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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Editorial: Gekentertes Boot, Wlan-Asyl und beinahe-Übernachtung im Zugdepot

    Editorial: Gekentertes Boot, Wlan-Asyl und beinahe-Übernachtung im Zugdepot

    „Guten Morgen! Bei mir haben sich gestern einige Ereignisse denkbar ungünstigst verkettet (Polen, Boot gekentert, Schlüssel verloren, letzten Zug verpasst), sodass ich die Nacht fast gar nicht geschlafen habe, ich aktuell nicht in meine Wohnung komme und nun hier in Pankow mit einem geliehenen Computer sitze … Mit den verbliebenen Energie-Reserven mache ich mich nun an Social-Teaser und die Texte für die Planerka.“ So fing mein Kollege Daniel, den ihr dank der dekoder-Sendung ja sicher gut kennt, um 09:37 Uhr am 11. August 2016 seinen Arbeitstag an.

    „Oh weh! das klingt nach erzählenswert, mal abgesehen vom ungünstig-Faktor!“, antwortet dekoder-Gründer und damals-noch Herausgeber Martin eine Minute später. 
    „Großer Mist!“, kommentiert Alena das Ereignis.
    Tamina war am vorangegangenen Tag zwar nicht in Polen, ihr geht es aber auch nicht so dolle. Um 09:59 Uhr schreibt sie: “Hallo! Leider auch hier kleines Fiasko: komme nicht ins Netz. Router kaputt. Habe mir nun Wlan-Asyl organisiert, von wo ich nachher auch in Ruhe planerken kann (geht im Cafe hier ums Eck nicht). Bin in voraussichtlich 20 Minuten endlich online!! Uffz.“
    Trotz allem schreibt Alena gegen 11 Uhr: „Ich grätsche hier mal dazwischen, um zu verkünden, dass die Silowiki online sind: https://www.dekoder.org/de/article/krieg-der-silowiki-machtkampf-russland-kreml-putin“. 
    Wer dekoder-Abläufe von innen kennt, weiß: dieser Ankündigung folgt ein Emoji (:tada:) von allen. Das ist obligatorisch. 

    Worum geht es hier eigentlich? Es geht um unsere interne Kommunikation. Ihr wisst vielleicht, dass wir dezentral arbeiten. Wir haben zwar ein Redaktionsbüro in Hamburg, die Hälfte von uns wohnt aber in Berlin. Außerdem haben wir von so vielen verschiedenen Orten aus gearbeitet, dass wir dafür eine besondere Karte gebastelt haben. Je nachdem, wo man sich befindet, kommt es immer wieder zu solchen Dialogen wie: „Man hört dich gar nicht!“, „Sorry, das ist das Meer, ich mache das Fenster zu“ oder „Man hört nichts, nur irgendwelche exotischen Vögel“, „Ok, ich mache erstmal mein Mikro aus“.

    Wir treffen uns regelmäßig offline, das wichtigste ereignet sich aber online, mit allen Vor- und Nachteilen der Internet-Kommunikation. Unser Kommunikationssystem ist in den letzten drei Jahren zu einer Sammlung toller Geschichten geworden, und wenn man diese durchforstet, stößt man hin und wieder auf wunderbare Erzählstücke, auf lustige, traurige, freudige, schreckliche, abenteuerliche, was-auch-immer Ereignisse, die inzwischen passierten. 

    In diesen drei Jahren haben wir auch eine spezielle dekoder-Sprache entwickelt, die wir hin und wieder auch woanders benutzen, dann aber in der Regel auf fragende Blicke stoßen. Planerkas (von russ. planjorka) sind die Redaktionssitzungen, bei denen wir ausführlich Texte besprechen und auswählen. Letutschken (von russ. letutschka) heißt bei uns, schnell über einen Text oder eine Sache zu voicen. Voicen (Verb, auch jemanden anvoicen) heißt online-sprechen. Als Blurbs bezeichnen wir kurze Erklärtexte, die als pop-up Kommentare erscheinen, wenn ihr mit dem Maus über die blau markierten Wörter geht. Gnosen … das wisst ihr schon (sonst, könnt ihr hier nachschlagen). Die Texte müssen verblurbt oder vergnost werden (es müssen also Blurbs geschrieben und Gnosen bestellt werden). Wissenschaftler, die für uns schreiben, werden Gnosenautoren (oder schlicht Gnosisten) genannt. 

    Ohne internes Trolling geht es auch nicht. Der hashtag #rikehathunger bezieht sich auf die angebliche Eigenschaft einer Kollegin von uns (höhö!). Daniel, der im Berliner Homeoffice arbeitet, lacht uns Hamburger ständig aus, wenn wir über unser Wetter hier erzählen und Fotos oder Videos aus dem Bürofenster posten. #alenabauteineneuetabelle ist auch ständig ein Thema. Sie hat eine besondere Beziehung zu Tabellen und nimmt sie sicher als lebendige Wesen wahr: „Meine Tabelle sagt nein“, kann man oft von ihr hören.

    In diesen drei Jahren sind in der großen dekoder-Familie vier Kinder geboren, es wurden zwei Hochzeiten gefeiert (eine steht im September noch an!), zwei Fahrräder gestohlen, es sind etliche Smartphones zerbrochen, ertrunken, gewaschen worden, ein eingeschlafener Mitarbeiter (ich sage nicht, wer ;-)) wurde auf der Rückreise von einer dekoder-Präsentation nachts im leeren Zug ins Depot abtransportiert, aus dem er in einer echten Lokomotive zurück zum Bahnhof gefahren wurde; es gab Staus, Zugausfälle, Wlan-Zusammenbrüche, lustige Tippfehler, falsche Texte im Redaktionssystem, bedenkenswerte (und ebenso falsche) Autoverlinkungen der Gnosen (SchaFSBock, KRIMinelle)…
    Das wichtigste bleibt aber weiterhin Alenas Ankündigung: Der Artikel/die Gnose/das Visual/die Debattenschau ist online. Alle im virtuellen Raum anwesenden setzen (:tada:), freuen sich ein paar Minuten, und es geht weiter: „Super, ich mach dann schnell social“, schreibt Daniel, die Gnose ist angekommen, schreibt Anton, die Übersetzung ist rausgegeben schreibt Rike, seid ihr bereit für die Planerka, schreibt Tamina. 

    Das Editorial ist fertig, schreibe ich, 

    Leonid

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  • Editorial: Erkenntnisse durch Empathie

    Editorial: Erkenntnisse durch Empathie

    oder: Warum dekoder für die deutsche Bildungs- und Medienlandschaft so wichtig ist

    Übersetzen ist wortgewordene Empathie, so meine Erfahrung. Und deswegen schreibe ich als Übersetzungsredakteurin diesen Text. Darin geht es allerdings wenig ums Übersetzen, sondern darum, warum es dekoder geben muss und was das mit Empathie zu tun hat.

    Ende Februar war ein dekoder-Klubabend im Körber-Forum. Die Russland-Veranstaltung Fremde Freunde begann mit einer sehr persönlichen Runde der drei Gäste auf dem Podium. Für mich wurde hier seit langem mal wieder die historische Perspektive im Verhältnis zu Russland aufgespannt, die ich selbst miterlebt habe: Von dem Zeitpunkt an, als alles aufging, als ein Weg von Deutschland und Russland zueinander begann, der Hoffnung verkörperte. Wir alle waren nach Russland losgezogen mit, womit eigentlich? Aufbruchsgeist war es damals, mittlerweile nenne ich es Verantwortung, Erbe – immer mehr lernend, auch darüber, wie viel Grausamkeit Deutschland in Russland angerichtet hat (schätzungsweise 27 Millionen Kriegstote in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg).

    „Konstruktives Rumhängen“ nannte der Wissenschaftler Karl Eimermacher in der ARD-Dokumentation Krieg und Frieden kürzlich das, was ich jahrelang mit russischen (vor allem) Künstlern betrieben habe, in Petersburg, um Petersburg und um Petersburg herum. Die Russen sagten oft, wir Deutschen würden zu viel über die Vergangenheit, über Politik nachdenken, jaja, Rike, sei beruhigt, wir gehen wählen (schon damals: „Mal ehrlich, wen sollen wir denn wählen?“). Sie lebten ihre neuen Möglichkeiten wie herumhüpfende junge Hunde, wir zusammen waren ein prächtiger Haufen.

    Dann fing irgendwann das an – auch daran erinnerte ich mich an dem Abend im Körber-Forum – dass der Begriff Demokratie und Demokratisierung für Russen mit dem zunehmenden Chaos an Wohlklang einbüßte. Und – noch in den 1990er Jahren – war erst leise, dann immer lauter zu hören „Eure Demokratie, das ist nichts für uns Russen, das wollen wir auch gar nicht, wir machen unsere eigene Sache“ … Und das, was da immer lauter wurde, wurde dann Putin und Putin und immer mehr Putin. Wurde das, was er am 1. März 2018 vor der Föderationsversammlung als Stand der Dinge in Russland vortrug.

    Als ich dieses Video sah, da dachte ich: Das ist das, was gemeint ist, wenn in der offiziellen Rhetorik vom Stolz gesprochen wird, der Russland in den 1990er Jahren genommen wurde, und das kollektive Gedächtnis, das da applaudierend sitzt in geschlossenen Reihen. Jetzt erstrahlen beide in Kobaltblau, nicht mehr junge Männer mit Raketenballerspielen.

    Am nächsten Abend sah ich einen deutschen Spielfilm über die Leningrader Blockade, mit der die Deutschen von September 1941 bis Januar 1944 die Stadt eingekesselt haben, sie aushungern wollten und es nicht geschafft haben – selbst das böseste Monster macht Piter nicht dem Erdboden gleich.

    Als ich nach Russland kam, 1988, wusste ich als westberliner Abiturientin nichts über die Leningrader Blockade. Ich wusste auch nicht, dass ein Großteil der Juden auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ausgerottet worden war. Ich dachte, der Holocaust hätte in Berlin stattgefunden. Vielleicht war ich einfach nur schlecht in Geschichte. Aber das glaube ich nicht, denn ich war schon immer aufmerksam, wenn es um menschliche Grausamkeit ging. Ich glaube einfach, dass der Kalte Krieg die menschlichen Geschichten aus dem Osten nicht durchdringen ließ. Und dass deswegen hier bis heute wenige verstehen, was da war.
     
    Und genau das ist derzeit das Problem, das wurde mir wieder einmal klar, die bekannten Puzzleteile fügten sich:
    Ein riesiges Land durchlebt unermessliche Grausamkeit, lebt weiter.
    Dann passiert Großes – es kommt die Freiheit des Wortes in einem unfreien, immer schon unfreien Land. Dann merkt es nach ein paar Jahren … Überforderung, Kollaps. Und dann kommt einer, der Stabilität verspricht. Und so lebt man dann. Kommt zurück zu einem Stolz, den man doch verdient hat, glaubt das alles. Und spielt wieder Krieg und Drohung. Denn das kann man.

    Mein bester Freund aus Petersburg hat letzte Woche einen Wahlwerbesong gepostet: Wählerei, Wählerei, bei diesen Kandidaten die reinste Wichserei. Das ist eine Cover-Version des bekannten Songs der Gruppe Leningrad aus dem Jahr 2007. Die Cover-Version hat nur einen Namen, Balalaika und Gitarre, keinen Text: Slow ne nado, ohne Worte, fügte mein Freund hinzu.

    https://www.youtube.com/watch?v=GEDz5X7_Qjc&feature=share
     
    Über die letzten Tage ging mir wieder auf, was die eigentliche Qualität im Miteinander ist – und das ist Empathie. Die brauchen wir nicht nur beim Übersetzen. Und auch da bedeutet sie keine Abwesenheit von substantieller Recherche und Kritik.

    Wir von dekoder haben ausreichend konstruktiv herumgehangen in Russland, um etwas zu verstehen, was Bücher nicht bringen, und wir haben unser Handwerk gelernt, jede und jeder seines und ihres, und zwar gut. Und das wird derzeit wieder sehr gebraucht, ich wiederhole: Video #15
    Mit Bildung und Völkerverständigung ist dekoder als gemeinnützig anerkannt – und das sind keine Phrasen, sondern Lebensmittel in einer Welt, die immer komplexer wird.

    Übersetzt schön viel, was auch immer, es trainiert eine wichtige Fähigkeit!

    Eure
    Friederike Meltendorf
    Übersetzungsredakteurin


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  • Editorial: Fragen meiner Generation

    Editorial: Fragen meiner Generation
    Pjotr Lawrentjew, Republik Kalmückien (Ende 1930er–Anfang 1940er Jahre), Foto – © privat
    Pjotr Lawrentjew, Republik Kalmückien (Ende 1930er–Anfang 1940er Jahre), Foto – © privat

    Mein Urgroßvater starb, als ich vier Jahre alt war. Ich habe ihn nur ein paarmal gesehen. Wenn ich ihn treffen wollte, dann wurde mir oft gesagt, er sei sehr krank. Wie ich erst später erfuhr, war er in der Tat schwerkrank. Er war Alkoholiker. Er trank die letzten vier oder fünf Jahrzehnte seines Lebens fast jeden Tag.

    In einer Arbeiterfamilie in der Provinz des Russischen Reiches 1906 geboren, machte Pjotr Lawrentjew in den 1920er und 1930er Jahren eine steile Karriere, die der Oktoberrevolution zu verdanken ist. Er fängt an, in einer Fabrik zu arbeiten, tritt bald der kommunistischen Partei bei und studiert am sogenannten Institut der Roten Professur, einer Moskauer Hochschule für die Ausbildung der höchsten ideologischen Parteikräfte. Die soziale Mobilität, die in der Zeit des Großen Terrors eher einer schrecklichen sozialen Turbulenz ähnelte, katapultiert ihn in die Höhe, weit nach oben. Nach den Stalinschen Säuberungen 1937–38 wurde er zum Delegierten auf dem 18. Parteitag (1939) und Mitglied der Zentralen Revisionskommission, letztlich zum Ersten Parteisekretär in der Republik Kalmückien, einer Region im Süden Russland. Seine Position entsprach in etwa der eines Gouverneurs.

    Seine rasche Karriere war schon beeindruckend. Sehr lang dauerte sie allerdings nicht. Während des Großen Vaterländischen Kriegs gab es zu viele Opfer in der Bevölkerung Kalmückiens, was anscheinend unter anderem mit einer schlecht organisierten Evakuierung zu tun hatte. Außerdem fand in der Republik ein antibolschewistischer Aufstand statt. 1943 wurde er entlassen und …

    Ja, alle dachten, es kommt noch ein „und …“ und er selbst hat das ganze weitere Leben auf dieses „und“ gewartet. Er hatte erwartet, dass er verhaftet und erschossen wird, wie es mit einem großen Teil seiner Professoren, Mitstudenten, Kollegen, Vorgänger beim Parteitag und in der Revisionskommission geschah. Er wurde aber einfach auf einen niedrigen Posten versetzt, leitete seit 1944 einige Jahre eine Hochschule in der zentralrussischen Provinz. Die Hochschule, an der später meine Mutter, mein Vater und für jeweils ein Jahr auch mein Bruder und ich studierten. Ich erinnere mich noch an den Stolz, als ich am ersten Studientag in die Universität kam und das Foto meines Urgroßvaters an der Wand sah.

    Und jetzt, 2018, sehe ich mir auch ein altes Fotos von ihm an: Er sitzt in einem Zimmer, das Licht dringt durch das Fenster, so dass eine Schulter beleuchtet und die zweite im Dunkel bleibt. Er trägt, wie Trotzki, eine runde Brille, die er immer aufhatte, und den sogenannten stalinschen Frentsch – ein Symbol der damaligen Nomenklaturmode. Ich sehe nun sein Foto an und weiß nicht, wer er eigentlich war. War er ein Funktionär, der von der Stalinschen Säuberungen profitierte? Hat er beigetragen zum schrecklichen Verbrechen, zur Zwangsdeportation des ganzen kalmückischen Volkes, die seiner Amtszeit unmittelbar folgte? Oder kann man ihn mit seinem jahrzehntelangen Alkoholismus als ein Opfer der Stalinzeit bezeichnen?

    Wenn man heutige Medienberichte in Russland genau anschaut, fällt sofort auf, dass die Stalinzeit plötzlich ins Zentrum der öffentlichen Diskussion rückt. Das Aus für The Death of Stalin, das Errichten neuer Stalin-Denkmäler, die strafrechtliche Verfolgung eines Aktivisten oder auch die Versuche von Denis Karagodin, ein Gerichtsverfahren gegen Stalin zu eröffnen: Das alles zeigt, dass diese traumatisierte Epoche wieder aktuell wird, neu aufgerollt und thematisiert wird. Und die Mediendebatten werden meistens emotional so heftig geführt, als ob die Stalinschen Säuberungen nicht vor 80 Jahren, sondern gestern stattfanden.

    Wir bei dekoder haben entschieden, dass wir über das ganze Jahr 2018 diese Debatten in einem neuen Dossier beobachten, abbilden und kontextualisieren. Wie werden die Stalinschen Säuberungen im heutigen Russland wahrgenommen? Was verbindet man mit Stalin und warum spricht man nun über eine schleichende Stalinisierung? Wie verlief der Prozess der Ent-Stalinisierung nach Stalins Tod? Hängt eine Re-Stalinisierung mit einer misslungenen Ent-Stalinisierung zusammen? Damit beschäftigen wir uns in dem Dossier Stalin: Zwischen Kult und Aufarbeitung, das wir mit freundlicher Unterstützung der Stiftung für Aufarbeitung der SED-Diktatur durchführen.

    Viele Russen meiner Generation stellen sich diese Fragen. Das ist eine Generation, die nicht nur die offizielle Geschichte der Lehrbücher kennt, sondern auch die Zusammenhänge verstehen und erfahren möchte, welche Rolle ihre Vorfahren dabei gespielt haben.

    Wir haben viel zu tun.

    Euer Leonid
    Gnosenredakteur

    Diese Veröffentlichung wurde gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

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    Editorial: Hinter den Kulissen – der dekoder-Klub

  • Editorial: Hinter den Kulissen – der dekoder-Klub

    Editorial: Hinter den Kulissen – der dekoder-Klub

    Willkommen im Klub! dekoder ist ein Team-Produkt. Schon immer und besonders seit Juli. Da kündigte unser Gründer Martin Krohs an, unseren dekoder, für dessen Content wir dekoderschtschiki bereits lange in Eigenverantwortung arbeiteten, auch geschäftlich in unsere Hände zu legen. Sein Entschluss, sich als Geschäftsführer und Herausgeber aus der Dekoder-gGmbH zurückzuziehen und uns zu Mitgesellschaftern zu machen, kam für uns nicht sehr überraschend, er hatte es von Anfang an so vorgehabt. Trotzdem lag im ersten Moment vieles in der Luft, aber vor allem: der Zauber eines Neuanfangs. Mit all seinen Möglichkeiten.

    Die nachfolgenden Zeiten waren tatsächlich eher produktiv als ungemütlich. Schnell war klar: Wir müssen es irgendwie schaffen, dekoder auf eine breitere finanzielle Basis zu stellen. Aber auch: Wir möchten eine Community aufbauen, unseren Lesern etwas zurückgeben, ihnen das Gefühl vermitteln: Hier sind wir, und all das hier machen wir für euch, aber auch dank euch. Die Idee eines Klubs war geboren.

    Ich gebe zu: Zu Beginn gehörte ich eher zum Lager der Skeptiker in unserem Team. Wer sollte schon Klubmitglied werden? Eine Community zu gründen, ist das wirklich erfolgversprechend? Nerven wir unsere Leser nicht damit? Und überhaupt: Wo ist eigentlich der Mehrwert?

    Denn wir bieten unseren Klubmitgliedern keine großen Extras, sie haben keine besonderen Vorteile. Gut: Sie bekommen unseren Klub-Newsletter, der wirklich ein Sahnestück im täglichen Newsletter-Aufkommen ist. Darin erfahren sie nicht nur das Neueste aus dekoder, sondern bekommen Lesetipps, Veranstaltungstipps, Fundstücke rund ums Thema Russland. Es ist eine bunte, lesenswerte Mischung. 
    Und trotzdem: ein Newsletter-Abo? Das schien mir irgendwie komisch. Zudem würde der bisherige Newsletter einfacher ausfallen. Viele offene Fragen begleiteten die Ankündigung, die wichtigste für uns: Würden wir damit nicht unsere bisherigen Newsletter-Abonnenten verprellen?

    Unsere Klubmitglieder haben aber von Anfang an verstanden, worum es geht: nicht in erster Linie um einen persönlichen Mehrwert, sondern um Unterstützung von dekoder, darum, dass wir unsere Arbeit weiter so machen können, wie wir sie machen.

    Jetzt – ein Vierteljahr später – bin ich stolz, dass wir dieses Wagnis eingegangen sind.

    Die Resonanz war überwältigend. Unser Klub ist eine Gemeinschaft von Förderern geworden, von Menschen, die sich unserem Projekt verbunden fühlen und uns unterstützen möchten. Nicht nur in finanzieller Hinsicht. Wir bekommen Lesetipps, die wir immer gern im Newsletter weitergeben, viel Lob für unsere Arbeit und auch freundliche Hinweise, wenn sich irgendwo das Fehlerteufelchen eingeschlichen hat. Der Klub gibt uns eine ganz neue Möglichkeit, uns mit unseren Lesern auszutauschen. Daneben finanzieren wir mit ihm mittlerweile auch einen Teil unserer Betriebskosten, wie zum Beispiel die Miete für unser Büro. Natürlich ist das eine enorme finanzielle Entlastung.

    Viel schöner für uns ist aber die tägliche Erfahrung, dass es Menschen gibt, die hinter uns stehen und die sich bewusst entschieden haben, dekoder regelmäßig zu unterstützen. Gerade jetzt, in den ersten Wochen des neuen Jahres, wird mir das wieder sehr deutlich. Jede der vielen herzlichen Antworten, die ich auf versandte Spendenquittungen bekomme, macht mir immer wieder bewusst, dass unsere Arbeit etwas bewirkt, wir unseren Lesern Russland näherbringen. Und diese besondere Erkenntnis motiviert mich jeden Tag aufs Neue.

    Deshalb wünsche ich uns für das neue Jahr weiterhin eine so aktive Leserschaft und einen inspirierenden und regen Austausch. Ich freue mich auf die ersten Klubtreffen in Berlin am 25. Januar und in Hamburg am 27. Februar – bei denen ich hoffentlich viele unserer Klubmitglieder persönlich kennenlernen werde.

    In diesem Sinne: Auf bald!

    Eure Alena 
    Kommunikation und Controlling
     

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  • Editorial: Russland und die EU

    Editorial: Russland und die EU

    Russland und die EU,

    liebe Leser, die beiden hätten auf Facebook wohl den Beziehungsstatus „es ist kompliziert“. Es ist eine Beziehung, die viele beschäftigt. Und bei der oft alte Ängste wieder hochkommen – sodass es manchmal schwierig scheint, sich ein Bild zu machen. Wir haben auf dekoder über die letzten Monate viele interessante Texte veröffentlicht, die das Bild klarer werden lassen.

    Russland und der Westen – da fragt man sich inzwischen: Wer ist er denn, „der Westen“? Die Spaltungen gehen ja schon lange nicht mehr zwischen Ost und West, sie gehen durch einzelne Gesellschaften, ja durch einzelne Gesellschaftsschichten hindurch. Wie gut es das System Putin versteht, diese Spaltungen für sich zu nutzen, davon spricht der Politologe Sergej Medwedew in seinem Essay Exportgut Angst.

    Auch Michail Korostikow beschreibt auf der Seite des Moskauer Carnegie Zentrums, wie leicht es die russische Staatsführung schafft mit Drohgebärden, die eigentlich aus einer Schwäche heraus entstehen, in westlichen Gesellschaften alte Ängste neu zu entfachen. Wobei, wie er schreibt, auch die westliche Medienwelt gern „belanglose Geschichten aufbläht zu echten James-Bond-Comics“.

    In einem Interview mit Colta.ru, das wir übersetzt haben, stellt der Journalist Arkady Ostrovsky angesichts der Orbans, Trumps und Le Pens in der Welt die These auf: „Russland war Vorreiter dessen, was heute in der Welt passiert.“

    Da weltweit auch populistische Bewegungen erstarken, wäre es vor diesem Hintergrund eigentlich naheliegend, Putin als einen Populisten zu begreifen. Dieser Schluss führt aber in die Irre, meinen Grigori Judin und Ilja Matwejew in: Warum Putin kein Populist ist.

    Dennoch schafft Putin es immer wieder, antiwestliche Ressentiments in der russischen Gesellschaft anzuheizen. Russland sei eine vom Westen „belagerte Festung“, der Westen wirke „der Wiedergeburt Russlands als Supermacht entgegen“. Als Lösung dieses Konflikts schlägt Putin eine neue Weltordnung vor. Und holt damit eigentlich nur die verstaubte Breschnew-Doktrin aus der Mottenkiste, meint der Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow.

    Gleichwohl gelingt es der russischen Staatsmacht immer wieder, einen Keil zwischen die westlichen Länder zu treiben. Sei es das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 oder die Frage nach Sanktionen gegen Russland: Europäische Politiker zeigen sich immer wieder uneinig. Nicht zu übersehen sind aber auch Versuche, die einzelnen Gesellschaften im Westen zu entzweien: Die Machenschaften der sogenannten Trollfabrik im US-Wahlkampf ist nur eines der Beispiele.

    Über den tatsächlichen Umfang und die praktischen Auswirkungen solcher Versuche gibt es bislang nur Schätzungen. Diese Versuche gibt es aber, und es ist nachvollziehbar, warum die westlichen Länder sich zu Reaktionen genötigt fühlen.

    Dass diese Reaktionen manchmal aber unverhältnismäßig ausfallen, das hat der Fall von Russia Today (RT) gezeigt. Im November 2017 musste sich nämlich dieser russische Auslandssender als ausländischer Agent in den USA registrieren. Die russische Reaktion folgte prompt und wie üblich nach dem Muster „Bomben auf Woronesh“: Die eilig beschlossenen Gegenmaßnahmen haben das Potenzial, die verbliebenen kritischen Medien in Russland noch mehr in die Mangel zu nehmen.

    Wir merken jedenfalls: All diese Fragen machen den dekoder umso wichtiger. Wenn Ihr das ebenfalls meint und unsere Arbeit unterstützen wollt, dann werdet doch Mitglied in unserem dekoder-Klub!

    Wir freuen uns auf Euch,

    Tamina Kutscher (Chefredakteurin) und Anton Himmelspach (Politikredakteur)

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    Editorial: Musik der Revolution

  • Editorial: Musik der Revolution

    Editorial: Musik der Revolution

    MUSIK DER REVOLUTION,

    liebe Leserinnen und Leser, hörte der Dichter Alexander Blok in den Ereignissen rund um das Jahr 1917. Und er forderte, dieser Musik zuzuhören, um die Revolution mit allen Sinnen zu erfassen. Als das Medium, das nach Russland hineinhört, lauschen wir hier in der dekoder-Redaktion das ganze Jahr, welche Töne in den russischen Medien angesichts des Revolutions-Jubiläums angeschlagen werden. Diese Materialien bündeln wir in unserem, mit Unterstützung der ZEIT-Stiftung zusammengestellten, Dossier 1917//2017.

    Und wir stellen fest: Das Revolutions-Jubiläum geht scheinbar an Russland vorbei, und im Lande herrscht Schweigen. Vergleichsweise, natürlich.

    Ganz unerwartet kommt das nicht, in den Medien fragte man bereits im Januar: Was feiern wir? Wie sollen wir gedenken? Die Revolution, über die kein Konsens herrscht, sollte man lieber einfach vergessen. Warum ist das so? In seinem aktuellen Text gibt Sergej Schelin auf Republic eine mögliche Antwort auf diese Frage: Mit dieser Vergangenheit tun sich alle schwer, die Revolution ist ein Erbe ohne Erben

    In dieser Stille werden die einzelnen Stimmen, die sich zum Thema äußern, umso lauter: wie etwa Boris Kolonizki, ein angesehener Historiker und Experte der russischen Revolution, der an der Europäischen Universität in St. Petersburg lehrt. Kolonizki gab das ganze Jahr über diverse Interviews, von denen wir eins übersetzten. Darin blickt er sowohl auf die Atmosphäre (Teil I) als auch auf die führenden Köpfe des Jahres 1917 (Teil II) zurück. Die Mosaiksteinchen der Ereignisse fügen sich so zu einem bunten Bild zusammen. Genauso bunt und vielfältig, wie die Wahrnehmung des Oktoberaufstandes im Spiegel der Presse aus dem Jahr 1917.

    Dieses Bild wollten wir mit unseren Gnosen nach und nach rekonstruieren: Carmen Scheide wirft einen Blick auf die Lage der Frauen, die mit einer Demonstration den Auftakt für die Februarrevolution gegeben haben, Matthias Stadelmann zeichnet ein Portrait des letzten russischen Zaren Nikolaus II und Frithjof Benjamin Schenk beschreibt die Februarrevolution.

    Auch mit einigen Mythen wird in unserem Revolutions-Dossier aufgeräumt: Frithjof Benjamin Schenk erzählt von Lenins Weg in die russische Revolution im Zug, der eben nicht plombiert war. Oksana Bulgakowa beschreibt, wie ikonographische Bilder der Revolution tatsächlich erst Jahre nach 1917 entstanden sind – etwa in Eisensteins Film Oktober. Robert Kindler macht deutlich, dass die Bolschewiki eine Splittergruppe waren, die erstmal keine große politische Bedeutung hatte. 

    Und was machte Lenin eigentlich zwischen Februar- und Oktoberrevolution? Davon berichtet Benno Ennker. Robert Kindler erklärt außerdem, warum der Erste Weltkrieg für Russland 1917 so fatal war und zeigt anhand zweier Beispiele, wie es zu der Zeit an der Peripherie des Russischen Reiches aussah. 

    Ohne Bilder wäre das Bild jedoch unvollständig. Zusammen mit Monica Rüthers bieten wir daher auch etwas fürs Auge: Revolutionäre Grüße aus dem Jahr 1917.

    Doch die Revolution ist noch nicht vorbei – das Dossier wächst weiter bis zum Ende des Jahres.

    Und hört unbedingt noch rein in die Musik der Revolution!

    Euer

    Leonid A. Klimov
    Wissenschaftsredakteur

     

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  • Perestroika bei dekoder

    Perestroika bei dekoder

    Liebe dekoder-Leser, Freunde und Förderer,
     
    es ist viel los bei dekoder, eine kleine Perestroika findet statt:
     
    Wir bauen eine neue Community auf, den dekoder-Klub – und haben eine neue Geschäfts-Struktur.
     
    Dabei geht es insgesamt für den dekoder nun um die Wurst: Die Fördermittel aus der Erbschaft unseres Gründers Martin Krohs reichen noch knapp ein Jahr. Aber dekoder hat noch viel vor:

    Und dazu brauchen wir euch, liebe Leser!

    dekoder-Struktur

    dekoder hat ja als Idee von Martin Krohs begonnen. Er hat seine Erbschaft eingesetzt, um dekoder zu gründen. Nach ein paar Monaten waren wir als Team komplett und packen seitdem unsere ganze Energie hinein. Martin hat sich von Anfang an vor allem als Initiator gesehen, zumal er eigentlich aus einer anderen Ecke stammt, der Philosophie. Dorthin wechselt er jetzt wieder komplett und hat uns vorgeschlagen, dekoder auch geschäftlich in die eigene Verantwortung zu übernehmen. Nun sind wir dekoder-Gesellschafter – das fühlt sich gut an und wir haben viel vor.
     
    Zu unserem neuen Geschäftsführer haben wir Anton Himmelspach bestimmt, der zugleich dekoder-Politikredakteur ist. Insgesamt spielt die dekoder-Band für euch weiter in der bewährten Besetzung: Alena Göbel managt Content und Controlling, Daniel Marcus trommelt die Sozialen Medien, Leonid Klimov bedient die Wissenschaft, Friederike Meltendorf kuratiert die Übersetzungen, und Tamina Kutscher ist die Chefredakteurin.

    dekoder-Finanzen

    Martin bleibt dekoder nicht nur als Mit-Gesellschafter, sondern auch als Förderer erhalten: Die von ihm gegründete Konvert-Stiftung unterstützt dekoder weiterhin. Doch diese Gelder sind begrenzt. Und obwohl auch andere Stiftungen vereinzelt Projekte auf dekoder fördern: Der laufende Betrieb ist nur noch für knapp ein Jahr gesichert.
     
    Also was tun? Wir sprechen derzeit mit vielen Stiftungen und potentiellen Förderern. Wir suchen nach unterschiedlichen Möglichkeiten der Finanzierung. In einem Punkt sind wir uns sicher: Unsere Inhalte sollen weiterhin allen Menschen frei zugänglich bleiben. Schließlich sind wir eine gemeinnützige Gesellschaft, die sich der Bildung und Völkerverständigung verschrieben hat.

    dekoder-Klub 

    Neben der neuen Struktur hier unsere andere große Neuigkeit: der dekoder-Klub! 

    Ab zwei Euro im Monat könnt ihr beitreten, dafür bekommt ihr einen Premium-Newsletter mit wichtigen Texten und Links zu aktuellen Russlandthemen. Außerdem sind Klub-Treffen in Hamburg und Berlin geplant. So könnt ihr uns und wir können euch kennenlernen und wir alle können uns miteinander austauschen.

    Mit eurer Klub-Mitgliedschaft helft ihr, dekoder am Laufen zu halten. Und ihr tragt dazu bei, dass wir euch unabhängige Stimmen aus Russland sowie fundiertes Russland-Wissen dauerhaft zugänglich machen können. Wir freuen uns, wenn ihr dabei seid!

    Es gibt also viel Neues. Schaut euch den Klub doch mal an.
     
    Macht mit! Werdet Teil von dekoder!

    Herzliche Grüße
    Eure dekoder-Redaktion

    Tamina Kutscher, Friederike Meltendorf, Daniel Marcus, Leonid Klimov, Anton Himmelspach, Alena Göbel
mit Franziska Knapp (studentische Mitarbeiterin) und Peregrina Walter (Praktikantin)
    Tamina Kutscher, Friederike Meltendorf, Daniel Marcus, Leonid Klimov, Anton Himmelspach, Alena Göbel mit Franziska Knapp (studentische Mitarbeiterin) und Peregrina Walter (Praktikantin)
  • Editorial: Good bye, dekoder!

    Editorial: Good bye, dekoder!

    Good bye, dekoder,

    oder, wie es natürlich besser heißen sollte: До свидания! Nein, keine Sorge: dekoder wird weiter Russland entschlüsseln. Aber nun sind die Redakteure die alleinigen Herren und Damen im Haus! Und ich kehre, zwei Jahre nachdem ich dekoder gegründet habe und das Portal im Herbst 2015 online ging, auf meine alten, wissenschaftlichen Bahnen zurück. Was das für dekoder bedeutet – davon später.

    Im Dezember 2014, dem Jahr der Ukraine-Krise und der Krim-Annexion, hielt ich es nicht mehr aus: Jeder sprach von Russland, dem Land, in dem ich zehn Jahre lang gelebt habe, das ich so liebe und das mich doch gleichzeitig so oft beunruhigt. Aber dabei schien kaum jemand von dem Russland zu reden, das ich kannte, vom Russland meiner russischen Freunde, vom Russland der unabhängigen russischen Medien, die ich jeden Tag las.

    Ich wollte die Stimmen dieser Medien hierher in den Westen bringen, und ich wollte sie hier verständlich machen. Dafür habe ich mir das dekoder-Konzept ausgedacht, mit seiner Mischung aus Journalismus und Entschlüsselungs-Texten aus der Wissenschaft. Und dieses Konzept hat sich bewährt: Innerhalb dieser zwei Jahre ist dekoder zu einem Modellprojekt des jungen, innovativen Journalismus aufgestiegen.

    Ich war in der glücklichen Lage, die dekoder-Idee dank einer persönlichen Erbschaft direkt verwirklichen zu können. Wer die Geschichte von dekoder verfolgt hat, weiß, dass das Portal derzeit hauptsächlich von meiner Konvert-Stiftung finanziert wird, in die ich diese Erbschaft eingebracht habe – aber auch, dass die Mittel dieser Stiftung begrenzt sind. 

    Ohne Geld kann dekoder nicht funktionieren. Aber was dekoder ausmacht, das sind die Menschen – ihre Kompetenz, ihr Wissen, ihre Leidenschaft. Die Menschen, die Tag für Tag, Woche für Woche für euch Russland entschlüsseln. Und wenn ich als Gründer mich für etwas wirklich glücklich schätzen kann, dann dafür, dass sich genau diese Menschen gefunden haben. Ihr, die Leser, kennt sie alle aus Editorials, Interviews, Newslettern oder einfach, weil ihr der Redaktion Mails und Messages geschrieben und mit den Kollegen diskutiert und debattiert habt. 

    Meine Ansicht ist, dass dekoder denjenigen gehören soll, die auch tagtäglich den Content erstellen, neue Ideen entwickeln, das Schicksal des Projekts gestalten. Deshalb waren wir neulich alle gemeinsam beim Notar, haben die Übergabe an die dekoder-Macher besiegelt und nachher ein klein wenig diesen wichtigen Tag gefeiert – so, wie es sein soll! Ich bin von nun an bei dekoder nur noch Mit-Gesellschafter.

    Für mich persönlich geht es nun dort weiter, wo ich 2014 unterbrochen habe. Wenn ihr euch manchmal fragt, wie eigentlich die Bäume, Vögel, Bakterien um uns herum und natürlich auch wir selbst zustandekommen und ob eure Vorstellungen dazu up-to-date sind, dann klickt ruhig einmal hier: Re-imagine Evolution! Ich denke, dass dieser Text euer Bild von der Welt des Lebendigen ein ganzes Stück verändern wird (natürlich ist auch Russland wieder mit von der Partie – ganz ohne geht’s einfach nicht). Und wenn ihr generell Interesse an Online-Publishing habt, dann könnte auch das neue Publishing-Tool Pleks etwas für euch sein, das ich derzeit entwickle.

    Aber die Hauptsache in diesem Brief ist natürlich dekoder. Die Finanzen, die ich zur Verfügung stellen kann (nicht jeder ist ein Warren Buffett) reichen noch für knapp ein Jahr. Große deutsche Stiftungen, die sich ebenfalls den gemeinnützigen Journalismus auf die Fahnen geschrieben haben, fördern immer wieder Einzelprojekte bei dekoder. Aber eine neue Grundfinanzierung für den laufenden Betrieb muss bald gefunden werden – das gesamte dekoder-Team hat schon seine Fühler in alle denkbaren Richtungen ausgestreckt. 

    Und wie es immer so ist: Je mehr Leute mit anpacken, desto einfacher wird es – gerade jetzt, wo die Finanz-Sanduhr läuft. Daher gibt es künftig für die Leser, die sich regelmäßig für dekoder engagieren wollen, eine dekoder-Community: den dekoder-Klub. Macht mit – es gibt viel Neues zu entdecken! Zu den Einzelheiten erzählen die Kollegen euch hier mehr

    Nun aber ist es Zeit, wirklich zu sagen: Пока, dekoder. Mach es gut, mach deinen Weg. Macht es gut Tamina, Leonid, Rike, Alena, Daniel, Anton. Dieses schöne Stück Publizistik, das wir gemeinsam aufgebaut haben, liegt in euren Händen, und es sind die besten Hände, die man sich wünschen kann. Und euch, liebe Leser, wünsche ich weiter viel aufschlussreiche Lektüre, hörenswerte, relevante Stimmen aus Russland und fundierte, sachliche Erläuterungen dazu. 

    In diesem Sinne! Euer

    Martin Krohs

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  • Editorial: Lesereise durch den russischen Sommer

    Editorial: Lesereise durch den russischen Sommer

    Woran denken Sie, liebe Leser, wenn Sie an den Sommer denken? Denken Sie an Sonne, Wärme, ein Eis am Strand? 

    Denke ich an den Sommer, dann denke ich unweigerlich auch an Russland. An nächtelange Gespräche auf der Datscha, von Mücken zerstochen, am Lagerfeuer, mitten im Wald. An den eigentümlichen Geruch von trockenen Kiefernnadeln, der sich vermischt mit dem von getrocknetem Fisch. Es wird gesungen und gelacht. Fernab vom Lärm der Metropolen lassen sich die Weite und die Stille, die Russland auch ausmachen, für einen kurzen Moment fassen.

    Im verregneten deutschen Sommer lädt das virtuelle Russland-Buch, das dekoder ist, geradezu dazu ein, sich entführen zu lassen in den russischen Sommer: 

    Los geht’s: Machen wir einen Spaziergang durch die WDNCh in Moskau, sowjetische Eiscreme in der Hand, und bestaunen wir die Plastik Arbeiter und Kolchosbäuerin von Vera Muchina. 
    Erleben wir das russische Woodstock auf den leeren Hügeln – mit dem Geschmack von Baltika auf den Lippen und russischer Rockmusik im Ohr. 
    Nehmen wir uns eine Auszeit im Kloster und spüren nach, was die hier arbeitenden Pilger immer wieder zurückkehren lässt, obwohl ein Aufenthalt durchaus harte Arbeit bedeutet. Oder wie wäre es im Gegensatz dazu mit einem Autorennen im Lada Niva, quer durch Schlamm, Pfützen und Gestrüpp?

    Lassen wir uns treiben durch das dekoder-Buch und träumen wir, zusammen mit vielen russischen Kindern, von einem Sommer im Pionierlager. Setzen wir uns im Dorf Koltyschewo neben Polina Pawlowna in ihren Sessel unter den alten Bäumen im Hof und schwelgen mit ihr in Erinnerungen an ein Leben im Gutshaus. Wir könnten Fischer auf Sachalin bei ihrer täglichen Arbeit begleiten, oder wir blicken hinüber zu Russlands Nachbarn, machen einen Bummel durch Zchinwali, die Hauptstadt Südossetiens, und lernen dabei viel über die Geschichte der von Georgien abtrünnigen Kaukasusregion.

    Werfen wir einen Blick in Moskauer Hostels und hören uns an, warum Sergej, Nikolaj und Wladimir seit Monaten dort wohnen. Und ziehen wir mit dem Fotografen Arnold Veber durch die Nächte und die Clubs der Stadt. 

    Wie auch immer Sie Ihren Sommer verbringen, ob in der Hängematte, am Meer oder in den Bergen, dekoder wünscht spannende und inspirierende Begegnungen. Und wer weiß – vielleicht sind Sie ja auch eher ein Freund des Winters?

    Alena Göbel
    Schlussredaktion und Administration

     

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  • Editorial: Alles Propaganda?!

    Editorial: Alles Propaganda?!

    dekoder übersetzt russische Medien, die nicht (oder zumindest nicht direkt) vom Staat kontrolliert werden. Aber gibt es überhaupt unabhängige Medien in Russland? Das werden wir immer wieder gefragt.
     
    Tatsächlich dominiert in Russland das Staatsfernsehen: In dem großen Land mit elf Zeitzonen und rund 144 Millionen Einwohnern erreicht es nahezu jeden Haushalt. Und Staatsfernsehen ist etwas anderes als öffentlich-rechtliches Fernsehen, es steht unter direkter Kontrolle und Einfluss des Kreml. (Hier kommentiert Blogger Alexej Kowaljow Putins Aussage „In Russland kontrolliert der Staat die Medien nicht“.)
     
    Aber dennoch gibt es unabhängigen Journalismus. Er spielt sich vor allem online ab, darf allerdings gewisse Grenzen und „Linien“ nicht überschreiten – dazu gehört auch, dass er sich nur in einer Nische bewegen und eine bestimmte Reichweite nicht übersteigen sollte.
    Die Trennlinie zwischen direkter und indirekter Kontrolle ist allerdings nicht immer scharf zu ziehen. So gibt es auch Selbstzensur in strukturell unabhängigen Medien und auch mal kritische Stimmen in staatsnahen Medien.
    Unser Dossier „Alles Propaganda?!“ bietet einen Überblick über die russische Medienlandschaft, über die ich auch am 14. Juli auf der JOE-Tagung an der Universität Köln diskutieren werde, gemeinsam mit Dr. Rolf Mützenich (SPD) und Sergei Tereshenkov (EU Russia Civil Society Forum). Mehr dazu, wie dekoder die Medien auswählt, die es übersetzt, finden Sie hier.
     
    So verstehen wir uns bei dekoder als Sprachrohr für unabhängige Stimmen aus Russland – aber nicht nur: In unseren Debattenschauen bilden wir auch Staatsmedien ab und sehen uns generell als ein Forum, das die Interferenzen im russischen Diskurs einem deutschsprachigen Publikum zugänglich macht. Denn wer dekoder liest, der weiß: Auch die unabhängigen Stimmen sprechen nicht immer aus einem Mund.

    Wie solche – im besten Sinne – alternativen Medien wie dekoder finanziert werden könnten, weshalb Journalismus nicht nur der Information dient, sondern ein Kulturgut ist und welche Rolle gemeinnütziges Geben im Journalismus spielen kann: Zu diesen Themen hat sich dekoder-Herausgeber Martin Krohs unlängst in einem Artikel mit dem Titel Medien, Geld und Gebescham Gedanken gemacht.

    Diejenigen Stiftungen, die derzeit Themendossiers und andere Projekte bei uns fördern, finden Sie nun auf unserer Startseite – einfach mal nach unten scrollen. Wir freuen uns sehr über diese großartigen Partner und ihre Unterstützung! 
    Einen herzlichen Dank außerdem allen Lesern, die mit ihren Spenden dazu beitragen, dass wir unsere tägliche Arbeit machen können.

    Auf Ihren vielfachen Wunsch hin gibt es nun übrigens auch die Möglichkeit, direkt auf der Startseite unsere einzelnen Rubriken aufzurufen. Schauen Sie mal oben rechts …

    Gefunden?! Na, dann: Viel Spaß beim Lesen, Schauen und Hören,

    Ihre
    Tamina Kutscher
    Chefredakteurin

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