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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Historische Presseschau: Der sowjetische Truppenabzug aus Afghanistan

    Historische Presseschau: Der sowjetische Truppenabzug aus Afghanistan

    Am 15. Februar 1989 hat der letzte sowjetische Konvoi die „Freundschaftsbrücke“ von Afghanistan aus Richtung Sowjetunion überquert. Damit endete nach beinahe zehn Jahren die sowjetische Invasion. Dies war ein historischer Moment, doch auch einer, an dem sich längst schwelende Konflikte neu entzündeten. So fiel die Resonanz auf dieses Ereignis in der sowjetischen und internationalen Presse vielstimmig und kontrovers aus. 

    Während die Intervention für die einen zur militärischen Katastrophe wurde, vergleichbar mit dem Vietnam-Desaster, stand sie für andere sinnbildlich für ein neues politisches Denken im Geiste von Perestroika und Glasnost. Genauso unterschiedlich wie die Bewertung des Einsatzes und seiner Erfolge war auch die Einschätzung der Lage nach dem Abzug.

    Zum 30. Jahrestag des Truppenabzugs bringt dekoder in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin eine internationale historische Presseschau: kontroverse Meinungsstücke, die in sowjetischen, afghanischen, deutschen, US-amerikanischen und französischen  Medien im Februar 1989 zum Abzug der sowjetischen Truppen erschienen sind.

    Die Novaya Gazeta hat diese Presseschau ins Russische übertragen.

    Izvestia: Die Pflicht ist erfüllt

    Die Lobeshymnen auf die Soldaten, die die sowjetische Regierungszeitung Izvestia singt, entsprechen der offiziellen Rhetorik:

    [bilingbox]Das Hauptthema heute: die Rückkehr, die Freude über das Wiedersehen mit der Heimat und den Verwandten. Man wird nicht müde, die Gesichter der Soldaten zu betrachten. Jeder dieser Jungs wurde zum Mann, wurde stärker und hat Charakter ausgebildet. Hier – ein tapferer Junge, mit Kriegsauszeichnungen, einer Telnjaschka, völlig unverzagt. Ja, und warum sollte er auch verzagen, in Verlegenheit geraten. Dieser Soldat hat, wie Tausende seiner Mitstreiter, würdig seine Kampfespflicht erfüllt.~~~Главная тема сегодня: возвращение, радость встречи с Родиной и родными. И не устаешь вглядываться в солдатские лица. Каждый из этих ребят и возмужал, и окреп, и проявил характер. Вот […] – парень бравый, знаки отличия, тельняшка десантника, не робеет. Да и чего ему-то робеть, чего смущаться или конфузиться? Этот солдат, как и тысячи его соратников, свой боевой долг выполнил достойно.[/bilingbox]

     
    Izvestija, 15.02.1989, Na swojem beregu. Wywod sowetskich woisk polnostju sawerschen, R. Armejew

    L’Humanité: Versprechen wurden gehalten

    L’Humanité, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs, spricht hingegen von zwei Gefühlen, die den Abzug begleiten:

    [bilingbox]Die UdSSR schließt ein Kapitel ihrer Geschichte. Glorreich für die einen, bitter für die anderen. Beides für viele. Doch zwei Gefühle überwiegen: die Erleichterung und die Zufriedenheit darüber, zu sehen, dass die Versprechen [der sowjetischen Regierung zum Abzug der Truppen – dek] eingehalten wurden.~~~L’URSS tourne une page de son histoire. Glorieuse, selon certains, amère selon d’autres. Les deux, pour beaucoup. Mais deux sentiments dominent : le soulagement et la satisfaction de voir que les promesses sont tenues.[/bilingbox]

     
    L’Humanité, 16.02.1989, Promesses tenues, Bernard Frédérick

    Le Figaro: Flucht aus der Hölle

    Die konservative französische Tageszeitung Le Figaro zieht dagegen bereits am 6. Februar 1989 ein ganz anderes Fazit – und historische Parallelen:

    [bilingbox]Die Fotos, die uns von dort erreichen, sind jene von lächelnden Soldaten, die ihre Freude darüber nicht verbergen, diese Hölle zu verlassen und nach Hause zu kommen … lebendig! Und von dieser Freude berichten sie den Reportern der westlichen Presse nicht nur ohne Scham, diese erstreckt sich sogar – Glasnost verlangt es – bis in die Kolumnen der Moskauer Zeitungen. Diese 20-jährigen Gesichter erinnern an jene der G.I.s, eilig, dem „schmutzigen Krieg“ zu entkommen, und an ihre „Let’s go home!“-Rufe am 30. April 1975 in Saigon.~~~Les photographies qui nous parviennent de là-bas sont celles de jeunes soldats souriants, ne cachant pas leur joie de sortir de l’enfer et de rentrer chez eux… vivants ! Et cette joie, ils la disent sans pudeur aux reporters de la presse occidentale et elle s’étale même – glasnost oblige – dans les colonnes des journaux de Moscou. Ces visages de vingt ans rappellent ceux des GI pressés de fuir la „sale guerre“, aux cris de „Let’s go home“, à Saigon le 30 avril 1975.[/bilingbox]

     
    Le Figaro, 06.02.1989, Sauve qui peut!, Jacques Jacquet-Francillon

    The New York Times: Die Umkehrung historischer Entwicklungen

    Auch die linksliberale The New York Times zieht den Vergleich mit Vietnam – und analysiert die balance of power:

    [bilingbox]Für beide Großmächte war es die erste Niederlage. Beide mussten die Demütigung durch eine schwächere, aber engagiertere, landeseigene Streitkraft stellen, die von der anderen (Groß-)Macht mit Waffen versorgt wurde. Beide erachteten ihr riesiges nukleares Potential als zu schrecklich, um es einzusetzen. Das Risiko eines direkten Konflikts mit der gegnerischen Supermacht machte es unmöglich, in das Heiligtum des Feindes einzufallen.

    Noch scheint der sowjetische Rückzug bemerkenswerter als der amerikanische, eben wegen des autoritären, sowjetischen politischen Systems, der Nähe Afghanistans zur Sowjetunion und der russischen Tradition eines sukzessiven Expansionismus. Es ist eine grundlegende Umkehrung des historischen Trends.~~~For each of the great powers, it was the first defeat. Each faced humiliation by a weaker but more committed indigenous force using weapons supplied by the other power. Each found its vast nuclear arsenal too terrible to be of any use. Because of the risk of a direct clash with the opposing superpower, each found it impossible to invade the sanctuary of the enemy […].

    Yet the Soviet withdrawal seems more remarkable than the American, precisely because of the authoritarian Soviet political system, the proximity of Afghanistan to the Soviet Union and the Russian tradition of contiguous expansionism. It is a fundamental reversal of historic trends.[/bilingbox]

     
    The New York Times, 15.02.1989, Our Vietnam, And the Soviets’, David K. Shipler

    Prawda: Triumph des neuen politischen Denkens

    Das sowjetische Leitmedium, die Zeitung Prawda, feiert den Truppenabzug aus Afghanistan nicht als Niederlage, sondern als Sieg des gesunden Menschenverstandes:

    [bilingbox]Dies ist ein Sieg des gesunden Menschenverstandes, der Triumph eines neuen politischen Denkens, ein Schritt, der breite Unterstützung im Sowjetvolk gefunden hat. […] Wir sind weiser geworden. Wir haben viele Stereotype gebrochen. Das neue politische Denken ist nicht im stillen Kämmerlein und auch nicht in hypothetischen Vorstellungen eines „atomaren Weltunterganges“ geboren. Ihre Schule, und nicht nur für uns, waren Afghanistan und Tschernobyl.

    Das Genfer Abkommen zum Beispiel zeigte eine Möglichkeit, bei der Suche nach einer  Regulierung schwerster regionaler Probleme zu einer Vereinbarung zu gelangen. Der Übergang von einer Konfrontation zur Zusammenarbeit,  und mehr noch, die Rolle als Garant der erreichten Vereinbarungen  – genau dies ist ein Weg hin zum Zusammenwirken der Großmächte […].~~~Это — победа здравого смысла, торжество нового политического мышления, шаг, получивший широкую поддержку советского народа. […] Мы стали мудрее. Мы сломали многие стереотипы. Новое политическое мышление рождалось не в тиши кабинетов и не в гипотетических представлениях о «ядерном конце света». Его школой, и не только для нас стали и Афганистан, и Чернобыль. Женевские соглашения, например, показали возможность достижения договоренностей в поисках урегулирования сложнейших региональных проблем. Перейти от конфронтации к сотрудничеству, более того, стать гарантами достигнутых соглашений — вот путь взаимодействия великих держав […].[/bilingbox]

     
    Prawda, 15.02.1989, Podwodja tschertu, Yu. Gluchow

    Frankfurter Allgemeine Zeitung: War Afghanistan nur eine Sünde?

    Die Frankfurter Allgemeine Zeitung glaubt hingegen nicht an einen neuen sowjetischen Politikstil. Sie ordnet Gorbatschows Neubewertung des Konflikts ganz anders ein:

    Deutsch
    Schon das „begrenzte Kontingent“ ist den sowjetischen Staat teuer zu stehen gekommen, von den Gefallenen und Verwundeten gar nicht zu reden, die das Moskauer Politbüro anklagen. Von seinem Versagen, von seinen Fehlkalkulationen soll heute mit allerlei schönfärberischen Floskeln abgelenkt werden. Auch Gorbatschow beteiligt sich an den propagandistischen Rückzugsfechten [sic], wenn er Afghanistan als eine von mehreren anderen „Sünden“ der Vergangenheit und Gegenwart bezeichnet, die der Sowjetunion die „Umgestaltung“ erschwerten. Wer die sowjetische Intervention in Afghanistan so verharmlost, darf sich nicht darüber wundern, dass die afghanischen Mudschahedin auch noch die abziehenden sowjetischen Truppen mit Angriffen verfolgten.

     


    Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.1989, War Afghanistan nur eine Sünde?, Klaus Natorp

    Junge Welt: Wenig Grund zum Optimismus

    Im Unterschied dazu betrachtet die DDR-Zeitung Junge Welt nicht die sowjetische Position, sondern die Proteste der afghanischen Regierung gegen die Einmischung Pakistans und der USA in den beginnenden Bürgerkrieg:

    Deutsch
    Nachrichten der letzten Tage geben vorerst wenig Grund zum Optimismus. Die „unversöhnliche Opposition“ beschießt weiter afghanische Städte, moralisch und materiell unterstützt von Pakistan und den USA, die ebenfalls die Genfer Vereinbarungen unterschrieben haben, aber offenbar gar nicht daran denken, sich auch daran zu halten. Gerade hat das afghanische Außenministerium der UNO-Mission in Kabul die 217. (!) Note zugeleitet, in der dagegen protestiert wird, dass Pakistan nach wie vor den Extremisten Waffen und Munition liefert. Nachdem man im Westen jahrelang der Sowjetunion den Schwarzen Peter für die blutigen Auseinandersetzungen im Lande zuschieben wollte, wird nun ganz deutlich, wer wirklich daran Schuld hat.

     
    Junge Welt, 15.02.1989, Wer liefert Munition gegen den Dialog?, Holger Reischock

    Kabul Times: Und jetzt Pakistan?

    Deutlich pessimistischer äußert sich das englischsprachige afghanische Regierungsblatt Kabul Times. Die Zeitung befürchtet nach dem Verlust des sowjetischen Schutzes den Einmarsch pakistanischer Truppen:

    [bilingbox]In der Vergangenheit sprachen die pakistanischen Militärs beständig von der Gefahr, welche ihrer Ansicht nach von der sowjetischen Präsenz auf dieses Land [Pakistan] ausging. Doch welche Absichten werden mit dem Aufmarsch pakistanischer Truppen entlang der  [afghanischen] Grenzen verfolgt, wenn nicht aggressive und interventionistische? [Welche] Gründe können die Handlungen Pakistans derzeit rechtfertigen, wenn nun die letzten sowjetischen Soldaten Afghanistan verlassen.~~~In the Past, the Pakistani military tops used to persistently speak of a danger, as they claimed, the presence of the Soviet troops have faced to that country. If the deployment of the Pakistani armed forces along the borders does not follow aggressive and interventionist designs, what does it follow? grounds to justify the way Pakistan behaves at present when the last Soviet soldiers leave Afghanistan.

    [Grammatik des Ausschnittes wie im Original – dek][/bilingbox]

     
    Kabul Times, 15.02.1989, BIA Commentary: Pakistan is playing with fire

    Süddeutsche Zeitung: Nach dem Abzug das Chaos

    Die Süddeutsche Zeitung kritisiert die massive Einmischung beider Supermächte in Afghanistan – und warnt vor den Folgen:

    Deutsch
    So einfach kann sich die kommunistische Supermacht nicht aus ihrer Verantwortung davonstehlen, die sie für Afghanistan weiterhin trägt – moralisch, wirtschaftlich, aber auch politisch. […] Von der Verantwortung dafür [gemeint ist die Entwicklung des sowjetisch-afghanischen Konflikts zu einem reinen afghanischen „Bruderkrieg“ und die daraus resultierende eskalierende Gewalt – dek] wären dann allerdings auch die USA nicht freizusprechen. Beide Supermächte, eigentlich doch Garanten eines Abkommens, das Afghanistan einem blockfreien, friedvolleren Weg zuführen soll, setzten sich von diesem Krisenherd der Dritten Welt ab unter Zurücklassen wahrer Danaergeschenke: Sie überantworteten das Land zynisch einer Selbstbestimmung der Selbstauslöschung, indem sie ihre jeweiligen Klientel mit soviel Kriegsmaterial ausstatteten, dass diese sich damit noch jahrelang umbringen könnten.

     


    Süddeutsche Zeitung, 16.02.1989, Nach dem Abzug das Chaos?, Olaf Ihlau

     

    Recherche, Auswahl der Ausschnitte und Übersetzung: Jana Brzoska, Raphaela Käppeli, Cora Litwinski, Bennet Ledwig

    Diese Veröffentlichung ist im Rahmen eines Lehrprojekts an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Robert Kindler entstanden. Das Vorhaben wurde vom bologna.lab der HU Berlin finanziell unterstützt.

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    Krieg oder Hilfseinsatz? Intervention oder Internationalistische Pflicht? Verbrüderung oder Gewaltexzess? Es gibt viele Perspektiven auf die sowjetische Präsenz in Afghanistan, die von 1979 bis 1989 dauerte. Doch welches Bild hatten die zeitgenössischen SowjetbürgerInnen von diesem Krieg? Die meisten unter ihnen waren angewiesen auf den offiziellen Blick, der in der zensierten Staatspresse festgehalten wurde. Zugleich beobachteten sowjetische Fotojournalisten vor Ort aber auch das, was in den Zeitungen nicht abgedruckt werden konnte. 
    Zum 30. Jahrestag des Abzugs der sowjetischen Truppen aus Afghanistan bringt dekoder in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin Fotos aus dem Fundus der staatlichen Fotoagentur MIA Rossija Segodnja (ehemals RIA Nowosti), einzelne davon wurden in der Zeitung Prawda veröffentlicht. Sie geben Einblicke in eine widersprüchliche sowjetisch-afghanische Geschichte und machen die Grenzen des Zeigbaren deutlich.

    Zu den Feierlichkeiten anlässlich des zweiten Jubiläums der Saurrevolution reist eine sowjetische Delegation nach Afghanistan, Kabul, 27.04.1980 / Foto © Wladimir Wjatkin/Sputnik
    Zu den Feierlichkeiten anlässlich des zweiten Jubiläums der Saurrevolution reist eine sowjetische Delegation nach Afghanistan, Kabul, 27.04.1980 / Foto © Wladimir Wjatkin/Sputnik

    „Aufbauhilfe“ und „Modernisierungsmaßnahmen“ – das waren die Schlagworte, die mit der sowjetischen militärischen Präsenz im Nachbarstaat Afghanistan in Verbindung gebracht wurden. Die UdSSR schickte Soldaten und zivile ExpertInnen in das Land am Hindukusch, um es auf seinem Weg zum Kommunismus nach sowjetischem Vorbild zu unterstützen. Fabriken wurden gebaut, Wasserversorgungsanlagen installiert, Lehrkräfte ausgebildet, und es wurde humanitäre Hilfe geleistet. So lautete die eine, die offizielle Erzählung über den sowjetischen Einsatz in Afghanistan. 

    Statt blutigen militärischen Auseinandersetzungen, zerstörten Gebäuden und Aufnahmen von Toten und Verletzten sahen LeserInnen der Prawda (dt. Wahrheit) sowjetische und afghanische Ingenieure, die die Satelliten-Bodenstation besprechen, oder eine Ärztin, die die afghanischen Dorfbewohner untersucht. Denn die sowjetische Führung musste den Einsatz innen- wie außenpolitisch legitimieren. Die in den Staatsmedien gezeigten Fotografien zeugten von politischer Zusammenarbeit und inszenierten die Soldaten auf heroische Art und Weise. Beliebte Sujets waren überdies die Emanzipation der Frau, Alphabetisierungsprojekte und der wirtschaftliche Aufschwung. Neben Szenen der Brüderlichkeit und Motiven einer gemeinsamen sozialistischen Idee, wurden von den Fotografen besonders die Momente des Gegensätzlichen festgehalten: Scheinbar rückständigen Lebensverhältnissen wurden Symbole des sowjetischen Fortschritts gegenübergestellt.

    Es war wichtig, insbesondere die Bilder des Abzugs der sowjetischen Truppen wirkmächtig zu inszenieren, Zeitung „Prawda“, 7.2.1989
    Es war wichtig, insbesondere die Bilder des Abzugs der sowjetischen Truppen wirkmächtig zu inszenieren, Zeitung „Prawda“, 7.2.1989

    Mit der Perestroika und Glasnost unter Michail Gorbatschow nahm die Kritik an der Intervention zu. Damit erweiterten sich auch die Grenzen des Sagbaren in der sowjetischen Öffentlichkeit. Doch gerade deshalb war es wichtig, die visuelle Gestalt des Krieges und insbesondere die Bilder des Abzugs der letzten sowjetischen Truppen am 15. Februar 1989 besonders wirkmächtig zu inszenieren. Mit den kanonischen Aufnahmen der sowjetischen Panzer auf der „Brücke der Freundschaft“ endete das Bildnarrativ eines erfolgreich geführten Hilfseinsatzes. 

    In Afghanistan fingen Fotografen auch solche Szenen ein, die in der UdSSR nicht veröffentlicht werden konnten. Doch selbst aus vermeintlichen Propagandabildern können bei genauerem Hinsehen unterschiedliche Geschichten herausgelesen werden. Die Vielschichtigkeit der Narrative spiegelte sich auch in der sowjetischen Bildpolitik wider. Damit reflektieren die Bilder aus dem Krieg auch die widersprüchlichen Haltungen über diesen Krieg – eine Debatte, die mit dem Abzug nicht endete, sondern bis heute anhält.  

    Soldaten bei einer Lagebesprechung, 25.04.1980 / Foto © Wladimir Wjatkin/Sputnik
    Soldaten bei einer Lagebesprechung, 25.04.1980 / Foto © Wladimir Wjatkin/Sputnik
    Sowjetische und afghanische Soldaten beim Tauziehen, 21.08.1981 / Foto © Waleri Shustow/Sputnik
    Sowjetische und afghanische Soldaten beim Tauziehen, 21.08.1981 / Foto © Waleri Shustow/Sputnik
    Alphabetisierungskurs für Frauen, Kabul, 11.05.1983 / Foto © Wladimir Rodionow/Sputnik
    Alphabetisierungskurs für Frauen, Kabul, 11.05.1983 / Foto © Wladimir Rodionow/Sputnik
    Eine sowjetische Ärztin untersucht afghanische DorfbewohnerInnen, 01.08.1986 / Foto © Jefimow/Sputnik
    Eine sowjetische Ärztin untersucht afghanische DorfbewohnerInnen, 01.08.1986 / Foto © Jefimow/Sputnik
    Sowjetische und afghanische Ingenieure besprechen die Satelliten-Bodenstation „Orbita“, 01.08.1986 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Sowjetische und afghanische Ingenieure besprechen die Satelliten-Bodenstation „Orbita“, 01.08.1986 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Sowjetisches Getreide für die afghanische Bevölkerung, 06.03.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    Sowjetisches Getreide für die afghanische Bevölkerung, 06.03.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik


    Demonstration gegen die Einmischung der USA in innere Angelegenheiten Afghanistans, Kabul, 01.01.1986 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Demonstration gegen die Einmischung der USA in innere Angelegenheiten Afghanistans, Kabul, 01.01.1986 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Ein sowjetischer Ingenieur und afghanische Arbeiter vor einer Wasserversorgungsanlage, Jalalabad, 01.06.1982 / Foto © Mironow/Sputnik
    Ein sowjetischer Ingenieur und afghanische Arbeiter vor einer Wasserversorgungsanlage, Jalalabad, 01.06.1982 / Foto © Mironow/Sputnik
    Alphabetisierungskurs für Arbeiter einer Stickstoffdüngeranlage, Mazar-i-Sharif, 01.08.1981 / Foto © Waleri Shustow/Sputnik
    Alphabetisierungskurs für Arbeiter einer Stickstoffdüngeranlage, Mazar-i-Sharif, 01.08.1981 / Foto © Waleri Shustow/Sputnik
    Junge Soldaten der afghanischen Streitkräfte nach einem Einsatz, 01.09.1988 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    Junge Soldaten der afghanischen Streitkräfte nach einem Einsatz, 01.09.1988 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    Pferdekutsche neben Panzerfahrzeug, Herat, 15.04.1988 / Foto © W. Kisseljow/Sputnik
    Pferdekutsche neben Panzerfahrzeug, Herat, 15.04.1988 / Foto © W. Kisseljow/Sputnik
    Ein afghanischer Bauer hockt neben einer nicht explodierten US-amerikanischen „Sidewinder“-Rakete, 15.10.1987 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Ein afghanischer Bauer hockt neben einer nicht explodierten US-amerikanischen „Sidewinder“-Rakete, 15.10.1987 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Ein Zivilist vor brennenden Wohnhäusern, Kabul, 06.03.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    Ein Zivilist vor brennenden Wohnhäusern, Kabul, 06.03.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    „Wenn die Männer sterben, nehmen die Frauen die Waffen zur Hand“, Jalalabad, 01.08.1988 / Foto © W. Kisseljow/Sputnik
    „Wenn die Männer sterben, nehmen die Frauen die Waffen zur Hand“, Jalalabad, 01.08.1988 / Foto © W. Kisseljow/Sputnik
    Ein sowjetischer Soldat entschärft eine Mine, 10.12.1987 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Ein sowjetischer Soldat entschärft eine Mine, 10.12.1987 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Ein afghanisches Mädchen muss wegen einer Minen-Explosion behandelt werden, 14.05.1987 / Foto © R. Budrin/Sputnik
    Ein afghanisches Mädchen muss wegen einer Minen-Explosion behandelt werden, 14.05.1987 / Foto © R. Budrin/Sputnik
    Ein afghanisches Mädchen verabschiedet zurückkehrende sowjetische Soldaten, 19.02.1987 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Ein afghanisches Mädchen verabschiedet zurückkehrende sowjetische Soldaten, 19.02.1987 / Foto © Alexander Graschenkow/Sputnik
    Die letzte Kolonne sowjetischer Truppen überquert die sowjetisch-afghanische Grenze, 15.02.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    Die letzte Kolonne sowjetischer Truppen überquert die sowjetisch-afghanische Grenze, 15.02.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    In der Nähe des Friedhofs, 01.05.1988 / Foto © Wladimir Perwenzew/Sputnik
    In der Nähe des Friedhofs, 01.05.1988 / Foto © Wladimir Perwenzew/Sputnik
    Eie afghanische Frau bedauert den Verlust ihres Sohnes, 06.03.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik
    Eie afghanische Frau bedauert den Verlust ihres Sohnes, 06.03.1989 / Foto © Andrej Solomonow/Sputnik

    Zum Weiterlesen:
    Mirschel, Markus (2019): Bilderfronten: Die Visualisierung der sowjetischen Intervention in Afghanistan 1979-1989, Köln

    Fotos: MIA Rossija Segodnja
    Text: Mara Bolzern, Sophia Freitag, Nicola Wündsch
    Fotorecherche und -auswahl: Mara Bolzern, Sophia Freitag, Nicola Wündsch
    Bildredaktion: Andy Heller

    Wir danken Markus Mirschel für seine Hinweise bei der Erstellung dieses Visuals.


    Veröffentlicht am 15.02.2019

    Diese Veröffentlichung entstand im Rahmen eines Lehrprojekts an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Robert Kindler. Das Vorhaben wurde vom bologna.lab der HU Berlin finanziell unterstützt. 

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    Erinnerung an den Afghanistan-Krieg

  • Erinnerung an den Afghanistan-Krieg

    Erinnerung an den Afghanistan-Krieg

    Mit dem Abzug der letzten Rotarmisten am 15. Februar 1989 endete die zehnjährige militärische Intervention der Sowjetunion in Afghanistan. Doch bis heute wird um die Deutungshoheit über den Einsatz gerungen: Der Kongress der Volksdeputierten der UdSSR hatte auf dem Höhepunkt der Perestroika im Dezember 1989 die Truppenentsendung noch als moralische und politische Fehlentscheidung verurteilt. Doch zum 30. Jahrestags des Abzugs im Februar 2019 bewertet die russische Staatsduma dies neu. Darin spiegelt sich die vom Staat betriebene Umdeutung der Intervention seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin in den 2000er Jahren wider. Afghanistan fungiert hier gemeinsam mit anderen sowjetischen und russischen Kriegen als Symbol für soldatische Pflichterfüllung und Patriotismus und wird zur Legitimation aktueller russischer Politik und Identität.

    Vom Krieg gezeichnete Afganzy gehörten in den 1990er Jahren zum alltäglichen Stadtbild russischer Metropolen / Foto © Oleg Lastochkin/Sputnik
    Vom Krieg gezeichnete Afganzy gehörten in den 1990er Jahren zum alltäglichen Stadtbild russischer Metropolen / Foto © Oleg Lastochkin/Sputnik

    Das 1979 nach Afghanistan entsandte Begrenzte Kontingent der sowjetischen Truppen führe keinen Krieg, sondern leiste lediglich friedliche Aufbauarbeit und sozialistische Bruderhilfe. So wurde es der sowjetischen Öffentlichkeit zumindest anfänglich vermittelt. Erst als sich ab 1985 durch Perestroika und Glasnost das Spektrum des Sagbaren erweiterte, erfuhren die BürgerInnen vom tatsächlichen Krieg, seinem Umfang und den zahlreichen Toten. Es entstanden Spannungen zwischen der offiziellen Propaganda, in der die Soldaten zu Verteidigern der südlichen Landesgrenze erklärt wurden, und einer Öffentlichkeit, die auf einen Abzug drängte.1 

    Rückkehr aus Afghanistan

    Den 600.000 in Afghanistan eingesetzten militärischen und zivilen Kräften schlug nach ihrer Rückkehr häufig fehlendes Verständnis oder gar offene Ablehnung entgegen. Zudem konnte der zerfallende Staat seiner Fürsorgepflicht ihnen gegenüber nicht gerecht werden. Eine offizielle Anerkennung als Veteranen erhielten sie nicht, schließlich galt die Intervention in Afghanistan nicht als Krieg. Nach der Auflösung der Sowjetunion fehlte auf Seiten der Regierung der Wille, sich mit dem Krieg auseinanderzusetzen. Zusätzlich erschwerte die desolate Wirtschaftslage eine finanzielle und materielle Unterstützung der ehemaligen Soldaten. Teilweise obdachlose und vom Krieg gezeichnete Afganzy, wie die ehemaligen Soldaten genannt wurden, gehörten in den 1990er Jahren zum alltäglichen Stadtbild russischer Metropolen.2 Wer damals Moskau besuchte erinnert sich wohl bis heute an die in Tarnfleck gekleideten Invaliden, die oft ohne Beine auf Rollbrettern durch die Metro fuhren, Kriegslieder sangen und um Geld bettelten. 

    Die fehlende Anerkennung enttäuschte die ehemaligen Soldaten, viele verloren ihr Vertrauen in den Staat. Mit dem Zerfall der Sowjetunion löste sich auch der politisch-ideologische Rahmen auf, der das eigene militärische Handeln gerechtfertigt hatte. Das militärische Chanson des Ensembles der Luftlandetruppen, Golubyje Berety (dt. Blauhelme, 1994), zeugt beispielhaft vom Gefühl der Orientierungslosigkeit, wenn der Sänger klagt: 

    „War das etwa alles umsonst? 
    Sagt, woran sind wir schuld? 
    Zehn Jahre Krieg, zehn Jahre Not. 
    Und wir sind doch nur Soldaten … 
    Ist das alles etwa Betrug? […] 
    Für immer gezeichnet mit dem Mal des Schmerzes [sind wir].“3

    Einige Afganzy zeigten sich nach ihrer Rückkehr offen für Rekrutierungsversuche aus Kreisen der organisierten Kriminalität. Als mächtige Begleiterscheinung des Staatszerfalls glitten besonders Arbeitslose, ehemalige Soldaten und Angehörige der Sicherheitsorgane in kriminelle Strukturen ab.4 

    Patriotische Vorbilder

    Erst 1995 änderte sich der Status der Afganzy in „Veteranen von Kampfhandlungen“, was ihnen soziale und medizinische Unterstützung sicherte. Ähnliche Anerkennung und gleiche Privilegien wie den Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges blieben ihnen hingegen verwehrt. In den 2000er Jahren setzte auch eine staatliche Neubewertung des Krieges ein. Seitdem nähern sich die Sichtweise der Veteranenverbände und das offizielle Staatsnarrativ kontinuierlich einander an. Dabei profitieren beide Seiten: Die Veteranenverbände erhalten materielle Vorteile und können ihr positives Soldatenbild durch Kooperation mit der Politik verbreiten. Dafür nutzt die russische Regierung die Veteranen als Vorbilder zur Konstruktion eines militärisch-nationalen Mythos sowie als wichtiges Sprachrohr der aktuellen Außenpolitik.

    Mit Wladimir Putins Amtsantritt im Jahr 2000 sind der heldenhafte Soldat und die aufopferungsvolle Pflichterfüllung gegenüber dem Vaterland einmal mehr als moralische Bezugspunkte zentral geworden – offenbar ein Rückgriff auf einen seit Jahrhunderten fest verankerten Bestandteil russischer politischer Mentalität.5 Die Afghanistanveteranen sollten hierbei eine Vermittlungsrolle spielen. So sprach Putin 2002 angesichts sinkender Zustimmungswerte zum zweiten Tschetschenienkrieg den Afganzy eine Vorbildfunktion bezüglich Widerstandskraft und Vaterlandstreue zu. Verteidigungsminister Sergej Schoigu bestärkte diese Position anlässlich des 25. Jahrestages des Abzuges 2014 erneut: „In der Zeit, die seit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan vergangen ist, wurden ihre Handlungen unterschiedlich bewertet, doch für das Land und für das Volk werden die Afghanistankämpfer immer echte Patrioten bleiben. [Wir] werden das unschätzbare Wissen und die einzigartige Erfahrung [der Afghanistanveteranen] weiterhin in der theoretischen Ausbildung sowie in der Praxis nutzen, unter anderem gegen den Terror und für den Frieden.“6  

    Großer Vaterländischer Krieg als Bezugspunkt

    Indem Putins Regierung an die Legitimationsrhetorik der ersten Kriegsjahre anknüpft, wird sein Versuch deutlich, den Einsatz in Afghanistan genauso wie andere militärische „Großtaten“ zur Identitätsstiftung zu nutzen und als frühes Engagement gegen Islamismus und Drogenhandel zu inszenieren. Zudem werden die Afganzy in symbolische Nähe zu den RotarmistInnen des Großen Vaterländischen Krieges gerückt, dem wichtigsten erinnerungspolitischen Bezugspunkt. Davon zeugen etwa das zentrale Denkmal für die Internationalistenkämpfer in Moskau, welches 2005 im Park des Sieges, dem zentralen Gedenkort für die Gefallenen des Großen Vaterländischen Krieges, errichtet wurde7 sowie die geplante Premiere des Films Bratstwo (Leaving Afghanistan) von Pawel Lungin am 9. Mai 2019. 

    Die Ehrung der Veteranen und die Rehabilitierung des Krieges gipfelten bisher in einer im November 2018 von der Duma angenommenen Vorlage der Partei Einiges Russland. Dort hieß es, die offizielle negative Beurteilung des Krieges sei historisch ungerecht.8 Das Land habe unter dieser „voreiligen“ Bewertung genauso gelitten wie unter den Verlusten des Krieges und dem als schmachvoll empfundenen Abzug.9 Entsprechend sei eine Neubewertung unerlässlich, da das Bild des Krieges im historischen Gedächtnis Russlands nicht weiterhin von „Geschichtsfälschung und prowestlicher Propaganda“ geprägt sein dürfe.10  

    (Populär-)kulturelle Erinnerung 

    Der Afghanistankrieg ist im russischen kollektiven Gedächtnis durchaus präsent. Laut einer Studie rangiert er nach der Tschernobyl-Katastrophe und der russischen Wirtschaftskrise von 1998 auf dem dritten Platz der historisch relevanten Ereignisse am Ende des 20. Jahrhunderts.11 Außerdem ist er Gegenstand vieler Filme, Bücher und Lieder, zuletzt in der Veteranenserie Nenastje (dt. Schlechtwetter, 2018, Regie: Sergej Ursuljak). In der Populärkultur wird der Krieg teils deutlich kritischer verhandelt als vonseiten der Veteranenverbände und des Staats. Die Erinnerung an den Afghanistankrieg ist hier als Mosaik zu verstehen: Sie unterscheidet sich je nach Haltung zur Intervention und je nach Interesse warum und woran erinnert werden soll.12 Dies schlägt sich besonders deutlich in den ungefähr 320 russischen Denkmälern zum Krieg nieder. Abhängig davon, welche Akteursgruppe ein Denkmal errichtet hat, steht die Sakralisierung der Gefallenen, die Heroisierung der Kampfgemeinschaft, der Triumph der russischen Nation oder der Halt des russisch-orthodoxen Glaubens im Vordergrund. 

    Militärische Chansons der frühen 1990er Jahre, die sich auf den Afghanistankrieg beziehen, setzten sich auch mit persönlichen Erlebnissen und Traumata auseinander, womit sie sich von den Helden- und Propagandanarrativen der Kriegsjahre emanzipierten.13 In den 2000er Jahren polarisierte vor allem Alexej Balabanows Film Gruz 200 (Fracht 200, 2007) das Land. Der Afghanistankrieg fungiert dort als Symbol für das Machtstreben der alten Eliten auf Kosten der jungen Generation. 

    Die wichtigste Stimme der kritischen Erinnerung an den Afghanistankrieg ist jedoch sowohl in Russland als auch darüber hinaus Swetlana Alexijewitsch. Ihr vielfach übersetztes Buch Zinkjungen gilt als das Anti-Kriegs-Werk. In dem dokumentarischen Roman setzte die Literaturnobelpreis-Trägerin, die im belarussischen Minsk lebt, der „Sinnlosigkeit“ des sowjetischen Afghanistankriegs ein literarisches Denkmal, indem sie die Gräuel des Einsatzes und die Zweifel der Soldaten in den Vordergrund rückt. Mit der Gewalt und dem Drogenmissbrauch innerhalb der Truppe, mit Raub und Kriegsverbrechen benennt sie auch Aspekte des Kriegs, die im offiziellen Narrativ ausgelassen werden. 

    Diese Gesichtspunkte werden auch in Internetforen vermehrt thematisiert. Der virtuelle bietet im Vergleich zum öffentlichen Raum eine verhältnismäßig hohe Freiheit, da er weniger institutionell kontrolliert wird. Hier kann auch ohne jegliche Romantik vom Kampf ums Überleben geschrieben werden, in dem das Töten den Alltag strukturierte.14 Gegenstimmen zum staatlichen Narrativ sind folglich eher im Internet oder im privaten Raum vernehmbar als in Presse oder Populärkultur. 

    „Wir sind gleichsam im Krieg aufgewachsen“

    Auch in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken leben Afghanistanveteranen. Während viele Kriegsteilnehmer aus den zentralasiatischen Ländern ihren Einsatz für die Sowjetunion mehrheitlich positiv bewerten, distanzieren sich etwa in den baltischen Republiken einige Veteranen von dem Krieg. Sie betrachten sich zusammen mit den AfghanInnen als Opfer sowjetischer Besatzungen. Anders als in Russland, wo die Veteranen mittlerweile in ein patriotisches Narrativ eingebunden werden, ist dies etwa in Litauen nicht der Fall. Dort sind sie gesellschaftlich weitestgehend isoliert und fordern mehr staatliche Unterstützung. In Belarus hingegen dominiert ein ähnlicher Umgang wie in Russland, auch hier stehen die Afghanistanveteranen in einer Linie mit denen des Großen Vaterländischen Krieges.15 

    Wenngleich anhand von Denkmälern und politischen Verlautbarungen in den letzten Jahren eine Diskursverschiebung „von oben“ zu beobachten ist, bleibt offen, wie wirkmächtig diese Politik tatsächlich ist. Umfragen des Lewada-Zentrums legen jedoch nahe, dass die vom Staat propagierte Erzählung des Afghanistankriegs von Teilen der Bevölkerung angenommen wird.  Zwar lehnen immer noch zwei Drittel den Einmarsch als „unnötig“ ab, allerdings sind dies 20 Prozent weniger als 1991. Die Rehabilitierungskampagne, die nicht die politischen und militärischen Entscheidungen, sondern das als positiv bewertete Handeln der Soldaten in den Vordergrund stellt, wird sich vermutlich in den nächsten Jahren fortsetzen. 

    Was Swetlana Alexijewitsch bereits 1992 erklärte, behält somit seine Gültigkeit: „Von Kindheit an wurde uns die Liebe zu dem Mann mit dem Gewehr eingeredet, sie wurde uns in die Gene gepflanzt. Wir sind gleichsam im Krieg aufgewachsen, sogar diejenigen, die Jahrzehnte danach geboren wurden.“16


    Weiterführende Literatur:
    Meier, Esther/Penter, Tanja (Hrsg., 2017): Sovietnam: Die UdSSR in Afghanistan 1979–1989, Paderborn
    Alexijewitsch, Swetlana (206): Zinkjungen: Afghanistan und die Folgen, unter Mitarbeit von Ganna-Maria Braungardt und Ingeborg Kolinko, Berlin

    Diese Gnose ist im Rahmen eines Lehrprojekts an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Robert Kindler entstanden. Das Vorhaben wurde vom bologna.lab der HU Berlin finanziell unterstützt.

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  • Afghanistan-Krieg

    Afghanistan-Krieg

    Das militärische Eingreifen der Sowjetunion in Afghanistan dauerte von 1979 bis 1989 an. In der sowjetischen Armee dienten neben den Eliteeinheiten vor allem junge Wehrpflichtige. Auf der sowjetischen Seite wurden 15.000 Soldaten getötet und 54.000 verwundet. Der Krieg führte bei der Bevölkerung zu einem Trauma, das bis heute nachwirkt und die Deutung des aktuellen Einsatzes der russischen Luftwaffe in Syrien nicht unerheblich beeinflusst.

    Bevor die sowjetischen Truppen Ende 1979 in Afghanistan einmarschierten, sprach nichts dafür, dass dieser entlegene Landstrich für die nächsten Jahrzehnte die internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Für die USA war das Land weder wirtschaftlich noch geostrategisch von besonderem Interesse. Und es gehörte in der Topographie des Kalten Krieges als direkter Nachbar unangefochten in die Einflusssphäre der Sowjetunion.1

    Enge Beziehungen

    Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Afghanistan waren seit den 1950er Jahren entsprechend eng: die UdSSR leistete Wirtschaftshilfe, sowjetische Experten arbeiteten in Afghanistan und auch im Bildungssektor gab es enge Kooperationen. Diese stabile Konstellation zerbrach mit dem Sturz des Königs und der Machtergreifung der Demokratischen Volkspartei (DVPA) im Jahre 1978. Die Partei, die 1965 gegründet und von Nur Mohammad Taraki geführt wurde, pflegte bis zu ihrer Machtergreifung enge Kontakte zu Moskau. Von den Umsturzplänen war die Sowjetunion jedoch nicht unterrichtet gewesen.

    Laut den Protokollen der Politbürositzungen beobachtete die sowjetische Führung mit großer Sorge die brutalen Reformen, die den Anspruch hegten, das Land nach sowjetischem Vorbild umzustrukturieren.2 Bezeichnend ist die Bewertung des Landes, die der KGB-Chef Juri Andropow im März 1979 in einer Sitzung des Politbüros geäußert hat: „Dass in Afghanistan heute der Sozialismus noch nicht die Antwort auf alle Probleme des Landes sein kann, steht außer Frage. Die Wirtschaft ist rückständig, fast die gesamte Landbevölkerung kann weder lesen noch schreiben, und die islamische Religion besitzt entscheidenden Einfluss.“3 Auch in der afghanischen Bevölkerung stieß das neue Terrorregime auf starken Widerstand; zudem war es durch Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsspitze gespalten. In diesen bürgerkriegsähnlichen Zuständen folgte im Herbst 1979 ein weiterer Putsch, bei dem Taraki von seinem Stellvertreter Hafizullah Amin ermordet wurde.4

    Verbreitung des Kommunismus vs. Grenzsicherung

    Die sowjetischen Truppen überschritten am 25. Dezember 1979 die Grenze zu Afghanistan und brachten das Regime unter ihre vollständige Kontrolle.5Dabei wurde Amin von Spezialkräften getötet und eine neue Regierung unter Babrak Karmal installiert. Diese Aktion war die größte Militäroperation der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Die sowjetischen Truppen sicherten schnell die Städte und strategischen Punkte, aber die Intervention rief auf der afghanischen Seite einen „Heiligen Krieg“ (Dschihad) hervor. Die aus unterschiedlichsten Gruppierungen zusammengesetzten Mudschaheddin6 führten den Krieg aus den unzugänglichen Gebirgsregionen Afghanistans und des angrenzenden Pakistans. Sie verfügten weder über eine zentrale Führung noch über moderne Waffen, trotzdem waren sie durch ihre enorme Ortskenntnis den sowjetischen Einheiten überlegen. Ab 1986 bekamen sie tragbare Luftabwehrsysteme vom Typ „Stringer“ von den USA geliefert, was als Wendepunkt des Krieges gilt. Es gelang den Mudschaheddin, immer mehr ländliche Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen.

    Die neueste Forschung geht immer mehr davon aus, dass es der sowjetischen Führung in diesem Konflikt weniger um die vor allem von den Zeitgenossen unterstellte Verbreitung des Kommunismus gegangen sei, sondern um die Sicherung ihrer südlichen Grenzen. Die zehnjährige Besetzung Afghanistans erfolgte in einer Phase der Verschärfung des Kalten Krieges, in die auch der Nato-Doppelbeschluss fiel, was die Lösung des Konflikts erschwerte. Erst ab 1985 unter den Vorzeichen der Glasnost durften die sowjetischen Medien über den Einsatz berichten. Gorbatschow bemühte sich um eine politische Lösung, aber erst am 14. April 1988 wurde das Genfer Abkommen unterzeichnet. Darin verpflichtete sich die Sowjetunion, bis zum 15. Februar 1989 die Truppen abzuziehen.

    Tiefes Trauma

    Der Krieg führte zu einer Massenflucht der afghanischen Bevölkerung, zur Zerstörung des Landes und, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, zum Bürgerkrieg. Auf der sowjetischen Seite hinterließ der Krieg ein tiefes Trauma, symbolisiert durch zurückkehrende Särge mit getöteten Soldaten, die unter der militärischen Bezeichnung Fracht 200 bekannt sind.
    Die fehlende Berichterstattung und die unklaren Ziele des Krieges, der mit sehr hohen Verlusten und aus Sicht der Bevölkerung „irgendwo am Ende der Welt“ geführt wurde, verdeutlichte, dass das System im Kern marode war und führte zu einer Delegitimierung der staatlichen Führung.
    Die große Zahl der durch die Kampfhandlungen traumatisierten und nach ihrem Ausscheiden nicht weiter betreuten ehemaligen Kriegsteilnehmer stellte ein soziales Problem dar. Viele von ihnen ließen sich von Kampftruppen anwerben oder gerieten ins Räderwerk der organisierten Kriminalität.

    Kulturelle Aufarbeitung fand das Thema unter anderem in bekannten Filmen wie 9 Rota (Die Neunte Kompanie, 2005) von Fjodor Bondartschuk oder Grus 200 (Fracht 200, 2007) von Alexej Balabanow sowie im Buch Zinkjungen von Swetlana Alexijewitsch (erschienen 1992). Auch in der Popmusik wurde der Krieg häufig thematisiert, unter anderem von den Bands Kino, DDT, Alisa und Nautilus Pompilius. Bis heute wird der Krieg in Afghanistan offiziell lediglich als „Entsendung eines begrenzten Kontingents“ bezeichnet.


    1. Gibbs, David N. (2006): Die Hintergründe der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979, in: Greiner, Bernd / Müller, Christian Th. (Hrsg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg, S. 291-314 ↩︎
    2. Schattenberg, Susanne (2014): Der Militäreinsatz in Afghanistan 1979, in: dies. (Hrsg.): Sowjetunion II – 1953–1991: Informationen zur politischen Bildung 323, S. 39 ↩︎
    3. Wilson Center Digital Archive: Sitzung des Politbüros am 17. März 1979 ↩︎
    4. Dorronsoro, Gilles (2005): Revolution Unending: Afghanistan: 1979 to the Present, London ↩︎
    5. 1000dokumente.de: Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan: Beschluss des CK der KPSS, Nr. P 176/125, 12. Dezember 1979 ↩︎
    6. Das Wort Mudschaheddin bezeichnet jemanden, der für den „Heiligen Krieg“ kämpft, um damit den Islam zu schützen. Eine breite Verwendung fand der Begriff während der sowjetischen Besatzung Afghanistans. Seitdem verwenden die Angehörigen islamischer Guerilla-Gruppen den Begriff als Eigenbezeichnung. ↩︎

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