„Freiheit für Nawalny!“ – unter diesem Motto standen die Protestaktionen, die am 23. Januar in über 120 Städten Russlands stattfanden – von Wladiwostok im fernen Osten über Moskau bis Kaliningrad. Die Demonstrationen zählen zu den größten der letzten Jahre. Auslöser war die 30-tägige U-Haft, die dem Oppositionspolitiker unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Deutschland in einem Eilverfahren in einer Moskauer Polizeistation verordnet wurde.
Befeuert wurde der Protest zudem von einem Recherchevideo, das Nawalny und sein Team vergangene Woche veröffentlichten: Darin wird Präsident Putin unter anderem vorgeworfen, sich mit Schmiergeldern in Milliardenhöhe einen riesigen Palast am Schwarzen Meer erbaut zu haben.
Die Protestaktionen am Samstag waren von den lokalen Behörden nicht genehmigt. In staatlichen und staatsnahen Medien waren die Polizeikräfte als friedlich und freundlich, die Demonstrierenden als aggressiv dargestellt worden. Nach Angaben von OWD-Info wurden landesweit 3711 Personen festgenommen – so viel wie nie zuvor in der postsowjetischen Geschichte Russlands, wie Meduzaberichtet. Zudem wurden bereits mehr als zehn strafrechtliche Verfahren gegen Demonstrationsteilnehmer eingeleitet. Kritiker befürchten eine neue Prozesswelle ähnlich dem Moskowskoje delo und dem Bolotnoje delo.
In Sankt Petersburg war der Dokumentarfilmer Konstantin Selin vor Ort und hat seine Eindrücke für das Nachrichtenportal Fontanka in einem Video festgehalten. Er bezog außerdem auch Aufnahmen von Fontanka-Journalisten und LeserInnen des Portals mit ein.
Im Interview mit dem russischen Staatssender Rossija 24 am Donnerstag, 27. August 2020, hat Russlands Präsident Wladimir Putin erwähnt, dass Russland „eine Reservetruppe an Sicherheitskräften” für Belarus eingerichtet habe. Dies sei auf Bitten des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenkos geschehen. Seit den Massendemonstrationen gegen die Fälschungen bei der belarussischen Präsidentschaftswahl am 9. August diskutieren Beobachter immer wieder die Frage, wie stark der Kreml in Belarus eingreifen wird – oder nicht. Der russische Blogger und Oppositionelle Maxim Katz interpretiert die aktuelle Äußerung Putins als reine Drohgebärde gegenüber den Tichanowskaja-Anhängern und Gegnern Lukaschenkos: „Dieses Manöver soll einfach dazu dienen, die Demonstranten zu demotivieren. Sie sollen zu dem Entschluss kommen, dass sie eh keine Chance haben – und aufgeben.”
Ich habe [Lukaschenko] gesagt: Russland wird alle seine Verpflichtungen erfüllen.
Alexander Grigorjewitsch hat mich gebeten eine Reservetruppe der Sicherheitskräfte einzurichten.
Und das habe ich getan.
Doch wir haben auch vereinbart, dass sie nur zum Einsatz kommt, falls die Situation außer Kontrolle gerät und wenn extremistische, ich möchte das unterstreichen, Elemente, die sich hinter politischen Losungen verstecken, bestimmte Grenzen überschreiten, anfangen zu plündern, Autos, Häuser und Banken anzünden, Verwaltungsgebäude stürmen und so weiter.
Aber Alexander Grigorjewitsch und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass derzeit keine derartige Notwendigkeit besteht, und ich hoffe, auch in Zukunft nicht, so dass wir deswegen die Reservetruppe nicht zum Einsatz bringen.
Ich wiederhole noch einmal: Wir gehen davon aus, dass alle aktuellen Probleme in Belarus mit friedlichen Mitteln gelöst werden. Doch wenn es zu Gesetzesverstößen kommt, seitens der staatlichen Organe oder derer, die an den Protestaktionen teilnehmen, wenn diese den Rahmen des geltenden Rechts sprengen, so wird das Gesetz entsprechend darauf reagieren.
Das Gesetz gilt für alle gleichermaßen. Objektiv gesehen, denke ich, dass die Sicherheitsorgane von Belarus trotz allem ziemlich zurückhaltend sind. Schauen Sie mal, was da in manchen Ländern alles abläuft, […] ~~~
Я сказал, что Россия исполнит все свои обязательства.
Александр Григорьевич попросил меня сформировать определённый резерв из сотрудников правоохранительных органов, и я это сделал. Но мы договорились также, что он не будет использован до тех пор, пока ситуация не будет выходить из-под контроля, и когда экстремистские, я хочу это подчеркнуть, элементы, прикрываясь политическими лозунгами не перейдут определённых границ и не приступят просто к разбою: не начнут поджигать машины, дома, банки, пытаться захватывать административные здания и так далее.
Мы в разговоре с Александром Григорьевичем пришли к выводу о том, что такой необходимости сейчас нет, и надеюсь, её не будет, и поэтому этот резерв мы и не используем.
Повторяю ещё раз, мы исходим из того, что все сложившиеся проблемы, которые имеют место сегодня в Белоруссии, будут решаться мирным путём, а если где-то есть нарушения со стороны кого бы то ни было: либо со стороны государственных органов власти, правоохранительных органов, либо со стороны тех, кто участвует в акциях протеста, – если они выходят за рамки действующего закона, то и закон будет соответствующим образом на это реагировать. Ко всем закон должен относиться одинаково. Но если быть объективным, то я думаю, что правоохранительные органы Белоруссии ведут себя достаточно сдержанно, несмотря ни на что. Посмотрите, что в некоторых странах происходит.
Am 1. Juli sollen Russlands Wahlberechtigte über Änderungen in der Verfassung abstimmen. Das neue Datum – ursprünglich war die Abstimmung im April geplant – hat Putin auf einer live übertragenen Videokonferenz Anfang der Woche bekannt gegeben.
Es sind weitreichende Änderungen vorgesehen: Unter anderem sollen die Amtszeiten des Präsidenten auf Null gesetzt werden, so dass Putin bis 2036 im Amt bleiben könnte. Er wäre dann 83 Jahre alt. Die Rolle des Präsidenten soll insgesamt massiv gestärkt werden, so soll er etwa den Premier entlassen können, ohne dass die gesamte Regierung zurücktreten muss. Russisches Recht soll Vorrang vor internationalen Rechtsnormen haben. Außerdem ist etwa vorgesehen, das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare genauso in der Verfassung zu verankern wie den Glauben an Gott.
Am 1. Juni, dem Internationalen Kindertag, tauchte in sozialen Netzwerken ein Agitationsvideo auf: In einer homophoben Erzählung wirbt es dafür, für die Änderungen in der Verfassung zu stimmen. Viele oppositionelle und liberale Stimmen kritisieren die vorgesehenen Änderungen als restriktiv und gesetzeswidrig. Außerdem sehen sie die Abstimmung als Makulatur, deren Ergebnis längst feststehe.
Urheber des Videos ist die Mediengruppe Patriot, zu der unter anderem auch die Nachrichtenagentur RIA FAN gehört. Kuratoriumsvorsitzender von Patriot ist der Putin-Vertraute Jewgeni Prigoshin, dem auch die Sankt Petersburger Trollfabrik zugeschrieben wird. Nachdem das Video einen Sturm der Entrüstung in Sozialen Medien auslöste, gab Patriot ein offizielles Statement heraus: „Der Grundgedanke [des Videos] ist nicht der Kampf gegen die LGBT-Community, sondern der Schutz der Institution Familie als Bund zwischen Mann und Frau.“
Im Donbass-Konflikt konnten sich Kiew und Moskau vor Kurzem auf die sogenannte „Steinmeier-Formel“ verständigen. Diese sieht eine weitreichende Autonomie für den Donbass vor, sobald dort freie und faire Wahlen stattfinden. Ein Knackpunkt bleibt jedoch die Frage nach der genauen zeitlichen Abfolge von Wahlen und Übergabe der Grenzkontrolle.
Bevor es Wahlen in den umkämpften Donbass-Gebieten geben kann, muss die Ukraine ihre eigenen Außengrenzen kontrollieren, so die Position des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky. Auf der Pressekonferenz des Normandie-Treffens in Paris am 9. Dezember 2019 erklärt sein russischer Amtskollege Wladimir Putin, warum er das anders sieht.
Wladimir Posner, Ljudmila Ulitzkaja, Andrej Swjaginzew, Andrej Loschak, Olga Romanowa, Boris Grebenschtschikow, u.v.m. – sie alle waren Teil einer einzigartigen Solidaritätswelle, an dessen Ende die Freilassung von Iwan Golunow stand.
Der Meduza-Journalist wurde am 6. Juni in Moskau festgenommen, ihm wurde versuchter Drogenhandel in großer Menge angelastet. Am 11. Juni verkündete Russlands Innenminister Kolokolzew überraschend die Freilassung Golunows.
Konzertverbote für Rapper – und nicht nur: Wochenlang haben russische Behörden Konzerte von Rappern und anderen Musikern abgesagt und verboten. Meduzahat eine Überblicksliste abgesagter Konzerte erstellt. Im Staatssender Rossija-1 griff Dimitri Kisseljow das Thema Anfang Dezember auf – und trat für die Rapper und für den Rap als „alternative Musikkultur“ ein. Er sagte: „Ein Vorreiter des Rap in unserer russischen Lyriktradition ist natürlich Wladimir Majakowski“, und gab selbst auch gleich ein paar Majakowski-Bars zum Besten (siehe Video unten). Kurz zuvor war der Rapper Husky wegen einer Rap-Performance auf einem Autodach zunächst zu zwölf Tagen Haft verurteilt, dann aber vorzeitig wieder aus der Haft entlassen worden. Während Beobachter über die staatsnahe Unterstützung für die Rapper rätselten, kommentierte Huskys Manager in der russischen BBC:
„Für mich ist das [Eintreten Kisseljows für Husky] so zu werten, dass zunächst von oben die Gegenrichtung vorgegeben wurde, dass jetzt konkret über Husky nur Gutes gesagt werden darf – und alle staatlichen Fernsehsender haben dann nur noch Gutes gesagt. Die Krönung des Ganzen war der Beitrag von Kisseljow. Schon klar, warum das so läuft, wir wissen alle ganz genau, wie Content in Staatssendern gemacht wird und wer der Auftraggeber ist.“
Kurz darauf wurde in Woronesh ein Auftritt des Experimental-Duos IC3PEAK nach wenigen Minuten abgebrochen. Am selben Tag hatte die Duma einige Rapper zum Runden Tisch eingeladen. Dort hieß es unter anderem, sie hätten „die Werte eines würdigen, wertvollen und gesunden Lebens zu pflegen, das dem Land und der Gesellschaft diene“. Der bekannte Rapper Shigan verließ schließlich den Saal und sagte: „Das bringt nichts.“ Dabei gab es beim Parteitag der Regierungspartei Einiges Russland von höchster Ebene Unterstützung für die Musiker. Sergej Kirijenko, Vizechef des Präsidialamtes, kritisierte die Behörden: „Wenn es mit Konzertverboten endet, ist das eine Dummheit.“
Im Oktober 2018 ist von der russischen Gesellschaftskammer der landesweite Wettbewerb Große Namen Russlands organisiert worden. 45 wichtige Flughäfen Russlands sollten nach bedeutenden historischen Persönlichkeiten benannt werden. Zur Abstimmung, bei der praktisch jeder teilnehmen konnte, wurden Persönlichkeiten vorgeschlagen, die jeweils mit einer Stadt oder Region verbunden und für diese von großer Bedeutung sind. Wie das Ganze ausging, hat Meduzahier zusammengefasst.
In vielen Städten kam es zu heftigen Debatten, zwei davon – Omsk und Kaliningrad – sorgten für Schlagzeilen. In Omsk machten Aktivisten eine breite Kampagne für den in der Stadt geborenen und 2008 verstorbenen Jegor Letow, Frontmann der Punk-Rockband Grashdanskaja Oborona. Die Initiative kommentierte sogar der Kulturminister Wladimir Medinski, der die Aktivisten als „marginales Publikum“ bezeichnete. Trotz seiner führenden Position in vorläufigen Umfragen hat es Letow jedoch letztlich nicht mal auf die Shortlist geschafft – was zu Protestaktionen in Moskau und Omsk führte.
In Kaliningrad (bis 1946 Königsberg) konkurrierten die Zarin Jelisaweta Petrowna (1709–1762), der Philosoph Immanuel Kant, der Marschall Wassiljewski (1895–1977) und der General Tschernjachowski (1907–1945) miteinander. Kant lag zunächst an der Spitze, aber etwas ist schiefgelaufen. Der Duma-Abgeordnete Marat Barijew sagte, selbst die Anwesenheit dieses deutschen Namens auf der Shortlist beleidige die Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges. Kurz danach wurden Kants Denkmal, sein Grab und die Gedenktafel in Kaliningrad mit Farbe übergossen. Gestern wurde das Ergebnis der Abstimmung mitgeteilt: Der Kaliningrader Flughafen heißt nun nach der Zarin Jelisaweta Petrowna, der Tochter von Peter dem Großen.
Kurz vor Ende der Abstimmung ist im Runet ein Video aufgetaucht, in dem der Stabschef der Ostseeflotte, Igor Muchametschin, vor angetretener Truppe seine Einschätzung über das Werk Immanuel Kants abgibt:
Am Mittwoch hat Wladimir Putin in Moskau erstmals öffentlich die jüngste Eskalation im Asowschen Meer kommentiert. Auf dem Investitionsforum Rossija sowjot! nannte er den Vorfall eine ukrainische Provokation und einen Vorwand, um im Vorfeld der ukrainischen Präsidentschaftswahl das Kriegsrecht einzuführen. Dabei kritisierte er auch das Verhalten der Weltgemeinschaft gegenüber der Ukraine. Die dafür gewählte Rhetorik, die ukrainische Machthaber (wenn auch nur hypothetisch) in die Nähe von Kannibalen rückt, wurde im Netz vielfach beanstandet und mit der berühmten Fake-Nachricht vom „gekreuzigten Jungen“ in der Ukraine in Verbindung gebracht.
Anfang September fand auf der Insel Russki, unweit von Wladiwostok, das IV. Östliche Wirtschaftsforum statt. Vertreter aus Russland, China, Japan und anderen Ländern unterzeichneten Verträge für über drei Billionen Rubel (über 40 Milliarden Euro).
Im Vorfeld des Forums besuchte Wladimir Putin die Werft Swesda: Er schaute sich Trockendocks an, feierte Kiellegungen und sprach mit den Mitarbeitern der Werft. Dabei schätzte Putin den Durchschnittslohn eines Werftarbeiters auf 90.000 Rubel ein (rund 1200 Euro). In der Region Primorje verdient man offiziellen Zahlen zufolge rund die Hälfte, russlandweit betragen die durchschnittlichen nominalen Löhne und Gehälter etwa 39.000 Rubel (rund 520 Euro). Dies sind die offiziellen Zahlen, die viele Beobachter in Russland oft anzweifeln. Entscheidend für sie sei ohnehin das durchschnittliche Realeinkommen, und dieses sinkt auch laut Rosstat seit vier Jahren in Folge.
Hat sich der Präsident also verschätzt? Jedenfalls wiesen einige unabhängige Medien darauf hin, dass das stenografierte Gespräch nach der Veröffentlichung zunächst eine Zeit lang von der Website des Kreml verschwand. Daraufhin entbrannte im Runet eine hämische Diskussion darüber, ob der Präsident denn nicht wisse, wie schlecht es eigentlich um die russische Lohnpolitik bestellt sei. Einige wiesen darauf hin, dass die staatlichen Nachrichtenkanäle diese Episode herausgeschnitten haben.
Auf die Frage, weshalb das Gespräch nicht mehr aufrufbar war, entgegnete Putins Pressesprecher Dimitri Peskow, dass der Text nur deshalb runtergenommen wurde, um ihn durch ein Video zu ersetzen.
Dimitri Kisseljow, Moderator und Leiter der staatlichen Fernsehagentur Rossija Sewodnja gilt seinen Kritikern als Scharfmacher und „Kreml-Chefpropagandist“. In den 1990er Jahren war er jedoch ein Liberaler und galt als Sprachrohr der Post-Perestroika-Bewegung. In einem Lehrfilm, den unter anderem die BBC und Internews produzierten, spricht er 1999 über Ethik im Journalismus – und was passiert, wenn diese fehlt. Letzteres klingt heute fast prophetisch …