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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Bilder vom Krieg #5

    Bilder vom Krieg #5

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Igor Chekachkov

    Marina, Kostja und Wlad kommen aus Kyjiw, zu dritt leben sie nun in einem Wohnheim in Lwiw, Juni 2022 / Foto © Igor Chekachkov
    Marina, Kostja und Wlad kommen aus Kyjiw, zu dritt leben sie nun in einem Wohnheim in Lwiw, Juni 2022 / Foto © Igor Chekachkov

    IGOR CHEKACHKOV
    „Was macht das Gefühl von Zuhause aus – und was passiert, wenn man dieses Gefühl verliert?“ 

    [bilingbox]Als russland [sic!] die Ukraine überfiel, war ich gezwungen, meine Heimatstadt Charkiw zu verlassen. Ich bin nach Lwiw gegangen und habe ziemlich bald damit begonnen, das Leben der vertriebenen Menschen zu dokumentieren. Das Thema interessiert mich, weil ich jetzt selbst ein Vertriebener bin. Und indem ich Menschen fotografiere, die ihr Zuhause verlassen haben, hinterfrage ich auch meine eigene Position und meine Gefühle.

    Dieses Foto habe ich in einem Wohnheim aufgenommen, in dem Vertriebene leben. Marina, Kostja und Wlad sind Freunde aus Kyjiw. Sie haben gemeinsam Film studiert und sind zu Beginn der Invasion nach Lwiw gezogen. Jetzt leben sie zusammen in einem kleinen Zimmer in einem Wohnheim.

    Vor etwa zehn Jahren habe ich in Charkiw an der Fotoserie Daily Lives gearbeitet, die zeigt, wie Menschen zusammenleben und sich gemeinsame Räume teilen. Diese Serie setze ich heute in einem ganz anderen Kontext fort – ich dokumentiere, wie Menschen, die gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen, in Notunterkünften zusammenleben. Als ich Charkiw gerade verlassen hatte, lebte ich in einem Haus in der Nähe von Lwiw mit etwa 20 anderen Vertriebenen zusammen. Dann zog ich an einen anderen Ort, und wir waren nur noch zu sechst. Diese Erfahrung machte mich neugierig darauf, wie andere Vertriebene zusammenleben.

    Ich versuche, die Grenzen der Dokumentarfotografie zu erweitern und neue Formen der Darstellung des Krieges zu finden. Dokumentar- und Pressefotografen leisten eine großartige Arbeit, aber es gibt viele von ihnen auf der ganzen Welt. Deshalb möchte ich experimentieren und mich auf persönlichere Themen konzentrieren. Ich habe das Gefühl, dass ich noch mehr Zeit brauche, um darüber nachzudenken, was gerade passiert, was ich damit machen kann und was dabei die Rolle des Fotografen ist. 

    Mit meiner Fotografie frage ich, was das Gefühl von Zuhause, von Heimat ausmacht und was passiert, wenn Menschen dieses Gefühl verlieren. Wie Werte sich wandeln, wenn wir mit etwas so Schrecklichem konfrontiert sind, wie sich unsere Persönlichkeit verändert. Das sind die Fragen, die ich mir selbst stelle, und auch den Menschen, die ich fotografiere.

    Kann Kunst eine Brücke bauen zwischen der Ukraine und russland? Ich hatte immer das Gefühl, dass Kunst der beste Weg ist, um Brücken zwischen Kulturen zu bauen, aber jetzt bin ich nicht mehr so optimistisch. russland hat so viele Dinge getan, um Hass in ukrainischen Herzen zu säen, und die Ukrainer werden für eine ganze Weile keine Brücken zu russland bauen wollen. Jedenfalls kann ich mir das nicht vorstellen, solange russland weiterhin die Ukraine angreift. Die Menschen, die uns angegriffen haben, sind von der Kunst nicht berührt; die, die es doch sind, würden nicht in ein anderes Land einfallen. Deswegen denke ich, dass wir Künstler nicht viel tun können. Die Kunstwerke werden nie von Kreml-Politikern oder russischen Soldaten gesehen werden. Aber ich hoffe, dass Kunst – und Fotografie im Besonderen – helfen kann, eine solche Katastrophe in Zukunft zu verhindern.~~~When russia invaded Ukraine, I was forced to leave my hometown Kharkiv to western Ukraine. I’ve settled down in Lviv and shortly I started documenting displaced people. I am interested in this subject because now I am a displaced person myself, and by photographing people who left their homes I am also questioning my position and my feelings.

    This photograph was taken in the dorm, which is inhabited by displaced people. Marina, Kostya and Vlad are friends from Kyiv. They were studying cinematography together and moved to Lviv at the beginning of the invasion. Now they live together in a small room in the dorm. 

    About 10 years ago I was working on a “Daily Lives” series in Kharkiv, depicting how people live together and share common spaces. Now I continue this series in a very different context — I document how people who were forced to leave their homes and live together in shelters. When I just left Kharkiv I was living in a house not far from Lviv with about 20 other displaced. Then I moved to another place and there were just six of us. This experience made me interested in how other displaced people live together.

    I am trying to push the boundaries of documentary photography and searching for new forms of depicting the war. Documentary and news photographers are doing a great job, but there are plenty of them from all over the world and that’s why I want to experiment and focus on more personal topics. I feel that I still need more time to reflect on what is going on, what I can do with it and what is the role of the photographer now. 

    With my photography I am questioning what is the feeling of home and what happens when people lose it. How values change when we face something so dreadful and how it changes our personality. These are the questions I ask myself, as well as the people I photograph. 

    Can art build bridges between Ukraine and russia? I always felt that art is the best way to build bridges between cultures, but now I am not so optimistic. russia did so many things to plant hate in Ukrainians hearts and Ukrainians will not want to build bridges with russia for quite a while. At least I can’t imagine this happening while russia continues to attack Ukraine. People, who attacked us, are not touched by art; the ones who are will not invade another country. This is why I don’t think we (artists) can do much. The work of art will never be seen by Kremlin politicians or russian soldiers. But I hope that art, and photography in particular, can help to prevent this kind of disaster in the future.[/bilingbox]

    IGOR CHEKACHKOV

    1989 in Charkiw/Ukraine geboren. Begann 2008 zunächst als Fotojournalist zu arbeiten und fand schließlich zur Arbeit als künstlerischer Fotograf. 

    AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)

    2022 – Maison de la Photographie, Lille
    2021 – Interphoto Festival, Białystok
    2021 – Mystetskyi Arsenal, Kyjiw
    2019 – Dongsung Market Art Project in Daegu/Südkorea
    2019 – Einzelausstellung während des Hybrid-Kunstfestivals, Madrid
    2019 – CEPA Gallery, Buffalo, New York
    2018 – EEP Berlin
    2017 – Fotofestival Odessa/Batumi

    PUBLIKATIONEN
    u.a. in British Journal of Photography, Bird in Flight, P3 uvm.


    Foto: Igor Chekachkov
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Übersetzung aus dem Englischen: dekoder
    Veröffentlicht am 13.07.2022

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    Fototagebuch aus Kyjiw

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  • Finnisch-russische Beziehungen

    Finnisch-russische Beziehungen

    Die Entscheidung Finnlands vom 18. Mai 2022, im Verbund mit dem neutralen Schweden die Mitgliedschaft in der NATO zu beantragen, gehört zu den fundamentalen politischen Zäsuren der Geschichte des Landes.

    Mit der Entscheidung, sich dem westlichen Verteidigungsbündnis anzuschließen, bricht Finnland bewusst mit einer außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Tradition, die das Land – von einigen Ausnahmen abgesehen – von seinen staatlichen Anfängen im 19. Jahrhundert an begleitet hat. In diesem Beschluss fängt sich in gleichsam verdichteter Form eine Entfremdung nicht nur der politischen Eliten des Landes, sondern nahezu der gesamten finnischen Gesellschaft. Diese wäre noch bis vor weniger als einem Vierteljahr in sämtlichen öffentlichen Meinungsbarometern noch nicht einmal im Entferntesten auf die Idee gekommen, die angestammten Prämissen ihres Verhältnisses zu Russland überhaupt in Frage zu stellen. Dies mag angesichts des eskalierten Krieges in der Ukraine marginal scheinen. Es macht aber zugleich deutlich, wie fundamental Putins Aggression die internationale Politik und die europäische Sicherheitsarchitektur auch und gerade jenseits der unmittelbar (post-)sowjetischen Sphäre verändert hat.

    Worin nun bestanden die erwähnten Prämissen des finnisch-russischen Verhältnisses, wie sie bis vor wenigen Monaten nahezu uneingeschränkte Gültigkeit besaßen? Welchem historischen Wandel und welchen Einflüssen unterlag die russische Finnlandpolitik? Und welchen strategischen Erwägungen, welchem Kalkül folgten die Träger finnischer Politik im Hinblick auf das Verhältnis zum imperialen Nachbarn im Osten seit dem 19. Jahrhundert?

    Die Staatswerdung Finnlands war im Laufe des 19. Jahrhunderts konstitutiv an das Russische Kaiserreich geknüpft. Nach dem Russisch-Schwedischen Krieg 1808–1809 war die vormalig schwedische Provinz Finnland als Großfürstentum unter Beibehaltung ihrer alten schwedischen verfassungsrechtlichen Stellung autonomer Teil des russischen Imperiums geworden. Der Zar Alexander I. wurde dabei in Personalunion Großfürst von Finnland und leistete ab dem Landtag von Borgå/Porvoo1 1809 den Eid auf die angestammten finnischen Freiheitsrechte und Privilegien. Zu Letzteren gehörten die aus schwedischer Zeit existierende Ständeversammlung, die Religionsfreiheit der überwiegend lutherischen Bevölkerung des Großfürstentums und – gerade im binnen-imperialen Vergleich – weitreichende verfassungsrechtliche Privilegien. Dieses höchst diffizile Verhältnis zwischen Helsingfors/Helsinki, das zur Hauptstadt des Großfürstentums aufwuchs, und Sankt Petersburg entwickelte sich über das kommende Jahrhundert verfassungspolitisch und politisch-administrativ beständig weiter. Letztlich ermöglichte es dem Großfürstentum Finnland die umfängliche autonome Staatswerdung innerhalb des russischen Imperiums.

    Die Staatswerdung Finnlands war im Laufe des 19. Jahrhunderts konstitutiv an das Russische Kaiserreich geknüpft / Bild – Karte des Großfürstentums Finnland, 1857 © Wikipedia, gemeinfrei
    Die Staatswerdung Finnlands war im Laufe des 19. Jahrhunderts konstitutiv an das Russische Kaiserreich geknüpft / Bild – Karte des Großfürstentums Finnland, 1857 © Wikipedia, gemeinfrei

    Experimentierfeld imperialer Reformpolitik

    Aus russischer Perspektive wurde Finnland zu einem Experimentierfeld imperialer Reformpolitik. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Reformphase der 1860er Jahre unter Alexander II., der nicht nur die Landstände erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder einberief, sondern darüber hinaus zur Gleichstellung der finnischen Sprache – neben der bisherigen Verwaltungssprache Schwedisch – beitrug. Dies begründete im Kern die moderne politische Kultur des Landes. Selbst die Phase nationalistisch-imperialistischer Eskalation unter Alexander III. und vor allem Nikolaus II. überstand das imperiale Binnenverhältnis zwischen dem Großfürstentum und Sankt Petersburg vergleichsweise intakt.

    Russifizierungsbestrebungen und das Bemühen, das Großfürstentum systematischer an das vermeintliche Mutterland zu binden, scheiterten noch vor dem Ersten Weltkrieg am hinhaltenden Widerstand der finnischen Eliten. Im Zentrum der finnischen Politik und öffentlichen Agitation stand dabei stets die Behauptung althergebrachter Verfassungsrechte und damit die Majestät des Rechts. Begleitet wurde dies von einer Welle internationaler Solidarität, wie sich eindrucksvoll an der „Pro Finlandia“-Petition von mehr als tausend führender europäischer Kulturschaffender – im Grunde der versammelten geistigen Elite des Kontinents – ablesen lässt, die sich 1899 Zar Nikolaus II. gegenüber für die finnische Sache aussprach.

    Auch Phasen der relativen imperialen Schwäche verstand man zu nutzen. So führte die Revolution von 1905, die Finnland nur am Rande erfasste, im Folgejahr zur Einrichtung eines Einkammernparlaments, der Eduskunta, und der Einführung des Frauenwahlrechts. Finnlands Wahlrecht und das politische System insgesamt gehörten damit zu einem der modernsten in Europa, in dem noch vor dem Ersten Weltkrieg die Sozialdemokratische Partei (SDP) zu einem entscheidenden Machtfaktor heranwachsen konnte.

    Die Unabhängigkeit Finnlands

    Angesichts der eingeübten Modalitäten zum Russischen Kaiserreich hinterließ das Revolutionsjahr 1917 das Gros der finnischen Eliten in einem gleichsam perplexen Zustand. Erst nach Monaten des Lavierens und der politischen Neu-Orientierung entschied man sich für die Unabhängigkeit von Russland und suchte nach einer legitimierten Autorität auf russischer Seite, die das gewesene Großfürstentum in die staatliche Eigenständigkeit entlassen konnte. Eine solche fanden die politischen Eliten Helsinkis schließlich Anfang Dezember 1917 in Lenin, dessen anti-imperialistische Politik sich nahezu reibungslos mit den finnischen Interessen vertrug.

    Die revolutionären Wirren und der sich entgrenzende Bürgerkrieg im Russischen Reich ließen freilich auch Finnland nicht unberührt. Vor dem Hintergrund der sozioökonomischen Unwuchten des Weltkriegs eskalierte die ideologische Frontstellung zwischen bürgerlich-konservativen und eher sozialistisch-revolutionär orientierten Kräften um die Jahreswende 1917/18. In dem Finnland von Januar bis Mai 1918 überziehenden Bürgerkrieg standen sich schließlich zunehmend unversöhnlich anti-revolutionäre, zumeist bürgerlich-konservative „Weiße“ und die den industriellen Süden des Landes dominierenden „Roten“ gegenüber.
    Auch und gerade im europäischen Vergleich gehört dieser Bürgerkrieg zu den am brutalsten geführten innenpolitischen Auseinandersetzungen der Zeit und entspricht in keiner Weise dem klischeehaften Bild des kleinen friedlichen Landes im europäischen Nordosten, das man sich heute gelegentlich von Finnland macht. Innerhalb eines Vierteljahres kamen mehr als 36.000 Menschen ums Leben. Ergebnis des Bürgerkriegs war die Etablierung einer „weiß“ dominierten Präsidialrepublik Finnland, die sich außen- und sicherheitspolitisch in den restlichen Norden zu integrieren versuchte und ansonsten nach Westen und auf den Völkerbund orientierte.

    Finnischer Staat ohne Garantien

    Währenddessen wuchs mit der Stalinschen Sowjetunion das eigentliche Sicherheitsrisiko für den jungen und in seiner Unabhängigkeit noch ungefestigten finnischen Staat heran. Was Finnland in den 1920er und 1930er Jahren versäumte, war die Lösung der für seine staatliche Existenz kritischen Garantiefrage, wie sie der spätere Staatspräsident des Landes, Juho K. Paasikivi (1870-1956), immer wieder anmahnte. Es war eben jener Paasikivi, der als zentraler Russlandpolitiker des Landes früh erkannte, dass die staatliche Existenz Finnlands nur mit und nicht gegen Russland, beziehungsweise die UdSSR, zu sichern wäre. Dies wurde zum Ende der 1930er Jahre insofern akut, als Stalin sich im Hinblick auf die Kontrolle der vormaligen imperialen Peripherie des Russischen Reiches erneut zu rühren begann und auch von Finnland Grenzkorrekturen und eine engere Bindung an Moskau einforderte.

    Als Botschafter in Moskau trat Paasikivi noch im Herbst 1939 vehement dafür ein, Stalins sicherheitspolitischem Bedürfnis so weit wie möglich entgegenzukommen und – neben möglichen Gebietsabtretungen – schlimmstenfalls auch die punktuelle Stationierung sowjetischer Truppen auf finnischem Staatsgebiet zuzulassen. Die Alternative, so machten Paasikivi und mit diesem auch der finnische Oberbefehlshaber C. G. E. Mannerheim (1867-1951) deutlich, wäre ein Krieg gegen die Sowjetunion, den Finnland weder gewinnen noch überleben könne. Die Mehrheit in der finnischen Regierung optierte im Herbst 1939 indes gegen eine Annahme der Stalinschen Forderungen, auch in der Hoffnung, dass sich die Sowjetführung von einer harten, auf das Völkerrecht rekurrierenden Haltung beeindrucken ließe.

    Der „Winterkrieg”

    Das Gegenteil war der Fall: Ab November 1939 sah sich Finnland einem nur schwach kaschierten sowjetischen Angriffskrieg ausgesetzt und musste diesen – entgegen eigener Erwartungen – bis in den März 1940 auf sich allein gestellt ausfechten. Dass dies im Großen und Ganzen gelang und der junge Staat nicht umgehend zum Opfer des (neo-)imperialistischen Aggressors wurde, begründete den geschichtsmächtigen, für die finnische Nation konstitutiven Mythos vom „Winterkrieg“. Sowjetischen Geländegewinnen, die ihrerseits weit hinter den ursprünglichen Erwartungen der sowjetischen Armeeführung zurückblieben, setzten die Finnen einen bemerkenswerten Behauptungswillen entgegen, der sich nicht nur aus dem Durchhaltevermögen der finnischen Armee, sondern auch aus einer umfassend mobilisierten Gesellschaft speiste. Hier zeigten sich im Übrigen die Anfänge jener umfassenden, ja totalisierten Landesverteidigung, die die finnische Verteidigungspraxis auch heute wieder modellhaft erscheinen lassen. Dreieinhalb Monate hielt Finnland um den Jahreswechsel 1939/40 der Sowjetunion stand. Gerade in dem Augenblick aber, an dem sich die Westallierten aus eigenen strategischen Erwägungen zu einer militärischen Intervention auf finnischer Seite bereitfanden, entschieden sich Mannerheim und die politische Führung in Helsinki für einen schmerzhaften Waffenstillstand mit der UdSSR. Als (erster) Moskauer Frieden vom März 1940 erfüllte dieser einen Großteil der sowjetischen Forderungen aus der Vorkriegszeit.

    Dass Finnland 1939 nicht umgehend zum Opfer der Sowjetunion wurde, begründete den geschichtsmächtigen, für die finnische Nation konstitutiven Mythos vom „Winterkrieg“ / Foto – Tote sowjetische Soldaten und zerstörte Kriegstechnik © Wikipedia, gemeinfrei
    Dass Finnland 1939 nicht umgehend zum Opfer der Sowjetunion wurde, begründete den geschichtsmächtigen, für die finnische Nation konstitutiven Mythos vom „Winterkrieg“ / Foto – Tote sowjetische Soldaten und zerstörte Kriegstechnik © Wikipedia, gemeinfrei

    Erneut war es der erwähnte Paasikivi, der die konkrete Ausformung des künftigen Friedens mit der UdSSR auszuhandeln hatte. Damit einher gingen substantielle, für viele Finnen seinerzeit existentielle Friedensbedingungen von Moskauer Seite: die Abtretung weiter Teile West-Kareliens – nicht zuletzt der zweitgrößten Stadt des Landes Wiborg/Viipuri, mit der die Evakuierung von 422.000 Einwohnern, gut 12 Prozent der Landesbevölkerung, verbunden war; ferner die Abtretung militärstrategisch sensibler Küstengebiete und, nicht weniger belastend, die Stationierung sowjetischer Truppen auf finnischem Boden, in Hangö/Hanko, gut 100 Kilometer südöstlich der Hauptstadt.

    Bedürfnis nach Revanche

    Der Friede vom März 1940 war in vielfacher Hinsicht schwer erträglich und förderte in der finnischen Gesellschaft und ebenso unter den Eliten des Landes zunehmend das Bedürfnis nach Grenzrevision und russophob unterfütterter Revanche. Im anschließenden Kriegsjahr 1941 suchte Helsinki bewusst die Nähe und schließlich die militärische Koalition mit dem nationalsozialistischen Deutschland, um als Flankenmacht in Hitlers „Unternehmen Barbarossa“ an der Vernichtung der UdSSR und der Austreibung eines als asiatisch dämonisierten Russlands bis hinter den Ural mitzuwirken. Als Hitlers Operation indessen früh scheiterte, entschied sich Finnland – mit Mannerheim als Schlüsselgestalt – spätestens seit dem Frühjahr 1943 für den einseitigen Austritt aus dem Krieg. In der Art, in der man im September 1944 schließlich erneut einen Frieden mit der UdSSR aushandelte, spiegelt sich wiederum die ältere, aus Finnlands Rolle im Zarenreich entlehnte Tradition der finnischen Politik – nämlich die Erkenntnis, dass angesichts einer mehr als 1300 Kilometer langen Landgrenze zur Sowjetunion, beziehungsweise zum heutigen Russland, die eigene staatliche Existenz und Souveränität nicht losgelöst von den geographischen Voraussetzungen des Landes betrachtet werden konnte (und kann).

    Politik der Selbst-Neutralisierung

    Auf dieser Grundlage entwickelte die finnische Staatsführung um die Präsidenten Paasikivi und Urho Kekkonen (1900–1986) in den Nachkriegsjahrzehnten eine Politik der Selbst-Neutralisierung, die seit den 1960er Jahren polemisch als „Finnlandisierung“ bezeichnet wurde. Als ideologisches Kampfvehikel entstammt der Begriff der „Finnlandisierung“ dem Arsenal westdeutscher Kalter-Kriegs-Rhetorik und geht auf Richard Löwenthal und Franz Josef Strauß zurück. Mit dem Hinweis auf das vermeintlich sowjetisch gleichgeschaltete und seiner Souveränität beraubte Finnland versuchten dezidiert antikommunistische Transatlantiker wie Strauß die im linken Parteienspektrum erwogene Neutralisierung der Bundesrepublik – oder eines wiedervereinigten Deutschlands – zu skandalisieren.

    Kekkonen hingegen wendete diese Stigmatisierungsversuche seinerzeit ins Positive und argumentierte, dass die Selbst-Neutralisierung und das gute Verhältnis Finnlands zur UdSSR nicht auf die ohnehin vernachlässigenswerte Beschränkung der eigenen Souveränität zu reduzieren sei. Die selbstgewählte und aus den Erfahrungen des Weltkriegs erwachsene „Finnlandisierung“ käme vielmehr erst vor dem Hintergrund des damit verbundenen Beitrags zur Sicherung des Friedens in Europa und zu einer fortgesetzten Entspannungspolitik zu ihrer vollen internationalen Geltung. Insofern sei das finnische Beispiel im aufgeheizten Klima des Blockkonflikts eher als modellhaft denn als Inkarnation von staatlicher Selbstaufgabe und bolschewistischer Unterwanderung zu verstehen.

    Was diese Politik dem Land in jedem Fall bewahrte, war in erster Linie seine Fortexistenz als nicht-sowjetisierter Staat. Je feiner dieser Modus zwischen Helsinki und Moskau austariert wurde, je mehr das Vertrauen der Sowjetführung in die Beständigkeit des guten Verhältnisses zu Finnland wuchs, desto nachhaltiger erweiterte sich auch der finnische Handlungsspielraum. Dies galt zweifelsohne im Inneren, wo das Land – bei aller strukturellen Abhängigkeit vom sowjetischen Markt und trotz Tendenzen zur vorauseilenden Selbstzensur – den Wohlfahrtstaat schwedischer Prägung zu übernehmen verstand und sich seine nationale und gesellschaftspolitische Eigenständigkeit bewahrte. Mehr noch ließ sich dies auch in den Außenbeziehungen und im Hinblick auf die Rolle des Landes im internationalen System beobachten. Auf Grundlage der gewachsenen Integration Finnlands in den nordischen Raum wurde insbesondere Kekkonen zum Stichwortgeber und – als sprichwörtlicher Sauna-Diplomat – zu einer der zentralen Figuren der Entspannungspolitik im Kalten Krieg.

    Was diese Politik dem Land in jedem Fall bewahrte, war in erster Linie seine Fortexistenz als nicht-sowjetisierter Staat / Foto – Treffen zwischen Urho Kekkonen und dem Generalsekretär der UdSSR, Leonid Breshnew, 1975 © PF-team/Pressfoto Zeeland/Press Photo Archive JOKA/Finnish Heritage Agency (JOKAPF3AiV02C:6), gemeinfrei
    Was diese Politik dem Land in jedem Fall bewahrte, war in erster Linie seine Fortexistenz als nicht-sowjetisierter Staat / Foto – Treffen zwischen Urho Kekkonen und dem Generalsekretär der UdSSR, Leonid Breshnew, 1975 © PF-team/Pressfoto Zeeland/Press Photo Archive JOKA/Finnish Heritage Agency (JOKAPF3AiV02C:6), gemeinfrei

    Entfremdung Finnlands von Russland

    Das in die Knochen der finnischen Entscheidungsträger übergegangene russlandpolitische Verhalten wirkte bis an den Rand unserer Gegenwart intensiv nach. Auch in der Zeit ultimativer russischer Schwäche, als mit dem Zusammenbruch der UdSSR die gesamte sowjetische Einflusssphäre in Ostmittel- und Südosteuropa abhanden kam, gab Helsinki die Prämissen seiner außen- und sicherheitspolitischen Doktrin nie völlig auf. Schien die Mitgliedschaft in der EG/EU mit dem 1. Januar 1995 eine gleichsam naturgemäße Evolution der Hinwendung Finnlands nach Europa zu sein, so schälte sich im Hinblick auf die NATO im Laufe der letzten drei Jahrzehnte ein fein austarierter Kompromiss heraus. Während Finnland sich auf militärisch-praktischer Ebene sanft dem westlichen Verteidigungsbündnis anzunähern begann, hielt man von einer etwaigen militärpolitischen Integration in die NATO stets Abstand. Dies geschah nicht nur aus kollektiv eingeübter Rücksichtnahme auf Moskau, wie im Verhalten Paasikivis und Kekkonens im Kalten Krieg angelegt, sondern auch aus der Erwägung, mit der eigenen gesellschaftspolitisch umfassenden Landesverteidigung auf etwaige militärische Bedrohungsszenarien mehr als ordentlich vorbereitet zu sein.

    Noch zu Jahresanfang musste ein solches Vorgehen als gesamtstrategisches Patentrezept und nicht zuletzt als innenpolitisch dauerhaft verankerter Kompromiss erscheinen. Putins Aggression gegen die Ukraine im Februar 2022 hat diese Gewissheiten indes innerhalb von Wochenfrist abgeräumt. Im Grunde beschreibt der von Olaf Scholz geprägte Begriff der „Zeitenwende“ die Entwicklungen in Finnland daher weit besser als jene Bemühungen der Bundesregierung, auf Putins Invasion der Ukraine, die entgrenzte russische Kriegführung oder auch den in jeder Hinsicht miserablen Zustand der Bundeswehr zu reagieren. Mit der nachdrücklichen Entfremdung Finnlands blickt Moskau nun in naher Zukunft auf eine wesentlich erweiterte, im Grunde verdoppelte Landgrenze zu Mitgliedsstaaten der NATO – und damit auf das Gegenteil dessen, was Putin in den Verhandlungen vor der Invasion ein ums andere Mal programmatisch ins Feld führte: das sicherheitspolitische Bedürfnis Russlands, der NATO die vormalig sowjetische Einflusszone in Ostmittel- und Südosteuropa möglichst entwinden zu wollen.


    1. Die historisch seinerzeit gebräuchlichen schwedischen Ortsbezeichnungen werden hier vorangestellt. Es folgt der finnische Ortsname. ↩︎

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  • Bilder vom Krieg #4

    Bilder vom Krieg #4

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Helena Lea Manhartsberger und Laila Sieber

    Links: eine leere russische Munitionskiste und zerstörtes Kriegsgerät in Butscha/Ukraine, Juni 2022
    Rechts: Oleksandra, 21, kurz vor der Ausgangssperre in Lwiw/Ukraine, Juni 2022
    © Helena Lea Manhartsberger und Laila Sieber

    Helena Lea Manhartsberger und Laila Sieber
    „Verschiedene Perspektiven erzählen“

    Am Abend, an dem wir Oleksandra in Lwiw treffen, ist die Stadt voller Menschen. Lautes Grölen schallt durch die Gassen. Das Grau ist dem Grün der Bäume gewichen. Und die Wintermäntel den kurzen Kleidern. Seit unserem letzten Aufenthalt in der Ukraine sind zwei Monate vergangen. Die sonnigen Tage lassen den Krieg abseits der Front jetzt noch surrealer erscheinen. In Lwiw haben die Cafés geöffnet und Alkohol darf wieder ausgeschenkt werden – zumindest bis 21 Uhr. Drei Gruppen von Männern in Camouflage und gelben Armbinden patrouillieren durch die Straßen. Sie gehören der Territorialverteidigung an, die überall im Land eingesetzt wird, auch um die eigenen Bürger*innen zu kontrollieren.
    Die Stimmung ist ausgelassen, aber die ersten Bars machen schon zu. Um 23 Uhr fängt die Ausgangssperre an. Oleksandra sitzt lässig auf dem linken Bein ihres Kumpels Wolodymyr. „Wir sind kein Paar“, sagt er „sie ist lesbisch. Wenn meine Freundin uns so sehen würde, wäre sie trotzdem ganz schön eifersüchtig.“ Die junge Frau schaut auf ihren Kumpel herunter und zieht eine Augenbraue hoch. „Danke fürs Outing,“ sagt sie, und fängt an zu erzählen:

    „Ich komme aus einer sehr konservativen Familie, mein Vater will nicht, dass meine Mutter arbeiten geht. Seit der Krieg angefangen hat, ist die Situation sehr angespannt. Mein Vater hat Angst, mobilisiert zu werden. Und wir alle haben Angst davor, wie viele Familien sind wir von seinem Einkommen abhängig. In der Ukraine sagt man: „Sprich nicht öffentlich über Probleme in der Familie.“ Und „Wenn er dich schlägt, liebt er dich.“ Auch von meiner Mutter höre ich diese Sprüche.
    Leider ist die Ukraine ein sehr konservatives Land. Die meisten Menschen sind religiös und die Rechte von Frauen und LGBT Personen sind eingeschränkt. Ich höre so oft – in meinem Job, in der Uni, im privaten Umfeld: „Du bist nur ein Mädchen, du bist nicht stark genug.“ Aber was ich momentan erlebe ist das Gegenteil. Die Frauen sind viel stärker als die Männer. Viele Frauen, die ich kenne, sagen, dass sie kämpfen würden, wenn es sein müsste. Ich würde es auch tun. Auch wenn die Gefahr für uns Frauen von überall ausgehen kann. Eine Soldatin, die an der Front gekämpft hat, wurde von ihren Kameraden vergewaltigt. Als sie darüber mit dem Kommandeur der Truppe geredet hat, sagte er zu ihr, sie müsse gehen. Wenn sie so über die Soldaten rede, würde sie die ukrainische Armee beschämen. Der Vorfall dürfe in der Kriegssituation nicht öffentlich gemacht werden. Sie sprach trotzdem darüber. Und wurde nach Hause geschickt. Der Mann, der sie vergewaltigte, ist weiterhin in der Truppe.
    Der schlimmste Satz derzeit ist: „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.“ Ich höre ihn ständig, wenn ich mich über die Situation von Frauen und LGBT Personen aufrege. Vor dem Krieg war es schon schlimm genug, aber jetzt ist es noch schlimmer, weil gar keine Kritik mehr erlaubt ist. Wenn ich mich darüber aufrege, wie Frauen beim Militär behandelt werden, beschimpfen mich alle – Männer und Frauen. Sie sagen zu mir: „Was willst du mit diesem Feminismus, jetzt ist nicht die Zeit dafür. Du fällst deinen Leuten in den Rücken, du musst die Armee unterstützen! Warum machst du die Soldaten schlecht? Warum konzentrierst du dich so sehr auf EINE vergewaltigte Frau?“ Ich sage ihnen, das ist nicht die einzige Frau, die vergewaltigt wurde. Es ist nur die erste, die sich bis jetzt getraut hat an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich kenne viele Frauen in der Armee. Alle haben Angst vergewaltigt zu werden.“

    Wir haben den ganzen März und drei Wochen im Juni gemeinsam in der Ukraine gearbeitet. Von Anfang an war es uns wichtig nicht nur Fotos zu zeigen, sondern auch den Geschichten der Menschen Raum zu geben, um die Situation in der Ukraine fernab des schnellen, tagesaktuellen Journalismus zu dokumentieren und dabei verschiedene Perspektiven zu erzählen. Auch, um die Vielschichtigkeit dieses Krieges aufzuzeigen, beschäftigen wir uns in unserer Arbeit vor allem mit Einzelschicksalen und persönlichen Geschichten. Dabei merken wir, dass viele Menschen über bestimmte Themen im Moment nicht sprechen wollen, weil sie Angst haben, dass ihre Kritik missverstanden werden könnte. Oleksandra ist eine der Wenigen, die sich traut, das offen anzusprechen.

    Jedem Portrait geht ein langes Gespräch voraus. Dabei wechseln wir uns ab, wer aufschreibt und wer fotografiert. Mit vielen Protagonist*innen sind wir in ständigem Kontakt und bei unserem zweiten Besuch im Juni haben wir einige wieder getroffen, Freundschaften sind entstanden. Wir erleben, wie sich die Stimmung der Menschen verändert, und ergänzen so unseren Blick von außen mit einem Blick von innen.

     

    HELENA LEA MANHARTSBERGER
    geboren 1987 in Innsbruck, lebt in Wien
    Studium Internationale Entwicklung an der Uni Wien, Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der HS Hannover und am DMJX in Aarhus, Fotografie am ISI Jogjakarta, Indonesien. Global Challenges and Sustainable Developments an der Angewandten in Wien und der Tongji University, Shanghai.
    Freie Foto- und Videojournalistin, Mitarbeiterin beim Verein ipsum und Teil des Selbstlaut Kollektivs.

    AUSSTELLUNGEN UND AUSZEICHNUNGEN (AUSWAHL)

    2022 – Fragmente des Krieges, Willy-Brandt Haus, Berlin
    2021 – sex work – lock down, Einzelausstellung, Reich für die Insel, Innsbruck
    2021 – VGH Fotopreis, Finalist, GAF Eisfabrik, Hannover
    2021 – Portraits Hellerau, Technische Sammlung Dresden
    2021 – Fotofestiwal Łódź, Polen
    2020 – LUMIX Festival für jungen Bildjournalismus, Hannover
    2020 – Athens Photo Festival, Benaki Museum, Griechenland
    2020 – Kassel Dummy Award und exhibition tour, shortlist 
    2019 – Kassel Dummy Award und exhibition tour, shortlist 
     
    2022 – RLB Kunstpreis
    2021 – Hellerau Portraits Award
    2021 – VGH Fotopreis (finalist)
    2020 – Digital Storytelling Award, LUMIX Festival für jungen Bildjournalismus
    2020 – Bird in Flight Price (finalist)

    PUBLIKATIONEN u.a. in Die Zeit, Der Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Stern Crime, Financial Times, Dummy, BBC 
     

    LAILA SIEBER
    geboren 1989 in Freiburg, Deutschland
    Studium der Audiovisuellen Medien an der Hochschule der Medien Stuttgart und Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover, sowie an der KASK School of Arts in Gent, Belgien.
    Freie Foto- und Videojournalistin, Mitbegründerin des Fotomagazins BLUME und visuelle Künstlerin. 

    AUSSTELLUNGEN UND AUSZEICHNUNGEN (AUSWAHL)
    2022 – Fragmente des Krieges, Willy-Brandt-Haus, Berlin
    2021 – Award of Excellence in CPOY 76 Spot News
    2019 – On poetry and what remains, Jaleh Galerie, Teheran, Iran (Einzelausstellung)
    2019 – Visa pour l’image, Perpignan, Frankreich
    2018 – LUMIX Festival für jungen Bildjournalismus, Hannover

    PUBLIKATIONEN u.a. in Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel, Al Jazeera, Süddeutsche Zeitung



    Fotos und Text: Helena Lea Manhartsberger und Laila Sieber
    Bildredaktion: Andy Heller
    Veröffentlicht am 28.06.2022
     

    Weitere Themen

    Fototagebuch aus Kyjiw

    Bilder vom Krieg #1

    Bilder vom Krieg #2

    Bilder vom Krieg #3

  • Putins permanenter Ausnahmezustand

    Putins permanenter Ausnahmezustand

    Alle politischen Handlungen und Motive lassen sich auf die Unterscheidung von Freund und Feind zurückführen, so schrieb es 1927 Carl Schmitt. Zahlreiche russische Politikwissenschaftler meinen, dass man den deutschen Philosophen lesen müsse, um die russische Politik zu verstehen. Schon seit geraumer Zeit stellt die Staatspropaganda Russland als eine „belagerte Festung“ dar: Die ausländischen Feinde hätten auch im Inneren ihre „Agenten“, sie alle zusammen wollen Russland genauso in die Knie zwingen wie schon in den 1990er Jahren, so die Verschwörungserzählung.

    Für viele Wissenschaftler bildet diese Erzählung die zentrale Legitimitätsbasis des Systems Putin: Da das Realeinkommen schon seit 2014 sinkt und der sogenannte Krim-Konsens auch an seine Grenzen stößt, bleibe dem Regime nur noch das Feindschema übrig, um sich nach innen zu legitimieren. Um dies fortzuerhalten, müsse der Kreml das Land in einem dauerhaften Ausnahmezustand halten – ein anderer zentraler Begriff aus der politischen Theorie von Carl Schmitt.

    In einem kurzen Beitrag auf Facebook beschreibt der Journalist Maxim Trudoljubow die Funktionsweise dieses Ausnahmezustands – und warum er ein integraler Bestandteil des Systems Putin ist.
     

    Krieg ist für Putin die natürliche Form der politischen Existenz. Solange er an der Macht ist, wird der Krieg nicht aufhören. Der Krieg und sein Regime sind untrennbar miteinander verbunden.

    Er hat mit einem Krieg angefangen (damals in Tschetschenien), und er wird mit einem Krieg aufhören. Wann immer sich der von ihm geschaffene Ausnahmezustand und die Kriegserregung legten und das Leben verdächtig ruhig wurde, verlor er an Unterstützung und zettelte einen neuen Krieg an. Sobald seine Kriege weniger Blut und Leid forderten, setzte er zu einer neuen Runde an. Tschetschenien, Georgien, Ukraine, Syrien, Ukraine.

    Putins gesamte Macht gründet auf dem Ausnahmezustand

    In Friedenszeiten konnte er der Gesellschaft nichts geben. Nicht einen einzigen Tag hat er während seiner Regierungszeit den De-facto-Ausnahmezustand ausgesetzt, der für einzelne Bevölkerungsgruppen und Gebiete immer wieder in einen De-facto-Kriegszustand überging.

    Putin muss keinen Krieg erklären oder den Ausnahmezustand verhängen, denn seine gesamte Macht gründet auf dem Ausnahmezustand. Er hat jederzeit Zugang zu sämtlichen Instrumenten der Gewalt, zu sämtlichen administrativen und finanziellen Ressourcen. Er kann Kriege beginnen und Kriege stoppen. Er kann Heilung bringen (indem er während des Direkten Drahts über medizinische Hilfe entscheidet). Er kann aus dem Nichts Dinge erschaffen: ein Haus, eine Brücke, eine Straße dort, wo es vorher keine gab und wo es beim normalen Lauf der Dinge – das heißt, wenn die Gesetze befolgt würden – auch keine geben könnte.

    Paradoxerweise würde die Ausrufung des Kriegsrechts oder des Ausnahmezustandes in Russland dem Präsidenten nicht die Hände lösen (die sind sie ihm sowieso nicht gebunden) oder die Verantwortung von ihm nehmen (die liegt sowieso nicht bei ihm, sondern bei sterblichen Beamten), sondern ihm im Gegenteil mehr Verantwortung geben. Er müsste auf die Frage antworten: „Wie, ging es bei diesem ganzen Krieg also nur um Sewerodonezk?“ Er müsste verborgene Möglichkeiten demonstrieren und Ressourcen auffahren, die es nicht gibt. Dieser Krieg legt die geringe Größe und die begrenzten Möglichkeiten des russischen Staates bloß, der in normalen Zeiten größer wirken will, als er ist, indem er die Backen aufbläst. Aber das zuzugeben, käme für Putin dem Tode gleich.

    Mal begrenzte Operation, mal Weltkrieg

    Dieser unausgesprochene Putinsche Dauer-Ausnahmezustand hilft ihm zu manövrieren. Es wäre für ihn von Nachteil, das als Krieg zu betrachten, weil eine „Spezialoperation“ es ihm erlaubt, die Ziele laufend zu ändern – mal von einer „Entnazifizierung“ der ganzen Ukraine zu sprechen, dann wieder von der Rettung der Bevölkerung im Donbass. Doch wann immer es ihm nützt, gibt er zu verstehen, dass es doch ein Krieg ist, nämlich ein Krieg gegen den gesamten NATO-Block, wie seine Propagandisten stellvertretend für ihn sagen. Auf diesen Krieg kann man alles schieben, er ermöglicht Geheimhaltung, erlaubt es, Ausgaben zu verbergen, Diebstähle, Fehler und sogar die Zahl der Toten zu verschweigen, Vorwürfe wegen wirtschaftlicher Probleme abzuwehren – „das ist alles der Feind!“. Deshalb ist es mal eine begrenzte Operation, mal ein Weltkrieg. Je nach medialer Situation.

    Putin wird nicht aufhören, weil er ohne den Krieg die Macht nicht halten kann

    Er wird nicht aufhören, weil er ohne den Krieg die Macht nicht halten kann. Sobald dieser Krieg vorbei ist – auf die eine oder andere Weise –, geht auch Putin zugrunde. Möge mit ihm nur auch der permanente Krieg zugrunde gehen.

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    Wer nicht Freund ist, ist Feind

    Endkampf gegen die Realität

    Die Rache der verdrängten Geschichte

    Was können wir denn dafür?

    FAQ #4: Kriegsverlauf in der Ukraine

    Russlands Passportisierung des Donbas

    Entfesselte Gewalt als Norm

    Infografik: Wer ist Freund, wer Feind?

    Was ist Krieg?

  • Podcast Prodolshenije Sledujet #1: Alles düster

    Podcast Prodolshenije Sledujet #1: Alles düster

    Können Sanktionen Putin stoppen? McDonalds, Zara, H&M haben in Russland dichtgemacht, und das ist erst der Anfang. Worauf man sich noch vorbereiten sollte – das kommentiert Journalist Pawel Kanygin in der neuesten Folge des Podcast Prodolshenije Sledujet und fragt:Ist das die Vergangenheit, oh Verzeihung, die Zukunft, zu der die Staatsführung unter Wladimir Putin die russischen Bürger verdammt hat, indem sie einen Krieg in Europa losgetreten hat?“

    Kanygin war lange Jahre Korrespondent der Novaya Gazeta, für die er auch 2014 aus dem Osten der Ukraine berichtet hat. Für seine investigativen Recherchen, unter anderem zum Abschuss der MH17, wurde er mehrfach ausgezeichnet. Auf YouTube betreibt er den Podcast Prodolshenije Sledujet (dt. „Fortsetzung folgt“). dekoder hat die aktuelle Ausgabe untertitelt und bietet Kontext:

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    Mehr Hintergrund:

    BYSTRO #34: Können Sanktionen Putin stoppen?

    Hintergründe zum Krieg in der Ukraine
        
    Mehr zu Problemen der russischen Wirtschaft – schon vor dem russischen Angriffskrieg: Bringen Sie uns bloß die Wirtschaft in Ordnung!

    „Worin liegt die Kraft, Bruder?“ („W tschom sila, brat?“) Christine Gölz über den russischen Kultfilm Brat.

    Sapsan: Die Siemens AG gab Mitte Mai 2022 bekannt, ihr Russlandgeschäft zu beenden. Ein historischer Rückblick auf rund 170 Jahre Geschäftsbeziehung.

    Mehr über das russische Gesundheitssystem in unserer Gnose.

    „Hoffentlich zumindest keine neuen Kriege. Dann doch lieber den orthodoxen Sowok als Nordkorea.“ Andrej Loschak schrieb schon 2018 über Putins Ideologen und einen „höllischen Brei, der sich da in den Köpfen zusammenbraut.“

    Mehr über Tschetschenien in unserer Gnose von Marit Cremer.


    Deutsche Untertitel von Jennie Seitz und Ruth Altenhofer/dekoder.org
    Der Podcast Prodolshenije Sledujet auf YouTube
    Original veröffentlicht am: 30.05.2022

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    Unsere Podcasts: dekoder zum Hören

    Krieg in der Ukraine – Hintergründe

    Sowjetische Propagandastrategien im heutigen Kriegsrussland

    Podcast #1: Hundert Jahre Revolution

    Podcast #2: Alles Propaganda?!

    Podcast #3: (Kein) Vertrauen in die Demokratie

  • Bilder vom Krieg #3

    Bilder vom Krieg #3

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: ​​Jędrzej Nowicki

    Glassplitter in Charkiw, 19. März 2022 / Foto © ​​Jędrzej Nowicki
    Glassplitter in Charkiw, 19. März 2022 / Foto © ​​Jędrzej Nowicki

    ​​Jędrzej Nowicki
    „Ein Funken Licht, selbst in dunkelsten Zeiten“

    [bilingbox]Das Foto mit Glassplittern vor einem stark zerstörten Wohnblock im Bezirk Saltiwka in Charkiw hat mir wieder einmal gezeigt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten einen Funken Licht gibt. Das Bild ist vom 19. März 2022. Charkiw befand sich damals mitten in einer brutalen Belagerung, und Saltiwka – einer der größten Schlafbezirke der Stadt – lag direkt an der Front. Tausende Bewohner von Charkiw lebten nur noch unter der Erde, die humanitäre Krise spitzte sich zu. Es war sehr bewegend und herzzerreißend, die zweitgrößte ukrainische Stadt zu dieser Zeit zu sehen. 

    Fast zwei Monate später fuhr ich wieder dorthin. Die russischen Truppen waren zurückgedrängt worden, Menschen kehrten zu den Ruinen ihrer Häuser zurück, das Leben normalisierte sich wieder. Es ist eine neue Normalität, doch war sie nicht von Dauer. Während ich diesen Text schreibe, steht Charkiw unter schwerem Beschuss – niemand weiß, was das bedeutet. Ist es einfach eine Mahnung der Russen, dass sie noch da sind, oder wollen sie vielleicht einen zweiten Totalangriff auf Charkiw starten? Also fahre ich wieder mit Helm und kugelsicherer Weste durch die Stadt. Erkundige mich ständig bei Einheimischen nach den sichersten Routen und Stadtteilen, wo es weniger gefährlich ist zu arbeiten.

    Kein einziges Leben wird zurückkommen, und es wird Jahrzehnte brauchen, bis dort wieder eine friedliche Region entstehen kann. Genau wie mein geliebtes Warschau Jahrzehnte brauchte, nachdem es vor 80 Jahren in Ruinen verwandelt wurde. Heute blüht der Flieder wieder und die Luft flirrt in den endlosen Sommernächten. Eine Stadt, die überlebt hat.

    Diese zutiefst menschliche Fähigkeit, immer Licht im Dunkel zu finden, treibt mich an als Fotograf und fasziniert mich als Mensch.~~~This photograph of shattered glass laying in front of a heavily damaged block in the Saltivka district of Kharkiv reminded me that even in the darkest times there always is a glimpse of light. The picture was taken on the 19th of March. Kharkiv was back then in the middle of a brutal siege and the Saltivka district – biggest dormitory suburb of the city – was its very frontline. Thousands of Kharkiv’s residents moved to live underground and humanitarian crisis was a pressing issue. To see Ukraine’s second-largest city at that time was a moving and rather heartbreaking experience. I decided to revisit Kharkiv after nearly 2 months. Russian troops had been pushed back, people started coming to their ruined houses, life was getting normal back again. New normality it is though and it is not given forever. As I’m writing this text now Kharkiv is being heavily shelled – no one knows what this might mean. Whether it’s just a reminder from Russians that they’re still there or maybe they will attempt to prepare a second full-scale attack on Kharkiv? So again I find myself driving around the city in a helmet and vest. Constantly checking with locals safest routes and neighbourhoods where it is relatively safe to work. 
    No lives will be returned and rebuilding a peaceful region will take decades.  

    As it took decades for my beloved city of Warsaw – turned into ruins some 80 years ago now blooming with lilac, with the air vibrating with the noise of endless summer nights. The city that survived. 
    This deeply humane ability to always find light in darkness is what drives me as a photographer and fascinates me as a human being.[/bilingbox]

     

    JĘDRZEJ NOWICKI

    geboren 1995, lebt in Warschau/Polen
    Er ist ein Dokumentarfotograf mit Fokus auf Osteuropa und bislang vor allem auf Belarus. Er hat auch im Nahen Osten und in Afrika gearbeitet.


    AUSSTELLUNGEN, STIPENDIEN UND AUSZEICHNUNGEN (AUSWAHL)

    2021 – World Report Award
    2021 – Luis Valtuena Award
    2019 – Ian Parry Scholarship


    PUBLIKATIONEN
    Le Monde, Die Zeit, Newsweek, The Guardian, The Wall Street Journal  uvm.


    Foto: ​​Jędrzej Nowicki
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Übersetzung aus dem Englischen: Friederike Meltendorf
    Veröffentlicht am 02.06.2022

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    Fototagebuch aus Kyjiw

    Bilder vom Krieg #1

    Bilder vom Krieg #2

  • Bilder vom Krieg #2

    Bilder vom Krieg #2

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Robin Hinsch

    Einkaufszentrum Retroville, Kyjiw, 2022 © Robin Hinsch
    Einkaufszentrum Retroville, Kyjiw, 2022 © Robin Hinsch

    ROBIN HINSCH
    „Auf diesem Parkplatz könnten auch wir stehen“

    Ich bereise die Ukraine seit 2010. In meiner Serie Kowitsch untersuche ich, wie die Lebenswirklichkeit der Menschen ständigen Veränderungen ausgesetzt ist. Ich fand und finde die Ukraine allein deshalb interessant, weil sie peripher und zentral zugleich ist und schon immer war. Bereits nach dem Zerfall der Sowjetunion gab ein Ringen um Einfluss auf das Land, ob nun aus Ost oder West. Dieser Zustand der Identitätsfindung oder des – im etwas überspitzen Sinne – nation building ist, was mich an der Ukraine interessiert. 

    Als ich Anfang März in Lwiw ankam, lag allgemeines Unbehagen in der Luft, unterstützt vom Dröhnen des Bombenalarms. Doch die Situation blieb noch diffus. Dies änderte sich schlagartig, als die ersten Raketen auch in Lwiw einschlugen. Immer drastischer wurde dieses Bild, je weiter ich in den Osten fuhr. Nach einiger Zeit im Südosten des Landes beschloss ich, nach Kyjiw zu fahren. In dieser Zeit schlug ein Iskander-Marschflugkörper in das Einkaufszentrum Retroville ein und hinterließ einen gigantischen Radius der Zerstörung. 

    Für mich steht dieses Bild stellvertretend für diesen entpersonalisierten Krieg, den Schrecken und das Leid, das Menschen sich gegenseitig zufügen können. Es ist ein Versuch im Betrachter, in der Betrachterin das Gefühl zu wecken, selbst auf diesem Parkplatz zu stehen.

     

    ROBIN HINSCH

    geboren 1987
    Er studierte Fotografie an der HfG Karlsruhe in der Klasse von Elger Esser, an der Hochschule Hannover bei Prof. Ralf Mayer und Prof. Rolf Nobel, an der HfBK Hamburg bei Silke Großmann und schloss sein Studium mit einem Master in Fotografie an der HAW Hamburg bei Prof. Vincent Kohlbecher ab. 

    AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)

    2022 – Kowitsch, Galerie Melike Bilir, Hamburg, Eröffnung am 2. Juni 2022, 19 Uhr

    2022 – Gute Aussichten, Haus der Fotografie, Hamburg

    2021 – Fotofestiwal, Lodz

    2020 – Willy Brandt Haus, Berlin

    STIPENDIEN UND AUSZEICHNUNGEN (AUSWAHL)

    2022 – PH Museum Photography Grant (Shortlist)
    2022 – Copenhagen Photo Award (Shortlist)
    2022 – Hellerau Portrait Award (Shortlist)
    2021 – Gute Aussichten Award
    2020 – Sony Grant

    PUBLIKATIONEN u.a. in Spiegel, CNN, Guardian, Rolling Stone, National Geographic, Süddeutsche Zeitung Magazin u.v.m.


    Foto: Robin Hinsch
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Veröffentlicht am 23.05.2022

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    Fototagebuch aus Kyjiw

    Bilder vom Krieg #1

  • Odessa

    Odessa

    Am 12. März 2022 fand sich eine große Menschenmenge vor Odessas1 Opernhaus ein. Chor und Symphonieorchester versammelten sich diesmal nicht im prunkvollen und kostspielig renovierten Kunsttempel, sondern unter freiem Himmel, der so blau strahlte wie die obere Hälfte der ukrainischen Flagge, die über ihnen schwebte. Angesichts des drohenden russischen Angriffs auf die Stadt machten die Musikerinnen und Musiker auf ihre Not aufmerksam und forderten die Einrichtung einer Flugverbotszone. Neben der ukrainischen Nationalhymne brachten sie die Ballade Es brüllt und stöhnt der breite Dnipro, die Vertonung eines Textes des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko, und den Gefangenenchor aus Verdis Oper Nabucco zu Gehör. Das entstandene Video wurde in sozialen Netzwerken tausende Male angeschaut. Es erzeugte eine große Resonanz, auch weil es auf drei Kontexte verwies, die die Geschichte Odessas bestimmten: Odessas Prägung durch die europäische Kultur, die Umbrüche, Eruptionen und vielfachen Neuerfindungen der Stadt seit ihrer Gründung und deren existentielle Bedrohung durch den russischen Angriffskrieg. 


    In Odessa trifft die pontische Steppe auf das Schwarze Meer: Unmittelbar bevor die Landschaft in die Küste des Golfs von Odessa übergeht, fallen die Terrassen schroff etwa 100 Metern ab. Wer Odessa mit dem Schiff ansteuert, dem treten die atemberaubenden Hügel entgegen – wie einst dem Katalanen José de Ribas im Jahr 1789. Damals eroberte de Ribas als Befehlshaber eines russischen Expeditionskorps die türkische Festung Hadschibey und das umliegende Dorf im Russisch-Türkischen Krieg (1787–1792). Katharina die Große ordnete im Jahr 1794 die Gründung der Stadt und des Hafens an, die nach einer antiken griechischen Kolonie – Odessos – benannt wurde. Innerhalb weniger Jahre wurde Odessa zu einer der wichtigsten Handelsstädte Europas, zum zentralen Getreidehafen des russländischen Imperiums und zum kulturellen Schmelztiegel. 

    Der Erfolg hatte aber auch seine Schattenseiten: Ökonomisch war Odessa konstant mit dem eigenen Fortschritt überfordert, sozioethnisch war die Stadt ein Pulverfass und militärisch-politisch war die exponierte Lage von Stadt und Hafen in globalen Handelsströmen und der Wirtschaftsgeografie des russländischen Imperiums eine Bedrohung. Mehrfach griffen Zarinnen und Zaren, „Revolutionsführer“ und Diktatoren nach Odessa. Gewalt von innen und außen, Verwüstungen und Wiederaufbauten prägen die Stadtgeschichte. 

    Tor zum globalen Handel

    Odessas Puls kann man fühlen: Der Hafen, die Straßen und Plätze vibrieren förmlich angesichts der vielen Spaziergänger:innen, zum Beispiel auf der nach José de Ribas benannten Flaniermeile Derybasiwska, und der zahlreichen Geschäfte, die etwa auf dem 1827 gegründeten „Privoz“-Markt getätigt werden. Im 19. Jahrhundert traf man hier Angehörige vieler Völker2: Alexander Puschkin, der im Jahr 1820 nach Süden verbannt wurde und zwei Jahre in Odessa verbrachte, schrieb in einem Gedicht, auf der „heiteren Straße“ spaziere „ein stolzer Slave, Franzose, Spanier, Armenier, Grieche und Moldauer“. 
    Das war nicht immer so: In den ersten Jahren stand die Sicherung der Stadt im militärischen Frontgebiet zum Osmanischen Reich im Vordergrund. Sie wurde zum Zentrum von Noworossija und zum Gouverneurssitz. Doch als sich der militärische Fokus Russlands auf den Kampf gegen Napoleons Frankreich richtete, der in den Vaterländischen Krieg (1812) mündete, begann Odessa Teil des global agierenden Getreidehandels zu werden. Die Rivalität zwischen dem von Napoleon dominierten Kontinentaleuropa und dem British Empire machten sich die Strategen Alexanders I. geschickt ökonomisch zu Nutze: Mit der Kontinentalsperre, die gegen Großbritannien gerichtet war und das Land wirtschaftlich ruinieren sollte, verloren die Häfen des Atlantiks an Bedeutung, Handelsströme verlagerten sich zunehmend an kleinere Häfen und in den Mittelmeer- und Schwarzmeerraum. Kaufleute hatten nun die Möglichkeit, über den Hafen von Odessa die reichen Ernten der ukrainischen Schwarzerdegebiete in neue Absatzmärkte einzubringen. Über Odessa gelangte Weizen nach Livorno, Marseille und Liverpool. Die ukrainischen Gebiete (und mit ihnen Odessa) wurden zur Kornkammer Europas.3 

    Die Aussicht auf schnellen Reichtum verwandelte Odessa von einer Frontierstadt zum Magneten für Kaufleute, Matrosen und Abenteurer, die ihr Glück an der Küste des Schwarzen Meeres versuchen wollten. Sie brachten nicht nur Geld, sondern auch Traditionen und Kultur. Die Universität (gegründet 1865) entwickelte sich ebenso wie ihre Vorgängerinstitution, das Lycée Richelieu, zu einem Leuchtturm der Wissenschaft. Und das Opernhaus, 1887 nach einem verheerenden Brand im Vorgängerbau komplett neu errichtet, war der in Stein gehauene Beweis für das reiche Kulturleben, das sich in der Stadt entfaltete: Hier sang Fjodor Schaljapin, hier dirigierten Pjotr Tschaikowski und Anton Rubinstein, hier tanzte Anna Pawlowa. Mit ihrer Aufführung von Verdis Gefangenenchor erinnerten die Musiker:innen 2022 an diese Tradition als kultureller Schatz Europas, wo „alles einen Hauch Europa versprüht“ – so Puschkin im gleichen Gedicht.


    Das Opernhaus war der in Stein gehauene Beweis für das reiche Kulturleben, das sich in der Stadt entfaltete / Foto © Wikimedia/Alexostrov unter CC BY-SA 3.0 

    Kriege, Revolutionen und Gewalt

    Am Kopf der weltberühmten Potemkinschen Treppe steht ein Denkmal für den Duc de Richelieu, einen der Gründungsväter der Stadt. An seinem Sockel befindet sich heute eine stilisierte Kanonenkugel, die an die Beschädigung des Denkmals angesichts des Bombardements im Krimkrieg (1853–1856) erinnert. Als eine britische und französische Expeditionsflotte am 22. April 1854 Odessa erreichte, wurde die Stadt schwer bombardiert, was zu Schäden an den Einrichtungen des Hafens und an dort angedockten Schiffen führte. Der zum Hafen hin gelegene Teil der Stadt wurde fast vollständig zerstört, 250 Menschen verloren ihr Leben.4 Der florierende Handel und die Lage am äußersten südwestlichen Rand des russländischen Imperiums machten Odessa immer wieder zum Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen. Kriege und Gewalt haben sich tief in die Stadtgeschichte eingeschrieben. 

    Nach dem Krimkrieg zogen sich einige griechische Familien aus der Stadt zurück. Ihre Plätze als Getreidehändler und Kaufleute nahmen nun Juden ein, die bis zum Ende des 19. Jahrhundert einen großen Teil der Stadtbevölkerung bildeten. 1897 gab fast ein Drittel der Bevölkerung Odessas an, Jiddisch sei ihre Muttersprache. Juden wurden in der unheilvollen Mischung von sich verschärfendem Nationalismus und Antisemitismus im Russländischen Reich für wirtschaftliche Missstände und soziale Not verantwortlich gemacht. Odessa erlebte zwei grausame Juden-Pogrome 1871 und 1881. Als Russland dann auch noch den russisch-japanischen Krieg 1904/05 verlor und sich infolge des Krieges die Getreideexporte aus Odessa halbierten, entfachten Teile der Stadtbevölkerung einen der schlimmsten Pogrome, den Russland bis dahin gesehen hatte. 

    Der Pogrom fand 1905 statt – im gleichen Jahr wie der später zum Mythos verklärte Aufstand der Matrosen auf dem Panzerkreuzer Potemkin und der Generalstreik in Odessa angesichts der ersten Russischen Revolution. Die den Kultstatus erlangte Verfilmung dieser Ereignisse von Sergej Eisenstein (1925) verbindet die Hafenansicht Odessas fest mit dem Thema Gewalt – die Schlüsselszene des Films zeigt die Potemkinsche Treppe, auf der Zivilisten von der zaristischen Armee brutal erschossen werden.


    Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges galt Odessa in den folgenden Jahren als Zentrum einer kritischen, teils liberalen, teils sozialistischen Öffentlichkeit. Nach Einbruch des Weltkriegs und dem darauffolgenden Bürgerkrieg erlebten die Stadtbewohner:innen Odessas viele Herrscherwechsel. Nach der Oktoberrevolution sollte Odessa Zentrum einer Sowjetrepublik werden. Im Frieden von Brest-Litowsk 1918 sicherte Sowjetrussland die Unabhängigkeit der Ukraine (und damit auch Odessas) zu, de facto geriet die Stadt aber unter die Kontrolle der Mittelmächte. Nach der Kapitulation Deutschlands und des Habsburgerreichs marschierte die Entente in Odessa ein, um General Denikin als Anführer der royalistischen Weißen im sowjetischen Bürgerkrieg zu unterstützen. Schließlich eroberten Bolschewiki 1920 die Stadt und sie wurde Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.5 

    Zehntausende verließen die Stadt Anfang der 1920er Jahre, die Versorgung der Stadt durch das Hinterland kam zum Erliegen. Neben dem Wiederaufbau forcierten die sowjetischen Behörden nun auch die „Ukrainisierung“ der Sowjetrepublik und setzten unter anderem den Schulunterricht in ukrainischer Sprache durch. Damit setzten sie sich deutlich von der imperialen Vergangenheit ab, in der die ukrainische Sprache aktiv und bewusst unterdrückt wurde. In Odessa gaben 1926 nur 17,6 Prozent der Bevölkerung an, ukrainische Muttersprachler:innen zu sein.6 Überraschenderweise fand der Umstieg auf ukrainischsprachigen Unterricht dennoch schmerzlos statt – es entzündete sich kaum Widerstand daran, dass nun in den Schulen das Ukrainische verbindlich gelehrt wurde. Odessa erholte sich rasch von den Verheerungen der Bürgerkriegsjahre (so verdoppelte sich unter anderem die Bevölkerungszahl binnen einer Dekade), doch diese Erholung fand durch die von Stalin forcierte Hungersnot in den 1930er Jahren und den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein jähes Ende. 

    Rumänisch-deutsche Truppen zwangen die Einwohner:innen nach der Schlacht von Odessa (1941) unter ihre Herrschaft. Die Schlacht kostete über 100.000 Menschen das Leben und verwüstete Stadt und Hafen. Die Region wurde zum Schauplatz des Holocausts. Insbesondere das Massaker von Odessa (22.–24. Oktober 1941), das der rumänische Staatsführer Ion Antonescu als Vergeltung für einen Partisanenanschlag anordnete, steht für den Furor der rumänisch-deutschen Gewalttäter. Ihm fiel ein Großteil der verbliebenen jüdischen Bevölkerung Odessas zum Opfer. Die Darbietung des Liedes Es brüllt und stöhnt der breite Dnipro verweist auf diese Zeit, denn damals wurde die von Danilo Kryschaniwski erdachte Melodie zum Erkennungszeichen des Radiosenders Dnipro und zum akustischen Signal des Widerstands gegen die Besatzung.

    Zwischen nationalen Fronten und kultureller Eigenständigkeit 

    Nur etwa 100 Meter hinter dem Richelieu-Denkmal befindet sich eine weitere Statue: Sie zeigt Katharina die Große überlebensgroß, zu ihren Füßen befinden sich die Gründungsväter der Stadt. Die Statue wurde im bolschewistischen Bildersturm der 1920er Jahre zerstört und erst 2007 wieder errichtet. Daran entzündete sich eine heftige Auseinandersetzung um den Umgang mit der imperialen Vergangenheit. Der Streit um das Denkmal verwies auf die ungelösten Probleme der Vergangenheitsbewältigung, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weitgehend überdeckt worden waren.

    Die Rote Armee eroberte Odessa 1944 zurück. Die Stadt, die den Status einer „Heldenstadt“ erlangte, hatte viele Einwohner:innen verloren. Doch Odessa verwandelte sich nun erneut. Ukrainer:innen aus den umliegenden Dörfern siedelten sich an. Damals begann die lange Reise Odessas von einer ehemals multiethnischen, globalen zu einer „normalen“ sowjetischen Großstadt, die in den 1970er Jahren abgeschlossen war. Zu dieser „Normalität“ gehörte auch, dass sich das Russische als lingua franca der Sowjetunion wieder stärker durchsetzte. Insbesondere in den 1970er Jahren verdrängte das Russische das Ukrainische auch in den Bereichen des Alltags, der Familie und des Privaten. Wie in anderen Teilen der Sowjetukraine bewegten sich Odessiten dennoch selbstverständlich zwischen beiden Welten. Das Pochen auf kulturelle Eigenständigkeit verdichtete sich in der oft gehörten Selbstzuschreibung der Bewohner:innen, Odessa sei weder ukrainisch (oder jüdisch), noch russisch, sondern einfach Odessa. 

    Dieses Selbstverständnis als kulturell eigenständige Stadt fußte auch auf dem Bild vom Odessa der Gauner und Banditen, das insbesondere durch die Werke Isaak Babels weit über die Stadtgrenzen hinaus wirkte. Der „Gaunerkönig“ Benja Krik in Babels Geschichte aus Odessa (erschienen 1931) galt als prototypischer Bewohner der Hafenstadt, in der Gewitztheit, Bauernschläue und knallhartes Durchsetzungsvermögen das eigene Fortkommen sicherten. Dieser Mythos wirkte auch in der Nachkriegszeit, und die Sehnsucht vieler Sowjetbürger:innen nach Zerstreuung in aufregend anderen Welten manifestierte sich besonders stark in der nostalgischen Verklärung der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Sie galt im Zeitalter der Massenmedien und des modernen Tourismus als eine Art Mississippi-Delta des Russländischen Reiches. Der in Odessa geborene berühmte Jazzmusiker Leonid Utjossow (1895-1982) etablierte den Mythos, das „Alte Odessa“ mit seinen verruchten Kneipen, Gangsterbünden und Klezmerbands sei die Keimzelle des Jazz im Russländischen Reich und der Sowjetunion gewesen. Musik, Literatur und Filme aus Odessa waren in der ganzen Sowjetunion zu hören, zu lesen und zu sehen. Auf diese Weise war Odessa auch Teil des russischen Alltags und des russischen kulturellen Gedächtnisses geworden.7 

    Das ukrainische Odessa

    Der spezielle Status der Stadt zwischen Ukraine und Russland wurde mit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 zur Herausforderung.. Die Ukraine war in den 1990er Jahren Teil des postsowjetischen Raums, orientierte sich aber auch in Richtung Europa. Für die Bewohner:innen von Odessa bedeutete das Identitätskonflikte. Noch 2004 war während der Orangenen Revolution ein Großteil Odessas auf Seiten der russlandfreundlichen Kräfte in Kyjiw. 
    Konflikte entzündeten sich nun an der Sprachenfrage: Einerseits entzogen sich viele russischsprachige Odessiten der Politisierung der Sprachenfrage durch Wladimir Putin (weil sie sich als russischsprechende Ukrainer:innen und nicht als bedrohte ethnische Minderheit verstanden), wehrten sich aber andererseits gegen eine sprachliche Ukrainisierung Odessas „von oben“ durch behördliche Anweisungen aus Kyjiw. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 streckte Wladimir Putin seine Hand auch in Richtung Odessa aus. Sein Projekt „Noworossija“ scheiterte aber vor allem am mangelnden Rückhalt der als „sicher russisch“ geglaubten Bevölkerung Odessas. Sie widersetzte sich einer Vereinnahmung durch die russische Propaganda. Dies, obwohl gewalttätige Auseinandersetzungen in einen Brand im russischen Gewerkschaftshaus mündeten, dem dutzende prorussische Aktivist:innen zum Opfer fielen. Die Suche nach Schuldigen gestaltete sich schwierig, und die ukrainische Regierung hat es bis heute versäumt, das Ereignis lückenlos aufzuklären. Die russische Propaganda nutzte die Angelegenheit jedenfalls, um von einem „Massaker“ an der russischen Bevölkerung zu sprechen. Doch dem Ansinnen Moskaus, diese Tragödie als Funken für einen politischen Flächenbrand zu nutzen, folgten die Bewohner:innen Odessas nicht.8 

    Angesichts des russischen Angriffskriegs und der unverhohlenen Drohung Russlands, zum Schlag auf Odessa anzusetzen, rückte die Stadt solidarisch zusammen. Binnen weniger Tage waren Panzersperren in der Stadt aufgestellt und die Denkmäler mit Sandsäcken geschützt. Das Konzert vor dem (wie schon im Zweiten Weltkrieg) befestigten Opernhaus setzte den Ton: Dem zu erwartenden Angriff setzte Odessa eine Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit als europäische Kulturstadt und den Mut der Entschlossenheit als wichtige ukrainische Handels- und Frontstadt entgegen. 


    1. Wie schreibt man ukrainische Städtenamen auf Deutsch? Kyjiw oder Kiew? Luhansk oder Lugansk? Das kommt darauf an, ob man den ukrainischen oder den russischen Namen bei der Übertragung ins Deutsche zugrunde legt. In dieser Gnose verwendet der Autor die ukrainischen Bezeichnungen – das gilt auch für Odessa. Diese Stadt wird zwar im Ukrainischen mit einem “s” geschrieben, jedoch ins Deutsche mit Doppel-s übertragen. Dadurch wird sichergestellt, dass das „s“ stimmlos gesprochen wird wie in „Kasse“ und nicht stimmhaft wie in „Riese“. ↩︎
    2. Schlögel, Karl (2015): Ach Odessa: Eine Stadt in der Zeit großer Erwartungen, in: Schlögel, Karl: Entscheidung in Kiew: Ukrainische Lektionen, München, S. 128f. ↩︎
    3. Hausmann, Guido (2021): „Kosmopolitisches Odessa? Eine historische Spurensuche“, in: Huber, Angela/Martin, Erik (Hrsg.): Metropolen des Ostens, S. 105-123, Berlin; Herlihy, Patricia (1986), Odessa: A History, 1794–1914, Cambridge (Mass.), S. 41 ↩︎
    4. King, Charles (2011): Odessa: Genius and Death in a City of Dreams, New York, S. 119-122 ↩︎
    5. Kappeler, Andreas (2015): Geschichte der Ukraine, Bonn, S. 167-176; Jobst, Christine (2015): Geschichte der Ukraine, Stuttgart, S. 162-179; Penter, Tanja (2000): Odessa 1917: Revolution an der Peripherie, Köln/Weimar/Wien ↩︎
    6. Pauly, Matthew D. (2011): ‘Odesa-Lektionen’: Die Ukrainisierung der Schule, der Behörden und der nationalen Identität in einer nicht-ukrainischen Stadt in den 1920er Jahren, in: Kappeler, Andreas (Hrsg.): Die Ukraine: Prozesse der Nationsbildung, Köln, Wien, S. 309-318, hier: S. 310 ↩︎
    7. King, Charles (2011): Odessa: Genius and Death in a City of Dreams, New York, S. 186-188; Belge, Boris (2018): Sehnsuchtsort Hafenmetropole Odessa, in: Blume, Dorlis/Brennecke, Christiana/Breymayer, Ursula u. a. (Hrsg.): Europa und das Meer, München, S. 181f. ↩︎
    8. Coynash, Halya (2015): More Evidence against Incendiary Lies about Odesa 2 May; Bidder, Benjamin (2014): Dutzende Brandopfer in Odessa –Tödlicher Hass ↩︎

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    Bilder vom Krieg #1

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: ELENA SUBACH

     

     

    Links: Eines der Zelte an der Grenze, in denen sich Flüchtlinge ausruhen, aufwärmen und medizinische Hilfe bekommen. Ushgorod, Ukraine, Februar 2022
    Rechts: Olena aus Charkiw in einem Schutzraum in Lwiw, ein kurzer Zwischenstopp auf ihrem Weg in die EU. Ukraine, April 2022
    Fotos © Elena Subach

    ELENA SUBACH
    „Wir spüren keine Zukunft mehr“

    [bilingbox]Ein Mensch aus Mariupol hat mir einmal gesagt: „Für die Evakuierung musste man eine andere Person werden – halb-leer und semi-neu. Anders hattest du keine Chance, aus der Stadt herauszukommen. Du wirst eine Person ohne Vergangenheit, denn sie wird dir weggenommen, ein Mensch, dessen Erinnerungen keine materielle Grundlage mehr haben. Du stehst ohne alles da, sogar ohne die Gräber deiner Eltern.“

    Die Fotos habe ich in Schutzräumen für Binnenflüchtlinge in Lwiw aufgenommen. Theater, Schulen, Bibliotheken, Kindergärten und Büros wurden in Schutzräume umgewandelt. Außerdem nehmen die Bewohner von Lwiw auch viele Menschen bei sich zu Hause auf. Lwiw in der Westukraine, die Stadt, in der ich lebe, ist heute ein wichtiger Fluchtort für mehr als 200.000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die wegen des Krieges von zu Hause fliehen mussten. Einige von ihnen werden nach Hause zurückkehren können, einige nicht, weil es nichts gibt, wohin sie zurückkehren können. Die Städte, aus denen sie kommen, sind womöglich dem Erdboden gleichgemacht, wie zum Beispiel Mariupol.

    In einem Team von Gleichgesinnten arbeite ich an einem Projekt, bei dem wir die Geschichten von Menschen aufzeichnen, die wegen des Kriegs gezwungen waren, von zu Hause zu fliehen. Das Ziel unseres Projekts ist eine Dokumentation mit Fakten und den tragischen persönlichen Geschichten dieser Menschen. Nach Fertigstellung wollen wir der Welt dieses Projekt zeigen, obwohl das wahrscheinlich noch lange dauern wird.

    Mein Ansatz beim Fotografieren ist mittlerweile ein anderer als in den ersten beiden Kriegswochen, als ich die Serie Chairs at the Border aufgenommen habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, ich dürfe den privaten Raum der Menschen nicht verletzten, denn es würde ihnen Zeit rauben, die sie brauchen, um sich von ihren Angehörigen zu verabschieden. Ich habe nicht gewagt, in ihre sowieso schon fragile und zerstörte Privatsphäre einzudringen, obwohl ich mir der historischen Bedeutung und Wichtigkeit des Moments bewusst war. Auch für mich selbst war alles seltsam, so dass ich mich auf die Suche nach Spuren der Anwesenheit von Menschen begab – das waren Dinge, die sie zurückgelassen hatten. Ich habe einige Stillleben fotografiert. Stühle mit Gegenständen, die dort noch lagen. Das waren für mich Inseln inmitten der Wellen von Menschen, auf denen man innehalten und kurz ausruhen konnte.

    Mittlerweile höre ich den Geschichten von Menschen zu und fotografiere sie dann. Manchmal unterhalten wir uns mehrere Stunden, denn jetzt haben sie Zeit und das Bedürfnis, uns von sich zu erzählen. Sehr oft setzen sich diese Bekanntschaften fort. Wir haben ihre Kontaktdaten und versuchen zu helfen, wo wir nur können.

    So entstand auch dieses Portrait von Olena, 44. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn Jaroslaw (1 Jahr und 7 Monate alt) und ihrer Schwiegermutter aus Charkiw geflohen. Ungefähr zehn Tage nach Kriegsbeginn war Olenas Mann aus dem Haus gegangen, um nach Wasser für die Familie zu suchen. Auf dem Rückweg geriet er in ein Feuergefecht, fiel in ein durch eine Explosion entstandenes Erdloch und brach sich ein Bein. Der Krankenwagen erreichte sie wegen der scharfen Kämpfe in dem Gebiet erst nach zwei Tagen. Nach einem Monat im Keller wurde das Kind allmählich krank und Olena beschloss, die Stadt zu verlassen. Sie stiegen in einen Zug, der Menschen evakuierte, und kamen nach Lwiw. Ihr Mann und ihre Mutter blieben in Charkiw.

    Im Krieg erinnern mich die Menschen mehr und mehr an Bäume. Sie sind stark und mächtig, die Tiefe ihrer Wurzeln ist um Vieles größer als die Höhe ihrer Stämme. Doch nun werden diese Bäume entwurzelt und weggeworfen. Nicht jeder kann sich tief genug eingraben, um wieder Wurzeln zu schlagen, nicht jeder wird im Frühling blühen und im Herbst gelbe Blätter kriegen. Wir, alle Ukrainer, spüren keine Zukunft mehr. Alles, was wir noch haben, sind Fragmente der Erinnerung an das, was vor Februar geschah. Aber viele von uns haben nichts mehr.~~~One guy from Mariupol once told me, “In order to be able to evacuate from there, you had to become a different person—half-empty and semi-new. Otherwise, you had no chance to leave the city. You become a person with no past as it has been taken away, a person whose memories have no material basis. There is nothing you are left with, not even the graves of your parents.“
    The photos you can see here were taken in Lviv shelters for internally displaced persons. Theaters, schools, libraries, kindergartens, and offices have been converted into shelters. Moreover, Lviv residents also take in many people at their own homes. Today, Lviv in Western Ukraine, the city, where I live, has become a great refuge for more than 200,000 Ukrainians who have been forced to flee their homes because of the war. Some of them will be able to get back home, and some will not because there will be nowhere to return to. The cities where they lived may be wiped off the face of the earth, as is the case with Mariupol. 
    With a team of like-minded people, I am working on a project which deals with recording the stories of people who were forced to flee their homes because of the war. The end goal of the project is the creation of a document of recorded facts and tragic personal stories of those people. We aim to show this document to the world when the project is ready, although I understand that this may not happen soon.

    Now my approach to taking photos is different from what it was during the creation of Chairs at the Border series in the first two weeks of the war. At that point in time, I felt that I could not violate people’s private space, because it would take their time, which they would rather like to use saying goodbye to their relatives. I did not dare to interfere in their already fragile and ruined private space, although I understood the historicity and importance of the moment. Also, for me personally, everything was strange, so I looked for traces of people’s presence—the things which remained after they left. I took a number of still life photos. I photographed chairs with the objects left on them, since they seemed to me like islands among waves of people, that is, places where one could stop and rest for a moment.

    Now I listen to people’s stories before taking their photos. Sometimes we talk for a few hours because now they have time for it and feel the need to tell us about themselves. Very often these acquaintances have a continuation. Having the contacts of the people, we try to help them as much as possible. 
    This is a portrait of Olena, 44. She fled Kharkiv with her young son Yaroslav, who is 1 year and 7 months old, and her mother-in-law. About 10 days after the start of the war, Olena’s husband left home to find and bring water to the family. On the way back, he came under gunfire, fell into a pit left after the explosion and broke his leg. The ambulance was able to reach them only in 2 days, because fierce battles were fought in their area. After a month of hiding in the basement, the child began to get sick and Olena decided to leave the city. They boarded an evacuation train and arrived in Lviv. Her husband and mother stayed in Kharkiv.

    In wartime, people remind me more and more of trees. They are strong and powerful, the depth of their roots is many times greater than the height of their trunks. However, now these trees are uprooted and thrown away. Not everyone can bury themselves enough to take root again, not everyone will bloom in spring and turn yellow in autumn. Now, all of us Ukrainians no longer feel the future. All we have left are the fragments of memories of everything that happened before February. But many of us have nothing left.[/bilingbox]

     

    ELENA SUBACH

    geboren 1980 in Tscherwonohrad, Ukraine
    Wirtschaftsstudium an der Staatlichen Universität Wolyn
    Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Nationalgalerie Lwiw, Kuratorin, visuelle Künstlerin

    AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)

    2022 – Home again, Willy-Brandt-Haus, Berlin

    2022 — In Ukraine, Gallery at Dobbin Mews, New York

    2021 — Odesa Photo Days festival, Who is next to you?, Museum of Odesa Modern Art

    2019 — City of Gardens, EEP Berlin (Einzelausstellung)

    2019 — Woven Matter at Unseen, Amsterdam

    2019 — Fotofestival Lodz


    PUBLIKATIONEN u. a. in Weltkunst, SZ Magazin, Vogue Polska, Guardian (UK)


    Fotos: Elena Subach
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Übersetzung: Friederike Meltendorf
    Veröffentlicht am: 10.05.2022

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    Fototagebuch aus Kyjiw

    Bilder vom Krieg #2

  • „Das ist ein Krieg, in dem die Bevölkerung nur verlieren kann“

    „Das ist ein Krieg, in dem die Bevölkerung nur verlieren kann“

    Im postapokalyptischen Moskau des Jahres 2033 fristen die Menschen ihr Leben in den Schächten der Metro, einzelne Stationen sind Staaten: kapitalistische, kommunistische, faschistische. In seiner Metro-Reihe zeichnet der russische Autor Dmitry Glukhovsky eine finstre Dystopie, die Bestseller wurden auch international zu einem Riesenerfolg. In seinem jüngsten Roman Outpost beschreibt er Russland nach einem Bürgerkrieg in naher Zukunft. Die deutsche Übersetzung stammt von den beiden dekoder-Übersetzerinnen Jennie Seitz und Maria Rajer.

    Heute gehört Glukhovsky zu den lautstärksten unabhängigen Stimmen in Russland. Er äußert sich regelmäßig zu aktuellen Fragen und gilt als ein scharfzüngiger Kritiker des Systems Putin. In der aktuellen Kollektivschuld-Debatte argumentiert er, dass nicht alle Russen Täter seien – und dass der russische Krieg gegen die Ukraine Putins Krieg sei. Meduza hat den Autor zu seinem Standpunkt interviewt, Glukhovsky hat die Fragen schriftlich beantwortet. 


    Update vom 8. Juni 2022: Unterschiedlichen Medienberichten zufolge wurde Glukhovsky in Russland zur Fahndung ausgeschrieben. Dem Bestseller-Autor wird die „Diskreditierung der russischen Armee“ vorgeworfen wegen eines Instagram-Posts vom 12. März, in dem der Beschuss von Mariupol zu sehen ist und Putin beinahe das Wort „Krieg“ in den Mund nimmt. Der entsprechende Paragraph des russischen Strafrechts sieht bis zu zehn Jahre Haft vor.  

    Pawel Merslikin: Wenn ich Sie richtig verstehe, vertreten Sie den Standpunkt, dass dieser Krieg ein Krieg Putins und nicht Russlands oder der russischen Bevölkerung ist. Warum glauben Sie, dass die Mehrheit der Russen diesen Krieg nicht unterstützt? Unterstützung kann es ja in vielen Abstufungen geben. Man kann morgens und abends Hymnen auf Putin und Schoigu singen, man kann aber auch schweigend zustimmen.

    Dmitry Glukhovsky: Wie wir bei der Sitzung des Sicherheitsrats gesehen haben, gab es nicht einmal in Putins engstem Umfeld einen Konsens zum Krieg. Die Entscheidung wurde hinter verschlossenen Türen getroffen, am Volk vorbei, das diesen Krieg nicht wollte, und sogar abseits des Großteils der politischen Klasse. Alle wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Um sich von ihrer persönlichen Verantwortung für den Krieg und die daraus resultierenden Verbrechen reinzuwaschen, haben die Entscheidungsträger danach begonnen, zuerst die ganze politische Klasse mit Blut zu beschmieren, dann die gesamte Bürokratie und schließlich, mittels TV-Propaganda, das ganze Volk.   

    Die Bevölkerung unterstützt, wie mir scheint, den Krieg aktiv zu etwa zehn Prozent – das ist ein reaktionäres, obskures Element, im Grunde faschistisch, auch wenn sie sich selber Patrioten nennen. Der Rest sucht entweder Zuflucht bei der Kriegs-Psychotherapie, um die post-covidale Depression loszuwerden, glaubt das Märchen von der Fortsetzung des Großen Vaterländischen Kriegs tatsächlich oder nickt einfach zustimmend, damit sie ver*** noch mal endlich ihre Ruhe vor den Umfragen haben. Diese Umfragen werden nämlich manchmal vom FSO durchführt, und so werden sie auch überall wahrgenommen.

    Widerstand gegen das Böse bedeutet das Risiko, allzu viel zu verlieren: mindestens die Arbeit, schlimmstenfalls die Freiheit

    Im Grunde ist jedes Unterlassen von Widerstand gegen das Böse eine Unterstützung des Bösen. Nur bedeutet Widerstand gegen das Böse in der persönlichen Überlebensstrategie eines durchschnittlichen Menschen das Risiko, allzu viel zu verlieren: mindestens die Arbeit, schlimmstenfalls die Freiheit. Der Gewinn hingegen ist schwammig: ein reines Gewissen.
    Ob es da nicht einfacher ist, sich zu sagen: Das ist nicht mein Bier, ich habe da keinen Einfluss drauf, so eindeutig ist es auch wieder nicht, dass die Ukrainer gut sind, überhaupt ist das alles das Werk der USA, wir wurden da reingezogen, wir hatten keine Wahl, mich geht das nichts an, und ich lebe weiter wie bisher? Und schon ist das Böse kein so großer Dorn mehr im Auge, und die kognitive Dissonanz ist ohne große Verluste überwunden.  

    Aber wenn morgen Frieden eintritt, werden alle, außer die zehn Prozent Reaktionäre, erleichtert aufatmen. Man kann den Russen Passivität und Obrigkeitshörigkeit vorwerfen, man muss aber auch bedenken, dass die Staatsmacht jede neue Generation gezielt politisch kastriert und den Menschen einbläut, dass nichts von ihnen abhängt und sie mit Protesten niemals irgendwas erreichen werden, außer sich Probleme einzuhandeln. 

    Man kann den Russen Passivität und Obrigkeitshörigkeit vorwerfen, man muss aber auch bedenken, dass die Staatsmacht jede neue Generation gezielt politisch kastriert

    Der ukrainische Maidan hat zweimal gesiegt – und das ukrainische Volk hat ein Gefühl der eigenen Macht und Rechtmäßigkeit bekommen. Bei uns sind Proteste immer niedergeschlagen worden oder von selbst im Sand verlaufen. Wir haben nicht das Gefühl, etwas verändern zu können. Wenn die Menschen gegen den Krieg protestieren und ihre Freiheit aufs Spiel setzen, dann nicht weil sie hoffen, ihn stoppen zu können, sondern weil sie sonst das Gefühl haben, Kollaborateure zu sein, die nichts unternommen haben.      

    Die Position „Das ist ausschließlich Putins Schuld, die Menschen können gar nichts dafür“ wird sehr oft von russischen Intellektuellen vertreten. Meinen Sie nicht, dass das auch eine Spritze Gegenpropaganda ist, um sich selbst zu beruhigen? Weil es viel leichter ist, in einer Welt mit einem einzigen Bösewicht zu leben als in einer mit zig Millionen – die dazu noch mit dir in einem Land leben?   

    Eben diese zig Millionen Bewohner meines Landes brauchen eine Therapie. Sie leben in Armut und Hoffnungslosigkeit, werden von ihrer Regierung täglich erniedrigt, verblödet und aufgehetzt. Ja, sie sind unglücklich und verärgert, aber eigentlich ärgern sie sich über die Regierung: Die verspricht ihnen seit 20 Jahren ein besseres Leben, selber lebt sie aber wie die Made im Speck, verprasst Milliarden für Yachten und goldene Klobürsten und überlässt die Menschen im Grunde ihrem Schicksal, sowohl in der Pest als auch im Krieg. Aber der Zorn verfehlt wegen eines Knicks im Rückgrat sein Ziel. Die emotional ungefährlichere Strategie ist es, jene zu hassen, die man ungestraft hassen darf. Im gegebenen Fall also die Ukrainer und den Westen.     

    Unsere Leute muss man füttern, trösten und aufklären, nicht zu Mittätern erklären und einen Vernichtungskrieg gegen sie führen. Das Ausmaß der Verantwortung des deutschen Volkes während der totalen Mobilisierung zum Kampf oder während der Massenhysterie der 1930er Jahre ist nicht dasselbe wie der Z-Fimmel und die V-Mimikry: Gott sei Dank sind heute beides nur Sofa-Krankheiten.       

    Unsere Leute muss man füttern, trösten und aufklären, nicht zu Mittätern erklären

    160.000 Soldaten und Offiziere sind am Krieg in der Ukraine beteiligt. Aber 140 Millionen Russen sind noch nicht mit ukrainischem Blut befleckt. Man muss ihnen die Möglichkeit geben, die Teilnahme an diesem Krieg zu verweigern – die tatsächliche und auch die emotionale.
    Putins Staatsapparat versucht, der ganzen Welt und dem Volk weiszumachen, dass dieser Krieg ein Krieg des Volkes ist, dass alle gemeinsam dafür einstehen und alle gemeinsam diese Suppe auslöffeln müssen. Aber jeder, dem das Schicksal Russlands nicht egal ist und der ihm wünscht, die imperiale Matrix möglichst bald hinter sich zu lassen und ein gesunder, moderner Staat zu werden, bewohnt von glücklichen Menschen, sollte sich Gedanken machen, wie man die Menschen aus diesem Bann befreien kann. Sie aus dem Bann befreien, statt sie zu Unmenschen zu erklären und sie bis aufs Blut zu bekämpfen. 

    Im Interview für Radio Swoboda erzählten Sie, wie Sie bei Ausbruch des Krieges überlegt hätten, ob Sie ihn sofort öffentlich verurteilen sollen. Und diese Überlegung hätte 30 Sekunden gedauert. Worüber genau haben Sie in diesen 30 Sekunden nachgedacht? Welche potentiellen Konsequenzen haben Sie gegeneinander abgewogen?

    Ich dachte, dass ich mich genau jetzt, in diesem Moment zur endgültigen politischen Emigration verdamme. Dass ich mich der Möglichkeit beraube, in Russland zu leben, solange Putin lebt. 

    Es gibt vieles, was mich an Moskau bindet. Freunde, geliebte Menschen, meine Kindheit. Die Kultur, die Luft, die Sprache. Meine Arbeit, gesellschaftliche Stellung, Eigentum. Der Gedanke, erst an meinem Lebensabend, oder vielleicht sogar nie, nach Hause zurückzukehren, ist sehr schwer zu ertragen. 

    Auf der anderen Waagschale liegt das Gefühl, ein Feigling und Verräter zu sein, klar zu begreifen, dass du dich gerade auf die Seite des Bösen stellst. Denn einen Eroberungs- und Bruderkrieg und die Bombardierung friedlicher Städte zu unterstützen, in denen deine Freunde vor den Raketen Schutz suchen, – das wäre mehr als schäbig. Erst recht, wenn du dir bewusst bist, dass die Gründe für diesen Krieg durchweg erlogen sind, und der Krieg selbst nicht nur bestialisch, sondern auch vollkommen sinnlos ist. 

    Wenn Sie kein erfolgreicher Schriftsteller wären, sondern ein ganz gewöhnlicher Bewohner einer russischen Kleinstadt mit einem Gehalt von 30.000 Rubel [400 Euro – dek], hätten Sie dann länger als 30 Sekunden überlegt?

    Schwer zu sagen. Seit ich erwachsen bin und bewusst nachdenke, habe ich versucht, mein Leben danach auszurichten, möglichst unabhängig vom Staat zu sein, um mir meine Freiheit zu bewahren – auch die Freiheit zu denken und frei zu sprechen. Die Tatsache, dass ich jetzt diese Freiheit habe und sie nutzen kann, dass ich immer noch diskutieren, den Krieg Krieg nennen und seine Beendigung fordern kann – das ist ein Ergebnis dieser Bemühungen.

    Die Bombardierung friedlicher Städte zu unterstützen, in denen deine Freunde vor den Raketen Schutz suchen, – das wäre mehr als schäbig

    Aber natürlich bestimmt das Sein das Bewusstsein. Die Bewohner einer gewöhnlichen russischen Kleinstadt fordern keine Freiheit, weil ihre anderen, und zwar grundlegenden, Bedürfnisse nicht befriedigt sind: allem voran ihre Sicherheit, dann der Lebensunterhalt, ein gewisser Wohlstand, ein Leben in Menschenwürde, basale Grundrechte. 

    Wenn die Menschen sagen, dass sie sich Stabilität wünschen, dann meinen sie, dass sie Angst haben, dieses kleine bisschen zu verlieren, das sie haben. Vielleicht haben sie nicht einmal genug, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. 

    Sie sprechen viel über Propaganda und dass sie verantwortlich ist für das Geschehen. Wie erklären Sie es sich, dass die Propaganda die Menschen davon überzeugen konnte, die Russen würden die Ukrainer von Nazis befreien? 

    Das erkläre ich damit, dass die Menschen 20 Jahre lang auf die Ukraine vorbereitet wurden. Als Putin an die Macht kam, hat er, sobald er erkannte, dass die Ukraine ein alternatives Gesellschaftsmodell bietet, Kurs auf ihre Unterwerfung und Destabilisierung genommen. Russland hat sich in alle ukrainischen Wahlen eingemischt und sehr heftig auf die Maidan-Proteste reagiert. Zudem wurde 20 Jahre lang aktiv ein Siegeskult betrieben und befördert. Die Ukrainer wurden Stück für Stück zum Feind stilisiert: mal zu einem blutrünstigen, mal zu einem erbärmlichen. Während die Russen sich über das Erbe des Sieges definierten. Der Boden war also bereitet. 

    Propaganda lenkt die Menschen von ihren realen Problemen ab

    Die Propaganda arbeitet nicht im Interesse des Volkes. Sie lenkt die Menschen von ihren realen Problemen ab, an denen die Regierung Schuld trägt. Sie beschützt die Regierung vor dem Volk. Das tut sie, indem sie Nebelkerzen von erfundenen und aufgebauschten Konflikten wirft und so die Wirklichkeit verhüllt.

    Sie arbeitet mit psychischen und emotionalen Bedürfnissen der Bevölkerung, indem sie ihr eine Psychotherapie aus der Hölle verpasst. Der Mensch ist im realen Leben rechtlos und erniedrigt, also suggeriert man ihm die Größe der Nation, deren Teil er sei. Er ist verbittert und frustriert, also zeigt man ihm ein Objekt, auf das er seine Wut richten kann. Er verspürt Unsicherheit und Panik, also erklärt man ihm, er sei direkt von seinem Sofa aus an einer großen Mission beteiligt, die seine Entbehrungen und Leiden rechtfertigt.

    Der Mensch ist im realen Leben rechtlos und erniedrigt, also suggeriert man ihm die Größe der Nation, deren Teil er sei

    Deswegen ist die Abhängigkeit von der Propaganda auch so groß, sie ist regelrecht eine emotionale Droge. Deswegen nehmen die Menschen diese fetten, hässlichen und selbstgefälligen Visagen, diese triefenden Lügenorakel von Perwy und Rossija auch so positiv auf, geradezu als wären es ihre TV-Verwandten aus Fahrenheit 451. Andernfalls würden Angst, Panik und Zorn von den Menschen Besitz ergreifen und sie auf die Straße treiben. Der große und ewige Krieg gegen den Westen, der Verrat durchs Brudervolk und ein Russland, das sich von den Knien erhebt und rächt – das sind die Trigger und Klischees bei dieser Therapie.

    Viele Intellektuelle, Historiker, Politologen, Soziologen sagen, der Hauptgrund für den Krieg sei sowjetisches Ressentiment. Die Menschen würden sich nach einer starken Heimat sehnen. Sie würden dem Westen zeigen wollen, wo der Hammer hängt. Sogar dann, wenn sie die Sowjetunion gar nicht selbst erlebt haben. Würden Sie dem zustimmen?

    Die Konfrontation der Menschen in Russland mit dem Westen und der Ukraine kommt daher, dass sie das eigene Leben ständig mit dem Leben dort vergleichen. Aber diese Konfrontation ist nicht im Interesse der Menschen, sie haben nichts davon. Der Staat wiederum weiß, dass seine Bürger ihr unzulängliches Leben zwangsläufig mit dem „dort drüben“ vergleichen werden, solange nicht ein eiserner Vorhang das Ganze hermetisch abschließt. Und die Menschen werden sich zurecht fragen, warum ihr Lebensstandard nicht nur im Vergleich zum Westen, sondern auch zur Ukraine so niedrig ist. Warum die Bevölkerung nicht nur im Westen sondern auch in der Ukraine einen Regierungswechsel herbeiführen kann, während man bei uns schon allein durch den Gedanken daran riskiert, dass es bei dir an der Tür klingelt.

    Hier schafft die Konfrontation Abhilfe. Weil wir nicht sie sind. Weil sie Schwule haben und wir Vater-Mutter-Kind. Weil unsere Großväter gekämpft haben und sie die Nachfahren von Faschisten sind. Weil wir das Ballett und die Olympiade haben. Raketen, Raketen und noch mal Raketen. Weil alle Angst vor uns haben. Weil wir die Allergrößten sind, darum. Weil alle uns zugrunde richten und unser Öl unter sich aufteilen wollen, Abyrwalg! Weil Russland keine wirtschaftliche Supermacht ist, sondern eine militärische, weil wir die Unseren nicht im Stich lassen, ich will nichts hören, ich will nichts hören, ich will nichts hören! Überhaupt, wie kann man Ozeanien mit Ostasien vergleichen, bei uns leben richtige Menschen, und da drüben Unmenschen.

    Man muss sich die eigene Armut irgendwie erklären, das eigene Elend rechtfertigen. Nur wie? Mit der eigenen Einzigartigkeit. Die Geschmacklosigkeit, Korrumpiertheit und Unglaubwürdigkeit des heutigen Regimes kann nur durch die stilistische Unfehlbarkeit und die furchteinflößende Reputation Russlands in seiner letzten Inkarnation wettgemacht werden. Ja, wir sind Zwerge, aber wir stehen auf den Schultern von Titanen. Ganz einfach.

    In welchem Maße macht es überhaupt Sinn, die Ursachen für die aktuellen Ereignisse in der Sowjetzeit zu suchen?

    Die Wurzeln der Ereignisse liegen in der imperialistischen Vergangenheit und dem imperialistischen Wesen des russischen Staates. Haben Sie sich nie gefragt, wie das geht, dass bei einer rechtsextremen Demo in ein und derselben Kolonne Porträts von Nikolaus II. und Josef Stalin zu sehen sind? Der Erste gewissermaßen der Kerkermeister des Zweiten, der Zweite der Henker des Ersten? Das ist tatsächlich überhaupt kein Widerspruch. Als Persönlichkeit interessiert der eine wie der andere die Russen nur am Rande, ihre ursprüngliche Bedeutung für die patriotische Bewegung ist rein symbolisch. Beide symbolisieren das russische Imperium auf dem Gipfel seiner Größe, auch wenn dieses Imperium in neuem Gewand daherkommt, mit bolschewistischem Rebranding, und nicht auf Konservierung, sondern auf Modernisierung abzielt. Aber das ist für die meisten gar nicht mehr wichtig. Wichtig ist, welche Gebiete wir uns einverleibt, wen wir unterworfen haben, wen gezwungen, in der Schule Russisch zu lernen.

    Alle Probleme, Komplexe und strukturellen Missstände resultieren genau aus Russlands imperialistischen Wesen

    Weil es in Wirklichkeit keine patriotische, sondern eine imperialistische Bewegung ist. Weil uns, im Gegensatz zu Frankreich und England, die Epoche des Postkolonialismus erst noch bevorsteht. Weil unsere Kolonien unmittelbar an das Mutterland angrenzen, mit ihm verwachsen sind, und sie zu verlieren heißt, Russland selbst zu zerreißen. Deswegen ist dieses Thema tabu, mit sieben Siegeln verschlossen, Russland kann sich nicht offen eingestehen, dass es bis zum heutigen Tage imperialistisch ist. 

    Im Gegenteil, unter der Flagge des antiimperialistischen Kampfes hat Russland den Einfluss Europas in den ehemaligen Kolonien unterwandert. Aber alle Probleme, Komplexe und strukturellen Missstände resultieren genau aus diesem imperialistischen Wesen. Daher rührt auch die Hysterie im Hinblick auf die Ukraine und der Wunsch, sich mal Georgien, mal Kasachstan, mal Armenien unter den Nagel zu reißen.

    Die Propaganda verkauft diesen Krieg als eine Fortsetzung des Großen Vaterländischen Krieges. Was denken Sie, sollte der Siegeskult der letzten 10 bis 15 Jahre die Gesellschaft auf den Krieg vorbereiten? Oder bedient sich die Regierung einfach eines bequemen Narrativs, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen?

    Die Regierung muss den Menschen ein Gefühl von Stolz auf ihr Land, auf die Heimat einflößen; denn Stolz berauscht und betäubt. Gründe, stolz zu sein, hat Putins Russland den Menschen kaum gegeben: nur die Krim und die Olympiade in Sotschi. Aber der olympische Sieg entpuppte sich am Ende als Betrug, er roch nach abgestandenem Urin.
    Auch die Krim ist ein zweifelhafter Triumph: der Sieg Kains über Abel – der jüngere Bruder schwächelt, und wir rammen ihm das Messer in den Rücken.
    Davor waren die Tschetschenienkriege, eine Katastrophe mit unklarem Ausgang, davor – der Zerfall der UdSSR, davor – Afghanistan, ebenfalls ein Reinfall. Und davor gab es lange nichts, nur die Zeit der Stagnation.

    Die Regierung muss den Menschen ein Gefühl von Stolz auf ihr Land, auf die Heimat einflößen; denn Stolz berauscht und betäubt

    Stolz könnte man auf Gagarins Flug sein – das wäre ein guter Grund, positiv und inspirierend, aber da kommt man nicht drumherum, einen Vergleich zur ver*** Idiotie der heutigen Leitung von Roskosmos zu ziehen und sich traurig und resigniert zu fragen, warum unsere Raketen heute nicht mehr fliegen (abgesehen von denen, die in ukrainischen Wohnhäusern einschlagen).

    Und damit hat es sich. Bleibt nur der Große Sieg. Seine Größe darf man nicht anzweifeln, sie ist heilig, geheiligt durch das Blut unserer Vorfahren: Die Opfer waren gigantisch, fast jede Familie hat jemanden verloren. Da hatte man ihn also gefunden, den Zement, der die letzte Amtsperiode Putins zusammengehalten hat. Und genauso, wie Schoigu sich Shukows Uniform überzieht, verkleidet sich auch der Staat. Er spricht und handelt immer mehr wie ein Schwerverbrecher, dabei durchlebt er natürlich eine schwere Persönlichkeitskrise: Sie wollen sich als Auserwählte und Helden fühlen, nicht als mittelmäßige Korruptionäre. In der altbekannten Pyramide der menschlichen Bedürfnisse hat unsere „Elite“ ihre Grundbedürfnisse längst gestillt, sich den Wanst mit Euromilliarden vollgeschlagen, und jetzt will sie die Herrscherin über die Meere sein.

    Dieser Stuss wurde irgendwann erfunden, um das Volk von Armut und Hoffnungslosigkeit abzulenken

    Zunächst kam die Krise der Selbstachtung, als man von Europa und den USA wollte, dass sie Russland unverzüglich als ebenbürtig anerkennen. Und jetzt sind wir, original nach Abraham Maslow [und seiner Bedürfnispyramide], beim Thema Selbstverwirklichung angelangt, bei der Verwirklichung unserer wahren Bestimmung; und siehe da, die Bestimmung ist genau die, die man dem Volk zehn Jahre lang eingeflößt hat: Krieg spielen. Oh weh, leider den Großen Vaterländischen. Und diese durchgeknallten Parasiten, denen in ihrem fortgeschrittenen Alter irgendwo tief drinnen aufgegangen ist, dass sie gelangweilte Banditen sind, haben selbst den Mist geglaubt, den sie dem Volk aufgetischt haben. Dass der Große Vaterländische Krieg nie aufgehört hat, dass sie die Nachkommen der Sieger sind, dass der Faschismus sein Haupt erhebt, dass sie die Heldentaten ihrer Großväter zu Ende bringen müssen.

    Dieser Stuss wurde irgendwann erfunden, um das Volk von Armut und Hoffnungslosigkeit abzulenken. Die Zyniker dachten, sie könnten im Fernsehtrog jeden Mist verfüttern. Das Problem ist, dass es bei uns keinen Intelligenztest gibt, um in die „Elite“ aufgenommen zu werden, und diese Elite ist dasselbe Lumpenproletariat und dieselbe Parteinomenklatur wie eh und je – aufgeladen mit den imperialen Komplexen und ebenjenem Chauvinismus.

    Die Elite ist dasselbe Lumpenproletariat und dieselbe Parteinomenklatur wie eh und je – aufgeladen mit imperialen Komplexen

    Deshalb hat die Elite selber dem Fernseher geglaubt. Die Zyniker wurden verblödet. Die „Eliten“ sind in eine phantastische Realität umgezogen, in der die Massen schon lebten. Noch schlimmer war, dass eine militärisch geprägte Religiosität ein Zeichen für Loyalität zu Putin wurde, und die Staatsbeamten fingen an, sich darin zu überbieten. Dennoch glaube ich, dass die Rhetorik vom Großen Vaterländischen Krieg nichts weiter ist als PR-Untermalung für eine imperiale Eroberungskampagne, der Versuch, sie reinzuwaschen und vor Kritik zu schützen, indem man ihr einen Heiligenschein aufsetzt.

    Sie halten diesen Krieg in vielerlei Hinsicht für einen Kolonialkrieg. Jetzt redet man schon offen davon, Russlands nächstes Ziel könnte Transnistrien sein. Was glauben Sie, ist Putin wirklich von der Idee einer neuen UdSSR besessen? Oder versucht er, mit diesem Krieg seine eigenen Probleme zu lösen? Länger im Amt zu bleiben? 

    Ich glaube, Putin kämpft in erster Linie gegen das Gefühl an, in der Geschichte eines großen Landes nur ein unbedeutender Mensch zu sein. Wie wir wissen, studiert er mit Begeisterung die Geschichte Russlands und muss sich natürlich mit seinen Vorgängern messen – zumal er schon länger im Amt ist als viele von ihnen. Er arbeitet daran, seinen Namen in die russische Geschichte einzuschreiben.     

    Putin, Gorbatschow, Chruschtschow, Stalin, Lenin, Nikolaus II., Alexander III., Katharina die Große, Peter der Große – und wofür stehe ich, was habe ich gemacht? Man soll mich bitte als den in Erinnerung behalten, der die Länder, die Gorbatschow verloren hat, wieder eingesammelt hat. Als jener Mann, der versucht hat, die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts zu korrigieren – den Zerfall der Sowjetunion!   

    Zumal das Volk, das sich nach der Ästhetik der Größe der Sowjetunion sehnt, der kommunistischen Leidenschaftlichkeit und dem sozialistischen Sozialpaket, nach zwei Jahrzehnten Idealisierung des Sowok durch das Staatsfernsehen ähnliche Träume hat.    

    Wird Russland diesen Krieg verlieren?

    Russland hat diesen Krieg schon verloren. Schweden und Finnland wollen in die NATO, die Allianz reicht nun direkt an Russlands Grenzen heran. Die USA und Europa sagen sich von russischen Energiequellen los. Wirtschaftlich hat das Land durch die Sanktionen einen schweren Schlag erlitten. 

    Putin hat Russland in Zugzwang gesetzt und damit sich selbst, denn wenn die russischen Geschichtsbücher einmal nicht mehr von den Rotenberg-Brüdern gedruckt werden, sondern von unabhängigen Verlagen, dann wird da über Putin nichts Gutes mehr drinstehen. 

    Meine große Angst ist, dass Putins Abdanken derart schwere tektonische Prozesse auslöst und unser Land erschüttert, dass die territoriale Integrität und die Existenz des ganzen Landes bedroht sein werden. Und natürlich ist das ein Krieg, in dem die Bevölkerung nur verlieren kann.

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