zivilgesellschaftliche Organisationen, Intellektuelle und andere bekannte Personen vorgeht. Für die Webseite des Forschungsinstituts Georgian Institute of Politics (GIP) beschäftigt sich Stefan Meister mit der Frage, ob Georgien insgesamt auf dem Rückweg in den Autoritarismus sei. Dabei rekapituliert der Politologe, dass das südkaukasische Land nach der sogenannten „Rosenrevolution“ 2004 zum Schlüsselpartner für die EU und die USA wurde. Unter Saakaschwili wurden trotz neuer autoritärer Tendenzen viele demokratische Reformen und Modernisierungsprozesse durchgesetzt. Die Regierungspartei Georgischer Traum versucht seit Jahren, diesen Prozess rückgängig zu machen, dabei geht sie gegen Medien und Zivilgesellschaft vor. Dabei ist das diskutierte Gesetz als rechtliches Instrument anzusehen, „um die Zivilgesellschaft zu diskreditieren, zu bestrafen und zu zerlegen“. Damit solle das Gesetz „Georgien von seinem transatlantischen und insbesondere europäischen Integrationskurs“ abbringen. Darin sieht Meister letztlich das Ziel, die Desorientierung der Gesellschaft als Folge des Verlustes der EU-Mitgliedschaftsperspektive zu erleichtern, und damit „die Gesellschaft zu manipulieren und die nächsten Schritte in ihrer Annäherung an Russland zu gehen, was auch für einige georgische Akteure wirtschaftlich vorteilhaft sein kann“.

    englisches Original (vom 10. März 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    24.02.2023

    Pozirk: Der Kreml will Belarus in aller Stille übernehmen

    Anfang der Woche berichteten internationale Medien von einem „offiziellen Strategiepapier“ Russlands, in dem die schrittweise Einverleibung von Belarus bis 2030 skizziert wird. Demnach will Russland seine Militärpräsenz im Nachbarland weiter ausbauen, es sollen prorussischen Eliten in Politik, Wirtschaft oder Forschung installiert werden und russische Pässe ausgegeben werden. Viele der in dem Papier enthaltenen Pläne sind nicht neu. Die Integration von Belarus in den Unionsstaat wird vor allem seit 2021 auf wirtschaftlicher und militärischer Ebene umgesetzt. 

    In einer Analyse für das Online-Medium Pozirk rekapituliert der belarussische Journalist Alexander Klaskowski die Schritte, die vor allem seit 2020 zu einer massiveren Abhängigkeit Alexander Lukaschenkos von Russland geführt haben – eben weil sich der belarussische Machthaber bei der Niederschlagung der Proteste seinen Weg nach Westen verbaute und voll und ganz auf die Unterstützung des Kreml setzte. Bis dahin hat sich Lukaschenko immer wieder erfolgreich aus der Umarmung Russlands lösen können, um die eigene Macht zu sichern. Seitdem aber zieht sich die Schlinge für Lukaschenko und Belarus immer weiter zu, was sich vor allem auch an der Tatsache ablesen lässt, dass Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch von belarussischem Territorium aus begann – und zwar, darüber sind sich viele Experten einig, ohne den belarussischen Autokraten in die Pläne einzuweihen. Da Lukaschenko die belarussischen unabhängigen Medien außer Landes getrieben hat, nutzt die russische Staatspropaganda das entstandene Vakuum für eigene Ziele. „Moskau wirbt in Belarus auch erfolgreich für seine Soft Power“, schreibt Klaskowski. „Seine Medien fühlen sich im lokalen Informationsraum wohl, und die Propaganda des Lukaschenko-Regimes gibt die wichtigsten Erzählungen des Kreml wieder. Die Russifizierung geht weiter. Dieselbe geheime Strategie zielt darauf ab, die Position der russischen Sprache in Belarus zu stärken und ihre Vorherrschaft über die belarussische Sprache zu sichern.“ Auch hält er fest, dass die Position der pro-russischen Kräfte innerhalb des Machtapparats deutlich stärker geworden sei. Chancen, doch noch einen anderen Weg einzuschlagen, hält er für abwegig: „Lukaschenko hat nicht genug Potenzial, um sich erfolgreich zu wehren. Auch wenn er versucht, sich der direkten Verwicklung in den Krieg zu entziehen und der internationalen Gemeinschaft seine friedensstiftenden Dienste aufzuzwingen.“

    Original (vom 21. Februar 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    17.02.2023

    Time: Inside the Basement Where an Entire Ukrainian Village Spent a Harrowing Month in Captivity

    Am 3. März 2022 rückten russische Truppen in das kleine Dorf Yahidne ein, das im Norden der Ukraine unweit der Grenzen zu Belarus und Russland liegt. Bis zum 30. März hielten die Soldaten das Dorf besetzt. Nahezu die ganze Bevölkerung des Dorfes – 360 Menschen, darunter Kinder und Alte – pferchten die Besatzer in den Keller der örtlichen Schule, wo sie bis zum Rückzug der Truppen ausharren mussten und ein Martyrium erlebten. „Später rechneten sie aus“, heißt es in der detaillierten Reportage der US-Zeitschrift Time, „dass etwa ein halber Quadratmeter pro Person zur Verfügung stand […] Sie saßen auf der Bank oder auf dem Boden und stützten ihre Köpfe auf die Schultern ihrer Nachbarn, ohne zu wissen, ob sie den nächsten Morgen erleben würden.“ Die furchtbaren Bedingungen in der Gefangenschaft forderten schnell die ersten Opfer. Bereits am fünften Tag starb ein 92-jähriger Mann. „Vom 5. bis zum 30. März starben 10 Menschen aus Mangel an Sauerstoff, Medikamenten und Pflege.“ Die russischen Soldaten stellten den Menschen in Aussicht, sich Essen aus ihren Häusern holen zu dürfen. Zu einer Bedingung: Sie sollten die russische Hymne singen, worauf sich allerdings niemand einließ. Die russischen Soldaten trugen keine Abzeichen, sodass eine persönliche Identifizierung bewusst verhindert wurde. Daraus schließt das Reckoning Project, ein Zusammenschluss von Journalisten und Menschenrechtsanwälten, das im Artikel zitiert wird, dass Folter und Erniedrigungen zur Taktik des russischen Militärs gehören, um die ukrainische Bevölkerung systematisch zu terrorisieren, nicht nur in Yahidne.

    Original (vom 15. Februar 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    15.02.2023

    Blätter für deutsche und internationale Politik: Wie pazifiziert man die Revisionisten?

    In einem längeren Beitrag für die Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik konstatiert der Politologe Herfried Münkler: „Wer beim Krieg im Osten der Ukraine nur auf die Ukraine schaut, der sieht zu wenig.“ Er führt an, dass sich im Raum des Schwarzen Meeres, im Kaukasus oder womöglich sogar im Balkan noch weitere heiße Konflikte auftun könnten, die Europa in Zukunft massiv beschäftigen und die, wenn es ganz schlecht laufe, zu einem einzigen Krisenherd zusammenwachsen könnten. Vor allem der türkische Präsident Erdogan, der sich von Zeit zu Zeit mit Griechenland wegen der Anspruchsrechte in Bezug auf die Ägäisküste anlegt oder mit militärischen Mitteln immer wieder in den Siedlungsgebieten der Kurden aktiv wird, leide im Hinblick auf das infolge des Ersten Weltkriegs zerfallenen Osmanischen Reiches an ähnlichen „imperialen Phantomschmerzen“ wie Putin, der bekanntlich der Sowjetunion nachtrauert. Münkler plädiert dafür, diesen geopolitisch hochaktiven Raum und seine ungelösten Probleme als Hinterlassenschaft des Ersten Weltkriegs zu betrachten. 

    Wie geht man nun mit Staatsführern um, die sich der revisionistischen Politik verschrieben haben, wie bekommt man sie in den Griff, ohne dass es allerorts eskaliert? Münkler erörtert die Strategien des Wohlstandstransfers, des Appeasements, der Abschreckung und die Frage, unter welchen Vorzeichen es in der Ukraine überhaupt zu einem Verhandlungsfrieden kommen könnte. Dabei konstatiert er: Sicherheitsgarantien von Seiten der Europäer zu geben, hieße: „Beim nächsten Angriff der Russen – oder auch der Ukrainer – sind die Europäer dann selbst Kriegspartei.“ Schlussendlich diskutiert er mögliche Folgen für die neue politische Weltordnung, die sich anzubahnen scheint.

    Original (Januar 2023)


    03.02.2023

    New Eastern Europe: In and out of Belarus – the dissidents will not give up

    Bis zum heutigen Tag gehen die Repressionen und Festnahmen in Belarus weiter. Die belarussischen Machthaber um Alexander Lukaschenko versuchen so zu verhindern, dass sich ein ähnlich breiter Protest wie im Jahr 2020 entwickeln kann. Wie Zehntausende Belarussen ist auch Andrei Wasjanau, Dozent an der Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius (EHU), vor den Repressionen ins Ausland geflohen. Die Zeitschrift New Eastern Europe hat mit Wasjanau ein längeres Interview geführt. Darin geht es um die Proteste, warum sie sich selbst für die Belarussen so großflächig entwickelten, um die neue Opposition um Swetlana Tichanowskaja, die aus dem Exil heraus agieren muss, aber auch um die belarussische Kulturszene, die ebenfalls stark von den Repressionen betroffen ist. Dennoch seien immer noch einige Bands und Musiker in Belarus aktiv, „was mir sehr mutig erscheint – und sehr wichtig für diejenigen, die im Land bleiben. Da die öffentliche Unzufriedenheit mit der Diktatur nicht verschwunden ist, hat sich der Widerstand nur in Bereiche verlagert, die schwerer zu kontrollieren sind: zeitgenössische Kunst und Indie-Musik gehören dazu.“ 

    Original (vom 31. Januar 2023) / Übersetzung aus Google Translate


    01.02.2023

    Radio Svoboda: „Literatur, die große Fragen aufwirft, wird überleben“

    Vladimir Sorokin ist einer der bekanntesten russischen Schriftsteller in Deutschland. Seit den 1980er Jahren schreibt er bildgewaltige Romane. Die aktuelle Situation zeigt für ihn, dass sich seit der Herrschaft Iwan des Schrecklichen nichts geändert hat in Russland. Die „Zombies“ (dafür steht der Buchstabe Z) haben während eines demokratischen Interludiums in der Ecke gewartet und mit Sägespänen bedeckt überlebt – nach wie vor existiert die Gewaltgesellschaft, so der Schriftsteller. Trotzdem sei in den vergangenen 30 Jahren nicht alles umsonst gewesen: Zumindest könnten vernünftige Geister, die es auch gibt in Russland, darüber reden, was geschieht – über den umfassenden Todestrieb, der alles zerstört. 

    Vladimir Sorokin in einem bildstarken Interview auf Radio Svoboda darüber, inwiefern die Literatur in der Ukraine sehr viel mehr für die gesellschaftliche Erneuerung getan hat als die russische – denn sie führt Sorokins Ansicht nach ein echtes Leben in der Gegenwart, während die Russen in Phantasien leben und zwischen Erinnerung und Hoffnung schwanken. In Belarus werde es genauso sein wie in der Ukraine: „Als ich in Minsk war, fühlte ich mich rein existentiell unter Europäern. Es gibt keine Tradition der Horde, kein Diktat des Kollektivismus.”

    russisches Original (vom 23.01.2023) / Übersetzung aus Google Translate 


    13.01.2023

    Carnegie Politika: Was Russland demografisch erwartet

    Krieg, Mobilmachung, Auswanderung und allgemeine Verunsicherung – Andrej Kolesnikow rechnet auf Carnegie Politika mit einer drastischen Verschärfung der demografischen Probleme Russlands für die kommenden Jahre und resümiert: „Eines der Hauptprobleme der russischen Gesellschaft besteht heute darin, dass die ältere Generation der 70-jährigen Staatenlenker für die Jugend entscheidet, wie und unter welchen Umständen sie zu leben hat. Und was noch schlimmer ist: wie und für wen sie sterben soll.“

    russisches Original (vom 09.01.2023) / Übersetzung aus Google Translate 


    28.10.2022

    Carnegie Politika: Russlands neue Ziele im Krieg gegen die Ukraine

    General Surowikin ist Russlands neuer Kommandeur im Krieg gegen die Ukraine, mit ihm haben sich auch ein weiteres Mal die russischen Kriegsziele geändert, analysiert Außenpolitikexperte Wladimir Frolow auf Carnegie Politika. Insbesondere wegen grober Fehleinschätzungen der eigenen Kräfte in Bezug auf die angestrebten Ziele (wie ein Regimewechsel in Kyjiw) habe Moskau von Februar bis September zahlreiche militärische Niederlagen erlitten. Inzwischen, so Frolow, sei die Einschätzung jedoch „geerdeter“ und realistischer: Russlands Ziel sei nun vor allem die „strategische Verteidigung“, die Haltung insbesondere des Landkorridors zur Krim, auch wenn dies zum Preis eines Rückzugs aus weniger wichtigen Gebieten sei. 

    russisches Original (vom 25.10.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Mediazona: Lass uns heiraten

    Bleibt es bei der Mobilmachung in Russland bei den angekündigten 300.000 Soldaten? Mediazona schätzt, dass landesweit bereits knapp 500.000 Männer einberufen wurden, und stützt sich dabei auf Zahlen sprunghaft angestiegener Eheschließungen. Ähnlich wie die Übersterblichkeit oft zur Schätzung der tatsächlichen Covid-Toten herangezogen wurde, sieht das Daten-Team von Mediazona in den überdurchschnittlich häufigen Eheschließungen einen Indikator für die tatsächliche Zahl der Einberufenen von Ende September bis Mitte Oktober. Die „zusätzlichen“ Eheschließung in diesem Zeitraum seien auf Trauungen von Einberufenen zurückzuführen, da diese kurzfristig und ohne Wartezeit möglich sind, während im Normalfall Wartezeiten von einem Monat und länger gelten. 

    russisches Original (vom 24.10.2022) / englische Version (gekürzt) / Übersetzung aus Google Translate


    27.10.2022

    Wilson Center Blogpost: Wahrhaftig und frei – Waleri Panjuschkin darüber, was wir während des Krieges retten können

    Der Journalist Waleri Panjuschkin hat sein geliebtes Haus im Moskauer Umland verlassen und übergibt es dem Verfall. Die freundliche Nachbarschaft hatte sich gewandelt in eine Gemeinschaft von Menschen, die man lieber nichts fragt, weil man Angst vor der Antwort hat. Vermissen wird er vor allem das Haus, das Klavier und die Bücher, obwohl er sie wegen der Augen nicht mehr lesen kann. Mitnehmen wird er die Sprache, die russische Sprache, um sie zu retten davor, eine Sprache der Lüge zu bleiben, zu der sie mittlerweile geworden ist. Inspirieren tun ihn dazu Worte von Anna Achmatowa aus dem Jahr 1942 über die russische Sprache: „Und wir werden dich retten, russische Sprache, großes russisches Wort.”

    russisches Original (vom 25.10.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    21.10.2022

    The Russia File: Russia Meets Its History

    Triumphalismus als Wegbereiter der Katastrophe: Für den Blog The Russia File vom US-amerikanischen Kennan Institute beleuchtet Meduza-Journalist Maxim Trudoljubow einmal mehr die Frage, inwiefern sich in Russlands brutalem Angriffskrieg gegen die Ukraine verdrängte Kapitel der eigenen Geschichte zeigen: „Diejenigen Russen, die zugelassen haben, dass der Sieg im Zweiten Weltkrieg, Stalins Industrialisierung oder Chruschtschows Durchbrüche in der Raumfahrt die harten Wahrheiten der Geschichte ihres Landes verschleiert haben, die lernen nun ihr Einmaleins der Sowjetgeschichte auf die harte Tour.“

    Original (vom 13.10.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    20.10.2022

    The Atlantic: More Proof That This Really Is the End of History

    Zur Zeit der Auflösung der Sowjetunion und der Beendigung des Kalten Krieges formulierte der US-Politologe Francis Fukuyama seine berühmte These vom Ende der Geschichte (The End of History), wonach sich die liberale Demokratie als überlegen erwiesen habe und im evolutionären Fortschreiten der Geschichte langfristig durchsetzen werde. Diese These wurde seitdem breit diskutiert, kritisiert und teils auch belächelt – angesichts offensichtlich erstarkender autoritärer Regime. In einem aktuellen Essay für The Atlantic sieht Fukuyama seine grundlegende These jedoch ein weiteres Mal bekräftigt: Um die liberale Demokratie sei es trotz aller Rückschläge global gesehen besser bestellt als viele meinen, während die Schwächen autoritärer Systeme offenkundig seien. Als Beispiel nennt Fukuyama unter anderem Russland: „Putins schlechte Entscheidungsprozesse und der magere Rückhalt für sein Regime haben einen der schwersten strategischen Fehler seit Menschengedenken hervorgebracht. Statt Größe zu demonstrieren und das Imperium wiederzubeleben, wurde Russland zum Objekt globalen Gespötts und wird in den kommenden Wochen weitere Erniedrigungen durch die Ukraine erfahren.“ 

    Original (vom 17.10.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    14.10.2022

    Ukrajinska Prawda: Der zweite nach Selensky

    Der ukrainische Kriegsreporter Ilja Ponomarenko vom Kyiv Independent ist für viele internationale Beobachter eine geschätzte Quelle, sein Twitter-Account hat inzwischen 1,2 Millionen Follower, weswegen ihn seine Kollegen auch scherzhaft „den zweitbeliebtesten Ukrainer auf Twitter nach Selensky“ nennen. In der Ukrajinska Prawda erzählt der 30-Jährige aus dem ostukrainischen Wolnowacha von seinem Weg in den Journalismus, über ein Umdenken bei vielen Menschen im Donbass, aber auch über Leute, die trotz allem weiter Sympathien für Russland hegen.

    Ukrainisches Original (vom 14.08.2022) / russische Version / Übersetzung aus Google Translate


     

    Wjorstka: „Tausende Schüler ohne Lehrer“

    Auch Lehrer sind in Russland nicht von der Mobilmachung ausgenommen, viele haben bereits das Land verlassen oder verstecken sich vor der Einberufung. Wie sich das auf den Schulbetrieb auswirkt, berichtet das russische Online-Medium Wjorstka: So denkt etwa eine Schule in Sankt Petersburg bereits über die Schließung nach, weil 80 Prozent des Lehrpersonals fehlen, einem Lehrer in Kamtschatka wurde die Einberufung direkt vor den Augen seiner Klasse ausgehändigt, in Pskow wandten sich Schülerinnen und Schüler an den Gouverneur der Region, um zu bewirken, dass ihr Geschichtslehrer nicht an die Front muss.

    Original (vom 09.10.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    07.10.2022

    Foreign Affairs: Putin's Apocalyptic End Game in Ukraine

    Vor dem Hintergrund von Mobilmachung, Annexionen und Putins nuklearem Ultimatum an den Westen präsentiert die russische Politologin Tatjana Stanowaja auf Foreign Affairs ihre Analyse der Situation: Mit der Mobilmachung habe Putin klar gemacht, dass ihm seine geopolitischen Ziele in der Ukraine wichtiger sind als die Unterstützung in der eigenen Bevölkerung – „er ist ganz darauf bestrebt, sein Spiel in der Ukraine in einen Sieg zu verwandeln, koste es, was es wolle.“ Sie spricht von einer „Besessenheit mit der Ukraine“, Putins manisches Handeln habe den „bitteren Beigeschmack von suizidaler Verzweiflung.“ Die zentrale Frage sei nun, schreibt Stanowaja, „ob Russlands Eliten und die breite Gesellschaft bereit sind, ihren Präsidenten auf diese Reise in die Hölle zu begleiten“, oder ob Putin damit nur „den Weg für sein eigenes Ende bereitet“ habe.

    Original (vom 06.10.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    06.10.2022

    Meduza: „Ehrlich gesagt werden sie alle dort sterben“

    Mit der „Teilmobilmachung“ will Russland tausende weitere Menschen in den Krieg gegen die Ukraine schicken. Doch was denken darüber die, die bereits an der Front waren? Meduza lässt russische Berufssoldaten und Söldner zu Wort kommen, deren Ansichten zum Krieg sich inzwischen teils radikal gewandelt haben. So sagt etwa der ehemalige Frontsoldat Kirill (Name geändert), dass er in den Neueinberufenen sich selbst vor drei Monaten wiedererkenne – und empfiehlt ihnen, sich „für das Leben“ zu entscheiden: „Wir sind die Faschisten. Anders kann man das nicht sagen. In der Ukraine gibt es gerade tatsächlich eine Entnazifizierung und Entmilitarisierung – doch nicht für die Ukraine, sondern für uns.“

    Original (vom 28.09.2022) / gekürzte englische Versiondeutsche Übersetzung aus Google Translate


    30.09.2022

    Faridaily: „Putin wählt immer die Eskalation“

    Was denkt die russische Elite über die von Putin verkündete Mobilmachung und wie verhält sie sich in dieser angespannten Lage, die sich mit der bevorstehenden Annexion ukrainischer Gebiete weiter verschärfen wird? Darüber haben die gut vernetzten Journalisten Farida Rustamowa und Maxim Towkailo mit 15 hochrangigen Vertretern aus Politik und Wirtschaft gesprochen, die auf Rustamowas Blog Faridaily anonym zu Wort kommen. Vielerorts, so entsteht der Eindruck, setzt man dort trotz aller Kritik und Sorgen auf Stillhalten. (Ähnlich schätzt auch der Politologe Wladimir Gelman die Situation ein: „Wer nicht einverstanden ist, wird sich vielmehr bedeckt halten und womöglich abwarten, dass sich die Lage in eine günstigere Richtung entwickelt.“) Rustamowa und Towkailo resümieren: „Panisch rettet das russische Establishment die eigenen Angehörigen vor der Mobilmachung. Putins Entscheidung zur Annexion der ukrainischen Gebiete und sein Ultimatum an den Westen lässt die Beamten und Staatsmanager nur beten, dass es nicht zum Atomkrieg kommt. Sie beteuern, dass es nur wenige aufrichtige Kriegsbefürworter unter ihnen gebe. Doch auch ein halbes Jahr später hinterlässt dieser Dissens keine sichtbaren Spuren.“ 

    Russisches Original (vom 29.09.2022) / englische Version / deutsche Übersetzung aus Google Translate

     

    New York Times: ‘Putin Is a Fool’: Intercepted Calls Reveal Russian Army in Disarray

    In einer aufwendigen Recherche hat die New York Times abgefangene Telefonanrufe russischer Soldaten aus dem Kriege gegen die Ukraine aufbereitet – und vorher verifiziert. Sie geben Einblick in Gespräche von Männern, die gemordet und gestohlen haben. In den Gesprächen gibt es auch Stimmen, die gegenüber ihren Verwandten offen aussprechen, für wie sinnlos sie den Krieg halten. Eingespielt hat die New York Times die Originalausschnitte aus den Telefonaten, schriftlich bietet sie die englische Übersetzung.

    Original (vom 28.09.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     


    27.09.2022

    Zerkalo.io: „Nuklearangriffe sind nicht länger etwas aus dem Reich der Fantasie.“

    Der belarussische Politanalytiker Artyom Shraibman seziert in einem Beitrag für das belarussische Online-Medium Zerkalo.io die aktuelle Lage im Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Putin würde alle Möglichkeiten der Deeskalation abbrennen, so Shraibman, und im Gegenteil weiter auf Eskalation setzen, wofür die „Teilmobilisierung“ und die eilig einberufenen Referenden in den besetzten Gebieten sprechen. Was könnte in der Logik Putins, der kaum von seinem Plan, die Ukraine besiegen zu wollen, ablassen werde, noch folgen? Shraibman hält drei Szenarien für möglich: weitere Angriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine. Zudem könnte der Kreml versuchen, durch den direkten Einsatz der neu rekrutierten Soldaten die ukrainische Offensive zu verlangsamen. Zudem hält Shraibman auch einen taktischen Nuklearschlag für durchaus realistisch: „Irgendwo auf dem Territorium der Ukraine oder zuerst über dem Schwarzen Meer zur Machtdemonstration.“ In dem Artikel stellt Shraibman auch die Frage, ob Lukaschenko doch noch gezwungen sein könnte, eigene Truppen in dem Krieg zu schicken. Seine Prognose: Das werde nicht passieren, weil eine große Mehrheit der Belarussen gegen den Krieg seien.

    Original (vom 26.09.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    23.09.2022

    Novaya Gazeta Europe: Rus-200. Mit der Mobilmachung erklärte Putin dem eigenen Land den Krieg

    Kirill Martynow, der Chefredakteur des Exil-Mediums Novaya Gazeta Europa, analysiert in einem Kommentar Putins Rede vom 21. September 2022 und den präsidialen Erlass zur sogenannten „Teilmobilmachung” in Russland. Er merkt an, dass diese Entscheidung Putins für mehr Aufruhr in Russland gesorgt hat als in der Ukraine. Ob die Mobilmachung für den Verlauf des Krieges von Bedeutung sein wird, werde sich erst in einigen Monaten zeigen. Die Schlüsselfrage werde jedoch sein, wie die russische Gesellschaft auf die Mobilmachung reagiert: Rebellion sei nicht zu erwarten, die Sabotage habe jedoch schon angefangen.

    Original (vom 21.09.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Der Standard: Osteuropa-Experte Krastev: „Jeder Krieg ist ein Test des Willens“

    Das Interview des Standard mit Ivan Krastev ist von Anfang September – es fand also noch vor der erneuten Eskalation durch die sogenannten „Referenden“ und die Mobilmachung in Russland statt. Diese aktuellen Ereignisse schwächen die Aussagen des renommierten Politologen jedoch nicht ab. Wenn er sagt „Jeder Krieg ist ein Test des Willens" so meint er damit auch die Resilienz der Europäer, eine innere Widerstandskraft des Westens. Es gelte anzuerkennen, „dass die Welt, die wir kennen, verschwunden ist“. So de-globalisiere sich die Welt gerade: „Wir merken, dass wir uns auf manche Player nicht verlassen können." Krastev rät dazu, Sanktionen aufrecht zu erhalten und warnt gleichzeitig davor ganz Russland und alle Russen zu dämonisieren. Stattdessen gelte es, sehr genau auf Nuancen zu achten.

    Original (vom 03.09.2022)

     

    FAZ: Peking entzieht sich Moskaus Umarmung

    Zur „Teilmobilmachung“ in Russland schreibt Alexander Baunow auf Carnegie: „Diese Entscheidung führen viele auf die angebliche Unterstützung und Zustimmung zurück, die Putin von den großen nicht-westlichen Ländern beim Gipfel der SOZ in Samarkand bekommen habe. Wahrscheinlich war es jedoch eher umgekehrt:. Putin hat von den größten nicht-westlichen Ländern das Signal bekommen, [den Krieg] möglichst schnell zu beenden.“ (Hier sein Text in deutscher Übersetzung auf dekoder).

    Zu einer ganz ähnlichen Bewertung des Treffens kommen auch Friedrich Schmid und Friederike Böge, Auslandskorrespondenten der FAZ. So nähmen weder das Treffen mit Putin noch die Situation in der Ukraine besonderen Raum ein den offziellen chinesischen Verlautbarungen nach dem Treffen.

    Original (vom 19.09.2022)


    12.09.2022

    The Daily Beast: Russisches Staatsfernsehen

    Julia Davis guckt russisches Staatsfernsehen – „damit Sie es nicht tun müssen“, wie sie auf Twitter schreibt. Prägnante Aussagen fasst sie in in ihrer Kolumne für The Daily Beast zusammen. Zuletzt Reaktionen aus Staatsmedien – vor allem Polittalkshows – zu den bedeutenden Gebietsgewinnen der ukrainischen Armee. Dabei betonen die unterschiedlichen Gäste unter anderem die Unterstützung des „Westens“ für die ukrainische Armee (O-Ton „Ich denke, dass Tausende von amerikanischen Beratern und Spezialisten in der Ukraine vor Ort sind, sie sind wahrscheinlich in jeder Einheit präsent.“). Weitere Einblicke liefert sie auf ihrem Twitter-Account, einzelne TV-Ausschnitte sind englisch untertitelt. Darunter auch ein Ausschnitt aus der Talkshow Mesto Wstrechi auf NTW, in denen der ehemalige Duma-Abgeordnete Boris Nadeshdin sagt, dass Putin schlecht beraten worden sei und Russland die Ukraine nicht besiegen könne. Gäste und Talkshows werden zwar nur wenig eingeordnet, für einen schnellen Einblick sind die untertitelten Ausschnitte dennoch interessant.

    Die Kolumne im Original

    Twitter-Account von Julia Davis


    08.09.2022

    Ukrajinska Prawda: Die drei längsten Tage im Februar. Wie der große Krieg begann, an den keiner glaubte

    Die Ukrajinska Prawda rekonstruiert detailliert das Handeln der ukrainischen Staatsführung in der Zeit vom 22. bis zum 24. Februar – dem Tag, an dem die russische Großoffensive gegen die Ukraine begann. Die Zeitung hat dafür mit über 30 Vertretern aus Regierung, Ministerien und Wirtschaft gesprochen. Demnach haben viele hochrangige Beamte wie auch Präsident Selensky die Gefahr eines großen Krieges bis zuletzt – zumindest nach außen – runtergespielt und eher mit begrenzten militärischen Aktionen im Donbass gerechnet. Eine Ausnahme war der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes GUR Kyrylo Budanow, der bei einem Krisentreffen vor russischen Angriffen auf Cherson, Charkiw und sogar Kyjiw warnte. „Budanow hatte schreckliche Sachen erzählt. Doch da auch andere Top-Regierungsvertreter kaum beunruhigt reagierten auf das, was er sagte, wurde er kaum ernst genommen“, erinnert sich einer der Teilnehmer. Doch am Morgen des 24. Februars war alles anders. Um 4:40 Uhr Londoner Zeit bekam Boris Johnson einen Anruf aus Kyjiw. Es war Selensky, der, so berichtet die Ukrajinska Prawda, in sein iPhone rief: „Wir werden kämpfen! Boris, wir werden nicht klein beigeben!“

    Original (vom 05.09.2022) / Übersetzung aus Google Translate

    Zusammenfassung von Meduza / Übersetzung aus Google Translate

     

    Nowoje Wremja: Butscha wird uns noch harmlos vorkommen

    Im Interview mit Nowoje Wremja gibt der ukrainische Journalist Konstantin Ryshenko Einblicke aus dem besetzten Cherson, das er inzwischen selbst verlassen hat. Er berichtet darin unter anderem über das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein, weil sich lokale Politiker und Beamte nach Beginn des russischen Großangriffs schnell aus dem Staub gemacht oder als Kollaborateure erwiesen hätten. Zu den Protesten sagt er, dass die russischen Besatzer anfangs überhaupt nicht eingegriffen, jedoch die Teilnehmer genau fotografiert, mit Hilfe örtlicher Kollaborateure identifiziert und teils später verschleppt hätten. Ryshenko meint, dass der Widerstand in Cherson allumfassend sei und dass auch die Leute vom russischen FSB verstanden hätten, dass sie irgendwann wieder abziehen müssen. Bis dahin wolle man aber noch gut verdienen – durch die Ausfuhr von Metall und Industrieanlagen, die Einfuhr von Alkohol und dem Handel mit Drogen über die Krim – „für sie sind das goldene Zeiten“. Wenn Cherson befreit werde, befürchtet Ryshenko, werde man auf Massengräber und andere Verbrechen stoßen, die jene aus Butscha im Vergleich noch harmlos erscheinen ließen.

    Original (vom 02.09.2022) / Übersetzung aus Google Translate

    Zusammenfassung von Meduza / Übersetzung aus Google Translate


    07.09.2022

    tagesschau.de: „Es braucht eine andere Art von Widerstand“

    Die russische Schriftstellerin Alissa Ganijewa hat ihre Heimat im Zuge des Angriffskrieges, den Russland gegen die Ukraine führt, und der immer stärker zunehmenden Repressionen gegen Dissidenten verlassen. Sie habe sich erst zur Emigration entschieden, als die Situation von Tag zu Tag beunruhigender geworden sei: „Es war ja fast physisch spürbar, wie es enger wird, wie sich eine Schlinge zuzieht. Bei einigen meiner Bekannten gab es Hausdurchsuchungen, andere bekamen vorbeugende Haftstrafen.“ In einem Interview mit tagesschau.de berichtet Ganijewa über die Atmosphäre in Russland, über die tiefe politische Spaltung der Gesellschaft, über den Beginn des Krieges und das Leben in der Emigration.

    Original (vom 22.08.2022)


    23.08.2022

    taz: Wenn Putin stürzt

    Der russische Publizist Fjodor Krascheninnikow macht sich Gedanken darum, wie es all jenen ergeht, die Russland verlassen haben: den Kreativen, Journalisten, Oppositionellen, Aktivisten. Sie werden versuchen, sagt er, sich über Wasser zu halten, die Zeit bis zu einer möglichen Rückkehr zu überstehen. Doch, glaubt er auch, das kann dauern, selbst wenn das nur fünf oder zehn Jahre wären. Für einen Menschen ist das sehr lang jenseits der Heimat. Vor allem, und das beschäftigt Krascheninnikow am meisten, wenn es um die Frage geht: Wer gestaltet Russland, wenn Putins Regime an sein Ende kommt? Er plädiert dafür, darauf vorbereitet zu sein. Denn er glaubt auch, dass ein Ende des Krieges allein kein neues Russland macht. Das habe der gescheiterte postsowjetische Weg gezeigt.

    Original (vom 20.08.22)


    16.08.2022

    Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Die Angst vor einem neuen Fukushima

    Die Russen besetzten das Kraftwerk in Enerhodar Anfang März. Es ist das größte AKW Europas und die Angst, dass es zu einem Gau kommt, wird in der Ukraine und in der europäischen Öffentlichkeit größer. Immer wieder ist von Explosionen die Rede. Augenzeugen berichten, die Russen würden vom AKW aus Raketen auf umliegende Ortschaften abschießen, das Gelände als Lager nutzen. FAS-Korrespondent Konrad Schuller ist nach Saporischschja gereist und hat versucht, sich ein Bild von der Lage in dem eine Autostunde entfernten Kraftwerk zu machen. Die Reportage zeichnet eine besorgniserregende und brenzlige Situation, in der die früheren, geflohenen Ingenieure noch aus der Ferne versuchen, irgendwas in den Griff zu kriegen.

    Original (vom 15. August 2022)


    10.08.2022

    iStories: Der Krieg in der Ukraine aus Sicht eines russischen Soldaten

    Weil er Geld brauchte, unterschrieb Pawel Filatjew (33) im vergangenen Jahr einen Vertrag bei der russischen Armee. Als Soldat der Luftlandetruppen nahm er im Februar an einem Manöver auf der Krim teil – und wenig später am Angriff auf Cherson. Nach einer Verletzung konnte er die Front verlassen und hat seine Erfahrungen in einem Buch festgehalten, aus dem iStories Ausschnitte veröffentlicht – über chaotische Zustände, Korruption und schlechte Ausstattung in der russischen Armee, über die eigene Verrohung, Plünderungen und sinnloses Sterben an der Front: „Die Obersten haben auf uns geschissen. Sie zeigen auf jede erdenkliche Weise, dass wir für sie keine Menschen sind – wir sind wie Vieh.“

    Original (vom 10.08.2022) / Übersetzung aus Google Translate


     

    05.08.2022

    Foreign Affairs: Putin’s New Police State

    Im KGB ist Putin sozialisiert worden, dort knüpfte er die Seilschaften, die für seine Regentschaft heute wirksam sind. Der Nachfolgedienst, der Inlandsgeheimdienst FSB, wurde zur Bekämpfung politischer Opponenten unter seiner Macht zum wichtigsten verlängerten Arm. Wie die Geheimdienstexperten Andrej Soldatow und Irina Bogodan beschreiben, erlebt der FSB aktuell im Ukraine-Krieg noch einen größeren Machtzuwachs. Einen, der den Geheimdienst mit seinen Methoden und dem Wirkungskreis an den vormaligen NKWD unter Stalin erinnern lässt.

    Eine Methode: Leute im Exil überzeugen, zurück nach Russland zu kommen – um sie im Inland politisch zu verfolgen. Eine weitere: Druck auf Exilanten auch außerhalb des Landes. Verfolgen von Wissenschaftlern, Juristen und Journalisten, aber auch von nicht genehmen Beamten im Innenministerium.

    Der ganze Text über einen Geheimdienst, der zu einem festen Bestandteil des Staatsapparats geworden ist.

    Original (vom 27. Juli 2022) / Übersetzung aus Google Translate


    01.08.2022

    The New York Times: Putin Thinks He’s Winning

    Was treibt Putin an? Die politische Analystin Tatjana Stanowaja sieht ihn vor allem auf Basis einer langfristig angelegten Strategie agieren. In einem Gastbeitrag für die The New York Times schreibt sie, Putin gehe davon aus, dass der Westen die Ukraine langfristig nicht ausreichend unterstützen werde, so dass Kiew früher oder später doch fallen könne. Was nichts anderes als eine Russifizierung des Landes – nach den Vorstellungen Putins – mit sich bringen soll.

    Auch wenn die ersten Kriegsmonate chaotisch gewesen seien, so habe Putin jetzt diesen klaren Plan. Wobei der Krieg gegen die Ukraine kein Stellvertreterkrieg mit der NATO sei, sondern es um die Ukraine an sich gehe – die aus Sicht Putins historisch zu Russland gehört. Was ihn dabei besonders gefährlich mache, werde der Moment sein, in dem die Ideen vom Reißbrett mit der Realität kollidieren und nicht aufgehen sollten. Darauf, so Stanowajas Plädoyer, müsse sich der Westen unbedingt einstellen.

    Übrigens: Mehr Texte von Tatjana Stanowaja, die Putins Politik und seine Reden seit Jahren verfolgt, gibt es auch in den Artikelübersetzungen von dekoder. 

    Original (vom 18.07.2022) / Übersetzung aus Google Translate


     

    26.07.2022

    Foreign Policy: Actually, the Russian Economy Is Imploding

    In diesem Beitrag für das Online-Portal der US-Zeitschrift Foreign Policy beschäftigen sich die beiden Ökonomen Jeffrey Sonnenfeld und Steven Tian mit Mythen und Missverständnissen zur russischen Wirtschaftslage, die ihrer Meinung nach in den aktuellen Debatten grassieren. Ein Grund dafür seien die fehlenden bzw. schwierig zu durchschauenden Wirtschaftsdaten. Die Autoren widerlegen beispielsweise die Annahme, dass Russland seine Gasexporte relativ einfach nach Asien umleiten könne, den für solche Lieferungen im großen Stil seien die entsprechenden Leitung längst noch nicht verfügbar. Entsprechend sei die Gasproduktion bereits um 35 Prozent zurückgegangen. Zum angeblichen Höhenflug des Rubels wird konstatiert: „Die Aufwertung des Rubels, eines von Putins Lieblingsgesprächsthemen in der Propaganda, ist eine künstliche Widerspiegelung einer beispiellosen, drakonischen Kapitalkontrolle, die zu den restriktivsten der Welt zählt.“ Die Autoren resümieren, dass die russische Wirtschaft „in jeder Hinsicht und auf jeder Ebene ins Wanken gerät“.

    Original (vom 22.07.2022) / Übersetzung aus Google Translate


     

    20.07.2022

    ZEIT-Online: Wann ein Waffenstillstand möglich ist

    Rufe nach einer schnellen Waffenruhe in der Ukraine hält Historikerin Liana Fix für unrealistisch – einen Waffenstillstand selbst jedoch nicht. „Prinzipiell sind ein Waffenstillstand und Verhandlungslösungen in der Ukraine ja nicht verwerflich“, schreibt die Programmleiterin im Bereich internationale Politik der Körber-Stiftung. „Aber ein realistischer Waffenstillstand, der nicht die Selbstaufgabe der Ukraine und eine Gefährdung unserer eigenen Sicherheit bedeutet, ist sehr viel herausfordernder als der Ruf nach einem sofortigen, bedingungslosen Schweigen der Waffen.“ Welche strategischen Ziele ein Waffenstillstand erfüllen müsste und was es dafür braucht, skizziert sie in ihrem Beitrag. Abnehmende militärische Erfolge der russischen Armee sieht sie dabei als eine der Grundvoraussetzungen, Russland müsse dabei bis an die Linien vor dem 24. Februar zurückgedrängt werden. Wie dies gelingen könnte, wie sie die Gefahr einer nuklearen Eskalation einschätzt und in welche Fallen der Westen dabei nicht tappen dürfe, beschreibt sie in ihrem Gastbeitrag auf ZEIT-Online.

    Original (vom 19.07.2022)


    15.07.2022

    t-online: „Bald schon werden Rechnungen präsentiert“

    Wer Russland verstehen will, muss nüchtern bleiben. So könnte man die Analyse des Osteuropa-Historikers Jörg Baberowski zusammenfassen. Im Interview mit t-online meint er, dass Europa und Deutschland keine Russland-Strategie hätten und sagt: „Das Verlangen, Russland müsse den Krieg verlieren, ist ein Verlangen, aber keine Strategie.“ Daher befürchtet er, dass Russland den längeren Atem haben wird.
    Warum? Die Sanktionen würden nicht so wirken, wie es sich in der EU erhofft worden war. Zumal die Menschen in Russland eine weit größere Opferbereitschaft mitbrächten als das hierzulande der Fall sei. Daher sei eine mögliche Gaskrise, die ans Portmonnaie der Leute geht und die dazu führen könnte, dass das Heizen tatsächlich ein knappes Gut, wird, eine Art Probe aufs Exempel, wie weit die Unterstützung für die Ukraine in diesem Krieg am Ende wirklich reiche.

    Baberowski spricht außerdem darüber, wie isoliert – oder auch nicht – man Russland wirklich sehen müsse, warum die Mehrheit hinter Präsident Putin steht und warum er die Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz für klüger hält als es diesem in diesen Tagen oft zugeschrieben wird.

    Original (vom 14.07.2022)


    12.07.2022

    Zerkalo.io: «Людзі ў Беларусі двойчы акупаваныя». Пагутарылі з Лявонам Вольскім пра эміграцыю, Радзіму і творчасць падчас вайны

    Lavon Wolski ist unbestritten die Ikone des belarussischen Underground und lebt aktuell seit gut einem Jahr nicht mehr in Belarus. Zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagt der Musiker: „Es ist klar, dass alles vorhergesehen wurde, aber der gesunde Menschenverstand weigerte sich, es zu akzeptieren. Es herrschte Einigkeit darüber, dass dieser Krieg für niemanden und vor allem für das Angreiferland selbst unnötig ist.“

    Das belarussiche Exil-Medium Zerkalo spricht mit ihm außerdem über das Protestjahr 2020, was anders war als bei den früheren Versuchen, mit Demonstrationen gegen das Lukaschenko-Regime friedlich zu Felde zu ziehen, und darüber, welche Rolle er Belarus unter Lukaschenko an der Seite Putins zuschreibt.

    Original (vom 29.06.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    01.07.2022

    yury-pivovarov.net: Über Absichten und Erwartungen

    Juri Piwowarow gehört zu den bekanntesten Historikern Russlands. Er hatte die russische Regierung bereits für ihre Rolle im Krieg in der Ostukraine kritisiert und wurde dafür unter Druck gesetzt, sodass er seinen Posten als Direktor des Inion, Russlands renommierten Institut für Geistes- und Sozialwissenschaften, 2015 aufgeben musste. Im Zuge des Angriffskrieges, den Russland seit dem 24. Februar 2022 gegen die Ukraine führt, hat Piwowarow aus Angst vor weiteren Repressionen seine Heimat verlassen und eine eigene Webseite eröffnet, auf der er erklärt, warum er sich künftig in seinem Blog zu Wort melden will: „Die Aggression Russlands gegen die Ukraine hat die ganze Welt an den Rand der Zerstörung gebracht. In dieser Situation sollten die Experten sofort reagieren. Die Situation entwickelt sich schnell – es gibt Fragen, die schnell geklärt werden müssen. Auf dieser Seite möchte ich meine Meinung über die Geschehnisse im Kontext der Weltgeschichte und der russischen Kultur zum Ausdruck bringen. Für mich ist es wichtig, die Gründe für die Wiederherstellung einer totalitären Ordnung in Russland zu ergründen. Das war der Grund für den Angriff auf die Ukraine.“

    Original (vom 01.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate 


    24.06.2022

    Nastojaschtscheje Wremja: Разрыв Связи (dt. Beziehungsabbruch)

    Russlands Krieg gegen die Ukraine wird auch in den Köpfen der Menschen in Russland geführt. Für Nastojaschtscheje Wremja hat Andrej Loschak einen Dokumentarfilm gedreht, der zeigt, wie Familien in Russland zerbrechen, wenn zum Beispiel Kinder gegen den Krieg und ihre Eltern dafür sind.
    Loschak sprach mit Müttern, die fest hinter Putin stehen, ihren Präsidenten „Vater“ nennen und ihm ihr Vertrauen aussprechen, wenn es um die Ukraine geht – während sie auf ihn schimpfen, weil die Renten zu knapp sind, das Leben beschwerlich ist. Er hörte ihren Kindern zu, die verzweifelt einen Weg suchen, mit den Eltern über den Krieg zu sprechen, der in Russland sonst nicht so genannt werden darf. Viele wollen die Dinge auch nicht beim Namen nennen. Das macht Loschak mit seinem Film ebenso klar. In dem geht es – der Name Разрыв Связи (dt. Beziehungsabbruch) bringt es auf den Punkt – um den Bruch quer durch viele Familien: zwischen Bruder und Schwester, zwischen Eltern und Kindern, den Generationen, den verschiedenen Leben, ja letztlich Lebensentwürfen. Ein eindringlicher Film über den Krieg, der in Russland selbst ganz ohne Bomben wütet, und der dabei viele weitere Aspekte in den Fokus rückt: Verdrängen, Ohnmacht, Scham.
    Eine Empfehlung zum Anschauen, erschienen beim US-Medium Nastojaschtscheje Wremja, das in Russland noch über Youtube zu sehen ist und auch ein russischsprachiges Programm macht.

    Original mit englischen Untertiteln (vom 19. Juni 2022)

    DLF: „Der Kreml will weder die Ukraine noch Belarus in die Freiheit entlassen“

    Man dürfe die Rollen von Belarus und Russland in diesem Krieg nicht gleichsetzen. Belarus sei eher Geisel, Russland der Aggressor. Das sagt der belarussische Schriftsteller Artur Klinau im Gespräch mit dem DLF. Er spricht über die Lage in seiner Heimat, die folgenreiche Abhängigkeit vom Kreml – und er meint, die harten Sanktionen des Westens infolge des Krisenjahres 2020 hätten begünstigt, dass Belarus zum Aufmarschgebiet für Moskaus Krieg gegen die Ukraine werden konnte. Weil Lukaschenko so noch abhängiger von Moskau geworden sei. Diesmal eine Hörempfehlung!

    Original (vom 19. Juni 2022)


    13.06.2022

    n-tv: Wie Putin die Annexion vorbereitet

    Auf n-tv schildert der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy, wie Moskau immer direkter die Kontrolle über die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk ausübt, sodass von „echten ,Separatisten‘“ nicht die Rede sein könne: Wichtige Posten werden von russischen Beamten besetzt, seit 2019 werden russische Pässe an die Bewohner ausgegeben, die 2021 auch an der Dumawahl teilnehmen konnten. Trubetskoy zitiert außerdem einen MeduzaArtikel, in dem Informanten mit Nähe zur russischen Präsidialadministration darüber sprechen, dass die besetzten ukrainischen Gebiete in einen neuen russischen Föderalkreis vereint werden sollen und womöglich am 11. September Scheinreferenden zur Annexion durch Russland durchgeführt werden. 

    Original (vom 10.06.2022)


    12.06.2022

    Doxa: Ему было 19 лет, и он погиб на передовой

    Doxa ist ein Magazin, das sich den besonderen Belangen von Studierenden in Russland widmet – und dies insbesondere auch mit Blick auf den politischen Druck. Der wird nicht nur an Hochschulen zwischen Moskau und Wladiwostok auf sie ausgeübt, sondern auch in den von Russland kontrollierten Gebieten wie der sogenannten Volksrepublik Donezk. Das zeigt sich im Krieg gegen die Ukraine, wie Doxa recherchiert hat. Der Text sammelt Eindrücke und Zeugenberichte von jungen Männern, die durch ihre Hochschulen gedrängt worden sein sollen, sich für den Krieg in der Ukraine als Soldaten zu melden.

    Original (vom 10. Juni 2022) / Übersetzung aus Google Translate
     


    06.06.2022

    Arte: Heller Weg (Doku)

    Stanislav Aseyev ist eine der bekanntesten Stimmen der Ukraine, die über Menschenrechtsverletzungen russischer Soldaten und prorussischer Separatisten in den selbsternannten "Volksrepubliken" aufklärt. Die Zeit, die er hinter sich hat, ist leidvoll: Unter Pseudonym schaffte er es, viele Monate für Radio Svoboda aus der von Russland besetzten "Volksrepublik Donezk" im Osten der Ukraine zu berichten, bis er 2017 auffliegt – und im berüchtigten Foltergefängnis "Isolation" inhaftiert wird. Fast 1000 Tage brachte er dort zu – an der Adresse Heller Weg 3 –, durchleidet unwürdige Haftbedingungen und Folter. Später schreibt er darüber ein Buch.

    Als er im Oktober 2020 das Kulturzentrum I-ZONE in Kiew besucht, ist die Dokumentarfilmerin Iryna Riabenka dabei. Die Geschichte dieses Zentrums ist eng mit der Besetzung der Stadt Donezk verbunden und mit Stanislav Aseyevs Erlebnissen: Nachdem im Juni 2014 das Gelände der "Isolation" in Donezk erobert worden war, zog das Kulturzentrum unter neuem Namen in die Hauptstadt – während in Donezk genau dort die Haftanstalt eingerichtet wurde.
    Aseyev besichtigt das Gelände der I-ZONE in Kiew erstmals seit seiner Freilassung, um dort die Vorstellung seines Buches vorzubereiten. Das nutzt die Doku als künstlerisches Mittel, um einen Eindruck aus dem Foltergefängnis "Isolation" zu vermitteln, von Aseyevs Haft zu berichten und die Existenz einer solchen Haftanstalt ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken.

    Diesmal also eine Filmempfehlung: „Heller Weg“ / Das Buch auf Deutsch (Paid): „Heller Weg – Geschichte eines Konzentrationslagers“


    03.06.2022

    Der Standard: 100 Tage Krieg in der Ukraine und kein Ende in Sicht

    Seit 100 Tagen führt Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy hat dies zum Anlass genommen, sich bei seinen Landsleuten in der Hauptstadt Kyiw umzuhören, wie es den Menschen gelingt, ihren Alltag zu bewältigen. In der Reportage für den Wiener Standard lässt Trubetskoy zahlreiche Personen zu Wort kommen, berichtet auch von der sogenannten „Entrussifizierung“, die die Ukrainer im Zuge des Krieges noch stärker vorantreiben. Auch spricht er mit dem Politologen Petro Oleschtschuk zu den Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Gesellschaft: „Wir erleben tatsächlich eine große Konsolidierung der ukrainischen Gesellschaft. Die innenpolitischen Streitigkeiten spielen fast keine Rolle mehr. Mit seinem Angriff wollte Russland zeigen, dass die Ukraine keine eigene Nation ist. Das Bekenntnis zur ukrainischen Nation findet sich aber nicht nur in Kiew und Lwiw, sondern nun auch deutlich in Sumy, Charkiw und in den besetzten Städten Cherson und Melitopol. Putin erreicht das Gegenteil dessen, was er wollte.“

    Original (vom 2. Juni 2022)


    02.06.2022

    The Guardian: What does it mean to be Russian? For many of us, it’s no longer a simple question

    Vor dem 24. Februar hat der Autor Ivan Philippov nie darüber nachgedacht, was es heißt, Russe zu sein. Er war es und er war es recht gern, ohne glühender Patriot zu sein. Nach dem 24. Februar hat er das Land verlassen und ist nun in Georgien. Als Russe in Tblissi, der eine Ukraine-Flagge als Sticker trägt, soll er in den Genuss von Vergünstigungen kommen und fühlt sich dringend dazu bemüßigt, sich als Russe zu outen … Ein Meinungsstück, das sehr aktuelle Gefühle der russischen Community im Ausland spiegelt.

    Original (vom 31.05.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    01.06.2022

    Sirius: Das Iwaschow Dokument – Appell zum Widerstand gegen Putins Kriegspläne in der Ukraine

    Als „sensationell“ ordnet die Redaktion der Zeitschrift Sirius den Appell der Allrussischen Offiziersversammlung ein – der in Russland einen Monat vor dem Angriff auf die Ukraine veröffentlicht worden war. Und der in der neuen Sirius-Ausgabe nun in deutscher Übersetzung nachzulesen ist. Das Dokument wurde vom Politikwissenschaftler Hannes Adomeit ins Deutsche gebracht und von ihm ist auch das Vorwort verfasst worden.

    In dem Appell wird eindringlich vor einem Krieg gewarnt. Adomeit ordnet in dem Vorwort zu dem Appell und seinen Kernaussagen ein: „Das Aufschaukeln der Spannungen um die Ukraine sei in erster Linie künstlicher Natur. Die größte Bedrohung für Russland seien die inneren Verhältnisse.“
    Das Besondere: Russische Militärs haben darin also wenige Wochen vor Kriegsbeginn ihre Stimme erhoben und diese Warnungen offen in einem autoritären System ausgesprochen, das sie normalerweise stützen. Leute, die selbst ein großes Russland anstreben, dieses Ziel aber nicht mit einem Angriff auf die Ukraine zu erreichen sehen. Im Gegenteil.

    Herausgeber der Zeitschrift Sirius sind: Joachim Krause, Direktor des ISPK; Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik; Carol Masala, Universität der Bundeswehr in München sowie Andreas Wenger vom CSS der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

    Original (vom 31. Januar 2022) / Der Appell, frei zugänglich auf Deutsch bei Sirius (vom 13. Mai 2022)


    30.05.2022

    Sergey Radchenko / The Spectator: The West is watching the war in Ukraine like it’s sport

    Was hieße, „Putin zu besiegen“? Sergey Radchenko von der Johns Hopkins School of Advanced International Studies beklagt das Fehlen der langfristigen Perspektiven hinter den aktuellen politischen Losungen. Der Westen fiebere beim Krieg mit wie bei einem Fußballspiel, aber: „Der Schlüssel zur Beendigung des derzeitigen Krieges in der Ukraine liegt darin, die richtige Kombination aus militärischem Druckmittel und politischem Scharfsinn zu finden – und zwar zum richtigen Zeitpunkt.“

    Original (vom 30.05.2022) / Übersetzung aus Google Translate
     


    25.05.2022

    Meduza: „Kaum einer ist zufrieden“

    Vertreter der russischen Elite seien inzwischen eher unzufrieden mit Putin und seinem Kriegskurs, wie mehrere Informanten mit Nähe zum Kreml gegenüber Meduza berichten: Die einen, weil Putin die Sanktionen unterschätzt habe, die anderen, weil Putin nicht entschieden genug vorgehe, wie ein Informant die Stimmung resümiert. Außerdem sei zunehmend die Frage über die „Zukunft nach Putin“ Thema: „Es geht nicht darum, dass man Putin gleich jetzt stürzen will und eine Verschwörung ausgeheckt wird. Aber es gibt ein Verständnis oder den Wunsch, dass dieser das Land in recht absehbarer Zukunft nicht mehr regieren wird.“

    Original (vom 24.05.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     


    20.05.2022

    The Atlantic: Cold, Ashamed, relieved: On Leaving Russia

    Über das Gefühl, seine Heimat zu verlassen, die ihm lange schon immer fremder, ja feindseliger geworden war, schreibt der Schriftsteller Maxim Osipov. Ein Text über das Weggehen aus Russland, Blut an den Händen und das Aufwachen im Exil.

    Original (vom 16. Mai 2022) // Übersetzung aus Google Translate
     


    19.05.2022

    The New Times: Мародеры на погосте

    Die Rede zum 9. Mai von Wladimir Putin vermischte das Andenken an den Sieg über Nazideutschland von 1945 mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine, den er nicht so bezeichnete. Die Herausgeberin des kritischen Magazins The New Times, Ewgenija Albatz, setzt sich damit auseinander und findet eine Sprache, die ihrer tiefen Betroffenheit Ausdruck verleiht – darüber, wie das Andenken für heutige politische Zwecke missbraucht wird.
    Sie hat die Bilder verfolgt, die an diesem Tag vom russischen Staatsfernsehen übertragen wurden und auf denen zu sehen war, wie zynisch Putin bei den Festlichkeiten vorging:
    „Am 9. Mai erwähnte Wladimir Putin, der Präsident und Oberbefehlshaber des kriegführenden Landes, in der Rede zur Eröffnung der Militärparade auf dem Roten Platz die Ukraine nicht einmal – legte aber später Nelken am Denkmal der Heldenstadt Kiew im Alexandergarten ab.“

    Original (vom 9. Mai 2022) / Übersetzung aus Google Translate


    18.05.2022

    The Guardian: ‘They were furious’: the Russian soldiers refusing to fight in Ukraine

    Es gibt wenige Berichte, wenige Einblicke in das, was in Russland unter möglichen Rekruten für den Krieg in der Ukraine passiert. Doch es zeigt sich: Es gibt Deserteure, Soldaten die ablehnen, in die Armee zu gehen, die nicht in den Krieg ziehen wollen. Und viele verzweifelte Ratsuchende, die einer möglichen Einberufung entgegenstehen wollen – wie der Guardian mit dem, was er zusammengetragen hat, zeigt.

    Original (vom 12. Mai 2022) / Übersetzung aus Google-Translate
     


    17.05.2022

    Frankfurter Rundschau: Karl Schlögel – Die Ordnung im Kopf und die Unordnung der Welt

    „Die Bilder, die wir jetzt sehen, zeigen uns, dass diese ganze Geschichte eines großen Landes, einer selbstbewusst gewordenen und aktiven Nation ins historische Abseits zurückgebombt werden soll. Die Terra incognita eines allzu lange westzentrierten und selbstgenügsamen Europas ist Territorium für Urban Warfare, Panzerschlachten, verbrannte Erde geworden. Ihre besten Kenner sind jetzt die Reporter vor Ort, die Protokollanten des Widerstandes, die Dokumentaristen und Spurensucher der Kriegsverbrechen, die Experten für Terrainkunde. Die Karte dieses großen und wunderbaren Landes wird neu gezeichnet. Ob wir wollen oder nicht: Wir werden zu Augenzeugen, wir sind Zuschauer, die Zaungäste eines beispiellosen Kampfes.“
    Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel über den Krieg in der Ukraine, wie wenig das neue Russland bisher als neuartige Autokratie, als neo totalitärer oder rassistisch, erkannt worden war und darüber, wie dieser Krieg die gesamte Erinnerungskultur in Europa prägen wird.

    Original (vom 3. Mai 2022)


    13.05.2022

    Frankfurter Rundschau: Umfragen zum Angriff Russlands: Wollen die Russinnen und Russen wirklich diesen Krieg?

    Die Frankfurter Rundschau widmet sich in der Serie #Friedensfragen Antworten zu drängenden Fragen rund um den Krieg gegen die Ukraine. In der aktuellen Folge beschäftigt sich der Wissenschaftler Fabian Burkhardt, der auch für dekoder schreibt, mit den Umfragen, die in den vergangenen Wochen eine hohe Unterstützung in der russischen Bevölkerung für den Krieg nachgewiesen haben wollen. Burkhardt erläutert in seinem Beitrag, „warum es in autoritären Regimen wie Russland so schwierig ist, ein repräsentatives Meinungsbild zu erlangen“. Dabei sieht er vor allem zwei Ebenen: die des politischen Systems und die der Befragten. Er gibt zu bedenken, dass ein freier Wettbewerb der Ideen in einem System wie Russland, wo unabhängige Medien von der Zensur, von Repressionen und von der Staatspropaganda verdrängt wurden, nahezu unmöglich gemacht worden sei. Die Folge: „Befragte falsifizieren ihre Antworten bewusst: etwa aus Furcht vor Repressionen oder aus dem Bedürfnis heraus, die gleiche Meinung wie die der wahrgenommenen Mehrheit zu vertreten; das nennt man ,soziale Erwünschtheit´.“

    Original (vom 12.05.2022)


    04.05.2022

    The Atlantic: ‘We Can Only Be Enemies’

    Der britische Autor Peter Pomerantsev, Autor mehrerer Bücher über die Funktionsweisen russischer Propaganda, ist in die Ukraine gereist. Für das Online-Portal der US-Zeitschrift The Atlantic beschreibt er in einem umfangreichen Essay die Geschichte einer ukrainischen Familie aus dem Dorf Lukaschiwka, das sich im Norden der Ukraine befindet. Das Dorf wurde am 9. März von russischen Truppen eingenommen. Die Familie muss drei Wochen mit russischen Soldaten verbringen, die sich in ihrem Haus eingenistet haben. „Im Laufe dieser Wochen, von denen die Familie mir und meinem Kollegen Andrii Bashtovyi erzählten, wurde der Keller in Lukaschiwka zu einem Mikrokosmos der Propagandafront des Krieges. Auf der einen Seite standen die Russen, die eine Litanei von Unwahrheiten wiederholten, die man ihnen über ihren Angriff erzählt hatte; auf der anderen Seite die Ukrainer, die sich fragen, wie ihre Heimat von Angreifern, die von einer Fiktion getrieben werden, dezimiert werden konnte.“ Pomerantsev seziert anhand der Erfahrungen der Familie eine entscheidende Frage: „Wie bringt man Russen, die mit einer endlosen Reihe von Lügen gefüttert wurden, dazu, ihre Unterstützung für Putins Invasion in der Ukraine einzustellen?“ Eine Chance sieht der Autor in der Tatsache, dass viele Russen angesichts der Realität zu zweifeln beginnen könnten, „wozu das Land fähig ist“. Wie dies bei den Soldaten geschah, die bei den Ukrainern wohnten. Je länger die erwartete Erstürmung Kiews auf sich warten ließ, desto mehr stiegen die Zweifel am Sinn des Krieges, und die Soldaten begannen zu verstehen, wie viel Schaden sie anrichten. Pomerantsev sieht in dieser eindrücklichen Geschichte ein Zeichen dafür, dass Putins Propagandastrategie anfälliger ist, als viele glauben.

    Original (vom 01.05.2022) / Übersetzung aus Google Translate


     

    03.05.2022

    NZZ: Eine Verschwörungstheorie wird Staatsdoktrin: das historische Bewusstsein im Zeichen des Putinismus

    Das moralisch überlegene Russland auf einem singulären Weg in der Geschichte, wider den Verrat des Westens an der christlichen Zivilisation, der seit jeher von der Zerstörung Russlands träumt: Der Publizist Nikolaj Kononow in der NZZ über viel zu lange belächelte Versatzstücke der Ideologie Putins.

    Original (vom 02.05.2022) 


    29.04.2022

    Meduza: «Тут все пропахло мертвецами»

    Russlands Soldaten für den Krieg in der Ukraine kommen oft aus Dagestan und Burjatien. Was passiert in den Regionen, wenn die Särge mit den Toten eintreffen? Wie werden die Beerdigungen aufgenommen, und wo finden sie statt? Welche Haltung gibt es dort zum Krieg und ändert sie sich durch die gefallenen Söhne?
    Recherchiert haben Journalisten eines regionalen Online-Magazins in Burjatien. Die Reportage konnte ungekürzt beim russischen Exil-Medium Meduza erscheinen.

    Original (vom 28. April 2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Mediazona: Wer stirbt im Krieg gegen die Ukraine? 

    Mediazona hat 1744 öffentliche Todesmeldungen gefallener russischer Soldaten ausgewertet und in Infografiken aufbereitet. Das sind bereits mehr als die offiziellen Verlustzahlen des Verteidigungsministeriums. (Die realen Verluste liegen nach Einschätzung der Ukraine und westlicher Staaten noch um ein Vielfaches höher). Aus den aufbereiteten Daten wird ersichtlich, dass die Gefallenen aus allen Teilen des Landes kommen, jedoch besonders oft aus ärmeren Regionen wie Dagestan oder Burjatien. 

    russisches Original (vom 25.04.2022) / englisches Original / Übersetzung aus Google Translate


     

    28.04.2022

    Doxa: «Сейчас не время говорить о том, что вузы — это не место для политики»

    Unter vielen Studierenden in Russland regt sich Unmut gegen die Staatsführung. Sie unterstützen den Krieg gegen die Ukraine nicht und wollen das auch zeigen. Einige mutige unter ihnen gehen voran, suchen sich Verbündete, schreiben Briefe, stellen sich mit Protestplakaten auf Plätze oder geben sich gegenseitig Halt. Sie sehen sich Universitätsleitungen gegenüber, die den politischen Druck nach unten geben, drohen und als Druckmittel zur Exmatrikulation greifen. Das Studierendenmagazin Doxa gibt einen Überblick und lässt diejenigen in Kurzprotokollen sprechen, die dem Krieg etwas entgegensetzen wollen.

    Original (vom 22.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    25.04.2022

    Mediazona: „So als gäbe es die Ukraine einfach nicht.“ Aus Lehrbüchern werden „Kiew“ und „Ukraine“ entfernt

    Aus russischen Schulbüchern sollen Erwähnungen der Ukraine und Kiews wo immer möglich entfernt werden. Von einer solchen inoffiziellen Dienstanweisung berichteten gegenüber Mediazona mehrere Redakteure des Verlages Prosweschtschenije (dt. Aufklärung). Der Schulbuchverlag gilt als Marktführer und soll unter Kontrolle des Putin-Vertrauten Arkadi Rotenberg stehen. „Wenn ein Mensch ohne Grundwissen über ein Land aufwächst, dann glaubt er leichter an das, was ihm das Fernsehen darüber erzählt“, kommentiert ein Informant die Praxis. Ein Kollege betont, dass der Kontext entscheidend sei: „Man darf darüber schreiben, wie wir Kiew [im Großen Vaterländischen Kriegdek] befreit haben, aber nicht mehr über irgendeine Eigenständigkeit der Ukraine als Land.“ Erst vor Kurzem hatte ein Artikel der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti für Aufregung gesorgt, in dem der Autor eine gewaltsame „Entukrainisierung“ forderte. 

    russisches Original (vom 23.04.2022) / englisches Original / Übersetzung aus Google Translate


     

    22.04.2022

    Novaya Gazeta Europe: Wie Russland den Donbass erobern will

    Seit Anfang der Woche ist der Krieg in der Ukraine in eine neue Phase eingetreten, die oft als „Schlacht um den Donbass“ betitelt wird. Die frisch gelaunchte Novaya Gazeta Europe hat darüber mit dem Militär- und Sicherheitsexperten Juri Fjodorow gesprochen: Ob Putin seinen Anhängern bis zum 9. Mai (Tag des Sieges) ernsthafte Erfolge verkaufen kann, ist für Fjodorow fraglich. Er sieht einen deutlichen Mangel beim qualifizierten Personal, zumal die russische Armee – insbesondere beim Vormarsch ungeschützter Kolonnen – gewaltige Verluste erlitten hat. Den Tod inzwischen mehrerer Generäle deutet er als Zeichen schlechter Disziplin und Führung: „Wenn der Kommandeur an der Front steht, heißt das, dass es schlecht läuft.“ Eine Mobilisierung, mit der die russische Armee ihre Reihen auffüllen könnte, hält Fjodorow für unwahrscheinlich, denn man würde so ein Scheitern der „Spezialoperation“ zugeben. 

    Eigene Verluste könne Russland noch lange leicht verbergen, da die Soldaten aus verschiedensten Regionen zusammengezogen werden, sodass sich die Todesfälle über das ganze Land verteilen. Der als Ursache für den gesunkenen Kreuzer Moswka genannte Brand überrascht Fjodorow nicht – so versuchten Militärführer Verantwortung abzuwälzen und ihre eigene Haut zu retten: „Man überlegt zunächst, wie man es dem Vorgesetzten berichtet, und erst dann, wie man Menschen rettet.“ Für die schlechte Kriegsführung, so Fjodorow, werde Putin noch Sündenböcke finden müssen, doch Verhaftungen und Entlassungen würden eher über die Zeit verteilt erfolgen und nicht auf einen Schlag – denn das könnte einen Aufstand der Generäle begünstigen. 

    Original (vom 20.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    20.04.2022

    Holod: Opfer zum Tag des Sieges

    Die Welt schaut mit Grauen auf den 9. Mai, den Tag des Sieges – denn „Putin muss seinem blutrünstigen Publikum einen ,Sieg‘ vorweisen, selbst wenn dieser im Rot einer Atomexplosion in die Augen tritt.“ Sergej Medwedew beschreibt auf Holod, wie der Siegeskult unter Putin immer mehr zu einem Siegeswahn wurde: Statt „nie wieder“ heißt es „wir können das wiederholen“, aus der ursprünglich zivilgesellschaftlichen Gedenk-Initiative des Unsterblichen Regiments wurde ein Spektakel, bei dem Stalinisten ihr Idol feiern, und oft zählt der Mythos mehr als die Fakten – wie im Fall der 28 Panfilow-Helden. Aus der Friedensidee, so Mededew, ist ein regelrechter Kriegskult geworden, der jetzt in der Ukraine Menschenopfer fordert: „Doch beim Versuch, 1945 zu wiederholen, hat Russland die Rollen verwechselt und spielt in diesem blutigen Reenactment nicht die sowjetischen Befreier sondern die deutsch-faschistischen Invasoren.“

    Original (vom 19.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate

    UPDATE: Jetzt auch als kontextualisierte professionelle Übersetzung direkt auf dekoder lesen.


    19.04.2022

    Hyper & Hyper: „We win, or we are wiped off the map“

    Der ukrainische Intellektuelle, Literaturkritiker und Essayist Mykola Rjabtschuk hat dem Online-Portal des ungarischen Magazins Hyper & Hyper ein längeres Interview gegeben. In diesem setzt er sich nochmals mit den Thesen seines berühmten Buches Die reale und die imaginierte Ukraine auseinander, die er im Laufe der Jahre adaptiert und verfeinert hat. Demzufolge gebe es eine Ukraine mit einer ausgeprägten westlichen Identität, zudem eine „postsowjetische, genauer gesagt eine panslawische“. Dabei sei es wichtig, Letzteres richtig zu verstehen, „weil es ein Missverständnis ist, wenn wir es mit Russophilie gleichsetzen. Es ist ein breiterer Begriff, in gewissem Sinne ein Zivilisationskonzept. Es beinhaltet unsere gesamte Mythologie, beginnend mit der Kiewer Rus als gemeinsame Wiege der russischen, belarussischen und ukrainischen Gesellschaften. Die orthodoxe Religion spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, obwohl die Mehrheit nicht religiös ist.“ Es sei jedoch wichtig zu betonen, „dass auch dieses Gesicht der Ukraine sich nicht vom Westen abwenden will; niemand ist gegen die europäische Integration.“ Im Angesicht der Annexion der Krim, des Krieges in der Ostukraine und des aktuellen Krieges sei diese Dichotomie, so Rjabtschuk, unbedeutend geworden. Denn nun stehe das Überleben der Ukraine als Nation auf dem Spiel.

    Original (vom 12.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Meduza: Geopolitik entmenschlicht die Welt

    Die Welt ist ein großes Schachbrett, auf dem Supermächte eine Partie austragen, während kleinere Staaten das Recht des Stärkeren fürchten müssen: So beschreibt Maxim Trudoljubow das Denken in Kategorien der Geopolitik wie es diejenigen pflegen, „die den Krieg in der Ukraine entfesselt haben und ihn unterstützen.“ Was in dieser Weltsicht jedoch untergeht, ist, so Trudoljubow, der einzelne Mensch – Individuen, mit ihren eigenen Überzeugungen, Dramen und Lebensplänen: „Das offizielle Russland ignoriert die Verluste unter den eigenen Soldaten und Zivilisten, denn wenn der Kampf von gesichtslosen Wesen – Staaten – geführt wird, kann man den Tod ,gewöhnlicher‘ Menschen ignorieren.“

    Original / Übersetzung aus Google Translate


    16.04.2022

    Zeit-Online/Kirill Martynow: „Die meisten Russen wissen, dass die Staatspropaganda lügt“

    Ende März hat die renommierte Novaya Gazeta ihr Erscheinen für die Zeit des Krieges eingestellt – nun erzählt der ehemals stellvertretende Chefredakteur Kirill Martynow im Interview mit Zeit-Online, wie es weitergehen soll: Geplant ist die Neugründung der Nowaja Gaseta Europe, aus dem Exil heraus. „Das Problem scheint mir nicht so sehr zu sein, korrekte Informationen nach Russland hinein zu berichten“, betont Martynow dabei, „sondern die Blase nationaler Mythen in Russland zum Platzen zu bringen.“ Die russische Gesellschaft sei tief gespalten, er befürchte gar einen Weg, der direkt zum Bürgerkrieg führen könnte. „Meine Hypothese lautet, dass die meisten Russinnen und Russen wissen, dass die Staatspropaganda lügt. Sie glauben aber, dass die das nur in den Details tut. So können sich die Menschen weiter gut fühlen“, so Martynow.

    Original (vom 15.04.2022)


    14.04.2022

    Jewgeni Feldman: Die Lügenpyramide

    Als Bildredakteur von Meduza sieht Jewgeni Feldman täglich tausende Fotos vom Krieg in der Ukraine, von denen die breite Öffentlichkeit meist nur ein Bruchteil zu Gesicht bekommt. In einem Telegram-Post äußert er sein Unverständnis für all die Leute, die in den bekannten Schreckensbildern nur ukrainische Provokationen und Inszenierungen sehen wollen, wie etwa im Fall des bombardierten Geburtskrankenhauses in Mariupol. Er spricht von einer Lügenpyramide, die die russische Propaganda errichtet: Wer in Mariupol an eine Inszenierung glaubt, der glaubt es anschließend auch in Butscha, Borodjanka und Nowy Bykow. „Jede Ebene dieser Pyramide zerschellt an hunderten und tausenden von benachbarten Ereignissen, die ihr einfach nicht bemerkt habt und die sich in das wahre Gesamtbild fügen – aber nicht in eures.“

    Original (vom 12.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    13.04.2022

    Riddle: Russlands öffentliche Meinung zur „Spezialoperation“ in der Ukraine

    Denis Wolkow, Soziologe und Direktor des unabhängigen Lewada-Zentrums, präsentiert auf Riddle aktuelle Umfrageergebnisse aus Russland zum Krieg in der Ukraine: Demnach unterstützen 53 Prozent der Befragten die „Spezialoperation“ uneingeschränkt, weitere 28 Prozent „eher ja“. In der Gruppe der uneingeschränkten Befürworter herrscht, so Wolkow, kaum Zweifel an den Berichten der Staatsmedien und den Erklärungen Putins. Viele fühlten sich stolz auf Russland, der Krieg sei für sie wirklich eine „Spezialoperation“, bei der es um Befreiung und nicht um Eroberung geht, ein erzwungener Präventivschlag. Die Kriegsgegner sind den Umfragen zufolge im Schnitt deutlich jünger, kommen meist aus Großstädten, informieren sich über das Internet und empfinden den Krieg als Katastrophe.

    Insgesamt, so resümiert Wolkow, spiegele das Ergebnis gesellschaftliche Widersprüche, die es auch vorher schon gab: Informationen würden im Rahmen der bestehenden Weltbilder interpretiert, viele seien überzeugt, dass die USA Russland schwächen wollten, und so betrachteten sie auch den Krieg durch das Prisma der Beziehungen zwischen Russland und den USA. Dem widersprechende Informationen – egal wie schrecklich – würden schnell als Lüge und Feindpropaganda abgetan. Wie schon 2014 verzeichnen auch Putins Umfragewerte einen Sprung nach oben – jedoch ohne die damalige Krim-Euphorie.

    Zur Kritik, ob Umfragen überhaupt aussagekräftig seien, wenn für abweichende Meinungen mitunter harte Strafen drohen, entgegnet Wolkow, dass der Anteil der erfolgreichen Interviews bei den Haus- und Telefonbefragungen unvermindert sei: Von steigender Angst vor einer Umfrageteilnahme könne derzeit noch nicht die Rede sein, das müsse jedoch im Blick behalten werden.

    russisches Original (vom 12.04.2022) / englisches OriginalÜbersetzung aus Google Translate


     

    12.04.2022

    The New York Times: ‘They shot my son. I was next to him. It would be better if it had been me.’

    Für die US-Zeitung The New York Times rekonstruiert Carlotta Gall in einer Mischung aus Reportage und Bericht das Massaker in der ukrainischen Kleinstadt Butscha. Dafür hat das Reporterteam zusammen mit dem Fotografen Daniel Berehulak dutzende Interviews mit Augenzeugen, Beamten und anderen vor Ort geführt und war bei den Ermittlungen vor Ort dabei, die den russischen Gräueltaten auf den Grund gehen. Nach der Besetzung der Gemeinde durch die russischen Truppen am 4. März 2022, so heißt es im Text, hätten sich die Besatzer in ihrer Verhaltensweise zusehends radikalisiert. Zivilisten seien allerdings bereits in den ersten Tagen der Besetzung willkürlich ermordet worden: „Am 5. März begann ein russischer Scharfschütze, auf alles zu schießen, was sich südlich des Gymnasiums bewegte.“ In den Wochen bis zur Befreiung durch die ukrainische Armee erlebten die verbliebenen Bewohner von Butscha ein Inferno.

    Original (vom 11.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    08.04.2022

    New York Magazine: „Russland ist völlig entpolitisiert“

    Wie Russlands Propaganda in der extrem entpolitisierten russischen Gesellschaft wirkt, darüber spricht der Moskauer Soziologe Grigori Judin im Interview mit dem New York Magazine: Es herrsche große Verachtung für alles Politische, allgemeines Misstrauen und ein „endloser Relativismus“ („alle lügen, es gibt überhaupt keine Wahrheit“), politischer Wandel sei undenkbar, darum lebten viele zurückgezogen in ihrem privaten Alltag. In dieser Situation, so Judin, akzeptieren sie die „story line“ und die „talking points“ des Staates, mit denen Gräueltaten wie in Butscha geleugnet werden. Nicht weil sie an die Propaganda glaubten, sondern weil das staatliche Narrativ helfe, den eigenen Alltag zu bewahren. Dieses Narrativ besage nach Judin: Alles nicht so dramatisch, alles unter Kontrolle, jedoch musste gehandelt werden, denn es gab eine Bedrohung für das alltägliche Leben und das kann niemand wollen. 

    In dem Interview geht es außerdem um die Ursachen dieser Entpolitisierung, um neue Repressionen, um das Ende des akademischen Lebens in Russland, um nukleare Erpressung und eine mögliche weitere Eskalation, sobald Putin erkennt, „dass er keine Fortschritte macht.“

    Original (vom 07.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Time: Ukraine Is Our Past and Our Future

    Für das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time zeichnet der britische Autor und Publizist Peter Pomerantsev, der in Kyiw geboren wurde, in einem zu Teilen sehr persönlichem Essay nach, wie die Ukraine in ihrer Geschichte immer wieder mit Gewalt, Repression und Mord von russischen und sowjetischen Herrschern unterdrückt wurde. Er beschreibt auch, warum dieses zwischen zahlreichen konkurrierenden Imperien verortete Land über Jahrhunderte Schauplatz furchtbarer Unterdrückung, Pogrome und Massenmorde war: „Dies ist das Gebiet einiger der schlimmsten Pogrome gegen Juden im Russischen Reich; die gewaltsame Vertreibung der Tataren aus ihrer angestammten Heimat auf der Krim durch die Sowjets; der Schauplatz einiger der tödlichsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs; und der Holocaust. Etwa 14 Millionen starben hier im 20. Jahrhundert in einem Massenmord nach dem anderen. Die Ukraine ist der Schmelztiegel der Bloodlands eindrucksvoll beschrieben von dem Yale-Historiker Timothy Snyder.“ Pomerantsev kommt zu dem Schluss, dass es Putin in diesem Krieg vor allem um eines gehe: die Kontrolle der ukrainischen Realität.

    Original (vom 06.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Zeitgeschichte online: Das Ende der Begegnung?

    Der Krieg hat die akademische Zusammenarbeit mit Russland jäh unterbrochen. Der Großteil der russischen Universitätsrektoren hat sich in einem offenen Brief hinter Putin gestellt. Wie lässt sich dem Entstehen einer akademischen „lost generation“ entgegenwirken? Bericht über ein Austauschprojekt von deutschen, ukrainischen und russischen Studenten, das der Erinnerung an vergessene Opfergruppen des Nationalsozialismus galt und sich plötzlich selbst im Krieg wiederfand: „Lasst uns nicht allein!“

    Original (vom 04. April 2022)


    07.04.2022

    iStories: „Kein Vertrag, keine Zwang, nur der Ruf des Herzens“

    Auf russischer Seite kämpfen in der Ukraine neben Berufssoldaten und Wehrdienstleistenden auch Freiwillige und Söldner. Wie und zu welchen Konditionen diese in Russland angeworben werden, dazu hat iStories recherchiert und Experten befragt. Der Kreml streitet eine solche Anwerbung offiziell ab – womöglich, so ein zitierter ukrainischer Militärexperte, weil man „das öffentliche Eingeständnis fürchtet, dass die Dinge schlecht laufen.“

    Original (vom 06.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Zeit Online: Unsere Schuld, unsere Verantwortung

    Auf Zeit Online schreibt die bekannte russische Journalistin und Menschenrechtlerin Olga Romanowa – die seit 2017 in Deutschland lebt – über die Frage der Schuld. Hier sieht sie Parallelen zur deutschen Geschichte: „Viele Russen und Russinnen sagen jetzt, dass sie persönlich keine Schuld tragen. Die Deutschen kennen das: Bald werden andere Russen kommen und sagen, dass sie nur Befehle ausgeführt haben. Wofür also wird uns allen die Schuld gegeben?“. Romanowa meint: „Der Prozess, sich seine Schuld und Verantwortung bewusst zu machen, erfasst derzeit – mit großer Mühe – nur einen kleinen Teil der liberalen russischen Intelligenzija.“ Doch diesen Prozess sieht Romanowa als Grundvoraussetzung für eine Versöhnung: „Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden der gegenwärtigen Generation von Russinnen und Russen wohl nie verzeihen. Womöglich werden erst unsere Kinder und Enkelinnen einen Weg zur gegenseitigen Verständigung suchen. Eines aber muss dafür vorhanden sein: Reue. […] Reue setzt aber Anerkennung von Schuld voraus.“

    Original (vom 06.04.2022)

     

    tageszeitung: Der Widerstand von Charkiw

    Juri Larin berichtet für die Berliner taz seine Eindrücke aus der bereits schwer zerstörten Stadt Charkiw im Osten der Ukraine, die Ziel eines neuen russischen Großangriffs werden könnte. Er schreibt: „Doch obwohl die Menschen die Nachrichten vom neuerlichen russischen Vormarsch hören, bricht keine Panik aus. In der vergangenen Woche ist sogar wieder Leben nach Charkiw zurückgekehrt. Die Anzahl der Autos auf den Straßen ist so groß, dass einige Ampeln, die im Februar abgeschaltet worden waren, wieder in Betrieb genommen werden müssen. Fast alle Tankstellen haben wieder geöffnet. Die Preise sind dank Subventionen durch den ukrainischen Regierungschef Denis Schmygal stark gesunken. Es gibt verschiedene Sorten Treibstoff und sogar Gas, das einen Monat praktisch überhaupt nirgends zu bekommen war. Auch die Versorgung mit Essen hat sich verbessert.“

    Original (vom 06.04.2022)

     

    The Guardian: ‘No one wants to be a little brother’: Belarus, Russia and Ukraine – a dysfunctional family affair

    In einem Essay für den englischen Guardian beschreibt der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko, der lange in Russland gelebt und gearbeitet hat, das fundamentale Missverständnis, mit dem der Kreml und auch die russische Bevölkerung seiner Meinung nach auf die Nachbarländer Ukraine und Belarus schauen. Dabei analysiert er auch die kulturhistorischen oder politischen Unterschiede oder Parallelen in den politischen Systemen. Er schreibt: „Während die Ukraine ihr Bestes tat, um der Sowjetunion zu entkommen, kehrte Lukaschenko bewusst dorthin zurück. Während die Ukraine in die Zukunft reisen wollte, träumte Lukaschenko davon, in die Vergangenheit zurückzukehren. Viele Jahre blieb Putin irgendwo dazwischen, liebäugelte mit liberalen Werten, mit Europa, aber schließlich verstand er: Wenn es um die Wahl zwischen der Freiheit seines Landes und seiner eigenen persönlichen Macht geht, wird er sich für Letzteres entscheiden. Sowohl für Putin als auch für Lukaschenko ist dies eine Frage des Überlebens.“

    Original (vom 05.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    06.04.2022

    Mediazona Belarus: Karte der Plünderer. Wohin russische Soldaten ihre Pakete aus Mosyr schickten

    Am 3. April hatte der belarussische Blogger Anton Motolko ein Überwachungskamera-Video aus einem Paketshop im belarussischen Mosyr unweit der ukrainischen Grenze veröffentlicht. Auf dem dreistündigen Video sieht man Soldaten, die allerlei Elektrogeräte, alkoholische Getränke, einen E-Scooter und Klimaanlagen verpacken und versenden. Es soll sich dabei um russische Soldaten und erplündertes Diebesgut aus der Ukraine handeln. Später tauchte ein offenbar geleakter Datensatz mit Angaben von 69 mutmaßlichen Absendern auf, die jeweils 50 bis 450 Kilogramm verschickt haben sollen. Mediazona hat alle angegebenen Trackingnummern auf der Seite des Logistikers CDEK verifiziert und eine Karte der Zielorte erstellt: Die Mehrzahl der Pakete ging nach Rubzowsk, weitere nach Moskau, Tschita, Omsk und andere Orte. Mediazona hat außerdem noch ein weiteres Video entdeckt – mit einer ähnlichen Szenerie aus einer CDEK-Filiale im russischen Nowosybkow, das 70 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt liegt.

    Original (vom 05.04.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Geschichte der Gegenwart: „Anti-Russland“? Die Ukraine als politisches Projekt

    Für das Online-Medium Geschichte der Gegenwart beschäftigt sich Fabian Baumann, der Postdoktorand und SNF-Stipendiat am Department of History der University of Chicago ist, mit dem ukrainischen Nationalismus, der angeblich sehr extrem sei und den Wladimir Putin als Vorwand für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nimmt. Baumann zeigt die kulturhistorischen Gründe für einen Nationalismus auf, der zwar wie andere Nationalismen ebenfalls von ex- und inklusiven Faktoren geprägt war, der aber vor allem aus einer emanzipatorischen Kraft heraus gegenüber dem russischen Imperium entstanden ist und der sich heute als Motor einer pluralen Gesellschaft versteht. So heißt es im Text: „Für eine Mehrheit der Ukrainer:innen steht die nationale Unabhängigkeit heute aber in erster Linie für eine demokratische Entwicklung des Landes und die Öffnung gegenüber Europa nach dem Vorbild der zentraleuropäischen Nachbarländer. Es ist der Wille, dieses Modell weiterzuverfolgen und notfalls mit Gewalt zu verteidigen, der die ukrainische Bevölkerung – inklusive der Russischsprachigen im Süden und Osten – in diesem Krieg eint.“

    Original


    05.04.2022

    The Russia File: ახალი ხორცი [Fresh Meat]

    Wie kommt es, dass Georgier in Moskau meist perfekt Russisch sprechen, während Russen in Georgien oft nur wenig Mühe zeigen, auch nur einzelne Wörter der Landessprache zu lernen? Andrei Babitsky ist wie tausende andere Menschen in den vergangenen Wochen aus Russland ins georgische Tbilissi geflohen. Auf The Russia File, einem Blog des US-amerikanischen Kennan Instituts, reflektiert der Journalist über das Sprachenlernen, über Demut und Arroganz, über koloniale Sichtweisen, die sich selbst bei Sowjet-Dissidenten wie Joseph Brodsky finden lassen, und die Frage, wie das alles mit Russlands Krieg gegen die Ukraine zusammenhängt. 

    Original (vom 31.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


     

    04.04.2022

    analyse & kritik: „In Russland droht ein faschistisches Regime“

    Der Soziologe Grigori Judin war im Vorfeld des russischen Großangriffs auf die Ukraine einer der wenigen Experten, der vor so einem Szenario gewarnt hat. In einem Interview mit der Zeitschrift analyse & kritik bekräftigt er, woran er das festgemacht hatte: „Nachdem Putin Russland mit seinem Verfassungsreferendum im Jahr 2020 in eine Quasi-Monarchie verwandelt und außerdem versucht hat, seinen einzigen politischen Gegner, Alexej Nawalny, zu ermorden, war für mich klar, dass er einen großen Krieg plant. Putin sieht die Existenz eines großen und kulturell ähnlichen Nachbarstaates mit einem politischen Regime, das von den Vereinigten Staaten militärisch gestützt wird, als extrem bedrohlich an.“ 
    Judin warnt zudem davor, jetzt nicht genauer hinzusehen, was in Russland passiert und formuliert auch an die Adresse des Westens, dass er „nicht sicher“ sei, ob das außerhalb Russlands hinreichend verstanden werde: „Hier findet gerade eine Entwicklung vom Autoritarismus hin zu einem totalitären Regime statt. (…) Und ja, in dieser Hinsicht zeigen sich, gerade in den letzten Tagen und Wochen, deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit dem, was man klassischerweise als Faschismus bezeichnet.“

    Original (vom 30.03.2022) 

     

    The New York Times: What if Putin Didn’t Miscalculate?

    Die New York Times beschäftigt sich mit der Frage, welche Ausgangspläne Wladimir Putin hatte, beziehungsweise gehabt haben könnte – und inwiefern die Eroberung des Ostens der Ukraine von Anfang an ein zentrales Ziel gewesen sei. Der Autor Bret Stephens ist kein Russlandkenner, sondern ein konservativer Meinungskolumnist. Seine Gedankenspiele gehen nicht von der Frage des politischen Systems aus oder davon, welche konkreten militärischen Niederlagen Russlands Krieg bisher vorzuweisen hat – mit Blick auf die Gebiete und Orte, die die ukrainische Armee wieder unter ihre Kontrolle bringen konnte. Was Stephens sich im Kern anschaut sind reine Fragen von möglichem Einsatz und Gewinn in einem Krieg aus Sicht eines kühl kalkulierenden Kriegsherrn: Wie groß muss ein Angriff vorgenommen werden, damit am Ende das Zugeständnis erreicht wird, dass sich Putins Regime von Anfang gewünscht hat, nämlich den Osten zu bekommen?

    Original (vom 29.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    03.04.2022

    Der Standard: Wenn die Worte fehlen

    Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy, der 2014 von der Krim geflohen ist und der seit Jahren auch für viele deutschsprachige Medien über seine Heimat berichtet, hat in einer sehr persönlichen Reportage für die österreichische Zeitung Der Standard aufgeschrieben, was der Krieg mit ihm selbst macht. Darin beschreibt er nicht nur seine Flucht aus Kiew nach Lwiw, sondern auch die emotionalen Auswirkungen des andauernden psychischen Ausnahmezustands auf seine Arbeit. Er schreibt: „Ich hatte plötzlich eine mentale Blockade, ich konnte und wollte nicht zu viel nachfragen. Eigentlich wollte ich manchmal überhaupt keine Fragen mehr stellen. Denn eigentlich wusste ich ohnehin, wie es ihnen geht – trotz meiner im Vergleich zu ihnen doch ziemlich privilegierten Position hier im Hinterland des Krieges.“

    Original (vom 02.04.2022)


    02.04.2022

    Osteuropa: „Wann wird die Operation in der Ukraine beendet? Und warum stürmen wir Kiew nicht?“

    Das Online-Portal der Zeitschrift Osteuropa hat ein Interview mit Wladimir Tschirkin aus der russischen Zeitung Komsomolskaja Prawda übersetzt, in dem er zum Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine befragt wird. Tschirkin ist ein ehemaliger Oberkommandeur des Heeres der Russländischen Streitkräfte. Entsprechend geben seine Einschätzungen einen Einblick in die Propaganda und Gedankenwelt der russischen Eliten. Die Osteuropa-Redaktion hat dem Interview auch deswegen folgende Einleitung vorangestellt: „Propaganda ist ein abstraktes Wort. Die Wahrheit ist konkret. Es zeigt sehr konkret ein Denken, das sich in gleicher Weise – lediglich weniger ungeschliffen – in den Reden des Staatspräsidenten Putin findet. Čirkin war im Dezember 2013 wegen Bestechlichkeit zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, alle militärischen Titel wurden ihm entzogen. Zwei Jahre später hob ein Moskauer Gericht das Urteil auf.“

    Original (vom 01.04.2022)


    01.04.2022

    Meduza: Präsidialadministration hofft nicht mehr auf Einnahme Kiews. Doch womöglich will Putin diese weiterhin

    Nach Angaben mehrerer Informanten von Meduza mit Nähe zur Präsidialadministration bzw. zur Regierung habe sich die russische Militärführung damit abgefunden, dass Kiew nicht ohne großes Blutvergießen einzunehmen sei. Als wahrscheinlichstes Szenario gelte nun die vollständige Kontrolle des Donbass. Allerdings habe Putin noch keine endgültige Entscheidung getroffen, wie drei der Informanten behaupten. Für den Fall eines Friedensabkommens fürchte man in der Präsidialadministration Enttäuschung seitens der „patriotischen Öffentlichkeit“, sinkende Umfragewerte und eine vertiefte Wirtschaftskrise nach Beendigung des Krieges. Polittechnologen seien mit der Suche nach einer neuen Ideologie für das Land beauftragt worden: „Kiew ist nicht eingenommen, die meisten Sanktionen wurden nicht aufgehoben und mit ihnen lebt es sich schlecht. Wozu das alles ertragen? Diese Leerstelle soll gefüllt werden, bevor es andere tun.“

    Original (vom 31.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Faridaily: «Мы теперь будем их всех е***ь». Что происходит в российских элитах через месяц после начала войны

    Eine andere Einschätzung liefert Farida Rustamova, die sich ein weiteres Mal mit ihren anonymen Quellen aus dem russischen Staatsapparat unterhalten hat. Die von ihr gesammelten Stimmen legen eher einen Rally ’round the Flag-Effekt nahe, ein Zusammenrücken im Sinne eines „Jetzt erst recht“. Beide Reaktionen stehen aber letztlich nicht in Widerspruch zueinander, da unterschiedliche machtnahe Akteure durchaus ganz unterschiedliche Konsequenzen aus der Situation ziehen können.

    russisches Original (vom 31.03.2022) / englisches OriginalÜbersetzung aus Google Translate
     

    Grigori Judin: Moskau im Krieg

    Wie fühlt sich das Leben in Moskau an, während Russland in der Ukraine Krieg führt und mit massiven Sanktionen belegt wurde? Der Soziologe Grigori Judin schildert auf Twitter ein paar persönliche Eindrücke: Mehrfach zeige sich die Überzeugung, dass sich die Lage in wenigen Monaten schon wieder normalisieren werde, Ladenschließungen würden als vorübergehend begriffen, Rückzüge internationaler Konzerne als Lippenbekenntnisse; Leute glaubten, dass der Westen die Sanktionen schon wieder aufheben werde – „schließlich haben wir Atombomben“. Doch was ist, wenn sich diese „Wenige-Monate-Theorie“ als falsch erweist? Dann, so befürchtet Judin, könnte ein bedeutender Teil der Gesellschaft den Krieg als einen existentiellen betrachten, der um jeden Preis gewonnen werden müsse.

    Original (auf Englisch)


    31.03.2022

    Mediazona: Interview mit geflüchteter Ukrainerin über Asow-Gräueltaten vom FSB gedreht. Russische Medien sollten die Quelle nicht nennen

    Am 24. März zeigten russische Staatsmedien eine aus Mariupol geflüchtete Ukrainerin, die über angebliche Gräueltaten des ukrainischen Asow-Regiments sprach: „Die Asow-Leute brüsteten sich förmlich damit, dass sie Menschen quälen und alle umbringen.“ RT kennzeichnete das Video gar als „exklusiv“. Ein Informant, der nicht namentlich genannt werden möchte, übermittelte Mediazona jedoch Screenshots einer Mail, die nahelegen, dass der FSB das Videomaterial an Medienvertreter geschickt hat – mit der Bitte, die Quelle nicht zu nennen.

    Weiter zitiert Mediazona eine Ukrainerin aus Mariupol, die gegenüber dem Portal Graty von ihrer Zwangs-Evakuierung nach Russland berichtet und wie dort die Evakuierten in einem Filtrationslager von FSB-Beamten verhört wurden.

    russisches Original (vom 30.03.2022) / englisches Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    bpb – kurz & knapp: „Russland will nicht nur die Ukraine zerstören, sondern auch Europa“

    In der Sparte kurz & knapp der Online-Plattform der Bundeszentrale für politische Bildung ist ein ausführliches Interview mit Wolodymyr Jermolenko erschienen. Darin versucht der bekannte ukrainische Philosoph Gründe für die vermeintlich deutsche Zurückhaltung beziehungsweise das mutmaßlich zögerliche Handeln in Bezug auf die Ukraine zu finden. Dabei führt er kulturhistorische Gründe an wie beispielsweise die lange Aufarbeitung des Faschismus in Deutschland und die für Jermolenko daraus resultierende Agenda, stets Dialogbereitschaft einzufordern und dem Prinzip des Multilateralismus zu folgen, was in Bezug auf ein politisches System wie das des Kreml nur schwerlich funktioniere. Zudem kritisiert Jermolenko den in Deutschland weitverbreiteten „russozentrischen“ Blick auf Osteuropa, er erörtert die Zweisprachigkeit der Ukraine oder auch die Formen des Widerstands, die die Ukrainer nicht nur in Bezug auf militärische Mittel zeigen.

    Original (vom 28.03.2022)


    30.03.2022

    Cicero: „Verzeiht uns, wenn ihr könnt“

    „Die russische Gesellschaft sortiert sich gerade neu, und es ist noch nicht abzusehen, wohin der Weg geht. Der Schulddiskurs wird uns noch eine lange Zeit begleiten. Es ist Zeit, Hannah Arendt zu lesen, wie ein ehemaliger Kollege neulich zu mir meinte. Er hat wohl recht.“ Das schreibt die Russland-Expertin Polina B., die für das Online-Portal der Zeitschrift Cicero zahlreiche Stimmen aus russischen sozialen Medien gesammelt und übersetzt hat – Stimmen, die einen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt der russischen Gesellschaft und in den aktuellen Schulddiskurs vermitteln.

    Original (vom 28.03.2022)

     

    Der Standard: Widerständige Musik aus der Ukraine und Russland

    Die Kultur-Redaktion der österreichischen Zeitung Der Standard stellt einige ukrainische und russische Bands und Musiker vor, die sich in Zeiten des Krieges mit vor allem musikalischen Mitteln der Aggression Russlands widersetzen. Unter den Acts finden sich bekannte Bands wie Gogol Bordello, Antytila oder die ukrainische Rapperin Alyona Alyona sowie auch der russische Rapper Morgenshtern. Über diesen heißt es: „Morgenshtern ist aber nicht allein in seinem Widerstand gegen Putin. Als russischer Star wiegt sein Wort jedoch besonders schwer. Eben hat er den Anti-Kriegs-Track 12 veröffentlicht, in dem am Ende die Mutter eines ukrainischen Freundes, des Rappers Palagin, vom Krieg erzählt.“

    Original (vom 29.03.2022)


    28.03.2022

    Novaya Gazeta: Operation „Russisches Chromosom“

    „Die ideologische Lustration muss eine totale sein.“

    Der Politologie Wladimir Pastuchow unternimmt in der Novaya Gazeta den Versuch einer ideologischen Charakterisierung des Putinismus und fragt, wie dieser letztlich überwunden werden kann. Er beschreibt die Geschichte Russlands seit dem 19. Jahrhundert als Spannungsfeld zwischen Westlern und Slawophilen, wobei Erstere das sozial-ökonomische Modell des Westens als überlegen betrachten und auf Russland übertragen wollen, während Letztere dieses Modell ablehnen und eine Isolation vom Westen anstreben (vgl. Russland und Europa). Die Perestroika und die 1990er Jahre gelten demnach als Hochphase der russischen Westler. Slawophile Ideen und ihre „Propheten“ à la Dugin haben in dieser Zeit eher ein sektenähnliches Untergrund-Dasein geführt, in dem es mitunter zu bizarren Gemischen à la orthodoxe Stalinisten kam – bis sich dann, so Pastuchow, in den 2000er Jahren ein „Großabnehmer“ für diese Ideen fand: Wladimir Putin und seine Petersburger Gefolgsleute, die ein „ideologisches Fundament für ihre politischen Ambitionen“ brauchten.

    Die daraus erwachsene neue Kreml-Ideologie weist für Pastuchow folgende Merkmale auf: Die russischen Nation wird als überlegen betrachtet (Wladimir Medinski, einst Kulturminister und inzwischen Chef-Verhandler im Ukraine-Krieg, sprach gar von einem besonderen Chromosom, das den Russen eigen ist), andere Ländern (insbesondere die Ukraine) seien nicht zu einer vollen Souveränität fähig und oft nur Vasallen der USA, Angelsachsen und deren „fünfte Kolonne“ gelten als natürlicher Feind, die Kontrolle der Ukraine als Grundbedingung für die Existenz des Imperiums, der Krieg als legitimes Mittel („können“ heißt „dürfen“).

    Pastuchow rechnet mit einem Ausbrennen des Regimes „im Feuer eines kalten Bürgerkrieges“. Für die Zeit danach sieht er die Notwendigkeit einer „totalen ideologischen Lustration“, um der „totalitären Matrix“ zu entkommen: Jegliche Ideen, die den Terror legitimiert und den Krieg ermöglicht haben, gehören tabuisiert. Nur so könne Russland aus der „Sackgasse der Geschichte“ wieder hinaus finden.

    Original (vom 23.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    taz: Russlands Schattenarmee

    In einem langen Beitrag für die taz beschäftigen sich Simone Schlindwein und Mirco Keilberth mit der berüchtigten Söldnerarmee Wagner Gruppe, die bis dato vor allem in Afrika oder beispielsweise in Syrien aktiv war, aber nun auch im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden soll. Es kommen diverse Augenzeugen und Experten zu Wort, die versuchen, die Aktivitäten und Strukturen der Gruppe zu beleuchten. Die Stärke der Gruppe wird demnach auf rund 2000 Mann geschätzt, und es gibt zahlreiche Mythen und Rätsel um diese Söldner, wie die Autoren darlegen: „Ihre Spuren sind diffus: geheime Verträge, geheime Stationierungen. Sichtbar wurden in Libyen modernste russische Panzir-Luftabwehrsysteme und MiG-29-Kampfjets. Russland bestreitet systematisch, mit Wagner etwas zu tun zu haben. Doch derartiges Kriegsgerät wäre niemals ohne grünes Licht vom Kreml in private Hände gelangt.“

    Original (vom 28.03.2022)

     

    Belarus-Analysen: Krieg in der Ukraine Belarussische Dimension

    Die neue Ausgabe der Analyseplattform Belarus-Analysen beschäftigt sich in mehreren Beiträgen mit unterschiedlichen Aspekten des Angriffskrieges, den Russland gegen die Ukraine führt, in Bezug auf Belarus und Machthaber Alexander Lukaschenko. Siarhei Bohdan analysiert in seinem Beitrag, dass die Rolle Lukaschenkos im Krieg alles andere als eindeutig sei. Er schreibt: „Durch den Durchmarsch russischer Truppen hat Minsk definitiv seinen neutralen Status verloren, allerdings ist seine Interaktion mit dem Kreml in diesem Krieg unfreiwillig und begrenzt. Weder belarusische Streitkräfte noch belarusisches Territorium sind aktiv in die Moskauer Kriegsführung verwickelt.“ Maryna Rakhlei widmet sich der Frage, inwieweit der Einsatz der Belarussen für die Ukraine als Kampf gegen das Scheitern der belarussischen Nation gewertet werden kann. Und Natalia Rabava erörtert die Folgen des Krieges für die belarussische Zivilgesellschaft.

    Original (vom 22.03.2022)

     

    iStories: Kann man sich vor Propaganda schützen? 

    „Das Problem ist nicht, dass die Bürger Russlands nicht die Wahrheit über den Krieg in der Ukraine kennen. Das Problem ist, dass sie überhaupt nicht mehr an die Wahrheit als solche glauben.“

    Anna Fenko lehrt als Psychologin an der Universität Amsterdam. Auf iStories schreibt sie über Propaganda aus Sicht der Verhaltensforschung: Experimente belegen, dass Menschen sowohl mit Fakten als auch mit Logik gegen Verschwörungserzählungen „geimpft“ und „immunisiert“ werden können. Doch darüber hinaus gibt es auch Belege für die neutralisierende Wirkung einer „Meta-Immunisierung“ durch den Hinweis, dass alle Seiten manipulative Absichten verfolgen würden. Das führe zu einer kognitiven Überlastung, was den Effekt von Logik- und Fakten-„Impfungen“ wieder zunichte mache.

    Die russische Propaganda habe wirkungsvolle Meta-Impfungen bereits vor acht Jahren verabreicht, als Beispiel nennt Fenko die verschiedenen widersprüchlichen Versionen zum Abschuss des Flugs MH17 in der Ostukraine – die erzielte kognitive Überlastung unterminiere den Glauben an Wahrheit insgesamt („alle lügen!“) und mache empfänglich für primitive, emotionale Stimuli. Als solche liefere Russlands Propaganda etwa: die Identifikation mit einer russischen Großmacht, die ihren Nachbarn Frieden und Befreiung bringe, die Reaktivierung eines historischen Traumas durch den „Nazismus“-Vorwurf gegen die Ukrainer sowie der Appell an Stimmungen und Ängste in Bezug auf einen „NATO-Vormarsch“

    Original (vom 25.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    26.03.2022

    NZZ: Kriegstagebuch aus Charkiw

    Der ukrainische Schriftsteller Sergej Gerasimow lebt in Charkiw und führt Tagebuch über die Geschehnisse in der umkämpften Stadt. In seinen täglichen Updates – soweit es die Umstände zulassen – berichtet er, wie es ist, in der Frontstadt zu sein. Zwischen Straßensperren und fallenden Bomben und dem Blick auf die kleinen Alltäglichkeiten, oder besser gesagt: Beschwerlichkeiten, Mühen, Lasten und das Leid.
    Heute: Die Essensschlange bewegt sich weiter

    Original 


    Fontanka: «Вы ведь не верите, что это настоящие отзывы?» Как «Фонтанка» заглянула на передовую информационных фронтов Z

    Mit dem Krieg in der Ukraine versucht die russische Führung im Inland den Informationsraum vollends zu kontrollieren. Das zeigt sich besonders deutlich an den Internetsperren gegen die unabhängigen Medien, außerdem an den neuen Gesetzen gegen die angebliche Verbreitung von Falschinformation – und das Verbot der Begriffe „Krieg“ und „Invasion“. Im Internet, das hat jetzt das Sankt Petersburger Online-Medium Fontanka, gezeigt, formieren sich in diesem Zuge auch neue Trollarmeen. Zumindest konnte eine der Fontanka-Journalistinnen einen Tag verdeckt in einer Firma arbeiten, die sich einem „patriotischen“ Kampf im Netz verschrieben hat. Sie sollte Kommentare auf Youtube verbreiten und die „militärische Spezialoperation“, wie der Kreml den Krieg offiziell nennt, verteidigen, mindestens Zweifel sähen, wenn jemand diese offizielle Darstellung nicht teilt.

    Original (vom 21.03.2022) / Übersetzung muss man eigenhändig in entsprechenden Tools vornehmen; Fontanka hat einen DDoS-Schutz, der eine vollständig übersetzte Seitenausgabe verhindert


    25.03.2022

    The Kyiv Independent: One month of Russia’s war in photos

    Vor über vier Wochen begann der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Das ukrainische Medium The Kyiv Independent bringt aus diesem Anlass eine großangelegte Fotoreportage, die die Zerstörung im Land und das Leid der Ukrainer dokumentiert.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    The New Statesman: „It’s impossible to say that all the world is behind Ukraine“

    Das Online-Portal der US-Zeitschrift The New Statesman hat mit dem ukrainischen Schriftsteller Andrej Kurkow über den Krieg in seinem Land gesprochen – und über die Rolle von Kunst und Kultur im Krieg: „Der Krieg zerstöre alle Lebensbereiche, sagt Kurkow, das physische Leben, aber auch Gebäude, Architektur, Geschichte, Kultur. Auch die Kunst werde vom Krieg geprägt werden. ,Ich denke, der Krieg wird auch eine neue Tendenz in der ukrainischen Kunst schaffen‘, sagt er. ,Nach 2014 [und der rechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland] wurde die ukrainische Literatur viel militanter als zuvor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jetzt noch militanter werden könnte. Aber möglicherweise werden es die anderen Künste – Malerei und Drama und Filme.‘“

    Original (vom 23.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     


    24.03.2022

    Osteuropa: Die Ukraine gewinnt den Krieg und der Westen will es nicht erkennen

    Das Online-Portal der Zeitschrift Osteuropa bringt die Übersetzung einer Analyse, die der bekannte US-amerikanische Politikwissenschaftler Eliot A. Cohen für The Atlantic geschrieben hat. Darin beschäftigt er sich mit der Frage, was die westliche Staatenwelt aktuell tun müsse, um die militärischen Erfolge der Ukraine entsprechend mit politischen und anderen Maßnahmen zu unterstützen, um Putin und Russland weiter unter Druck zu setzen. Er schreibt: „Die Ukrainer tun, was sie können. Jetzt ist es an der Zeit, sie schnell und umfänglich mit dem auszustatten, was sie an Waffen benötigen. Teilweise geschieht dies bereits. Russlands Volkswirtschaft muss erdrosselt, der Druck auf die Elite erhöht werden.“ Zudem sollten, so Eliot, Kriegsverbrecherprozesse und ein Wiederaufbauplan für die Ukraine vorbereitet werden.

    Original (vom 23.03.2022)


    23.03.2022

    Raam Op Rusland: Will the 'European Dream' of Ukraine ever come true?

    In diesem Essay für das niederländische Online-Portal Raam Op Rusland erklärt der ukrainische Intellektuelle und Publizist Mykola Ryabtschuk, der auch in Deutschland mit seinem Essay Die reale und die imaginierte Ukraine bekannt geworden ist, warum die Ukraine ein europäisches Land ist, woher die „lauwarme Haltung der EU gegenüber den europäischen Bestrebungen der Ukraine“ rühre und in welchen Vorurteilen sie verwurzelt ist. Ryabtschuk resümiert: „Es hat dreißig Jahre und zwei Wochen und, schlimmer noch, viele Tausend ukrainische Leben gekostet, um zu erkennen, dass die Ukraine nicht nur ein ,Partner´ oder ,Nachbarstaat´ der EU ist, sondern ,zur europäischen Familie gehört´. Dies könnte schließlich zu einer Institutionalisierung dieser Zugehörigkeit in Form einer EU-Mitgliedschaft führen, da die öffentliche Meinung in Europa der Ukraine gegenüber sehr positiv eingestellt ist. Vielleicht aber auch nicht – wenn der ukrainische Antrag in den Tiefen der EU-Bürokratie versinkt oder wenn die Ukraine von einem skrupellosen Nachbarn, der einen völkermörderischen Krieg gegen sie führt, jenseits aller Regeln ausgelöscht wird.“

    Original (vom 22.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Denis Trubetskoy auf Facebook: „Wolodymyr Selenskyj kann man nicht mit Schwarz/Weiß-Rhetorik einschätzen“

    Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy hat Selensky und viele seiner innenpolitischen Maßnahmen lange mit Skepsis verfolgt. Doch dazu hat sich auch ein aufrichtiger Respekt gesellt, wie er in einer persönlichen Einschätzung des ukrainischen Präsidenten auf Facebook schreibt: „Er ist Demokrat, hat aber vieles gerade in die Richtung falsch gemacht. Seine Menschlichkeit ist seine Stärke, führte jedoch ebenfalls zu mehreren Fehlern. Natürlich ist er jetzt irgendwie wirklich ein Held, aber ich mag solche Bezeichnungen trotzdem nicht, denn die Wirklichkeit ist wie immer viel komplizierter.“

    Original

     

    Holod: „Unechtes Ausland“

    „Gestern noch fuhren Bewohner aus armenischen Provinzstädten zum Arbeiten nach Moskau. Inzwischen sind diese Städte ein beliebtes Auswanderungsziel für Moskauer.“

    Schätzungen zufolge sind seit dem russischen Angriff auf die Ukraine alleine bis zum 10. März rund 30.000 Menschen aus Russland nach Armenien ausgereist – meist um „in Sicherheit zu sein, nicht ins Gefängnis zu kommen oder an die Front eingezogen zu werden“. Doch neben politischen Gründen sei es besonders für russische IT-Spezialisten auch deutlich einfacher aus Armenien mit internationalen Auftraggebern zu arbeiten. Todar Baktemir berichtet auf Holod aus Jerewan über die Folgen der russischen Migration im Drei-Millionen-Einwohner-Land Armenien, über enorm gestiegene Mietpreise, über Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, Scherze bezüglich einer ultrarechten „Alternative für Armenien“, über politische Geflüchtete aus Russland, die die ukrainische Diaspora auf Demonstrationen unterstützen, über koloniale Sichtweisen von Russen, die postsowjetische Länder als erweiterte Heimat betrachten, als „unechtes Ausland“.

    Original (vom 19.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate
     

    Belarus Digest: Will Lukashenka join Putin in invading Ukraine?

    Auch in den vergangenen Tagen gab es immer wieder Hinweise, dass Alexander Lukaschenko doch noch belarussische Truppen in den Krieg Russlands gegen die Ukraine entsenden könnte. In diesem Beitrag für das Online-Portal Belarus Digest geht der Politikanalyst Siarhei Bohdan der entscheidenden Frage nach, ob genau dies noch passieren könnte und ob Lukaschenko überhaupt noch die Freiheit hat, dies verhindern zu können. Dabei zeigt er, dass Lukaschenko, der vielfach schon eindeutig als Vasall des Kreml bezeichnet und angesehen wird, trotz aller fataler Abhängigkeit von Russland immer noch versucht, Handlungsspielräume zu erwirken – eine Strategie, die ihm seit 1994 immer wieder das Überleben und eine gewisse Autonomie gesichert hat: „Diese Autonomie wird trotz ihres Potenzials zur Aufrechterhaltung der regionalen Sicherheit und zur Wahrung der belarussischen Staatlichkeit häufig verneint oder unterschätzt.“

    Original (vom 22.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Eurozine: The least vaccinated in Europe

    Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat auch die dortige Lage in Bezug auf die Corona-Pandemie aus der internationalen Wahrnehmung verdrängt und sie zusätzlich verschlimmert. Denn: „Kein anderes Land in Europa hat eine niedrigere Durchimpfungsrate, und angesichts der Zerstörung der medizinischen Infrastruktur und des unbeschreiblichen menschlichen Leids besteht kaum eine Chance auf nennenswerte Fortschritte.“ Für das Online-Portal Eurozine rekapituliert Matthias Kaltenbrunner die Folgen der Pandemie in der Ukraine seit ihrem Ausbruch im März 2020, die Maßnahmen und Impfstrategien der ukrainischen Regierung und zeigt die Folgen für die Gesundheitssituation in dem kriegsgebeutelten Land auf.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    ​​Riddle: Buchstabe statt Idee

    Das „Z“ als Zeichen der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine ist ein Symbol ohne Inhalt, Ausdruck einer ideologischen Leere, ein bloßer Marker für Loyalität. Das meint der Meduza-Korrespondent Andrej Perzew in einem Kommentar auf Riddle. Auf Umfragen, die von einer 71-prozentigen Unterstützung für den Krieg sprechen, könne man wenig geben, wenn für die „Diskreditierung der Armee“ hohe Haftstrafen drohen. Die Regierung könne weder den Bürgern noch sich selbst erklären, worum es ihr eigentlich geht: „Führt sie Krieg oder eine Spezialoperation? Verhindert sie einen ukrainischen Angriff auf die Volksrepubliken Donezk und Luhansk oder die Entwicklung von Atomwaffen? Setzt sie damit Selensky ab oder sieht sie ihn als legitimes Staatsoberhaupt?“ Wegen der inhaltlichen Leere gäbe es für die „Z“-Kampagne auch keine breite Unterstützung von unten. Stattdessen imitiere der Kreml eine solche mit organisierten „Z“-Flashmobs und anderen Aktionen, die auf Nötigung und Käuflichkeit basierten. 

    russisches Original (vom 22.03.2022) / englische Version (vom 22.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Geschichte der Gegenwart: Erniedrigte und Beleidigte

    Der Slawist Riccardo Nicolosi analysiert in einem Beitrag für das Online-Portal Geschichte der Gegenwart die Affektrhetorik von Wladimir Putin und zeigt, wie der russische Präsident sich seit Jahren als Opfer darstellt oder wie er immer wieder betont, dass das postsowjetische Russland ein „zutiefst gekränktes Land“ sei, „das vom ‚Westen‘ wiederholt beleidigt und betrogen worden sei“. Dabei erörtert Nicolosi auch diese entscheidende Frage: „Kann es in dieser Situation Spielraum für verbale Abrüstung geben?“

    Original


    22.03.2022

    AP: 20 days in Mariupol – The team that documented city's agony

    Die Bilder des zerstörten Geburtskrankenhauses in Mariupol gingen um die Welt. Seit Tagen wird die strategisch wichtige Stadt am Asowschen Meer von der russischen Armee belagert und verwüstet, seit Tagen sind die Bewohner von der Außenwelt abgeriegelt – von Strom, Wasser, Handynetz und der Versorgung mit Lebensmitteln. In einer erschütternden Reportage für Associated Press berichten Mstislaw Tschernow und Jewgeni Maloletka in Wort und Bild über die Stadt in der Blockade, der sie inzwischen entkommen konnten: Leichen auf den Straßen, Verletzte, die nicht mehr abgeholt werden können oder im Einkaufswagen ins Krankenhaus eingeliefert werden, Massengräber, improvisierte Luftschutzkeller, verzweifelte Hoffnungen in der medialen Isolation auf eine Befreiung durch die ukrainische Armee, Menschen, die unbedingt gefilmt werden wollen, um ihren Angehörigen außerhalb der Stadt ein Lebenszeichen zu schicken. 

    Dieses Material enthält drastische Darstellungen von getöteten und verletzten Menschen.

    Original (vom 21.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    21.03.2022

    ​​Mascha Borsunowa/Irina Bablojan: „Der Krieg hat das Fass zum Überlaufen gebracht“

    Mit ihrem Plakat gegen den Krieg und gegen die Propaganda des eigenen Senders sorgte Marina Owsjannikowa im Live-Fernsehen des Ersten Kanals weltweit für Aufmerksamkeit. Im Netz wird sie von vielen als Heldin gefeiert, Kollegen wie Kirill Kleimjonow sprechen dagegen öffentlich von Verrat. Mascha Borsunowa (ehemals Doshd) und Irina Bablojan (ehemals Echo Moskwy) haben mit anonymen Quellen innerhalb russischer Staatsmedien gesprochen und mit solchen, die dort wegen des Krieges gekündigt haben. Berichtet wird von deutlich verschärften Bedingungen in den Redaktionsräumen, von neuen Sicherheitskräften mit kugelsicherer Weste und Schlagstock vor den Eingängen, von inneren Untersuchungen und Mitarbeiterbefragungen, von Kündigungen und Drohungen, sollte sich jemand ein Beispiel an Owsjannikowa nehmen wollen. Außerdem zitieren Borsunowa und Bablojan aus einer ihnen vorliegenden internen Dienstanweisung der staatsnahen News Media Holding (Life, Mash und weitere Medien) zur korrekten Berichterstattung über den Krieg, der dort „Spezialoperation“ bzw. „Befreiungsmission“ heißen soll und an dem der Westen die Schuld trage – es sei ein notwendiger Akt der Selbstverteidigung, „um nicht das Schicksal von Belgrad, Bagdad, Tripolis oder Kabul zu wiederholen.“

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    SN Plus: Lukaschenko hat auf den Verlierer gesetzt

    Unabhängig davon wie der Krieg ausgeht: Die wirtschaftliche Degradierung Russlands ist vorprogrammiert, technologisch wird das Land immer schneller abgehängt vom Westen und von China. Zu dieser Einschätzung kommt der belarussische Politologie Waleri Karbalewitsch auf SN Plus. Lukaschenko habe daher auf den Verlierer gesetzt – das „belarussische Drama“ gehe damit in eine neue Phase. Unter dem Einfluss der Sanktionen seien Symptome einer Wirtschaftskrise für Belarus bereits jetzt sichtbar: ein Wertverlust des Rubels um ein Drittel, Warendefizite und ein drastischer Einbruch der Exporte in die EU und die Ukraine. Karbalewitschs Fazit: Belarus und Russland sind im Unglück vereinte Freunde, das werde auch bald der Gesellschaft in beiden Ländern klar.

    Original (vom 19.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    20.03.2022

    Novaya Gazeta: «Когда начинается «Время», многие коллеги выключают звук»

    Marina Owsjannikowas Antikriegsaktion mitten in einer Livesendung des russischen Staatsfernsehens hat in dieser Woche viel Aufmerksamkeit bekommen. Seither gibt sie zahlreiche Interviews, wird von Medien gefragt: Wieso? Wieso jetzt erst? Hatten Sie keine Angst? Viele hat auch gewundert, dass sie einige Sätze in englischer Sprache auf das Plakat geschrieben hatte. Dazu sagte sie der Novaya Gazeta: „Der Text in englischer Sprache war für die westliche Öffentlichkeit gedacht, um zu zeigen, dass die Russen gegen <…> seien, und der Text in russischer Sprache war für die russische Öffentlichkeit, um die Russen aufzufordern, keine Propaganda zu betreiben.“ 
    Auch hier hat die Novaya, aufgrund der neuen Gesetzgebung in Russland, sich selbst zensiert und statt des Wortes „Krieg“ einfach eckige Klammern und drei Punkte gesetzt. 

    Das ganze Interview, warum sie sich nicht als Heldin sieht und jetzt besondere Sorge um ihre Kinder hat – auf Russisch, und in Google-Übersetzung:

    Original (vom 19.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate
     

    Zaborona: Кожен дорослий — це «мама» і «тато». Як від війни рятують дітей з сиротинців

    Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflüchtet, Hunderttausende sind innerhalb des Landes in anderen Regionen gestrandet. Es ist für jeden Einzelnen eine Belastungsprobe, ein Trauma, eine Tragödie – immer auch mit der Ungewissheit, dass der Krieg sie alle einholen kann. Wie es dabei den Kindern geht, damit beschäftigt sich das unabhängige ukrainische Medium Zaborona und hat sich speziell die Situation von Waisen angeschaut, die in Lwiw Zuflucht finden konnten.

    Original (vom 17.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    19.03.2022

    Der Spiegel: Liebe Europäer, machen Sie sich keine Illusionen
    In einem Gastbeitrag für den Spiegel beschreibt der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan die Situation in seiner bereits schwer zerstörten Heimatstadt Charkiw, deren Menschen und Zivilgesellschaft dennoch nicht aufgeben. Zhadan schreibt: „Zur Mittagszeit sind die Straßen leer – die Bürger von Charkiw bereiten sich dann auf die Ausgangssperre vor. Nachts wechseln sich Zeiten der Stille mit heftigen Explosionen ab, und stündlich wird Bombenalarm ausgelöst. Am schlimmsten hat es bisher den großen Vorort Saltiwka getroffen, eine Schlafstadt – die Russen zerstören die Häuser dort einfach mit ihren Raketen. Ich habe Freunde dort, um ein Haar sind sie dem Tod entkommen.“

    Original (vom 18.03.2022)
     

    Meduza: «День был более-менее спокойный, тихий. А потом где-то рядом упала бомба»
    Für das Exilmedium Meduza spricht der renommierte russische Filmkritiker Anton Dolin mit ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern über den Krieg. In der ersten Folge unterhält er sich mit seiner ukrainischen Kollegin Natalja Serebrjakowa. Sie hat den Beschuss von Sumy überlebt und ist mittlerweile außer Landes. Serebrjakowa hat auch für viele russische Feuilletons geschrieben, was sie sich nun nicht mehr vorstellen kann. Einen „boykott“ der russischen Kultur hält sie dennoch für falsch, dies „wird nicht dazu beitragen, den Krieg zu beenden. […] Die Kultur ist das Letzte, woran Putin denkt“.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    ipg-journal: Zerklüfteter Kaukasus

    Die drei Kaukasus-Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan sind auf sehr unterschiedliche Weise in Sicherheits- und Interessenkonstellationen eingebunden, die durch den russischen Krieg gegen die Ukraine betroffen sind. Felix Hett, Leiter des Süd-Kaukasus-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tiflis, analysiert ihre jeweiligen Haltungen.

    Original (vom 11.03.2022)



    NZZ: 12 Thesen zum Krieg in der Ukraine

    In einem Analysestück für die Neue Zürcher Zeitung stellt der US-Amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der Anfang der 1990er mit dem Buch Das Ende der Geschichte berühmt wurde, zwölf Thesen zum Krieg auf, den Russland gegen die Ukraine führt. Die durchaus provokanten Thesen bauen auf der Annahmen auf, dass Russland in der Ukraine auf eine „klare Niederlage“ zusteuere. Dabei stellt Fukuyama auch fest, dass eine diplomatische Lösung des Konfliktes unmöglich sei, „solange der Kollaps der russischen Armee nicht eingetreten ist. Es gibt keinen denkbaren Kompromiss, der sowohl für Russland als auch für die Ukraine akzeptabel wäre, wenn man die Verluste bedenkt, die beide bisher erlitten haben“.

    Original (vom 16.03.2022)
     

    Die Zeit: Gebt meinem Land eine Perspektive!

    Der Text des Ukrainers Myroslaw Marynowytsch, der 1976 die Menschenrechtsorganisation Helsinki Gruppe Ukraine mitgegründet hat, für die Zeit beginnt mit folgenden Worten: „Der Verfasser dieser Zeilen ist ein früherer Menschenrechtsaktivist, war als politischer Gefangener in der Sowjetunion von 1977 bis 1987 in Haft und ist ein überzeugter Anhänger des gewaltlosen Widerstands. Die Eskalation der russischen Aggression gegen die Ukraine zwingt mich jedoch dazu, mir selbst schwierige Fragen zu stellen und schwierige Gefühle zu empfinden. Denn gewaltloser Widerstand im Krieg gegen Russland würde unsere Kapitulation und unser völliges Verschwinden als Nation bedeuten.“ In seinem Beitrag argumentiert er, warum er von seinen Grundprinzipien abrückt und eine neue globale Sicherheitsstruktur einfordert.

    Original (vom 17.03.2022)
     

    t-online: Putins brutale Verbündete: „Das sind die Schock-Truppen der russischen Armee“

    Der Militärexperte Gustav Gressel sieht den 1. April als wichtiges Datum, das sich auf den Krieg in der Ukraine massiv auswirken könnte. Es handelt sich um den zentralen Einberufungstermin in Russland. Sprich: Damit könnte Russland möglicherweise Nachschub für Soldaten bekommen, die Wladimir Putin in die Ukraine schickt. Gressel: „Gleichzeitig werden Wehrpflichtige, die im vergangenen April ihren Dienst begonnen haben, am 31. März aus dem Militärdienst entlassen. Ich nehme an, dass vonseiten des Regimes erheblicher Druck auf diese Wehrpflichtigen ausgeübt wird, damit sie einen Vertrag bei der Armee unterschreiben. Als Vertragssoldaten können sie dann sofort in den Krieg geschickt werden.“
    Das bedeute im Umkehrschluss, dass jetzt ein wichtiges Zeitfenster für die Unterstützung der Ukraine mit Nachschub bei Waffenlieferungen und Munition sei – das sich schnell schließe. Vor diesem Hintergrund kritisierte Gressel bürokratische Hürden in Deutschland, um Bundeswehr-Ausrüstung in die Ukraine liefern zu können. Zugleich geht Gressel auf die Rolle tschetschenischer Kämpfer ein, die inzwischen in der Ukraine im Auftrag ihres Republik-Chefs Ramsan Kadyrow kämpfen.

    Original (vom 18.03.2022)


    17.03.2022

    SRF: „Ich weine nicht, ich werde immer wütender“

    Für die SRF-Sendung Echo der Zeit hat ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow, der sich immer noch in Kyiw befindet, protokolliert, was der Krieg für die Menschen in seinem Land bedeutet und wie er selbst mit dem Schmerz und dem Leid umgeht. Er schreibt: „Eine Kollegin und gute Bekannte von mir ist in Melitopol, das von der russischen Armee okkupiert ist. Sie sitzt in ihrer Wohnung und geht nicht hinaus. Ich weiss nicht, wie ich ihr helfen kann. Gelegentlich hat sie sich auf Facebook gemeldet, aber jetzt habe ich schon ein paar Tage keinen Kontakt mehr zu ihr. Auch ein paar Freunde in Kiew heben nicht mehr ab. Ich weiss nicht, wo sie sind und wie es ihnen geht.“ Der Text wurde aus dem Russischen von dekoder-Übersetzerin Ruth Altenhofer ins Deutsche übertragen.

    Original (vom 16.03.2022)

     

    Zenith: Wem der Ruf vorauseilt

    Tschetschenen kämpfen auf beiden Seiten im Ukraine-Krieg. Miriam Katharina Heß von der DAGP analysiert für die Zeitschrift Zenith das Verhältnis von Dschihadisten und Diaspora und warnt vor Missverständnissen.

    Original (vom 16.03.2022)

     

    SN Plus: Wie konkret kann Russland der belarussischen Wirtschaft helfen?

    Russland und Belarus wurden für den Angriffskrieg gegen die Ukraine von der EU, den USA und anderen Staaten mit massiven Sanktionen belegt. In diesem Stück für das belarussische Online-Portal SN Plus diskutieren verschiedene Wirtschaftsexperten, welche Maßnahmen der Kreml unternehmen könnte, um die belarussische Wirtschaft, die extrem abhängig ist von Russland, zu stützen. Beispielsweise wurde die Aufschiebung von Rückzahlungen russischer Kredite in Aussicht gestellt, was aber zu weiteren finanziellen Problemen führen werde, bis hin zur Zahlungsunfähigkeit von Belarus. Ein weiteres Problem: der für Belarus wichtige Handel mit der Ukraine werde höchstwahrscheinlich völlig einbrechen.

    Original (vom 16.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    ZOiS: Russlands Abrutschen in die internationale Isolation

    Für ein Spotlight des ZOiS beschäftigt sich der Wirtschaftswissenschaftler Michael Rochlitz mit der wirtschaftlichen und internationalen Isolation Russlands, die im Zuge des Angriffskrieges gegen die Ukraine eingesetzt hat. Darin erläutert er die Sanktionen, den Abzug internationaler Unternehmen oder den Wegzug gut ausgebildeter Russen im Zuge der verschärften Repressionen im Land selbst. Rochlitz´ Prognose ist düster: „Selbst im bestmöglichen Fall eines sofortigen Friedens dürfte es einige Jahre dauern, um den bereits verursachten Schaden wieder zu beheben. Voraussetzung für ein solches Szenario wäre wahrscheinlich der Sturz des Regimes von Wladimir Putin und eine neue Regierung, die den Krieg beenden und Verantwortung für Russlands Handeln übernehmen würde.“

    Original (vom 16.03.2022)


    16.03.2022

    feinschwarz: Krieg in der Ukraine Ende des „byzantinischen“ Modells?

    Für den feuilletonistischen Theologie-Blog feinschwarz beschäftigt sich Johannes Oeldemann in einer detaillierten Analyse mit den Folgen, die der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine für die orthodoxe Welt haben könnte. Vor dem Hintergrund des Krieges, so heißt es, werde der „Einklang“ zwischen Staat und Kirche völlig diskreditiert, was sich künftig auf neue Entwicklungen auswirken werde. Oeldemann erklärt dazu sowohl die Rolle des russischen Patriarchen Kirill als auch die „Geburtsfehler“ der orthodoxen Kirche der Ukraine, die sich vor dem Hintergrund der Aggression durch Russland zusehends vereint.

    Original (vom 15.03.2022)

     

    Rolling Stone: „Wir würden unter Moskau sterben“. Odessa vereint sich im Widerstand gegen Putins Invasion

    Die bekannte ukrainische Journalistin Natalya Gumenyuk war für die US-amerikanischen Zeitschrift Rolling Stone in der Hafenstadt Odessa unterwegs, um in einer Reportage die aktuelle Lage der Stadt zu beschreiben, die einen Angriff der russischen Truppen erwartet und sich darauf vorbereitet. Darin kommt auch der berühmte Lyriker Boris Chersonski zu Wort. Er sagt: „Wir wollen so lange wie möglich bleiben. Wir glauben an den Sieg, aber es wäre für uns unmöglich, unter der Besatzung zu leben. Es gibt ein klassisches russisches Gedicht von Lermontov, in dem es heißt: ,Wir würden unter Moskau sterben.´ Es bedeutet, dass wir im Kampf für die Stadt begraben werden. Ich bin schon berauscht von der Freiheit, ich werde mich nicht unterkriegen lassen, und das habe ich auch in der UdSSR nicht getan."

    Original (vom 15.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    The Kyiv Independent: Fotos aus 20 Tagen Krieg

    Am 24. Februar 2022 hat Wladimir Putin der Ukraine den Krieg erklärt. Das Online-Portal Kyiv Independent, das aus einem Team der Kyiv Post hervorgegangen ist, zeigt in diesem Beitrag Fotos aus diesem Angriffskrieg, in dessen Verlauf bis heute viele ukrainische Städte verwüstet wurden, der Tausende Opfer gefordert und der auch eine humanitäre Katastrophe ausgelöst hat.

    Original (vom 15.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    15.03.2022

    Republic: Die Regierung hat eine gewaltige „Z“-Kampagne zur Unterstützung der „Spezialoperation“ organisiert 

    Das ominöse „Z“ ist zum Symbol des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geworden: Das Zeichen prangt nicht nur auf russischen Panzern, Militärhubschraubern und Raketenwerfern – seit Tagen werden auch im Inland zahlreiche „Z“-Kampagnen gefahren, von denen Dimitri Kolesew auf Republic berichtet: Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen werden (unter Andeutung von Sanktionen) aufgefordert, das „Z“ in ihren Social-Media-Profilbildern zu verwenden, Bewohner eines Kinderhospitzes (!) positionieren sich in „Z“-Form auf dem Hof, ein geleaktes Dokument zeugt davon, dass öffentliche Verwaltungsgebäude zum Jahrestag der Krim-Annexion am 18. März in „Z“-Symbolik dekoriert werden sollen. Den geschilderten Flashmobs und Aktionen ist gemeinsam, dass sie wenig nach „Grassroots“-Engagement aussehen, sondern – teils nachweislich – auf Anweisung von oben erfolgen. Die Politologin Tatjana Stanowaja erklärt das „Z“ als Loyalitätsmarker für Putin persönlich: „Er hat eine höchst riskante Operation gestartet, die alles bedroht, was in den vergangenen Jahren geschaffen wurde, die Pläne und Hoffnungen bedroht. In einer solchen Situation braucht er mehr Beweise der Liebe und Unterstützung des Volkes. Diese Aktionen sind nötig, um Putin Berichte auf den Tisch zu legen und zu sagen, dass ihn die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten unterstützen, dass es da eine Konsolidierung gibt.”

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    Republic: „Alle waren sprachlos und bewunderten ihren Mut“

    Am gestrigen Montagabend gelang es der TV-Redakteurin Marina Owsjannikowa, ein Antikriegsplakat während der Ausstrahlung in der Hauptnachrichtensendung des staatlichen TV-Kanals Perwy Kanal zu zeigen, um gegen den Angriffskrieg ihres Landes gegen die Ukraine zu protestieren. Das russische Online-Medium Republic hat über den Vorfall anonym mit einem Mitarbeiter der WGTRK gesprochen, der staatlichen Medienholding-Gesellschaft in Moskau, zu der auch der Perwy Kanal gehört.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    Die Zeit: „So viele Tote, so viel Blut, so viel Schmerz“

    Die russische Führung scheint ihren Angriffskrieg gegen die Ukraine immer weiter zu radikalisieren: Ganze Siedlungen, Wohnhäuser, Schulen oder Krankenhäuser werden gezielt beschossen und zerstört. Die Zeit hat Stimmen unter dem medizinischen Personal in der Ukraine gesammelt und protokolliert.

    Original 

     

    Der Standard: „Putin ist ein Verhängnis“

    Osteuropa-Historiker Karl Schlögel im Interview mit dem Standard über die erlebte Weltoffenheit in der Ukraine nach 2014 („einfach unvergleichlich im Vergleich mit dem, was vorher war, und vor allem, was in Russland ist“), über zu erwartende Erschütterungen in der russischen Gesellschaft („Putin ist ein Meister in der Bewirtschaftung einer nach wie vor imperialen Mentalität. Das kann aber ganz rasch umkippen“), über Unterstützung der Ukrainer im Kampf gegen die russischen Angreifer („Mir kommt vor, dass die Fixierung auf den roten Knopf, den Putin drücken kann, uns irgendwie lähmt“) und Putins Geschichts-Besessenheit („Das ist nicht bloß angelesen, sondern er verkörpert die Traumatisierung durch eine nicht bewältigte Vergangenheit durch seine ganze Art: wie er spricht, wie er seufzt, wie er stöhnt, in Hassrede verfällt, spöttische Nebensätze einflicht. Das ist ein zutiefst aufgewühlter, von Obsessionen und Komplexen getriebener Mann“).

    Original (vom 13.03.2022) 


     

    Meduza: Bilder aus der besetzten Stadt Wolnowacha

    Das russische Verteidigungsministerium spricht von einer „Befreiung“ der Kleinstadt Wolnowacha, die vor dem Krieg 20.000 Einwohner hatte und die rund 60 Kilometer von Donezk entfernt liegt. Ukrainische Behörden sprechen von einer völligen Zerstörung der Stadt. Das russische Online-Portal Meduza bringt eine Fotoreportage, die zeigt, wie schwer Wolnowacha verwüstet wurde.

    Original (vom 14.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Osteuropa: Hart umkämpft

    Für das Online-Portal der Zeitschrift Osteuropa analysiert der russische Historiker und Journalist Nikolay Mitrokhin die aktuelle militärische Situation im Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Er schreibt: „Die Lage der ukrainischen Verteidigung spitzt sich an mehreren Stellen zu, vor allem im Osten und bei Irpinʼ nahe Kiew. Es ist damit zu rechnen, dass die russländischen Truppen dort in den kommenden Tagen einen Durchbruch versuchen.“

    Original (vom 13.03.2022)


    14.03.2022

    Kommersant: И дипломаты говорят, и пушки не молчат

    Einer der ukrainischen Verhandlungsführer, Michailo Podoljak aus der Präsidialverwaltung, hat mit der kremlfreundlichen russischen Wirtschaftszeitung Kommersant (Eigentümer ist der kremlnahe russische Milliardär Alischer Usmanow) über den Stand der diplomatischen Bemühungen gesprochen. 
    Nach Aussagen Podoljaks sind die persönlichen Treffen vom 28. Februar, 3. und 7. März inzwischen durch ein ständiges Videoformat ersetzt und konkrete Arbeitsgruppen gebildet worden. Was dabei aufhorchen lässt: Die Punkte der von russischer Seite so genannten „Denazifizierung“ und „Demilitarisierung“ der Ukraine seien entgegen anderslautender Meldungen nicht mehr Gegenstand der Verhandlungen. Insgesamt klingen seine Aussagen verhalten optimistisch, dass eine Einigung erzielt werden könne. Aber natürlich sind derartige inoffizielle Stellungnahmen mit grosser Zurückhaltung zu betrachten.

    Original (vom 12.03.22) / Übersetzung aus Google Translate 

     

    Telegram: Wie der Krieg enden oder nicht enden könnte

    Wirkliche Kompromisse sind nicht in Sicht, der Krieg wird sich vermutlich noch über Monate ziehen – zu dieser Einschätzung kommt der belarussische Politikanalyst Artyom Shraibman in seinem Telegram-Kanal: Für Putin sei ein Rückzug derzeit keine Option, wenn er dabei keines seiner politischen Ziele erreicht und dennoch immense Kosten trägt. Ein Einknicken Kiews hält Shraibman für noch unwahrscheinlicher, zumal kein Vertrauen in russische Sicherheitsgarantien bestehe und Gebietsabtretungen so nur den Aufschub einer neuen Expansion bedeuten würden: „Das ist nicht Selenskys Krieg, sondern der des ganzen Volkes.“ 

    Dennoch gibt es ein vergleichsweise schnelles Ausstiegsszenario: eine Palastrevolution oder ein Putsch in Russland. Doch auch dafür sieht Shraibman derzeit keine wirklichen Voraussetzungen, zumal ein verklärter Blick auf die Ukraine nicht nur im Kreml, sondern indirekt auch in großen Teilen der Bevölkerung vorherrsche. Doch das, so Shraibman, könnte sich langfristig ändern. 

    Original (vom 12.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Frankfurter Allgemeine/Republik: Was kann uns noch retten?

    Für die Literaturbeilage zur Leipziger Buchmesse, die in diesem Jahr nicht stattfindet, hat die Frankfurter Allgemeine mit einigen ukrainischen Autoren und Schriftstellerinnen über den Krieg in ihrer Heimat gesprochen, etwa mit Katja Petrowskaja, Tanja Maljartschuk Jurko Prochasko. Letzterer sagt beispielsweise: „Auf unserer Seite begreifen wir diesen Krieg mittlerweile als eine Fortsetzung eines langen historischen Prozesses. Und wir sehen jetzt, wie wichtig es für uns war, die Zivilgesellschaft zu üben durch unsere zwei Maidans, also durch die Orangene Revolution und die Revolution der Würde. Das waren alles Etappen der Selbstfindung …“ Auch das Schweizer Magazin Republik stellt zahlreiche ukrainische Autoren vor, die sich in ihrer literarischen Arbeit mit dem Krieg in ihrem Land beschäftigen.

    Franfurter Allgemeine Zeitung: Original (vom 13.03.2022)
    Republik: Original (vom 12.03.2022)


    13.03.2022

    BBC/Tagesthemen: „Eine Schreckensvision dessen, was der ganzen Ukraine bevorstehen könnte.“

    Die zweitgrößte Stadt in der Ukraine, Charkiw, ist schwer umkämpft und unter massivem Beschuss russischer Bomben. Die Straßenzüge gleichen inzwischen einer Geisterstadt. Ein Team der BBC hat dort eine Woche verbracht und schlimme Bilder eingefangen. Die Tagesthemen-Reporterin Annette Dittert hat sein Material für die Tagesthemen aufbereitet und sie zitiert den BBC-Reporter Quentin Sommerville: „Eine Schreckensvision dessen, was der ganzen Ukraine bevorstehen könnte.“
    Moderatorin Caren Miosga: „Je brutaler die Angriffe werden, desto weniger Beobachter können bezeugen, was dort geschieht.“ Deswegen habe man sich für die Ausstrahlung entschieden. „Wir möchten Sie gleich ein bisschen warnen. Es ist nicht leicht zu ertragen, was sie gesehen und gedreht haben, aber es ist wichtig, dass es diese Zeugnisse gibt.“

    Original bei der BBCVideo bei den Tagessthemen 

     

    Zaborona: «Я маю жити зараз». Монолог мешканки Харкова, який нещадно бомблять російські війська

    „Mir ist aufgefallen, dass Absolventen oder Artillerie nicht so beängstigend sind wie Überflüge. Denn wenn ein Flugzeug über uns hinwegfliegt, ist es sehr laut. Wahrscheinlich die gruseligsten Kriegsgeräusche, die ich je gehört habe. Bei einem Luftangriff verstecken sich Menschen im Keller unseres Hauses. Dies ist ein kleiner Raum, buchstäblich 15-17 Meter hoch, direkt am Knöchel mit Wasser überflutet, mit einem schrecklichen Gestank nach Abwasser und ohne Belüftung. Während des Beschusses sind dort 20 bis 30 Leute zusammengepfercht, also kann man nur stehen – sitzen, liegen, man kann nichts arrangieren, es ist sehr schwierig.“

    Ein Augenzeugenbericht aus den ersten Kriegstagen in Charkiw, den das ukrainische unabhängige Online-Medium Zaborona in einem Protokoll veröffentlicht hat.

    Original (vom 06.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Novaya Gazeta/Cicero: Augenzeugenbericht einer Korrespondentin (18+)

    Auch die ukrainische Stadt Mykolajiw wurde in den vergangenen Tagen von russischen Truppen und Raketen beschossen. Jеlena Kostjutschenko, Korrespondentin der Novaya Gazeta, war vor Ort und hat mit zahlreichen Menschen aus der Stadt gesprochen, die 480.000 Einwohner hat. So beispielsweise mit Olga Deryugina, die das regionale Büro für forensische medizinische Untersuchung leitet. Sie sagt, dass mehr als 60 Leichen ukrainischer Soldaten und mehr als 30 Leichen von Zivilisten seit Beginn des Krieges zu ihnen gebracht worden seien. „Jede Leiche wird von Mitarbeitern der Ermittlungsabteilung untersucht – sie bereiten Dokumente für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor.“
    Hinweis: Die Novaya Gazeta hat mit Blick auf die russische Gesetzgebung die Teile der Reportage selbst zensiert, die die russischen Truppen betreffen. 

    Original (vom 12.03.2022) / Übersetzung in Google Translate

    UPD: Der Cicero hat den Origialtext, ohne die Kürzungen, zu denen sich die Novaya gezwungen sah, übersetzt und macht ihn hier ohne Bezahlschranke zugänglich.

     

    Financial Times: In Putins Zirkeln – die wahre russische Elite

    In diesem Essay für die Financial Times erklärt der britische Politikanalyst Anatol Lieven, aus welchen Personen sich der Machtzirkel um Putin konstituiert und warum sie derart loyal hinter dem russischen Präsidenten stehen – auch in Bezug auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Regimewechsel wäre nur aussichtsreich, meint Lieven, wenn die Machtelite bestimmte Garantien bekäme: „Die Silowiki identifizieren sich jedoch so stark mit Putin und dem Krieg, dass ein Wechsel des russischen Regimes den Abgang der meisten von ihnen beinhalten müsste, möglicherweise im Gegenzug für das Versprechen, dass sie nicht verhaftet werden und das Vermögen ihrer Familie behalten können.“

    Original (vom 11.03.2022) / Übersetzung in Google Translate
     


    12.03.2022

    Novaya Gazeta: „Путин на нашей стороне!“ (18+)

    In Russland gab es seit Kriegsbeginn am 24. Februar größere Antikriegs-Proteste, darunter in Moskau und St. Petersburg. Festgenommen wurden nach Angaben der Bürgerrechtsorganisation OVD-Info seither landesweit rund 14.000 Menschen. Die Novaya Gazeta hat dabei einen Fall dokumentiert, der durch eine Audioaufnahme des Verhörs an die Öffentlichkeit gelangt war: Dabei wurde offenbar eine junge Frau wegen ihres Aussehens geschlagen. Das Audio sei von OVD-Info mit Erlaubnis der Betroffenen zur Verfügung gestellt worden, berichtet die Novaya.
    Zahlreiche weitere Fälle von Schlägen und Erniedrigungen soll es bereits gegeben haben. Zu diesem konkreten Fall hat die Zeitung das Audio veröffentlicht und zusätzlich zum Lesen verschriftlicht.

    Achtung Triggerwarnung!

    Original (vom 07.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     


    riddle: Why the Kremlin Invaded Ukraine

    Selbst für die meisten Russland-Experten war die verheerende Entscheidung des Kremls zum Angriffskrieg äußerst unerwartet – das schreibt der russische Politikwissenschaftler Vladimir Gelman und kommt zu dem Schluss: Putin ist nicht irrational geworden. Die Entscheidungen wurden Gelmans Analyse zufolge aber durch vier Faktoren fehlgeleitet: die personalisierte Autokratie, das Rent-Seeking des Staatsapparats, eine Projektion der eigenen strategischen Phobien und eine blinde Orientierung an vorigen Erfahrungen, vor allem an dem schnellen Erfolg 2014 bei der Krim.

    Original (vom 12.03.22) / Übersetzung aus Google Translate 
     


    Deutschlandfunk: Ultras und Fußballfans im Krieg

    Bereits mit der Maidan-Revolution 2013/14 haben ukrainische Fußballfans und Ultras eine große Rolle bei den Ereignissen gespielt. Bei den Protesten gegen den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch schützten sie Demonstranten, organisierten Solidaritätsaktionen; danach zogen viele in den Krieg in der Ostukraine. Der Journalist Ronny Blaschke erklärt in diesem Beitrag, wie und warum ukrainische Fußballfans auch aktuell in das Kriegsgeschehen eingreifen. 

    Original (vom 06.03.2022)

     


    11.03.2022

    Los Angeles Times: Bilder aus dem Krieg

    Für die Los Angeles Times ist der Fotoreporter Marcus Yam im Kriegsgeschehen in der Ukraine unterwegs. Die Zeitung hat für ihr Online-Portal eine Reihe seiner Fotos zusammengestellt.

    Original (vom 10.03.2022)

     

    Berliner Zeitung: Ukraine-Krieg: 71 Prozent der Russen unterstützen die Invasion

    Der Osteuropa-Analyst Alexander Dubowy vermutet, dass Russland bei den kommenden Verhandlungen in Belarus abermals Forderungen stellen wird, die für die Ukraine unerfüllbar sind. Dabei wächst offenbar aufgrund von Propaganda und Repressionen in Russland die Rückendeckung für den Krieg. Die Handlungsmöglichkeiten für den Westen sind beschränkt.

    Original

     

    Geschichte der Gegenwart: Putins Antisemitismus

    In diesem Beitrag für das Portal Geschichte der Gegenwart beschäftigt sich Jason Stanley, Professor für Philosophie an der Universität Yale, mit Putins Ansage, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen, was offenkundig ein Vorwand für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei, aber auch eine Rhetorik, die man sich genauer anschauen sollte. „Denn in ihr zeigen sich antisemitische Schlüsselelemente einer weltweit vernetzten Rechten, die in Putin ihren Führer sieht.“

    Original (vom 09.03.2022)

     

    Osteuropa: Sieg, Auszehrung, Regimezerfall

    In dieser Analyse für die Zeitschrift Osteuropa zeigt Andreas Heinemann-Grüder drei Szenarien auf, die er für den Krieg Russlands gegen die Ukraine sieht. Er schreibt: „Selbst wenn es Russland gelingen sollte, Kiew, Charkiv und die anderen großen Städte der Ukraine einzunehmen, wäre die Besatzung und Verwaltung der eroberten Gebiete nur durch die schnelle Errichtung einer Militärdiktatur möglich.“ Dies allerdings wäre ressourcenintensiv und bei der ausgeprägten Widerstandshaltung der ukrainischen Bevölkerung nur mit einem erheblichen Aufwand umsetzbar.“ Zudem „müssten großflächige, unterschiedslose Säuberungen folgen“. Dies käme einem Pyrrhussieg Putins gleich. Weiter werden die Verantwortungen und Eingriffsmöglichkeiten des Westens diskutiert, auch die Gefahr eines nuklearen Schlags und die Möglichkeiten eines belastbaren Waffenstillstands. Diesen hält der Autor erst für dann möglich, wenn beide Kriegsparteien ausgezehrt sind. Und drittens wäre ein Regimezerfall in Russland infolge eines verlorenen Krieges und immer schärfer werdenden Sanktionen denkbar.

    Original (vom 10.03.2022)

     

    NZZ: Putin schöpft seine Ideologie aus trüben Quellen

    dekoder-Gnosist Ulrich Schmid in der NZZ über Iwan Iljin, Nikolaj Berdjajew, Alexander Solschenizyn und andere Denker, die Putins Weltsicht geprägt haben: „Er nimmt Theorieangebote auf, wo er sie findet, und integriert sie in seine wahnhafte Vision eines grossrussischen Imperiums, das über eine tausendjährige Staatlichkeit verfügt.“

    Original (vom 10.03.2022)

     

    Falter: Wir wissen, was Diktatur bedeutet

    Ein tschechisch-österreichischer Blick auf Russlands Krieg in der Ukraine von Ondřej Cikán: „Der Blick dafür, was echte Diktatur bedeutet, ist einem großen Teil der österreichischen und deutschen Gesellschaft verstellt. Das Gefühl für Relationen ist verloren gegangen. Wenn Österreich sich schon durch die Impfpflicht in eine Diktatur verwandelt haben soll, dann kann Putins Diktatur nicht so schlimm sein. Wenn ein rassistisches Wort auszusprechen gleichermaßen verletzend sein soll, wie jemandem ein Bein zu brechen, dann kann es nicht so schlimm sein, wenn dir jemand in den Bauch schießt. Die Ukraine braucht Waffen? Aber Gewalt ist doch keine Lösung. Russland führt einen Vernichtungskrieg an der Grenze zur EU, schießt bewusst auf Kinderkrankenhäuser und tut Dinge, die unaussprechlich sind? Aber die NATO hat das doch provoziert. Die Ukraine will demokratisch sein? Das hat sie jetzt davon…“

    Original (vom 10.03.2022)

     

    Roskomsvoboda: Erklärung zu den Sanktionen ausländischer IT-Unternehmen gegen russische Internetnutzer

    Viele westliche Unternehmen, Handels-, Fastfoodketten, aber auch Internetdienste brechen in diesen Tagen von sich aus die Verbindungen nach Russland ab. Dass ein solcher Schritt im Bereich des Internets kontraproduktiv sein könne – darauf macht die russische Organisation Roskomsvoboda aufmerksam. Die Aktivisten, allesamt IT- und Netzexperten, haben eine Stellungnahme veröffentlicht, die sie in vier Sprachen zur Verfügung stellen, auf Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch.
    Darin weisen sie darauf hin, dass es für russische Nutzer noch die verbliebenen Wege abschneide, um an „Quellen wahrheitsgemäßer Information“ zu kommen, wenn große Provider und sogenannte Backbone-Anbieter – sprich zentrale Stellen in der Struktur des Internets – die Verbindungen nach Russland kappen. Auch befürchtet Roskomsvoboda, dass es den Ambitionen des Kreml für ein sogenanntes souveränes Internet in die Hände spielen könnte. Gemeint sind die angestrebten Pläne der russischen Staatsführung, das russische Internetsegment von der Welt abzukoppeln. Roskomsvoboda warnt in der ins Deutsche übersetzten Stellungnahme: „Solche Aktionen seitens der Internet Service Provider (ISPs) und Online Service Provider (OSPs) bieten einen fadenscheinigen und bequemen Vorwand für die russischen Behörden, die seit zwei Jahren daran arbeiten, ihr eigenes, geschlossenes und isoliertes ‚souveränes Internet‘ sowohl technisch als auch medial zu schaffen.“

    Original (vom 09.03.2022) / Übersetzung von Roskomsvoboda (auf Deutsch ab Seite 17)


    10.03.2022

    Cicero: „Russland braucht eine neue Stunde Null“

    Cicero-Chefreporter und Osteuropa-Kenner Moritz Gathmann in seinem, wie er auf Facebook anmerkt, persönlichsten Text, den er je geschrieben hat: „Ich habe immer für Verständnis geworben, habe in Deutschland die besonderen Erfahrungen der Russen und Gemütslagen erklärt, und wurde dafür immer wieder als ,Russlandversteher‘ abgewatscht. […] Putin hat diesen Gedanken der Völkerverständigung aufs Widerlichste verraten, er hat Menschen wie mich verraten.“ Gathmann war zu Ausbruch des Krieges in der Ukraine und ist gerade zurückgekehrt.

    Original

     

    The Guardian: „Wir werden bis zum Ende da sein“: Der Kampf um den Erhalt der ukrainischen Medien

    Das Team des erst 2017 gegründeten ukrainischen Mediums Zaborona versucht, in diesem Krieg weiter mutig zu berichten. Der Guardian hat mit Gründer Roman Stepanovych gesprochen und erzählt, wie er und seine Mitstreiter nun nach Lviv gegangen sind – um sich alles neu aufzubauen, was es zuvor in Kiew gab. Für ihre Kollegen haben sie außerdem eine Spendenkampagne gestartet, um Ausrüstung wie kugelsichere Westen und Helme zu kaufen.

    Original (vom 07.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Salidarnasc: Lukaschenko und der Krieg Putins

    Die Beteiligung von Belarus am Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sei eine Folge der großen Abhängigkeit von Lukaschenko vom Kreml, sagt der belarussische Journalist Alexander Klaskowski in einem Kommentar für das belarussische Online-Portal Salidarnasc (dt. Solidarität). „Und Lukaschenko kann nichts dagegen tun.“ Nach Ansicht des politischen Beobachters hat Lukaschenko nicht so viele Optionen, was er sagen und wie er sich vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine verhalten soll. Deswegen äußere sich der belarussische Machthaber sehr wenig über den Krieg in der Ukraine. Wenn, dann tue er das neuerdings in einem anderen Ton. Denn Lukaschenko bemerke, dass Putin nun als Kriegsverbrecher wahrgenommen wird und dass dieses Stigma auch auf ihn fallen könnte. Deshalb, so Klaskowski, beschimpfe Lukaschenko Selensky auch nicht mehr mit allen möglichen abwertenden Bezeichnungen.

    Original (vom 09.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


     

    09.03.2022

    Meduza: Die Behörden hatten nicht mit solch harten Sanktionen gerechnet

    Laut Quellen des russischen Medien-Portals Meduza haben viele der hochgestellten Mitarbeiter des russischen Staates nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ihre Arbeit aufgeben wollen – insbesondere solche, die ihre Projekte bisher erfolgreich entwickeln konnten (beispielsweise bei der staatlichen Sber-Bank). Allerdings scheinen die meisten sich jetzt mit der neuen Situation arrangieren zu wollen – auch aus Angst vor den Folgen einer Kündigung.

    Original (vom 06.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Salidarnasc: Die Wurzeln und Funktionsweisen der russischen Propaganda

    Das belarussische Online-Medium Salidarnasc (dt. Solidarität) bringt einen Beitrag des Politikanalytikers Waleri Karbalewitsch, der darin die möglichen Ursprünge und Wirkungsweisen der russischen Propaganda analysiert. In den sowjetischen Militär- und Politikschulen habe es ein Fach mit der Bezeichnung „Propaganda für die feindlichen Streitkräfte“ gegeben, schreibt er. Und in dieser Propaganda seien keine Nuancen oder Schattierungen vorgesehen gewesen, sondern eine Art reine Schwarz-Weiß-Sicht auf den Feind. „Gewöhnliche Propaganda funktioniert ein wenig anders. Sie nimmt einen Teil der Wahrheit und legt eine Menge Unwahrheiten oder Halbwahrheiten darauf. Oder sie hebt etwas hervor, das nicht so wichtig ist.“ Aber die aktuelle russische „Propaganda über die feindlichen Kräfte“ sei so sehr von den alten Mustern getrieben, dass sie das Ausmaß einer reinen Fiktion annehme, was in der postsowjetischen Welt von Russland oder Belarus sehr gut funktioniere.

    Original (vom 08.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    tageszeitung (taz): Die Geschichte der Stadt Cherson 

    Die ukrainische Stadt Cherson, am Zugang zur Halbinsel Krim gelegen, wird von russischen Truppen kontrolliert. Die Einwohner haben in den vergangenen Tagen immer wieder gegen die Besatzer protestiert. In seinem Artikel für die taz zeichnet Thomas Gerlach die bewegende Geschichte der Stadt nach, die erstmals seit 1944 wieder besetzt ist. Sie entstand als Projekt von Katharina der Großen und des Fürsten Grigori Potjomkin im Zuge der Gründung der Schwarzmeerflotte und der Großmachtpolitik des Zarenreiches. Gerlach schreibt: „Das ‚griechische Projekt‘ verfolgte Katharina II. über Jahrzehnte. 1762 hatte die Deutsche den russischen Thron bestiegen. Von Anfang an zu ihrer Seite – Grigori Potjomkin, zuerst Liebhaber, dann Freund und Chefplaner der Zarin. Alles Griechische, alles Antike war in St. Petersburg en vogue. Und so erhielt die Stadtgründung am Dnipro den Namen Cherson, nach der antiken Siedlung Chersonesos an der Südspitze der Krim. Die Halbinsel, Herrschaftsgebiet des Krim-Khanats, war schließlich Katharinas nächstes Ziel. Das Hinterland am Dnipro, abgetreten vom Osmanischen Reich, war nicht genug.“

    Original (vom 08.03.2022)

     

    agrar-debatten: Die globalen Folgen des Angriffskrieges für Landwirtschaft und Agrarpolitik 

    Auf dem Online-Portal agrar-debatten analysiert der Agrarökonom Stephan v. Cramon-Taubadel, der an der Universität Göttingen forscht und lehrt, sehr detailliert die Auswirkungen des Krieges auf Ernährungssicherheit und Agrarmärkte. Er schreibt unter anderem, dass die russische Invasion in die Ukraine enorme Konsequenzen für Millionen von Ukrainern, die Sicherheit in Europa, die Energiemärkte, aber auch für die Agrarmärkte und die globale Ernährungssicherheit haben werde. Und weiter: „[Putin] wird den Westen beschuldigen, für zunehmenden Hunger und globale Versorgungsengpässe verantwortlich zu sein – gleichzeitig wird er betonen, dass Russland über Weizen verfüge und gern helfen würde, aber es wegen ökonomischer und finanzieller Sanktionen nicht könne.“

    Original (vom 07.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate


    08.03.2022

    Meduza: „Die ärmeren Bewohner Chersons beginnen bereits zu hungern“

    Der ukrainische Journalist Konstantin Ryshenko berichtet im Interview auf Meduza über die Lage im besetzten Cherson: Es drohe eine humanitäre Katastrophe, russische Soldaten würden die Bevölkerung zwar „demonstrativ nicht anrühren“, doch die Stadt faktisch blockieren, sodass keine Lebensmittel von außerhalb besorgt werden können. Gleichzeitig werde den Menschen regelmäßig „humanitäre Hilfe“ von der Krim angeboten, die jedoch niemand annehmen wolle. Die Logik der Besatzer sei, so Ryshenko, folgende: „Wir sind mit Gewalt friedlich, rühren euch nicht an, warten ab, bis ihr hungert und unsere humanitäre Hilfe annehmt“, um damit gewünschte Propagandabilder zu bekommen, nach dem Motto: „Cherson und die Oblast Cherson wollen der Russischen Föderation beitreten“.

    Original (vom 08. März 2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Open Democracy: Putin wird den sinnlosesten Krieg der Geschichte beginnen

    Zwei Tage vor der russischen Invasion in die Ukraine veröffentlichte das englischsprachige Online-Portal Open Democracy diesen Text des russischen Soziologen Grigori Judin, der den Krieg voraussagte. Darin schreibt er unter anderem: „… keine Sanktionen werden Moskau stoppen, und seine Handlungen wird mehr Länder in die Arme der NATO treiben“. Und weiter: „Das bedeutet, dass der derzeitige Plan des Kreml die schlimmsten Szenarien in Betracht zieht.“

    Original (vom 22. Februar 2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Salidarnasc: Maximaler Machtinstinkt

    Die russische Politologin Ekaterina Schulmann hat sich in einem Youtube-Gespräch über die Aggression des Kreml und mögliche Ziele Putins in Bezug auf die Ukraine geäußert. Das belarussische Online-Portal Salidarnasc (dt. Solidarität) gibt einen Teil des Gesprächs wieder. Darin versucht sie auch den Stil Lukaschenkos und seines politischen Systems einzuordnen. Sie sagt: „Der Stil der belarussischen Regierung ist so karikiert sowjetisch, und der Regierungschef stellt sich selbst als Vorsitzender einer Kolchose dar, aber an seinem politischen Verhalten ist nichts Sowjetisches. Solche Figuren finden sich bei Sueton, aber nicht im Geschichtsbuch der UdSSR. Das ist ein ganz anderer Typus von politischem Wesen, und wir werden hier noch Interessantes sehen, denn der Machtinstinkt ist nicht jedem Menschen mit Superideen eigen, aber ihm – und zwar im maximalen Ausmaß.“

    Original (vom 06. März 2022) / Übersetzung aus Google Translate
     


    07.03.2022

    Cicero übersetzt die Erklärung der Novaya Gazeta: „Wir schämen uns sehr für diesen Schritt“

    „Die Wahrheit ist, dass es außer uns und ein paar anderen Redaktionen im Land niemanden gibt, der die Nachrichtenarbeit übernimmt.“ – Das schreibt der Nachrichtenchef der Novaya Gazeta, Nikita Kondratjew, in einer Hausmitteilung des renommierten russischen Blattes. Die Novaya hat sich vergangene Woche dazu entschlossen, alles was mit der russischen Armee und dem Krieg in der Ukraine zu tun hat, nicht mehr in die Berichterstattung aufzunehmen. Falls es doch Texte gibt, so nur mit der durch den Kreml offiziell vorgegebenen Bezeichnung einer „militärischen Spezialoperation“. Hintergrund ist ein neues Gesetz gegen das Verbreiten von „Falschinformation“ – bei dem davon ausgegangen wird, dass es sich auch gegen kritische Berichterstattung richtet. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft. Einige Medien haben den Betrieb eingestellt, viele Journalisten verlassen das Land. Das Magazin Cicero hat die bewegende Hausmitteilung ins Deutsche gebracht (bislang noch ohne Paywall).

    Original (vom 06. März 2022)

     

    SN Plus: Ist es für den Kreml von Vorteil, wenn er Lukaschenko dazu zwingt, belarussische Truppen in die Ukraine zu schicken?

    Weiterhin gibt es keine Beweise dafür, dass belarussische Truppen sich jetzt schon in der Ukraine befinden und am Angriffskrieg Russlands beteiligen. Allerdings stellt Alexander Lukaschenko das Staatsgebiet von Belarus dem Kreml als Aufmarschgebiet zur Verfügung sowie diverse militärtechnische und geheimdienstliche Dienstleistungen etc.. Auch schießt das russische Militär Raketen von Belarus aus auf Ziele in der Ukraine. In diesem Stück, das auf dem belarussischen Online-Portal SN Plus erschienen ist, erörtern der Politikanalyst Wadim Mosheiko und der Militärstratege Alexander Alessin, ob sich Lukaschenko vom Kreml zu einer Entsendung von belarussischen Truppen in die Ukraine drängen lassen und welche Folgen dies haben könnte, beziehungsweise ob der Kreml überhaupt ein Interesse daran hat, Lukaschenko zu diesem Schritt zu drängen.

    Original (vom 05.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Colta.ru: Mitteilung an unsere Leser

    Das bekannte russische Kultur- und Kunstportal colta.ru, ebenfalls ein Projektpartner von dekoder, stellt aufgrund des neuen Zensurgesetzes auch seine Arbeit ein. Das gaben Herausgeber und Redaktion am 5. März 2022 bekannt. In der Erklärung heißt es: „Nur über Kultur zu schreiben und die Gesellschaft außen vor zu lassen, erscheint uns nicht möglich. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist jedoch auf Null reduziert worden. Und wir halten es für fair, unter solchen Umständen eine Weile zu schweigen.“

    Original (vom 05.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    ZDF: „Wir wollen Putins Krieg nicht in Belarus“

    In diesem Beitrag auf zdf.de von Jennifer Girke kommen Belarussinnen zu Wort, die sich noch im Land befinden und die erklären, warum sie die Verstrickung des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko in den Angriffskrieg verurteilen, warum sie auch selbst Angst haben und warum ihre volle Solidarität der Ukraine gilt. Zudem äußert sich die belarussische Politologin Olga Dryndowa zu Lukaschenkos Involvierung in den Krieg und die Rolle des Kremls: „Ob Lukaschenko allerdings tatsächlich wollte, dass von belarussischem Territorium auch geschossen wird, das kann ich mir nur schwer vorstellen. Ich kann mir vorstellen, dass er keine Wahl hatte, dass es eher der Wunsch von Putin war, dass es der Druck vom Putin-Regime auf ihn ist.“

    Original (vom 04.03.2022)

     

    NZZ: Die kulturelle Vielfalt ist die Grundlage für die Widerstandsfähigkeit der Ukraine

    Der ukrainische Historiker Andrii Portnov, der an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder forscht und lehrt, erklärt in diesem Stück für die Neue Zürcher Zeitung das kulturhistorische Fundament des Widerstands, der sich im Angriffskrieg Russlands gegen sein Land ausdrückt. Darin dekodiert er nicht nur die vermeintliche sprachliche und kulturelle Spaltung, die der Ukraine immer wieder unterstellt wird, sondern auch den Nationalismus- und Faschismus-Verdacht, der ihr vor allem durch die Kreml-Propaganda angehängt wird und der aber auch in vielen Narrativen in westlichen Ländern auftaucht.

    Original (vom 02.03.2022)


    05.03.2022


    Hamburger Institut für Friedensforschung: Der russische Angriff auf die Ukraine – Kurzanalysen

    Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, An-Institut der Universität Hamburg, hat eine Seite mit Kurzanalysen seiner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingerichtet. Sie geben Einblicke zu aktuellen Fragen, die sich jetzt stellen: Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für die russische Gesellschaft und Zivilgesellschaft? Wie wird darüber gedacht? Wie verhalten sich die russischen Eliten – wird es eine Spaltung geben? Außerdem werden behandelt: Cybersicherheit, Demokratieverteidigung und mögliche Handlúngsoptionen für EU, OSZE und die UN.

    Original (vom 04.03.2022) 

     

    Ukrajinska Pravda: Proteste in Cherson gegen russische Truppen

    Seit der Einnahme der ukrainischen Stadt Cherson, die im Süden des Landes am Übergang zur ukrainischen Halbinsel Krim liegt, kommt es dort im Zentrum zu Massenprotesten gegen die einmarschierten russischen Truppen. Menschen stehen auf der Straße, schwenken ukrainische Fahnen und skandieren Losungen gegen Russland und Putin. Die russischen Soldaten feuern immer wieder in die Luft, um die Menschen zu verängstigen.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    Novaya Gazeta: Odessa – in Erwartung des Sturms

    Die russische Zeitung Novaya Gazeta, geleitet von Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow, ist wie andere unabhängige Medien vom neuen Gesetzt gegen das Verbreiten von „Falschinformation“ betroffen. Es ist am Freitag in der Duma abgenickt, noch am selben Abend von Präsident Putin unterschrieben worden – und sieht bei Zuwiderhandlungen bis zu 15 Jahre Haft vor. In einer Hausmitteilung hat die Novaya angekündigt, viele Artikel zum Krieg in der Ukraine zu entfernen.
    Diese aktuelle Reportage von Jеlena Kostjutschenko aus der Stadt am Schwarzen Meer, die sich auf den Angriff russischer Truppen vorbereitet, ist noch verfügbar. Darin kommen sehr viele Odessiten zu Wort, die ihre Ängste, Einsichten und Hoffnungen beschreiben. Wie beispielsweise Taja. Sie sagt: „Man kann sagen, wie viele zu sagen pflegten: Ja, das ist Politik, wir verstehen sie nicht, alle lügen, das ist alles verständlich. Aber wenn etwas aus dem Himmel auf einen zufliegt, wenn man sieht, wie Wohnhäuser explodieren und du begreifst, dann wird alles ganz klar.“

    Original (vom 04.03.2022)
    Übersetzung aus Google Translate

     

    Twitter: Did Putin fail to appreciate what type of Russian military action he was starting?

    War Putins Angriff auf die Ukraine womöglich das Ergebnis einer riesigen militärischen Fehleinschätzung? Eine Kurzanalyse auf Twitter von Ruth Deyermond, Senior Lecturer am Department of War Studies des King's Kollege London.

    Original (04.03.2022)

     

    BBC: „My city's being shelled, but mom won't believe me“

    In der Nacht vor dem russischen Angriff auf die Ukraine wandte sich Wolodymyr Selensky an die Bürgerinnen und Bürger Russlands: „Die Ukraine in euren Nachrichten und die Ukraine im realen Leben – das sind zwei völlig unterschiedliche Länder. Der Hauptunterschied ist: Unseres ist echt.“ In diesem Artikel der BBC berichtet Olexandra aus dem attackierten Charkiw in der Ostukraine verzweifelt, wie ihre Eltern in Moskau weiterhin in einer Propagandawelt leben – wo der Krieg im offiziellen Russland „Spezialoperation“ genannt wird, die sich angeblich nur gegen militärische Ziele richte und die Ukrainer „befreien“ soll.

    Original (vom 04.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Marina Litwinowitsch zum neuen drakonischen Mediengesetz in Russland: „Ich werde nichts löschen“

    „Ich werde nichts löschen, und bin bereit zu sterben für mein eigenes Recht, das schwarze schwarz zu nennen.“ – schreibt die russische Politologin und Bürgerrechtlerin Marina Litwinowitsch auf ihrem Facebook-Profil. Sie tut das am Abend des 4. März 2022. Kurz zuvor hat Präsident Wladimir Putin mit seiner Unterschrift ein neues Mediengesetz in Kraft gesetzt, das das Verbreiten von angeblicher Falschinformation mit bis zu 15 Jahren Haft unter Strafe stellt. Viele der letzten verblieben unabhängigen Medien haben in den vergangenen Tagen angekündigt, ihre Berichte zum Krieg auf Druck der Behörden zu löschen, manche – wie der TV-Sender Doshd – haben entschieden, ihren Betrieb einzustellen, andere wurden abgeschaltet (wie Echo Moskau). 

    Litwinowitsch bekam in den 24 Stunden seit Absetzen des Postes mehr als 2200 Gefällt-mir- oder Herzangaben. Mutige Entscheidung von Litwinowitch – oder viel zu großes Risiko? Darüber diskutieren die Leute in den mehr als 150 Kommentaren unter ihrem Post. 
    Dazu muss man wissen, dass laut Medienberichten auch Facebook mittlerweile in Russland blockiert – so dass viele Provider im Land beginnen, die Seite, den Zugang zu sperren. 

    Klicken Sie den Post von Marina Litwinowitsch an und klicken Sie bei den Kommentaren jeweils auf „Übersetzung anzeigen“, um die Diskussionen zu verfolgen (solange Facebook in Teilen für Russinnen und Russen noch läuft).

     

     

    04.03.2022

    Salidarnasc: „Zu welchen Strafen Belarussen verurteilt wurden, die gegen den Krieg protestieren“

    Über 800 Personen wurden seit vergangenem Sonntag in Belarus festgenommen, die an Protesten gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine teilgenommen haben, die Antikriegsplakate öffentlich oder einfach nur Blumen als Symbol der Anteilnahme gezeigt haben. Sie werden zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Es kam, wie schon in der Vergangenheit in Belarus, zu Gewalt und Schlägen gegen Demonstranten und Inhaftierte. Das belarussische Online-Portal Salidarnasc (dt. Solidarität) berichtet in einem Artikel eingehend über die Repressionen gegen die Proteste.

    Original (vom 03.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Zerkalo.io/Reform.by: „Wir befinden uns jetzt wie in einem belagerten Leningrad!“

    Mehr als 100.000 Belarussen sind vor den Repressionen des Systems Lukaschenko seit 2020 in die Ukraine geflohen. Nun fliehen viele ein zweites Mal, vor dem Krieg. Andere wiederum bleiben. Das belarussische Online-Medium Zerkalo.io, das aus dem in Belarus liquidierten Nachrichtenportal tut.by hervorgegangen ist, und dessen Journalisten vor Repressionen durch das System Lukaschenko in die Ukraine geflohen sind, berichtet aktuell intensiv aus dem Kriegsgeschehen. In diesem Stück kommen zahlreiche Belarussen zu Wort, die sich entschieden haben zu bleiben. „Die Ukrainer zu verlassen, wäre für mich Verrat“, sagt beispielsweise Anna. Dazu hat das Online-Portal Reform.by eine Liste der zahlreichen Solidaritätsinitiativen zusammengestellt, die Belarussen für Ukrainer auf die Beine gestellt haben.

    Zerkalo: Original (vom 03.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate
    Reform.by: Original (vom 03.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    03.03.2022

    TV Doshd (inzwischen zwangsweise eingestellt): Sanktionen werden vor allem die Mittelklasse treffen

    Die Wirtschaftsgeografin Natalja Subarewitsch skizziert die Auswirkungen der Sanktionen. Unmittelbar und sofort wird die urbane Mittelklasse Russlands betroffen, da sie viele Importwaren konsumiert. Die weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten werden eher mittelfristig unter der ausgelösten Geldentwertung leiden. Dazu kommt die weitverbreitete Überschuldung mit oft mehreren zugleich aufgenommenen Krediten. Die Regierung setzt offenbar auf die Geduld der Bevölkerung, die durch einen Kriegserfolg „belohnt“ werden soll.

    Original (vom 01.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Die Zeit/Denis Trubetskoy: Fassungslos auf der Flucht

    „Ich hatte es nicht für möglich gehalten. Mit Skepsis hatte ich die auf den US-Geheimdienstquellen basierenden Medienberichte über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine sowie über eine mögliche vollständige russische Invasion zur Kenntnis genommen. Kein seriöser ukrainischer Militärexperte hielt diese Szenarien für realistisch. Viele Meldungen klangen einfach absurd.“ Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy musste sich selbst Hals über Kopf in Sicherheit bringen und aus Kiew fliehen, als der Krieg begann. Für die Zeit hat er seine Erlebnisse aufgeschrieben und geschafft, Worte dafür zu finden, wie unvorstellbar so ein Szenario für ihn war – und dass er nach dem Verlassen seiner Heimat, der Krim, im Jahr 2014, nun erneut Zuflucht suchen muss.

    Original (vom 02.03.2022)

     

    Die Presse/Inna Hartwich: „Vielen ist völlig egal, was da gerade passiert“

    Die Korrespondentin Inna Hartwich lebt in Moskau und berichtet in einem Podcast mit der österreichischen Tageszeitung Die Presse vom Alltag in der russischen Hauptstadt – während Präsident Putin in der Ukraine Krieg führt. Sie zeigt auf, wie wenig bei vielen Russinnen und Russen vom Krieg wirklich ankommt und wie wenig sich viele dafür überhaupt interessieren oder gar Zustimmung zum Angriff auf das Nachbarland äußern. Außerdem blickt sie auf den massiven Schub neuer Repressionen im Inneren des Landes – und wie die letzten, verbliebenen unabhängigen Medien abgeschaltet oder geschlossen werden.

    Original

     

    Gazeta.by/ Vitis Jurkonis und Smiter Drosd: „Man muss das Regime in Belarus und sein Volk auseinander halten“

    Ukrainer fragen sich aktuell, wie Belarussen es zulassen können, dass Lukaschenko ihr Land als Aufmarschgebiet für den Krieg hergibt. Auch das zeugt mitunter davon, dass das Wissen übereinander auch als Nachbarn in Osteuropa nicht immer sonderlich ausgeprägt ist. In den belarussischen Medien häufen sich die Stimmen, die versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen. Der litauische Politologe Vitis Jurkonis und der belarussische Historiker Smiter Drosd beispielsweise erklären, dass das System Lukaschenko in einem Maße konsolidiert sei, dass die Belarussen nahezu keinen Einfluss auf dieses System hätten und dass große Straßenproteste in dieser massiven repressiven Atmosphäre kaum denkbar seien.

    Interview mit Vitis Jurkonis vom 03.03.2022: Original / Übersetzung aus Google Translate
    Beitrag von Smiter Drosd vom 01.03.2022: Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    Zaborona: Росія принесла в Україну смерть і руйнування. 20 фото з усієї країни, шо говорять самі за себе

    WARNUNG. Das Bildmaterial, das das unabhängige ukrainische Medium Zaborona zusammengestellt hat, zeigt Fotos von Toten – und das ganze schreckliche Ausmaß des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine: „Russland hat Tod und Zerstörung über die Ukraine gebracht. 20 Fotos aus dem ganzen Land, die für sich sprechen".

    Original (vom 02.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    NDR Info/Prof. Joachim Krause: Krieg hätte verhindert werden können

    „Es ist Angst vor Demokratie, aber es ist eben auch der Versuch, die Ordnung, die 1990 bis 1997 im Konsens zwischen Russland und den Westlichen Staaten hergestellt werden konnte, umzuwerfen. Und eine Ordnung einzuführen, bei der wir uns alle an Russland ausrichten müssen.“
    Der Politikwissenschaftler Joachim Krause der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel analysiert die Ziele von Putins Angriffskrieg im Nachbarland – und meint: In der deutschen Politik gegenüber Russland hätten Fehler vermieden werden können. Mit weniger Beschwichtigung seit der Krim-Krise hätte man sehr viel machen können, sagt Krause, um einen Krieg zu verhindern.

    Original (vom 25.02.2022)

     

    The New Yorker: Russia Blocks Its Last Independent Television Channel

    Masha Gessen war dabei, als die Redaktion von Doshd (TV Rain) erfuhr, dass ihre Website blockiert ist. Für The New Yorker beschreibt sie, worin der eigentliche Schrecken dieser Aktion liegt – „a night of resignation, fear, and defiance at TV Rain“.

    Original (engl. vom 02.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    Tatyana Deryugina (University of Illinois): A View From Russian Academia

    Die Wirtschaftsprofessorin Tatyana Deryugina (Twitter) hat von den USA aus russische Forscher und Wissenschaftler angeschrieben und teilt eine Lageeinschätzung, die sie als Antwort erhalten hat: Die Meinungen bezüglich des Kriegs gehen auseinander. Knapp zur Hälfte sehen die Mitglieder der russischen Academia Russland als den Aggressor, teils folgen sie der Kreml-Argumentation, dass Kiew das Minsker Abkommen nicht erfüllt habe. Eine dritte Gruppe erwartete Aggressionen von Seiten der Ukraine in der Zukunft. Deryuginas Kontakt beschreibt die von Propaganda gesättigte Informationslage und die harten Repressionen für Kritiker der Kreml-Linie.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    Tong Zhao (Carnegie Peking): What will China do?

    Der Sicherheitsexperte des Carnegie-Centers in Peking geht davon aus, dass die chinesische Führung auf Putins Entscheidung zu einem vollumfänglichen Krieg nicht vorbereitet war. Er skizziert zwei mögliche Szenarien: Schulterschluss mit Russland oder im Gegenteil (wirtschafts-)strategische Hinwendung zum Westen. Zunächst aber wird China abwartend ambivalent bleiben (Twitter-Thread).

    Original (vom 02.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate hier aus technischen Gründen nicht möglich

     

    Kyiv Independent: EXCLUSIVE: Voice message reveals Russian military unit’s catastrophic losses in Ukraine

    Offiziell nennt Russland erstmals Zahlen zu Toten und Verletzten unter seinen Truppenteilen: 498 getötete Soldaten, 1597 Verletzte. Die ukrainische Regierung geht (Stand 2. März 2022) von mehr als 5800 Toten auf Seiten Russlands aus. Der Kyiv Independent hat Belege für konkrete Verluste: Eine abgefangene Whatsapp-Nachricht und die Bestätigung der Information durch mehrere Quellen erzählen die Geschichte der 35. Brigade: Viele der Rekruten sollen aus dem Altai sein, ihre Heimatbasis sei in der Stadt Aleisk. Die Rede ist von „18 Überlebenden von 150“.

    Original (vom 02.03.2022) / Übersetzung aus Google Translate

     

    taz: Erpressung oder Kooperation

    Ein altes Dogma der Spieltheorie sagt, in Dilemmasituationen sei Kooperation die für alle Parteien beste Strategie. Neuere Forschungen hingegen kommen zu dem Schluss, dass einzelne Erpresser diese Situation für sich nutzen können und den größten Vorteil erringen (Extortioner-Strategie). Der Statistiker Volker Müller-Benedict erklärt, wie Putin und andere Autokraten genau diese Strategie anwenden.

    Original (vom 25.02.2022)

     

    ARD: Appell an russischen Botschafter

    Der frühere deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch im ARD-Morgenmagazin mit einem Appell an den russischen Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, öffentlich und klar zu sagen, dass er gegen den Krieg ist: „Ich denke, ich weiß auf welcher Seite Sie stehen.“ Von Fritsch sagt, es sei wichtig, dass es aus den Bereichen der russischen Führung Signale an Putin gibt, dass man mit diesem Krieg nicht einverstanden ist, dass man klar sagt: „Das ist nicht mein Krieg.“

    Original (vom 02.03.2022)


    02.03.2022

    Telegram/Tichon Dsjadko: Doshd-Mitarbeiter verlassen Russland
    Einen Tag, nachdem die Seite des unabhängigen Senders Doshd in Russland blockiert wurde, verkündet Chefredakteur Tichon Dsjadko auf Telegram, dass er sowie weitere Mitarbeiter Russland verlassen. Ihre „persönliche Sicherheit ist bedroht“. Eine Ausstrahlung aus einem anderen Land sei nicht geplant, so Dsjadko.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    Faridaily: «Тщательно выговаривают слово п****ц»

    Die Journalistin Farida Rustamowa sammelt Stimmen in den Hinterzimmern der Macht in Russland Die bleiben anonym, aber sie sollten authentisch sein (die Autorin ist eine verlässliche Kollegin, zuvor u. a. bei Doshd und Meduza). Viele äußern sich kritisch oder resigniert. Titel ungefähr: „Carefully they pronounce the word f*ck“.

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    Agentstwo: Источники: российские власти не были готовы к введенным против страны санкциям. Возможно, потому что Путин скрыл план вторжения от многих подчиненных

    Ähnliche Einschätzungen aus Regierungskreisen liefert auch das Medium Agentstwo. Die Beamten seien auf die Entscheidung Putins nicht vorbereitet gewesen, zurücktreten könnten sie aber nicht: „Kündigen kann man nur, um ins Straflager zu wechseln“, meint ein kremlnaher Gesprächspartner ironisch.

    OriginalÜbersetzung aus Google Translate

     

    MGIMO: Открытое обращение к Президенту Российской Федерации от лица выпускников, студентов, аспирантов и сотрудников МГИМО МИД РФ

    Hunderte Absolventen, Studenten und Mitarbeiter des MGIMO protestieren in einem offenen Brief gegen Russlands Kriegspolitik: „Wir […] wenden uns kategorisch gegen die Kriegshandlungen der Russischen Föderation auf dem Territorium der Ukraine […].“

    Original / Übersetzung aus Google Translate hier aus technischen Gründen nicht möglich

     

    H-Soz-Kult: Aktuelle Interviews und Artikel zum Krieg in der Ukraine

    H-Soz-Kult, Fachportal für Historiker, bietet ebenfalls eine Linkliste, vor allem mit deutschsprachigen Texten und Buchrezensionen zum Thema.

    Original


    28.02.2022

    Mediazona: «Наши действия — это самозащита»

    „Unser Handeln dient der Selbstverteidigung.“ Wie Schullehrer den Einmarsch in die Ukraine rechtfertigen sollen – ein Leitfaden.

    Original / Übersetzung aus Google Translate


    24.02.2022

    Die Welt: Ein Tagebuch von Juri Durkot

    Und plötzlich war Krieg. Das Tagebuch, das der Autor und Übersetzer Juri Durkot aus dem westukrainischen Lwiw führt, erzählt in vielen kleinen Szenen von der schrecklich-absurden Kriegsrealität, in der sich die Menschen in der Ukraine auf einmal wiederfinden – und von Humor als einem Rettungsanker:
    „Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden aufgerufen, Wegweiser und Straßenschilder abzumontieren, um den russischen Truppen die Orientierung zu erschweren. Das Anbringen von alternativen Wegweisern und Schildern wird begrüßt. Zum Beispiel kann man schreiben, dass russische Soldaten sich verpissen sollen. Mit Richtungsangabe.“

    Original


    23.02.2022

    Osteuropa: Rede an die Nation von Wolodymyr Selensky

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky hielt noch in der Nacht vor dem Angriff auf sein Land eine Rede – in der er sich auch auf Russisch mit einem emotionalen Appell direkt an die Bürger Russlands wandte. Auf Deutsch in der Zeitschrift Osteuropa: „Es sind die Menschen, die es verhindern können.“

    Original / Deutsche Übersetzung in der Zeitschrift OSTEUROPA

     

    Der Spiegel: Neandertalerhafter und aggressiver Nationalismus und Neonazismus

    Putins Rede, die am Montag vor dem offenen Angriff auf die Ukraine im russischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde: Darin spricht er dem Nachbarland die eigene Staatlichkeit ab – mit Verdrehungen und Verfälschungen. Das hat der Präsident schon früher getan, diesmal jedoch in besonders scharfer Art und Weise. Der Spiegel bringt die Rede in deutscher Übersetzung, kontextualisiert sie mit einem Faktencheck, einer Analyse des langjährigen Moskau-Korrespondenten Christian Esch – und hat die Texte inzwischen aus der Paywall rausgenommen.

    Die Rede in deutscher Übersetzung / Faktencheck zur Rede / Analyse der Rede


     

    22.02.2022

    War on the rocks: Moscow musings on Brinkmanship from Stalin to Putin 

    Bis an den Abgrund gehen: Sergey Radchenko (Twitter), Professor an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies, skizziert das Muster der sowjetischen und russischen Außenpolitik, über extreme Eskalationen außenpolitische Ziele durchzusetzen (Strategie der brinksmanship). Frühere Beispiele: Ungarn-Intervention, Kuba-Krise (Text von vor Kriegsbeginn).

    Original / Übersetzung aus Google Translate

     

    laufend zusammengestellt von: dekoder-Redaktion

    Wie Sie der Ukraine jetzt helfen können – Empfehlungen von Libmod

    Hier können Sie für ukrainische JournalistInnen spenden – eine Initiative von n-ost, FragDenStaat, Netzwerk Recherche, Reporters without Borders und taz Panter Stiftung

     

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  • Fototagebuch aus Kyjiw

    Fototagebuch aus Kyjiw

    Von Anfang März bis Ende April 2022 erzählt Mila Teshaieva auf dekoder aus ihrer Heimatstadt im Krieg. Ab dem 24. Juni 2022 ist dieses Fototagebuch in einer Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen, Berlin, zu sehen.

    Russische Version

    Staub steigt auf aus den Trümmern eines zerbombten Hauses in Borodjanka, 13. April 2022 / Foto © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Staub steigt auf aus den Trümmern eines zerbombten Hauses in Borodjanka, 13. April 2022 / Foto © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 24. April 2022

    [bilingbox]Über die letzten Wochen fahre ich jeden Tag in kleine Städte und Dörfer nordwestlich von Kyjiw.
    Vom ersten Tag an, als die russische Armee abzog und die Überlebenden aus ihren Kellern kamen, zitternd, um die enorme Landschaft des Todes um sich herum zu entdecken. Bis zum letzten Tag, an dem alle kaputten russischen Panzer von den Straßen entfernt und die meisten vorläufigen Gräber in den Gärten und Höfen ausgehoben sind. All diese letzten Wochen schweige ich mit meinem Tagebuch. Ich schweige auch mit mir selbst.
    Auch die Feuerwehrleute schweigen, die unter den Ruinen neunstöckiger Häuser in Borodjanka nach Leichen suchen. Auch die Freiwilligen schweigen, die mit Lastern kommen, um die Leichen aufzusammeln, die in schwarzen Plastiksäcken in einer Reihe liegen.
    Das Schweigen kommt, weil es unmöglich ist zu begreifen, was geschehen ist. Zu begreifen, dass es geschieht. Es gibt innen drin keinen Platz für Trauer, nicht einmal für Wut. Es ist, als wäre die riesige Betonmauer, die die Menschen in Borodjanka unter sich begraben hat, auch auf uns niedergestürzt, die wir Zeugen vom Danach sind. 

    In diesen letzten Wochen habe ich mich fast vollständig vom Fotografieren auf Video verlegt. Fotos waren nicht genug. Denn es gibt Menschen, die sprechen müssen. Solche, die in ihrem Haus die Demütigung durch Feinde erlebt haben, durch Feinde, in deren Macht es lag, zu töten oder zu verschonen. Wie gern würde ich all diese Menschen umarmen, wie gern würde ich ihnen ihr Fieber nehmen können. Ein Freund aus Berlin schrieb mir: „Komm weg von dort, um deines Lebens willen.“ Aber ich kann hier nicht weg. Dies ist kein Krieg von jemand anderem, ich kann nicht weg und vergessen – wo immer ich bin, ist er bei mir. Um mich herum offenbart sich meine eigene Geschichte. Und mir ist wichtig, das zu dokumentieren. Vielleicht spreche ich später darüber.~~~These last weeks, I am going every day to small cities and villages’ northwest of Kyiv. 
    Since the first day, when Russian army left and those remained survivors got out of the basements, trembling, to discover this immense landscape of death around them.  To the last day, when all rotten Russian tanks are removed from the streets and most of the temporary graves in gardens and yards are dogged out. All these last weeks I am silent with my diary. I am also silent with myself. 
    So silent are fire-workers, who are searching for bodies under the ruins of 9-store houses in Borodyanka.  So silent are those volunteers who come with track to pick up bodies lying in line in back plastic packs. 
    This silence comes from the impossibility to comprehend what happened. To comprehend that is happening. There is no place inside for grief, there is no even anger. Ist like this massive concrete wall that burried people in Borodyanka crushed down also on us, who witness the aftermath. 
    These last weeks I almost fully switched from photography to video. photography seemed to be not enough. Because there are others, who need to speak. those who went through humiliation of having enemy in their homes, enemy that had power to kill or spare. I wish I can hug all of them, I wish I can take away their fever. A friend from Berlin wrote me “get out of there, for the sake of life”. But I can’t get out. This is not someone else war, I cant leave and forget, wherever I go it stays with me. My own history is unfolding around me. This what is important for me to document now. I might speak about it later.[/bilingbox]


    Butscha, 3. April 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Butscha, 3. April 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 4. April 2022

    [bilingbox]An dem Abend nach Butscha erreicht mich eine Nachricht: Ein sehr lieber Freund hat in Mariupol sein Leben verloren. Mantas. Genial, gutaussehend, mutig und enorm großzügig, von Frauen geliebt, von Männer angebetet, fast wie ein Gott. Götter sollen unverwundbar sein, so hat er bis vor wenigen Tagen in Mariupol gedreht.
    An diesem Abend zerbirst mein Panzer in kleine Teile. Am Morgen höre ich, dass Russland die Fotos aus Butscha als Fake bezeichnet. Ich setze die Teile wieder zusammen und sichte meine Fotos von toten Körpern auf den Straßen. Ich bin mit einer komplexen Frage konfrontiert: Ich muss sie zeigen und ich muss dabei auf die Gefühle derer achten, die sie anschauen.~~~In the evening after Bucha I receive news: the very dear friend lost his life in Mariupol. Mantas. genius, handsome, fearless and uniquely generous,  loved by women and adored by men. almost like God. Gods shall be invulnerable that’s why he was filming in Mariupol until last days. 
    That night the panzer (броня) around me crumbles into pieces. In the morning I hear that Russia announced photos from Bucha being fake. I gather my pieces together and go through photographs of dead bodies on the streets. I face complex question here: I must show and tell what I saw and I need to care about feelings of those who see it. [/bilingbox]


    Butscha bei Kyjiw, 3. April 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Butscha bei Kyjiw, 3. April 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 3. April 2022

    [bilingbox]Der Tod verfolgt mich derzeit. Ich weigere mich immer noch, ihn hereinzulassen, indem ich mich in eine Art Klumpen verwandle, mit nach außen gerichteten Dornen, die denen ähneln, die jetzt auf allen Straßen und Wegen meines Landes liegen. Doch als ich den letzten Kontrollpunkt vor der Straße von Kyjiw nach Shytomyr überquere, erwartet mich der Tod an jeder Ecke und flüstert mir zu: „Schau her, wende deinen Blick nicht ab.“ 

    Wir fahren auf schmalen Waldwegen nach Butscha und Irpin, fahren langsam, weichen Granatsplittern, Überresten russischer Panzer und Leichenteilen derer aus, die in mein Land kamen, um es zu zerstören. Am Ortseingang von Butscha stehen Reste einer Immobilienwerbung: Ihr Traumhaus im Wald. 

    Die schwarzen leeren Augen dieser Häuser blicken auf die Straßen, wo ein kleiner Bus mit der Aufschrift Cargo 200 fährt und Leichen aufsammelt. Die Männer, die mit Cargo 200 unterwegs sind, arbeiten schwer in den letzten Tagen, aber sie haben immer noch zu viel zu tun. Die von den Russen getöteten Menschen liegen überall, in Wohnungen, Häusern und Kellern, begraben in den Gärten, in verschiedenen Massengräbern in allen Ecken der Stadt. Ich gehe die Straße entlang, halte respektvollen Abstand, betrachte die Posen, in denen der Tod sie erwischt hat, und frage mich, was diejenigen gedacht haben, die beschlossen, ihnen das Leben zu nehmen.

    Die Überlebenden der Stadt kommen aus ihren Verstecken, viele lächeln fröhlich, als ob das neue Leben schon da wäre und alle Schrecken hinter ihnen lägen. Sie nehmen unsere Hände und bedanken sich dafür, dass wir gekommen sind, dass wir hinsehen, dass wir uns kümmern. Zum ersten Mal seit Beginn des Krieges fehlen mir die Worte, hier habe ich nichts zu sagen. Die Menschen bekommen kleine Pakete mit Lebensmitteln und verschwinden wieder. 

    Der Tod schaut mir vom Straßenrand aus zu, wo noch vor einer Stunde die Leiche einer Frau mit rot lackierten Fingernägeln lag, die Reste der Immobilienwerbung knarren im Wind.~~~Death follows me these days. I still refuse to let it in, turning myself into some kind of lump, with spikes directed outside, spikes similar to those that lie now on all the roads and streets of my country. But as I cross the last checkpoint before the Kyiv Zhyitomir road, death is waiting me on every corner, whispering “look here, don’t turn your eyes away”. We are driving narrow forest roads leading to Bucha and Irpin, driving slow, avoiding shell fragments, remains of Russian tanks and body parts of those who came to my land to destroy it. At the entrance to Bucha, the piece of real estate advertisements reads “have your dream home in the forest”. Black empty eyes of those homes are looking to the streets, where small bus marked “Cargo 200” is moving along the town, collecting dead bodies from the streets. Several men doing their work with Cargo 200 are working hard those last days, but there are still too much to do for them. People killed by Russians are everywhere, in the flats, houses, and undergrounds, buried in the gardens, in various mass graves in all corners of the town. I walk along the street, keeping respectful distance, looking at the poses in which death caught them, wondering what was a thought of those who decided to take their life.

    Survivors of the town come out of their hideouts, many smile happily, like new life already here and all the horrors are behind. They take our hands, thanking for coming, for seeing, for caring. First time since beginning of the war I lack words, here I have nothing to say. People get small boxes with food and disappear again. Death is watching me from the side of the road, where the body of a woman with a red manicure was laying just an hour ago, and remnants of real estate advertisement creaks in the wind.[/bilingbox]


    Im Stadtviertel Podil, Kyjiw, 31. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Im Stadtviertel Podil, Kyjiw, 31. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 31. März 2022
    [bilingbox]Heute ist gefühlt der erste echte Frühlingstag. Und der erste Tag ohne Luftalarm, zumindest bis jetzt. Vielleicht hat beides zusammen die Straßen Kyjiws plötzlich so lebendig gemacht. Mädchen mit hohen Absätzen, Fahrradfahrer, wo waren die den ganzen letzten Monat? Die Stadt kehrt zur Normalität zurück, wenn das Wort „normal” überhaupt in Frage kommt. Die Stadtverwaltung hat gerade angekündigt, dass es schon ab morgen wieder kulturelle Veranstaltungen geben wird, ab 1. April, auch Kino und Theater. Allerdings mit dem Hinweis, dass sich bei erneutem Luftalarm alle Theaterbesucher umgehend in die Keller begeben sollen. Ich stelle mir vor, wie es ist, mit Hamlet im Bunker zu sitzen und scrolle durch die Ticketangebote.~~~Today feels to be the first real day of spring. And the first day when there were no air raid signals, at least so far. Maybe the combination of these two factors made the streets of Kyiv so alive. Girls on high hills, bicyclists, where they were all this last month? The city comes back to normality, as far as the word “normal” could be considered. The city administration just announced that Cultural Events will start as soon as tomorrow, April 1st, including cinemas and theater. Though with the note that with the renewed air raids all theater visitors should immediately move underground. I imagine sitting in the bomb shelter with Hamlet and start scrolling online tickets sales.[/bilingbox]


    Kyjiw, 27. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Kyjiw, 27. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder


    Kyjiw, 28. März 2022

    Jetzt geht der Krieg schon mehr als einen Monat. Ein Monat sind 30 Tage, und jeder Tag bringt Nachrichten aus dem ganzen Land, die der Verstand ablehnt zu begreifen. Jeden Tag sage ich allen, die ich in Kyjiw treffe, den sinnlosen Satz: „Alles wird gut.“ In diesem Satz gibt es ein Moment der Nichtakzeptanz dessen, was geschieht. Nichtakzeptanz als Überlebensinstinkt. Ich kann die von russischen Soldaten getöteten Kinder nicht in mich hineinlassen, verschließe mein Gehirn und meine Seele, damit ich nicht selber zu einer Brandstätte werde. Jeden Tag denke ich, dass das, was schon passiert ist, das Schlimmste ist, was geschehen konnte, mehr geht nicht. Und dann bricht ein neuer Tag an.

    In den letzten Tagen denke ich viel über das Leben und über Schuldgefühl nach. Ich möchte so sehr, dass die Menschen nach Kyjiw zurückkehren, ich freue mich wie ein Kind, das den Weihnachtsmann trifft, wenn ich in der Stadt ein wiedereröffnetes Café sehe. Doch nach dem Stolz und Glücksgefühl, dass das Leben weitergeht, überrollt mich ein Schuldgefühl. Schuld, in Kyjiw einen Kaffee zu genießen, während in demselben Moment ein Haus am Rande meiner Stadt brennt. Schuld, mit Freunden laut zu lachen, während tausende Menschen in meinem Land schluchzen vor Gram und Entsetzen. Meine Gedanken berühren sich mit den Gedanken vieler, die hier geblieben sind. Ein Monat Krieg ist sehr lang. Ich spüre, dass für mich persönlich der Verzicht auf die Freude des Augenblick, das Akzeptieren der mir selbst auferlegten Kriegsregeln eine Erniedrigung bedeuten, die ich nicht akzeptieren kann. Deswegen gehe ich mit meinem Morgenkaffee hinaus auf den Balkon und sage der Nachbarin, dass alles gut wird.


    Kyjiw, 20. März 2022. Tatjana, eine Freiwillige der Zoo Patrol in Kyjiw, rettet Haustiere aus verschlossenen Wohnungen. In den ersten Kriegstagen sind viele Menschen in Panik abgereist, weil sie dachten, dass sie nur ein paar Tage nicht da sein werden, haben sie ihre Katzen und Hunde in den verschlossenen Wohnungen zurückgelassen. In den letzten Wochen haben sie sich mit der Zoo Patrol in Kyjiw in Verbindung gesetzt und darum gebeten, die Tiere zu retten. © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
     

    Kyjiw, 21. März 2022

    In der vergangenen Woche werde ich in Kyjiw jeden Tag von der Sonne geweckt, die durch die kleinsten Spalten eindringt und mir keine Chance gibt, die Begrüßung des Morgens zu verpassen. Die Vorhänge an den Fenstern in Kyjiw werden nachts fest zugezogen, das ist die Verdunklung in der Stadt, in der mindestens achtmal am Tag Luftalarm heult, der begleitet ist von ohrenbetäubenden Salven der Luftabwehr. Das Geräusch des Luftalarms löst quälende Unruhe aus, eine Angst, die auf halbem Weg zwischen Brustkorb und Magen zu spüren ist.

    Ich verbringe diese Tage in Kyjiw mit sehr unterschiedlichen Menschen, mit Olga, einer Rentnerin, mit Freiwilligen von Zoo Patrol, mit Rischad, einem Friseur, und vielen anderen. Wo auch immer wir sind, beim Klang des Luftalarms fallen wir in Schweigen und schauen einander in die Augen, als würden wir prüfen, ob der Angstklumpen in uns auftaucht, dann atmen wir aus und arbeiten weiter. Über die 26 Tage, die der Krieg nun dauert, ist dieser kurze Moment des Aufkommens und der Überwindung der Angst zur Norm geworden, zur Notwendigkeit, um weiterzuleben, um die zu unterstützen, die es in diesem Moment noch schwerer haben als du. 
    Jeden Tag zur Mittagszeit erklingt aus den Lautsprechern auf dem Maidan ein altes Lied über die Liebe zu Kyjiw. Manchmal mischen sich die Klänge des Liedes mit dem Heulen des Luftalarms. Ich schaue mir die Menschen an, die vorbeigehen, wenn das Lied erklingt, das alle kennen, und in diesem Moment lächeln sie. Und die Sonne durchflutet die Stadt, die unbesiegbar ist.



    Kyjiw, 18. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Kyjiw, 18. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Lwiw, 15. März 2022

    [bilingbox]Ich übernachte in einer Wohnung zusammen mit meinen Freunden aus Kyjiw, die nach Kriegsausbruch nach Lwiw gezogen sind. Dort ist es ihnen schon in den ersten Kriegstagen gelungen medizinische Hilfsleistungen aus Israel zu organisieren, sie kaufen Medikamente und verteilen sie an Kliniken und Privatleute in der ganzen Ukraine. Shenka, Sersho, Ljocha, Julia – wir kennen uns alle schon lange, wir wurden älter, aber die Art unser Unterhaltung ist dieselbe – wir lachen jede Sekunde, über uns selbst, über die anderen, bei unserem Treffen jetzt ist es nicht anders.

    Am Morgen, wir sitzen auf dem Boden ihrer kleinen Küche und trinken gerade Kaffee, bekommt Shenka eine SMS von ihrer Mutter. Auf dem Handy ist ein Foto ihres Hauses in Kyjiw zu sehen, ein neunstöckiges Hochhaus aus der Sowjetzeit, vor nur einer Stunde ist eine russische Rakete eingeschlagen, das Haus steht in Flammen. Shenka guckt auf ihr Handy, ich sehe, wie ihr Gesicht einfriert, sie weigert sich, es zu glauben, sie ruft ihre Mutter an und sagt: „Nein, das ist nicht unser Haus.“ Ich höre die Stimme ihrer Mutter, ruhig und leise. „Es ist unser Haus“, sagt sie, „wir haben kein Zuhause mehr. Wir haben keine Geschichte mehr.“

    Shenka ist kein Mensch, der schnell aufgibt, sie sagt, macht nichts, kein Problem, wir gewinnen diesen Scheißkrieg und dann bauen wir uns ein neues Haus. Am Abend treibt sie eine Kiste Bier auf – die ihr freundlicherweise jemand gegeben hat, ein ziemlicher Schatz in diesen Tagen, in denen es in der Ukraine verboten ist, Alkohol zu verkaufen. Wir sitzen in ihrer Küche, wir konzentrieren uns nicht auf das, was gerade passiert ist, und wir lachen wieder.~~~I stay overnight in a flat with my friends from Kyiv, who since beginning of the war moved to Lviv and since first days of the war managed to organize stable system of donations from Israel for which they buy and distribute medicine for hospitals and individuals all over Ukraine. Zhenka, Serzho, Leha, Julia, – we know each other long time, we became older, but the style of our conversation remains the same – we laugh every second, at ourself, at others, and our current meeting is not different.
    In the morning we drink coffee sitting on the floor in their tiny kitchen as Zheka gets a message from her mom. On her phone is a photograph of their house in Kyiv, nine stores soviet house, Russian rocket hit it just an hour ago, the house is burning. Zheka looks at her phone, I see how her face gets frozen, she refuses to believe, she calls her mother saying “no, no, it’s not our house”. I hear her mother voice calm and quiet. „That’s it“, mother says, „we don’t have home anymore. We don’t have history anymore“.
    Zheka is not a person to fall in despair. she says -that’s nothing, no problem, we win this fck war and then we build us new house. In the evening she gets box of beer  – kindly given to her by someone, quite a treasury these days as no alcohol is allowed for sale in ukraine. We sit in their kitchen, we don’t focus on what just happened, and we laugh again.[/bilingbox]


     



    Lwiw, 14. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Lwiw, 14. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Lwiw, 14. März 2022
    [bilingbox]

    Ich habe Lwiw nie so überfüllt gesehen wie in diesen Tagen. Die Stadt wurde plötzlich zu einer neuen Hauptstadt des Tuns, ein weltweites Hub, wo alles und jeder ankommt und abfährt. Es beginnt schon an der Grenze, die ausländische Freiwillige zu Fuß in Richtung Ukraine passieren, während gegenüber Scharen von Frauen und Kinder darauf warten, auf die andere Seite zu gelangen. Überfüllte Züge mit Flüchtlingen aus dem Osten kommen an und fahren voll mit Soldaten und humanitärer Hilfe aus dem Westen wieder ab. Universitätsprofessoren sind damit beschäftigt, in einem Theater der Stadt Berge von Kinderkleidung und Spielzeug zu sortieren, während in einem schicken Restaurant tausende Brote für Soldaten geschmiert werden.

    Ich kam nach Lwiw, um mich nach einer ziemlich anstrengenden Zeit in Kyjiw etwas auszuruhen, aber hier ist keine Ruhe zu sehen; jeder, den ich treffe, ist damit beschäftigt entweder die Evakuierung von Leuten aus dem Osten oder die Lieferung von Rettungswesten in den Osten zu organisieren, alles in einem Rhythmus und Grad an Konzentration, wie sie vorher keiner dieser Menschen kannte. Es ist überwältigend und berührend gleichzeitig, ich fühle mich wie inmitten eines Ameisenhaufens, wo jeder seine Funktion kennt, alle zusammen für eine gemeinsame Aufgabe – das Ende des Krieges.~~~I’ve never seen Lviv as overcrowded as it is these days. It suddenly became some kind of new capital of action, worldwide hub where everything and everyone is arriving and departing. It starts already at the border, where foreign volunteers are walking into Ukraine, and just the opposite direction staying crowds of women and children waiting to get to the other side. Trains arrive overloaded with refugees from East and depart loaded by soldiers and humanitarian help from West. University professors are busy, sorting mountains of children cloth and toys in in a town theatre, while thousands of sandwiches for soldiers being prepared in a fancy restaurant.

    I went to Lviv, to get some rest after quite intensive time in Kyiv but here is no rest visible; everyone I meet is busy, organizing evacuation of people from East or supply of life vests to East, in a rhythm and in a state of concentration not known to these people before. It’s overwhelming and touching at the same time, and I feel being inside anthill, where everyone knows its function, all together for one common task – the end of the war.[/bilingbox]


     



    Rajon Wassylkiw, 9. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Rajon Wassylkiw, 9. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 10. März 2022

    [bilingbox]Vor einigen Jahren hatten meine Freunde eine für die Ukraine untypische Geschäftsidee: Sie verwandelten ein völlig unbekanntes Dorf bei Kyjiw in ein Lavendelparadies. Sie begannen mit einem kleinen Hang neben dem Haus, jedes Jahr wurde die Fläche größer, sie lernten aus den Fehlern, freuten sich über Erfolge und schließlich – im vergangenen Jahr – hatten sie ihren ehrgeizigen Traum verwirklicht: Ein Lavendelpark, mit einer Brücke, einem Park, hingegossen in lilafarbenen Wellen über die Wassylkiwer Hügel. Dieses Jahr versprach wahrlich erfolgreich zu werden und sie für die Jahre der Arbeit zu belohnen.

    Wir kommen in ihr von Lavendelduft erfülltes Haus, in dem sie bleiben wie in einer Burg. Nach einer Explosion im Öllager im benachbarten Wassylkiw brachten sie ihre Kinder nach Rumänien und sind dann zurückgekehrt, nach Hause. Sergej patroulliert mit den Nachbarn jede Nacht durchs Dorf. Er hat keine Waffe, nur ein qualitativ hochwertiges Messer, mit dem er bislang noch nicht so recht umgehen kann und sich an den Händen verletzt. Julia hilft auf einer benachbarten Plantage beim Kleinschneiden von Pilzen, die dann in die Stadt gebracht werden, wo man auf Essen wartet. Sweta koordiniert die Evakuierung von Menschen aus Kyjiw. An den Abenden schalten sie das Licht aus, um keine Aufklärungstrupps anzulocken, und scrollen dann bei Kerzenschein durch die Berichte von der Front. Ab und zu fliegt etwas über das Haus hinweg und es gibt ein verzögertes Geräusch. Nach 14 Tagen Krieg haben meine Lavendelfreunde gelernt zu unterscheiden, was diese Geräusche mit sich bringen. Ich möchte gern bei ihnen bleiben, in diesem Haus, wo der Kaffee sehr lecker ist, wo es warm ist und nach Lavendel riecht.~~~Несколько лет назад мои друзья начали необычный для Украины бизнес: они превратили никому не известную деревню возле Киева в лавандовый рай. Начав с небольшого склона возле дома, они каждый год расширялись, учились на ошибках, радовались успехам, и в прошлом году, наконец, реализовали свою амбициозную мечту – открыли Лавандовый Парк, фиолетовыми волнами раскинувшийся на гектарах Васильковских холмов. Этот год обещал быть по-настоящему успешным и должен был вознаградить их за годы работы. 
    Мы приехали в ним, в их дом, пахнущий лавандой, ставший для них крепостью. После взрыва нефтебазы в соседнем Василькове они вывезли детей в Румынию и вернулись обратно. Сергей вместе с соседями каждую ночь патрулирует деревню. У него нет оружия, только очень хороший нож, которым он пока что не умеет пользоваться и то и дело ранит об него руки. Юля занимается нарезкой шампиньонов на дружественной соседской плантации; шампиньоны они отправляют в Киев, туда, где не хватает еды. Света координирует эвакуацию людей из Киева. Вечерами они выключают свет,  чтобы не привлекать диверсантов, и при свете свечей читают сводки с фронта. Время от времени над домом что-то пролетает и с запозданием доносится звук. За 14 дней войны мои лавандовые друзья научились различать, что несут в себе эти звуки. Мне очень хочется остаться с ними в этом доме, где очень вкусный кофе, тепло и пахнет лавандой.[/bilingbox]


     


     

    Zerstörtes Wohnhaus in Wassylkiw, südlich von Kyjiw, 8. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Zerstörtes Wohnhaus in Wassylkiw, südlich von Kyjiw, 8. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 9. März 
    [bilingbox]Seit meinen ersten Tagen in der Ukraine habe ich meine Gefühle für mich behalten und versucht, positiv in die Zukunft zu schauen, durch Tränen hindurch gelächelt, versucht, die zu trösten, die es brauchten. Ich habe mich an den Lärm der Luftangriffe gewöhnt und an den Lärm von Explosionen. Irgendwie habe ich den Krieg von mir weggehalten, doch nun dringt er langsam ein in Körper und Seele. Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich mitten in einem Kreuzfeuer stand – der erste Kriegstraum seit meiner Ankunft. In meinem Traum fühlte es sich an, als hätte ich mich an den Krieg gewöhnt.~~~Since my first days in Ukraine I’ve kept my emotions inside, trying to be positive about future, smiling through the tears, trying to comfort those who needed it. I’ve got used to the sound of air attacks and to the sounds of explosions. Somehow I have been rejecting this war but now it slowly penetrates body and soul. Last night I had a dream about staying in-a cross fire, the first dream of war since my arrival here. And in my dream the war felt like something I got used to live with.[/bilingbox]



    Der Hof am Schutzraum, in dem seit 12 Tagen 310 Menschen leben. Kyjiw, 8. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Der Hof am Schutzraum, in dem seit 12 Tagen 310 Menschen leben. Kyjiw, 8. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

     

    Kyjiw, 8. März

    [bilingbox]Es ist der 8. März. Ich spreche mit Menschen in einem Schutzraum. Ein Mann hat irgendwo Blumen gefunden. In rund einer Stunde wollen sie allen Frauen in dem Schutzraum Blumen schenken.~~~It’s 8 March. I am speaking with people in the shelter. A man found somewhere flowers. And in about an hour they want to present flowers to all the women in the shelter.[/bilingbox]


     


    Irpin © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 7. März 2022

    [bilingbox]Am Tag nach unserem Besuch in Irpin warteten schon Tausende Menschen unter der Brücke, um über den Fluss zu gelangen. Die Kämpfe sind in die Stadt vorgedrungen, der Kommandeur Sascha geht nicht mehr ans Telefon. Doch die Stadt ist noch nicht eingenommen.

    Gestern erzählte uns ein Kyjiwer Abgeordneter, sie würden versuchen, über einen humanitären Korridor für Zivilisten in Irpin zu verhandeln. Ein Abkommen wurde geschlossen, ein paar Stunden später wurde eine Gruppe von rennenden Menschen von einer Mörsergranate getroffen, acht Menschen starben.

    Bei Dämmerung hielten wir uns einige Kilometer entfernt von Irpin auf, als der Kommandeur der Gebietsverteidigung mit diesen Nachrichten aus der Stadt kommt. Er kann seine Tränen auch vor der Kamera nicht zurückhalten, als er uns von dem Horror erzählt, den er dort grad miterlebt hat.

    Heute, am 7. März sind wir wieder am Eingang zur Stadt. Die Schüsse sind so nah, dass ich nicht in die Nähe der Brücke gelangen kann. Einer nach dem anderen fahren die Krankenwagen von der Brücke von Irpin zum Stadtrand von Kyjiw, die letzten Bewohner sind evakuiert.

    Doch die Stadt Irpin ist noch nicht eingenommen.~~~

    Next day after our visit to Irpin, there were already thousands of people waiting under the bridge to cross the river. Fighting moved inside the town and commander Sascha was not picking up phone anymore. Still the town of Irpin hasn’t been taken. 

    On 6.03.22 a deputy of Kyiv told us they are trying to negotiate a humanitarian corridor in the city for civilians. Agreement has been made and some hours later, group of running people were hit by the flying mine inside the town, leaving eight people dead. In the dusk we were staying some kilometers away from Irpin, when the commander of territorial defiance came with these news from the town. He couldn’t keep tears even in front of camera telling of horrors he just witnessed there. 
    On 7.03.22 we approached the entrance of the town again. Gunshots were so close that I couldn’t get any close to the bridge. Ambulances were running once by once from Irpin bridge to edge of Kyiv, last people were evacuated.  
    Still the town of Irpin hasn’t been taken.[/bilingbox]


     


    Irpin, 4. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 4. März 2022

    Eine Brücke über den kleinen Fluss – der kürzeste Weg aus dem Zentrum von Kyjiw in die bewaldete Vorstadt Irpin – wurde von ukrainischem Militär am zweiten Kriegstag gesprengt. Momentan ist das der einzige Weg aus der Vorstadt heraus, in der rund 60.000 Menschen leben. In alle anderen Richtungen steht die russische Armee, erinnert mit minütlichem Beschuss höflich an ihre Anwesenheit.
    Wir möchten nach Irpin, dort erwartet uns Sascha Morkuschin, in Personalunion Bürgermeister und Kommandeur der Gebietsverteidigung. Das Treffen mit ihm in der unter Beschuss stehenden Vorstadt haben Freunde von Freunden organisiert, denn jetzt sind alle Freunde von Freunden auch deine Freunde. Der Weg zu dem Treffen ist nicht einfach. Nachdem du auf dem Weg Dutzende Kontrollposten passiert hast, kommst du zu der zerstörten Brücke, stellst das Auto ab, gehst unter die Brücke, überquerst das Flüsschen auf eilig verlegten Kieferbrettern, kletterst über Betontrümmer und wartest dann auf ein Auto, hinter dem Steuer Männer mit Maschinenpistolen, das dich an einen Ort bringt, von dem du sofort wieder verschwinden möchtest.
    Der Bürgermeister und Kommandant ist ein gutmütiger dicker Mann, der zusammen mit dem Chef des Wohnungsamtes, einem Tischlermeister, und anderen Menschen aus ähnlichen Berufsgruppen schon 10 Tage die Stadt verteidigt.
    Die Explosionen werden häufiger und wir ziehen uns langsam zurück zur Brücke. Aus Riwne sind Busse gekommen, von der dortigen Baptistengemeinde organisiert, um Menschen aus der Stadt zu holen – und viele von denen, die bisher nicht daran gedacht haben, sehen nun ein, dass das womöglich eine der wenigen Chancen zur Flucht ist.
    Der Übergang über den Fluss auf den dünnen Kieferbrettern ist immer stärker frequentiert, die Menschen tragen in Wolltücher gewickelte Hunde und Katzen, ein anderer hat ein super-schickes Fahrrad als einziges Gepäckstück, wieder einer schleppt ein paar riesige Koffer. Wie wenig Zeit bleibt gerade, um zu entscheiden, was man mitnimmt, wie wenig Kraft für diesen Weg, wie viel Angst vor dem Ungewissen. Sie balancieren über die dünnen Bretter so schnell sie können, dann eilen sie los, sehen mich nicht, obwohl ich direkt daneben stehe, und schlussendlich erreicht mich das Grauen, das hier und jetzt geschieht, ein unendlicher Schmerz dringt in mich ein, denn ich verstehe nicht, warum ihnen, warum uns dieses Grauen widerfährt.
    Und dann überkommt mich Zorn. Zorn auf die, die dieses Grauen hierher gebracht haben.


     

    Maidan, Kyjiw, 3. März 2022 / © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 3. März 2022, am Nachmittag

    [bilingbox]Kyjiw bereitet sich auf den Kampf vor. Es geschah über Nacht, wir sind aufgewacht und nun sind an fast jeder Ecke Barrikaden errichtet. Ich gehe zu einer hin, ungefähr hundert Menschen jeden Alters bewegen sich wie Ameisen, schnell, ruhig, organisiert. Alte Männer füllen gemeinsam mit jungen Hipster-Mädchen Flaschen mit Molotowcocktails. Andere bauen Mauern aus Autoreifen und Sand. Wir reden, wir lachen, ich umarme Menschen, die ich grad erst getroffen habe, wir versprechen uns, uns bald wiederzusehen. Dieser Moment gibt mir ein Gefühl der Ruhe, irgendwie verschwinden all meine Ängste und meine Zweifel darüber, ob ich nicht doch rechtzeitig fliehen sollte.
    Irgendetwas ist so richtig an diesen Menschen, die in der Stadt bleiben, die bereit sind zum Schlimmsten und voll Hoffnung auf das Beste. Ihre Kraft hat nichts Pathetisches, ihr Vertrauen ist überzeugend. Plötzlich fühle ich mich sicher mit ihnen, mit denen, die jetzt in Kyjiw sind, mit denen wir teilen werden, was als nächstes kommt.
    Ich treffe an diesem Tag so viele unterschiedliche Menschen, von zivilen Verteidigern bis hin zu einem Parlamentsabgeordneten, und alle sagen im Grunde dasselbe: Die Russen können Kyjiw zerstören, doch es ist nicht möglich, die Ukraine und die Ukrainer zu zerstören. Keiner von ihnen will sterben, aber keiner von ihnen ist willens zu kapitulieren.
    Es hat etwas Besonderes – diese Art von Freiheit, wenn du sie erstmal geschmeckt hast, wenn du sie erlebt hast, dann gibt es keinen Weg zurück.~~~Kyiv preparing for the fight. It just happened overnight and we woke up with barricades being constructed on practically every corner. I approach one of those, where around 100 people of all ages are moving like ants, fast, quiet, organized. Old men together with young hipster-looking girls are filling bottles with Molotov cocktail. Others build walls filled with car tires and sand. We talk, we laughs, I hug with people I just met, we promise to see us soon again. I feel calm from this moment, somehow all my fears and doubts of timely escape are going away.
    Something is very right with these people, who stay in town, who are ready for the worse but firmly hope for the best. Their strength is totally not pathetic, their confidence is convincing.  I suddenly feel safe with them, those who are now in Kyiv, with whom we might share what comes next.
    I meet with so many different people this day, from young civil defenders to a member of Parlament and all basically say same thing. Russians can destroy Kyiv but its not possible to destroy Ukraine and Ukrainians. Nobody of them wants to die but nobody agrees to surrender.
    There is something special about this essential sense of freedom, once you taste it, once you lived with it, there is no way back[/bilingbox]


     

    Wolodymyr Park, Kyjiw, 2. März 2022 © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder

    Kyjiw, 3. März 2022

    [bilingbox]Ich bin in Kyjiw, meiner Stadt, meiner Heimat, laufe durch die Straßen im Zentrum, wo fast jeder Stein eingeschrieben ist in mein Leben. Es ist kalt draußen und normalerweise würde ich gleich in eines der gemütlichen Lokale gehen, ein paar Freunde anrufen und ein Glas Wein mit ihnen trinken. Doch heute ist hier nichts normal. Ich bin die einzige, die hier über den Chreschatik spaziert, die Hauptstraße von Kyjiw. Die meisten Freunde von mir haben Kyjiw eilig verlassen, als die Stadt auf einmal jeden Tag und jede Nacht von Raketen getroffen wurde. Etwas Undenkbares passiert, etwas, das mein Gehirn sich weigert zu akzeptieren. Der KRIEG ist hier, in meinem Land, in meiner Stadt. 

    Am Tag des Angriffs entschied ich mich, nach Kyjiw zu fahren. Das dringende Bedürfnis hier zu sein hat nichts zu tun mit dem Berichten aus der heißen Zone. Wenn der Krieg in mein Zuhause kommt, möchte ich irgendwie zu Hause sein. Es geht hier nicht um Fotografie, es geht um mich, meinen Ort, meine Geschichte und die Geschichte der ganzen Welt, die derzeit hier stattfindet.
    Ich bin aufgewachsen im Bann der Geschichten meiner Großmutter, die die ganze Zeit während der Nazi-Besatzung von 1941 bis 1944 in Kyjiw war, und meines Großvaters, der Militärmusiker war und bis Königsberg und in die Mandschurei kam. Nie war Krieg für mich real, aber jetzt ist er hier. Meine Nichte und mein Cousin riefen mich am dritten Kriegstag an, als sie in den nördlichen Außenbezirken der Stadt unter Beschuss saßen, sie weinten vor Angst, baten dringlich, ich möge auf die Straßen von Berlin gehen und ihnen helfen, sie beschützen. Es waren Tausende auf den Straßen, rund um die Welt, aber kann das helfen?

    Ich laufe durch die Straßen im Zentrum von Kyjiw, leere tote Straßen einer Stadt im Krieg. Neben dem Gebäude der Stadtverwaltung steht eine alte Frau, allein. Als wir näherkommen, bittet sie uns dringlich, wir mögen helfen, die deutsche Kanzlerin zu erreichen, sie sagt, sie würde wissen, wie man Putin stoppt, die weiß es ganz sicher. Wir gehen weiter.~~~I am in Kyiv, my city, my home, walking the streets in downtown, where almost every stone is inscribed into my essence. It’s cold outside and normally I would soon sneak into one of cozy restaurants around and call some friends to join me for glass of wine. But today nothing is normal here. I am the only person walking on Khreschatik, the main street of Kyiv. Most of my friends have left the city in a rush, as rockets started hitting town every day and night. Something unthinkable is going on, something that my mind refuses to accept. The WAR is here, in my country, in my city.
    I took decision to go to Kyiv in the first day of attack. The urge to be here is not connected with reporting from the hot zone. But when war comes to my home I somehow want to be home. This is not really about photography, this is about me, my place, about my history and the history of whole world that currently happens here.
    I’ve grown up being fascinated by stories of my grandmother, who spent whole Nazi occupation in 1941-44 in Kyiv and my grandfather, who was an army musician and went as far as Königsberg and Manchuria. War never seemed real for me but now its here. My niece and my cousin called my on third day of the war, as they were sitting under shelling in the northern outskirts city, crying from fear, begging me to go to the streets of Berlin to help them, to protect them. There were thousands on the streets all around the world, but would it help?
    I am walking central streets of Kyiv, empty dead streets of town in the war. Next to the town administration an old woman stands, alone. As we approach, she begs us to help to reach german kanzler, she says she knows how to stop Putin, she knows for sure. We walk away.[/bilingbox]


     

    © Ostkreuz
    © Ostkreuz

    Mila Teshaieva ist in Kyjiw geboren und aufgewachsen. Seit 2010 lebt sie auch in Berlin. Seit 2004 arbeitet Mila Teshaieva an Langzeitprojekten auf den Gebieten der ehemaligen UdSSR, insbesondere widmete sie die letzten Jahre dem Kaukasus und der Region um das Kaspische Meer. Erschienen sind ihre Bilder auf den Seiten des Courrier international, British Journal of Photography, Time Magazine, Magazine Lightbox und vielen anderen. Für ihre fotografische Arbeit hat Mila Teshaieva bereits zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten.

    Publikationen (Auswahl):
    InselWesen, Kehrer Verlag, 2016
    Promising Waters, Kehrer Verlag, 2013

    Einzelausstellungen (Auswahl):
    MIT Museum Boston (USA 2018)
    Museum Europäischer Kulturen (Berlin 2017)
    Haggerty Museum of Art (USA 2015)
    Blue Sky Gallery (USA 2015) 
    Museum an der Westküste (Föhr 2014) 


    Foto: © Mila Teshaieva/Ostkreuz für dekoder
    Text: Mila Teshaieva
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Übersetzung aus dem Englischen: Friederike Meltendorf

  • Wer kann Putin noch aufhalten?

    Wer kann Putin noch aufhalten?

    „Das Schlimmste steht uns noch bevor“ – Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian zeigte sich ernüchtert, nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron am gestrigen Donnerstag erneut mit Wladimir Putin telefoniert hatte. Putin wolle die vollständige Eroberung und Unterwerfung der Ukraine, hieß es aus dem Elysée.
    In einer zweiten Gesprächsrunde zwischen der Ukraine und Russland einigte man sich unterdessen immerhin auf „humanitäre Korridore“, damit Zivilisten die umkämpften Gebiete verlassen können. 

    Unterdessen eskaliert der Krieg in der Ukraine weiter – und auch die Repressionen nach innen nehmen zu in Russland: Erste unabhängige Medien – der TV-Sender Doshd und der Radiosender Echo Moskwy – stellten nach Website-Blockaden wegen angeblicher „Falschinformationen“ den Betrieb ein. Das Onlinemedium Meduza ist bei vielen in Russland nur noch über VPN erreichbar, Znak stellte die Arbeit ein, es gibt Berichte über Blockaden von Facebook, seit Tagen sind Soziale Medien verlangsamt. Allein für das Wort „Krieg“ im Zusammenhang mit der „Spezialoperation“ in der Ukraine drohen in Russland drakonische Strafen. Landesweit wurden bei Antikriegsaktionen laut OWD-Info bislang mehr als 8000 Menschen festgenommen.

    Was kann Putin dazu  bewegen, den Krieg zu stoppen? Kann der Druck von innen, der zunehmende Unmut in Gesellschaft und Elite dieses kritische Moment erreichen – mit der Dauer des Kriegs und sich allmählich entfaltender Wirkung von Sanktionen? Wirtschaftswissenschaftler Andrej Nekrassow und Historiker Andrej Subow geben Einschätzungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und teilen eine gemeinsame Hoffnung:

    Was kann Putin dazu  bewegen, den Krieg zu stoppen – das fragen Andrej Nekrassow und Andrej Subow / Foto © kremlin.ru unter CC BY SA 4.0

    Andrej Nekrassow: „Fast noch mehr von der Realität abgekoppelt als Putin selbst“

    Wirtschaftswissenschaftler und Oppositionspolitiker Andrej Nekrassow ist in einem Post auf Facebook wenig optimistisch, was ein Umdenken in Elite oder Gesellschaft angeht. Er argumentiert, dass die russische Armee immer noch bei weitem überlegen sei, und dass die russische Gesellschaft aufgrund der Propaganda größtenteils fest hinter dem Präsidenten stehe. Außerdem habe Putin vor dem Krieg massive Geldreserven angehäuft. Insgesamt sei das russische Regime daher viel besser aufgestellt als etwa das von Kuba oder Venezuela – die schon seit Jahren Sanktionen und Wirtschaftskrisen trotzen. „Wenn man das Tabakdosen-Szenario ausschließt“ [der russische Kaiser Paul wurde angeblich mit einer Tabakdose erschlagen], dann gibt es für Nekrassow „nur schlechte oder ganz schlechte Szenarien“: 

    Ich sehe völlig unbegründete Euphorie und Siegesgewissheit. Angesichts der taktischen Fehler der russischen Armee, des gescheiterten Blitzkriegs und der westlichen Sanktionen ist die Öffentlichkeit, die sich mit der Ukraine solidarisiert (ob im Westen, in der russischen Opposition oder in der Ukraine selbst), in Illusionen versunken und hat sich fast noch mehr von der Realität abgekoppelt als Putin selbst. 

    Ich werde versuchen, ein wenig Realismus einzustreuen.

    Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Wirtschaftssanktionen in den nächsten Jahren in keiner Weise die Stabilität des Putin-Regimes beeinflussen werden: Den Russen wird es schlechter gehen. Die Wirtschaft wird einbrechen. Aber das kümmert Putin nicht. Er hat genug Geld für die Gehälter der Silowiki und für die Waffenproduktion, um ein weiteres Jahrzehnt zu überstehen. Sogar für Ärzte und Lehrer wird etwas übrigbleiben. Für die Regimestabilität reichen jedoch die Silowiki.

    Die Sanktionen wirken ausschließlich langfristig. Es geht um Jahre und Jahrzehnte. Mittelfristig haben die Sanktionen keine Auswirkungen auf die Fähigkeit Russlands, eine aggressive Außenpolitik zu betreiben. […]

    So oder so – Selensky wird kapitulieren. Wie diese Kapitulation aussehen wird, spielt keine große Rolle, wichtig ist, dass Putin sie als seinen Sieg darstellen wird und dass das Regime sich dadurch nur stabilisiert. Ich glaube, Putins [wirkliche] Forderungen sind ein neutraler Status sowie die Anerkennung der LNR/DNR und der Krim. Ich würde diesem Szenario 70 bis 80 Prozent geben.  

    Ich will niemanden zu irgendetwas auffordern, aber wenn Selensky sich ohnehin für die eine oder andere Variante der Kapitulation entscheiden muss, dann besser früher als später. Es würden weniger Menschen sterben. Die Siegesgewissheit der Bevölkerung wird aber nicht zulassen, dies früher zu tun. Eine Kapitulation zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Ukrainer glauben, sie würden gewinnen, würde aus Selensky eine politische Leiche machen. Am Ende kommt es höchstwahrscheinlich zum selben Ergebnis, allerdings mit viel mehr Toten auf beiden Seiten.

    […]

    Die Realität hat gezeigt, dass die russische Wirtschaft in den Jahren, in denen sie unter „schrecklichen Sanktionen“ stand, nicht nur nicht zusammengebrochen ist, sondern ihre Reserven um 250 Milliarden [US-Dollar] erhöht, gleichzeitig ihre Auslandsverschuldung um mehr als 250 Milliarden gesenkt hat und so weiter. Den Menschen ging es schlechter, das Wirtschaftswachstum lag bei Null, es gab aber nicht mal annähernd eine Katastrophe, das System wurde nur stabiler. Heute ist eine Katastrophe noch unwahrscheinlicher. Die Konstruktion ist zu stabil. Und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob die Veränderung der äußeren Umstände zwischen 2021 und 2022 bedeutender ist als die zwischen 2013 und 2016.

    Original


    Andrej Subow: Kleptokratie vs. Putin 

    Langfristig scheint ein wirtschaftlicher Niedergang Russlands nicht nur für Nekrassow unvermeidbar. Ein Schicksal wie Nordkorea oder Iran mit allumfassender Aggression nach innen und außen stünde Russland bevor, so der Tenor. Historiker Andrej Subow jedoch hält auf Facebook dagegen – die massiven westlichen Sanktionen könnten vielmehr ein Umdenken in der Elite bewirken:

    Derzeit herrscht in der [kleptokratischen] Elite Schrecken und Frustration. Der wichtigste Satz in den Büros des Kreml, an der Lubjanka und auf dem Staraja Ploschtschad ist jetzt: „Er hat uns betrogen.“ Denn mit dem russisch-ukrainischen Krieg hat Putin ihr ganzes schönes Leben auf Null gesetzt – ihr Geld und ihre Villen an den besten Orten der Welt sind seinetwegen für sie nun unerreichbar. Und jetzt verlangt er auch noch mehr Loyalität, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass die Komplizenschaft in diesem Krieg viele von ihnen zu Kriegsverbrechern und zu Angeklagten in Den Haag macht. Das war mit Putin so nicht abgemacht. Außerdem würde ihnen das Gespenst des Großen Terrors durch die Köpfe geistern, wenn das nun von der ganzen Welt geächtete Regime seine Aggression fortsetzt, und langfristig auch die Aussicht, zu radioaktiver Asche zu zerfallen. Für die Besitzer von Hochseeyachten, Rolls-Royce- und Lamborghini-Sammlungen, von Meisterwerken der Malerei und gemütlichen Villen in den Weinbergen der Toskana ist das alles keine rosige Perspektive.

    Von einem Tag auf den anderen haben diese Leute ihre Loyalität zu Putin aufgekündigt. Warum sollten sie auch alles verlieren, was sie angehäuft haben, und dazu auch noch ihr eigenes Leben? Ohne sie ist Putin aber kein großer Tyrann mehr, sondern nur noch ein alter Mann, der sich in einem Bunker versteckt. Zwar kann er auf den sprichwörtlichen roten Knopf drücken, den Charlie Hebdo so geschickt dargestellt hatte, aber niemand wird seinem Befehl folgen. Die paar Fanatiker zählen nicht – die werden einfach isoliert, genauso wie der Tyrann selbst.

    […]

    Hätte Putin den Krieg in der Ukraine in zwei Tagen gewonnen und der Westen keine vernichtenden Sanktionen verhängt, dann hätte er die Loyalität und sogar die mystische Begeisterung der Elite – wie Hitler 1939 bis 41 – und die volle Unterstützung des Volkes. Die Intelligenzija wäre gespalten und isoliert gewesen.

    Putin hat den Krieg aber verloren, der Blitzkrieg ist gescheitert, hat sich im März-Schlamm der ukrainischen Schwarzerde festgefahren. Die Sanktionen haben sich wirklich als vernichtend erwiesen, genauso wie es der alte Präsident Biden versprochen hatte.

    Putin ist nun ganz allein. So allein ist nicht mal der Iran, wo sich das Ajatollah-Regime durch eine religiöse Volksrevolution gefestigt hat (wie übrigens auch das bolschewistische Regime in Russland 1917–22), oder Nordkorea, wo ein antikolonialer Krieg des Volkes in Despotismus mündete. In beiden Fällen führte die Revolution zu einem vollständigen Wechsel der Eliten. Russland wird seit 30 Jahren von einer langweiligen, ideenlosen Kleptokratie regiert – einer Kleptokratie, die vom Bolschewismus das von ihm zermalmte Volk geerbt hat. 

    Putin hat die Kleptokratie auf Null gesetzt, er kann nicht mehr ihr Leader sein, er kann sich nirgendwo mehr in der Welt sehen lassen, für die Menschheit ist er der gefährlichste Kriegsverbrecher, der Züge eines Wahnsinnigen trägt. Er wird in den nächsten Tagen verraten. Nicht er, sondern ein neuer Leader wird der Elite ihr schönes Leben zurückzugeben, die Beziehungen zum Westen wiederherstellen, die Freigabe ausländischer Bankkonten und die Aufhebung der Beschlagnahmung ihres Vermögens erwirken. Es sollte jemand sein, der nicht durch die aktuellen Verbrechen befleckt ist und der sie idealerweise lautstark verurteilt. Jemand, der aus ihrer Mitte kommt, mit dem es sich reden lässt.

    Uns droht also kein neuer Stalinismus, auch kein iranischer oder nordkoreanischer Weg. Die Massen Russlands bleiben stumm, es wird keine Volksrevolution geben. Aber es wird sehr sehr bald eine Palastrevolution geben: etwa wie bei der Absetzung Chruschtschows 1964 oder beim Tod von Kaiser Paul in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1801 oder wie bei dem merkwürdigen Tod Stalins im März 1953. […]

    Original

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  • Brief an die Ukraine

    Brief an die Ukraine

    Seit Alexander Lukaschenko das Territorium von Belarus als Aufmarschgebiet für den Krieg Russlands gegen die Ukrainer zur Verfügung gestellt hat, toben auch in den sozialen Medien scharfe Auseinandersetzungen. Von der ukrainischen Seite wird den Belarussen vorgeworfen, sie müssten kollektive Verantwortung für diesen Krieg übernehmen. Die Anfeindungen zeigen mitunter, dass das Wissen bei den Nachbarländern über die jeweiligen politischen Systeme nicht sonderlich ausgeprägt ist. Der litauische Politologe Vitis Jurkonis beispielsweise sagt: „Man muss das Regime in Belarus und sein Volk auseinander halten.“ Denn es waren Belarussen, die sich bereits früh ab Ende 2013 den Maidan-Protesten in der Ukraine angeschlossen haben und auch teilweise in den Krieg in der Ostukraine gezogen sind. Auch aktuell gibt es Freiwillige, die sich für den Einsatz in der Ukraine melden, sowie zahlreiche Solidaritätsaktionen, die Belarussen für die Ukraine organisieren. Nach den Protesten im Jahr 2020 sind mehr als 100.000 Belarussen vor den Repressionen in ihrem Land in die Ukraine geflohen. Nun müssen sie wieder fliehen.

    Der belarussische Schriftsteller Alhierd Bacharevič wendet sich in einem offenen Brief, der auf der Webseite der ukrainischen Zeitschrift Ukrajinsky Tyshden (dt. Die Ukrainische Woche) veröffentlicht wurde, an die Ukrainer. Darin erklärt er nicht nur seinen persönlichen Schmerz über den und seine persönliche Schuld an dem Krieg, sondern auch die seiner Landsleute, dazu die zahlreichen Beziehungen, die sich zwischen Ukrainern und Belarussen entwickelt haben und die Bedeutung der Proteste in Belarus. Er wendet sich gegen den Vorwurf, dass seine Heimat nun grundsätzlich als „Fleck der Schande“ angesehen werden soll.

    Liebe Ukrainerinnen und Ukrainer! Meine Helden, meine Freunde.
    Ihr Menschen, um die es uns allen heute weh ist. 

    Ich will nicht, dass dieser Text als Beschönigung oder Entschuldigung gelesen wird. Für Entschuldigungen ist es schon zu spät – und es hat auch keinen Sinn. Die Kriegsmaschinerie läuft, der Tod kommt gleichzeitig aus mehreren Richtungen, darunter auch vom Staatsgebiet meiner Heimat, und mit Entschuldigungen hält man sie nicht auf. Ich will auch nicht, dass mein Text als Buße verstanden wird. Buße tun sollen die, die Blut an ihren Händen haben. Ihr seid im Krieg, Ihr verteidigt euer Land – und wir sind nicht in der Kirche. Wir alle stehen vor dem Gericht der Geschichte, auf unterschiedlichen Seiten einer Zivilisationsgrenze, die nicht wir gezogen haben. In hässlichen Tagen, vor allem für die Ukraine, aber auch für ganz Europa, das in der Falle seines Strebens nach „Frieden um jeden Preis“ gefangen ist. Das ist das Europa, an das ich noch glaube und auf das ich hoffe. Dessen Hoffnung Ihr jetzt seid. Ich will so sehr, dass Ihr diesen Text bis zum Ende lest. Danach könnt ihr uns Belarussen hassen, ihr könnt uns verachten – oder doch nachdenken, wer euer Gegner ist, ob mein Belarus wirklich euer Gegner ist. 

    „Wir Belarussen sind friedliche Menschen …“
    So beginnt die Nationalhymne der Republik Belarus. Die Musik stammt noch aus sowjetischen Zeiten, nur der Text ist neu. Irgendwann klang an dieser Stelle ein sklavisches: „Wir Belarussen, verbrüdert mit Russland …“ Aber weder die alte noch die neue Hymne hat mein wahres Belarus anerkannt. Diese Hymne ist für uns ebenso Symbol der Diktatur wie die rot-grüne Fahne und das sowjetische Wappen. Doch das interessiert die Welt bereits nicht mehr. 
    „Wir Belarussen sind friedliche Menschen …“ Lange Zeit befriedigte diese Formel alle Seiten. Sowohl die staatliche Propaganda als auch die Gegner des Regimes verwendeten sie gern. Wir sind friedliche Menschen. Das war eine Erklärung, der alle gern zustimmten, ob nun Machthaber oder Opposition. 

    Belarus ist jetzt der Aggressor und reiht sich damit in die Liste der finstersten Länder der Weltgeschichte

    Jetzt ist es eine Lüge. Die schöne alte Erzählung von den friedliebenden Menschen und ihren guten Nachbarn wurde von einem Augenblick zum anderen zum heuchlerischen und blutigen Lügenmärchen. Zusammen mit dem „verbrüderten Russland“ ist Belarus zum Aufmarschgelände für den Angriff auf die Ukraine geworden. Belarus ist jetzt der Aggressor und reiht sich damit in die Liste der finstersten Länder der Weltgeschichte. Das Bild vom „friedlichen Menschen“ ist im Nu zerstoben – für immer. Auch das Bild, das uns als Opfer zeigt, die jahrhundertelang unterdrückt und vernichtet wurden, aber überlebten und dafür respektiert werden sollten. Lukaschenka hat Belarus und sein Volk endlich in die letzte Sackgasse geführt, aus der nun alle herausklettern müssen, auch die, die sich „für Politik nie interessiert haben“. Niemand kann es aussitzen und wegschweigen. Niemand wird mehr sagen können: „Ich bin ein kleiner Mensch, ich habe damit nichts zu tun“. Aber das Entsetzlichste ist: Für diese hässliche Rolle, die Belarus jetzt spielt, werden auch die nächsten Generationen zahlen. Beim Wort „Belarus“ werden im Bewusstsein der Welt noch sehr lange die Bilder des Krieges auftauchen: die Bilder jenes Krieges, in dem Belarus zum ersten Mal in seiner Geschichte nicht Opfer oder Verteidiger ist, sondern der getreue Handlanger von Putins Faschismus. 

    Noch vor Kurzem waren wir so stolz, dass wir in den Augen der Welt endlich ein schönes, starkes Antlitz haben: das Bild der mutigen Frauen und Männer, die 2020 ohne Waffen, nur mit ihrem Freiheitswillen und Protestworten auf die Straßen gingen und sich gegen die bis zu den Zähnen bewaffneten Militäreinheiten stellten, die sich selbst als „Miliz“ und „Armee“ bezeichneten. Jetzt ist dieses Bild durchgestrichen und verschmiert. So überpinselt man in meiner Heimatstadt Minsk bis heute die Revolutionsgraffitis. Doch jetzt wird es mit ukrainischem Blut verschmiert – von Menschen, die sich – wie auch ich – Belarussen nennen. Aber wir, die wir von einem anderen Belarus träumen und seit Jahren versuchen, diese Träume wahrzumachen – wir fühlen uns stärker mit Euch Ukrainern verbunden als mit unseren Generälen und Soldaten, die in Euer Land einmarschieren. 
    Deshalb bin ich, der belarussische Schriftsteller Bacharevič, bereit, meinen Teil der belarussischen Verantwortung auf mich zu nehmen. Ich bin bereit, die belarussische Schuld und die belarussische Schande auf mich zu nehmen, wie es seinerzeit während des Zweiten Weltkriegs auch die deutschen Literaten in der Emigration taten. Das ist eine der Aufgaben der Literatur heute. Schuld und Schande anzuerkennen. 

    Aber ich bin dagegen, dass mein Belarus heute ausschließlich ein Fleck der Schande und des Hasses für die Welt sein soll. 

    Ihr, die Ukrainer, verteidigt Euer Land. Eure Armee, eure Territorialverteidigung, jeder Ukrainer und jede Ukrainerin widersetzen sich dem Aggressor. Euer Krieg ist ein Verteidigungskrieg, ein Krieg für die Freiheit. Ihr seid schon einen so langen Weg zur Freiheit gegangen, dass Putins Imperium Euch nie wieder in sein Gefängnis zurückholen kann. Die Ukraine hat sich für immer verändert. 

    2020 haben wir, die Belarussen, uns davon überzeugt, dass wir keine belarussische Armee haben. Die Einheiten, die uns verteidigen sollten, führten Krieg gegen unbewaffnete Menschen. Die Belarussen haben gesehen, wie die, die dem Volk ihre Treue geschworen hatten, dieses Volk ohne mit der Wimper zu zucken verrieten, wie sie aktiv an Massenrepressionen gegen die eigenen Mitbürger teilnahmen. Seitdem hält niemand im Land die belarussische Armee mehr für wirklich belarussisch. Belarus hat keine Armee. Es hat nur Lukaschenkas Generäle, die von Putins Medaillen träumen. Es hat diejenigen, die deren verbrecherische Befehle ausführen. Und es hat Menschen – die jetzt als Kanonenfutter in einem verbrecherischen Krieg benutzt werden. 

    Ich glaube an Worte als die letzte Waffe des Menschen

    Man sagt mir wieder und wieder, das seien nur Worte. Die Ukraine erwarte von uns Belarussen entschlossenes Handeln. Doch das, was ich kann, sind eben nur Worte. Worte, für die ich mich verantworte. Ich glaube an Worte als die letzte Waffe des Menschen. Ich schreibe euch aus der Emigration – aus dem Europa, in dem noch Frieden herrscht, ein sehr wackeliger Frieden. Ich schreibe aus dem Europa, das heute unglaubliche Einigkeit demonstriert, aus dem Europa, das für euch einsteht. Und was die Entschlossenheit angeht: Im Jahr 2020 gingen Hunderttausende Belarussen gegen dieses Regime auf die Straße, das heute die Ukraine überfallen hat. Darunter war ich, waren meine Freunde und Kollegen. Zehntausende wurden in Gefängnisse gesteckt, wo sie gefoltert wurden und weiterhin gefoltert werden. Zehntausende emigrierten. Und Tausende, die in der Heimat geblieben sind, führen den Widerstand im Untergrund fort. 

    Dort, in der Heimat, ist alles vernichtet. Selbst das kleinste bisschen, das zuvor hartnäckig, der Macht zum Trotz, in den letzten zehn Jahren herangewachsen war. Nicht einmal diese minimale Freiheit, die uns früher kritisches Denken und produktives Schaffen erlaubte, ist geblieben. Es gibt keine freien Informationsplattformen mehr, die die Wahrheit über die Ereignisse in der Ukraine erzählen könnten und helfen könnten, den Krieg mit ukrainischen und belarussischen Augen zu sehen. Sie alle sind blockiert, als „extremistisch“ und „staatswidrig“ abgestempelt, die Journalisten sitzen im Gefängnis oder arbeiten im Ausland. In Belarus herrschen nach dem August 2020 Schmerz und Furcht. Belarus ist eine einzige, große Wunde. Ich weiß nicht, ob es noch Familien gibt, die nicht von den Repressionen betroffen sind. Belarus konnte seit der Zerschlagung der Proteste kaum einatmen, da wurde es schon in einen blutigen Krieg gezogen. Für mich sieht es so aus: Man hebt einen schwer Verletzten auf und beginnt, mit seinem Kopf die Tür des Nachbarn einzuschlagen. Wer trägt die Schuld? Natürlich der Verletzte. Es ist ja sein Kopf.

    Damals, 2020, unterstützten uns die UkrainerInnen sehr stark in unserem Kampf. Sie unterstützten uns vor allem mit Worten – und es waren sehr wichtige Worte, die wir nie vergessen werden. Ist es wirklich die Schuld der Belarussen, dass wir die Mauer nicht zerstören konnten? Dass wir Putin unser Land besetzen ließen? Dass wir dem russischen Faschismus erlaubten, unser Land zu benutzen? In historischer Perspektive – ja, vielleicht. Aber wir leben hier und jetzt. Zehntausende Belarussen sind Repressionen ausgesetzt und sitzen im Gefängnis. Und ich werde nie zustimmen, dass sie Hass und Verachtung verdienen. Was sie getan haben, war nicht umsonst. Wenn auch sehr langsam, so ist Belarus doch aus dem süßen Lukaschenkaschlaf erwacht. Geschichte wird nicht an einem Tag gemacht. Die Belarussen, die für Freiheit waren, werden sie vielleicht niemals sehen. Aber bedeutet das wirklich, dass alles, was sie taten, umsonst war? 

    Ist wirklich alles, was die ukrainischen Medien 2020 über Belarus berichteten, so rasch vergessen worden? Vielleicht schon lange vor dem Krieg? Wenn ich heute lese, was die ukrainischen Medien über das sogenannte Referendum schreiben, das am Sonntag in Belarus abgehalten wurde, traue ich meinen Augen kaum. Diese weitere Farce, von der Diktatur organisiert, um das Land unter totale Kontrolle zu bringen und endgültig Russland auszuliefern, wird als antiukrainische „Willensäußerung des belarussischen Volkes“ dargestellt. Ich verstehe, dass der Informationskrieg in vollem Gang ist. Dass der Hass auf den Feind eine heilige Sache ist. Aber es war keine „Willensäußerung“. Es war nur eine weitere absurde Inszenierung in Lukaschenkas Staatstheater, ein weiterer „eleganter Sieg“, wie Lukaschenka es gern nennt. 

    Belarus lebt jetzt in einer Situation, die man als Bürgerkrieg unter ausländischer Okkupation beschreiben kann. Belarus ist nicht die Ukraine. In Belarus gibt es keine belarussische Regierung, keine belarussische Armee, keine belarussische Miliz, keine belarussische Politik, keine belarussischen freien Medien. Belarus ist verstümmelt, Belarus ist gespalten, Belarus weiß nicht, was es mit sich selbst anfangen soll, wie es überleben und nicht von der Weltkarte und aus dem Territorium der Moral verschwinden kann. Mein Belarus existiert jetzt als über das Land und darüber hinaus verstreute Widerstandsherde, die nur eine Aufgabe haben: überleben und Kräfte sammeln. Die Hoffnung, dass sie heute in der Lage sein könnten, sich zu vereinen, die Regierung zu stürzen und den Krieg zu beenden, habe ich nicht. Aber diese Widerstandsherde sind die Grundlage des zukünftigen friedlichen Staates, der freien Nachbarin der freien Ukraine. Diese Widerstandsherde unterstützen heute die Ukraine, sie machen für euch alles was in ihrer Macht steht. Ist es wirklich richtig, diese Bemühungen zu ignorieren, wenn sie doch euch gelten – euch, genau wie dem zukünftigen Belarus? 

    Belarussen leben jetzt in einer Leere – zwischen Licht und Dunkelheit

    Irgendwann im Jahre 1968 schrieben die Tschechen über sieben (nur sieben) sowjetische Dissidenten, die auf dem Roten Platz in Moskau gegen die Invasion in der Tschechoslowakei protestierten: Diese sieben Menschen seien sieben Gründe, warum wir Russland nicht hassen können. Nur am Sonntag und am Montag wurden in Belarus etwa eintausend Menschen dafür verhaftet, dass sie gegen den Krieg in der Ukraine protestierten. Und ich wage zu hoffen, dass diese Menschen ebenfalls eintausend Gründe sind, Belarus nicht zu hassen. 

    Ich will nicht, dass dieser Text wie Weinen oder Jammern wirkt. Als würde ich vor Euch auf die Knie gehen. Wenn ich, wie viele andere Belarussen, meine Honorare an die ukrainische Armee und für humanitäre Hilfe spende, wenn meine Frau und ich Sachen für ukrainische Flüchtlinge bringen – dann bin ich kategorisch dagegen, dass dies als Freikaufen von Schuld verstanden wird. Ich tue das als Gleicher für Gleiche, vor allem als Mensch, aber auch als Belarusse, der helfen will. Wenn meine Frau und ich zu Unterstützungsdemonstrationen für die Ukraine gehen, dann tun wir das nicht, weil wir ein schlechtes Gewissen haben, sondern um Einfluss auf die Politiker im Westen auszuüben, die noch darauf hören, was das Volk ihnen sagt. Wenn ich, ein Emigrant in Graz, diesen Text schreibe, dann tue ich das nicht, um Vergebung zu erhalten, sondern weil ich nicht schweigen kann und will. Als ich meine Bücher schrieb, als ich in meinem Roman Die Hunde Europas vor der Gefahr des Putinschen Imperiums warnte, las die Mehrheit das als Phantasmagorie und Dystopie. Jetzt leben wir alle in dieser Dystopie. Habe ich alles getan, was ich konnte? Diese Frage richtet sich nicht an euch, ich muss sie selbst beantworten. Wie alle Belarussen. 

    Und doch kann ich nicht ruhig und verständnisvoll zusehen, wie die Ukrainer uns im Netz immer öfter schreiben: „Ihr, Belarussen, liebt doch euren Putin!“ Sie schreiben es nicht den chronischen Putinoiden, sondern den Belarussen, die jahrelang gegen Putins Faschismus gekämpft haben und Belarus nicht zu Europas Schande werden ließen. Ich kann nicht ohne Entsetzen lesen, dass man den Belarussen, die ukrainischen Flüchtlingen helfen, die Autoscheiben zerschlägt – nur, weil das Auto ein belarussisches Kennzeichen hat. Ich kann nicht ertragen, wenn jemand Menschen, die durch Lukaschenkas Repressalien gegangen sind, schreibt: „Ihr Schweinehunde, küsst euren Lukaschenka.“ Ich kann nicht sehen, wie die Belarussen, die in der Ukraine eine Zuflucht vor dem Regime gefunden haben, heute aus ihren Häuser gejagt werden. À la guerre comme à la guerre … Aber was gibt euch dieser Hass? Wenn Ihr überzeugt seid, dass der Hass euch hilft, die Besatzer zu besiegen, werden wir ihn schweigend ertragen. Wir werden euch unterstützen auch wenn ihr uns hasst. Dieser rückhaltlose Hass auf alles Belarussische bringt euch keinen Freund im feindlichen Land mehr als ihr schon habt. Aber Belarus ist kein feindliches Land. Die Belarussen leben jetzt in einer Leere – zwischen Licht und Dunkelheit. Wir schämen uns, wir fürchten uns, und wir sind beleidigt – aber wir sind auf eurer Seite. Mit Worten, mit Gedanken, mit Taten und auch mit Waffen – denn für Euch kämpfen heute auch Belarussen. Und viele meiner Landsleute können nicht einschlafen, sie lesen Nachrichten und verfluchen die zwei Verrückten, die diesen Krieg entfacht haben: Putin und Lukaschenka. 

    Wir haben uns nicht ausgesucht, wo wir geboren sind. Genau wie Ihr. 

    Ein Teil des teuflischen Moskauer Plans ist die Vermehrung des Hasses. Wo immer es geht. Das ist ihre langfristige Aufgabe, mit der sie schon vor langer Zeit begonnen haben. Für den Kreml ist es besonders wichtig, den Hass zwischen seinen Nachbarn zu schüren. Diesen Hass auf ein solches Niveau zu treiben, dass eine Rückkehr zur Normalität in den Beziehungen unmöglich wird.
    Darauf folgt, nach ihrem Plan, das klassische divide et impera

    Liebe Ukrainerinnen und Ukrainer, wir haben einen gemeinsamen Feind. Er freut sich über jeden Konflikt zwischen uns. Wenn Putin und Lukaschenka sehen, dass der Hass zwischen uns wächst, lächeln sie zufrieden. Das bedeutet, alles geht nach Plan. Wollen wir wirklich, dass sie zufrieden lächeln? 

    Wir haben einen gemeinsamen Feind. Bitte lasst uns das nicht vergessen.

    Wer weiß, vielleicht ist es auch schon zu spät. 


    Alhierd Bacharevič (* 1975, Minsk/Belarus) ist ein belarussischer Schriftsteller und Dichter. Seine Romane und Essaybände sind ins Deutsche, Englische, Französische, Polnische, Russische und Schottische übersetzt. 2017 erschien das Hauptwerk des Autors: Die Hunde Europas. Das Belarus Free Theater inszenierte den Roman in Minsk und in London. Die Neuauflage des Romans wurde im Frühjahr 2021 von Lukaschenkos Behörden konfisziert und als „extremistisch“ und „staatswidrig“ eingestuft. Bacharevič ist für sein Schreiben in Belarus vielfach ausgezeichnet worden. 2021 wurde er mit dem deutschen Erwin-Piscator-Preis geehrt. Auf Deutsch sind aktuell der Roman Die Elster auf dem Galgen sowie die Essay-Sammlungen Berlin, Paris und das Dorf und Sie haben schon verloren erhältlich. Seit Dezember 2020 lebt Alhierd Bacharevič mit Julia Cimafiejeva mit dem Literaturstipendium Writer in Exile in Graz.

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  • „Die naheliegendste Analogie sind die Jahre 1938/39“

    „Die naheliegendste Analogie sind die Jahre 1938/39“

    Es ist Tag acht im russischen Krieg gegen die Ukraine. Aber ist es nur Wladimir Putins Krieg? Bei aller Ohnmacht müssen alle jetzt herausfinden, wo die eigene Verantwortung liegt – und was nötig ist, um weiter mit sich leben und in den Spiegel schauen zu können. Der russische Soziologe Grigori Judin spricht darüber im Interview mit Meduza, das hier in Ausschnitten zu lesen ist – und in dem er auch seine Einschätzung zur Proteststimmung darlegt. Er selbst ist am 24. Februar bei einem Antikriegsprotest in Moskau zusammengeschlagen worden.

    Swetlana Reiter: [Die unterschwellige Unzufriedenheit, die wir sehen,] steigt langsamer als der militärische Konflikt.

    Grigori Judin: Ja, sie steigt nicht schnell genug, aber sie steigt, und es steigt auch die Zahl der öffentlichen Personen, die sich dagegen aussprechen: Abgeordnete, verschiedene Verbände. Prominente versuchen zwar zu schweigen, äußern sich mittlerweile aber immer öfter dagegen als dafür. Das bringt zwar nicht viel, aber immerhin. 
    Sollten diese Äußerungen der subelitären Kreise auf die elitären, näher an der russischen Führung befindlichen übergehen, dann ist klar, was das für Putin heißt. Dann sieht plötzlich alles wie ein irrwitziges Abenteuer mit grauenhaften Folgen aus und einer unausweichlichen Niederlage am Horizont. Deswegen stehen wir jetzt an einem Wendepunkt: Die Welt, in der wir im jetzigen Moment leben, wird es nur sehr kurz geben … 

    Mir ist klar, dass das Land noch nie mit einer solchen Situation konfrontiert war. Aber können Sie als Soziologe trotzdem eine Prognose versuchen: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir nach diesem Wendepunkt, an dem wir derzeit stehen, den erfreulicheren Weg einschlagen oder das Gegenteil?  

    Das ist für die ganze Weltgeschichte eine nie dagewesene Situation – nie hat es etwas Derartiges gegeben. Die ganze Welt steht in diesem Augenblick auf der Kippe zu einer ungeheuren Katastrophe, daher verfügen wir über keinerlei logisches Wissen, auf das wir uns stützen könnten.  
    Schon jetzt wird der Welt bewusst, dass am 24. Februar die lange Nachkriegsepoche zu Ende gegangen ist, eine neue Ära ist angebrochen. Das hat Deutschlands Kanzler Olaf Scholz ganz richtig festgestellt: Unter anderem werden wir in dieser neuen Ära auch ein neues Deutschland sehen, das bereit ist, eine neue Verantwortung zu übernehmen.  

    Wir müssen begreifen, dass das kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist. Dieser Krieg wird von einer Gruppe geführt, die sich Waffen geschnappt hat, die gewohnt ist, Menschen damit Angst zu machen

    Wir stehen heute am Rand eines riesigen Krieges. Seine potenziellen Teilnehmer verfügen über Atomwaffen, und es gibt jemanden, der sogar schon ganz offen damit droht. Wörter wie „Nazis“ und „Entnazifizierung“ sind alles andere als harmlos – in der heutigen Sprache haben sie das Potenzial einer völligen Entmenschlichung und bilden die Grundlage für eine „Endlösung des Problems“. Es ist nicht auszuschließen, dass da etwas Vergleichbares zurückschallen wird … ​​Die naheliegendste Analogie sind die Jahre 1938/39. Aber damals war die Welt gespalten und am Ende, heute findet sie zusammen. Vielleicht nicht vollständig, aber der Ernst der Lage wird von Tag zu Tag immer klarer erkannt. Deshalb stehen wir, wie mir scheint, an einer auf Jahrzehnte hinaus bestimmenden Wegscheide, an der die ganze Welt und vor allem die drei Völker stehen, die jetzt Geiseln von Leuten sind, die Waffen auf sie gerichtet haben und sie gegeneinander aufhetzen wollen. Das sind Belarus, Russland und die Ukraine.

    Wir müssen begreifen, dass das kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist. Dieser Krieg wird von einer Gruppe geführt, die sich Waffen geschnappt hat, die gewohnt ist, Menschen damit Angst zu machen und jetzt schlicht zu Kampfhandlungen gegen alle drei Völker übergegangen ist. 

    Fühlen Sie sich in solchen Momenten eher als Mensch oder als Wissenschaftler? Oder ist das eine zu dumme Frage? Lassen Sie es mich anders sagen: Soll man analysieren oder sich in Sicherheit bringen?

    Die Frage ist keineswegs dumm, sie liegt in entscheidenden historischen Momenten auf der Hand. Man muss verstehen, dass das zwei Haltungen sind, die sich in jedem Wissenschaftler finden und die miteinander in Kontakt kommen müssen. Du musst dir bewusst machen, woran du glaubst und zu welchem Zweck du deine Analysen vornimmst: Wenn du einfach nur auf Befehl oder Auftrag hin arbeitest, kannst du eine Elwira Nabiullina [die Chefin der Zentralbank der Russischen Föderation] werden und möglicherweise als Kriegsverbrecher enden.

    Sie halten Elwira Nabiullina für eine Kriegsverbrecherin?

    Albert Speer war ein Kriegsverbrecher.

    Ist sie nicht eine Geisel der Situation?

    War Adolf Eichmann eine Geisel der Situation? Ganz im Ernst: Irgendwann muss man aufhören, sich zum Rädchen zu machen und zu einer inneren moralischen Haltung finden. Und dann seine analytischen Fähigkeiten in den Dienst dieser Haltung stellen. 

    Es ist wichtig, die moralische Haltung nicht aufzugeben, vor allem in so entscheidenden Situationen

    Und hier kommt es darauf an, kritische Distanz zu gewinnen, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Kontrolle über sich selbst nicht zu verlieren. Aber es ist wichtig, die moralische Haltung nicht aufzugeben, vor allem in so entscheidenden Situationen. 

    Wie sehr kann man darauf hoffen, dass jeder Mensch in sich selbst Halt findet? Und was muss getan werden, damit Elwira Nabiullina und, sagen wir, Sergej Schoigu ihr Verhalten ändern?

    Das ist eine Frage ihrer Beziehung zu Gott. Wissen Sie, wir sind jetzt an einem Punkt, der bei allem, was daran einmalig ist, doch an die Ereignisse des 20. Jahrhunderts erinnert. Hannah Arendt hat dazu sehr richtig gesagt, dass es Zeiten gibt, in denen man sich eingestehen muss, dass man die Welt im Ganzen nicht ändern kann. Man muss herausfinden, wo jetzt die eigene Verantwortung liegt – was man tun muss, um weiter mit sich leben und in den Spiegel schauen zu können.

    Durch kleine Aktionen mit deutlicher Wirkung lässt sich die Angst kurieren – und dann zeigt sich, dass der Teufel nicht so schrecklich ist, wie er gemalt wird

    Das ist die wichtigste Frage, und jeder Mensch muss diese Frage für sich selbst beantworten – im Bewusstsein, dass die Dinge sich nach dem schlimmsten überhaupt vorstellbaren Szenario entwickeln können und die Wahrscheinlichkeit dafür sehr hoch ist. 

    Und wie bekämpft man in diesem Fall die eigene Angst?

    Es gibt da bekannte Methoden, die immer funktionieren: kleine Aktionen, die eine deutlich messbare Wirkung haben. So lässt sich die Angst kurieren, und dann zeigt sich immer wieder, dass der Teufel nicht so schrecklich ist, wie er gemalt wird. Wenn man eine Grundsatzposition einnimmt, wenn man die moralische Herausforderung annimmt, nicht so tut, als ob nichts wäre und man sowieso nichts machen könne, sondern begreift, dass man vor eine ungeheure moralische Aufgabe gestellt ist, auf die jeder Mensch reagieren muss, dann kann man sich nicht vormachen, dass man einfach nur Zuschauer ist. Man muss überlegen, wie man mit kleinen Aktionen eine messbare Wirkung erzielt. 

    Selbstanklagen, Scham … Diese Gefühle sind nachvollziehbar und herzensgut, aber sie bahnen nicht den Weg zum Handeln

    Theodor W. Adorno hat einmal den Dramatiker Christian Dietrich Grabbe zitiert: „Nichts als nur Verzweiflung kann uns retten“. Viele Russen, die unter dem Geschehen leiden, reagieren gerade mit Selbstanklagen, Scham, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsversuchen. Diese Gefühle sind nachvollziehbar und herzensgut, aber sie bahnen nicht den Weg zum Handeln. Dies ist letztlich kein Krieg, den das russische Volk gegen die Ukraine führt. Dieser Krieg wird den Russen nichts bringen. Sie werden auf die furchtbarste Weise verlieren. Das wird eine ungeheure Katastrophe für das Land, die uns allgemeinen Hass, eine zerstörte Wirtschaft, eine niedergewalzte Gesellschaft und vermutlich eine besiegte Armee einträgt.

    Wir müssen diese Katastrophe stoppen, und zwar gemeinsam mit den Ukrainern und Belarussen

    Letztlich verlieren wir die unerschütterliche Grundlage für das Ansehen, das bei den Menschen auf der ganzen Welt immer Respekt hervorgerufen hat: Das Image des Befreiers, des Landes, das im denkbar schrecklichsten Krieg heldenhaft gesiegt hat. Deshalb müssen wir diese Katastrophe stoppen, und zwar gemeinsam mit den Ukrainern und Belarussen. Nun ist es so gekommen, dass die Ukrainer das auf ihre Art tun und die Belarussen und Russen auf ihre eigene Weise handeln müssen – so, dass wir uns später ruhig in die Augen schauen können.

    Ich weiß, es ist merkwürdig, diese Frage an Sie zu richten, aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs, wenn wir die Ereignisse vom 27. Februar analysieren?

    Eine solche Möglichkeit besteht. Nach Putins Aussagen zu urteilen, würde ich sie bisher nicht als unmittelbare und unabwendbare Gefahr betrachten. Bislang ist das eine Maßnahme, die zeitgleich mit der Anreise zu den Verhandlungen erfolgte – die natürlich rein dekorativen Charakter haben, es sind keine echten Verhandlungen. Aber diese Aussage (in Bezug auf die Waffen) ist eher eine Erpressungsmaßnahme, um die eigene Verhandlungsposition zu untermauern.

    Doch allein die Tatsache, dass diese Drohung ausgesprochen wurde – und das unter diesen Umständen, als Putin und seine Mannschaft deutlich machten, dass sie bereit sind, alles zu tun, um ihren Willen zu kriegen – macht die Nuklearfrage relevant. Zudem sollten wir die Risiken des Einsatzes taktischer Kernwaffen nicht vergessen.

    Ich habe immer geglaubt, dass der Mensch vor allem vom Selbsterhaltungstrieb geleitet wird. Die Entscheidung, Atomwaffen einzusetzen, wäre, gelinde gesagt, selbstmörderisch. 

    Der Mensch ist ein interessantes Wesen, das viele Denker gerade über seine Fähigkeit definiert haben, Selbstmord zu begehen. Aus irgendeinem Grund ist der Mensch imstande zu sagen: „Ich sage Nein zu meiner physischen Existenz.“ Sei es, weil er seine weitere Existenz als unvereinbar mit dem eigenen Selbst empfindet, sei es der Wunsch nach Prestige, nach Ruhm – solche Dinge haben Menschen in der Geschichte dazu gebracht, Selbstmord zu begehen.

    Allerdings hatten die keinen Atomknopf – aber was ändert das letztlich? Auch die, die nuklearen Selbstmord begehen, sind Menschen und also dazu imstande. 

    Entschuldigung, ich muss mich verabschieden – gerade ruft meine Frau an, die vermutlich bei einer Antikriegsaktion festgenommen worden ist.

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