дekoder | DEKODER

Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Presseschau № 11

    Presseschau № 11

    Die Einschränkung der Menschenrechte in Russland geht weiter: Ein neues Gesetz hebelt die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus. Auf seiner alljährlichen Pressekonferenz vermeidet Putin Aussagen zu den innenpolitischen Skandalen des Jahres und beschwört Stabilität und internationalen Einfluss Russlands, während türkische Staatsbürger mit Anfeindungen der Behörden zu kämpfen haben. Außerdem: Hype um den neuen Star Wars-Film.

    Menschenrechte. Es sind keine guten Nachrichten zum Thema Menschenrechte,die in der vergangenen Woche in Russland für Schlagzeilen sorgten. Nachdem der Aktivist Ildar Dadin wegen der Teilnahme an vier nicht genehmigten Protestaktionen zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, unterschrieb Präsident Wladimir Putin am Dienstag ein Gesetz, laut welchem Urteile des Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) für Russland nicht mehr bindend sind. Moskau hat nun neu die Möglichkeit, dessen Urteile durch den Verfassungsgerichtshof zu prüfen. Stellt der fest, dass diese gegen das Grundgesetz verstoßen, müssen die Urteile des EGMR nicht mehr umgesetzt werden.

    Die Staatsmedien begrüßen den Schritt. Nun habe die russische Justiz eine Möglichkeit erhalten, Entscheidungen des EGMR zu korrigieren, schreibt die regierungseigene Zeitung Russkaja Gazeta. Moskau müsse sich vor weiteren anti-russischen Entscheidungen des EGMR schützen, behauptet Ria Novosti. Nach dem politisch motivierten Entscheid in der Yukos-Affäre, bei der das Straßburger Gericht Moskau zu einer Zahlung von 1,9 Milliarden Euro an die ehemaligen Aktionäre des 2007 aufgelösten Ölkonzerns verurteilte, müsse in Zukunft mit allem gerechnet werden, gab sich die Nachrichtenagentur überzeugt.

    Russland hat sich jedoch mit dem Beitritt zum Europarat 1996 und der zwei Jahre später erfolgten Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention dazu verpflichtet, die Urteile des EGMR umzusetzen. Der Menschenrechtsaktivist Lew Ponomarjow kritisiert, dass Russland sich darauf beschränkt, Entschädigungssummen zu bezahlen, Aufforderungen zu systematischen Reformen würden hingegen nicht umgesetzt. Für viele russische Bürger ist das Gericht in Straßburg eine wichtige Instanz: Nach der Ukraine und Italien stammten 2014 die meisten anhängigen Fälle aus Russland. Die ehemaligen Yukos-Aktionäre haben den EGMR ebenso angerufen, wie etwa die Hinterbliebenen der Geiselnahme in Beslan, Opfer des Atomunfalls in Majak und auch die Anwälte von Ildar Dadin.

    Jahrespressekonferenz des Kremls. Bereits zum elften Mal lud der Kreml zur Pressekonferenz von Präsident Putin, neben dem Direkten Draht der zweite mehrstündige Live-Auftritt pro Jahr des russischen Präsidenten. Und so versuchten mehr als 1000 akkreditierte Journalisten aus dem In- und Ausland mit lautem Rufen und selbstgemalten Schildern, Putin und seinen Pressechef Dimitri Peskow auf sich aufmerksam zu machen, um ihre Frage stellen zu können.

    Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise interessierte die Pressevertreter hauptsächlich die Entwicklung des Ölpreises und wie stark die Pensionen 2016 der Inflation angepasst werden (vorgesehen ist eine Indexierung von vier Prozent). Ebenso angesprochen wurden die Proteste der Lastwagenfahrer, die immer noch gegen eine neue Maut protestieren oder das seit dem Abschuss der SU-24 stark belastete Verhältnis zur Türkei. Hier das komplette Transkript mit allen Details der knapp über dreistündigen Veranstaltung. Eine Frage betraf auch die innenpolitischen Skandale der letzten Monate: den Mord an Boris Nemzow, die Korruptionsaffäre um Generalstaatsanwalt Juri Tschaika oder die steile Karriere von Putins angeblicher Tochter und den Geschäften ihres Ehemannes. Putin vermied klare Antworten, wich aus. Im Online-Magazin znak.com schreibt die Fragestellerin später, wichtiger als überhaupt Antworten zu erhalten sei ihr gewesen, dass solche Fragen im landesweiten Fernsehen überhaupt gestellt würden.

    Während Vedomosti auf der Pressekonferenz einen eher müden, uninteressierten Putin sah, welcher aus Gründen der Staatsräson mit diesem öffentlichen Auftritt Stabilität zu demonstrieren versuchte, zeigte sich die kremltreue Presse zufrieden. Schützend habe sich der Präsident vor den Generalstaatsanwalt und die Minister gestellt, welche von der Opposition angegriffen wurden. Damit demonstriert Putin, dass der Kreml in Krisenzeiten erst recht nicht auf Druck reagiere, schreibt der Moskovski Komsomolets. Der Präsident habe gezeigt, wer am Steuer sitzt und das seine Hände nicht zittern, so die Zeitung weiter. Noch weiter ging der Politologe Sergej Markow in einem Kommentar für Izvestia: Es sei egal, dass auf der Pressekonferenz mit keinen wirklichen Neuigkeiten aufgewartet wurde. Die russische Armee in Syrien und die humanitären Konvois, mit welchen Moskau seit mehr als einem Jahr den Donbass versorgt, sprechen im Namen Putins. Der Präsident spreche nicht durch Worte, sondern er liebe es, seine Taten für sich sprechen zu lassen. Und dafür lieben ihn die Bürger und fürchten ihn seine Gegner, schreibt Markow weiter. 

    Türkei. Welche realen Konsequenzen die scharfe Rhetorik russischer Offizieller hat, zeigt sich dieser Tage. Bereits bevor mit Jahreswechsel das Gesetz in Kraft tritt, das russischen Arbeitgebern untersagt, Menschen mit türkischem Pass anzustellen, nimmt der Druck auf die rund 200.000 türkischen Staatsbürger zu, welche in Russland arbeiten oder studieren. Wie Mediazona schreibt, sehen sich diese plötzlich verstärkten Kontrollen ausgesetzt, etwa bei der Passkontrolle am Flughafen oder durch den Föderalen Migrationsdienst, der verstärkt Kontrollen an den Arbeitsorten durchführt. Meduza.io berichtet gar von Studenten, die ihre Studienplätze wegen angeblichen Drogenmissbrauchs oder des Verdachts auf Terrorismus verloren haben.

    Star Wars. Der mittlerweile siebte Teil der Star Wars-Reihe sorgt auch in Russland für Aufsehen. Ganz im Gegensatz zu 1977: Als in den USA der erste Teil der Weltraumsaga in die Kinos kam, nahm das in der UdSSR so gut wie niemand zur Kenntnis, schreibt die Izvestia. Erste sowjetische Kritiken betrachteten damals den Film, abgesehen von den Spezialeffekten, als nichts besonderes, später wurde etwa die Ähnlicheit der Uniformen der imperialen Sturmtruppen mit denen sozialistischer Länder festgestellt und daran antisowjetische Züge von Star Wars festgemacht. Erst 1990 kam der erste Film der Trilogie in der Sowjetunion in den regulären Kinoverleih, mit absolut sehenswerten Plakaten (ganz herunterscrollen), die eigens für die Kinos entworfen wurden. Für den aktuellen Film hängen nun seit Wochen riesige Werbeposter im Zentrum Moskaus, auf denen Filmfiguren für die Produkte eines Kreditkartenunternehmens werben.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

     

     

    Weitere Themen

    Presseschau № 3

    Presseschau № 4

    Presseschau № 5

    Presseschau № 6

    Presseschau № 7

    Presseschau № 8

    Presseschau № 9

    Presseschau № 10

  • Presseschau № 10

    Presseschau № 10

    Kleine Erfolge und größere Einschränkungen beschäftigen diese Woche die russischen Medien: LKW-Fahrer erringen einen Teilerfolg nach wochenlangen Protesten gegen die Maut. Die Luftfahrtbranche leidet dagegen unter den Beschränkungen im Flugverkehr und der immer weiter sinkende Ölpreis hemmt die wirtschaftliche Entwicklung. Außerdem: Ein erstes Urteil aufgrund des verschärften Versammlungsrechts – eine Vorausschau auf das Wahljahr 2016?

    Ölpreis drückt Rubel. Krieg in Syrien, Trouble mit der Türkei, Dauerknatsch mit der Ukraine  – und jetzt auch noch das: Der für Russlands Wohl und Wehe maßgebliche Ölpreis ist massiv in den Keller gegangen: Am Dienstag sackte der Preis für ein Barrel Brent auf  38 Dollar ab – und ist damit wieder so niedrig wie Ende 2008/Anfang 2009 während der großen Ölpreiskrise.

    Fast zwangsläufig rutschte dadurch auch der Kurs der russischen Währung ab: Der Euro kletterte über 76 Rubel, der Dollar-Kurs marschiert in Richtung seines historischen Höchststandes von knapp über 70 Rubel. Gegen den Rubel arbeiten gegenwärtig neben dem Ölpreis auch noch eine ganze Reihe von Faktoren, etwa die erwarteten Zinserhöhungen in den USA und die zum Jahresende fällig werdenden russischen Auslandsschulden, schreibt der Kommersant.

    Insofern ist es ziemlich fraglich, ob der von Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew für 2016 prognostizierte Dollarkurs von im Schnitt 60,8 Rubel und die Rückkehr zu einem leichten Wirtschaftswachstum von circa 1 Prozent noch im Rahmen des Möglichen liegt – denn dazu bräuchte es einen Ölpreis im Bereich von 50 bis 60 Dollar.  Doch der wird noch lange bei 50 Dollar oder niedriger liegen, glaubt Ex-Finanzminister Alexej Kudrin – und findet das gar nicht schlecht: Für Russland sei das immerhin ein Stimulator für Reformen.

    2015 wird Russland – vorrangig wegen der niedrigen Ölpreise – einen Rückgang der Wirtschaft um 3,9 Prozent verbuchen müssen.  Die Realeinkünfte der Russen lagen im Oktober um 5,6 Prozent niedriger als im Vorjahr, die Gehälter sogar um 10,9 Prozent – der Kreml hält das für nicht dramatisch.  Die Inflation erreicht unterdessen 12 Prozent.

    Heftiger gebeutelt hat der Discount-Preis fürs Schwarze Gold 2015 nur Venezuela, so fontanka.ru – und da hatte der herrschende Autokrat Nicolas Maduro gerade bei Parlamentswahlen eine heftige Niederlage erlitten und seine Regierung entlassen. Apropos, auch in Russland sind im September Dumawahlen

    Haft für Demos. Erstmals ist in Russland ein Oppositionsaktivist nach dem kürzlich verschärften Demonstrationsrecht zu einer Haftstrafe verurteilt worden: Ildar Dadin muss für drei Jahre ins Gefängnis, weil er laut Gericht letztes Jahr in Moskau innerhalb von weniger als 180 Tagen vier Mal an gewaltfreien, aber nicht genehmigten Protestaktionen teilgenommen hat. Dadin gibt hingegen an, dass er in drei der vier Fälle allein demonstriert habe, was keiner Genehmigung bedürfe.
    Die Zeitung Vedomosti zitiert Experten mit den Worten, dass dieses Urteil „Furcht vor Anbruch des Wahljahres verbreiten“ soll: „Politische Protestaktionen werden gefährlich“. Das Publikum im Gerichtssaal reagierte auf das Urteil mit einem Tumult, weil die Strafe sogar um ein Jahr länger ausfiel als von der Anklage gefordert. Drei weitere Prozesse gegen andere Protest-Aktivisten laufen noch, darunter auch gegen den 75 Jahre alten Wladimir Ionow. In seinem Fall fordert die Staatsanwaltschaft drei Jahre auf Bewährung und ein Verbot, seinen Wohnort Ljuberzy im Moskauer Umland zu verlassen.

    Streit um LKW-Maut. Es ist aber auch nicht so, dass in Russland jegliche Proteste unterdrückt würden und nichts bringen: Das bewiesen die seit Wochen gegen das Mautsystem Platon demonstrierenden Spediteure und Fernfahrer: Nachdem Wladimir Putin in seiner jährlichen Programm-Ansprache vor beiden Parlamentskammern nicht auf das Thema eingegangen war, legten die in einer Sternfahrt auf Moskau angerückten Trucker ein Teilstück der Moskauer Ringautobahn lahm. Faktisch zur gleichen Zeit kassierte die Duma mit einer Änderung des Bußgeldkatalogs immerhin einen der Hauptkritikpunkte an der Lkw-Maut: Die existenzgefährdenden Strafsätze bei Mautverstößen wurden um 99 Prozent zusammengekürzt. Die Maut als solche soll aber beibehalten werden – auch wenn inzwischen 20 Verbände von Lebensmittelherstellern und –händlern unisono vor Lieferengpässen und einem zusätzlichen Inflationsschub warnen – als gäbe es, wie schon geschildert,  nicht genug Krisenfaktoren im Land.

    Luftfahrt-Krise. Starke ökonomische Turbulenzen erschüttern auch die russische Luftfahrtbranche – und 2016 kann eigentlich nur schlimmer werden, berichtet der Kommersant: Bislang war zwar das Passagiervolumen konstant, da mehr Inlandsflüge die weniger gefragten Auslandsverbindungen ersetzen. Doch Geld verdienen die Airlines nur im internationalen Verkehr. Aber seit kurzem sind fast alle Flüge in die beiden populärsten Destinationen Türkei (Sanktionen) und Ägypten (Sicherheitsbedenken) sowie in die Ukraine (gegenseitige Flugverbote) gecancelt. An den Moskauer Flughäfen machen diese Destinationen allein ein Fünftel aller Flüge aus. Und schon in den ersten neun Monaten dieses Jahres buchten die zum Sparen gezwungenen Russen über 30 Prozent weniger Auslandsurlaube.

    Umgekehrt wird natürlich auch ein Filzstiefel draus: Die Russen erholen sich mehr im eigenen Land – wobei sie sich teure Ziele wie St. Petersburg kaum leisten können. Der Chef der russischen Tourismusbehörde Oleg Safonow erklärte in einem Interview mit der Rossijskaja Gazeta gar, das Bedürfnis nach Strand und Meer, und erst recht nach All-inclusive-Ferien in der Türkei, sei ein „aufgedrängtes Stereotyp der letzten Jahre“. Früher seien ja auch selbst wohlhabende Russen nicht massenhaft ans Meer gefahren. Und selten für einen heutigen russischen Beamten: Er bezeichnete die US-Bürger als vorbildhaft, urlauben sie doch zu 80 Prozent innerhalb der eigenen Staatsgrenzen.

    Lothar Deeg aus Sankt Petersburg für dekoder.org

    Weitere Themen

    Presseschau № 2

    Presseschau № 3

    Presseschau № 4

    Presseschau № 5

    Presseschau № 6

    Presseschau № 7

    Presseschau № 8

    Presseschau № 9

  • Presseschau № 9

    Presseschau № 9

    Putin bestraft die Türkei mit Einschränkung der Reisefreiheit und einem Importembargo für Lebensmittel. In der Folge steigen die Lebensmittelpreise. Weitere Themen, die die russische Presse in dieser Woche beschäftigten: der Blackout auf der Krim, Korruptionsvorwürfe gegen Generalstaatsanwalt Juri Tschaika und zu guter Letzt eine tierische Freundschaft im Wladiwostoker Zoo, die als Vorbild für die Beziehung zwischen Putin und Erdogan diskutiert wird.

    Russisch-türkische Spannungen: Der Abschuss der russischen Su-24 an der syrisch-türkischen Grenze hat zwei sich in ihrer Starrköpfigkeit sehr ähnliche eurasische Machtpolitiker auf Konfrontationskurs gebracht: Wladimir Putin wartete vergeblich auf eine Entschuldigung von Recep Tayyip Erdogan, verweigerte auf dem Klima-Gipfel in Paris auch das Gespräch mit ihm – obwohl Erdogan versuchte, Putin auf dem Flur abzupassen, wie der Kommersant berichtete.

    Stattdessen holte Putin einen ganz dicken Knüppel heraus. Per Ukas belegte er die Türkei mit einem umfangreichen Sanktionspaket: ein ab dem 1. Dezember geltendes Import-Embargo für Hühnerfleisch, Salz und bestimmte Obst- und Gemüsesorten, eine Auftragssperre für türkische Unternehmen, schärfere Kontrollen türkischer Schiffe und Lastwagen.

    Der Wirtschaftszeitung Vedomosti war die Bedrohung der einst so blühenden russisch-türkischen Geschäftsbeziehungen eine zweiseitige Analyse wert. Das Fazit: Der Türkei drohen 12 Mrd. Dollar Verluste – oder 1,6 Prozent des BIP. Einen hohen Preis haben aber Russlands Verbraucher zu zahlen: Die Großhandelspreise für Tomaten (auf der Sanktionsliste) und Zitronen (nicht betroffen) sind jetzt schon auf gut das Doppelte gestiegen. Begründung: Transporte aus der Türkei werden an der Grenze sehr penibel kontrolliert und auf diese Weise zurückgehalten.

    Außerdem setzt Russland zum 1. Januar 2016 den visafreien Reiseverkehr mit der Türkei aus. Außenminister Sergej Lawrow begründete dies mit einer von der Türkei ausgehenden „realen terroristischen Gefahr“. Die Türkei wird dies wohl kaum mit gleicher Münze heimzahlen, wenn sie wenigstens einen Teil ihres Tourismusgeschäfts mit den Russen retten will: 2014 machten 3,2 Mio. Russen in der Türkei Urlaub, aber nur 135.000 Türken in Russland. Doch nun hat Russland den Verkauf von Türkei-Reisen verboten und wird den Charterflugverkehr stoppen, sobald alle Urlauber zurückgekehrt sind. Der Chef der staatlichen Tourismus-Agentur Rostourism hofft jedenfalls, dass schon nächstes Jahr drei bis fünf Millionen Russen mehr Urlaub im eigenen Lande machen – neben der Türkei ist ja seit dem Anschlag auf den Airbus über dem Sinai auch Ägypten für erholungssuchende Mitbürger tabu. Russische Individualtouristen lassen sich davon aber nicht unbedingt beeindrucken: Sie buchen weiter munter Linienflüge und Hotels am Bosporus und in den Seebädern.

    Die Zeitung Vedomosti kommentiert, dass Russland durch diesen Konflikt endgültig zu einem „Land mit negativer Tagesordnung“ geworden ist: Nadelstich-Sanktionen und den einen oder anderen kleinen Handelskrieg mit Nachbarn gab es früher auch schon, doch nun scheinen alle Behörden kollektiv ihre ganze Energie nur noch darauf zu richten, möglichst viel zu verbieten – momentan eben alles Türkische. Selbst der bekannte Showman und Leiter eines nach ihm benannten A-Capella-Chores Michail Turezki denkt bereits ernsthaft darüber nach, seinen (eigentlich polnischen) Familiennamen zu ändern – schließlich klingt der genauso wie das russische Adjektiv „türkisch“.

    Isolierte Krim: Am 22. November sprengten krimtatarische und rechtsnationale Gruppen alle vier Stromleitungen, die aus der Ukraine auf die Krim führen. Seitdem leben die zwei Millionen Einwohner der von Russland vereinnahmten Halbinsel im Energienotstand. So gibt es in Sewastopol nur vier Stunden am Tag Strom aus den wenigen eigenen Kraftwerken, berichtet RBK. Die Energiekrise führte sogar zu einem heftigen Zerwürfnis zwischen Krim-Republikchef Sergej Aksjonow und dem kremltreuen TV-Sender NTW: Der hatte behauptet, die Regionalregierung habe Moskau vorgeflunkert, die Halbinsel sei für solche Situationen gewappnet und erst der kompetente Einsatz Moskauer Minister habe Ordnung ins Chaos gebracht. Aksjonow bezeichnete dies als „Lüge“ und „Blödsinn“, der eines zentralen TV-Kanals nicht würdig sei.

    Lenur Isljamow, der krimtatarische Initiator der Lebensmittel- und Stromblockade der Halbinsel, kündigte unterdessen in einem Interview mit Open Russia auch noch eine Seeblockade an. Auf der Krim gibt es, so schreibt der Kommersant in einer Blackout-Reportage, mittlerweile Versorgungsengpässe, vor allem bei Milchprodukten und anderer kühl zu haltender Ware – aber auch die Hoffnung, dass es jetzt besser wird: Seit Mittwoch liefert ein erstes Unterwasserkabel zusätzlichen Strom aus Russland. In der ukrainischen Nachbarprovinz Cherson weisen die Behörden inzwischen auf die Gefahr durch grenznahe Chemiefabriken auf der Krim hin: Dort sind Speicher mit mehreren hundert Tonnen Chlor, Ammoniak und Salzsäure die meiste Zeit ohne Stromversorgung – und könnten das Land im weiten Umkreis verseuchen.

    Korruptionsvorwürfe: Begonnen hatte die Woche mit der Veröffentlichung von geharnischten Vorwürfen gegen die Familie und Kollegen von Generalstaatsanwalt Juri Tschaika durch den oppositionellen Korruptionsjäger Alexej Nawalny. Tschaikas Sohn Artjom besitze neben einer Villa auch noch ein teures Hotel in Nordgriechenland. Teilhaberin daran sei die Ex-Frau eines Tschaika-Stellvertreters Olga Lopatina – die wiederum in Südrussland ein gemeinsames Business mit der erst 2010 nach einem brutalen Massenmord aufgeflogenen Zapok-Bande betrieben habe. Tschaika bezeichnet die Nawalny-Enthüllungen als erlogene Auftragsarbeit, auch Lopatina dementiert alles. Die meisten russischen Print-Medien fassen diese Story mit Samthandschuhen an oder ignorieren sie ganz – nur die Zeitung RBK habe sich damit auf die Titelseite getraut, so Nawalny auf Facebook.

    Amur und Timur: In solchen angespannten Zeiten ist es kein Wunder, dass die ungewöhnliche Freundschaft zweier Bewohner eines Wildparks bei Wladiwostok dieser Tage quer durch alle (sozialen) Medien die Herzen der Russen erfreut: Denn der Ziegenbock Timur war eigentlich als Lebendfutter in das Gehege des sibirischen Tigers namens Amur gesteckt worden. Das Unausweichliche blieb aber aus: Der Tiger hatte keinen Appetit auf den Bock, der seinerseits keinerlei Angst vor dem Herrscher der Taiga zeigte – worauf beide dicke Freunde wurden und nun täglich gemeinsam spazierengehen. Russlands YouTube-User diskutieren nun darüber, inwieweit dieses idyllische Beispiel nicht auch als Rollenmodell für die Menschheit – und Putin und Erdogan im Besonderen – taugen könnte.

    Lothar Deeg aus Sankt Petersburg für dekoder.org

    Weitere Themen

    Presseschau № 1

    Presseschau № 2

    Presseschau № 3

    Presseschau № 4

    Presseschau № 5

    Presseschau № 6

    Presseschau № 7

    Presseschau № 8

  • Presseschau № 8

    Presseschau № 8

    Ereignisse dieser Woche: Abschuss des russischen Jagdbombers durch die Türkei. Es gibt emotionale Reaktionen, wütende Proteste – und ein neues Feindbild. Außerdem: In den Regionen protestieren LKW-Fahrer gegen die neue Straßenmaut. Jekaterinburg: Naina Jelzina, Witwe des ersten Präsidenten der Russischen Föderation, wirft anlässlich der Eröffnung des Jelzin-Zentrums einen Blick zurück auf die Regierungszeit ihres Mannes.

    Abschuss der SU-24. „Zehn türkische Flugzeuge gehören abgeschossen, Erdogan sponsert den Islamischen Staat!“ So die Reaktion eines Demonstranten vor der türkischen Botschaft in Moskau. Nach dem Abschuss eines russischen SU-24 Jagdbombers durch einen türkischen F-16 Kampfjet kam es am Dienstag und Mittwoch zu Protesten. Steine wurden geworfen, Fensterscheiben gingen zu Bruch. Ebenso wütend und emotional reagierten auch die Medien und die Politik. Einige Stunden nach dem Abschuss meldete sich Wladimir Putin zu Wort: Es handele sich um ein „Verbrechen“, einen „Stoß in den Rücken“, ausgeführt durch Komplizen der Terroristen, sagte der russische Präsident. Moskau und Ankara geben sich gegenseitig die Schuld an dem Abschuss.

    Der Abschuss der SU-24 beherrschte die Berichterstattung der Medien, mit der Türkei als neuem Feindbild: Bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des Abschusses schrieb der Kommersant von einer Provokation Ankaras, um die von Moskau angestrebte breite Koalition gegen den Islamischen Staat zu verhindern, dank derer Assad womöglich länger an der Macht bleiben könnte. Das Staatsfernsehen zeigte einen Film über die Schlachten der russischen Armee gegen das osmanische Reich und in der populären Talkshow Der Abend mit Wladimir Solowjow diskutierten Politologen und Politiker die angeblichen gemeinsamen Wurzeln der türkischen Regierungspartei AKP und der ägyptischen Muslimbrüder, welche ja, ähnlich dem Islamischen Staat, ein Kalifat errichten wollten.

    Reagiert hat auch die Wirtschaft. Als erstes wurde der Tourismus zurückgefahren, weitere Großprojekte stehen auf der Kippe. Das Außenministerium in Moskau empfiehlt, von Reisen in die Türkei abzusehen, die größten Reisebüros verkaufen keine Touren mehr. Nach dem Verbot der Reisen nach Ägypten ist dies bereits der zweite Schlag innerhalb kürzester Zeit für die russische Tourismusindustrie: 40 Prozent aller Auslandsreisen aus Russland gingen im ersten Halbjahr 2015 an diese beiden Destinationen.

    Lastwagenfahrer protestieren. Zu erwarten ist, dass der Abschuss der SU-24 und der Streit mit der Türkei innerhalb Russlands noch zu einer noch stärkeren Unterstützung für die Politik des Kremls führen wird. Andernorts regt sich aber auch sozialer Protest, in mehreren Regionen streiken Lastwagenfahrer. Protestiert wird gegen die Mitte November neu eingeführte LKW-Maut – Projektbezeichnung: Platon. Durch die viel zu hohen Kilometertarife würden ihre Kosten unnötig steigen, ihre Arbeit lohne sich nicht mehr, klagen die Streikenden. Der Umfang des Protests lässt sich nur schwer beziffern, offiziellen Angaben zufolge nehmen landesweit nicht mehr als 2500 LKW-Fahrer teil. Laut den Lastwagenfahrern sollen es aber alleine in Dagestan mehr als 17.000 Protestierende sein. Der Konflikt wird bislang von den Staatsmedien ignoriert, trotz Forderungen der Zuschauer an den Ersten Kanal. Zu berichten gäbe es genug: In St.Petersburg protestierten die LKW-Chauffeure vor der Stadtverwaltung, in Samara und Petrosawodsk behinderten sie mit langsam fahrenden Kolonnen den Verkehr und in Dagestan wurde kurzerhand die Autobahn blockiert. Die Streikenden drohen nun auch dem Kreml: Am 30. November soll die Moskauer Ringautobahn, der MKAD, blockiert werden. Mit ihrer Kampagne erreichen die LKW-Fahrer politisch bislang kaum etwas, könnten aber zum Vorbild für die Organisation anderer Gruppen aus der Mittelklasse werden, welche ihren Unmut artikulieren wollen, schreibt Vedomosti. Medienberichten zufolge signalisieren die Behörden aber nun zumindest Gesprächsbereitschaft. Nicht alle Reaktionen sind jedoch gleich konstruktiv: Der Dumaabgeordnete Jewgeni Fjodorow hatte zuvor per Videobotschaft erklärt, der Protest gegen Platon sei von Agenten der Fünften Kolonne auf Geheiß der USA mit dem Ziel organisiert worden, den russischen Staat zu zerstören.

    Unmut über das neue System regte sich vor allem aber auch, weil von der LKW-Maut, mit deren Einnahmen eigentlich Straßen repariert werden sollten, nicht zuletzt Igor Rotenberg, der Sohn des Oligarchen Arkadi Rotenberg, der als Putin-Vertrauter gilt, profitiert. Die Fahrer nahmen kein Blatt vor den Mund: Wie die Novaya Gazeta berichtet, waren bei den Demonstrationen Transparente mit Schriftzügen wie „Russland ohne Rotenberg“, „Rotenberg ist schlimmer als der IS“ zu lesen.  Rotenberg-Junior soll zur Hälfte der Betreiber des Mautsystems, die Firma RT-Invest Transport Systeme, gehören. Open Russia schätzt den jährlichen Gewinn der Firma auf umgerechnet 43 bis 57 Millionen Euro pro Jahr – ohne vorangegangene Investition, da dafür staatliche Kredite herhalten. Igor Rotenberg ist nicht der einzige Sohn oder die einzige Tochter eines Oligarchen oder Politikers, der zur Zeit im Rampenlicht steht. Kritiker sprechen gar von einer neuen Aristokratie, die sich in Putins Russland entwickelt.

    Jelzin-Zentrum. Zum Abschluss noch ein Blick zurück in die 1990er Jahre, welche in Russland wieder im Fokus stehen. Anlass war die am Mittwoch in Ekaterinburg im Beisein von Putin und Medwedew erfolgte Eröffnung des Jelzin-Zentrums. Zu diesem Ereignis gab Naina Jelzina ein Interview: Die Witwe des ersten russischen Präsidenten spricht von einer schwierigen Zeit, die damals errungene Freiheit habe die Zukunft des Landes über viele Jahre hinweg bestimmt. Dekoder erinnerte bereits vor einigen Wochen mit mehreren Artikeln und Gnosen an den kontroversen Umgang mit dem unübersichtlichen ersten Jahrzehnt der Russischen Föderation.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

     

    Weitere Themen

    Presseschau № 1

    Presseschau № 2

    Presseschau № 3

    Presseschau № 4

    Presseschau № 5

    Presseschau № 6

    Presseschau № 7

  • Presseschau № 7

    Presseschau № 7

    Nach dem Terroranschlag auf die russische Passagiermaschine im Sinai verstärkt Russland seine Luftangriffe auf Ziele in Syrien – hochrangige Politiker verlesen Listen mit Angriffszielen in den Abendnachrichten und die Anschläge in Paris werden als Teil einer globalen Terror-Serie eingeordnet. Außerdem diese Woche: Der russische Leichtathletikverband sucht nach kreativen Auswegen aus seiner Suspendierung von internationalen Wettkämpfen und die Umgestaltung der russischen Medienlandschaft geht voran.

    Terroranschlag. 18 Tage nach dem Absturz der russischen Passagiermaschine über dem Sinai erklärt der Kreml die Spekulationen über die Absturzursache als beendet: „Es war eindeutig ein Terroranschlag“, konstatierte Alexander Bortnikow, Direktor des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Der russische Präsident Wladimir Putin drohte den Verantwortlichen umgehend Vergeltung an. An jedem Punkt der Erde würden die Terroristen gefunden und bestraft.

    Ausführlich berichteten die Abendnachrichten über Moskaus Reaktion: Russland verstärke seine Luftschläge gegen die Terroristen in Syrien, setze neu auch Langstreckenbomber ein. Fast harmlos klang es, wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow vor einer riesigen Leinwand in der Kommandozentrale im Moskauer Verteidigungsministerium minutenlang Listen mit Zahlen getätigter Flüge und zerstörter Ziele verlasen. Putin gratulierte den Militärs: Sie garantierten die Sicherheit Russlands und seiner Bürger.

    Kaum ein Wort verwendeten die Kommentatoren jedoch auf die politische Tragweite des Ereignisses. Bemerkenswert erschien einigen Medien einzig der Zeitpunkt der Verlautbarung: Der Flugstopp am 6. November sei eigentlich schon ein ziemlich sicheres Indiz für einen Anschlag gewesen. Mindestens zehn Tage wusste der russische Präsident also offenbar bereits, dass der Absturz auf einen Anschlag zurückzuführen sei, er habe es aber nicht für nötig gehalten, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, schreibt Slon. Innenpolitisch wird der Anschlag auf die Passagiermaschine dem russischen Präsidenten kaum gefährlich, meint der Politologe Kirill Rogow. Nach den Ereignissen in Paris sehen die Menschen in Russland nun nicht den Militäreinsatz in Syrien als Grund für den Anschlag, sondern verstehen die Katastrophe als Teil einer globalen Terror-Serie, so Rogow weiter.

    Die Veränderungen im Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen interessieren die Medien hierzulande derzeit sowieso eher als ein drohender Terroranschlag. Nach dem G20-Gipfel in der Türkei sei Moskau nun wieder zurück auf der Weltbühne, die Staats- und Regierungschefs hätten sich auf dem Gipfel förmlich um ein Gespräch mit Putin gerissen. Etwas vorsichtiger formuliert der Kommersant: Die vom französischen Präsidenten Hollande vorgeschlagene Anti-Terrorkoalition könne zum Katalysator werden, welcher eine Annäherung der beiden Seiten nun wieder möglich macht. Die demokratische Opposition sieht für Russland momentan eine wichtige Chance. Nach Paris sei nun allen klar, wo der Feind sei, meint Jabloko-Parteichef Grigori Jawlinski. Russland müsse sich nun vorbehaltlos einer internationalen Anti-Terrorkoalition anschließen und zwar nicht zu den russischen, sondern zu den westlichen Bedingungen, schreibt Jawlinski in einem Kommentar für Vedomosti.

    Die russische Reaktion auf die Anschläge von Paris ist jedoch nicht frei von Seitenhieben: Zwischen guten und schlechten Terroristen unterscheiden zu wollen und bewaffnete Anti-Assad-Kräfte zu unterstützen, sei eine Illusion, war oft zu lesen. Der Westen flirte gar mit Terroristen, sagte die Dumaabgeordnete Swetlana Shurowa. Noch weiter gingen Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche, die forderten, Europa müsse sich von seinen unsittlichen Werten verabschieden, nur so könne man den IS bekämpfen.

    Der Tenor vieler Berichte war, dass im Kampf gegen den Terror Europa nun auf einen Teil seiner politischen Freiheiten verzichten müsse. Der Journalist Andrej Archangelski erinnert in diesem Zusammenhang an den Anschlag von Beslan 2004 . Damals verabschiedete Russland strengere Anti-Terrorgesetze und schaffte die Wahl der Gouverneure ab.

    Doping. Sieht sich Russland nach dem G20-Gipfel in der Politik nun wieder mitten im Kreise der Weltmächte, ist russischen Sportlern der Zutritt auf die internationale Bühne des Sports vorläufig versagt, zumindest teilweise. Die Internationale Leichtathletik Föderation hat nach dem Dopingskandal entschieden, den russischen Leichtathletikverband für eine unbestimmte Frist zu disqualifizieren. Suspendiert wurde auch die russische Anti-Dopingagentur (RUSADA), diese habe nicht gemäß dem Verhaltenskodex gehandelt. Nun wird verzweifelt nach Alternativen gesucht: Ein Vorschlag lautet, russische Leichtathleten könnten bei den Spielen in Brasilien 2016 unter der olympischen und nicht unter der russischen Flagge antreten.

    Medien. Das neue Mediengesetz, das 2016 in Kraft tritt und ausländischen Konzernen verbietet, mehr als 20 Prozent Anteile an russischen Medien zu halten, führt zu weiteren Veränderungen in der Branche. Noch unklar war das Schicksal der liberalen Wirtschaftszeitung Vedomosti, die jeweils zu einem Drittel dem Wall Street Journal und der Financial Times gehört. Medienberichten zufolge, soll nun Demjan Kudrjawtsew, welcher bereits die Moscow Times gekauft hat, auch Interesse an der Wirtschaftszeitung zeigen. Mit Jahresende stellt der neue Besitzer von Axel Springer Russland das Erscheinen des Magazins Geo ein. Die Medienbranche reagiert konsterniert: Hätte ihm jemand noch vor zwei Jahren gesagt, dass zwischen Moskau und Kiew keine Flugzeuge mehr verkehren, russische Zöllner bei der Einreise nach geschmuggeltem Käse suchen und Geo geschlossen wird, er hätte bloß gelacht und mit den Fingern an die Schläfe getippt, so Wladimir Jesipow, Chefredakteur des Magazins.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

    Weitere Themen

    Presseschau № 1

    Presseschau № 2

    Presseschau № 3

    Presseschau № 4

    Presseschau № 5

    Presseschau № 6

  • Presseschau № 6

    Presseschau № 6

    Der für seine radikalen Aktionen bekannte Künstler Pjotr Pawlenski sorgt in Russland wieder für Aufruhr. Diesmal hat er die Eingangstür des Inlandsgeheimdienstes FSB in Brand gesetzt. Nun wird diskutiert: Galerie oder Gefängnis? Medienbeherrschende Themen diese Woche sind außerdem der Dopingskandal im Sport sowie die Frage, wie die Urlauber nach dem A321-Absturz auf dem Sinai mit dem Flugstopp nach Ägypten umgehen sollen. 

    Kunst oder Vandalismus? Die Bilder zeigen den brennenden Eingang eines Gebäudes. Im Schein der Flammen ein hagerer Mann. Sekunden später wird er von einem Verkehrspolizisten abgeführt. In der Nacht auf den 9. November hat der für seine kompromisslosen Aktionen bekannte Künstler Pjotr Pawlenski die Tür des Inlandsgeheimdienstes FSB an der Moskauer Lubjanka in Brand gesetzt. Die Aktion mit dem Titel Bedrohung sei eine Anklage dagegen, dass der FSB 146 Millionen Menschen unter seiner Terrorherrschaft halte, sagte Pawlenski vor Beginn seiner Anhörung im Saal des Tagansker-Bezirksgerichts. Ihm droht nun ein Prozess wegen Vandalismus, das Moskauer Gericht hat die Untersuchungshaft um 30 Tage verlängert. Pawlenski selbst verlangte ein strengeres Vorgehen. Er fordere, wegen Terrorismus angeklagt zu werden, sagte der Künstler unter Verweis auf die „Krim-Terroristen“ um den ukrainischen Filmregisseur Oleg Senzow, welche wegen eines Brandanschlags zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

    Mit seinen radikalen Aktionen provoziert Pawlenski: 2012 stand er mit zugenähtem Mund in St. Petersburg auf der Straße, um gegen die Verurteilung von Pussy Riot zu protestieren. 2013 nagelte er sein Skrotum auf dem Roten Platz fest. Im vergangenen Jahr schnitt er sich auf dem Dach der berüchtigten Serbsky-Klinik in Moskau ein Stück seines Ohrläppchens ab, um gegen den politischen Missbrauch in der Psychiatrie in Russland zu protestieren.

    Der Staat reagiert. Diverse psychiatrische Gutachten der Behörden zielen darauf ab, dem Aktionskünstler seine Schuldfähigkeit abzuerkennen, um ihn damit in eine Klinik einweisen zu lassen. Auch nach der brennenden FSB-Tür wurden Rufe laut, Pawlenski „von der Gesellschaft zu isolieren“. Ein Abgeordneter des Moskauer Stadtparlaments verlangt zudem, dass die Ermittlungsbehörde wegen Extremismus gegen Journalisten und Blogger ermitteln soll, welche die Aktion fotografierten und Bilder davon verbreiten. Nutzer sozialer Netzwerke ließen sich davon jedoch nicht abschrecken. Ein Online-Reiseportal nutze die brennende Türe gar, um für Urlaub in Afrika zu werben.

    Die brennende FSB-Tür wurde auch unter Oppositionellen und Gegnern des Putin-Regimes hitzig diskutiert. Die Meinung, ob es sich bei der Aktion um Kunst handelt oder ob Pawlenski vor Gericht gehört, gehen auseinander. So kontrovers die Aktionen sind, eines scheint festzustehen: Je strenger die Strafe, desto stärker entfaltet sich das aktionistische Szenario, erklärt der Galerist Marat Gelman in Slon das Funktionieren von Pawlenskis Kunst. Wer sich für die Arbeit des polarisierenden Künstlers interessiert, kann sich übrigens auch außerhalb Russlands mit seinen Arbeiten auseinandersetzen. Im November wird in Hamburg die erste Pawlenski-Retrospektive eröffnet.

    Dopingskandal. Die einen würden ihre Konkurrenz direkt besiegen, die anderen würden es vorziehen, das Image eines Landes zu ruinieren. Mit derart markigen Worten kommentierte der russische Sportminister Wladimir Mutko den massiven Dopingskandal, mit dem sich Moskau seit Anfang der Woche konfrontiert sieht. Hochrangige Politiker und staatsnahe Medien sprachen von haltlosen Beschuldigungen, von einer politisch motivierten Schmutzkampagne gegen Russland. Die Vorwürfe der Anti-Dopingagentur WADA wiegen allerdings schwer: In Russland werde staatlich gesponsertes Doping betrieben, heißt es in dem am Montag vorgestellten Bericht. Die Korruption im Sport hat für die WADA Systemcharakter. Berichten von Athleten zufolge musste man sich bloß mit der Nummer seiner abgegebenen Dopingprobe und 30.000 Rubel (450 Euro) an bestimmte Trainer wenden, welche alles Nötige veranlassen würden. Kurz: Keine Proben – kein Problem, beschrieben russische Medien den Ablauf.

    Den Untersuchungen der WADA liegt eine ARD-Dokumentation zu Grunde. Das russische Sportministerium fordert die Agentur dazu auf, richtige Beweise vorzulegen und sich nicht auf die Arbeit von Journalisten zu berufen. Dem beanstandeten Moskauer Labor, in welchem angeblich mehr als 1400 Proben zerstört wurden, hat die Wada bereits die Akkreditierung entzogen. Dopingproben russischer Athleten werden nun vorerst außerhalb des Landes getestet.

    Die Anschuldigungen wiegen schwer für die erfolgsverwöhnte Sportnation, welche an den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 vor eigenem Publikum die meisten Medaillen erringen konnte. Nun droht der gesamten russischen Leichtathletikmannschaft eine Sperre für die Olympischen Sommerspiele 2016 in Brasilien. Einen kollektiven Rückzug lehnt Moskau jedoch ab. Nur diejenigen Athleten sollen gesperrt werden, die auch des Dopings überführt wurden. Präsident Wladimir Putin ordnete erst einmal eine interne Untersuchung an.

    A321. Fast scheint es, als wäre in den russischen Medien die Suche nach den Ursachen der Flugzeugkatastrophe über dem Sinai, der 224 Menschen zum Opfer fielen, in den Hintergrund gerutscht. Viel mehr zu interessieren scheint, wie nach dem durch den FSB initiierten Flugstopp vom vergangenen Freitag die Rückreise der in Ägypten gestrandeten 80.000 russischen Touristen mitsamt ihrem Gepäck verläuft. Auch müssen russische Touristen nun umdisponieren, war Ägypten doch ihr beliebtestes Reiseziel. Zwar bieten die Behörden der annektierten Krim das Schwarze Meer nun als Ersatz für das Rote Meer an. Bereits gebuchte Ferienreisen könnten aber nicht einfach umgetauscht werden, heisst es.

    Behörden rechnen mit einem Flugstopp von mehreren Monaten, die Verluste für die Reisebüros werden auf 1,5 Milliarden Rubel geschätzt (etwa 21 Millionen Euro), schreibt Vedomosti. Das alles sei der russischen Regierung jedoch herzlich egal, schreibt der regierungskritische Journalist Oleg Kaschin. Der Kreml könne sich das erlauben, unangenehme Fragen würden wohl auch kaum gestellt, falls ein Terroranschlag zweifelsfrei als Ursache des Absturzes etabliert würde. Peinlich wäre für den Kreml laut Kaschin wohl einzig das Eingeständnis, dass sich Russland im vergangenen Jahrzehnt bei der Terrorbekämpfung im Kreis gedreht hat und keinerlei Fortschritte erzielt wurden.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

    Weitere Themen

    Presseschau № 1

    Presseschau № 2

    Presseschau № 3

    Presseschau № 4

    Presseschau № 5

  • Presseschau № 5

    Presseschau № 5

    Die Trauer um die Opfer des Flugzeugabsturzes im Sinai dominiert die russischen Medien. Außerdem Thema in den russischen Zeitungen in dieser Woche: Die mangelnde Korruptionsbekämpfung und die wichtigsten politischen Entscheider neben Putin. Zudem hat ein kurioser Twittertrend das russische Internet erfasst. 

    Russland trauert um die 224 Opfer der Flugzeugkatastrophe im Sinai. Die Betroffenheit, die am Wochenende herrschte, macht in den Medien jedoch zunehmend Spekulationen Platz. Die Absturzursache des Fluges 7K9268 der russischen Fluglinie Kogalymavia auf der Route zwischen Scharm-el-Sheik und St. Petersburg ist zwar immer noch unklar, trotzdem dringen immer weitere Details an die Öffentlichkeit – ob verifiziert oder nicht: Die Rede ist von einem ungewöhnlichen Geräusch, das in der Kabine unmittelbar vor dem Absturz zu hören gewesen sei, erste Transskripte von Gesprächen aus dem Cockpit sind zu lesen. Auch das Staatsfernsehen hält sich nicht zurück. Der Korrespondent steht mitten in der Absturzstelle, fasst Wrackteile an, weist die Zuschauer auf immer noch herumliegende persönliche Gegenstände der Passagiere hin. Kogalymavia selbst hat einen technischen Fehler als Ursache kategorisch zurückgewiesen, wohl auch um Forderungen nach finanzieller Entschädigung von sich abzuwenden. Laut der Fluglinie war die Unfallmaschine in einem guten Zustand, die Crew erfahren.

    Die Politik ihrerseits versuchte den Eindruck zu vermitteln, die Katastrophe möglichst rasch aufklären zu wollen. Eine Regierungskommission wurde gegründet, den Hinterbliebenen eine finanzielle Entschädigung versprochen. Transportminister Maxim Sokolow und Alexander Bastrykin, Leiter des Ermittlungskomitees, reisten nach Ägypten. Das Katastrophenmanagement des Kremls wurde jedoch kontrovers diskutiert. Kritisiert wurde etwa, dass Präsident Wladimir Putin erst drei Tage nach dem Unfall den Angehörigen im TV sein Beileid aussprach. Zuvor hatte Putins Sprecher verlauten lassen, der Präsident plane aufgrund des Flugzeugabsturzes keinen öffentlichen Auftritt. Mit Kritik wurden auch die Medien bedacht. Etwa ob es ethisch sei, überhaupt Bilder der Verstorbenen zu zeigen. Der kremlkritische Sender Dozhd widmete dem Thema eine ganze Sendung. In Russland wird anders öffentlich getrauert als in Westeuropa: Bereits unmittelbar nachdem am Samstag das Verschwinden der Maschine vom Radar bekannt wurde, zeigten TV-Sender Urlaubsbilder, welche die Verstorbenen noch kurz vor dem Abflug auf die sozialen Netzwerke hochgeladen hatten und beleuchteten die persönlichen Geschichten der Besatzung.

    Große Aufmerksamkeit in den russischen Medien und dem Runet, wie das russischsprachige Internet in Russland selbst genannt wird, erfährt die Frage, ob es sich um einen Terroranschlag gehandelt hat. Auch für westliche Medien scheinen sich die Indizien zu erhärten. CNN berichtet von einer Bombe, die Terroristen an Bord gebracht haben können. Wedomosti beruft sich auf die Analyse der amerikanischen Denkfabrik Stratfor, wonach an Bord eine Bombe explodiert sein könnte. Offizielle Stellen in Ägypten und Russland weisen die Anschlagstheorie bislang zurück. Putins Sprecher Dimitri Peskow warnte davor, den Absturz mit der russischen Militäroperation in Syrien in Verbindung zu bringen. Sollte sich die Anschlagstheorie jedoch bewahrheiten, wäre dies ein großer Schlag für den russischen Staat, für seine Fähigkeit, Sicherheit und Leben seiner Bürger zu garantieren, meint Slon. Für viele Russen vertrauter, plausibler und direkt aus der russischen Realität gegriffen sei allerdings „die russische Nachlässigkeit“, schreibt das Magazin weiter. Kogalymavia gehe es einzig um Profitmaximierung, bei möglichst geringen Investitionen, ihre Flotte habe ein relativ hohes Durschnittsalter. Nach dem Absturz erzählten etwa Familienmitglieder der Besatzung im TV, ihre Angehörigen hätten sich über den Zustand des 18-jährigen Flugzeuges beschwert. Hinter dem Absturz könnte also ebensogut ein kaputtes Flugzeug, eine laxe Sicherheitskultur oder Korruption stehen.

    Die Ernsthaftigkeit der russischen Anstrengungen zur Bekämpfung der Korruption ist fraglich. Internationale Standards zu etablieren, zu denen einzelne Staaten nicht bereit seien, sei unzulässig, bekräftigte Sergej Iwanow, der Chef der Präsidialadministration, in seiner Rede auf der UN-Konferenz zur Korruptionsbekämpfung in St. Petersburg. Mit solchen Auftritten will der Kreml einzig von den eigenen Versäumnissen bei der Korruptionsbekämpfung ablenken, kritisiert Transparency International Russland und macht darauf aufmerksam, dass Russland den Artikel 20 der UNO-Antikorruptionskonvention, der illegale Bereicherung unter Stafe stellt, immer noch nicht ratifiziert hat. Offiziellen Angaben zufolge ist zudem die durchschnittliche Bestechungssumme gestiegen. Als erfolgreiches Beispiel zur Korruptionsbekämpfung verweist Moskau gerne auf die Verhaftung des Gouverneurs von Komi, Wjatscheslaw Gajser. Das Ermittlungskomitee eröffnete im September gegen Gajser und 19 weitere hochrangige Beamte ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Bei Hausdurchsuchungen seien mehr als 60 Kilogramm Schmuck gefunden worden.

    Dass sich die Behörden bezüglich Korruption nicht gerne reinreden lassen, zeigte sich auch am Rande der Konferenz. Als Aktivisten des Fonds für den Kampf gegen Korruption den Konferenzteilnehmern in St. Petersburg eine Broschüre über die illegale Bereicherung russischer Politiker verteilen wollten, wurden sie von der Polizei festgehalten. Regelmäßig veröffentlicht der von Alexej Nawalny gegründete Anti-Korruptionsfonds Berichte über das angebliche Luxusleben hochrangiger Politiker, unter anderem zur teuren Luxusuhr, die Putins Sprecher Dimitri Peskow bei seiner Hochzeit trug. Zuletzt stand Verteidigungsminister Sergej Schoigu im Zentrum der Aufmerksamkeit – die angeblich 18 Millionen Dollar teure „Datscha“ schaffte es sogar bis in die Bildzeitung. In Russland selbst sind die Reaktionen auf den Palast des Verteidigungsminister gemischt. Einige zeigen sich wütend, für andere hat Schoigu seiner Verdienste um die Armee wegen einen solchen Palast mehr als verdient. Auch wenn das offizielle Moskau die Veröffentlichungen des Anti-Korruptionsfonds jedesmal geflissentlich nicht zur Kenntnis nimmt, ein Dorn im Auge scheint die Arbeit von Nawalny den Behörden doch zu sein. Anfang Oktober brachte der Inlandsgeheimdienst FSB ein Gesetzesprojekt ein, nach dem Informationen über die Besitzer von Villen, Jachten und Flugzeugen nicht mehr an zivilgesellschaftliche Akteure erteilt werden dürfen. Ein Schutz vor Alexej Nawalny, kommentierte RBC Daily.

    Von Interesse ist die Moskauer Elite nicht nur für Korruptionsbekämpfer, sondern auch für Kreml-Astrologen: Jewgeni Mintschenko hat dieser Tage eine neue Version seiner alljährlichen Präsentation Politbüro 2.0 veröffentlicht. So bezeichnet Mintschenko das informelle Netz rund um Präsident Putin, welchen nachgesagt wird, die Entscheidungen im Land zu treffen. Besonders einflussreich: Sergej Iwanow aufgrund der Militäroperation in Syrien, da er dem Präsidenten zu dem Schritt geraten haben soll. Auch Premierminister Dimitri Medwedew ist wieder näher an Putin herangerückt. Grund dafür sind die Dumawahlen von 2016, für die Medwedew als Parteivorsitzender der Kreml-Partei Einiges Russland antritt. Vor einem Jahr belegte er gemeinsam mit dem Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin noch den letzten Rang innerhalb des „Politbüros“, nun ist es der vierte Rang. Ebenfalls an Einfluss gewonnen hat der Oligarch Arkadi Rotenberg. An Einfluss verloren haben laut Mintschenko dagegen Igor Setschin, der Präsident des Ölkonzerns Rosneft, und der Oligarch Gennadi Timtschenko.

    Zum Abschluss nun noch ein aktueller russischer Twitter-Trend: Rechtzeitig zum Tag der Einheit des Volkes am 4. November rief die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti dazu auf, unter dem Hashtag #здесьхорошо (#hieristesschön) Fotos ihrer Lieblingsecke in Russland hochzuladen. Doch anstatt pflichtbewusst sibirische Wälder, goldene Kirchtürme oder einen Sonnenuntergang über dem Schwarzen Meer zu posten, drehten viele Nutzer den Spieß einfach um. Unter #hieristesschön finden sich nun fast ebensoviele Bilder kaputter russischer Straßen, einer fallenden Ölpreiskurve, oder wiederum die prächtigen und luxuriösen Paläste der Oligarchen und Beamten.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

    Weitere Themen

    Presseschau № 1

    Presseschau № 2

    Presseschau № 3

    Presseschau № 4

  • Presseschau № 4

    Presseschau № 4

    Den roten Faden für die Presseschau in dieser Woche bilden die Medien selbst: Von den russischen Staatsmedien wird der Militäreinsatz in Syrien mit allen ästhetischen Mitteln in Szene gesetzt, außerdem verlieren viele unabhängige Medien aufgrund eines neuen Gesetzes weiter an Handlungsspielraum. Zwei Schlüsselfiguren der russischen Medienszene sind bereits von ihren Ämtern zurückgetreten.

    Die Kamera fliegt über eine zerstörte Stadt. Panzer feuern, Geschosse schlagen in Gebäude ein. Menschen versuchen sich vor den Gefechten in Sicherheit zu bringen. Unterlegt ist die Szene mit harten Elektroklängen. Die postapokalyptisch anmutenden Bilder aus der Vogelperspektive erinnern an ein Videospiel, an einen Hollywood-Blockbuster. Doch der knapp vier Minuten lange Film zeigt keine Fiktion, sondern soll eine Offensive der syrischen Armee in Jobar, einem Vorort von Damaskus, zeigen. Auf YouTube ist der Clip wegen Verletzungen des Copyrights inzwischen gesperrt. Vorher wurde er aber mehr als 2 Millionen mal angeklickt.

    Gefilmt wurden die Bilder von russischen Kriegskorrespondenten mit einer Drohnen-Kamera. Die russische Propaganda zeigt die Luftschläge als präzise und technisch bestens organisiert, als sauberen und einfachen Krieg, wie Andrej Perzew von der Denkfabrik Carnegie in Moskau schreibt. Eigene Crews der Staatsmedien begleiten die russische und syrische Armee. Berichtet wird von militärischen Erfolgen, Korrespondent und Kamera scheinen stets hautnah mit dabei zu sein. Gezeigt werden die Bilder unter anderem in der TV-Sendung Wojna (Krieg) im staatlichen Nachrichtenkanal Rossija 24. Hier berichtet Kriegskorrespondent Ewgeni Podduby regelmäßig von Kriegsschauplätzen. Untermalt von dramatisch klingender Musik beschränkt sich die Sendung meist auf das Zeigen angeblich militärischer Erfolge und den Einsatz modernen Kriegsgeräts, Kritik am russischen Vorgehen kommt nicht vor. Gefilmt wird gerne direkt im Schützengraben, in kugelsicherer Weste, mit Helm oder in Nachtsichtoptik für mehr Authentizität – vor einigen Monaten noch aus der Ostukraine, nun aus Syrien.

    Ob die Beiträge dem TV-Publikum ein deutlicheres Bild von der Militäroperation und der Lage in Syrien vermitteln, ist fraglich. Von einer PR-Kampagne eigens für die Generation Putin schreibt Slon. Die Pressearbeit des russischen Verteidigungsministeriums ist Militärexperten zufolge in der Tat neu. Man gibt sich transparent, wohl auch, um von Berichten diverser Menschenrechtsorganisationen abzulenken, die von zivilen Opfern russischer Luftschläge berichten. Kritische Experten werden wiederum in den Abendnachrichten diskreditiert. Die Militärs veröffentlichen hochauflösende Bilder und Videos von anscheinend hochpräzisen Bombenabwürfen und verbreiten diese in sozialen Netzwerken. Deren Videospiel-Ästhetik führte wohl auch dazu, dass ein TV-Moderator in Ägypten gleich Bilder zeigte, die aus einem Videospiel stammen, um den Erfolg russischer Angriffe zu zeigen.

    Unabhängige Berichterstattung dürfte in Russland künftig noch schwieriger werden, nicht nur in Bezug auf bewaffnete Konflikte. Der Kreml hat in den vergangenen Monaten die Kontrolle der Medienbranche verstärkt. Anfang 2016 tritt ein Gesetz in Kraft, welches ausländischen Unternehmen verbietet, mehr als 20 Prozent an russischen Medien zu halten. Bereits haben erste Medienunternehmen ihre Anteile verkauft und sich aus Russland zurückgezogen, darunter Edipresse aus der Schweiz und Axel Springer aus Deutschland. Zu Diskussionen Anlass gab insbesondere die Zukunft der Zeitschrift Forbes, die Axel Springer Russland als Lizenzausgabe der amerikanischen Forbes herausgab. Mit ihrer Liste der reichsten Oligarchen und Beamten erregte die Zeitschrift immer wieder Aufsehen, der mächtige Rosneft-Chef Igor Setschin gewann wegen der geschätzten Höhe seiner angeblichen Einkünfte, die das Magazin veröffentlichte, gar einen Prozess gegen Forbes. Übernommen wurde das Tochterunternehmen des deutschen Verlagshauses nun von Alexander Fedotow, Besitzer von Artcom Media. Bereits in seinem ersten Interview versprach der neue Besitzer zwar, sich nicht in die redaktionellen Belange einmischen zu wollen, machte jedoch klar, was er ändern will. Forbes sei in Russland zu politisch. Politik und Gehälter von Beamten seien aber nicht Themen, die die Leser in erster Linie interessieren würden, wie er auch in einem Interview mit der Moderatorin Xenija Sobtschak bekräftigte. Als Folge scheiterte der geplante Verkauf von 20 Prozent an Regina von Flemming. Die bisherige Vorstandsvorsitzende von Axel Springer Russland trat daraufhin zurück. Fedotow kündigte zudem an, Geo, Gala-Biographie und die Kinderversion von Geo einstellen zu wollen.

    Bereits im Mai verkaufte die finnische Mediengruppe Sanoma ihren Anteil an der Moscow Times, der einzigen englischsprachigen Zeitung in der russischen Kapitale, an Demian Kudrjawzew, bis 2012 CEO des Verlagshauses Kommersant. Kudrjawzew verneinte einen Einfluss des Kremls auf den Kauf und kündigte an, Geld für die Modernisierung der notorisch unterfinanzierten Zeitung in die Hand zu nehmen. Wohl nicht genug, wie sich nun zeigt. Kommenden Monat stellt das Blatt auf wöchentliche Erscheinungsweise um. Nun hat auch Chefredakteur Nabi Abdullaew seinen Rücktritt angekündigt. In einem Interview nannte er Unstimmigkeiten mit dem neuen Besitzer bezüglich der künftigen Aufteilung der Zuständigkeiten über die Redaktion als Grund.

    Unklar ist bislang, wie sich die Situation um die renommierte Wirtschaftszeitung Wedomosti weiter entwickelt. Sanomoa, verkaufte seinen 33-prozentigen Anteil ebenfalls an Kudrjawtsew. Die Besitzer der Financial Times und des Wall Street Journals, welche die restlichen Anteile halten, müssen nun bis Jahresende jeweils ebenfalls auf höchstens 20 Prozent reduzieren. Der stärkere Griff der Politik nach der Medienbranche hatte sich angekündigt: Bereits bei der Parlamentsdebatte im vergangenen Jahr war die Rede vom Kampf gegen eine Fünfte Kolonne. Das Ausland habe einen Informationskrieg angezettelt, dem es zu begegnen gelte. Der Schutz der nationalen Souveränität, von der der Vorsitzende der Staatsduma Sergej Naryschkin damals sprach, geht gewissen Politikern allerdings noch nicht weit genug. Diskutiert wird zurzeit ein Gesetzesvorschlag, laut dem Medien jegliche Art von ausländischer Unterstützung melden müssen, ähnlich dem Gesetz, laut welchem NGOs mit ausländischer Finanzierung unter das Register ausländischer Agent fallen.

    A propos NGOs: Diese Woche wurde die Liste mit den russischen NGOs veröffentlicht, die finanzielle Unterstützung vom Kreml erhalten. Am meisten Geld erhalten patriotische Projekte und Organisationen, etwa die Biker von den Nachtwölfen oder die Bewegung Antimaidan. Unterstützt werden aber auch ausländische Agenten, darunter etwa Memorial oder die St. Petersburger Soldatenmütter. Gerade für viele kleinere NGOs kompensieren die Kreml-Gelder den Wegfall der ausländischen Finanzierung jedoch nicht. Das Beispiel einer Hotline in Moskau, die Opfern sexueller Gewalt hilft, zeigt, dass die Zivilgesellschaft immer stärker auch unter finanziellem Druck steht.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

    Weitere Themen

    Presseschau № 1

    Presseschau № 2

    Presseschau № 3

  • Presseschau № 3

    Presseschau № 3

    Schwerpunkt diese Woche: der Zustand der russischen Wirtschaft. Welche Diagnosen werden in Russland selbst erstellt, wie verlässlich sind sie, und wie wirkt sich die ökonomische Lage auf das alltägliche Leben der Bürger aus? Außerdem: Assad in Moskau, syrische Flüchtlinge am Moskauer Flughafen Scheremetjewo, die Intransparenz der Entscheidungsfindung im Kreml und eine Bemerkung zu westlichen Experten, die von russischen Quellen zitiert werden.

    Krise, was für eine Krise? Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew spricht lieber von hohen Preisen, unter denen die Menschen in Russland im Moment zu leiden haben oder davon, dass den Produzenten derzeit halt schlicht ein Vertrieb für ihre Produkte fehlt. Aber noch immer stöhnt Russland unter der Wirtschaftskrise und den Sanktionen. Mit seiner Wortwahl ist der Minister aber nicht allein, wie die Zeitung „Vedomosti“ feststellt. Zeitweise sei gar das Wort Krise in den Staatsmedien verpönt gewesen. Auch Präsident Wladimir Putin verbreitet regelmäßig optimistische Nachrichten: Der Höhepunkt der Krise sei erreicht, die Wirtschaft passe sich den neuen Umständen an, behauptete er zuletzt vergangene Woche beim Wirtschaftsforum „Russia calling“ in Moskau. Nun wächst die Hoffnung, die Talsohle könnte bereits durchschritten sein. Im September gab es bereits wieder ein Wachstum von 0,3 Prozent. Auch die Zentralbank spricht von einer Stabilisierung der Wirtschaft. Ende 2015 soll die Inflation bei 12 bis 13 Prozent liegen, bis 2017 möchte die Bank die Teuerung auf vier Prozent begrenzen. Russische Experten, wie etwa der renommierte Wirtschaftsexperte Jewgeni Gontmacher sehen solche Prognosen allerdings kritisch. Trotzdem rief das Wirtschaftsministerium diese Woche bereits das Ende der Krise aus. Nach einem Wirtschaftsrückgang von 3,9 Prozent in diesem Jahr wird für 2016 schon wieder ein geringes Wachstum von 0,7 Prozent erwartet, schenkt man den jüngsten Prognosen des Ministeriums Glauben.

    Der verbreitete Optimismus könnte aber verfrüht sein. Auch in den nächsten Jahren stellen die außenpolitische Lage und der tiefe Ölpreis für die Erholung der russischen Wirtschaft noch Risiken dar, wie gazeta.ru schreibt. Auch halten sich die Folgen der Krise im Alltag hartnäckig. Die Preise für Lebensmittel sind im vergangenen Jahr gestiegen, bei Früchten zwischen 30 und 50 Prozent, wie RBK Daily schreibt. Die Teuerung ist zum Teil auch den Sanktionen geschuldet. Da man plötzlich keine Lebensmittel mehr aus den EU-Ländern importieren konnte, hat sich das Angebot verringert und die Preise dafür sind gestiegen. Auch sind die Reallöhne in diesem Jahr um neun Prozent gesunken. 21,7 Millionen Menschen (15,1 Prozent) lebten im ersten Halbjahr 2015 in Russland in Armut. Das heißt unter dem Existenzminimum von monatlich 10.017 Rubel [140 Euro]. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 18,9 Millionen Menschen.

    Belastet wird das russische Budget auch durch die Militärintervention in Syrien. Vier Millionen Dollar pro Tag soll der Einsatz laut der Moscow Times kosten. Seit Beginn des Einsatzes am 30. September belaufen sich die Kosten auf schon insgesamt 80 bis 115 Millionen US-Dollar. Doch davon berichten die staatlichen Medien kaum. Mehr Platz bekam da schon der Überraschungsbesuch des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad am Dienstagabend bei Wladimir Putin im Moskauer Kreml, inklusive einem Bericht über das servierte Menu. Höflich bedankte sich der russische Präsident dafür, dass al-Assad trotz der dramatischen Situation in seinem Land auf seine Einladung reagiert habe. Ohne russische Hilfe hätte sich der Terror bereits überall in Syrien ausgebreitet, revanchierte sich Assad. Das wichtigste sei allerdings, dass der Einsatz im Rahmen der internationalen Gesetze erfolge, so Assad weiter. Angesichts der Kollateralschäden unter der zivilen Bevölkerung durch die russischen Luftschläge eine zumindest fragwürdige Argumentation. Schutz und Unterstützung für syrische Flüchtlinge ist in Russland kein Thema, der Flüchtlingsstatus wird nur ganz selten erteilt. Wer ohne Visum einreist und nach Europa weiter will, muss damit rechnen, deportiert zu werden. Moskau sieht Flüchtlinge aus Syrien als Sicherheitsrisiko. Und die Novaya Gazeta hat diese Woche eine syrische Familie besucht, die bereits einen ganzen Monat im Terminal E am Flughafen Scheremetjewo lebt, nachdem ihnen die Einreise verwehrt wurde.

    Der Chef der Präsidialadministration suchte derweil diese Woche die Bedenken über die Operation in Syrien zu zerstreuen. In einem großen Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Tass erzählte Sergej Iwanow von einem wohlüberlegten, nicht hastigen Entscheid zur Militärintervention. Mit dem Interview will der Kreml im Inland auch Stimmen entgegenwirken, welche ihm eine chaotische und einzig nach kurzfristigen Überlegungen ausgerichtete Entscheidungsfindung unterstellen, meint die Politologin Ekaterina Schulmann. Unklar ist jedoch auch nach dem Iwanow-Interview, wer denn am Ursprung der Entscheidung für den Syrien-Einsatz steht. Berichte und Gerüchte westlicher Medien, ein Trio bestehend aus Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dem Sekretär des Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew und ihm selbst habe Putin von der Militäroperation überzeugt, wehrt der Chef der Präsidialabteilung ab. Der Journalist Oleg Kaschin kritisiert die Aussagen Iwanows: Man habe überhaupt keine Möglichkeit herauszufinden, wie denn die Entscheidungen innerhalb der russischen Regierung getroffen würden.

    Noch ein Nachtrag zu einem der Themen von vergangener Woche: Die russischen Staatsmedien warfen dem niederländischen Bericht zur MH-17 Katastrophe durchweg mangelnde Objektivität vor. Einige westliche Medien hätten nun aber damit begonnen, auf die russische Position umzuschwenken. Illustriert wurde diese Behauptung mit einem Artikel der Seite globalresearch.ca. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Zeitung oder ein etabliertes Internetportal, wie der Journalist und Medienexperte Alexej Kowaljow auf seinem Blog schreibt, sondern um eine Sammelseite für Verschwörungstheorien aller Art. Dass russische Medien sich auf westliche Experten berufen, die man schwerlich als solche bezeichnen kann, kommt häufiger vor: Etwa auch im Fall Lorenz Haag. Der deutsche Professor war lange Zeit ein begehrter Gesprächspartner für viele russische Medien. Die Geschichte hatte nur einen Schönheitsfehler: Titel und angebliches Institut waren frei erfunden.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

    Weitere Themen

    Presseschau № 1

    Presseschau № 2

  • Presseschau № 2

    Presseschau № 2

    Die russische Medienwelt war diese Woche von militärischen Themen bestimmt. Hauptgegenstand war die Untersuchung zum Abschuss der niederländischen Linienmaschine MH-17 über der Ukraine. Berichte werden mit Gegenberichten gekontert, eine Suche nach Objektivität ist nicht zu erkennen. Auch die Medienunterstützung für die Syrien-Kampagne hat an Intensität zugelegt. Sogar in der Diskussion um den Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch wird der militärische Faktor geltend gemacht. 

    Politisches Taktieren, Ungereimtheiten, Verschwörungstheorien bis hin zu schlichten Lügen begleiten seit dem Absturz des Fluges MH-17 in der Ostukraine im Juli 2014 die Aufklärung der Katastrophe mit 298 Todesopfern. Besonders russische Medien und Behörden setzen Theorien in die Welt, die sich schon mehrmals als plumpe Fälschung erwiesen haben.

    Und auch die in dieser Woche vom russischen Rüstungskonzern Almaz-Antey präsentierten Berichte stifteten eher noch mehr Verwirrung, als dass sie zur Klärung des Unglücks beitrügen. Auf meduza.io findet sich eine Auflistung der bisherigen Berichte. Der Konzern veröffentlichte seinen Bericht quasi zeitgleich mit den Ermittlungen der niederländischen Untersuchungskommission. Nach aufwändigen Experimenten kommt Almaz-Antey in einigen Punkten zwar zu einer Übereinstimmung mit den Niederländern, etwa dass die Passagiermaschine wohl von einer Buk-Rakete zum Absturz gebracht wurde. Beim vermuteten Abschussort der Rakete und dem verwendeten Gefechtskopf gehen die Ergebnisse aber auseinander. Damit widerspricht der Staatskonzern allerdings eigenen Untersuchungen, war man doch noch im Juni beim Typ des Gefechtskopf zum gleichen Schluss gekommen wie nun die Niederländer. Jetzt sollen jedoch die charakteristischen Einschusslöcher am Wrack wieder fehlen. Für die Staatsmedien war das Verdikt klar: Russland werde durch die neuen Berichte entlastet, auch weil der laut Almaz-Antey verwendete Raketentyp längst von der russischen Armee ausgemustert worden sei. Zudem habe Kiew fahrlässig gehandelt, da der Luftraum nicht gesperrt wurde. Überhaupt wüsste doch wohl Almaz-Antey als BUK-Hersteller am besten über die Eigenschaften der Rakete Bescheid, höhnte etwa die Komsomolskaja Prawda. Kein gutes Haar ließ auch die russische Luftfahrtagentur Rosaviatsia am niederländischen Bericht: Die Niederländer hätten schlampig gearbeitet und Ermittlungen voller himmelschreiender Unlogik publiziert. Auch der Kreml spricht dem Team Objektivität ab.

    Vedomosti plädierte dagegen für internationale Kooperation. Um seine Unschuld zu beweisen, müsste Moskau eigentlich mehr als jeder andere Akteur daran interessiert sein, die Katastrophe aufzuklären, schrieb die Zeitung. Kritisch analysiert wurde der neue Bericht jedoch fast nur im Runet. Slon listete die unterschiedlichen Abschussorte der Rakete auf, die bisher genannt wurden. Die Behauptung Moskaus, die Rakete sei aus einem Gebiet abgeschossen worden, welches damals von ukrainischen Regierungstruppen gehalten wurde sei falsch, folgert Slon. Der Ort hätte unter Kontrolle der prorussischen Separatisten gestanden. Der Journalist Sergej Parchomenko machte darauf aufmerksam, dass Almaz-Antey  zu ganz unterschiedlichen Ermittlungsergebnissen kommt, je nachdem ob diese für die russische Propaganda oder für den internationalen Gebrauch gedacht sei.

    Die Auslandsberichterstattung wird nach wie vor von Syrien dominiert. Täglich erläutern in den TV-Nachrichten Militärs in Hightech-Kommandozentralen vor riesigen Bildschirmen die Einsätze und loben erfolgreiche Zerstörungen ausgewählter Ziele. Der Kampf gegen den Terrorismus gilt als wichtig und richtig, wie der Kreml nicht müde wird zu betonen. Dazu passend hat das Verteidigungsministerium bereits neue T-Shirts herausgebracht: „Unterstützung für Assad“, ist darauf zu lesen. Internationale Kritik am Einsatz wird mit der neuen TV-Sendung Propaganda auf dem für seine Schmutzkampagnen berüchtigten Sender NTW gekontert. Zu Eilmeldungen von CNN und Fox News, russische Raketen seien fälschlicherweise im Iran eingeschlagen, heißt es nur: Moskau und Teheran hätten dies dementiert. Alles, was die Zuschauer über diese TV-Stationen wissen müssten, ist, dass sie sehr viele Lügen verbreiten.

    Gefeiert wurde diese Woche der Nobelpreis für Swetlana Alexijewitsch. Die weißrussische Autorin habe das schwierige Kunststück vollbracht, den postsowjetischen Menschen für sich selbst sprechen zu lassen, heißt es im Magazin Snob. Aus nationalistischen Kreisen wurde die Auszeichnung allerdings kritisiert: Der TV-Sender Dozhd fasst einige der Reaktionen zusammen und zitiert den Chefredakteur der Literaturnaja Gaseta, der behauptet, ohne die russische Miliärkampagne in Syrien hätte Alexijewitsch den Nobelpreis nie erhalten. In einer weiteren Meldung wird ihr gar Russlandhass unterstellt. Richtig ist, dass Alexijewitsch immer wieder politisch klar Stellung zugunsten der einfachen Leute bezieht und sich Kritik an Präsident Putin, am autoritären System in Weißrussland und zuletzt auch an der russischen Aggression in der Ukraine und der Intervention Moskaus in Syrien nicht verbieten lässt. Zu einer neuen Diskussion der eigenen Vergangenheit im postsowjetischen Raum wird der Preis wohl aber nicht führen. In Russland etwa genießen nach wie vor die Geschichtsbücher von Kulturminister Wladimir Medinski große Popularität, der mit angeblichen Mythen der russischen Geschichte aufräumen will. Dies bedeutet wohl in erster Linie eine staatsgetreue Historiografie denn eine wissenschaftlichen Kriterien genügende Darstellung. Anfang Oktober verlieh sein Verlag dem Minister gar eine Auszeichnung für eine Million gedruckter Exemplare. Nun stellt Medinski seine Bücher auch auf der Frankfurter Buchmesse vor. Der Titel der Diskussion: „Russland und Europa. Gemeinsame Geschichte. Unterschiedliche Aufarbeitung“.

    Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

    Weitere Themen

    „Propaganda wirkt, wenn sie auf vorbereiteten Boden fällt“

    Russland als globaler Dissident

    Albrights Un-Worte

    Presseschau № 1

    Kontakt der Zivilisationen

    Banja, Jagd und Angeln …