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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Revolutionäre Grüße aus dem Jahr 1917

    Revolutionäre Grüße aus dem Jahr 1917

    Ansichtskarten gelten als banale Reiseandenken, die allenfalls zur Übermittlung von Grüßen dienen. Doch am Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete sich die Postkarte zeitgleich zum Bau der Eisenbahnen, die Menschen und Dinge mobil machten. In einer Zeit vor Telefon und Email eroberte sie sich ganz unterschiedliche Funktionen. Die Ansichtskarte wurde zum Nachrichtenmedium, das erinnerungswürdige Ereignisse dokumentierte und verbreitete.

    Viele wichtige Ereignisse der russischen Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts wurden von fotografischen wie auch grafischen Postkarten begleitet. Die Revolution von 1905, der Erste Weltkrieg und natürlich die revolutionären Ereignisse von 1917 wurden zu Postkartenmotiven. Der Informationshunger war so groß, dass sich damit viel Geld verdienen ließ. Das nutzten verschiedene revolutionäre Gruppen für ihre Finanzierung.

    Ab 1907 wieder von der zaristischen Zensur unterdrückt, blühte das Genre nach der Februarrevolution 1917 erneut auf, als Propagandawerkzeug, um die Monarchie zu verspotten – und um bestimmte Deutungen der politischen Ereignisse zu etablieren.1

    Die Postkarten zeigen 1917 als Jahr vielfältiger revolutionärer Ereignisse und Demonstrationen.
    Die Postkarten zeigen 1917 als Jahr vielfältiger revolutionärer Ereignisse und Demonstrationen.

    Die Idee der Postkarte war eigentlich die eines amtlichen Formulars für einen Kurzbrief. Erst in den 1870er Jahren eroberten Bilder die Rückseite dieses Formulars, auf dem vorne ursprünglich nur die Adresse stand.

    In Russland hatte die Regierung das Postmonopol und ließ erst 1898 die St. Jewgenia-Gesellschaft (der Verlag des Roten Kreuzes) für die Herstellung von Postkarten zu. Bis dahin war der russische Postkarten-Markt von Importen aus Westeuropa bestimmt. 1905 erhielt Alexej Suworin, Besitzer einer der größten Verlage, eine russlandweite Lizenz für die Bahnhofskioske, die auch Postkarten verkauften.

    Revolutionäre Ereignisse im Postkartenformat

    Die zeitgenössischen Postkarten zeigen 1917 als Jahr vielfältiger revolutionärer Ereignisse und Demonstrationen. Nach der Februarrevolution entfiel die Zensur, und Postkarten wurden von einer neuen Vielzahl größerer und kleinerer Hersteller und in- und ausländischer Verlage angeboten. Fotografen dokumentierten die Ereignisse und gaben häufig selbst Postkarten heraus. Teilweise erschienen dieselben Fotografien in der Presse und als Postkarten, auch bei unterschiedlichen Herstellern. Erst Anfang 1918 brachten die Bolschewiki den Markt unter ihre Kontrolle.

    Die Februarrevolution erscheint auf den Karten als Volksaufstand mit Menschenmassen in den Straßen Petrograds und abgebrannten Gebäuden in Moskau. Nach der Februarrevolution waren die Opfer und ihre Begräbnisse eines der ersten Motive der politischen Fotografie der neuen Machthaber. Allein anhand der Begräbnispostkarten ließe sich eine Chronologie der Ereignisse erstellen.

    Der Tod und die Toten sind kein Tabu

    Im März dokumentierten Postkarten die Toten und vor allem Prozessionen, welche die Form politischer Kundgebungen annahmen und die Särge zu feierlichen Begräbnissen in Gemeinschaftsgräbern auf dem Marsfeld begleiteten. Im Juli zirkulierten Postkarten mit Begräbnisprozessionen der im Zuge der bolschewistischen Juliaufstandes getöteten Kosaken mit ihren Pferden, und im November solche der (weniger zahlreichen) Opfer der Oktoberrevolution
    Aufnahmen von Begräbnissen waren ein gängiges Motiv auch in der russischen Bildkultur des frühen 20. Jahrhunderts. Es war üblich, den Toten im Sarg mit der um ihn versammelten Familie für das Album zu fotografieren. In der professionellen Begräbnisfotografie wurden vor allem bei Soldatenbegräbnissen alle Stationen und Handlungen der Beisetzung dokumentiert.2 Hier wird die Postkarte zum Nachrichtenmedium. Der Tod und die Toten sind kein Tabu.

    Ikonographie der Massen

    Andere Karten zeigen politische Demonstrationen, etwa für die Rechte der Frauen oder die Unabhängigkeit Estlands. Auf den Bannern stehen als häufigste Losungen: „Es lebe die demokratische Republik!“, „Es lebe die Internationale!“ oder „Es lebe der Sozialismus“.

    Für die dargestellten „Massen“, Arbeiter, Soldaten, Frauen, war es das erste Mal, dass ihnen sichtbar Macht zugeschrieben wurde. Der Umfang der Massen suggerierte eine Art Naturgewalt, die traditionelle Orte der Macht (öffentliche Straßen und Plätze im Zentrum, Regierungsgebäude) einnahm.3

    Der 1. Mai war der erste revolutionäre Feiertag, der durch die Provisorische Regierung legalisiert wurde. Er wurde mit zahlreichen politischen Kundgebungen als Volksfest begangen. Die Regierung versuchte offenbar nicht, die zentralen Prospekte und Plätze der Stadt mit ihren eigenen Anhängern zu besetzen und sich dadurch zu legitimieren. Es ist nicht einmal klar, wer die Umzüge in Petrograd am 1. Mai 1917 organisierte. Menschenmengen mit Bannern, die Aufschriften wie Semlja i Wolja (Land und Freiheit) oder Sozialismus trugen, bewegten sich durch die Stadt und über die zentralen Plätze. Die Massen blieben auf den Postkarten führerlos, keine bekannten Revolutionäre oder Politiker tauchten auf, und die individuellen Züge der Menschen waren schwer auszumachen.

    Diese Postkarten erschienen häufig in nummerierten Serien, sie wurden zu Bildstrecken, bei denen die Bilder durch ihre Anordnung eine Geschichte erzählten. Die genauen Datierungen in den Bildunterschriften etablierten eine Chronologie bedeutender Ereignisse.4 Die Massen lassen sich nur selten bestimmten politischen Strömungen zuordnen.

    Kampf um Deutungshoheit und Ikonographie der Mächtigen

    Die Postkarten als niedrigschwelliges Nachrichtenmedium waren nicht monopolisiert und bieten somit unterschiedliche Perspektiven auf die Ereignisse. Von verschiedenen Seiten herausgegeben eröffnen sie den Kampf um Deutungshoheit.

    Die Postkarten mit bewegten Massen suggerieren die tiefe Verwurzelung des Sowjets in der Bevölkerung, Schwung und Tatkraft. Zugleich wird hier die Aneignung eines alten Ortes der Macht (Parlament) durch die neue Bewegung symbolisch ins Bild gesetzt – der Sowjet tagte in einem Flügel des Taurischen Palais, die Provisorische Regierung im anderen.

    Die Provisorische Regierung stellte den revolutionären Narrativen ihre eigene Deutung der Ereignisse gegenüber. Sie war aber in sich zerstritten und hatte keine konsistente Kultur- und Pressepolitik. 1917 erschienen dennoch mehrere Postkarten mit Porträts der Regierungsmitglieder. Bald konzentrierten sich die Postkartenhersteller auf die charismatische Persönlichkeit Kerenskis. Glaubt man den zeitgenössischen Postkarten, wandelte sich sein öffentliches Image vom verehrten Staatsmann über den volksnahen Kriegsminister in einfacher Soldatenuniform hin zum arroganten, von seiner Macht korrumpierten Politiker, der die Privilegien des Palastlebens genoss.5

    Oktoberrevolution als Leerstelle

    Bemerkenswert ist die Tatsache, dass es zum Staatsstreich im Oktober keine dokumentierende Postkarte gibt. Die Oktoberrevolution bleibt zunächst in der visuellen Kultur eine Leerstelle. Die Bolschewiki inszenierten ihren Staatsstreich als Gründungsmythos, der aber erst anhand der Prozessionen zum ersten Jahrestag der Revolution 1918 sichtbar wird.6

    Von der Eroberung der Macht wurden später pseudo-dokumentarische Bilder hergestellt, die besser waren als die Wirklichkeit, da sie stürmende Massen zeigten wo es keine gegeben hatte. In einem Bildband zum fünften Jahrestag der Oktoberrevolution wurde ein Foto des „Sturms auf das Winterpalais“ veröffentlicht, das offensichtlich retuschiert war. Es handelte sich um die Aufnahme einer Probe für ein Massenspektakel, das 1920 zum Jahrestag der Oktoberrevolution am Originalschauplatz aufgeführt wurde. Aus der Aufnahme wurden die Zuschauer und der Regieturm wegretuschiert, aber der Sowjetstern über dem Portal verrät die nachträgliche Inszenierung.7 Die Unterscheidung zwischen Leben und Theater verwischte im Sowjetregime. Das gilt auch für Sergej Eisensteins Film Oktober. Gedreht zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution, wurden die nachgestellten Aufnahmen später als authentisch wahrgenommen und zu Ikonen der Revolution. 

    Postkarte aus der Serie „Tage der Februarrevolution“. Abgebrannte Gebäude des politischen Gefängnisses „Litauer Schloss“ in Petrograd. Viele Postkarten dieser Serie haben auf der Rückseite keinen Aufdruck und sind von Hand beschriftet.
    „Prächtige Bergäbnisse der Revolutionsopfer“. Trauerprozession auf dem Newski-Prospekt in Petrograd. Nach der Februarrevolution waren die Opfer und ihre Begräbnisse eines der ersten Motive der politischen Fotografie der neuen Machthaber. Allein anhand der Begräbnispostkarten ließe sich eine Chronologie der Ereignisse erstellen.
    „Prächtige Begräbnisse der Revolutionsopfer. Gemeinschaftsgrab auf dem Marsfeld“ in Petrograd. Für die Revolutionäre sind die Begräbnisse die Möglichkeit, öffentliche Räume zu besetzen. So bestatten sie ihre Toten nahe den Orten der Macht: in Gemeinschaftsgräbern auf dem Marsfeld in Petrograd oder an der Kremlmauer in Moskau.
    Die Provisorische Regierung am Gemeinschaftsgrab auf dem Marsfeld in Petrograd. Begräbnisse bieten die Gelegenheit, die Opfer für sich und die Ziele der eigenen Bewegung zu reklamieren und zu Märtyrern zu machen.
    Begräbnisprozession der „Kämpfer für die Freiheit“ in Petrograd. Die Überschrift auf dem Gebäude des Gostini Dwor„Ihr seid als Opfer gefallen” weist auf ein Revolutionslied hin.
    Tote sind für die Postkarten kein Tabu.
    (Postkarte aus der Sammlung Familie Gribi, Büren a. A.).
    „Imposante Frauendemonstration vor der Staatsduma“. In Petrograd markiert eine Demonstration zum Internationalen Frauentag den Auftakt zur Februarrevolution. Die Frauen fordern Brot und Frieden, daneben klagen sie aber auch grundlegende Rechte ein, wie das Wahlrecht.
    Revolutionäre Ereignisse erschüttern nicht nur Petrograd, sondern auch Moskau. Zum gewöhnlichen Postkartenmotiv der Serie „Moskau in den Tagen der Revolution“ werden abgebrannte und zerstörte Gebäude sowie die Parade auf dem Roten Platz. Diese Postkarte zeigt die „Ankunft [General] Grusinows mit seinem Stab bei der Parade“.
    Eine Massendemonstration vor dem Hotel Metropol in Moskau am 12.3.1917, während der Februarrevolution. Weitere Karten mit demselben Motiv auf anderen zentralen Plätzen der Stadt zeigen die große Beteiligung an den Aufständen.
    Revolution bedeutet auch Umwälzungen an der Peripherie des Russischen Reiches. Viele nationale Minderheiten gehen ebenso auf die Straße und fordern Unabhängigkeit. Auf der Postkarte ist eine estnische Kundgebung am 26. März 1917 in Petrograd zu sehen. „Es lebe die demokratische Republik und das autonome Estland“ steht auf dem Plakat.
    Demonstrationen mit den Bannern „Es lebe die Republik Russland, es lebe die Internationale!“ finden auch in Kleinstädten und Dörfern statt. Bilder von politischen Demonstrationen in Kleinstädten der Provinz sollen die Verwurzelung der Sowjets belegen und die neuen Machthaber legitimieren. Die Verankerung ihres Herrschaftsanspruchs jenseits der Zentren ist für die Bolschewiki in den ersten Jahren ein zentrales Problem.
    Der 1. Mai ist der erste revolutionäre Feiertag, der durch die Provisorische Regierung legalisiert wurde. Er wird mit zahlreichen politischen Kundgebungen als Volksfest auf den wichtigsten Schauplätzen der revolutionären Ereignisse begangen.
    1. Mai 1917 auf dem Schlossplatz: Auf den Bannern steht „Es lebe die demokratische Republik“ und „Es lebe der Sozialismus“. Die leuchtende Zukunft wird – im Einklang mit der sozialistischen Ikonografie – von einer Frau vor aufgehender Sonne verkörpert.
    Politische Demonstration am 18. Juni 1917 in Petrograd.
    Viele Postkarten haben eine satirische Funktion. Auf dieser Postkarte wird die Monarchie verspottet. Im Luftraum über einer Schar Soldaten schwebt das hineinmontierte Konterfei des letzten Zaren Nikolaus II.. Ein Soldat hält ein ebenfalls nachträglich hineinmontiertes Banner mit der Aufschrift: „Weg mit der Monarchie, es lebe die Revolution!“, während der Zar „zum Wohle der Menschheit auf den Thron verzichtet“. Die Karte wurde von einem vermutlich belgischen Verlag Somville herausgegeben.
    Sitzung der Provisorischen Regierung in Petrograd. Die wohlgeordneten Reihen, die Kleidung und die Porträts an den Wänden bezeugen: Hier tagt eine politische Elite.
    Im selben Gebäude tagt auch der zweite „Flügel“ der Doppelherrschaft – der Petrograder Sowjet der Arbeiter und Bauern-Deputierten. Hier gibt es scheinbar deutlich mehr Volksnähe als in den Reihen der „kapitalistischen Minister”. 
    (Postkarte aus der Sammlung Familie Gribi, Büren a. A.).
    Die Köpfe der Provisorischen Regierung vom Februar 1917 in Petrograd.
    1917 erscheinen dennoch mehrere Postkarten mit Porträts der Regierungsmitglieder. Bald konzentrieren sich die Postkartenhersteller auf die charismatische Persönlichkeit Kerenskis.
    Nach dem Oktoberumsturz nutzen die Bolschewiki die Postkarten als wichtiges Propagandamedium. Hier haben wir es mit einer der ersten solcher Postkarten zu tun. Das Ausscheiden Russlands aus dem Krieg war eines der ersten Dekrete Lenins. Die Postkarte mit den Soldaten, die jubelnd ihre Mützen schwenken dürfte gestellt sein. Die Retusche blendet den Hintergrund aus und malt einem der Soldaten eine leuchtend rote Fahne in die Hand. Die Karte wurde von Hand mit den Losungen „Fort mit dem Krieg“ und „Alle Macht den Sowjets!“ beschriftet. Auf der Adress-Seite sind, als Zeichen der staatlichen Aneignung des Postkarten-Diskurses, das Staatsemblem der RSFSR  sowie ein Emblem der Post abgedruckt. Damit wird der offizielle Status der Karte betont. Das alles weist auf eine höhere Auflagenzahl hin.
    Diese Postkarte zeigt Umzüge am ersten Jahrestag der Oktoberrevolution. Hier ist der Schlossplatz im Bild, der nach dem ermordeten Vorsitzenden der Tscheka in Urizki-Platz umbenannt worden ist. So werden systematisch die zentralen Orte der Macht angeeignet und besetzt, durch Umbenennungen, Dekorationen, sowie auch durch Menschenmassen.
    Aufnahme von Revolutionsführer Wladimir Lenin am Schreibtisch, die Prawda lesend. Die eigentliche Lenin-Ikonografie gewinnt erst während seiner Krankheit und nach seinem Tod an Bedeutung, also ab 1922 bzw. 1924.
    Die Aufnahme von Lenin auf der Rednertribüne aus dem Jahr 1920 hat es aus mehreren Gründen zu einiger Berühmtheit gebracht. Erstens zeigt sie Lenin in einer ikonischen Pose, die Mütze in der Hand, als Redner und aktiven Anführer der revolutionären Massen: Diese erscheinen auf zahlreichen Postkarten des Revolutionsjahres führerlos, hier gelingt nun die visuelle Verbindung der Menschenmenge mit einer visionären Führerpersönlichkeit in idealer Weise. Wegen seiner Ausdrucksstärke wurde das Bild zum Teil der kanonisierten Lenin-Ikonografie. Weil auch die Fotografie häufig reproduziert wurde, fanden mit der Zeit einige Retuschen statt, mit deren Hilfe etwa der in Ungnade gefallene Trotzki von der Treppe entfernt wurde.
    (Postkarte aus der Sammlung Familie Gribi, Büren a. A.).
    Feiern des fünften Jahrestages der Oktoberrevolution 1922 auf dem Roten Platz in Moskau. Für die Parade werden „Dreadnought“-Schiffe der Marine nachgebaut, um die sowjetische Flotte zu repräsentieren. Der Aufdruck auf der Adress-Seite offenbart den wohltätigen Zweck der Postkarte: Sie dient dem Allrussischen Hilfs-Komitee für Kranke und Verletze der Roten Armee und der Kriegsinvaliden. Damit läuft der Zweck der Karte dem heroischen Narrativ auf der Vorderseite entgegen: Es tut sich ein Riss auf zwischen den heroischen Soldaten auf ihren Artillerieschiff-Attrappen während der Parade und der ernüchternden Realität des Kriegselends.

    Text: Monica Rüthers
    Veröffentlicht am 01.11.2017

    Die Postkarten wurden von den Sammlern Michail Woronin (St. Petersburg) und Familie Gribi (Büren a. A.) dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt.​


    Zum Weiterlesen:
    Rowley, Alison  (2013): Open Letters: Russian Popular Culture and the Picture Postcard 1880-1922, Toronto
    Hoerner, Ludwig  (1987): Zur Geschichte der fotografischen Ansichtspostkarte, in: Fotogeschichte, Heft 26, S. 29-44
    Tropper, Eva (2015):  Kontakte und Transfers: der Ort der gedruckten Fotografie in einer Geschichte der Postkarte, in: Ziehe, Irene/Hägele,Ulrich (Hrsg.): Gedruckte Fotografie: Abbildung, Objekt und mediales Format, Münster, S. 216-234

    1.bridgeman blog: The Russian Revolutions of 1917
    2.Bojcova, Ol’ga (2012): Ne smotri ich, oni plochie: fotografii pochoron v russkoj kul’ture, in: Antropologičeskij Forum № 12/2012, S. 327-330 und S. 442-463, hier S. 451
    3.Rowley, Alison (2013): Open Letters: Russian Popular Culture and the Picture Postcard 1880–1922, Toronto, S. 214
    4.Rowley, Open letters, S. 214
    5.Rowley, Open letters. S. 218-219
    6.Es existieren allerdings Bildpostkarten von Begräbnissen der Opfer in einem Gemeinschaftsgrab im Park des Forstinstitutes
    7.Neue Zürcher Zeitung: Das Verschwinden des Theaters: Wie sich eine Retusche am Bild der Oktoberrevolution als politische Allegorie lesen lässt

    Dieses Postkarten-Special wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

    Weitere Themen

    Die Februarrevolution

    FAQ zum Revolutionsgedenken 1917

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    Lenin in der russischen Revolution

    Kino #10: Oktober

  • Nikolaus II.

    Nikolaus II.

    Jekaterinburg, 17. Juli 1918. In den frühen Morgenstunden werden der ehemalige russische Zar Nikolaus II. und seine Familie unsanft geweckt, in den Keller ihres Arresthauses beordert und ohne Vorwarnung erschossen. Die Leichen werden in einem Waldstück verscharrt. Eineinhalb Jahre zuvor hatte Nikolaus im Zuge der Februarrevolution 1917 auf den Thron verzichtet. Nach dem Hausarrest in einem der kaiserlichen Schlösser außerhalb von Petrograd und einigen Monate im westsibirischen Tobolsk, wurde er mit seinen Angehörigen Ende April 1918 nach Jekaterinburg abtransportiert, die Stadt am Ural, in der örtliche Vertreter der Bolschewiki den Tod der letzten Zarenfamilie beschlossen.

    St. Petersburg, 17. Juli 1998. In Anwesenheit des russischen Präsidenten werden die Gebeine Nikolaus´ und seiner Familie feierlich in der Peter-und-Pauls-Kirche beigesetzt. Zwei Jahre später erfolgt auch die Heiligsprechung der letzten Zarenfamilie als Märtyrer durch die Russisch-Orthodoxe Kirche. Diese Aufnahme in den Kanon der orthodoxen Heiligen macht den historischen Umgang mit Russlands letztem Kaiser nicht einfacher.

    Zar Nikolaus II. in Zarskoje Selo, kurz nach seiner Abdankung. Ihm weinte damals, im März 1917, keiner eine Träne nach / Foto © Library of Congress
    Zar Nikolaus II. in Zarskoje Selo, kurz nach seiner Abdankung. Ihm weinte damals, im März 1917, keiner eine Träne nach / Foto © Library of Congress

    Als Nikolaus im Jahr 1894 nach dem plötzlichen Tod seines Vaters den Thron besteigen musste, übernahm er ein Riesenreich voller Gegensätze. Das Russische Reich war gewaltig und heterogen – die Herausforderungen an seinen Herrscher waren es auch. Der am 6. (18.) Mai 1868 geborene Nikolaus II. war erst 26 Jahre und fühlte sich von Anfang an nicht wohl bei seiner großen neuen Aufgabe. 

    Böses Vorzeichen

    Wie eine Bestätigung schlimmer Ahnungen musste da die Katastrophe bei den Krönungsfeierlichkeiten 1896 wirken, die stets in Moskau begangen wurden. Im Zuge des traditionell die Festivitäten begleitenden Volksfestes kam es auf dem Chodynka-Feld am Stadtrand zu einem schweren Unglück. Die Ungeduld der Schaulustigen und erhebliche organisatorische Mängel führten zu einer Massendrängelei, an deren Ende fast 1400 Todesopfer zu beklagen waren – schnell sah man darin ein böses Vorzeichen für Nikolaus‘ kommende Herrschaft. 

    Im November 1894 hatte Nikolaj wenige Wochen nach der Thronbesteigung seine Verlobte, Prinzessin Alix von Hessen, geheiratet. Mit der scheuen, weltabgeschotteten Alix fand der neue Kaiser viele Gemeinsamkeiten, ob im Privat- und Hofleben oder in der Herrschaftsauffassung. Was beide einte, war auch die politische Visionslosigkeit, ja, die Unfähigkeit, den sozialen und politischen Herausforderungen des frühen 20. Jahrhunderts auf angemessene Weise zu begegnen. 

    Autokratie im Geiste des 17. Jahrhunderts

    Dem Herrscherpaar schwebte eine Autokratie im Geiste des 17. Jahrhunderts vor, als der Herrscher mit dem Segen der Orthodoxen Kirche einen gottgefälligen Bund mit seinen Untertanen eingegangen war – so zumindest die Vorstellung. In der politischen Geschichte des Russischen Reiches war diese Haltung ein Rückschritt: Andere Romanow-Herrscher, vor allem Nikolaus´ Großvater Alexander II. hatten sich deutlich moderner gezeigt.

    Nikolaus´ soziopolitische Vorstellungen trugen nicht mehr, denn die sich rasch verändernde russische Gesellschaft politisierte sich zusehends. Die zahlenmäßig kleinen Ober- und Mittelschichten wünschten sich bürgerliche Freiheiten und politische Partizipation, die Masse der Unterschichten vor allem bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Während eines verlust- und belastungsreichen Krieges gegen Japan im Jahr 1905 kulminierte die gesellschaftliche Unzufriedenheit.

    An einem Tag im Januar, der als Blutsonntag in die Geschichte einging, zogen Arbeiter vor den Winterpalast in St. Petersburg, um Nikolaus friedlich ihre Bitten und Forderungen zu präsentieren. Überforderte Wachtruppen schossen den Demonstrationszug auseinander und gaben damit unwillentlich die Startschüsse für die Revolution von 1905. Streiks und Demonstrationen brachen sich im ganzen Land Bahn, doch Nikolaus blieb uneinsichtig und ließ sich lediglich dazu herab, den unbotmäßigen Arbeitern „zu verzeihen“. Erst im Herbst 1905 gab er widerwillig seinen Beratern nach und kündigte eine Verfassung an, die im folgenden Frühjahr erlassen wurde.

    Die russischen Grundgesetze von 1906 veränderten die politische Kultur des Landes. Von nun an hatte, sehr zum Verdruss Nikolaus´, ein Parlament beim Gesetzgebungsprozess mitzureden. Politische Parteien aller Couleur entstanden, über politische Fragen wurde wie nie zuvor in der Öffentlichkeit debattiert. Das neue Amt des Premierministers bekleidete mit Pjotr Stolypin ein ambitionierter und entschiedener Staatsmann. Mit Härte ging er gegen jegliche aufständischen Bestrebungen vor. Gleichzeitig versuchte er, Russland durch großangelegte Reformen zukunftsstark zu machen. Dass im Jahr 1911 ein Attentäter Nikolaus´ Regierungschef ermordete, verstärkte bei ihm die Überzeugung, dass Zugeständnisse an die Gesellschaft grundsätzlich nicht hilfreich seien. 

    Gottgesegnete Beziehung zwischen Herrscher und Untertanen

    Nikolaus´ Vorstellungen von einer unmittelbaren, gottgesegneten Beziehung zwischen Selbstherrscher und Untertanen realisierten sich für ihn noch einmal bei der großen 300-Jahrfeier der Romanow-Dynastie 1913, wo der, oft wohlinszenierte, Jubel der bäuerlichen Bevölkerung ihm die Richtigkeit seines Denkens nahelegte. Auch im Sommer 1914, als Russland sich in jenen Krieg hineinziehen ließ, der sich zum Weltkrieg auswachsen sollte, glaubte der Kaiser in der patriotischen Begeisterung seines Volkes dessen wahre Haltung zur Autokratie zu erkennen. Gegenüber den Erwartungen seiner Gesellschaft, die gerne kräftig an Russlands Schicksal mitwirken wollte, hatte der Kaiser im Krieg wieder nur das alte Rezept parat: Weitgehende Abwehr jeder Partizipation und Konzentration auf die eigene Macht. 

    In diesem Zusammenhang hielt er es 1915 für seine selbstherrscherliche Pflicht, den Oberbefehl über die Truppen zu übernehmen. Er tat damit weder seinen Soldaten noch seinem Land etwas Gutes: Militärisch weitgehend talentfrei, fehlte mit seiner Abreise an die Front jene Figur in St. Petersburg, die das politische System zusammengehalten hatte. Dazu kamen noch die Gerüchte über eine deutsche Partei am Hof, die vor allem mit der Abstammung der Zarin Alexandra verbunden wurden.

    Ende der Monarchie

    Noch einmal zeigte sich das fehlende Gespür Nikolaus´, als der harte Winter 1916/17 den unteren Schichten lange nicht gekannte materielle Not brachte. Auf die sich schnell ausbreitenden Massenproteste seit Januar 1917 reagierte der Kaiser zunächst nicht. Es fiel ihm nur der Befehl zur Niederschlagung ein – doch da war es bereits zu spät. Der Autokratie war im Februar 1917 in St. Petersburg kaum noch jemand treu ergeben – zu sehr hatte eine jahrelange ignorante Politik das monarchische Herrschaftssystem und seine Dynastie diskreditiert. Am 2. März 1917 gab der Kaiser auf Anraten der Generalität dem Drängen der Parlamentsabgeordneten nach und unterzeichnete seine Abdankung, in die er zugleich seinen kranken Sohn Alexei miteinschloss. Der von Nikolaj als Nachfolger ausersehene Großfürst Michail hatte längst verstanden, was die Stunde geschlagen hatte, und abgewunken. Die Monarchie in Russland war zu Ende.

    Im März 1917 gab es bis in höfische Kreise hinein nur wenige, die Nikolaus II. eine Träne nachweinten. Beachtliche Kreise der Bevölkerung hätten sich wohl durchaus eine Fortsetzung der Monarchie vorstellen können, jedoch mit stark eingeschränkten Kompetenzen und vor allem mit einer geeigneteren Persönlichkeit. Nikolaus wirkte gegenüber denjenigen, die ihn zu Gesicht bekamen, oft wie ein kultivierter, zurückhaltender Privatier, der im Familienleben Erfüllung fand und die Staatsgeschäfte eher als lästige Pflicht betrachtete. Freilich war er auch nicht bereit, andere mit der Führung ebenjener Geschäfte zu betrauen.

    Goldenes Zeitalter und Glanz der Monarchie

    Dass der letzte Kaiser in der Sowjetzeit in historiographische Ungnade fiel, verwundert nicht. Während man früheren Zaren seit den 1930er Jahren auch wieder positive Aspekte abgewinnen konnte, musste Nikolaus in der Rolle des Feindbildes verharren. Schließlich resultierten Oktoberrevolution und Sowjetstaat letztlich aus seinem Sturz. Was zu Sowjetzeiten verteufelt wurde, weckte nach 1991 grundsätzlich besonderes Interesse. Die sowjetischen Erzählungen über den blutrünstigen Ausbeuter Nikolaus wurden abgelöst von der Entdeckung des Opfers Nikolaus: Ein integrer, gläubiger Mensch, der, nachdem er im März 1917 den Weg für einen demokratischen Neuanfang freigemacht hatte, von den Bolschewiki ohne Not grausam ermordet wurde. Was für den letzten Zaren galt, ließ sich auch auf Russland vor der Revolution anwenden: Anstelle einer handlungsunfähigen, an ihr unausweichliches Ende gekommenen Staats- und Wirtschaftsform besaß das späte Zarenreich auf einmal Potential für ein verklärtes „goldenes Zeitalter“. Anstelle der sozialen Ungerechtigkeit und politischen Kämpfe rückten der Glanz der Monarchie, die aufstrebende Wirtschaft, die Kultur von Weltgeltung und der orthodoxe Glaube in den Betrachtungsmittelpunkt. Ein Höhepunkt in dieser Umwertung der Geschichte war die besagte Heiligsprechung des letzten Zaren und seiner Familie.

    Für zahlreiche orthodoxe Gläubige verbietet sich hierdurch die kritische Hinterfragung oder auch nur erdennahe Darstellung von Nikolaus. Ein aktuelles Beispiel sind die hitzigen Auseinandersetzungen, die in Russland gegenwärtig über den Film Matilda1geführt werden. Der Streifen thematisiert ein voreheliches Liebesverhältnis Nikolaus´ in seiner Zeit als Thronfolger mit der Balletttänzerin Matilda Kschessinskaja. In Russland wirft diese Thematik eine ganze Reihe heikler Fragen auf: Darf ein heiliggesprochener russischer Zar eine außereheliche Geliebte gehabt haben? Wenn ja, darf man heute darüber reden? Wie menschlich darf Nikolaj gezeigt werden? Derlei Fragen scheinen der russischen Öffentlichkeit wichtiger als etwa der 100. Jahrestag der Russischen Revolution, die der St. Petersburger Monarchie ein Ende bescherte und das Land auf die Suche nach neuen Staatsformen trieb.


    1. Tatsächlich unterhielt der Thronfolger Nikolaus zur Tänzerin vor 1894 eine Beziehung, wobei deren Dimensionen nicht recht klar sind. Es spielt auch keine Rolle: Für einen Angehörigen der Romanow-Familie war eine sexuelle Beziehung zu einer „nicht standesgemäßen“ Frau nichts Ungewöhnliches, schon gar nichts Skandalöses. Solche Affären wurden am Hof toleriert, solange sie inoffiziell, privat und vor der Öffentlichkeit verborgen blieben. ↩︎

    Diese Übersetzung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Kino #10: Oktober

    Kino #10: Oktober

    Dieser Film hat das Ziel, die Welt zu erschüttern, zum zweiten Mal nach dem Oktoberaufstand: Im September 1926 beschloss eine Kommission des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei unter dem Vorsitz von Michail Kalinin und Nikolaj Podwoiski, dass zum zehnten Jubiläum der Oktoberrevolution ein solcher „zentraler Film“ gedreht werden solle. Der einzige Regisseur, der hierfür in Frage kam, war Sergej Eisenstein (1898–1948). Das Drehbuch, an dem er ab Januar 1927 arbeitete, wurde mehrmals kritisch diskutiert und verändert. Als Eisenstein von einem amerikanischen Korrespondenten gefragt wurde, wer das Buch zu seinem Oktoberfilm schreibe, antwortete er, ohne mit der Wimper zu zucken: „Die Partei.“1

    Der eigentliche Film Oktober entstand aber nach den Dreharbeiten am Schneidetisch von Eisenstein: Hier wurde die Dramaturgie bestimmt, die nicht historische Anekdoten, sondern das dialektische Denken visualisierte.
    1917 wurde der Winterpalast politisch erobert. Eisenstein sollte die ästhetische Einnahme dieser Zitadelle der Macht vollenden.2


    Unmittelbar nach der Abnahme des Drehbuches Anfang März 1927, brach der Drehstab nach Leningrad auf. In Begleitung der damaligen Kommandeure des Oktober-Aufstandes, Nikolaj Podwoiski und Wladimir Antonow-Owsejenko, besuchte man die Originalschauplätze. Schon im April begannen die Dreharbeiten. 

    Revolution als heilige Geschichte

    Oktober war eine Mammutproduktion. Erwartet wurde, dass der Film die Welt genauso erschüttert wie der Oktoberaufstand es zehn Jahre zuvor auch getan hatte. Das Budget überstieg das eines sowjetischen Durchschnittsfilms um das 20fache. Cecil DeMilles Superproduktion jener Zeit, Die zehn Gebote (1923), war der Film, mit dem Eisenstein sein Projekt zu vergleichen wünschte. Konnte in Hollywood als Sujet für solche Unternehmungen nur die Bibel herhalten, so war es in der Sowjetunion der 1920er Jahre die Revolution, wobei ihrem Anführer Lenin die Rolle des Erlösers zukam. 

    Eisenstein rechnete mit 50.000 bis 60.000 Statisten. Um riesige Menschenmassen vor die Kamera zu bekommen, drehte Eisenstein die Maidemonstration von 1927 als Julidemonstration von 1917 – mit 6000 Menschen. Nur die Losungen wurden ausgetauscht, und Eisenstein choreografierte die Demonstration nach historischen Fotos.

    Um große Menschenmassen zeigen zu können, filmte Eisenstein die Maidemonstration von 1927 / Fotos © Mosfilm
    Um große Menschenmassen zeigen zu können, filmte Eisenstein die Maidemonstration von 1927 / Fotos © Mosfilm

    Die Bevölkerung der Stadt bewunderte unter der Bewachung berittener Miliz das Geschehen als ein grandioses Spektakel. Als das Team tagsüber die Szenen der aufgezogenen Brücke in Leningrad drehte, legte es damit den Verkehr lahm. Diese Aufnahmen begleiteten viele witzelnde Feuilletons in den Zeitungen: Ein Banküberfall sei offiziell als Filmdreh ausgegeben worden, damit keine unangenehmen Fragen aufkommen.

    Kanon aller späteren Darstellungen

    Vom 13. Juni an wurde zehn Tage lang die zentrale Episode des Oktober-Aufstandes, die Erstürmung des Winterpalastes, gedreht. Für diese Szenen wurde nichts gebaut – Eisenstein durfte am Originalschauplatz filmen. 90 Scheinwerfer machten die Nacht zum Tage, dafür wurde in der ganzen Stadt das Licht abgeschaltet, um die nötige Amperestärke zu garantieren. Die Aufnahmen wurden wie Kriegshandlungen an der Front – unter Beteiligung der Armee – organisiert und durchgeführt. 5000 Statisten kamen Abend für Abend auf Befehl des Stadtparteikomitees zum Drehort. Die Kameras standen auf Dächern und Säulen oder hingen über Toreinfahrten. Die Assistenten waren auf Motorrädern unterwegs, während Eisenstein das Massenballett mit dem Megaphon dirigierte. 

    Dabei waren die Aufnahmen für die historischen Gebäude nicht ungefährlich – zu viel Licht, zu wenig Brandschutz. Noch lange nach Fertigstellung des Films lästerte man, der reale Aufstand hätte bei weitem nicht so viel Schaden angerichtet wie die Dreharbeiten.

    Obwohl Podwoiski, der den realen Aufstand angeführt hatte, Eisenstein jeden Tag am Drehort beriet, ließ der Regisseur die Arbeiterbrigaden anders als in der historischen Wirklichkeit nicht über den Seiteneingang, sondern durch das Hauptportal den Palast erstürmen. Diese Erfindung wurde zum Kanon aller späteren Darstellungen: Eisensteins Filmeinstellungen zierten als „historische Fotos“ viele Jahre die Revolutionsmuseen im ganzen Land. 

    Perversität der Dinge

    In seinem Tagebuch notierte Eisenstein: „Das Winterpalais ist für mich Exotik. Wie ein Kaufhaus. Ein Schlafzimmer: 300 Ikonen und 200 Porzellan-Ostereier. Ein Schlafzimmer, das kein Zeitgenosse psychisch ertragen könnte.“3 Das Palais wirkte wie der Fundus eines Filmstudios, wie ein Museum der Vergangenheit. Eisenstein entdeckte die Absurdität der Macht in der Perversität der von ihr eroberten Dinge. Mit ihnen ließe sich die Revolution gestalten, die zur Befreiung von dieser absurden Welt führte.

    Beim Drehen mit Doppelgängern der historischen Figuren, kam Eisenstein die Idee eines zutiefst symbolischen Films
    Beim Drehen mit Doppelgängern der historischen Figuren, kam Eisenstein die Idee eines zutiefst symbolischen Films

    Beim Drehen an den Originalschauplätzen, mit Doppelgängern4 der historischen Figuren und mit deren tatsächlichen Beratern, die den Winterpalast zehn Jahre zuvor erobert hatten, kam Eisenstein mehr und mehr die Idee eines zutiefst symbolischen Films, der jede Art von Symbolik als lächerlichen Fetischismus zerstören musste. Jeder Vorgang wurde als eine metaphorische Handlung begriffen und auch so inszeniert. Nicht die Provisorische Regierung, die seit Juli 1917 im Winterpalast residierte, sondern die leeren Mäntel machtloser Minister wurden im Film verhaftet. Zwei Matrosen durchbohrten mit ihren Bajonetten das Bett im Schlafgemach der Zarin. Damit ließ Eisenstein die Soldaten den Winterpalast wie eine Frau gewaltsam erobern.


    Im Rausch der Aufputschmittel

    Am 12. September waren die Dreharbeiten in Leningrad vollendet. Nun saß Eisenstein im Schneideraum und sollte aus 49.000 Metern belichteten Materials einen 2000 Meter langen Film montieren. Der Film und seine Dramaturgie entstanden letztendlich erst am Schneidetisch. Eisenstein sah seine Mission nicht darin, die historischen Fakten abzubilden, sondern in der Visualisierung des dialektischen Denkens. Seiner Filmtheorie, die in dieser Zeit entstand, gab er die Bezeichnung „intellektueller Film“. 

    Um die pausenlose Tag- und Nachtarbeit durchzustehen, bekam Eisenstein Aufputschmittel verabreicht. Doch die Allmacht schlug bald in körperliche Ohnmacht um: Eisenstein arbeitete so viel, dass er zeitweilig erblindete. Die Ärzte diagnostizierten totale Erschöpfung und befahlen ihm Bettruhe in einem vollständig abgedunkelten Zimmer. In dem Aufsatz Unser Oktober schrieb er, zehn Tage hätten ihm gefehlt, um den Film zum zehnten Revolutionsjubiläum komplett fertigzustellen.

    „Oktober“ war keine Ikone toter und lebender Heroen der Geschichte
    „Oktober“ war keine Ikone toter und lebender Heroen der Geschichte

    Am Abend des 7. November wurden im Bolschoi-Theater nur Ausschnitte aus dem Film vorgeführt. Doch davor war es zu einem Eklat gekommen: An diesem Morgen ging die Trotzki-Opposition in Moskau und Leningrad auf die Straße. Eisensteins Assistent schrieb später in seinen Erinnerungen, dass Stalin persönlich gegen 16 Uhr in den Schneideraum gekommen sei. Er habe gefragt, ob Trotzki in dem Film zu sehen sei, und ließ sich diese Szenen zeigen. Stalin unterrichte die Anwesenden über die Aktion der Opposition, woraufhin Eisenstein die Episoden mit Trotzki herausschnitt.5 Diese Nachricht ging sofort durch die internationale Presse. Eisenstein sah in dieser Weisung keine Einmischung in die künstlerische Freiheit, doch seine europäischen und amerikanischen Kollegen nahmen ihm das später nicht ab.

    Reproduktion gestellter Bilderrätsel

    Oktober wurde schließlich erst im März 1928 fertig, und seine öffentliche Rezeption war keineswegs eindeutig. Die Werbekampagne sah vor, den neuen Eisenstein-Film in eine Art Wettrennen mit Varieté zu schicken, dem „durch und durch erotischen bürgerlichen Schlager“ von Ewald André Dupont. Eisenstein ärgerte sich maßlos darüber. Die Zuschauer blieben weg. Bei der Kritik war das Echo geteilt. Erwartet wurde ja ein zweiter Panzerkreuzer Potemkin
    Das radikale Experiment, das Eisenstein mit diesem Film wagte, verstand damals kaum einer. Die Kritiker warfen Eisenstein historische Lüge, schwere ideologische Fehler und ein totales künstlerisches Versagen vor und sprachen über eine Reproduktion gestellter Bilderrätsel (Béla Balázs).6 Nur wenige erkannten, dass es sich bei Oktober um etwas absolut und gewollt Neues handelte.

    Film über das Ende der Dinge

    Oktober, der den Mythos der Oktoberrevolution festigen sollte, war keine Ikone toter und lebender Heroen der Geschichte geworden. Natürlich vermochte Eisenstein einige Massenszenen beeindruckender zu zeigen, als sie vermutlich abgelaufen waren. Doch der eigentliche Kern seines Films lag nicht in der Einführung eines Darstellungskanons für das Initiationsereignis der sowjetischen Geschichte. Er lag in Eisensteins intellektuellen Montage-Spielen, in denen mal transparente, mal dunkle Metaphern oder sogar obszöne visuelle Witze den Geschichtsmythos demontieren: Der Kornilow-Putsch gegen die Provisorische Regierung ist als eine Gegenüberstellung zweier Spielzeug-Napoleons inszeniert, der Umsturz der Macht als Demontage eines aus Pappe und Gips nachgestellten Zarendenkmals. Orden, verliehen „fürs Vaterland“, wachsen zu einem Müllberg wertloser Abzeichen an. Der damalige Chef der Provisorischen Regierung Alexander Kerenski steigt endlos die Treppe der Macht empor, doch als sich ihm die Türen zum Thronsaal öffnen, tritt er – dank Eisensteins Schnitt – in das Hinterteil eines mechanischen Pfaus. 

    Viktor Schklowski, Eisensteins schärfster Kritiker in jenen Jahren, überschrieb 1928 seine Rezension des Films mit Gründe für den Misserfolg. 50 Jahre später gab er zu, dass er den Film erst als alter Mann verstanden habe. Das geschah, nachdem er in den Westen fahren durfte und dort den Wahnsinn des Konsumzeitalters erlebte. Eisenstein sei ihm mit seinem Oktober weit voraus gewesen, da er keine Nachstellung der Revolutionsereignisse von 1917, sondern einen Film über das Ende der Dinge gedreht habe. Bis heute überwältigt dieses Werk die Imagination der Zuschauer, indem er sie zwingt, im Kino nicht nur zu sehen, sondern auch zu denken.

    Text: Oksana Bulgakowa
    Veröffentlicht am 09.10.2017


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    1.Freeman, Joseph (1930): The Soviet Cinema, in: Voices of October: Art and Literature in Soviet Russia, New York, S. 541
    2.Russisches Archiv für Kunst und Literatur, 1923- 2-1105, S.75
    3.zit. nach Bulgakowa, Oksana (1998): Sergej Eisenstein: Eine Biographie, Berlin, S. 96-97
    4.Eisenstein wollte keine Schauspieler besetzen, sondern Doppelgänger der damaligen Politiker Alexander Kerenski oder Lenin finden. Dafür wurden in den Leningrader Zeitungen Anzeigen aufgegeben.
    5.Aleksandrov, Grigorij (1976): Epocha i kino, Moskva, S. 117
    6.Balázs, B. (1984): Schriften zum Film, Berlin/DDR, Bd. 2, S. 89

    Dieses Kino-Special wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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    Das Revolutionsjahr an der Peripherie

    Vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 war das Russische Imperium das größte Land der Welt. Es erstreckte sich vom Königreich Polen bis zur Pazifikküste: Ein Vielvölkerreich, in dem über einhundert unterschiedliche ethnische Gruppen lebten. Russen selbst stellten dabei nur knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung. In vielen Regionen des Imperiums waren seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert Nationalbewegungen entstanden, die größere Autonomierechte einforderten und immer stärkeren Zulauf erhielten.

    Als im Zuge der Februarrevolution 1917 die Monarchie in sich zusammenfiel, schienen die Türen des russischen „Völkergefängnisses“, von dem nicht nur Karl Marx und Wladimir Lenin gesprochen hatten, endlich offen zu stehen. Überall im multiethnischen russischen Imperium artikulierten jetzt nationale Unabhängigkeitsbewegungen ihre Forderungen. Die Entwicklungen in den einzelnen Regionen verliefen dabei höchst uneinheitlich und waren abhängig von den Bedingungen vor Ort. Deshalb war das Jahr 1917 nicht nur das Jahr der Revolutionen in den Zentren des russischen Staates, sondern es war auch das Jahr, in dem etablierte Ordnungen an den Peripherien des Imperiums ihre Funktion verloren.

    Nach der Abdankung des Zaren Nikolaus II. im März 1917 hatten die Vertreter der Provisorischen Regierung und des Sowjets die Macht in der russischen Hauptstadt Petrograd übernommen. Doch auch sie waren nicht im Stande, die nationalen Revolutionen an den Rändern des Reiches zu kontrollieren, geschweige denn sie zu steuern. Immer neue politische Krisen, die Belastungen des fortdauernden Krieges und des Niedergangs der Wirtschaft nahmen die Protagonisten der „Doppelherrschaft“ derart in Beschlag, dass sie der Erosion des Imperiums vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit schenkten.

    Ohnehin verfügten sie nicht über die Machtmittel, um die Unabhängigkeitsbewegungen wirkungsvoll einzuhegen und lokale Konflikte zu befrieden. Sie konnten nur noch versuchen, das vollständige Auseinanderbrechen des Staates zu verhindern. Die Ereignisse in der Ukraine und in Zentralasien stehen beispielhaft für die komplizierten Dynamiken  des Jahres 1917 an der Peripherie.

    Unabhängigkeitsbewegung in der Ukraine

    Besonders einflussreich war die Unabhängigkeitsbewegung in der Ukraine. Als in Kiew Anfang März 1917 das Ende der Monarchie bekannt geworden war, formierte sich binnen weniger Tage die Zentralrada (dt. Rat) als Vertretung nationaler ukrainischer Interessen. Worin diese genau bestehen sollten, war dabei zunächst keineswegs ausgemacht. Denn obgleich es bereits seit dem 19. Jahrhundert eine starke ukrainische Nationalbewegung gegeben hatte, gelang es ihren Vertretern kaum, die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit für ihre Ideen zu begeistern.

    1917 änderte sich dies. Die „nationale Frage“ rückte von nun an immer stärker in den Vordergrund ukrainischer Politik. Die lauter werdenden Autonomieforderungen hatten eine mobilisierende Wirkung und waren geeignet, die Rada als politische Institution zu legitimieren. Zugleich führte dies zu einer Radikalisierung politischer Unabhängigkeitsdiskurse.

    In der Ukraine rückte die „nationale Frage“ immer mehr in den Vordergrund. 1917 demontieren Arbeiter in Kiew ein Denkmal Stolypins, der als russischer Reformer bekannt war / Foto © unbekannt/The Historical Encyclopedia of Kyiv, Wikimedia
    In der Ukraine rückte die „nationale Frage“ immer mehr in den Vordergrund. 1917 demontieren Arbeiter in Kiew ein Denkmal Stolypins, der als russischer Reformer bekannt war / Foto © unbekannt/The Historical Encyclopedia of Kyiv, Wikimedia

    In Petrograd stießen die ukrainischen Autonomieforderungen parteiübergreifend auf Unverständnis und Ablehnung. Als die Zentralrada im Juni die Selbstbestimmung der Ukraine innerhalb einer Föderation zur zentralen Forderung erhob, erklärte die Provisorische Regierung, es handele sich dabei um „einen Akt der offenen Revolte“, und die Presse sah darin einen „Dolchstoß in den Rücken der Revolution.“1 Ein eilig ausgehandelter Kompromiss führte zwar zu einer Regierungskrise in Petrograd, vermochte aber den weiteren Staatszerfall zunächst abzuwenden.

    Revolution in Zentralasien

    Eine gänzlich andere Dynamik entwickelte sich in Zentralasien. Zunächst schien der Übergang in die neue Zeit hier weitgehend reibungslos zu funktionieren. Nach dem Vorbild der Hauptstadt entstanden in Taschkent und anderen Städten Doppelstrukturen aus lokalen Eliten, die sich der Provisorischen Regierung unterordneten, und Sowjets.

    Obgleich sich beide Seiten in vielfältigen Konflikten miteinander befanden, waren sie sich in einem Punkt stets einig: Die Revolution war eine Angelegenheit der Europäer, in der es für die indigene Bevölkerung keinen Platz geben sollte.

    Auch nach dem Ende des Zarenreiches sollte die etablierte Ordnung der Kolonialgesellschaft erhalten bleiben. Doch die revolutionären Ereignisse in den Städten vollzogen sich vor dem Hintergrund einer akuten Versorgungskrise, die schließlich in eine Hungersnot mündete und weite Teile der Region erfasste. Zugleich verschärften sich auf dem Land die Auseinandersetzungen zwischen europäischen Bauernsiedlern und der indigenen Bevölkerung. Diese Gewaltausbrüche waren zumindest teilweise eine direkte Folge des Aufstands von 1916 gegen die russische Kolonialmacht.

    Den Programmen und Absichten der unterschiedlichen Parteien kam in dieser akuten Krisensituation kaum Bedeutung zu. Wichtiger war es, dass die europäischen Bauernsiedler in den Vertretern des Sowjets ihre Repräsentanten sahen, wenn sie gegen Muslime vorgingen, die den weitaus größten Teil der Bevölkerung stellten. Damit wurde der Gegensatz zwischen Kolonisierern und Kolonisierten zum zentralen Konfliktfeld in Zentralasien.

    „Rechte der Völker Russlands“

    Nachdem die Bolschewiki um Lenin im Oktober 1917 die Macht übernommen hatten, widmeten sie eine ihrer ersten öffentlichen Deklarationen den „Rechten der Völker Russlands“. Darin hieß es unter anderem, dass alle Nationalitäten, das Recht auf „freie Selbstbestimmung, bis hin zur Loslösung und Bildung eines selbstständigen Staates“2 erhalten sollen.

    Diese Deklaration war einerseits konsistent mit den Grundzügen der bolschewistischen Nationalitätenpolitik wie sie maßgeblich von Joseph Stalin ausgearbeitet worden war.3 Andererseits diente sie vor allem taktischen politischen Zielen. Denn so sollten nicht nur Teile der Unabhängigkeitsbewegungen dazu bewogen werden, die Revolution der Bolschewiki zu unterstützen, sondern auch Konflikte innerhalb der heterogenen Nationalbewegungen geschürt werden.

    Das ukrainische Beispiel zeigt, dass die neue Regierung um Lenin gar nicht daran dachte, ihre Ankündigung in die Tat umzusetzen und die Ukraine in die Unabhängigkeit zu entlassen. Vielmehr ging es ihr darum, sie als Sowjetrepublik an sich zu binden. Demgegenüber erklärte die Zentralrada Anfang 1918 die Unabhängigkeit. Doch diese Episode endete bereits nach wenigen Tagen; Ende Januar besetzten rote Einheiten Kiew. Es bedurfte des Friedensvertrags von Brest-Litowsk und der Bedrohung durch die deutsche Armee, damit die sowjetische Regierung die Unabhängigkeit der Ukraine im März 1918 widerwillig anerkannte. Gestützt auf deutsche Waffen endete dieses Experiment nach dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches.

    Gewalteskalationen des Bürgerkriegs

    Wie überall auf dem Territorium des ehemaligen Imperiums schufen die Ereignisse des Jahres 1917 auch in der Ukraine und in Zentralasien die Voraussetzungen für die Gewalteskalationen des Bürgerkriegs. In beiden Regionen entwickelte sich dieser Konflikt auf unterschiedliche Art und Weise, führte aber zu ähnlichen Ergebnissen.

    In der Ukraine spielten zunächst die Armeen der Mittelmächte eine erhebliche Rolle. Dennoch reichte die Macht der Kiewer Machthaber kaum über die Stadtgrenzen hinaus. Auf dem Lande agierten ganz unterschiedliche Gewaltakteure, die sich vielfach nicht in die Dichotomie von Weißen und Roten einordnen ließen.

    Nach Jahren des Kampfes trugen die Bolschewiki in der Ukraine und in Zentralasien schließlich den Sieg davon. Sie profitierten dabei von der Zerrissenheit ihrer Gegner, von ihrem kompromisslosen Gewalteinsatz und von der Bereitschaft größerer Bevölkerungsschichten, sich den Vertretern der Sowjetmacht als dem vermeintlich geringeren Übel anzuschließen. Doch die Bolschewiki konnten sich nicht in allen Teilen des ehemaligen Imperiums durchsetzen. Finnland, Polen und die baltischen Staaten wurden in Folge des Ersten Weltkriegs und der Revolution zu unabhängigen Staaten.

    Der Sieg der Roten Armee im Bürgerkrieg konnte die  Konflikte an den Peripherien des Sowjetstaates zunächst nicht dauerhaft einhegen. Daran änderte auch die Gründung nationaler Republiken ab Mitte der 1920er Jahre nichts.4 Während der Kampagnen zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft ab 1928 brachen sie mit größter Vehemenz erneut auf.5

    Als die Sowjetunion 1991 zerfiel, wurden die Protagonisten der Unabhängigkeitsbewegungen in vielen der nun souveränen Staaten zu Nationalhelden stilisiert. Auch heute gilt die oft nur einige Monate dauernde Phase staatlicher Eigenständigkeit nach 1917 – etwa im Falle der Ukraine – als wichtiger Bezugspunkt in der Nationalgeschichte.  


    Zum Weiterlesen
    Happel, Jörn (2016): Die Revolution an der Peripherie, in: Heiko Haumann (Hg.): Die Russische Revolution 1917, Wien, S. 91-104
    Zentralasien
    Khalid, Adeeb  (2015): Making Uzbekistan: Nation, Empire, and Revolution in the Early USSR, Ithaca
    Teichmann, Christian (2016): Macht ohne Grenzen: Stalins Herrschaft in Zentralasien: 1920-1950, Hamburg
    Ukraine
    Kappeler, Andreas (2014): Kleine Geschichte der Ukraine, München
    Schnell, Felix (2012): Räume des Schreckens: Gewalt und Gruppenmilitanz in der Ukraine 1905–1933, Hamburg

    1. Zitate bei Penter, Tanja (2017): Die Oktoberrevolution in der Peripherie: Das Beispiel Ukraine, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2017, Berlin, S. 87-103, hier: S. 95 ↩︎
    2. Deklaration der Rechte der Völker Rußlands, 2. (15.) November 1917 ↩︎
    3. Stalin, J. W. (1945/1913): Marxismus und nationale Frage, Moskau ↩︎
    4. zur sowjetischen Nationalitätenpolitik: Martin, Terry (2001): The Affirmative Action Empire: Nations and Nationalism in the Soviet Union, 1923–1939, Ithaca ↩︎
    5. dazu: Schnell, Felix (2012): Räume des Schreckens: Gewalt und Gruppenmilitanz in der Ukraine, 1905–1933, Hamburg, S. 411–430; Edgar, Adrienne (2004): Tribal Nation: The Making of Soviet Turkmenistan, Princeton, S. 167–196 ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Lenin in der russischen Revolution

    Lenin in der russischen Revolution

    Das wohl bekannteste Foto aus dem Revolutionsjahr 1917, vom berühmten Fotografen Viktor Bulla, zeigt den „Beschuss einer friedlichen Demonstration von Arbeitern und Soldaten“ am 04. Juli1. So lautete die Bildunterschrift lange Zeit in der sowjetischen Tradition. Dieses zentrale Ereignis im Revolutionsjahr 1917 zwischen Februarrevolution und Oktoberaufstand ging als Juliaufstand in die Geschichte ein.  Es war kein durch „spontane Massenbewegung“ verursachter „Betriebsunfall“ der Revolution. Die Revolution wurde durch die bolschewistische Partei auch nicht vor dem Schlimmsten gerettet, wie es die sowjetische Geschichtsschreibung darstellte. Es war auch kein „Präludium zum Oktober“ (A. Rabinovitch)2 oder Lenins missglückter Putschversuch (R. Pipes)3. Vielmehr war es mit seinen Wirren, Opfern, der Chaotisierung und dem politischen Desaster die konsequente Folge von Lenins Strategie, die er mit den Aprilthesen eingeschlagen hatte: Gewalt und Radikalisierung.

    © gemeinfrei
    © gemeinfrei

    Unmittelbar nach dem Februar-Umsturz hatte sich Lenin auf den „Bürgerkrieg“ und die Konstellation „bewaffnetes Proletariat“ gegen den „Bonapartismus an der Macht“ fixiert. Die Massenforderungen wie „Alle Macht den Sowjets“, „Frieden ohne Annexionen und Kontributionen“, „Alles Land den Bauern“ sowie „Selbstbestimmung der Nationen“ hatten keineswegs spezifisch bolschewistischen oder gar sozialistischen Charakter. So konnte Lenin die Sympathie der radikal gestimmten Strömungen in der Gesellschaft gewinnen. Die „Aprilstrategie“ die Gesellschaft zu polarisieren war vor allem auf die totale Konfrontation mit der Provisorischen Regierung und auf deren gewaltsamen Sturz angelegt. Dies konzentrierte sich in der Losung „Alle Macht den Sowjets“: Die russische Revolution sollte weitergetrieben werden bis zur Sprengung der sogenannten „Doppelherrschaft“ von Provisorischer Regierung und Arbeiter- und Soldatensowjet.

    Die bolschewistische Partei wurde zum Anziehungspunkt für alle unzufriedenen, radikalen und anarchistischen Elemente, die durch die revolutionären Ereignisse aufgewühlt worden waren. Der ungeregelte Zufluss dieser Menschen in die Partei sorgte einerseits für ein exponentielles Wachstum ihrer Mitgliedschaft. Sie schwoll von Anfang 1917 mit 24.000 bis Ende April auf über 100.000 sowie 200.000 Mitglieder im August desselben Jahres an.4 Andererseits sorgte dieser Zustrom aber auch für die Erschütterung der inneren Parteistrukturen. Lenin – zunächst fast gänzlich isoliert – setzte sich vom ersten Augenblick seiner Rückkehr nach Petrograd an über alle Beschlüsse der Führungsorgane seiner Partei hinweg, als wäre er an sie nicht gebunden. Stattdessen appellierte er an die Basis des Bolschewismus, um sie für seine radikale April-Strategie zu gewinnen. 

    Der Führer des Bolschewismus

    Lenins Auftreten begleiteten viele feindselige Kommentare – nicht nur der bürgerlichen Öffentlichkeit, sondern auch aus den Reihen seiner sozialistischen Rivalen. Sie schmähten seine Darlegungen als „vom Fieberwahn gezeichnet“ und ihn selbst als „Bürgerschreck“ und leibhaftigen „Antichrist in der Einbildung der Spießbürger“ (Viktor Tschernow). 
    Durch diese Dämonisierung trugen sie dazu bei, dass er eine Aura bekam, in der seine Maßlosigkeit und Manie umso attraktiver wurden. Die geheimnisumwitterte Durchquerung des Deutschen Kaiserreichs tat ein Übriges, um die öffentliche Meinung zu polarisieren: Auf einer Seite waren jene Patrioten, die dahinter Verrat witterten und gegen ihn demonstrierten, auf der anderen jene Kriegsmüden, die Lenins Fahrt nach Russland als eine endlich gelungene, tollkühne und vielversprechende Tat empfanden.

    Lenins Massenappell ohne Rücksicht auf seine Partei unterminierte sowohl die Disziplin der Mitglieder als auch die Struktur der Parteihierarchie. Wenn sie darin auch den anderen sozialistischen Parteien des russischen Revolutionsjahres glich, machte sie sich zugleich zu einem „Generator für die Ungeduld der Massen“.5 Sie bemühte sich, der „Spontaneität“ der Bewegung durch ihre radikalen Parolen ein „bolschewistisches“ Gesicht zu geben. In diesem Prozess entstand eine Seelenverwandtschaft zwischen Lenin und den radikalen Teilen der Massen.

    Klasseninhalt der Demokratie

    „Demokratie“, zunächst im Sinne von „gleiche Rechte für alle“ verstanden, verwandelte sich im Sprachgebrauch vieler Arbeiter und Soldaten in einen exklusiven sozialen Begriff, der das „werktätige Volk“ der „Bourgeoisie“ gegenüber stellte. In der politischen Sprache des Jahres 19176 wirkte die bolschewistische Agitation polarisierend: Der Klassen-Diskurs wurde von den Arbeitern strikt im Sinne von „wir und sie“ verstanden. Lenin war der schärfste Protagonist, der es zur Aufklärungsaufgabe der bolschewistischen Partei machte, diesen „Klasseninhalt der Demokratie“ zu vermitteln.7 Die Parole „Alle Macht den Sowjets“ enthielt für die radikalisierten Massen eben diese Bedeutung: Sie versprach, die Vormacht der „Arbeiter und Soldaten“ zu sichern und die Burshui (dt. abwertend für Vertreter der Bourgeoisie) auszuschließen.

    Lenins Losung erwies ihre Durchschlagskraft bei den großen Protestdemonstrationen. Der „Führer“ mit seiner Strategie erhielt nun in der wachsenden Anhängerschaft das Image des „Genialen“. Seine Autorität schien fortan ins Unermessliche zu wachsen. 

    Umwandlung des Krieges in den Bürgerkrieg

    Obwohl Lenin das Wort „Bürgerkrieg“ in der Öffentlichkeit vermied, ja von den Partei-Agitatoren als „infame Lüge“ dementieren ließ, sorgte er im parteiinternen Sprachgebrauch dafür, dass die Februarrevolution als endlich gelungene „Umwandlung des Krieges in den Bürgerkrieg“ behandelt wurde. Wo immer marodierende Matrosen Gewalttaten begingen, ergriff er für sie Partei. 

    Beim Petrograder Partei-Komitee begannen sich die Radikalen zunehmend durchzusetzen. Man berief sich auf die Parole „Alle Macht den Sowjets“ und drängte auf „bewaffnete Demonstrationen“. Damit führte die April-Strategie Lenins die Bolschewiki geradewegs in das Juli-Desaster.

    Juliaufstand: Bewegung ohne Kopf

    Am 3. Juli machte das Zentralkomitee noch den Versuch, die von meuternden Soldaten ausgehenden „bewaffneten Demonstrationen“ zu stoppen. Kurz darauf jedoch revidierte das Petrograder Komitee diese Position und unterstützte die Demonstration. Diese Entscheidung wurde dann letztendlich auch vom Zentralkomitee geteilt. 

    An der „bewaffneten Massendemonstration“ nahmen angeblich bis zu 500.000 Petrograder Arbeiter und Soldaten teil. Die Militärorganisation machte nun alle Anstalten, um strategische Punkte der Hauptstadt im Sinne eines Umsturzes zu besetzen.8 Das zwischen linken und „rechten“ Gruppierungen schwankende bolschewistische Zentralkomitee verfügte offensichtlich über keinen klaren Plan. Einer der obersten Führer des Bolschewismus, Grigori Sinowjew, „der den ganzen 4. Juli an seiner (Lenins) Seite verbrachte, erinnerte sich an einen Lenin, der vor Unentschlossenheit wie gelähmt war“.9 Schließlich rief das Zentralkomitee zur Beendigung der bewaffneten Demonstrationen auf – offensichtlich unter dem Eindruck von Nachrichten über nahende Fronttruppen. Sie waren zur Wiederherstellung der Ordnung in die Hauptstadt gerufen worden. Letztendlich wurden die Demonstrationen von der Regierung mit Gewalt und vielen Opfern niedergeworfen.

    Die bolschewistische Partei geriet durch die Ereignisse in den Ruch der Verschwörung zum Putsch. Lenin wurde als angeblicher „Agent der Deutschen“ zur Verhaftung ausgeschrieben, der er sich durch die Flucht aus Petrograd entzog. Der Arbeiter- und Soldatensowjet, zum Schutz vor den Massen auf die Generalität angewiesen, war bloßgestellt. Die „Revolutionäre Demokratie“ der Februarrevolution war in Chaos verwandelt worden. 

    Agonie der Staatsmacht

    Lenin reagierte von seinem Fluchtort Rasliw, 35 Kilometer außerhalb Petrograds, aus mit Thesen, nach denen die Losung „Alle Macht den Sowjets“ fallengelassen und durch die direkte Vorbereitung auf den bewaffneten Aufstand ersetzt werden sollte. Er konnte sich damit weder beim Zentralkomitee noch bei großen Teilen der im Lande wirkenden Partei-Komitees durchsetzen. Die verfolgten in Reaktion auf die Juli-Ereignisse vorwiegend eine Defensivstrategie, nämlich die Verteidigung der Sowjets. 

    Der Führer des Bolschewismus blieb über Monate hin von der praktischen Politik der Partei ausgeschlossen, fast entmachtet. Er hatte durch das Desaster des Juliaufstandes stark an Führer-Autorität verloren. Jedoch wagte niemand in der Partei den „Führer“ zur Rechenschaft zu ziehen. Ohnmächtig war Lenin in diesem Ringen aber keineswegs. Er setzte sich über alle Regeln der Parteidisziplin hinweg, ließ durch Vertraute seine Anträge und Briefe an das Zentralkomitee unter seinen Anhängern – vor allem im Petrograder Parteikomitee – verbreiten oder wandte sich direkt an die bolschewistischen Unterorganisationen.

    Der herrschende Block in der Provisorischen Regierung, der aus gemäßigten Sozialisten und Liberalen bestand, konnte jedoch das Scheitern des Leninschen Bolschewismus für die Errichtung einer freiheitlichen Ordnung und Kurs auf eine Beendigung des Krieges nicht zunutze machen. Die Polarisierung zwischen den maßgeblichen Akteuren im Innern sowie die Niederlagen an der Kriegsfront verhinderten dies. Da nun weiterhin die Wahl und Einberufung der Konstituante verschoben wurde, blieb die Legitimationsfrage auf fatale Weise in der Schwebe. Das Chaos der Politik bewirkte, dass der „Putschversuch“ des Generals Kornilow Ende August 1917 im Nebel von Missverständnis und Gerücht verschwamm. Den Bolschewiki aber diente er dazu, sich durch ihre militante Gegenmobilisierung als „Retter der Revolution“ zu gerieren.

    Als Lenin Anfang Oktober nach Petrograd zurückkehren konnte, war Russland endgültig unregierbar geworden. Das Machtvakuum schuf Raum für Lenins Strategie des bewaffneten Aufstandes. Sie bedeutete, dass Lenin und die bolschewistische Partei nicht mehr vorwiegend an die Massen appellierten, um sie zu Straßendemonstrationen aufzurufen. Diese Strategie zielte allein auf die militärische Organisierung der Machtergreifung durch die Bolschewiki und ihre Roten Garden. Wenn dies im Oktober erneut unter der Parole „Alle Macht den Sowjets“ geschah, dann vor dem Hintergrund einer Arbeiterschaft in Petrograd und Moskau, die angesichts des allgemeinen Chaos entpolitisiert und resigniert war. Die Parole war als Banner von Lenins Machtpolitik gar zu durchsichtig geworden. 


    1. 16. Juli nach gregorianischem Kalender, in dieser Gnose wird jedoch die Datierung des julianischen Kalenders benutzt, die in Russland bis 26. Januar 1918 galt und die in der Geschichtswissenschaft geläufiger ist. ↩︎
    2. Rabinovitch, Alexandr (1968): Prelude to Revolution: The Petrograd Bolsheviks and the July 1917 Uprising, Bloomington ↩︎
    3. Pipes, Richard (1992): Die Russische Revolution. Band 2: Die Macht der Bolschewiki, Berlin, S. 148-165 ↩︎
    4. Lorenz, Richard (1981): Einleitung: Die Massen in der Russischen Revolution, in: Ders., zusammen mit von Boetticher, Manfred und Pietrow, Bianka (Hrsg.): Die Russische Revolution 1917: Der Aufstand der Arbeiter, Bauern und Soldaten: Eine Dokumentation. München, S. 19 ↩︎
    5. Buldakov, Vladimir (1997): Krasnaja smuta: Priroda i posledstvija revoljucionnogo nasilija, Moskau, S. 426 ↩︎
    6. Figes, Orlando/Kolonitskii, Boris (1999): Interpreting the Russian Revolution: The Language and Symbols of 1917, New Haven, London, S. 122-126 ↩︎
    7. Lenin, Wladimir (1959): Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution: (Entwurf einer Plattform der proletarischen Partei), April 1917, in: Lenin, Wladimir: Werke, Berlin, Bd. 24, S. 39–77. Hier ausdrücklich der erste Abschnitt: „Der Klassencharakter der jüngsten Revolution“, ebda., S. 39 f. ↩︎
    8. Rabinovitch, S.164-166 ↩︎
    9. Figes, Orlando (1998): Die Tragödie eines Volkes: Die Epoche der russischen Revolution 1891–1924, Berlin, S. 491f. ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Russland im Ersten Weltkrieg

    Russland im Ersten Weltkrieg

    Russland sei nicht in der Lage, einen längeren Krieg durchzustehen. Davon war der einflussreiche konservative Politiker Pjotr Durnowo fest überzeugt. Im Februar 1914 warnte er in einer Denkschrift an Zar Nikolaus II. eindringlich vor den möglichen Folgen: „Die Unruhen werden damit beginnen, dass man die Regierung für alle Katastrophen verantwortlich macht. […] Die besiegte Armee, die ihre zuverlässigsten Männer verloren hat und von der primitiven bäuerlichen Gier nach Land mitgerissen wird, wird zu demoralisiert sein, als dass sie als Bollwerk für Gesetz und Ordnung dienen könnte […] und Russland wird in hoffnungslose Anarchie stürzen, deren Ausgang nicht vorauszusehen ist.“1

    Drei Jahre später sollten Durnowos Befürchtungen Realität werden. Im Ersten Weltkrieg zerfiel das Russische Imperium. Den Belastungen eines modernen Krieges war es nicht gewachsen.

    Der russische Staat war den Belastungen eines modernen Krieges nicht gewachsen / Foto © ITAR-TASS
    Der russische Staat war den Belastungen eines modernen Krieges nicht gewachsen / Foto © ITAR-TASS

    Zunächst schien nichts auf ein solches Szenario hinzuweisen. Wie überall in Europa, so löste der Beginn des Krieges auch in Russland Begeisterung aus. Als sich Zar Nikolaus II. am 2. August 1914, dem Tag der russischen Kriegserklärung, in der Öffentlichkeit zeigte, jubelten ihm die Menschen enthusiastisch zu. In den Zeitungen wurde der sichere Sieg beschworen, Intellektuelle glaubten, es beginne eine Zeit der nationalen Erneuerung und das russische Parlament, die Duma, erklärte seine Selbstauflösung, um der Regierung nicht „im Wege zu sein“.

    Russland verfolgte zu Beginn des Krieges ambitionierte Ziele. Von besonderer Bedeutung waren dabei die Eroberung Konstantinopels und der Meerengen. Darüber hinaus beanspruchte das Imperium Teile Ostpreußens, Galiziens sowie weitere Gebiete für sich. Und nicht zuletzt sollten die russischen Kriegsziele den Anspruch unterstreichen, Schutzmacht aller Slawen zu sein.  

    Krieg führen

    In den ersten Tagen und Wochen konnten russische Truppen eine Reihe von Erfolgen erzielen. Doch bereits Ende August 1914 gelang es den Deutschen bei der Schlacht von Tannenberg, die nach Ostpreußen eingedrungene russische Armee zu besiegen. Auch an den anderen Fronten in Galizien und den Karpaten kam es nach anfänglichen spektakulären Erfolgen zu Rückschlägen. Besser sah es indes an der dritten russischen Front im Mittleren Osten aus, wo das Imperium wichtige Siege über das Osmanische Reich errang.2

    Der Bewegungskrieg der ersten Kriegsmonate machte bald etwas festeren Frontlinien Platz, ohne freilich in einen Stellungs- und Grabenkrieg wie im Westen Europas zu münden. Bis zum Ende des Krieges kam es immer wieder zu großen Offensiven.

    Von Beginn an litt die Armee unter erheblichen Problemen, denn auf einen längeren Abnutzungskrieg war Russland nicht vorbereitet. Zu den verheerenden Verlusten an Menschen und Material kamen große Schwierigkeiten mit dem Nachschub. Die Verkehrsnetze waren nicht in der Lage, den immensen Bedarf der Truppen zu bewältigen. Immer wieder fehlte es an genügend Waffen, Munition und warmen Uniformen. Krankheiten breiteten sich in der Truppe aus. Gleichzeitig sank die Moral der Soldaten, unter denen die Überzeugung wuchs, sie würden sinnlos geopfert. Den überlegenen Ressourcen der Mittelmächte hatte die russische Armee in den kommenden Jahren trotz einer Reihe begrenzter Erfolge letztlich kaum noch etwas entgegenzusetzen. 

    „Innere Feinde“ und Führungskrise

    Im Krieg gerieten nationale Minderheiten unter Verdacht, mit den Feinden gemeinsame Sache zu machen. Als erstes traf es die in Russland lebenden Deutschen. In vielen Städten kam es zu antideutschen Ausschreitungen, die sowohl „deutsche“ Firmen trafen, aber auch vor der deutschen Botschaft nicht Halt machten. Die russische Hauptstadt Sankt Petersburg wurde in Petrograd umbenannt, und zahlreiche baltendeutsche Offiziere mussten ihren Abschied nehmen.

    Vor allem deportierten die Behörden hunderttausende Deutsche aus den westlichen Reichsteilen nach Sibirien und Zentralasien. Dies war jedoch nicht nur Ausdruck einer weit verbreiteten „Germanophobie“, sondern Teil des Bemühens von Militär und Regierung, in frontnahen Regionen ethnisch homogene Gebiete zu schaffen. Neben den deutschen Kolonisten wurden daher auch Teile der jüdischen Bevölkerung ins Landesinnere umgesiedelt.3 Im Verlaufe des Krieges wurden mehrere Millionen Menschen entwurzelt und vertrieben. Ein ganzes Imperium befand sich auf der Flucht, wie der Historiker Peter Gatrell es einmal formuliert hat.4

    Militärische Niederlagen und innere Krisen ließen das Vertrauen in die Führung zunehmend schwinden. Deshalb entschied sich Zar Nikolaus II. im August 1915, das Oberkommando über die Armee zu übernehmen. Doch dieser Schritt trug mehr als alles andere dazu bei, das Vertrauen in die Autokratie zu untergraben. Denn von nun an war der Herrscher, der von Militärangelegenheiten wenig verstand, persönlich verantwortlich für das Schicksal an den Fronten. 

    Krieg und Revolution

    Je länger der Krieg dauerte, desto deutlicher traten die strukturellen Schwierigkeiten zutage, die das Imperium schon seit langer Zeit plagten. Deshalb war der Krieg zwar nicht die einzige Ursache, wohl aber ein wesentlicher Auslöser für die Revolutionen des Jahres 1917. Der russische Staat zeigte sich den Belastungen eines modernen Krieges nicht gewachsen. Besonders betroffen war die Zivilbevölkerung. Ab 1915 nahmen Streiks, Demonstrationen und Hungerunruhen immer mehr zu. Im Winter 1916/17 erreichte die Krise ihren Höhepunkt, und es war schließlich eine Demonstration verzweifelter Frauen, die Brot für sich und ihre Familien forderten, aus der die Februarrevolution entstand.

    Die neuen Machthaber in Provisorischer Regierung und Sowjet übernahmen von der zarischen Regierung die Verantwortung für den Krieg. Dem Petrograder Sowjet gelang es durch den berühmten Befehl Nr. 1, der unter anderem festlegte, dass in allen Einheiten Soldatenkomitees gegründet werden und Soldaten weitgehende Mitspracherechte erhalten sollten, die Loyalität der Soldaten zu sichern. Zugleich trug dieser Befehl entscheidend dazu bei, die Disziplin innerhalb der Armee zu untergraben. Vielerorts begehrten die Soldatenräte gegen ihre Offiziere auf, setzten sie ab und wählten neue. Vor allem aber hofften die Frontsoldaten darauf, dass die Revolution ein Ende des Krieges bringen würde.

    Die Frage von Frieden und Krieg sollte in den kommenden Monaten zu einem Problem von entscheidender Bedeutung werden. Die Zusage der Provisorischen Regierung an die Alliierten, dass Russland seine Verpflichtungen erfüllt und nicht aus dem Krieg ausscheiden werde, löste nicht nur Demonstrationen und Streiks aus, sondern führte auch zu einer Regierungskrise.

    Sommeroffensive 1917

    Gleichzeitig gab es eine zweite Bewegung, die den Krieg als Ausdruck des „nationalen Geistes“ der Revolution begriff. Eine massive Offensive gegen die deutschen Stellungen, die am 1. Juli (18. Juni nach Julianischem Kalender) begann, sollte den Kampfgeist der Truppen heben und zugleich den Weg zum Frieden ebnen. Der russische Kriegsminister Alexander Kerenski erzeugte mit seinen flammenden Reden Begeisterungsstürme. Angesichts der scheinbaren Euphorie schlugen die Befürworter des Unternehmens alle Warnungen in den Wind: Zahlreiche Einheiten weigerten sich, zur Offensive anzutreten, und es häuften sich die Berichte über Meutereien und Desertationen. Als der Angriffsbefehl gegeben wurde, brach die Sommeroffensive schließlich rasch in sich zusammen.

    Die Niederlage war nicht nur ein militärisches Desaster, sondern sie trug direkt zu weiteren Krisen bei, als die Bolschewiki einen halbherzigen Aufstandsversuch unternahmen und der General Lawr Kornilow einen (bis heute umstrittenen) Putschversuch wagte.

    Es waren vor allem die Bolschewiki, die vom innenpolitischen Chaos profitierten, weil sie sich als einzige politische Kraft kompromisslos für ein sofortiges Ende des Krieges aussprachen. Unmittelbar nachdem sie im Oktober die Macht an sich gerissen hatten, forderten sie in ihrem ersten Dekret die sofortige Beendigung aller Kampfhandlungen und einen Frieden ohne jede Annexion. Die Mittelmächte ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken und setzten ihren Vormarsch fort. Weil die Bauernsoldaten in Scharen die Armee verließen, sahen sich die neuen Machthaber gezwungen, in formale Friedensverhandlungen einzutreten. Nach langwierigen und komplizierten Gesprächen wurde im März 1918 der Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet. Die Hoffnung der Bevölkerung auf ein Ende der Gewalt sollte sich als trügerisch erweisen. Der Staatenkrieg ging nahtlos in den Bürgerkrieg über, der erst 1921/22 endete.

    Vergessener Krieg

    In der Sowjetunion und in Russland spielte der Erste Weltkrieg in Erinnerungskultur und Geschichtspolitik lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. In der sowjetischen Geschichtsschreibung galt der „imperialistische Krieg“ als ebenso verhängnisvolle wie logische Konsequenz des Kapitalismus. Auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion gab es deshalb keine offiziellen Denkmäler, die an die Jahre 1914 bis 1917 erinnerten. Seine Relevanz bestand vor allem darin, zentral für die Vorgeschichte des Jahres 1917 zu sein. Hingegen bewahrte die Bevölkerung in vielen Regionen die Erinnerung an den „deutschen Krieg“.

    Nach dem Zerfall der Sowjetunion veränderte sich der Umgang mit dem Ersten Weltkrieg in Russland zunächst kaum. Eine eigenständige Erinnerung an die Jahre 1914 bis 1917/18 gab es praktisch nicht.5 Der Erste Weltkrieg war auch deshalb lange Zeit Russlands „vergessener“ Krieg, weil er mit dem „Makel“ des erfolglosen Krieges behaftet war.

    Erst in den letzten Jahren veränderte sich die Position der staatlichen Geschichtspolitik. 2012 wurde ein Gedenktag für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs eingeführt. Zugleich argumentieren staatsnahe Historiker, die Geschichte dieses Krieges zeige, dass Uneinigkeit und Revolution zum Staatszerfall und in die Katastrophe führen würden.6 Mit dem 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs 2014 gewann die Memorialisierung noch einmal an Dynamik: So wurden sowohl in Moskau als auch in anderen russischen Städten mehrere Denkmäler und Gedenkorte für die Helden und Gefallenen des Ersten Weltkriegs enthüllt.7


    Zum Weiterlesen
    Figes, Orlando (1998): Die Tragödie eines Volkes: Die Epoche der Russischen Revolution 1891–1924, Berlin
    Gatrell, Peter (1999): A Whole Empire Walking: Refugees in Russia during World War I, Bloomington
    Gatrell, Peter (2005): Russia’s Great War: A Social and Economic History, Harlow
    Holquist, Peter (2002): Making War, Forging Revolution: Russia’s Continuum of Crisis, 1914–1921, Cambridge MA
    Sanborn, Joshua (2014): Imperial Apocalypse: The Great War and the Destruction of the Russian Empire, Oxford
    Sapper, Manfred/Weichsel, Volker (Hrsg.) (2014): Totentanz: Der Erste Weltkrieg im Osten Europas, in: Osteuropa 2-4, Berlin 

    1. zit. nach: Figes, Orlando (1998): Die Tragödie eines Volkes: Die Epoche der Russischen Revolution, 1891–1924, Berlin, S. 272 ↩︎
    2. Überblick bei: Sanborn, Joshua A. (2014): Russian Empire, in: Daniel, Ute/Gatrell, Peter/Janz, Oliver/Jones, Heather/Keene, Jennifer/Kramer, Alan/Nasson, Bill (Hrsg.): 1914–1918-online: International Encyclopedia of the First World War, Freie Universität Berlin ↩︎
    3. ausführlich: Gatrell, Peter (1999): A Whole Empire Walking: Refugees in Russia during World War I, Bloomington, S. 23-25 ↩︎
    4. ebd. ↩︎
    5. Cohen, Aaron J. (2003): Oh, That: Myth, Memory, and World War I in the Russian Emigration and the Soviet Union, in: Slavic Review 62 1, S. 69-86 ↩︎
    6. Deutschlandfunk: Russlands vergessener Krieg ↩︎
    7. Eine Auflistung der Gedenkorte findet sich auf Wikipedia ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Musyka: Soundtrack der Revolution

    Musyka: Soundtrack der Revolution

    „Die Russische Revolution von 1917 kann man sich ohne Marseillaise und rote Fahnen kaum vorstellen“, schreibt der Historiker Boris Kolonizki in seinem Buch Machtsymbole und Machtkampf. Und es geht nicht nur um Vertonung und Illustration. Zu Zeiten von sozialen Revolutionen, wie sie Russland im Jahr 1917 erlebt hat, werden Lieder zu einem der wichtigsten Instrumente des Machtkampfs. Sie konsolidieren und trennen gesellschaftliche Gruppen manchmal mehr als politische Programme und Reden. Da, wo staatliche Institutionen in Schutt und Asche liegen, da, wo das Rechtssystem stark beschädigt ist, können die bekannten Melodien Gewalt legitimieren und auch den politischen Ton mit angeben.
     
    Das gemeinnützige Medien-Projekt Arzamas stellt den Soundtrack der Revolution vor – die wichtigsten Lieder des Jahres 1917.

    Marseillaise

     

    Musik: Claude Joseph Rouget de Lisle
    Text: Pjotr Lawrow

    Solisten der Kiewer Oper und das Orchester der Schallplattenfirma Extrafon. Kiew 1917

    Die russischen Revolutionäre verglichen sich gern mit ihren französischen Vorkämpfern aus der Zeit von 1792, in der die Marseillaise entstanden ist. Pjotr Lawrow, Wissenschaftler und Angehöriger der [sozialrevolutionären – dek] Narodnikibewegung verlieh dieser Stimmung Ausdruck, als er 1875 einen neuen russischen Text zu der bekannten Melodie verfasste: „Lasst uns die alte Welt verdammen, // Lasst uns ihren Staub von den Füßen schütteln!“

    In Frankreich wurde die Marseillaise 1879 [endgültig – dek] zur Nationalhymne erklärt, was in den Beziehungen zwischen dem Russischen Reich und Frankreich als seinem engsten Verbündeten für peinliche Kollisionen sorgte. Denn nun galt es, neben Gott, schütze den Zaren auch das Revolutionslied zur Aufführung zu bringen.

    Im offiziellen Kontext gab es die Marseillaise in Russland entweder mit dem französischen oder ganz ohne Text – jegliche andere Darbietung war verboten. Zudem fügte sich Lawrows Text nicht allzu glatt in die französische Melodie, sodass der Komponist Alexander Glasunow die Musik ein wenig an den russischen Text anpasste. Ausländer wunderten sich, warum sie langsamer klang als das Original.

    „Man singt die Marseillaise bei uns auf eigene Art, und zwar schlecht, geradezu verhunzt wird dieses schwungvolle Lied“, klagte der Maler Alexander Benois.

    Zur Februarrevolution waren die russischen Musikkapellen mit der Marseillaise bereits vertraut, und der verbotene Lawrow-Text wurde im ganzen Land offen gesungen.


    Hymne auf ein freies Russland

     

    Musik: Alexander Gretschaninow
    Text: Konstantin Balmont

    Fjodor Oreschkewitsch und das Orchester der Schallplattenfirma Extrafon. Kiew 1917

    Die Hymne auf ein freies Russland ist das einzig wirklich neue Massenlied, das während der Revolution 1917 geschrieben wurde – alle anderen waren Umarbeitungen alter Lieder oder hatten schon vorher im Untergrund existiert.

    Im revolutionären Schwung schrieb der Moskauer Komponist Alexander Gretschaninow innerhalb einer halben Stunde die Melodie nieder, der symbolistische Dichter Konstantin Balmont verfasste den Text dazu. Wobei die ersten beiden Zeilen bei einem anderen Symbolisten, nämlich Fjodor Sologub, entlehnt waren: „Es lebe Russland, freies Land! Freie Urkraft, zu Großem bestimmt!“

    Das Lied verbreitete sich augenblicklich im Land, Orchester und Kapellen machten sich die Melodie zu eigen, die Hymne wurde auf Kundgebungen gesungen. Doch ihr ein offizielles Siegel aufzudrücken, war bis zum Oktober nicht gelungen oder nicht gewollt.

    Nach der Oktoberrevolution wurde die Hymne auf ein freies Russland zum Emigrationslied, das man in den Zwischenkriegsjahren in Europa und Amerika sang und auch aufnahm. Nach dem Krieg schließlich, noch zu Lebzeiten des Komponisten Gretschaninow, erlangte die Melodie weltweite Bekanntheit: als Sendezeichen von Radio Swoboda.

    Die hier vorliegende Aufnahme, eine der ersten, entstand in Kiew auf der Woge der immensen Popularität, die die Melodie innerhalb kürzester Zeit erreichte. Interpret ist der Tenor Fjodor (Theodor) Oreschkewitsch, der in Tbilissi und Warschau, im Marinski und im Bolschoi-Theater sang und 1917 Solist an der Kiewer Oper war. Sein stilvoller klassischer Gesang harmoniert nicht allzu gut mit dem schrillen Sound des Extrafon-Blasorchesters, doch über solche Kleinigkeiten sah man im Revolutionsjahr hinweg. 


    Trauermarsch
    „Wy shertwoju pali …“ („Ihr seid als Opfer gefallen …“)

     

    Musik: Alexander Warlamow

    Unbekannte Blaskapelle. Deutschland, ca. 1907

    [Der spätere Trauermarsch der Revolutionäre – dek] hat eine reiche vorrevolutionäre Geschichte. Die Melodie wurde in den 1830er Jahren von Alexander Warlamow komponiert, einem Klassiker des russischen Kunstlieds. Dem Text liegt ein Gedicht zugrunde, das Charles Wolfe 1816 zum Tod eines britischen Generals verfasst hatte. Iwan Koslow hat es bearbeitet.

    1870 fand das Lied Eingang in das revolutionäre Milieu, wo es einen neuen, feurigen Text erhielt, verfasst von dem Narodnik Anton Amossow: „Wy shertwoju pali w borbe rokowoi // Ljubwi bessawetnoi k narodu …“ (dt. „Ihr seid als Opfer gefallen im schicksalhaften Kampf // Der bedingungslosen Liebe zum Volk … “). Wy shertwoju pali (dt. Ihr seid als Opfer gefallen) wurde zum Trauerlied, dem Trauermarsch der Revolutionäre, mit dem sie von den gefallenen Kameraden Abschied nahmen.

    Man sang es während der Revolution von 1905, als man die Opfer des niedergeschlagenen Aufstands zu Grabe trug. Dann wurde es verboten und seine Aufnahmen heimlich nach Russland geschmuggelt. 1917 erklang das Lied erneut im bereits bekannten Kontext – „Ihr seid als Opfer gefallen …“ – sobald die Helden der Revolution die ersten Opfer ausriefen. Es war diese Trauermelodie, die bei ihrem Begräbnis am 23. März 1917 in Petrograd spielte.

    Die Schallplatte der legendären Plattenfirma Poliaphone, die hier zu hören ist, war etwa zehn Jahre vor dem Revolutionsjahr 1917 erschienen: Die Aufnahme (ohne Text) ist aller Wahrscheinlichkeit nach in Deutschland entstanden, wo die Platte gepresst wurde, auf dem Etikett ist jedoch die neutrale Bezeichnung Pochoronny Marsch (dt. Trauermarsch) zu lesen. Dort ist zur Tarnung auch eine Handelsfirma Poljakin und Söhne in Odessa angegeben, die nie existierte. Die Orchesterversion wirkt klangvoll und qualitativ hochwertig – die deutsche Aufnahmetechnik war damals eine der besten.


    „Vorwärts, Genossen, im Gleichschritt“

     

    Musik: Verfasser unbekannt
    Text: Leonid Radin

    Chor des Moskauer Staatstheaters. Moskau 1917

    Entstanden ist dieses Lied in Deutschland als Protestlied gegen den Einmarsch der napoleonischen Truppen. Im 19. Jahrhundert gehörte es zum Repertoire deutscher Gesangs- und Studentenvereinigungen.

    Nach Russland gelangte das Lied Mitte des 19. Jahrhunderts, gegen dessen Ende wurde es von den Revolutionären in Gebrauch genommen: 1898 verfasste der den Narodniki angehörende Chemiker Leonid Radin im Moskauer Taganka-Gefängnis einen neuen Text und studierte diesen sogar mit seinen Mitgefangenen ein. „Den Weg ins Glück der Freiheit wollen wir uns bahnen mit Macht.“ Mit diesen kämpferischen Zeilen büßte die bewährte Melodie ihren melodischen, walzerartigen Rhythmus ein und wurde zum Kampfmarsch.

    Nachdem sie 1905 erklungen war, blieb sie bei den Revolutionären eine der beliebtesten Melodien. 1917 war sie von Anfang an und überall zu hören. Nach der Revolution gelangte das Lied wieder nach Deutschland, wo es [unter dem Namen Brüder zur Sonne zur Freiheit dek] zunächst von Arbeiterchören und Kommunisten gesungen wurde, später dann auch von den Nazis.

    Doch in den Ländern Osteuropas bestand daneben auch die beinahe vergessene, langsame und melodiöse Version fort: Noch Mitte der 1930er Jahre sang man im unabhängigen Lettland auf diese Melodie von dem Mädchen eines Fischers, das sich nach dem Geliebten sehnt.


    Ukrainische Hymne

     

    Musik: Michail Werbizki
    Text: Pawel Tschubinski

    Ukrainischer Volkschor unter der Leitung von Alexander Koschiz. Kiew 1917

    Kiew gehörte nicht nur zu den Zentren der revolutionären Ereignisse von 1917, es spielte auch für die Schallplattenindustrie im vorrevolutionären Russland eine bedeutende Rolle.

    Hier betrieb die große Schallplattenfabrik der Firma Extrafon rege Geschäfte. In den Klang-Annalen der Februarrevolution hat die Firma eine besonders markante Spur hinterlassen. Auf ihrem Etikett, reich verziert mit Blättern von Kiewer Kastanien, nahm sich ein in den 1860er Jahren entstandenes Lied besonders eindrucksvoll aus, das feierlich (und erstmalig!) Ukrainische Hymne genannt wurde. Für die Ukraine erwies sich diese Aufnahme als eine Art Auftakt zu der [kurzen – dek] Epoche der Zentralna Rada, die die zeitweilige Unabhängigkeit der Ukraine proklamierte. 


    Hymne der Zionisten (HaTikwa)

     

    Musik: Samuel Cohen
    Text: Naphtali Herz

    Orchester spielt unter der Leitung von Arkadi Itkis. Kiew, 1917

    Auf der Schallplatte mit der Hymne der Ukraine war auch die Hymne der Zionisten – als B-Seite. Die Februarrevolution und die mit ihr aufgekommene Hoffnung auf eine neue nationale Identität hatten alte Konflikte vorübergehend abgemildert. Doch die Idee der Gemeinschaft von Ukrainern und Juden in einem von der Autokratie befreiten Land sollte nun ausgerechnet ein Lied verkörpern, das dazu aufrief, Russland so bald wie möglich zu verlassen.

    1888 hatte Samuel Cohen ein Gedicht von Naphtali Herz Imber über die Hoffnung auf die Rückkehr nach Palästina mit einer moldawischen Volksmelodie unterlegt. Heute ist dieses Lied die israelische Nationalhymne.

    1917 war die Hymne der Zionisten nicht unumstritten. Gewiss, den Verfechtern der Auswanderung stand es jetzt frei, nach Palästina zu gehen. Aber auch in Russland waren jahrhundertealte Grenzen gefallen – nämlich die des [sogenannten jüdischen – dek] Ansiedlungsrayons, was mitunter weitreichende Möglichkeiten eröffnete.

    Ein Beispiel hierfür ist etwa der Dirigent des Orchesters, das im revolutionären Kiew die HaTikwa eingespielt hatte. Gebürtig aus dem kleinen Städtchen Rschyschtschiw im Kiewer Gouvernement, bekleidete Arkadi Itkis nach der Revolution den Posten eines Regimentskapellmeisters der Roten Armee und wurde 1919 Inspekteur der ukrainischen Militärorchester. Ab 1924 war er Kapellmeister der Infanterieschule in Iwanowo-Wosnessensk und machte sich durch den Marsch Krasnaja Swesda (dt. Roter Stern) einen Namen.

    Text [02/2017]: Alexej Petuchow
    Übersetzung: Anja Lutter
    Veröffentlicht am 15.05.2017


    Quellen
    Druskin, M. S. (1954): Russkaja revoljuzionnaja pesnja [Das russische Revolutionslied – dek], Moskau
    Shitomirski, D. V. (1963): Is proschlowo russkoi revoljuzionnoi pesni [Aus der Geschichte des russischen revolutionären Liedes – dek], Moskau
    Kolonizki, B. I. (2012): Simwoly wlasti i borba sa wlast: K isutscheniju polititscheskoi kultury rossiskoi revoljuzii 1917 goda (Die Symbole der Macht und der Kampf um die Macht: Zur Untersuchung der politischen Kultur der russischen Revolution von 1917 – dek), St. Petersburg

    Diese Übersetzung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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    Lenins Fahrt in die Revolution

  • Lenins Fahrt in die Revolution

    Lenins Fahrt in die Revolution

    Die Reise Lenins aus dem Schweizer Exil zurück nach Petrograd im April 1917 gehört zu den mythenumwobenen Episoden der Russischen Revolution.
    In seiner Essaysammlung Sternstunden der Menschheit (1927) hat Stefan Zweig Lenins Fahrt im „versiegelten Zug“ ein bleibendes Denkmal gesetzt und selbst zur Sagenbildung beigetragen: „Millionen vernichtender Geschosse sind [im Ersten] Weltkrieg abgefeuert worden, die wuchtigsten, die gewaltigsten und weithintragenden Projektile von den Ingenieuren ersonnen worden. Aber kein Geschoss war weittragender und schicksalsentscheidender in der neueren Geschichte als dieser Zug, der, geladen mit den gefährlichsten, entschlossensten Revolutionären des Jahrhunderts, in dieser Stunde von der Schweizer Grenze über ganz Deutschland saust, um in Petersburg zu landen und dort die Ordnung der Zeit zu sprengen.“1


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    Bis heute ranken sich zahlreiche Legenden um die Rückreise Lenins aus Zürich in das revolutionäre Petrograd, wo wenige Wochen zuvor die Februarrevolution Kaiser Nikolaus II. vom Thron gefegt hatte.

    So ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt, wie groß die Gruppe jener Revolutionäre war, die sich 1917 vom Exil in der Schweiz in die russische Hauptstadt aufmachte, und wer sich genau unter den Reisenden befand.

    Sicher ist, dass circa 30 Revolutionäre am 9. April 19172 am Hauptbahnhof Zürich kurz nach 15 Uhr den regulären Zug Richtung Schaffhausen bestiegen, um bei Thayngen/Gottmadingen die schweizerisch-deutsche Grenze zu überqueren. Hier wechselten sie in die bereitgestellten Sonderwagen der deutschen Reichsbahn.

    Unter den Reisenden waren neben Lenin und dessen Frau Nadeshda Krupskaja führende Revolutionäre wie Karl Radek, Grigori Sinowjew und Inessa Armand. Außer den Bolschewiki waren auch andere sozialistische Gruppierungen, zum Beispiel der jüdische BUND prominent vertreten.

    Größtmögliches Chaos

    Unter Vermittlung Schweizer Sozialisten hatten die Behörden des Deutschen Reiches dem Transport der Revolutionäre über das eigene Territorium zugestimmt. In Berlin begrüßte man Lenins Ziel, die Provisorische Regierung in Petrograd zu stürzen und auf einen Separatfrieden mit Deutschland im Ersten Weltkrieg hinzuwirken. Die deutschen Behörden hofften, mit Hilfe der politischen Emigranten in Russland ein „größtmögliches Chaos zu schaffen“, wie es der deutsche Gesandte in Kopenhagen, Graf Ulrich von Brockdorff-Rantzau in einer Denkschrift vom 2. April 1917 ausdrückte.3

    Deutschland sah mit Schrecken dem drohenden Kriegseintritt der USA entgegen. Vor diesem Hintergrund war man zu jedem Mittel bereit, um den Kriegsgegner im Osten zu schwächen.
     
    Die Initiative für Lenins Reise im „plombierten Zug“ ging jedoch nicht von den deutschen Behörden, sondern von den russischen Exilanten in der Schweiz aus. In Zürich, Bern und Genf hatten sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg Zentren der politischen Emigration aus dem Zarenreich gebildet. Aktivisten unterschiedlicher, vor allem sozialistischer Gruppierungen suchten in der Schweiz Schutz vor politischer Verfolgung in ihrer Heimat. Nach dem Ausbruch des Krieges kamen weitere russische Flüchtlinge hinzu. Einer von ihnen war Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, der gemeinsam mit Nadeshda Krupskaja zunächst in Bern, später in Zürich wohnte.

    Nachdem sie die Nachricht vom Sturz des Zaren erreicht hatte, gründeten russische Aktivisten auf Vorschlag des Menschewisten L. Martow in Zürich ein Zentralkomitee zur Rückkehr der in der Schweiz weilenden russischen Emigranten. Der Schweizer Sozialist Robert Grimm wurde beauftragt, mit den schweizerischen und deutschen Behörden in Kontakt zu treten, um von letzteren die Erlaubnis des Transits über deutsches Gebiet zu erwirken.

    Da Lenin die Verhandlungen jedoch zu langsam vorangingen und er Grimm verdächtigte, die Sache hinauszuzögern, beschloss er, sich auf eigene Faust mit einer kleinen Gruppe von Vertrauten in einer Sonderaktion auf den Weg zu machen.

    Sein Mittelsmann war der Schweizer Sozialist Fritz Platten, der Lenin politisch näher stand und der die Reisegruppe bis zur schwedisch-russischen Grenze begleiten sollte. Der Anführer der Bolschewiki wollte keine Zeit verlieren und die Gunst der Stunde nutzen, um in Russland die bürgerliche in eine sozialistische Revolution zu überführen.


    Im „plombierten“ Zug

    Auf ihrer Reise durch Deutschland wurden die russischen Revolutionäre von zwei deutschen Offizieren begleitet. Die Presse informierte man nicht über den Transport. Kontakte zwischen den Reisenden und der deutschen Öffentlichkeit sollte es keine geben.

    Dass der Zug „plombiert“ war, ist allerdings ein Mythos. Gesichert ist jedoch, dass die Deutschen die Abteile der Revolutionäre zum „exterritorialen Gebiet“ erklärten und dort weder Personen- noch Gepäckkontrollen durchführten. Ein mit Kreide gezogener Strich auf dem Boden des Wagens markierte die jeweiligen Bereiche.

    Von der schweizerisch-deutschen Grenze nahm der Zug Kurs auf Karlsruhe, um von dort via Offenburg, Mannheim und Frankfurt nach Berlin und von dort weiter nach Sassnitz auf Rügen zu fahren.

    Insgesamt dauerte die Fahrt von Zürich nach Petrograd eine Woche. Die Reisenden vertrieben sich die Zeit mit politischen Debatten, Lektüre oder dem Singen revolutionärer Lieder. Lenin wurde ein eigenes Zugabteil zugewiesen, in dem er arbeiten konnte. Gleichzeitig befasste er sich im Zug mit „organisatorischer Arbeit“, wie wir aus den humoristischen Erinnerungen von Karl Radek wissen:
     
    „Um einen gewissen Ort im Wagen wurde zwischen den Rauchern und Nichtrauchern ein ständiger Kampf geführt. Wir rauchten nicht im Abteil, aus Rücksicht auf den kleinen Robert [eines der beiden mitreisenden Kinder – Anmerkung des Autors] und Iljitsch, der unter dem Geruch litt. Deswegen versuchten die Raucher, einen gewissen Ort, der eigentlich für andere Zwecke vorgesehen war, in einen Rauchsalon zu verwandeln. Vor diesem Ort stand immerzu eine streitende Menge. Iljitsch zerschnitt daraufhin ein Stück Papier und verteilte Eintrittskarten.“4
     
    Am Morgen des 12. April bestiegen die Reisenden ein Schiff nach Trelleborg, wo sie von schwedischen Gesinnungsgenossen begeistert begrüßt wurden. Die nächste Station der Reise war Stockholm, wo ein längerer Zwischenhalt eingelegt wurde. Hier entstanden auch die einzigen Fotografien, die von der Reise existieren. Von der schwedischen Hauptstadt ging es weiter Richtung Norden nach Haparanda an der schwedisch-russischen Grenze, ehe die letzte Etappe der Reise nach Petrograd angetreten wurde. Am 16. April (3. April nach julianischem Kalender) 1917 traf die Reisegruppe gegen 23 Uhr in der russischen Hauptstadt am Finnländischen Bahnhof ein.

    Die Revolutionäre bei einem längeren Zwischenstop in Stockholm – in der Bildmitte mit Schirm – Lenin / Foto © Kommersant Archiv
    Die Revolutionäre bei einem längeren Zwischenstop in Stockholm – in der Bildmitte mit Schirm – Lenin / Foto © Kommersant Archiv

    Lenin in Petrograd

    Der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat und Lenins Parteifreunde bereiteten ihr einen großen Empfang. Eine Musikkapelle spielte die Marseillaise, Arbeiter und Soldaten standen mit roten Fahnen Spalier auf dem Bahnsteig. Bis heute erinnert auf dem Vorplatz des Bahnhofs das älteste Lenin-Denkmal der Stadt an die Rückkehr des Revolutionsführers nach Petrograd.

    In der Sowjetunion war Lenins Rückkehr im Jahr 1917 bald ein Mythos. Die Ankunft des Revolutionsführers markierte in offiziellen Darstellungen den Beginn jener Ereignisse, an deren Ende am 25. Oktober die Machtübernahme durch die Bolschewiki, das heißt die Große Sozialistische Oktoberrevolution stehen sollte.

    In seinem Historienfilm Oktober aus dem Jahr 1927 hat der Regisseur Sergej Eisenstein die Ankunft des Revolutionsführers dramatisch überhöht dargestellt. Stalin sollte später dafür sorgen, dass er auf Historiengemälden beim Verlassen des Zuges an der Seite Lenins dargestellt wurde, obgleich er nachweislich nicht unter den Reisenden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg ersetzte man den im Krieg zerstörten Finnländischen Bahnhof durch einen Neubau. Mit seinen 17 Fensteröffnungen in der Fassade erinnert auch er an die denkwürdigen Stunden dieses Ortes am 16. April 1917.

    Dem Zug Lenins von der Schweiz nach Russland sollten in den kommenden Monaten noch weitere Transporte russischer Emigranten folgen. Insgesamt durchquerten auf diese Art im Jahr 1917 über 400 Revolutionäre deutsches Gebiet. Unter ihnen waren führende Köpfe der revolutionären Bewegung wie L. Martow, Anatoli Lunatscharski oder Angelica Balabanowa. Im Mai kehrte auch Leo Trotzki aus dem amerikanischen Exil nach Petrograd zurück.

    Bereits am Tag nach seiner Ankunft proklamierte Lenin vor dem Petrograder Sowjet seine berühmten April-Thesen, in denen er unter anderem den Sturz der Provisorischen Regierung, die Beendigung des Krieges und die Schaffung einer Sowjetrepublik forderte. Damit war die Russische Revolution in eine neue Phase eingetreten.

    Handlanger der deutschen Imperialisten

    Vorwürfe, die Revolutionäre seien „Handlanger der deutschen Imperialisten“ und würden den Interessen des Feindes dienen, trat Lenin bereits drei Tage nach seiner Ankunft in der Prawda entschieden entgegen. 
    Tatsächlich konnten Lenin und seine Mitstreiter die Rückkehr ins revolutionäre Russland nur mit Hilfe der deutschen Reichsregierung realisieren. Der direkte Weg von der neutralen Schweiz ins revolutionäre Russland war ihnen durch die Frontlinien des Ersten Weltkrieges versperrt. Die mit Russland verbündeten Mächte Frankreich und England weigerten sich, den dezidierten Kriegsgegnern den Transit über das eigene Territorium zu gestatten.

    Britische Geheimdienstmitarbeiter versuchten sogar, an der russischen Grenze die Einreise politisch missliebiger Personen zu unterbinden. Deutschland dagegen hatte ein strategisches Interesse daran, die innenpolitische Lage in Russland zu destabilisieren und den russischen Exilanten die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen.

    In den Worten Leo Trotzkis haben sich im Falle der Reise Lenins „zwei entgegengesetzte historische Pläne in einem Punkte“ gekreuzt, und dieser Punkt sei der „‚plombierte‘ Wagen“ gewesen.5
     
    Ein russischer Staatsbürger, der den direkten Kontakt zum deutschen Kriegsgegner suchte, setzte sich jedoch dem Vorwurf des Hochverrats aus. Dies war auch Lenin bewusst. Aus diesem Grund wurde mit dem Sozialisten Fritz Platten ein Bürger der neutralen Schweiz als Mittelsmann eingeschaltet.

    Zudem stellte Lenin den deutschen Behörden klare Bedingungen. So sollte der Transport der russischen Exilanten offiziell im Tausch gegen deutsche und österreichische Kriegsgefangene aus Russland erfolgen.

    Auch die Deklaration des Zuges zum exterritorialen Gebiet, die „Versiegelung des Zuges“ und die Kontaktsperre zwischen den Reisenden und der deutschen Öffentlichkeit während der Fahrt gingen auf Lenins Initiative zurück.

    Großen Wert legten die Reisenden schließlich darauf, die Fahrkarten für den Zug selbst zu bezahlen und kein Geld von dritter Seite anzunehmen (aus diesem Grund reisten die Passagiere dritter Klasse).

    Hoffen auf die Weltrevolution

    Diese protokollarischen Feinheiten spielten in der späteren Deutung der Zugreise jedoch keine entscheidende Rolle. Winston Churchill hielt bereits 1929 fest, die Deutschen seien gegen die Russen mit der „grauenvollsten aller Waffen“ vorgegangen: „[Sie] transportierten Lenin in einem plombierten Wagen wie einen Pest-Bazillus von der Schweiz hinein nach Russland.“6

    Dass Lenin ein „deutscher Spion“ gewesen sei, wie seine politischen Gegner rasch behaupteten, ist jedoch abwegig. Zwar ist bekannt, dass die deutsche Regierung schon in den ersten Kriegsjahren große Summen bereitstellte, um revolutionäre und separatistische Kräfte in Russland (und den anderen Feindstaaten) zu unterstützen. Beträchtliche Summen waren dabei auch für die Bolschewiki bestimmt. Auf die Unterstützung des Deutschen Reiches bei der Rückkehr Lenins nach Petrograd wurde bereits hingewiesen.

    Gleichzeitig aber stand für die Revolutionäre außer Frage, dass die Zusammenarbeit mit den deutschen Imperialisten bei diesem Komplott aus rein pragmatischen Gründen erfolgte.

    Lenin gab sich überzeugt, dass nach der Vollendung der sozialistischen Revolution in Russland das Deutsche Kaiserreich als nächstes fallen und dieses Ereignis die ersehnte Weltrevolution anstoßen werde. Heute wissen wir, dass es sich bei dieser Vision um einen Wunschtraum der Bolschewiki handelte.

    In den Köpfen vieler sowjetischer Kinder war und blieb Lenin ein Eisbrecher: Der erste ging 1917 vom Stapel, der zweite (hier im Bild) 1959 – das war ein Atomeisbrecher, der bis 1989 unterwegs war / Foto © Valentin Kunov/TASS, imago-images

    1. Zweig, Stefan (1981): Der versiegelte Zug: Lenin, 9. April 1917, in: ders.: Sternstunden der Menschheit, Frankfurt, S. 240-252, hier: S. 250 ↩︎
    2. Alle Daten werden nach gregorianischem Kalender angegeben. ↩︎
    3. zit. nach: Hahlweg, Werner (1957): Lenins Reise durch Deutschland im April 1917, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 5/1957, H. 4, S. 307-333, hier: S. 313 ↩︎
    4. Radek, Karl (1972): Im plombierten Waggon, in: Lenin, Wladimir Iljitsch: Abschied von der Schweiz, Zürich, S. 33-46, hier: S. 39f. ↩︎
    5. Trotzki, Leo (1961): Mein Leben: Versuch einer Autobiographie, Berlin,S. 287 ↩︎
    6. Churchill, Winston S. (1929): The World Crisis: The Aftermath, S. 72, zit. nach: Hahlweg, Werner (1957): Lenins Rückkehr nach Russland 1917: Die deutschen Akten, Leiden, S. 4 ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • Frauen und die Revolution

    Frauen und die Revolution

    Sie steht auf einem Felsen, am Horizont erheben sich weiße Wolken aus Fabrikschornsteinen. In der Hand hält sie einen Hammer, zu ihren Füßen liegt eine Sichel, über dem schlichten roten Kleid trägt sie eine rote Arbeitsschürze. Ihr Gesicht hat die junge Frau der strahlenden Sonne zugewandt, mit ihrer Hand weist sie auf prunkvolle Gebäude aus Stein hinter sich – auf eine Stadt der Zukunft. Die Unterschrift dieses Propagandabildes aus dem Jahr 1920 lautet: „Was die Oktoberrevolution den Arbeiterinnen und Bäuerinnen gegeben hat.“ Die Antworten gibt das Bild mit seinen Gebäuden, inklusive Kindergarten, einer Schule für Erwachsene und dem Sowjet der Arbeiter- und Bauerndeputierten. Gleich einer Handlungsaufforderung sieht der Betrachter Frauen und Kinder in diese mustergültige Stadt ziehen, die für den einst Unterdrückten attraktive soziale und kulturelle Anreize bieten soll.

    Nur durch die Befreiung der Arbeiterklasse werde sich auch die Lage der Arbeiterinnen verbessern – diese Losung wurde beim Ersten Allrussischen Frauenkongress im Jahr 1908 laut. Sie kam von Alexandra Kollontai, der wichtigsten und schillerndsten Vertreterin der sozialistischen Frauenbewegung. Kollontai vertrat die Position, dass es auch einer eigenen Agitation der Frauen bedürfe. Sie, als überzeugte Feministin und Sozialistin aus gutem Hause, forderte Gleichberechtigung, ein zentrales Thema auf dem Kongress in Sankt Petersburg, an dem viele Vertreterinnen unterschiedlicher Frauenorganisationen teilnahmen. Es ging vor allem um das Wahlrecht für Frauen, um den Zugang zu höherer Bildung und zu neuen Berufen.

    Die Frauenbewegung politisierte die Frauen: Am 23. Februar/8. März 1917 gingen sie auf die Straße. In Petrograd markiert eine Demonstration zum Internationalen Frauentag den Auftakt zur Februarrevolution.1  Die Frauen forderten Brot und Frieden – angesichts der schlechten Versorgung und den langen Kriegsjahren war das erste Priorität. Daneben klagten sie auch grundlegende Rechte ein, wie das bereits lang erhoffte Wahlrecht. Im Juli 1917 wurde es den Frauen in Russland zugesprochen.2 

    Vorstellungen von einer sozialistischen Zukunft

    Doch nach der siegreichen Oktoberrevolution und der Machtübernahme der Bolschewiki galt es, die Theorie – nämlich die Vorstellungen einer sozialistischen Zukunft und Lebensweise – in die Praxis umzusetzen. Seit 1918 sollten zahlreiche Gesetzesmaßnahmen rasch zu einer neuen, gleichberechtigten Gesellschaft führen, darunter die Legalisierung von Ehescheidungen und Abtreibungen, ein vereinfachtes Ehegesetz, ein staatlicher Mutterschutz, die Gleichstellung von Mann und Frau sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bei diesem historischen Experiment bedachten die Machthaber anfangs jedoch nicht, wie ein Übergang zu schaffen sei, sprich: wie die vorhandenen Alltagsbedingungen mit den theoretischen Zielen in der Praxis vereinbart werden könnten.

    Die Frauenfrage als wichtiger Bestandteil des Byt

    Zur Benennung der verschiedenen Aspekte des Alltagslebens benutzten Zeitgenossen den Begriff Byt. Er umfasste sowohl Strukturen, wie soziale Einrichtungen, aber auch individuelle Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen.3 Wichtiger Bestandteil des neuen Byt war die Frauenfrage, unter der eine breite Einbeziehung von Frauen in die Arbeiterschaft verstanden wurde, indem reproduktive Arbeiten im Haushalt und in der Familie durch staatliche Institutionen übernommen werden sollten. 

    Die prägendste Person des bolschewistischen Feminismus wurde schließlich Alexandra Kollontai. Sie setzte sich für eine Vereinbarkeit von Haus-, Familien- und Lohnarbeit für Frauen ein und überlegte sich dafür praktische Umsetzungen.4Nach der Oktoberrevolution wurde sie Ministerin im ersten sowjetischen Kabinett unter Lenin. Zu dieser Zeit sind ihre Forderungen noch radikaler: Im November 1918 sprach sie über die Zerschlagung des familiären Haushalts und die Abschaffung der privaten Kinderbetreuung.5

    Shenotdel – die Frauenabteilung

    Bereits 1918 wurde dank der Beharrlichkeit von Inessa Armand, Alexandra Kollontai und anderen weiblichen Bolschewiki nach zähen Verhandlungen und trotz massiver Widerstände eine eigene Abteilung für Arbeiterinnen und Bäuerinnen beim Zentralkomitee der Partei geschaffen, das sogenannte Shenotdel (von Shenskij Otdel, dt. Frauenabteilung).6 Das Hauptanliegen des Shenotdel bestand in der Gleichstellung von Frauen durch die Schaffung eines neuen Byt. Damit war die gesellschaftspolitische Mobilisierung von Frauen gemeint, ihre Einbindung in die Arbeiterschaft, die Durchführung von Bildungsmaßnahmen, Errichtung von Krippen, Kindergärten, Kantinen, Wäschereien und medizinischen Beratungsstellen und so weiter.

    Die Frauenabteilungen hatten maßgeblich Anteil an der Propagierung eines neuen Weiblichkeitsideals, das Ordnungssinn, moralische Integrität, Fürsorge für die eigene Familie und die Familie des Staates, gesellschaftliches Engagement, Erwerbstätigkeit und Mutterschaft beinhaltete und sich als Leitbild für die 1930er Jahre durchsetzte. Dennoch war das vorrangige Ziel immer die Frage, wie das neue Frauenbild in der sozialistischen Gesellschaft aussehen sollte, welche Schritte zur Erreichung der Emanzipation erforderlich waren.

    Verlust revolutionärer Utopien

    In der frühen Sowjetunion wurde die Frau zunächst als Sinnbild für die Segnungen der neuen Zeit mit zahlreichen Konnotationen aufgeladen: Sie symbolisierte Freiheit, Sozialismus, siegreiches Proletariat, ein besseres Leben und ein neues Menschenbild.7 Schon bald aber zeigte sich ein Verlust solcher revolutionärer Utopien. Die Forderung nach einer breiten Einbeziehung von Frauen in die Arbeiterschaft und somit einer schnellen Umsetzung des Gleichheitsanspruchs schien während des Bürgerkriegs durch eine hohe weibliche Erwerbstätigkeit greifbar nahe zu sein. Die Desillusionierung folgte bereits nach Beendigung des Krieges und durch den Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik (Nowaja Ekonomitscheskaja Politika, NEP) im Jahr 1921. Die zurückkehrenden Männer verdrängten die Frauen wieder von den stellvertretend eingenommenen Arbeitsplätzen. 

    In Petrograd markiert eine Demonstration zum Internationalen Frauentag den Auftakt zur Februarrevolution
    In Petrograd markiert eine Demonstration zum Internationalen Frauentag den Auftakt zur Februarrevolution

    Bereits durch den Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik ab 1921 erfolgte eine Abkehr von den ursprünglichen Plänen zum Aufbau einer neuen Lebensweise. Dafür sind verschiedene Gründe zu nennen: vor allem aber die Erkenntnis der Machthaber, dass ein Wandel in den Lebensweisen sich nicht allein durch strukturelle Veränderungen, Gesetze und Propaganda vollziehen konnte, sondern ein von Beginn an nicht bedachter Übergang geschafft werden musste.

    Rekonstruktion der patriarchalischen Geschlechterrollen

    Als weiteres Problem erwiesen sich Vorstellungen einer Geschlechterordnung, die beharrlich eine männliche Dominanz und weibliche Unterordnung vorsah. Das schon bestehende Bild von Weiblichkeit wurde neuerlich bestätigt und patriarchalische, hierarchische Geschlechterrollen wurden rekonstruiert: Alle umzubauenden Bereiche des Byt galten als ausschließlich weibliche Belange. Ein entsprechendes soziales Engagement spiegelte die Tugendhaftigkeit der neuen Sowjetbürgerin. Aus einer ursprünglich biologischen Geschlechterdifferenz, die in der Gebärfähigkeit der Frau begründet lag, wurde nun – allerdings eher unbewusst und ungewollt – eine kulturelle und soziale Differenz aufgebaut, indem die Frauensache als etwas Besonderes definiert wurde und dadurch den Status einer speziellen Kategorie erhielt.8

    Doppelbelastung

    Entgegen den ursprünglichen revolutionären Zielen war die Arbeiterin keineswegs mit dem Mann gleichgestellt, sondern musste sich neben der Fabrikarbeit auch noch um Haushalt und Kindererziehung kümmern, weshalb sie am gesellschaftlichen Leben aus Zeitmangel nicht teilnehmen konnte. Spätestens seit der forcierten Industrialisierung zu Beginn der 1930er Jahre gehörte die Doppelbelastung von Beruf und Familie zur normalen weiblichen Biographie.9

    Trotz nachweislicher Erfolge bei der Mobilisierung von Frauen und einem ständigen Anstieg an sozialen Einrichtungen verstärkte sich 1929/1930 von Seiten des Zentralkomitees der Partei die Kritik an den Frauenabteilungen und sie wurden ersatzlos „reorganisiert“.10 Mit dem Wegfall dieser Institution und den gleichzeitig einschneidenden Veränderungen in der politischen Führung, wo sogenannte linke Bolschewiki zum Schweigen gebracht wurden, wurden weitere Diskussionen über Lebensweisen, wie sie kontrovers, aber offen in den zwanziger Jahren geführt wurden, abrupt beendet. Nun galt es, so schnell wie möglich den „Sozialismus in einem Land“ durchzuführen, kritische Töne wurden von einer beschönigenden Propaganda abgelöst.


    1. Altrichter, Helmut (2017): Russland 1917: Ein Land auf der Suche nach sich selbst, Paderborn, S. 112 ↩︎
    2. Goldberg Ruthchild, Rochelle (2010): Equality & Revolution: Women’s Rights in the Russian Empire, 1905-1917, Pittsburgh ↩︎
    3. Bolšaja Sovetskaja Ėnciklopedija: Tom 8, Moskau, 1927 ↩︎
    4. Kollontai, Alexandra (1979): Zwei Richtungen: (Aus Anlass der Ersten Internationalen Konferenz Sozialistischer Frauen in Stuttgart 1907), in: Dies.: Der weite Weg: Erzählungen, Aufsätze, Kommentare. hrsg. v. Bauermeister, Christiane u.a., Frankfurt am Main, S. 46-47 und Farnsworth, Beatrice Brodsky (1980): Aleksandra Kollontai: Socialism, Feminism, and the Bolshevik Revolution, Stanford/California, S. 136-161, S. 168 ↩︎
    5. Während die Idee kollektiver Speiseeinrichtungen, Wäschereien und Konsumgenossenschaften zum Bezug von Lebensmitteln großen Anklang fand, empfanden viele Zuhörerinnen die Abschaffung der privaten Kinderbetreuung als bedrohlichen Eingriff in ihr privates Leben. S. Farnsworth: Kollontai S. 136-161, S. 168 ↩︎
    6. Samojlova, K. (1920): Organizacionnye zadači otdelov rabotnic, Moskau und Scheide, Carmen (2001): Kinder, Küche, Kommunismus: Das Wechselverhältnis zwischen sowjetischem Frauenalltag und Frauenpolitik von 1921 bis 1930 am Beispiel Moskauer Arbeiterinnen, Zürich/Basel ↩︎
    7. Gillen, Eckhart (1978): Von der politischen Allegorie zum sowjetischen Montageplakat, in: Knödler-Bunte, Eberhard / Erler, Gernot (Hrsg.): Kultur und Kulturrevolution in der Sowjetunion, Berlin, S. 57-80; Bonnell, Victoria E. (1991): The Representation of Women in Early Soviet Political Art, in: Russian Review 50 (1991) S. 267-288 ↩︎
    8. Auch die kritische Feministin Kollontai hatte nicht in Betracht gezogen, dass Kindererziehung, Kochen und Waschen durchaus Tätigkeiten waren, die von Männern durchgeführt werden könnten. ↩︎
    9. Attwood, Lynne (1999): Creating the new Soviet Woman: Women`s Magazines as Engineers of Female Identity, 1922-1953, New York; Buckley, Mary (1989): Women and Ideology in the Soviet Union, New York ↩︎
    10. Wood, Elizabeth A. (1997): The Baba and the Comrade: Gender and Politics in Revolutionary Russia, Bloomington und Goldman, Wendy Zeva (1996): Industrial Politics, Peasant Rebellion and the death of the Proletarians Women’s Movement in the USSR, in: Slavic Review 55/1, S. 46-77; Goldman, Wendy Zeva (1993): Women, the State and Revolution: Soviet Family Policy and Social Life, 1917-1936, Cambridge ↩︎

    Diese Gnose wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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  • FAQ zum Revolutionsgedenken 1917

    FAQ zum Revolutionsgedenken 1917

    Wann enden Revolutionen? In welchem Sinne war die Revolution „groß“? Und wieso ist sich in diesen Fragen keiner einig? Olga Filina hat ein FAQ zur Revolution zusammengestellt – renommierte Historiker antworten.

    Demonstranten in Petrograd im Juli 1917 / Foto © Wikipedia/gemeinfrei
    Demonstranten in Petrograd im Juli 1917 / Foto © Wikipedia/gemeinfrei

    1. Wann enden Revolutionen?

    2. Es gibt keine gemeinsame Lesart der Ereignisse. Woran liegt das? Ist die Politik schuld?

    3. Inwiefern war die Revolution „groß“?


    1. Wann enden Revolutionen?

    „Manche sind der Ansicht, dass Revolutionen so lange fortdauern, wie Historiker darüber streiten und ebenso Schriftsteller, Bildhauer und andere ‚ehrenamtliche Gedächtnishelfer‘“, sagt der Historiker Alexander Etkind. Er ist Professor am European University Institute in Florenz und leitete [2011 bis 2013 – dek] das Forschungsprojekt Memory at War: Cultural Dynamics in Poland, Russia and Ukraine (MAW).

    François Furet, einer der führenden Historiker in der Forschung zur Französischen Revolution, schrieb anlässlich ihres zweihundertsten Jahrestages: „Die Revolution ist so lange nicht abgeschlossen, wie kein nationales Einvernehmen über sie hergestellt ist.“

    Historiker haben versucht, eine Drei-Generationen-Regel aufzustellen, die besagt, dass Einvernehmen zwischen ehemaligen Feinden drei Generationen nach einer Katastrophe erreicht wird. De facto weiß jedoch niemand, wie viel Zeit im konkreten Fall erforderlich ist.

    Allgemeine Ratlosigkeit

    Auch wir wissen offenbar nicht, ob uns die vergangenen hundert Jahre dafür ausgereicht haben. Russland hat sich dem hundertsten Jahrestag zu 1917 mit Ratlosigkeit genähert: Was feiern wir? Wie sollen wir gedenken?

    Auf offizieller Ebene heißt es, der tragische Jahrestag sei versöhnlich zu begehen. Doch weder ist dieser Vorschlag neu – schon Jelzin hat den 7. November zum Tag des Einvernehmens und der Versöhnung umgewidmet – noch ist klar, was er bewirken kann.

    Wer soll mit wem versöhnt werden? Und vor allem, worüber wurde damals gestritten? Und weswegen werden heute die Klingen gewetzt? Darüber gehen unsere Vorstellungen immer noch weit auseinander – trotz aller Versuche, eine „einheitliche Version der Geschichte“ zu schaffen. Und so will das mit dem Jubiläum nicht so recht klappen.

    Die Revolution am besten vergessen

    „Irgendwann träumte die neue russische Führung davon, die Revolution komplett vergessen zu machen“, so Boris Kolonizki, Professor an der Europäischen Universität Sankt-Petersburg. „Als Vorbild galt bei uns in den 1990er Jahren der spanische Pakt des Vergessens, der nach Francos Tod 1977 geschlossen wurde. Er untersagte beiden Bürgerkriegsparteien, in der Vergangenheit herumzuwühlen. Heute ist jedoch offenkundig, dass sich diese Strategie nicht bewährt hat, weder in Spanien noch in Russland. Der Pakt funktioniert vorne und hinten nicht – das Bedürfnis nach Vergangenheitsbewältigung ist stärker.“

    Alle mit allen zu versöhnen, ohne in Details zu gehen, und „keine historischen Rechnungen aufzumachen“, wie es die Historische Gesellschaft Russlands klar vermerkt hat, die für die Vorbereitung der diesjährigen Jubiläumsaktivitäten zuständig ist – das ist de facto eine Neuauflage der Strategie des Vergessens.

    Man muss der Revolution den Zündstoff nehmen. Das ist womöglich der Haupt-Konsens der postsowjetischen Eliten in Russland, der in den politischen Wünschen an die „Architekten des Gedenkens“ dokumentiert ist.

    Zum 80. Jahrestag der Oktoberrevolution hat Boris Jelzin diesen Wunsch auf denkbar einfache und aphoristische Art und Weise ausgedrückt. Statt den 7. November zu feiern, so empfahl er seinen Landsleuten, sollten sie doch besser Sauerkraut einlegen, die Fenster abdichten und sich auf den Winter vorbereiten – als ob nichts gewesen wäre.

    Befriedung durch Totschweigen?

    Jelzin wusste es vielleicht nicht, doch die Taktik der Befriedung durch das Totschweigen brisanter Themen ist den Menschen seit der Antike bekannt. So erfanden etwa die alten Athener nach dem Peloponnesischen Krieg, der den zerbrechlichen Frieden zwischen den wichtigsten griechischen Stadtstaaten zerstört hatte, ein neues Gebot des Vergessens, eine neue Bezeichnung: me mnesikakein (Nicht an Übles erinnern). Danach war es bei Strafe verboten, öffentlich an das Leid zu erinnern, das eine Seite der anderen zugefügt hatte.

    Landesweite Lähmung

    Angst vor solcher Strafe für das bloße Gedenken kennen die heutigen russischen Staatsbürger nicht. Gleichwohl sind sie nicht in der Lage, über schwierige und tragische Dinge zu reden. Sie haben es verlernt, können es nicht, haben es nie versucht. Deshalb führt ein Jahrestag, bei dem es nichts zu feiern gibt, aber etwas Wichtiges zu würdigen ist, bis heute landesweit zu einer Starre. Man ist unfähig, die Sache zu verdauen und zu einer „gemeinsamen Lesart“ zu gelangen.


    2. Es gibt keine gemeinsame Lesart der Ereignisse. Woran liegt das? Ist die Politik schuld?

    Tatsächlich hat die Revolution im postsowjetischen Russland nie Eingang in die Sprache der Mächtigen gefunden. Sie war eine zu starke Metapher.

    „Anfangs, in den 1990er Jahren, wurde der Oktober als Geburtsstunde des Kommunismus verurteilt – wobei die Kommunisten natürlich weiterhin die traurige alte Leier vom Beginn eines neuen Zeitalters anstimmten“, so der Gedenkforscher Nikolaj Kopossow, Gastprofessor an der Universität Emory. „Dann, in den 2000er Jahren, verdammte man die Revolution als Akt des Landesverrats und erzählte davon, wie Lenin auf einem Berg deutschen Goldes im plombierten Waggon nach Russland zurückgekehrt sei. Die Revolution war die ganze Zeit ein heikles Gesprächsthema …“

    Schlimmer noch – sie war ein unkontrollierbares, antagonistisches, ja, extremistisches Thema.

    „Der Punkt ist, dass die Kulturpolitik und ihr kleiner, aber wichtiger Teil, die Gedenkpolitik, weniger zentralisiert sind als andere Bereiche der Außen- und Innenpolitik“, so Alexander Etkind. „Selbst in einer Diktatur fügen sich die Menschen dem Willen des Herrschers ebenso wenig wie unsere Träume sich unseren Wünschen fügen. Künstler, Romanautoren, Journalisten und nicht zuletzt professionelle Historiker prägen das kulturelle Gedächtnis stärker als Minister oder Institutsdirektoren, auch wenn deren Budget noch so groß ist“, befindet Nikolai Kopossow, und sagt weiter:

    „Was heute im kulturellen Gedächtnis Russlands vor sich geht, wird daher nicht allein durch die Regierungsdirektiven und Maßnahmen staatlicher Institute bestimmt. Sondern zum Beispiel auch durch einen Doktoranden, der herausfindet, wo sein Großvater zu Tode kam, oder durch einen Aktivisten, der an einem Haus, aus dem vor 80 Jahren Menschen abgeführt und in den Tod geschickt wurden, eine kleine stählerne Gedenktafel anbringt.

    Auch die anderen Aktivisten spielen eine wichtige Rolle – diejenigen, die Ausstellungen verwüsten oder Ranglisten von ‚Russophoben‘ aufstellen. Hier ist alles voller Leben, die Zusammenstöße sind äußerst heftig …“

    In den 1990er Jahren wurde der Oktober als Geburtsstunde des Kommunismus verurteilt – In den 2000er Jahren verdammte man die Revolution als Akt des Landesverrats

    Man kann sich leicht denken, wie ungemütlich es für die Verkünder von Versöhnung und Harmonie in einer solchen Atmosphäre ist. Und wie oft hat die Revolution unsere Politiker in den vergangenen 25 Jahren nicht schon in die Enge getrieben!

    Kaum hatten die Demokraten der 1990er Jahre versucht, sie an die Peripherie des Gedächtnisses zu verbannen, als der 7. November sich aufbäumte – mit Märschen der kommunistischen Opposition, die ihren wichtigsten Feiertag in ein mächtiges Symbol der russischen Sehnsucht nach Großmachtstellung verwandelt hatte, in ein Symbol für den Verlust des großen Landes.

    In den 2000er Jahren besann sich die Regierung und sprach dann selbst von diesem großen Land. Olga Malinowa, Professorin an der Higher School of Economics und Forschungsprojektleiterin am INION, weist darauf hin, dass Wladimir Putin im Jahr 1999 – damals noch als Ministerpräsident – in einer Rede vor Studenten der Staatlichen Universität Moskau sehr deutlich seine Einstellung zur Revolution von 1917 zum Ausdruck gebracht hatte. Die diente dann auch in den kommenden Jahren als Leitmotiv: „Weshalb hat in Russland die Revolution von 1917 stattgefunden – oder der Oktoberumsturz, wie sie auch gern genannt wird? Weil die Staatsgewalt ihre Einheit eingebüßt hatte.“

    Es überrascht nicht, dass sich in der vom neuen Präsidenten ausgerufenen Doktrin der totalen Kontinuität alles Mögliche unterbringen ließ: die demokratische Trikolore ebenso wie der zaristische Doppeladler oder die Melodie der sowjetischen Hymne. Doch nie hätte sich ein Platz für die Revolution gefunden, welche die Machtvertikale zum Einsturz gebracht hatte. Deshalb wurde ihr Mitte der 2000er Jahre das Prädikat „groß“ aberkannt. Im Kalender stand nur noch „Tag der Oktoberrevolution“, und der offizielle Feiertag wurde auf den 4. November verlegt – den Tag der Einheit des Volkes.

    Schließlich wurde im Kampf gegen die Revolutionsromantik das schwere Geschütz des 9. Mai aufgefahren. Der offiziellen Interpretation zufolge (vom Präsidenten verkündet im Jahr 2012)  hatte der 7. Oktober einen „Akt des Landesverrats“ nach sich gezogen: die Niederlage im Ersten Weltkrieg, die die Bolschewiki erst während des Großen Vaterländischen Krieges „gegenüber dem Land gesühnt“ hätten. Damit blieb dem Jahr 1917 nur noch die wenig beneidenswerte Rolle, durch seine Nichtswürdigkeit die Größe und Glorie des Jahres 1945 umso heller erstrahlen zu lassen.

    Diese Geschichte ist allerdings bis heute nicht zu Ende: Als das Projekt eines „einheitlichen Geschichtslehrbuchs“ erörtert wurde, erlangte die Revolution das Attribut „groß“ zurück, allerdings in leicht abgewandelter Form – als Große russische Revolution der Jahre 1917 bis 1921 schließt sie nebenbei  auch den gesamten Zeitraum des Bürgerkriegs mit ein.

    Auch die Aufmerksamkeit, die Politiker, Experten und Journalisten dem anstehenden Jahrestag widmen, widerspricht der Überlegung, das Datum zu streichen. Trotz allem hat es etwas an sich, wovor man nicht die Augen verschließen kann.


    3. Inwiefern war die Revolution „groß“?

    „Wir stecken in der Misere, dass Feiern und Gedenken für uns Synonyme sind“, sagt Boris Kolonizki. „Ein konkretes Beispiel: Im Leningrader Gebiet hat eine ‚Vertreterin der jungen Generation‘ es fertiggebracht, den Überlebenden der Leningrader Blockade zum Jahrestag des Blockadebeginns zu gratulieren – was man an einem ‚roten Tag im Kalender‘ eben so macht. Das heißt, wir wollen an allen Gedenktagen stolz sein, und wenn es keinen Grund für Stolz gibt, sehen wir auch keinen Anlass zum Gedenken.“

    Doch die Revolution lässt sich nicht vereinfachen, und ihr Gehalt lässt sich nicht auf einen Glückwunschkarten-Vierzeiler reduzieren. Damit beginnen die Probleme: Wie kann ein Ereignis „groß“ sein, das keinen Anlass zur Freude gibt?

    Man kann diese Frage so beantworten, wie es die postkolonialen Länder tun, die ihre Identität um einen Mythos der Niederlage herum konstruieren. Sie gedenken der tragischen Daten in ihrer Geschichte, an denen sie dem Einfluss äußerer Kräfte unterworfen und zum Opfer eines fremden Willens wurden, damit sie den Wert ihrer Freiheit und Unabhängigkeit umso stärker empfinden.

    Für ein postimperiales Land, so Olga Malinowa, ist diese Herangehensweise jedoch wenig brauchbar. Ein Mythos der Niederlage ist den hier vorherrschenden Stimmungen zu fremd und bringt bizarre Selbstparodien hervor, wie etwa die Verschwörungstheorien, die in den Bolschewiki irgendwelche Außerirdische sehen, die auf die Erde gekommen seien, um das russische Staatswesen zu zerstören.

    Wenn es keine lebenden Zeugen mehr gibt, kann man abstrakt reden. Doch sobald man 1917 im Zusammenhang mit dem gesamten „sowjetischen Projekt“ sieht, wird das Thema schmerzlich brisant

    Für Länder wie Russland bleibt ein noch kaum beschrittener Weg: Die Verantwortung für Geschehenes zu übernehmen. Oder, wie die bekannte deutsche Historikerin Aleida Assmann schreibt, den „Gedächtnishorizont zu erweitern“: das Erinnerungsschema „entweder/oder“ durch ein „sowohl als auch“ zu ersetzen, um der Größe der Bedeutung der Revolution ebenso wie der Tragik ihrer Folgen gerecht zu werden.

    „Russland ist ein Land mit einer sehr vielfältigen Geschichte. Wir haben Erfahrung mit der Verarbeitung einer schwierigen Vergangenheit“, so Boris Kolonizki. „In eindimensionale Muster der Selbstwahrnehmung abzugleiten und alles Erlebte pauschal zu heroisieren wäre ein intellektueller Niedergang.“

    Die „Verarbeitung einer schwierigen Vergangenheit“ geht im Unterschied zur brachialen Versöhnung aller mit allen davon aus, dass eine Versöhnung nicht ganz so einfach ist. Wenn es keine lebenden Zeugen der Revolution mehr gibt, kann man über die Weißen und die Roten abstrakt reden. Doch sobald man die Folgen des Jahres 1917 im Zusammenhang mit dem gesamten „sowjetischen Projekt“ sieht (was sich aufdrängt, wenn man über die Grenzen der offiziellen Rhetorik hinausgeht), wird das Thema aktuell und schmerzlich brisant.

    „Wir sprechen über die Versöhnung so gelassen, weil wir uns als einzige Form der Versöhnung von Feinden vorstellen, dass Patriarch Kirill und Sjuganow Küsse austauschen“, sagt Nikolaj Kopossow. „Das ist natürlich keine große Sache: So werden wir zu Friedensstiftern, wo niemand mehr versöhnt werden muss. Doch was ist mit den zentralen Fragen des historischen Gedächtnisses, die sich direkt aus dem Jahr 1917 ergeben? Mit der Versöhnung von Stalinisten und Anti-Stalinisten? Oder, ganz provokativ gefragt, mit unserer Versöhnung mit den Banderowzy – wenn schon Frieden mit den Roten (oder Weißen) möglich ist? Wo ist hier die Grenze?“

    Diese Grenze fehlt, und deshalb wird jedes ernsthafte Gespräch über die Revolution revolutionär.

    Opfer oder Täter?

    „Die neue russische Geschichte ist zudem noch dadurch verworren, dass die sowjetischen und postsowjetischen Machthaber für sich seit über einem halben Jahrhundert, seit 1956, nicht klären können, wer ihnen sympathischer ist: die Henker oder die Opfer der vorangehenden Periode? Sie wissen nicht, mit wem sie sich eher identifizieren wollen“, sagt Alexander Etkind. „Aber diese Entscheidung muss getroffen werden. Viele Henker wurden selbst zu Opfern, als neue Henker sie folterten und umbrachten. Und doch besteht zwischen Opfern und Henkern ein gewaltiger Unterschied – der größte, den es im menschlichen Universum gibt.“

    Der Jahrestag von 1917 ist so gesehen ein Fass ohne Boden. Er ist nur der Beginn einer Reihe von schwierigen Bildern der Vergangenheit, an die wir uns ungern erinnern. Alle betreten die Geschichte lieber über die Paradetreppe – mit dem Tag des Sieges oder, sagen wir, dem Tag der Einheit des Volkes. Aber es gibt auch den Hintereingang, Jahreszahlen wie 1917, 1921 oder 1937. Was sollen wir damit machen? Ihn verrammeln?

    Würden wir uns ernsthaft darauf einlassen, dann könnte der hundertste Jahrestag der Revolution Anlass geben, nach neuen Möglichkeiten des Sprechens und Nachdenkens über die unbequeme Vergangenheit zu suchen. Eine Menge Bürgerinitiativen, die mit dem Jahrestag zu tun haben – Unsterbliche Baracke, Letzte Adresse, Aufrufe zur „nationalen Buße“ – stellten plötzlich fest, dass die Stimmen der Opfer noch laut sind in der russischen Gedächtnispolitik und diese beeinflussen können.

    „Diese Stimmen müssen berücksichtigt werden“, sagt Boris Kolonizki. „Es ist ganz einfach: Wodurch unterscheidet sich ein Mensch, der seine Krankheiten kennt, von einem, der sie nicht kennt? Ersterer kann mit der Therapie beginnen.

    Weder die Revolution, noch der Bürgerkrieg, noch der darauf folgende Terror sind ohne eine lang andauernde kulturelle Vorbereitung, ein Heranreifen innerhalb Russlands vorstellbar.


    Wir haben vor der Revolution eine Kultur des Konflikts geschaffen und unterstützt, eine Kultur, in der kleine oder kalte Bürgerkriege an der Tagesordnung waren. In vieler Hinsicht sind wir bis heute Träger dieser Kultur.

    Was können wir jetzt tun? Wir müssen eine gesunde Lebensweise einführen und ständig, Jahr für Jahr, unserer wunden Punkte gedenken. Dafür sind alle unbequemen Daten der russischen Geschichte gut geeignet.“

    Das Jahr 1917 ist zumindest insofern groß, als es uns eine sehr klare Vorstellung davon vermittelt, wie wir sein können. Nicht davon, was mit uns passieren kann oder was man mit uns machen kann – sondern davon, wie wir, die Russen, sein können. Und aus dieser Vorstellung heraus erwächst ein Bild davon, wie wir sein wollen (oder nicht sein wollen) – damit die Revolution tatsächlich zu Ende geht.

    Diese Übersetzung wurde gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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