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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • November: Einst war hier das Meer

    November: Einst war hier das Meer

    Im November wird dekoder zu einer Galerie. Wir zeigen ein Kunstprojekt, das auf langsame Wahrnehmung angelegt ist, auf ein gemächliches Eintauchen – ein Projekt, in dem sich Bild und Text zu einer Einheit verbinden.

    Die Künstlerin und Fotografin Anastasia Khoroshilova nimmt in der russischen Fotografie-Szene eine Sonderstellung ein. Sie ist in Moskau geboren, hat an der Folkwang-Schule in Essen studiert und wohnt derzeit in Berlin. Ihre Sujets aber findet sie weiterhin in Russland, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf die Themen richtet, die den großen visuellen Narrativen entgehen: auf die subtilen Spuren, die das Leben des Einzelnen hinterlässt, auf das Schicksal der namenlosen Menschen, auf ihre Verletzlichkeit und immer wieder auf die russische Provinz. Mit deren Bildwelt und ihrem unaufhaltsamen, an ein stilles, unendlich langsam fortschreitendes Naturgeschehen erinnernden Wandel beschäftigt sich auch diese Arbeit. Ein Ort aus den Erzählungen von Turgenjew, zugleich Heimat der Vorfahren von Anastasia Khoroshilova, verwandelt sich über die mehr als zehn Jahre, die sie sich ihm fotografierend nähert, in eine Landschaft des Übriggebliebenen, eine zeitvergessene Lichtung, bis er allein aus verblassender Erinnerung zu bestehen scheint – kaum mehr als die Metapher seiner selbst.

    Anastasia Khoroshilova ist Mitglied der Deutschen Fotografischen Akademie und Dozentin an der Rodchenko School of Photography and Multimedia in Moskau. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzelausstellungen unter anderem in Wien, Tokyo, Toronto, Moskau und St. Petersburg gezeigt und sind in den Sammlungen des Stedelijk Museum, Amsterdam, der Pier 24 Photography Collection, San Francisco, und vielen anderen vertreten. Wir freuen uns besonders, dass die Fotografin uns ihre neue Arbeit Einst war hier das Meer zur online-Erstveröffentlichung anvertraut hat.

    Blick auf Beshin Lug (Beshin-Wiese), von Norden
    Blick auf Beshin Lug (Beshin-Wiese), von Norden

    Von 2003 bis 2004 habe ich an der Serie Beshin Lug (Beshin-Wiese) gearbeitet. Sie war den Realien des russischen Dorfes in postsowjetischer Zeit gewidmet. Die Reisen, die ich dafür machte, eher Expeditionen, dienten dem Ziel, dokumentarisches Fotomaterial für visuelle Forschung zu sammeln. Der Titel der Arbeit stand für mich damals in Zusammenhang mit russischen Werken, wie der gleichnamigen Erzählung von Iwan Turgenjew, dem Film von Sergej Eisenstein und dem Roman mit dem Titel Roman von Vladimir Sorokin. Inzwischen ist dieser Arbeitstitel für mich zu etwas Allgemeinerem geworden, zu einem Symbol dessen, was ich im sich verändernden Raum des russischen Dorfes entdeckte.

    Im Dorf Bogorodizkoje (aus der Serie Beshin Lug, 2004)
    Im Dorf Bogorodizkoje (aus der Serie Beshin Lug, 2004)

    2015 und 2016 habe ich mich dem Thema des russischen Dorfes erneut zugewandt. Die Veränderungen, die ich nun sah, erschienen mir noch grundlegender und unumkehrbarer. Der metaphorische Charakter dessen, was schon geschehen war und sich weiterhin vor meinen Augen abspielte, erhielt einen klar umrissenen Sinn: den des Verschwindens. Und so basiert die Arbeit Einst war hier das Meer auf der Metapher des Fortnehmens. 

    Im Dorf Chludnewo, Maria Iwanowna (aus der Serie Beshin Lug, 2004)
    Im Dorf Chludnewo, Maria Iwanowna (aus der Serie Beshin Lug, 2004)

    Die Ortschaften, die ich vor mehr als 10 Jahren besucht hatte, haben sich sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Dörfer verwandelten sich in Datschen-Siedlungen und wurden von Städten aufgesogen. Die abgelegenen Dörfer verschwinden – einerseits physisch, aber auch, nach und nach, aus der administrativen Topographie. Das Dorf beispielsweise, in dem mein Urgroßvater zur Welt kam, wurde fast vollständig von seinen Einwohnern verlassen.

    Die Aufnahmen entstanden vielfach an historischen „Turgenjewschen Orten” (in den Gebieten Orlow und Tula). Die historische Beshin-Wiese ist heute ein Ort, der gelegentlich von Touristen aufgesucht wird, ab und zu werden lokale Feste gefeiert. (Die Beshin-Wiese selbst liegt mitten in einem Wirrwarr elektrischer Leitungen, es gibt auch eine stillgelegte Sandgrube – unerlaubt in einem Schutzgebiet ausgehoben – und ein Privathaus am Rand der Wiese).

    In der Ortschaft Seljonaja Sloboda (aus der Serie Beshin Lug, 2004)
    In der Ortschaft Seljonaja Sloboda (aus der Serie Beshin Lug, 2004)

    Fast alle „Turgenjewschen Orte“, die einst existierten und die in das Leben der Einheimischen eingeschrieben sind, gibt es heute nur noch in den Akten des Katasteramtes. Man kann sie der Erinnerung nach ausfindig machen, oder anhand einer bestimmten Anordnung der Bäume und ihrer Arten.

    Das Projekt beschreibt das Dorf sozusagen als Grundtyp, verallgemeinernd. Auf den Bildern sind fast keine Menschen zu sehen, kaum Spuren ihrer Anwesenheit zu bemerken.

    Die Titel der Bilder ergeben sich aus dem dokumentatorischen Anspruch des Projekts. Sie bilden gemeinsam mit meinen Notizen den textuellen Teil der Arbeit.

    Anastasia Khoroshilova

    2016

     

    Im Dorf Nawolok
    Im Dorf Nawolok
    Wera Iwanowna Lusanowa. In Nawolok
    Wera Iwanowna Lusanowa. In Nawolok
    Maria Iwanowna. In der Ortschaft Pokrowskoje (Nishnjaja Ljubowscha)
    Maria Iwanowna. In der Ortschaft Pokrowskoje (Nishnjaja Ljubowscha)
    Beim Dorf Kolotowka
    Beim Dorf Kolotowka
    Im Dorf Beshin Lug, Haus des Generals (ehemalige Schule)
    Im Dorf Beshin Lug, Haus des Generals (ehemalige Schule)
    Valentina Fjodorowna Petrowa. Im Dorf Chotjash, Pooserje
    Valentina Fjodorowna Petrowa. Im Dorf Chotjash, Pooserje
    Слева: Деревня Велевашево. Справа: In der Ortschaft Golun. Pferdehof auf dem Gut der Grafen Golizyn
    Слева: Деревня Велевашево. Справа: In der Ortschaft Golun. Pferdehof auf dem Gut der Grafen Golizyn
    St.-Nikolas-Kirche auf Lipno, 13. Jh., Altarapsis
    St.-Nikolas-Kirche auf Lipno, 13. Jh., Altarapsis
    Viktor Iwanowitsch Jakowlew. Inseldorf Woizy
    Viktor Iwanowitsch Jakowlew. Inseldorf Woizy
    Bei der Ortschaft Pokrowskoje (Nishnaja Ljubowscha). Hauptstraße
    Bei der Ortschaft Pokrowskoje (Nishnaja Ljubowscha). Hauptstraße

    Früh am Morgen. Gestern war ich noch in Moskau, jetzt – auf Nowgoroder Boden. Nach zwölf Jahren bin ich wieder hier. Ich gehe schnellen Schrittes zur Anlegestelle am Ilmensee, wo ein Boot auf uns wartet. Mein Körper fühlt den Schlafmangel, der Rucksack hängt schwer auf den Schultern, das Stativ baumelt unbequem am Arm. Ich ärgere mich über mich selbst wegen dieser spontanen Idee, jetzt auf die Insel zu fahren – irgendwann später wäre das sicher auch noch möglich gewesen.

    An der Anlegestelle treffe ich Leute. Wir kommen ins Gespräch. Einer, in einem gestreiften Hemd, ist, wie sich herausstellt, ein bekannter russischer Schriftsteller. Eine andere, mit Strohhut, ist Restauratorin, Ehefrau eines Archäologen. Außerdem ist dort eine Künstlerfamilie. Sie sind mit ihren Kindern, verschlafen und in Wolldecken gepackt, zur Anlegestelle gekommen. Auch sie wollen nach Lipno hinüber.

    Das Wetter spielt nicht mit! Dicke Wolken ballen sich zusammen, es zieht wohl ein Gewitter auf. Wir sind jetzt schon über eine Stunde hier. Jelena (sie betreut ein Museum und begleitet uns) sagt, wir sollen noch ein wenig warten. Ich hatte keine Zeit zum Frühstücken, das lässt mich mein Magen jetzt spüren. Nochmal vergeht eine halbe Stunde.

    Endlich kommt aus einem Haus nebenan ein Fischer. Ich schaue zu, wie er ohne Eile zwei einfache, sehr alte Boote aneinanderbindet. Danach fängt er an, mit einer abgeschnittenen Flasche das Wasser aus ihnen herauszuschöpfen … „Man braucht ziemlich lange da rüber”, sagt er.

    Na gut, genug. Ich verzichte, sage, die Überfahrt sei für meine Fototausrüstung zu gefährlich. Die Frau mit Hut will auch nicht mehr zur Insel übersetzen. Die anderen tauschen Blicke, möchten aber anscheinend weiterhin fahren.

    Auf dem Weg ins Hotel wird mir klar: Auf die Insel muss ich trotz allem. An der Anlegestelle im Ort überrede ich den Besitzer eines Bootes, der Touristenfahrten auf dem Fluss Wolchow anbietet.

    Ich bin auf der Insel Lipno. Kämpfe mich durch hohe Sträuche und Gras. Brennnesseln brennen an den Beinen, einen Pfad gibt es nicht. Es ist sehr heiß, der Rucksack klebt am Rücken. Ich räume mir den Weg mit dem Stativ frei. Ich schaue zum Himmel: Ein Gewitter wird es doch nicht geben. Mit einem Mal sehe ich eine Kuppel, dann eine Apsis und schließlich finde ich mich vor einer Kirche wieder. Rundherum Stille. In der Ferne sind Vögel zu hören. Jelena macht die Tür auf, und wir treten hinein.

    Durch die Fenster fällt gedämpftes Licht in die Kirche. Die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Die Umrisse alter Gerüste von Restaurationsarbeiten zeichnen sich ab. An den Wänden erkenne ich Fresken. Jelena erzählt mir von der Geschichte der Kirche. Ihre Worte, bemerke ich bald, klingen wie von weit weg.

    Schweigend hole ich meinen Fotoapparat hervor. Wir sind allein. Es ist still, gelegentlich klickt der Verschluss. Ich fotografiere wenig. Ich spüre: Dieser Tag wird mir lange im Gedächtnis bleiben.

    Ich gehe hinaus. Sergej kommt zu mir herüber. Er lebt auf der Insel, mit seiner Mutter. Sie bleiben sogar den Winter über hier, mit Vorräten an Proviant und allem Nötigen, ohne Strom und Telefon. Sonst wohnt hier niemand.

    Sergej ist unleidlich, wir haben ihn gestört. Meine Frage, ob ich ihn fotografieren kann, wehrt er gleich ab, unterbricht mich grob, dreht sich von mir weg und geht. Das ist seine Insel und seine Kirche. Wir sind für ihn Zufallsbesuch, lästige Touristen.

    Wir kehren zum Boot zurück. Am Ufer treffen wir auf unsere Bekannten vom Vormittag: den Schriftsteller und die Künstlerfamilie. Sie haben es doch bis hierher geschafft. Über einem Lagerfeuer braten Fleischspieße. Wir unterhalten uns über das Wetter und über Moskau. Der Kapitän des Bootes schaut mürrisch auf seine Uhr.

    Anastasia Khoroshilova

    2015

     

    Im Dorf Beshin Lug
    Im Dorf Beshin Lug
    Links – Im Dorf Stekolnaja Slobodka. Rechts – Maria Iwanowna
    Links – Im Dorf Stekolnaja Slobodka. Rechts – Maria Iwanowna
    In Pokrowskoje (Nishnaja Ljubowscha). Historisches Zentrum der Ortschaft
    In Pokrowskoje (Nishnaja Ljubowscha). Historisches Zentrum der Ortschaft
    Das Örtchen Petrowskoje. Beim Gutshaus von Warwara Petrowna Turgenjewa, Teiche
    Das Örtchen Petrowskoje. Beim Gutshaus von Warwara Petrowna Turgenjewa, Teiche
    Ortschaft Wjashi-Sawerch, Verwaltungsgebäude
    Ortschaft Wjashi-Sawerch, Verwaltungsgebäude
    Links – im Dorf Tschastowa. Rechts – Pelageja Alexejewna Kuljabina, Dorf Guschtschino
    Links – im Dorf Tschastowa. Rechts – Pelageja Alexejewna Kuljabina, Dorf Guschtschino

    Ich kehre in das Dorf Beshin Lug (Beshin-Wiese) zurück. Seit genau einem Jahr war ich nicht mehr hier. Ich möchte noch einmal Maria Iwanowna fotografieren. Sie ist 86 Jahre alt und hat ihr ganzes Leben am gleichen Ort zugebracht. Ihr Haus an der Malenkaja-Straße finde ich recht schnell. Im Hof erwartet mich ihre Tochter. Ich bitte sie um Erlaubnis einzutreten.

    Maria Iwanowna spricht während der Aufnahme nicht, sie schaut nur unverwandt ins Objektiv. Meine Arbeit wird von ständigen Kommentaren der Tochter begleitet. Sie ist beunruhigt, dass der Ofen in ihrem Haus schief sei, und das Zimmer nicht mit Ruschniki geschmückt. Sie seien ganz stockig und vergammelt und zu nichts mehr gut. Sie will nicht, dass der Ofen ins Bild gerät.

    Maria Iwanowna sagt kein Wort und posiert geduldig, ohne ihre Tochter zu beachten.

    Ich bitte sie, sich für die letzte Aufnahme auf die Bank vor dem Hauseingang zu setzen. Wir gehen in den Hof hinaus. Maria Iwanowna geht hinter mir, setzt sich schweigend hin. Wir sprechen nicht miteinander. Für eine Weile sind nur die Klickgeräusche des Kameraverschlusses zu hören. Danach herrscht wieder Stille.

    Ich habe heute viel vor, muss noch an viele andere Orte. Ich bedanke mich und packe die Geräte zusammen und verabschiede mich.

    Maria Iwanowna nickt mir zu. Dann, auf einmal, winkt sie mich zu sich. Ich gehe zu ihr hin, und jetzt spricht sie das erste Mal mit mir: „Wollen Sie wissen, was hier früher war?“ „Ja, natürlich“, antworte ich höflich und richte mich auf eine Erzählung über die Kolchose ein, die es im Ort früher gab.

    Maria Iwanowna hält für einen Augenblick inne, schaut in die Ferne und sagt: „Einst war hier das Meer.“

    Dann geht sie ins Haus zurück.

    Anastasia Khoroshilova

    2016

     

    Inseldorf Woizy
    Inseldorf Woizy
    Links – beim Dorf Schelamowo. Lindenallee auf dem verschwundenen Gut Turgenjews. Rechts – Sergej Wasiljewitsch Tolstow, im Dorf Tschortowo
    Links – beim Dorf Schelamowo. Lindenallee auf dem verschwundenen Gut Turgenjews. Rechts – Sergej Wasiljewitsch Tolstow, im Dorf Tschortowo
    Im Dorf Speschnewo
    Im Dorf Speschnewo
    Speschnewo, Dorfplatz, Ruine der Kirche des Heiligen Johannes des Theologen
    Speschnewo, Dorfplatz, Ruine der Kirche des Heiligen Johannes des Theologen
    Beim Dorf Tschastowa, Fluss Msta
    Beim Dorf Tschastowa, Fluss Msta

    Fotos und Texte: Anastasia Khoroshilova
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko, einführender Text: Martin Krohs

    Weitere Themen

    März: Alexander Gronsky

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    Mai: Beim Volk der Mari

    Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

    Juli: Gefundene Fotos

    August: Olympia 1980

    September: Fischfang auf Sachalin

    Oktober: Restricted Areas

  • Oktober: Restricted Areas

    Oktober: Restricted Areas
    Dieselelektrisch betriebenes U-Boot, das größte jemals gebaute – Oblast Samara, 2013 / Fotos © Danila Tkachenko
    Dieselelektrisch betriebenes U-Boot, das größte jemals gebaute – Oblast Samara, 2013 / Fotos © Danila Tkachenko

    Was vom Fortschritt übrig bleibt: Danila Tkachenko fotografiert Relikte technischer Utopien im postsowjetischen Raum. Viele der Objekte befinden sich in Restricted Areas, ehemaligen Sperrzonen, die früher nur einem sehr engen Kreis von Mitarbeitern zugänglich waren. Einsam stehen die technischen Gebilde auf Tkachenkos Fotografien da, außerhalb aller Zivilisation, die Farbe ist bis auf ein Minimum zurückgenommen, die Zeit scheint in Schnee und Eis zum Stillstand gekommen zu sein.

    Danila Tkachenko (geboren 1989 in Moskau und Absolvent der dortigen Rodchenko School of Photography and Multimedia) begreift sich als Visual Artist, der mit den Mitteln der Dokumentarfotografie arbeitet. Zu seiner Serie Restricted Areas sagt er: „Ich suche auf meinen Reisen Orte, die einen großen Stellenwert für den technischen Fortschritt hatten und die nun verlassen sind. Diese Orte haben ihre Bedeutung verloren zusammen mit der utopischen, nun obsolet gewordenen Utopie: Die perfekte technokratische Zukunft, die nie eingetreten ist.“

    Tkachenko ist einer der wichtigsten Vertreter der jungen russischen Fotokunst. Für seine Serie Escape, die modernen Einsiedlern in Russland gewidmet ist, wurde er 2014 mit einem ersten Platz beim World Press Photo Award ausgezeichnet. Auch Restricted Areas (entstanden von 2013 bis 2015) wurde vielfach prämiert, das zugehörige Buch in fünf Sprachen übersetzt. Derzeit wird die Arbeit im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie in der traditionsreichen Ostberliner Fotogalerie Friedrichshain gezeigt, ergänzt durch Archivmaterial zu den abgebildeten Objekten. Die Ausstellung läuft bis zum 28. Oktober.

    Landekapseln für Rückkehr der Astronauten und Forschungsausrüstung zur Erde –  Kasachstan, Gebiet Qysylorda, 2013
    Landekapseln für Rückkehr der Astronauten und Forschungsausrüstung zur Erde – Kasachstan, Gebiet Qysylorda, 2013
    Verlassenes Observatorium – Kasachstan, Gebiet Almaty, 2015
    Verlassenes Observatorium – Kasachstan, Gebiet Almaty, 2015

     

    „Tschaika" – Antenne für Troposphärenfunk  – Russland, Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen, 2014
    „Tschaika“ – Antenne für Troposphärenfunk – Russland, Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen, 2014

     

    Berijew WWA–14, Amphibien-Flugzeug mit Senkrechtstart-Möglichkeit (VTOL) – Russland, Monino bei Moskau, 2013
    Berijew WWA–14, Amphibien-Flugzeug mit Senkrechtstart-Möglichkeit (VTOL) – Russland, Monino bei Moskau, 2013

     

    Förderpumpen auf einem erschöpften Ölfeld –  Russland, Republik Baschkortostan, 2014
    Förderpumpen auf einem erschöpften Ölfeld – Russland, Republik Baschkortostan, 2014

     

    Sarkophag über einem 4 km tiefen Bohrloch, seinerzeit eine der tiefsten wissenschaftlichen Bohrungen weltweit – Russland, Region Murmansk, 2013
    Sarkophag über einem 4 km tiefen Bohrloch, seinerzeit eine der tiefsten wissenschaftlichen Bohrungen weltweit – Russland, Region Murmansk, 2013

     

    Test auf Wasserkontaminierung in einem See bei Osjorsk (früher Tscheljabinsk-40). Im Jahr 1957 kam es hier zum ersten Kernkraftunfall; er wurde etwa 30 Jahre lang geheimgehalten. Die Stadt ist umgeben von Seen, die bis heute radioaktiv kontaminiert sind
    Test auf Wasserkontaminierung in einem See bei Osjorsk (früher Tscheljabinsk-40). Im Jahr 1957 kam es hier zum ersten Kernkraftunfall; er wurde etwa 30 Jahre lang geheimgehalten. Die Stadt ist umgeben von Seen, die bis heute radioaktiv kontaminiert sind

     

    Geborgenes Wrack des Passagierschiffs „Bulgaria“, bei dessen Untergang 122 Menschen ertrunken sind – Republik Tatarstan, 2014
    Geborgenes Wrack des Passagierschiffs „Bulgaria“, bei dessen Untergang 122 Menschen ertrunken sind – Republik Tatarstan, 2014

     

    Schutzschirm gegen die biologischen Einflüsse von Radarstrahlung – Kasachstan, Qaraghandy Gebiet, 2015
    Schutzschirm gegen die biologischen Einflüsse von Radarstrahlung – Kasachstan, Qaraghandy Gebiet, 2015

     

    Anlage zur Kohleverarbeitung. Russland – Republik Komi, 2014
    Anlage zur Kohleverarbeitung. Russland – Republik Komi, 2014

     

    Busludscha-Denkmal zu Ehren der sozialistischen Bewegung Bulgariens – Bulgarien, Chadschi Dimitar, 2015
    Busludscha-Denkmal zu Ehren der sozialistischen Bewegung Bulgariens – Bulgarien, Chadschi Dimitar, 2015

    Fotos: Danila Tkachenko
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko, Text: Martin Krohs
    Veröffentlicht am 01.10.2016

    Weitere Themen

    Februar: Gruppe TRIVA

    März: Alexander Gronsky

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    Mai: Beim Volk der Mari

    Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

    Juli: Gefundene Fotos

    August: Olympia 1980

    September: Fischfang auf Sachalin

  • September: Fischfang auf Sachalin

    September: Fischfang auf Sachalin

    Satt und speckig wölbt sich das Ölzeug des Fischers auf Deck, der Kabeljau im Tanzschwung schwebt prall vorm glasigen Himmel, eine bleigraue Welle scheint wie gewischtes Wachs, wie der Rand eines übergroßen Fingerabdrucks hinter der schwankenden Schaluppe zu stehen: In den Fotografien von Oleg Klimov gibt es kaum einmal eine Bildfläche. Die Gegenstände seiner Fotografie sind in höchstem Maße plastisch, es sind Dinge, Volumina, die Aufnahmen strotzen geradezu vor Relief und Tiefe.

    Mit solcher empfindungsstarker, sinnlicher Dokumentarfotografie ist Oleg Klimov (geb. 1964 in Tomsk, nun in Moskau lebend) zu einem der renommiertesten Reportagefotografen Russlands geworden. In den 1990er Jahren hat er als Kriegsfotograf die Konflikte des postsowjetischen Raums dokumentiert. Doch sein Thema ist schon immer auch das Wasser. Er machte die Wolga zum Inhalt seiner Arbeiten, drei Mal verbrachte er Monate am Weißmeer-Ostsee-Kanal, um sich mit einem fotografisch-forscherischen Projekt – Klimov ist studierter Astrophysiker – auf die Spuren des Zusammenhangs zwischen Bild und Politik zu begeben: Der Kanal wurde von Strafarbeitern erbaut, der Bauvorgang selbst vom großen sowjetischen Fotografen Alexander Rodtschenko in hochgradig ästhetisierender Weise dokumentiert, ohne jegliche Achtung des menschlichen Leids und Unrechts. Klimov, der einige Zeit Dozent an der zu Ehren Rodtschenkos benannten Schule für Fotografie und Multimedia in Moskau war, hat sich diesen Fall ethischer Blindheit des fotografischen Dokumentalisten auch schreibend zum Thema gemacht.

    Seit 2007 erforscht Klimov mit der Kamera die Meeresgrenzen Russlands, immer wieder kehrt er auf die Kurilen und die Insel Sachalin zurück. Dort, nördlich von Japan im Ochotskischen Meer, hat er die Fischer auf ihren Fahrten begleitet. Von den dabei entstandenen Aufnahmen werden einige hier erstmals gezeigt.

    Die Insel Sachalin gehört zur Oblast Sachalin – der einzigen Region Russlands, die sich vollständig über 59 Inseln erstreckt.

    Alles, was man aus der Oblast Sachalin verkaufen kann, ist Erdöl, Gas und Fisch.

    ​​Ein Fischer wirft einen Rochen über Bord, der sich zufällig im Netz verfangen hatte. Die Arten der Fische und ihre Anzahl sind durch Quoten begrenzt, weswegen der Rochen nur Platz wegnimmt auf dem Fischerboot № 47.
     

    Eigentlich fängt nur einer auf dem Schiff den Fisch – und zwar der Kapitän. Alle anderen helfen ihm dabei.Es werden „Küsten-“ von „Meeresarbeitern“ unterschieden. Letztere nennt man auch Mobr, von Matros-Obrabotschik: Matrose, der den Fisch zerlegt. Hier bereitet ein Mobr erstmal das Fangnetz vor.

    Fischer „schütten“ ihren Fang in den Laderaum des Fangschiffes Taimanija. Als Mobry arbeiten vor allem Einheimische.

    Die einfachen Obry, Fischverarbeiter zu Lande, brauchen keinerlei Qualifikation und sind meist Zugereiste, auf der Suche nach dem schnellen Geld.

    ​​Die Mobry erhalten ein Vielfaches an Gehalt gegenüber den Obry. Letzten Endes hängt die Höhe des Lohns auch von der Fangmenge ab.

    Ein gefangener Hai an Bord des Fangschiffs Star.

    Fischwilderer in der Terpenija-Bucht bei Poronaisk auf Sachalin. Wer kann, verkauft den Fang nicht in Russland, sondern in Japan, China oder Korea. Auch die Wilderer. Denn das bringt bedeutend mehr ein.

    Dorsch und Seelachs sind so rentabel wie die Öl- und Gasförderung auf Sachalin. 

    Die Menschen auf den Inseln leben in Armut und vom Fisch. Den verkaufen sie in Russland und Japan, die bis heute darüber streiten, zu wem die Inseln eigentlich gehören.

    ​​Fisch überall – selbst im Aufenthaltsbereich.

    Beliebter Zeitvertreib zwischen den Fangzeiten: Domino-Spiel auf einem Fischerboot.

    Die Fischer werden ähnlich wie Zeitarbeiter eingesetzt – sie bleiben für die gesamte Dauer der Fangfahrt auf dem Meer.

    Fisch satt: Eine Lachszucht auf den Kurilen.

    An der Küste gibt es kaum genügend Infrastruktur, wie sie die Sowjetbehörden nach 1945 eigentlich geplant hatten.

    ​​Die Fischverarbeiter sind meist Saisonkräfte. Sie kommen aus allen möglichen ehemaligen Sowjetrepubliken, aus Russland, aus China oder aus ärmeren Inselgegenden des Stillen Ozeans.

    Die Einheimischen nennen die Saisonarbeiter die „Zugezogenen“. Obwohl es auf den Kurilen keine wirklich Einheimischen gibt, letzten Endes besteht die große Mehrheit aus „Zugezogenen“.

    Da ein Teil des Fisches exportiert und nicht in Sachalin auf den Markt gebracht wird, ist der Fisch in den Geschäften vor Ort nicht günstiger als zum Beispiel in Moskau, manchmal sogar teurer.

    Ein Fischer fängt Lodden (die dort „Ujok“ genannt werden) an der Küste des Ochotskischen Meeres, unweit des Dorfes Wsmorje auf Sachalin.

    Fotos: Oleg Klimov
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko
    einführender Text: Martin Krohs
    Veröffentlicht am 02.09.2016

    Weitere Themen

    Januar: Backstage im Bolschoi

    Februar: Gruppe TRIVA

    März: Alexander Gronsky

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    Mai: Beim Volk der Mari

    Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

    Juli: Gefundene Fotos

    August: Olympia 1980

    Das Ochotskische Meer

    Omsk

  • August: Olympia 1980

    August: Olympia 1980

    August 2021 – der Monat der Olympischen Spiele in Tokio.

    41 Jahre vorher, im Jahr 1980, war Moskau der Ort der Spiele. Damals boykottierten die USA und viele westliche Staaten das Sportereignis – Auslöser war der sowjetische Einmarsch in Afghanistan.

    Die Fotografin Anastasia Tsayder hat sich angesehen, was heute noch in Moskau von den damaligen Spielen zeugt, wie die Architektur das Stadtbild prägt, wie die Sportstätten nun genutzt werden.

    Die Bauwerke stammen zum Großteil aus den Jahren 1975–1978. Ihre futuristische Architektur sollte die Hoffnung auf eine lichte Zukunft zum Ausdruck bringen. „Viele dieser Gebäude, die eigentlich als Botschafter aus der Zukunft entworfen wurden“, sagt die Fotografin zu ihrer Serie, „wirken heute wie außeridische Gäste aus der Vergangenheit.“

    Anastasia Tsayder wurde 1983 in St. Petersburg geboren, wo sie an der Fakultät für Fotokorrespondenten des Petersburger Journalistenverbands auch ihre Ausbildung erhalten hat. Sie lebt derzeit in Moskau. Ihre Arbeiten wurden international veröffentlicht (u. a. The Guardian, Die Zeit, WIRED, GEO, Prime Russian Magazine, Colta). 2015 war sie Finalistin des russischen Kandinsky-Preises, eines Analogons zum Londoner Turner Prize. Die hier gezeigten Fotos sind in den Jahren 2012–2014 entstanden.

    Der Sportkomplex Druzhba (dt. Freundschaft), fertiggestellt 1980, war der Wettkampfort für die Volleyballer. Heutzutage finden hier Tennismeisterschaften und Musikveranstaltungen statt. Fotos © Anastasia Tsayder
    Der Sportkomplex Druzhba (dt. Freundschaft), fertiggestellt 1980, war der Wettkampfort für die Volleyballer. Heutzutage finden hier Tennismeisterschaften und Musikveranstaltungen statt. Fotos © Anastasia Tsayder
    Turnhalle des Olympischen Sportkomplexes in Moskau. Die 1980 fertiggestelltе Sportanlage ist immer noch die größte in Europa. Während der Olympischen Spiele in Moskau fanden hier Wettkämpfe in 22 unterschiedlichen Disziplinen statt. Heutzutage gibt es hier Sport- und Musikveranstaltungen, außerdem Büros, Bars, Cafes, verschiedenste Geschäfte und einen Kleidermarkt.
    Turnhalle des Olympischen Sportkomplexes in Moskau. Die 1980 fertiggestelltе Sportanlage ist immer noch die größte in Europa. Während der Olympischen Spiele in Moskau fanden hier Wettkämpfe in 22 unterschiedlichen Disziplinen statt. Heutzutage gibt es hier Sport- und Musikveranstaltungen, außerdem Büros, Bars, Cafes, verschiedenste Geschäfte und einen Kleidermarkt.
    Schwimmhalle des Moskauer Olympiakomplexes
    Schwimmhalle des Moskauer Olympiakomplexes
    Punktrichter-Tribüne in der Krylatskoje-Arena. Das 2300-Meter-Becken für Kanu- und Rudersport wurde speziell für die Olympischen Sommerspiele in Moskau errichtet, wird seitdem allerdings nicht mehr regelmäßig genutzt.
    Punktrichter-Tribüne in der Krylatskoje-Arena. Das 2300-Meter-Becken für Kanu- und Rudersport wurde speziell für die Olympischen Sommerspiele in Moskau errichtet, wird seitdem allerdings nicht mehr regelmäßig genutzt.
    Außenansicht des Bitza-Reitsportstadions. Der 1980 errichtete Sportkomplex ist immer noch das größte Reitsportstadion in Europa. Während der Olympischen Spiele in Moskau fanden hier alle Pferdesport-Wettkämpfe statt. Der Komplex wird auch weiterhin für den Pferdesport genutzt.
    Außenansicht des Bitza-Reitsportstadions. Der 1980 errichtete Sportkomplex ist immer noch das größte Reitsportstadion in Europa. Während der Olympischen Spiele in Moskau fanden hier alle Pferdesport-Wettkämpfe statt. Der Komplex wird auch weiterhin für den Pferdesport genutzt.
    In den Gängen des Dynamo-Stadions. Der Dynamo-Sportpalast wurde 1980 eröffnet und war Austragungsort der Basketballwettkämpfe. Das Stadion, die Heimat des Fußballclubs Dynamo Moskau, wurde inzwischen fast vollständig abgerissen und wird derzeit in völlig neuer Form wieder aufgebaut.
    In den Gängen des Dynamo-Stadions. Der Dynamo-Sportpalast wurde 1980 eröffnet und war Austragungsort der Basketballwettkämpfe. Das Stadion, die Heimat des Fußballclubs Dynamo Moskau, wurde inzwischen fast vollständig abgerissen und wird derzeit in völlig neuer Form wieder aufgebaut.
    In der 1979 errichteten Sportanlage im Olympischen Dorf konnten die Sportler trainieren. Hier trainierten Schwimmer, Leichtathleten, Basketballer, Boxer und Gewichtheber. Auch heute noch findet hier Kampfsport- und Leichtathletiktraining für Kinder und Erwachsene statt; die Schwimmanlage ist in Betrieb.
    In der 1979 errichteten Sportanlage im Olympischen Dorf konnten die Sportler trainieren. Hier trainierten Schwimmer, Leichtathleten, Basketballer, Boxer und Gewichtheber. Auch heute noch findet hier Kampfsport- und Leichtathletiktraining für Kinder und Erwachsene statt; die Schwimmanlage ist in Betrieb.
    In der kleinen Gymnastikhalle des Olympiakomplexes turnten seinerzeit nicht die Kleinen – sondern die Großen ihrer Disziplin mit Band und Ball.
    In der kleinen Gymnastikhalle des Olympiakomplexes turnten seinerzeit nicht die Kleinen – sondern die Großen ihrer Disziplin mit Band und Ball.
    Die Reithalle des Bitza-Reitsportstadions wurde 1980 fertiggestellt und ist immer noch in Betrieb.
    Die Reithalle des Bitza-Reitsportstadions wurde 1980 fertiggestellt und ist immer noch in Betrieb.
    Das internationale Terminal am Flughafen Scheremetewo. Es wurde 1980 fertiggestellt, kurz bevor die Olympischen Spiele begannen. Während der Spiele wurden an diesem Terminal beinahe eine halbe Million internationaler Fluggäste abgefertigt.
    Das internationale Terminal am Flughafen Scheremetewo. Es wurde 1980 fertiggestellt, kurz bevor die Olympischen Spiele begannen. Während der Spiele wurden an diesem Terminal beinahe eine halbe Million internationaler Fluggäste abgefertigt.
    Die Lobby des Hotels Kosmos, das 1979 hauptsächlich für Besucher fertiggestellt wurde,   aber auch eines der Olympischen Pressezentren beherbergte.
    Die Lobby des Hotels Kosmos, das 1979 hauptsächlich für Besucher fertiggestellt wurde, aber auch eines der Olympischen Pressezentren beherbergte.
    Konzertsaal im Olympischen Dorf, hier konnten die Sportler pausieren. Während der Olympiade traten Folklore-Ensembles auf, es gab Theaterstücke und Disko. Heute ist das Gebäude eine Spielstätte der Moskauer Philharmonie.
    Konzertsaal im Olympischen Dorf, hier konnten die Sportler pausieren. Während der Olympiade traten Folklore-Ensembles auf, es gab Theaterstücke und Disko. Heute ist das Gebäude eine Spielstätte der Moskauer Philharmonie.
    Museum der Verteidigung Moskaus und Sitz der Staatsanwaltschaft. In diesem Gebäude waren das Pressezentrum und die Leitung des Olympischen Dorfs untergebracht.
    Museum der Verteidigung Moskaus und Sitz der Staatsanwaltschaft. In diesem Gebäude waren das Pressezentrum und die Leitung des Olympischen Dorfs untergebracht.
    Feuerschale für das Olympische Feuer in der Großen Sportarena des Lenin-Zentralstadions und das Maskottchen Mischa, der Bär. Das Maskottchen der Olympischen Sommerspiele 1980 wurde als Denkmal in Lushniki aufgestellt. Die Große Sportarena des Lenin-Zentralstadions in Lushniki war 1956 erbaut und für Olympia 1980 renoviert worden. Hier fand die Eröffnungs- und Abschlusszeremonie statt.
    Feuerschale für das Olympische Feuer in der Großen Sportarena des Lenin-Zentralstadions und das Maskottchen Mischa, der Bär. Das Maskottchen der Olympischen Sommerspiele 1980 wurde als Denkmal in Lushniki aufgestellt. Die Große Sportarena des Lenin-Zentralstadions in Lushniki war 1956 erbaut und für Olympia 1980 renoviert worden. Hier fand die Eröffnungs- und Abschlusszeremonie statt.

     

    Fotos: Anastasia Tsayder
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko
    Veröffentlicht am 01.08.0216, aktualisiert am 30.07.2021

     

    Weitere Themen

    März: Alexander Gronsky

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    Mai: Beim Volk der Mari

    Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

    Juli: Gefundene Fotos

    Moskau 1980: Die Olympischen Sommerspiele

  • Juli: Gefundene Fotos

    Juli: Gefundene Fotos

    Eine große Altbauwohnung in St. Petersburg. Die Wohnung steht leer, die Bewohner sind längst ausgezogen, längst verstorben. Es waren viele.

    Die Wohnung soll entrümpelt werden, das Alte soll fort, doch es sind Menschen vor Ort, die gerade für dieses Alte einen Blick haben: eine Gruppe Architekten und der Fotograf Max Sher. Ihm fallen Fotoalben der früheren Bewohner in die Hände. Aufnahmen aus den 1960ern, den 1970ern, den 1980ern. Der Fotograf ist Sohn eines Archäologen, und mit einem solchen Blick – einem archäologischen – macht er sich ans Betrachten.

     

    Gefundene Fotografien, Gebrauchsfotografie: Hinter den englischen Stichwörtern found photography und vernacular photography steht eine aktuelle Bewegung, die dem alltäglichen Bild einen hohen Wert beimisst. Die Fotos, mit denen sie arbeitet, entdeckt sie auf Flohmärkten, Dachböden, ja auf der Straße. Das gefundene Bild wird zum zufälligen Zeugnis eines Lebens, das real war wie das eigene, das noch nicht lang vergangen ist, das doch fremd bleibt und sich nie ganz erschließt. Sammeln und Zusammenstellen ist hier Forschung und Kunst zugleich.

    Die Fotos, die Max Sher in der Petersburger Wohnung fand, offenbaren auf doppelte Weise eine besondere Welt. Es ist die Zeit des Tauwetters, dann die Breshnew-Zeit. Eine schüchterne Romantik durchwehte die Sowjetunion, man war nicht mehr ständig beobachtet, nicht mehr alle, nicht auf Schritt und Tritt kontrolliert. Liedermacher sangen nicht von der Partei, sondern vom Leben. Und die Archäologie – sie spielt nicht nur beim forschenden Fotografen, sondern auch in den Fotoalben selbst eine wichtige, wenn auch kaum sichtbare Rolle – wurde zu einer Nische der Freiheit: Sie erlaubte es zu reisen, um zu forschen, auch denen, die keine Fachleute waren. Im Sommer „zu Ausgrabungen” zu fahren, in den Süden, in die Natur, wurde zum verbreiteten kleinen Abenteuer.

    Eine besondere Welt zeigen diese Bilder auch, weil die Alben aus einer Kommunalka stammen. Aus einer Wohnung, in der man zusammenlebte, ob man es wollte oder nicht: meist eine Familie pro Zimmer, oft die des Lehrers neben der der Schauspielerin, die der Professorin neben der des Säufers. Die Kommunalka ist legendär, im guten wie im üblen Sinne. Sie hat eine ganze Generation geprägt, mit ihrem Mangel an Privatheit, ihrem Zwang zum endlosen Improvisieren, den Streits, den Versöhnungen, den verschlungenen Geschichten, die sie gebar.

    Die Dame mit dem strengen Blick: Galina Babanskaja, geboren 1920 in dieser Wohnung, gestorben 2002 ebenfalls in dieser Wohnung. Sie war Ethnografin und Archäologin. Ihr gehörten die Alben, sie waren ihr persönliches Familienarchiv. Babanskajas erster Mann, Alexander Bernstam: einer der führenden Archäologen der UdSSR. Er starb 1956 – in dieser Wohnung –, nachdem die sowjetische Propaganda auf ihn als einen „kirgisischen Bourgeois” eingehackt hatte (Bernstam ist auf den Fotos nicht zu sehen, dafür aber mehrfach Galinas zweiter Mann, Wenjamin Awerbach, ein Ingenieur, gestorben 2009). Und, Verkettung von Umständen: Zwischen der Familie des Fotografen Max Sher und den Personen auf den Fotos gab es eine Verbindung, wenn auch nur eine haarfeine. Max Shers Vater war Bernstam einmal begegnet, 1951, das Treffen hatte seine Begeisterung für den zukünftigen Beruf geweckt. All das ließ sich nun nach und nach rekonstruieren.

    Alle hier gezeigten Fotos stammen aus den gefundenen Archiven, mit Ausnahme der quadratischen, die Max Sher in der Wohnung vor ihrer Entrümpelung aufgenommen hat. Max Sher ist 1975 in St. Petersburg, damals Leningrad, geboren, wuchs in Sibirien auf, studierte Linguistik in Kemerowo und Straßburg und wandte sich 2006 der Fotografie zu. Seine Fotografien sind international publiziert, waren nominiert unter anderem für den niederländischen Paul Huf Award und den Cord Prize. Aus seiner Arbeit mit gefundenen Fotografien ist ein Buch entstanden mit dem Titel A Remote Barely Audible Evening Waltz – ein Zitat aus einem Roman von Sascha Sokolov.

    Die Bilder in den Alben waren bereits vergessen, der Container, der sie vernichtet hätte, stand auf der Straße bereit. Sie wurden erhalten, und nun schauen wir, Fremde, sie an: Worüber diskutierten diese Menschen rauchend am Besprechungstisch? Wie klangen ihre Stimmen? Wer fotografierte die Troika der Stechfliegen? Wohin kämpfte sich der Bus durch die tauenden Schwaden von Schnee?

    Fotos: Max Sher
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko
    Text: Martin Krohs
    Veröffentlicht am 01.07.2016

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    Januar: Backstage im Bolschoi

    Februar: Gruppe TRIVA

    März: Alexander Gronsky

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    Mai: Beim Volk der Mari

    Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

  • Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

    Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

    60.000 Besucher, Musik von Blues über Reggae bis zur Elektronik, freier Eintritt, viel Natur und eine gewaltige Portion Idealismus: Beim Festival Pustye Kholmy, die „Leeren Hügel“, kommt einem unweigerlich Woodstock in den Sinn oder der Burning Man in Nevada. 

    Fast zehn Jahre lang trafen sich jedes Jahr im Juni musik- und sonnenhungrige Städter zum gemeinsamen Feiern und Chillen – immer in der Provinz, nicht zu weit von Moskau, in der Oblast Kaluga oder Smolensk, und immer an den Ufern von Flüssen oder Seen.

    Im Jahr 2011, bei einem der letzten grossen Leeren Hügel (die während des Festivals alles andere als leer sind), war der Fotograf Nikita Shokhov mit dabei. Shokhov, Jahrgang 1988, geboren in Ekaterinburg und zur Zeit dieser Aufnahmen noch Student an der Rodchenko School of Multimedia in Moskau, hatte sich zuvor schon als Fotograf des Moskauer Nachtlebens einen Namen gemacht. Auf dem Festival wechselte er nun vom Schummerlicht der Klubs in die pralle Sonne – ließ den Blitz aber auf dem Fotoapparat. „Der Blitz“, sagt Shokhov „bringt eine Übertreibung in die Körperoberflächen“ – und lässt sie mal besonders natürlich, mal fast künstlich-plastisch erscheinen. Nikita Shokhov hat 2014 einen dritten Platz im World Press Photo Award errungen und hat sich seit Neuestem einer sehr technischen Fotografie zugewandt: Er fängt das Fließen der Zeit in Aufnahmen mit einer Scanner-Kamera ein.

    Auch das „Festival der freien Schöpfungen“, wie sich die Leeren Hügel selber nannten, gibt es in dieser Form nicht mehr – Einzelprojekte aus dem Programm werden nun gesondert an anderen Orten fortgeführt. Es bleiben legendäre Erinnerungen und die nie versiegende Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Sommer, Freiheit und Musik.

     

    Fotos: Nikita Shokhov
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko, Text: Martin Krohs
    Veröffentlicht am 01.06.2016

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    Januar: Backstage im Bolschoi

    Februar: Gruppe TRIVA

    März: Alexander Gronsky

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    Mai: Beim Volk der Mari

    November: Arnold Veber

    Oktober: Denis Sinjakow

    Dezember: Norilsk

  • Mai: Beim Volk der Mari

    Mai: Beim Volk der Mari

    In unserer Zeit, heißt es, sei die Natur (wenn nicht die ganze Welt) entzaubert. Für diese Menschen gilt das sicher nicht: Die Mari aus der russischen Teilrepublik Mari El.

    Die Mari leben seit mindestens zweitausend Jahren am Flusssystem der mittleren Wolga und am Ural. Sie gehören zur Volksgruppe der Wolga-Finnen: Möglicherweise teilen sie ihre Ursprünge mit denen der baltischen Finnen, ihre Sprache, die zur finno-ugrischen Familie gehört, weist jedenfalls darauf hin. 

    Das Leben der Mari ist noch heute durchdrungen von einer altertümlichen Volksreligion, die das Leben in Einklang mit der Natur lehrt. Die Mari bezeichnen sich selbst oft als die letzten Heiden Russlands oder gar die letzten Heiden Europas. Wobei das nur mit Einschränkungen zutrifft, denn die meisten der ungefähr 650.000 Mari, die heute in Russland leben, sind getauft und Mitglieder der russisch-orthodoxen Kirche. Ihre Traditionen haben sie sich aber in der Tat bewahrt und sie sowohl gegen die Einflüsse des Christentums wie auch des sowjetischen Atheismus aufrecht erhalten.

    Die Mari nennen sich selbst die „kleinen Leute“, sie gelten als scheu, bescheiden und außerordentlich höflich. In ihrer Religion wird die Natur als belebt verstanden und niemals ausgebeutet, erst ihre Gaben machen das Dasein der Menschen möglich. Vielleicht war es die marische Strategie der Nicht-Konfrontation, des Ausweichens, die dem Volk das Überleben bis in die heutige Zeit ermöglicht hat: Der marische Begriff Ju kommt nach Ansicht einiger Forscher der Idee des chinesischen Dao oder dem Brahma der Hindu nahe.

    In heiligen Hainen werden die Götter verehrt, deren höchster der Große Weiße Gott ist: Osh Kugu Yumo. Unter den geringeren Göttern finden sich solche des Feuers und des Windes und zahlreiche Mischwesen aus Gott und Mensch. Die marischen Kultstätten sind meist in Waldgebieten und an Flussufern gelegen. In der Sowjetzeit wurden sie vernachlässigt oder gar zerstört. Seit der Perestroika hat die Kultur der Mari jedoch einen Aufschwung erlebt, heute werden an die 400 heilige Haine von den Mari wieder für ihre Zeremonien genutzt.

    Unsere Fotostrecke, aufgenommen von Oleg Ponomarev während mehrerer Reisen in ein marisches Dorf in den Jahren 2014–2015, zeigt zunächst Szenen aus dem alltäglichen Leben, dann Bilder von der großen alljährlichen Gebetszeremonie. Im Unterschied zur christlichen Religionen werden bei den Mari den Göttern auch Opfergaben dargebracht. Es folgen Aufnahmen vom Fest des Sommerbeginns – in der marischen Kultur ein Anlass, um der Toten zu gedenken. Den Abschluss bildet die Feier der Wintersonnenwende, Shory Kyol. Die Bewohner der Dörfer ziehen in Tiermasken durch die Häuser und bitten um Verköstigung: Nur wenn die Bedürfnisse der Tiere gestillt sind, kann auch der Mensch seiner natürlichen Bestimmung gemäß leben.

    Oleg Ponomarev ist 1988 in St. Petersburg (zu dieser Zeit noch Leningrad) geboren. Er hat an der Abteilung für Fotojournalismus der St. Petersburger Journalistenvereinigung studiert, außerdem an der Fotoschule Zekh von Sergey Maksimishin. Seine Arbeiten wurden in verschiedenen russischen Städten gezeigt, demnächst erscheint in National Geographic eine Fotoserie, in der Ponomarev durchleuchtete Gepäckstücke aus St. Petersburger Metrostationen präsentiert – mitsamt der in ihnen gefundenen, nicht immer für Metrofahrten prädestinierten Gegenstände.

    Fotos: Oleg Ponomarev
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko, Text: Martin Krohs

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    Januar: Backstage im Bolschoi

    Februar: Gruppe TRIVA

    März: Alexander Gronsky

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    November: Arnold Veber

    Oktober: Denis Sinjakow

    September: Olga Ludvig

    Dezember: Norilsk

  • April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    April: Liebe in Zeiten des Konflikts

    Wo Ukrainer und Russen aufeinandertreffen, gibt es heute meist böses Blut. Der Konflikt zwischen den Staaten hat zahllose Freundschaften zerstört und ganze Familien auseinandergerissen. Doch nicht jeder lässt sich anstecken vom Geist der Feindschaft, wie die Fotografin Oksana Yushko zeigt: Sie hat Paare besucht, bei denen der eine Partner aus der Ukraine stammt, der andere aus Russland. Bis vor kurzem lag in solchen Liebesbeziehungen nichts Besonderes, plötzlich aber werden sie zu Laboratorien der Verständigung: In ihrem täglichen Leben schaffen diese Paare sich Welten, in denen das Menschliche zählt, nicht die Politik.

    Oksana Yushko kommt aus der Pressefotografie. Sie hat die Journalismusschule der Zeitung Iswestija besucht, für russische und internationale Medien wie Stern, Mare, Financial Times und Russki Reporter gearbeitet und zuletzt den Prix Bayeux Calvados 2014 gewonnen. Sie selbst ist Russin, stammt aus einer russisch-ukrainischen Familie und lebt mit ihrem ukrainischen Partner Artur Bondar, ebenfalls einem Fotografen, in Moskau (die beiden sind auf dem letzten Bild unserer Serie zu sehen). Über ihr Projekt schreibt sie: „Ich selbst habe es nie so empfunden, dass Russen und Ukrainer etwas trennt. Ich sehe überhaupt keinen Unterschied. Seit meiner Schulzeit weiß ich, dass wir alle zusammengehören – nicht nur Russen und Ukrainer. Beim Reisen, wenn ich Freunde in allen möglichen Ländern besuche, empfinde ich das gleiche. Ich wollte von Liebe und Freundschaft berichten und nicht über Krieg und Aggression.“

    Engelina Georgijewna und Viktor Kusmitsch leben in der Ukraine, in Charkiw. Hier habe ich mit dem Fotoprojekt begonnen: mit meiner russischen Mutter und meinem ukrainischen Vater. Sie haben sich im Studium kennengelernt an der Staatlichen Universität Charkiw und leben seit mehr als 50 Jahren zusammen.

    Dima ist in Moskau geboren, Wlada kommt aus Kiew. Kennengelernt haben sie sich in Georgien und ihre Beziehung lange Zeit über große Entfernung aufrechterhalten. Jetzt leben sie mit ihrem einjährigen Sohn Lew in New York.

    Alexej ist Ukrainer, geboren in Odessa. Olga ist Russin. Ihre Liebesgeschichte begann drei Jahre bevor dieses Foto entstand. Olga machte damals Urlaub in Odessa und suchte einen Fotografen, der Bewerbungsfotos von ihr machen könnte. Alexej war der passende Mann. Mittlerweile lebt das Paar zusammen mit Töchterchen Lisa in der Nähe von Moskau.

    Bogdan ist Ukrainer, geboren und aufgewachsen in Rawa-Ruska in der West-Ukraine. Irina ist Russin und hat, bis sie 17 war, in Norilsk gelebt. Sie haben sich an einer Straßenkreuzung kennengelernt. Bogdan hatte dort mit seinem Motorrad angehalten und Irina gesagt, sie würde eine bezaubernde Schwiegertochter für seinen Vater abgeben. Sie leben seit über 25 Jahren zusammen.

    Tatjana ist Ukrainerin, geboren in Tschernihiw. Sergej ist Russe aus dem Gebiet Amur. Sie haben sich während ihres Studiums in Kiew kennengelernt. Tatjana hatte seit ihrer Schulzeit vom Fernen Osten geträumt, und Sergej lud sie zu sich nach Hause ein. Ein Jahr später waren sie verheiratet und in die Stadt Seja im Gebiet Amur gezogen. Sie sind seit mehr als 30 Jahren zusammen.

    Alexander Fjodorowitsch ist Russe, geboren in Sibirien. Er kämpfte im Großen Vaterländischen Krieg als Kapitän auf der Krim-Partisan. Irina Grigorjewna ist Ukrainerin. Sie leben seit fast 30 Jahren zusammen. Vor drei Jahren wurde bei Alexander Fjodorowitsch Alzheimer diagnostiziert. Sie leben auf der Krim.

    Julia und Edik sind in Horliwka in der Ost-Ukraine geboren. Julias Familie kommt aus Orenburg in Russland und aus Tscherkassy in der Ukraine. Ediks Eltern kommen aus Lipezk in Russland und dem Gebiet Donezk in der Ost-Ukraine. Heute sind Julia und Edik Flüchtlinge aus der Ost-Ukraine und leben mit ihrem vierjährigen Sohn Dima in Moskau.

    Alexander ist Ukrainer. Irina ist Russin. Am 7. August 2015 feierten sie ihr 33-jähriges Zusammensein. Ihre Liebesgeschichte begann beim Tanzen. Damals besuchte Alexander die Militärschule und Irina arbeitete als Krankenschwester. Sie reisen um die Welt und sammeln dabei Frösche als Glücksbringer.

    Dima kommt aus Russland, Sascha ist in der Ukraine geboren. Sascha ist Mitglied der internationalen Organisation FEMEN. Sie sind sich zum ersten Mal begegnet, als Dima als Fotograf eine Reportage über FEMEN in Kiew machen wollte. Damals begann ihre Beziehung. Jetzt leben Sascha und Dima in Paris.

    Irina ist Russin, Alexander ist aus der Ukraine. Seine Familie lebt in Tscherkassy in der Ukraine. Er hat Irina 2006 auf einer Geschäftsreise kennengelernt. Seither leben sie zusammen in Moskau. Im Jahr 2006 wurde ihr Sohn Nikita geboren.

    Waldis und Lejla haben letztes Jahr in Moskau geheiratet, aber die Hochzeitsnacht im Hotel Ukraina verbracht. Waldis ist aus Kiew, wo er gelebt hat, seit er zwei war, hierhergezogen, um mit Lejla zusammenzuleben. Sie sind sich am Ufer der Moskwa begegnet, es war Liebe auf den ersten Blick.

    Wladimir ist in Moskau geboren, Jewgenija ist aus Charkiw. Sie haben sich kennengelernt, als sie beide ihre Großmutter in einem Dorf im Gebiet Kursk besucht haben. Nach drei Jahren Fernbeziehung zog Jewgenija nach Moskau. Dort leben sie jetzt zusammen mit Töchterchen Arischa.

    Marina kommt aus Kiew, Jewgeni aus dem Gebiet Rostow in Russland. Sie leben mit ihren sechs Kindern in Moskau. Die Jüngste ist Xenija. Sie haben sich in einem Dorf in der Nähe von Moskau kennengelernt, in dem sie beide lebten. Jetzt wohnen sie in Pereslawl-Salesski, wo Jewgeni Priester ist.

    Waleri kommt aus der Ukraine, aus Odessa. Sweta lebt in Sankt-Petersburg, in Russland. Sie haben sich in Odessa kennengelernt, als Sweta dort zu Besuch war. Ein Jahr später haben Sweta und Waleri geheiratet. Sie mögen beide Yoga, andere Kulturen und exotische Dinge.

    Sergej kommt aus Donezk. Alla ist in Ufa, in Russland, geboren. Sie haben sich 2006 auf einem Forum der Orthodoxen Kirche in Kiew kennengelernt. Ein Jahr später zog Alla nach Kiew, wo das Paar seitdem lebt. Sie haben zwei Kinder, Dascha (7) und Ljoscha (3). Mindestens einmal im Jahr besuchen sie die Verwandten in Russland.

    Darija komm aus Sumi in der Ukraine, Maxim wurde in Karaganda geboren und zog später nach Woronesh in Russland. Seit einem halben Jahr leben sie in Moskau. Sie sind sich auf dem Weg von Kaluga nach Woronesh begegnet, wo sie durch eine Mitfahrgelegenheit zufällig im selben Auto saßen. Sie unterhielten sich die sechs Stunden auf dem Weg nach Woronesh ohne Pause, am nächsten Tag waren sie ein Paar.

    Igor ist im Gebiet Luhansk in der Ukraine geboren. Er ist Musiker. Olga ist aus Koroljow, aus dem Gebiet Moskau. Sie haben sich auf einem Konzert kennengelernt und sind seit mehr als 17 Jahren zusammen. Olga und Igor haben 2 Töchter, Jana und Veronika.

    Artur ist Ukrainer. Oksana ist Russin, aber sie ist in der Ukraine geboren. Ihre Mutter ist Russin, ihr Vater Ukrainer. Ihre Liebe begann vor drei Jahren. Mittlerweile arbeiten und reisen sie zusammen, besuchen Freunde und Familie in Russland, in der Ukraine und auf der ganzen Welt. Oksana ist die Fotografin dieser Serie.

    Fotos: Oksana Yushko
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko, Einführungstext: Martin Krohs
    Veröffentlicht am 03.04.2016

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    Januar: Backstage im Bolschoi

    Februar: Gruppe TRIVA

    März: Alexander Gronsky

    November: Arnold Veber

    Oktober: Denis Sinjakow

    September: Olga Ludvig

    Dezember: Norilsk

  • März: Alexander Gronsky

    März: Alexander Gronsky

    Wenige haben die aktuelle russische Fotografie der letzten Jahre so sehr geprägt wie Alexander Gronsky. Seine ruhigen, oft malerisch wirkenden Bilder, die seiltänzerisch an mehreren Grenzen zugleich entlangwandeln – der Grenze zwischen Stadt und Land, Romantik und Trostlosigkeit, Ernst und Ironie – sind längst zu einer Inspiration für die noch jüngere Generation geworden, die sich aus der visuellen Kultur Russlands nicht mehr wegdenken lässt.

    Gronsky ist 1980 im estnischen Tallinn geboren, begann als Autodidakt, wurde Reportagefotograf und siedelte nach Moskau um, an dessen ausgefransten Rändern die hier gezeigte Serie von 2008 bis 2012 auch entstand. Ihr Titel lautet Pastoral, doch anstatt von idealisierten Schäferszenen in bukolischer Idylle zeigt Gronsky Menschen im wüsten Raum des Phasenübergangs von Beton zu Grün: bald Inseln der heimatlichen Selbstverständlichkeit erschaffend, bald verloren wie Wanderer auf einem fernen, fremden Planeten.​

    Die Personen auf seinen Bildern wirken oft wie Modellfiguren, die von unsichtbarer Hand in die Szenerie hineinarrangiert sind, als Spielende, Speisende, Badende, Betende … Manche der Bilder könnte man geradezu für Collagen halten. Es ist hier aber alles echt: Gronsky ist auf endlosen Streifzügen mit einer analogen Mittelformatkamera unterwegs, seine Aufnahmen überarbeitet er nur minimal in technischen Parametern.

    Ein Fotograf der Grenzen: auch jener zwischen Ost und West. Im Baltikum aufgewachsen, war Gronsky die Geschichte der westlichen Fotografie präsenter als die der russischen, wie er selbst im Interview berichtet. Und sicherlich werden seine Bilder im Osten und im Westen auch ganz unterschiedlich gesehen. Für den Bewohner einer russischen Großstadt sind Gronskys Sujets der Alltag – „Der Blick aus meinem Fenster“, wie er im gleichen Interview sagt – ein Anblick, der so vertraut ist, dass es erst einen Fotografen braucht, um sich seiner bewusst zu werden.

    Wir westlichen Betrachter hingegen sind vielleicht erst einmal frappiert vom Unerwarteten, können kaum glauben, dass sich all dies wirklich an ein und demselben Ort befindet: Wie kommt der Strand zwischen die Plattenbauten? Stehen die Kühltürme tatsächlich auf der Streuobstwiese? Wieso ragt hinter der Urwald-Tarzanschaukel der Siebzehnstöcker vor? All das lässt den Betrachter in einer gewissen Ratlosigkeit zurück, stachelt aber auch die visuelle Neugier an in einer Weise, wie es keine wirklich exotische Landschaft zu tun vermöchte.

    Alexander Gronsky gewann 2010 den Paul Huf Award des Amsterdamer Fotomagazins Foam. Er ist Träger des Aperture Portfolio Prize 2009 und wurde beim World Press Photo Award 2012 mit einem 3. Platz der Kategorie daily life stories ausgezeichnet. Seine Werke wurden in Einzelausstellungen in Paris, Amsterdam, New York und natürlich in Moskau gezeigt.

    Fotos: Alexander Gronsky
    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko, Text: Martin Krohs
    Veröffentlicht am 01.03.2016

    Weitere Themen

    Januar: Backstage im Bolschoi

    Februar: Gruppe TRIVA

    November: Arnold Veber

    Oktober: Denis Sinjakow

    September: Olga Ludvig

    Dezember: Norilsk

  • Februar: Gruppe TRIVA

    Februar: Gruppe TRIVA
    A. Trofimow, W. Worobjow, W. Sokolajew
    A. Trofimow, W. Worobjow, W. Sokolajew

    War jemand in der UdSSR von Beruf Fotograf, so arbeitete er für eine Zeitung, einen Betrieb oder eine staatliche Stelle wie das Standesamt. Für den Beruf des „freien Fotografen“, sei es als Künstler oder als Journalist, gab es im sowjetischen Staat keinen Raum. Umso interessanter sind daher Initiativen wie die Gruppe TRIVA, ein Zusammenschluss dreier Betriebsfotografen beim Metallurgischen Kombinat im sibirischen Nowokusnezk, die es sich 1978 zur Aufgabe machten, „die derzeitige Epoche aus der Position des Humanismus fotografisch zu dokumentieren”.

    Die Mitglieder von TRIVA – Wladimir Sokolajew, Wladimir Worobjow und Alexander Trofimow – arbeiteten nicht fürs private Archiv. Sie waren als „künstlerisches Kollektiv“ offiziell registriert und organisierten Ausstellungen ihrer Werke, teils in den Räumen ihres eigenen Kombinats, teils in anderen Städten und sogar im Ausland (mehr Details hier auf Russisch). Dabei mussten sie die Besonderheiten ihres sowjetischen Umfelds in Betracht ziehen: „Natürlich gab es diesen Parteisekretär für Ideologie“, erinnert sich Sokolajew, „das war ein Typ mit Einfluss, und wenn wir eine Ausstellung machten, dann mussten wir das berücksichtigen. Aber was du nicht ausstellst, dafür gibt es auch keinen Parteisekretär für Ideologie. Er läuft dir ja nicht hinterher, wenn du fotografierst, und schaut dir über die Schulter. Er weiß nicht, welche Bilder ich im Apparat habe, welche Abzüge ich mache, was ich Freunden zeige.“

    Vier Jahre lang ging die Arbeit gut. 1982 gelang es TRIVA sogar, ihre Fotografien beim World Press Photo Award einzureichen. Der erste Schritt zur Internationalisierung bedeutete jedoch auch das Ende von TRIVA: Auf „Empfehlung des Bezirkskomitees der KPdSU“ wurde die Gruppe aufgelöst, da sie „ideologisch schädliche Fotografien“ hervorbringe.

    Die Arbeiten der Gruppe sind heute wenig bekannt, selbst in Russland. Dabei steht ihre außergewöhnliche Qualität völlig außer Frage: Die Herangehensweise von TRIVA läßt sich – mit ihrem Augenmerk auf den entscheidenden Augenblick im Strom des Alltäglichen – durchaus mit der von Cartier-Bresson vergleichen. In ihrer fotografischen Unmittelbarkeit bieten diese Bilder einen Einblick ins Alltagsleben der UdSSR unter Breshnew, während der Zeit der Stagnation, wie er in anderen Zeitzeugnissen – dem Kino oder der Literatur – kaum je zu finden ist. 

    Alexander Trofimow. Regenschauer in Sotschi. 1978
    Wladimir Sokolajew. Feierliche Registrierung eines Neugeborenen. Standesamt des Zentralen Bezirks. Nowokusnezk. 1.10.1983
    Wladimir Sokolajew. Behandlung mit UV-Licht im Kinderheim Nr. 4. Suworow-Straße. Nowokusnezk. 22.01.1981
    Wladimir Sokolajew. Gymnastikwettkampf der Betriebssportgruppe im Gorpromtorg (dt. „Städtische Abteilung für Handel mit gewerblichen Waren“).  Nowokusnezk. 10.04.1983
    Wladimir Worobjow. Frau bietet Suppenfleisch zum Kauf an. Nowokusnezk. 1984
    Wladimir Sokolajew. Abendliche Schlange vor den Sandunowski-Bädern. Moskau. 30.04.1984
    Wladimir Sokolajew. Wind in der Stadt. Bahnhofsvorplatz. Nowokusnezk. 11.05.1981
    Wladimir Worobjow: Entlassung aus dem Wehrdienst. Prospekt der Metallurgen, Nowokusnezk, 1982
    Wladimir Sokolajew. Gesang vom Frauenchor auf einem Stadtfest. Nowokusnezk. 7.06.1979
    Wladimir Sokolajew. Eingang zur Ballettschule. Teatralnaja-Straße in Leningrad. 24.06.1982
    Wladimir Sokolajew. Fitnessgruppe im Schwimmbad RODNIK (dt. „Quelle“). Nowokusnezk. 5.04.1983
    Wladimir Worobjow. Mona Lisa auf einem beruflichen Wettbewerb der Ölbohrarbeiter. Niederlassung Elan. Nowokusnezker Bezirk. 26.05.1983
    Wladimir Sokolajew. Schafe hütende Zigeunerin. Gebiet Ongudai. Altai Gebirge. 30.07.1980
    Wladimir Sokolajew. Portrait eines Zechenarbeiters mit Hut. Kusnezker metallurgisches Kombinat. Nowokusnetsk. Juni 1977
    Wladimir Sokolajew. Pause bei den Bäckern. Bäckerei in der Gemeinde Ongudai. Altai Gebirge. 28.07.1980
    Wladimir Sokolajew. Masleniza-Fest im Bezirk Ordshonikishew. Nowokusnezk. 24.03.1985
    Wladimir Sokolajew. Erste Hilfe. Versuch der Rettung einer Selbstmörderin auf der Pokryschkin-Straße. Nowokusnezk. Mai 1978
    Wladimir Sokolajew. Hammelbrust-Hälften auf der Vera-Solomna-Straße. Nowokusnezk. 8.09.1988
    Wladimir Sokolajew. Neujahrsrodelbahn an der Kirow-Straße. Nowokusnezk. 1.01.1983
    Wladimir Sokolajew. Mauer, an der man sich zum Sonnenbaden trifft – auch im Winter. Peter-und-Paul-Festung. Leningrad. 28.02.1982
    Alexander Trofimow. Fahrradfahrer in der Gemeinde Maly Antibes. Bezirk Mariinski. 1983
    Wladimir Sokolajew. Gummitwist im Hof an der Toljatti-Straße. Nowokusnezk. 9.05.1985
    Wladimir Sokolajew. Autoreparatur auf dem Seitenstreifen des Prospekts Kurako. Nowokusnezk. 13.10.1981
    Wladimir Sokolajew. Zuschauer an der Ehrentafel. Masleniza-Fest. Nowokusnezk. 24.03.1985
    Wladimir Sokolajew. Vor den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Oktoberrevolution wird das Lenin-Mausoleum einer Reinigung unterzogen. Moskau, 5.11.1988

    Wladimir Sokolajew. Eine Frau eilt zur Demonstration am 1. Mai, in der Hand ein Schild mit der Aufschrift „Glück“. Obnorski-Straße. Nowokusnezk. 1.05.1983


    Bildredaktion: Nastya Golovenchenko, einführender Text: Martin Krohs
    Veröffentlicht am 01.02.2016

    Weitere Themen

    Januar: Backstage im Bolschoi

    November: Arnold Veber

    Oktober: Denis Sinjakow

    September: Olga Ludvig

    Dezember: Norilsk