Am 5. Mai gingen russlandweit tausende Menschen auf die Straße, um gegen die bevorstehende vierte Amtszeit von Präsident Putin zu demonstrieren. Zu dem Protest aufgerufen hatte der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny unter dem Motto „Er ist nicht unser Zar!“. Konstantin Selin hat für Fontanka.ru die Demonstration in Sankt Petersburg mit seiner Kamera begleitet.
Er war nur eine Woche Ministerpräsident Armeniens, dann gab er dem Druck der Straße nach: Sersh Sargsjan ist Anfang dieser Woche zurückgetreten. Tagelang hatte es Proteste gegeben, nachdem Sargsjan vom Präsidentenamt ins Amt des Ministerpräsidenten gewechselt war. Viele warfen ihm vor, sich an die Macht zu klammern. 2015 hatte er als Präsident in einem Referendum über eine Verfassungsreform abstimmen lassen, die dem Ministerpräsidenten zahlreiche Kompetenzen des Präsidenten übertrug, diese war nun in Kraft getreten.
Armenien ist mit den Nachbarn Aserbaidschan und Türkei verfeindet, Russland gilt als wichtige Schutzmacht des Landes. Armenien ist Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion, hat aber 2017 auch ein Partnerschaftsabkommen mit Brüssel unterzeichnet.
Bei den jüngsten Protesten schließlich ging es nicht um eine prowestliche oder antirussische Ausrichtung des Landes. Der Sieg der armenischen Opposition bedeute dennoch eine Schlappe für Moskau, meint der bekannte Journalist Konstantin Eggert auf Snob. Er sei ein äußerst wichtiges Signal für das Näherrücken unabwendbarer Veränderungen.
Das, was da in Armenien geschehen ist, ist von kaum zu überschätzender Bedeutung für den sogenannten postsowjetischen Raum, wo das „post“ immer stärker wird als das „sowjetisch“. Die friedliche Revolution in Armenien – einst eines der postsowjetischen Länder dieser Region, in dem die prorussischen Stimmungen und die Nostalgie nach der UdSSR mit am stärksten waren – ist ein äußerst wichtiges Signal für das Näherrücken unabwendbarer Veränderungen. Und zwar in einer Region, die Dimitri Medwedew vor zehn Jahren als „Zone privilegierter Interessen Russlands“ bezeichnet hat.
Als Stütze der russischen Führung in Armenien fungierte zwanzig Jahre lang der sogenannte Karabach-Klan, eine Gruppe von Veteranen aus dem Krieg gegen Aserbaidschan um Bergkarabach, der 1994 mit einem Sieg Armeniens endete. Diese aus Arzach Stammenden, wie die Armenier Karabach nennen, hatten daraufhin sofort Lewon Ter-Petrosjan gestürzt, den ersten Präsidenten Armeniens – sie hielten ihn für zu kompromissbereit gegenüber Aserbaidschan. Anschließend machten sie sich die Unternehmen des Landes untertan, richteten für sich und ihre Familien Firmen in Russland ein, jagten die Opposition in ein Ghetto und beschlossen, ewig zu herrschen.
Zunächst war der karabachische Veteran Robert Kotscherjan für zwei Amtszeiten Präsident, dann der frühere Verteidigungsminister Sersh Sargsjan. Schließlich gab die Ersatzbank der Karabachler wohl niemanden mehr her, aber das machte nichts. 2015 wurde ein Referendum abgehalten, das die Verfassung änderte und Armenien aus einer Präsidial- in eine parlamentarische Republik verwandelte. Der Präsident wurde zu einer repräsentativen Figur und die gesamten Machtbefugnisse wurden dem Ministerpräsidenten übertragen. Die Armenier hatten schon damals den Verdacht, dass es hier um eine Verlängerung der politischen Karriere Sargsjans geht. Dieser versprach jedoch, dass er nicht als Ministerpräsident kandidieren wolle. Das half, das Referendum „durchzudrücken“.
Sargsjan hat sein Versprechen nicht gehalten. Die Leute waren empört. Es kam zur Revolution. Sargsjan ist abgetreten, nachdem sich die ersten Militärs den Demonstranten angeschlossen hatten. Eine gewaltsame Unterdrückung der Proteste hätte einen Bürgerkrieg bedeutet. Dazu ist der ehemalige Präsident und nun Ministerpräsident nicht bereit gewesen. Gott sei Dank.
Unerwartet für Moskau
Für das offizielle Moskau kamen die Ereignisse in Armenien unerwartet – vor wenigen Tagen erst hatte Wladimir Putin Sargsjan zur „Wahl“ zum Ministerpräsidenten gratuliert. Wobei die Ereignisse eine Schlappe für die russische Außenpolitik darstellen, und die ist deswegen so herb, weil Armenien der engste Verbündete Russlands ist, ein Mitglied der OVKS und der Eurasischen Union, sowie das Land, auf dessen Territorium sich einer der größten russischen Militärstützpunkte befindet.
Die Armenier lieben Russland aufrichtig, und genauso aufrichtig hoffen sie auf Russlands Schutz in den „kalten Kriegen“ mit Aserbaidschan und der Türkei. Das bedeutet jedoch nicht, dass die armenische Gesellschaft so leben möchte wie die russische. In Armenien ist eine Generation herangewachsen, die sich nicht an die UdSSR oder den Karabach-Krieg erinnert. Für diese bedeutet die sargsjansche „Stabilität“ das Gleiche, wie die putinsche für die Generation Nawalny: Stagnation, Heuchelei, fehlende Perspektiven und keine sozialen Aufstiegsmöglichkeiten.
Für die jungen Armenier bedeutet die sargsjansche „Stabilität“ das Gleiche, wie die putinsche für die Generation Nawalny
Darüberhinaus weckt das Beispiel Georgien zunehmend das Interesse der Armenier: Das Nachbarland hat mit der Europäischen Union ein vollwertiges Assoziationsabkommen geschlossen, hat eine Visafreiheit mit der EU erreicht, eine Polizei- und Gerichtsreform unternommen und die Alltagskorruption bekämpft, jene Korruption, die dem Durchschnittsarmenier am meisten auf die Nerven geht.
Die armenische Opposition – zu ihrer Symbolfigur wurde Nikol Paschinjan, ein politischer Nachkomme des ersten Präsidenten Ter-Petrosjan – hat die Regierung beharrlich wegen des Eintritts Armeniens in die Eurasische Union kritisiert, wie auch wegen deren Weigerung (unter dem Druck Moskaus), 2013 ein Partnerschaftsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Das hat die armenischen Oppositionellen von der Partei ELK in den Augen des offiziellen Russland zu „Feinden“ gemacht. Sollte die russische Botschaft in Jerewan mit ihnen in Kontakt gestanden haben, so bestimmt äußerst eingeschränkt, sodass sie alles mit den Augen ihres Verbündeten Sargsjan und dessen Umgebung betrachtet hat.
Diese Überzeugung ist nicht unbegründet. Schließlich war der Ansatz Moskaus in Bezug auf Armenien recht einfach. Erstens: Wir haben dort einen Stützpunkt. Zweitens: Das Land ist von den überwiesenen Geldern der Armenier abhängig, die zum Geldverdienen in Russland leben. Drittens: Die Leute von „unserem“ Sargsjan kontrollieren die einflussreichen Spitzenpositionen von Wirtschaft, Parlament und Sicherheitsapparat. Also gibt es eigentlich gar keinen Grund zur Sorge.
Selbstsicherheit, imperialer Hochmut sowjetischer Machart und die Unterscheidung von Ausländern in „unsere“ und „fremde“ haben der russischen Diplomatie erneut einen bösen Streich gespielt. Erneut – denn genau das ist das Verhaltensmuster des Kreml in allen postkommunistischen Transformationsländern: In Serbien zu Zeiten Miloševićs, in der Ukraine zunächst unter Kutschma und dann unter Janukowitsch, in Georgien unter Schewardnadse sowie die ganze Zeit in Belarus und Moldau hat sich das Verhalten des offiziellen Russland vom Stil her nicht geändert. Moskau zieht jene vor, die Demokratie verachten, korrupt sind und bereit, zum Westen, insbesondere zur NATO, auf Distanz zu bleiben. Im Kreml herrscht eine ungeheure Angst, dass auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR und auf dem Balkan (der aus unerfindlichen Gründen immer noch als prorussisches Aufmarschgebiet in Europa gilt) erfolgreiche, prosperierende Demokratien entstehen könnten.
Antiwestliche Pufferzone der Instabilität
Genau hierauf konzentriert sich die Außenpolitik Russlands: auf das Eindämmen und – falls das nicht gelingen sollte – auf die Unterminierung einer demokratischen Entwicklung des postsowjetischen Raumes und eines Teils Mittel- und Osteuropas. Das Ziel ist die Schaffung einer Art antiwestlicher Pufferzone der Instabilität – und die Verfolgung von Interessen staatlicher und staatsnaher Unternehmen in diesen Ländern. Diese Unternehmen dienen dabei ihrerseits auch als Instrument zur politischen Einflussnahme des Kreml und zur Korrumpierung der Eliten vor Ort. Ein solches Vorgehen Moskaus erfolgt auch im Westen, erinnert sei nur an den Kauf des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.
Allerdings lässt sich in entwickelten Demokratien nicht dieselbe Politik verfolgen wie gegenüber Armenien oder der Ukraine.
Trotz seiner nicht geringen Ressourcen erlebt der Kreml eine Niederlage nach der anderen. Der Hauptgrund für dieses Scheitern liegt im Unwillen, anzuerkennen, welche Rolle die Gesellschaft in postkommunistischen Ländern spielt. Im Kreml kann man einfach nicht glauben, dass die Leute Korruption, „ewige“ Regime und Willkür der Sicherheitsbehörden tatsächlich satthaben. Wenn jemand auf die Straße geht, dann kann das nur deshalb sein, weil er von westlichen NGOs oder der CIA bezahlt wurde – so sieht im Großen und Ganzen die Denkweise der russischen Führung aus. „Normale Leute wollen keine Freiheit – sie wollen Stabilität um jeden Preis.“ So lautet im Grunde die Devise der russischen Politik gegenüber den postkommunistischen Transformationsstaaten. Der Kreml projiziert seine eigenen Vorstellungen von der Befindlichkeit der russischen Bevölkerung auf seine Nachbarn, und nicht nur auf die. Das ist auch der Grund, warum Moskau aus seiner Niederlage in Armenien keinerlei Schlüsse ziehen wird. Allenfalls werden die 450 Mitarbeiter der Präsidialadministration, Verzeihung, ich meine die 450 Abgeordneten der Staatsduma, angewiesen, mit doppeltem Elan Gesetze zum Kampf gegen all die verschiedenen „Freimaurer“ und „Einflussagenten“ zu verabschieden.
Am Tag von Sargsjans Rücktritt schrieb Maria Sacharowa, die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, auf Facebook: „Ein Volk, das die Kraft hat, sich in den schwersten Momenten seiner Geschichte nicht zu entzweien und trotz aller grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten die gegenseitige Achtung zu wahren, ist ein großes Volk. Armenien, Russland ist immer bei dir!“
Übersetzt aus der Sprache des Smolenskaja-Platzes heißt das: „Ihr Undankbaren! Ihr habt unseren Mann gestürzt. Doch so einfach werden wir nicht von euch ablassen.“
Seit über einer Woche liefern sich Telegram und Roskomnadsor einen Wettlauf, der an die Geschichte von Hase und Igel erinnert: Jedes mal, wenn die Beamten IP-Adressen von Telegram blocken, weicht der Messenger auf andere aus und entgeht damit der Blockade. Während Telegram-Chef Pawel Durow tausende neue Nutzer verzeichnen kann, versucht Roskomnadsor weiter mit allen Mitteln, Telegram zu blockieren: Mittlerweile sind in Russland fast 20 Millionen IP-Adressen gesperrt, ein großer Teil davon dürfte gar nichts mit dem Messenger zu tun haben.
In der Novaya Gazeta sieht Kirill Martynow einen „Bürgerkrieg“ heraufziehen und fragt, wie weit die „Flächenbombardierung des Internets“ noch gehen kann.
Der Konflikt zwischen der russischen Regierung und dem Messenger-Dienst Telegram hat qualitativ einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Spielregeln der ganzen Branche drohen verändert und die Zensur auf eine neue Ebene gehoben zu werden. Der Gesellschaftsvertrag, wie er über die letzten Jahre gewachsen ist, setzte stillschweigend voraus, dass die russischen Silowiki, Gesetzgeber und Funktionäre des Roskomnadsor so tun, als würden sie in Russland verbotene Informationen blockieren, und die Nutzer und Dienste tun ihrerseits so, als hätten sie keinen Zugriff darauf. Nach diesem Modus läuft es beispielsweise mit einem der weltweit größten sozialen Netzwerke LinkedIn, das zu Microsoft gehört und [in Russland] seit 2016 gesperrt ist.
Sergej Golubizki bemerkte kürzlich in einem Artikel für die Novaya Gazeta, dieser ganze „Krieg gegen das Internet“ trage ausschließlich rituellen Charakter. Die Geschichte um die Telegram-Sperrung verwandelt das Ritual nun offenbar in einen Bürgerkrieg.
Bürgerkrieg im Internet
Am 16., beziehungsweise 17. April hat Roskomnadsor mehr als 2,4 Millionen IP-Adressen gesperrt [Stand 24. April: fast 20 Millionen – dek], die zu großen Subnetzen von Google- und Amazon-Diensten gehören. Zum Vergleich: Vor Beginn der Telegram-Blockierung hatten auf der schwarzen Liste von Roskomnadsor 38.000 IP-Adressen gestanden.
Um an Telegram heranzukommen, musste die Behörde zum größten Angriff auf die Infrastruktur des Internets in der gesamten Geschichte der Zensur in Russland ausholen.
Roskomnadsor hatte offenbar vermutet, dass Pawel Durow für seinen Messenger eine Standardvorgehensweise entwickelt hatte, um Sperrungen zu umgehen, und zwar unter Einbeziehung der Cloud-Dienste großer Internetkonzerne, speziell von Amazon. Und darauf hatten sich die Beamten vorbereitet. Die Flächenbombardierung des Internets durch Roskomnadsor sorgte für beunruhigende Gerüchte in der IT-Branche. Am Abend des 16. April tauchten die ersten Meldungen auf: von Störungen in Kassensystemen des Einzelhandels, Problemen bei der Sprachübertragung des Messengers Viber, Unregelmäßigkeiten bei Microsoft-Diensten, darunter Office-Anwendungen und Onlinefunktionen von Spielekonsolen.
So wurde, ohne Rücksicht auf Opfer und Verluste, die russische Gesetzgebung durchgesetzt.
Ohne Rücksicht auf Opfer und Verluste
Gegen Mittag des 17. April konnte der Großteil der russischen User die Telegram-App immer noch ohne VPN nutzen, wenn auch nicht störungsfrei. Der Versuch des Roskomnadsor, den Messenger auf Kosten der Abschaltung der Cloud-Dienste von Drittanbietern zu vernichten, war gescheitert. Wie Fachleute berichten, hatte Telegram eine Funktion namens DC_update aktiviert. Diese dient unter normalen Umständen dazu, die Server-Adresse, mit der sich der Nutzer verbindet, ständig zu aktualisieren und so die Geschwindigkeit und Stabilität der App zu erhöhen. Bei einer Sperrung erlaubt diese Funktion, in Echtzeit zig Millionen von IP-Adressen, die Google, Apple oder Microsoft gehören und auf welche Telegram zugreifen kann, nach verfügbaren Adressen zu durchsuchen und den Datenverkehr [der App – dek] darüber zu leiten. Die Telegram-Weboberfläche bleibt dabei aufgrund der technischen Besonderheiten der verwendeten Protokolle weiterhin blockiert.
Anders gesagt: Um Telegram zu sperren, müsste Roskomnadsor im ganzen Land sämtliche internationalen Dienste abschalten – darunter Finanz-, Office- und Unterhaltungsdienste, von Apple Pay bis Xbox Live. Die Zahl der blockierten IP-Adressen würde auf Dutzende von Millionen ansteigen, die Provider hätten entsprechende Ausfälle, und Russland wäre de facto abgeschnitten vom World Wide Web.
Roskomnadsor hat wohl den Kürzeren gezogen
Kurz, um Durow zu besiegen, müsste man sich von dem Segen der Zivilisation verabschieden. Es sieht ganz danach aus, als hätte Roskomnadsor in diesem rasanten Schlagabtausch den Kürzeren gezogen. Doch dieser Schluss ist nur zu ziehen, wenn man annimmt, dass in der Behörde im Großen und Ganzen vernunftgeleitete Menschen sitzen, und ihrem Chef Alexander Shаrow kein direkter Befehl der Geheimdienste vorliegt, Telegram mit allen Mitteln zu zerschlagen.
Klar ist im Moment nur, dass Roskomnadsor zum ersten Mal in seiner Geschichte auf solchen Gegendruck stößt; zum ersten Mal versucht er landesweit, einen so großen und technisch so anspruchsvollen Dienst zu deaktivieren, und damit ist er nun einen direkten Konflikt mit GAFA eingegangen (dieses Kürzel bezeichnet in Europa die vier weltweit führenden Internetriesen, mit einer Gesamtreichweite von mehreren Milliarden Menschen: Google, Apple, Facebook und Amazon).
Als das Ausmaß des Problems klar wurde, haben die russischen Zensoren, wie es aussieht, vorerst eine Pause eingelegt und begnügen sich mit kleinen Rachefeldzügen gegen User, die sich mittels Proxy und VPN vorsorglich gegen ein Telegram-Blackout gewappnet hatten: Sie blockieren Seiten mit entsprechenden Einstellungen – offenbar ohne jede gesetzliche Grundlage.
Geschenk für Telegram
Zwei weitere Handlungsstränge sind für das Verständnis des Ganzen wichtig.
Erstens: Die Ereignisse sind ein wahres Geschenk für Durow und sein Unternehmen. Die Zahl der Telegram-Nutzer stieg auf über 200 Millionen, 15 Millionen davon sind in Russland aktiv. Ein Wegfall des russischen Markts wird das Business-Modell des Messengers nicht in den Ruin treiben, welches sich, wie jetzt bekannt wurde, auf die Entwicklung eines globalen Bezahlsystems mit einer eigenen Kryptowährung konzentrieren wird.
Darüber hinaus genießt Durow bereits jetzt eine unbezahlbare Reputation: als Kämpfer für die Freiheit und die Privatsphäre im Internet und als wichtigster Gegenspieler der russischen Regierung. Angesichts der aktuellen internationalen Atmosphäre bedeutet das, dass die Anhängerschaft von Durows Projekt schneller wachsen wird als je zuvor. Den Zuwachs der Abonnenten im Zuge der Sperrungen erwähnten selbst die großen russischsprachigen Kanäle, obwohl man diese Information nicht allzu optimistisch sehen sollte – einen beträchtlichen Teil der unpolitischen Nutzer in Russland könnte das instabile und „verbotene“ Telegram durchaus verlieren.
„Patriotische“ Dienste und Bürger
Zweitens: Es ist äußerst unterhaltsam, die Aktivitäten diverser „patriotischer“ Dienste und Bürger zu verfolgen. Längst nicht alle sind dem Ratschlag vom Internet-Berater und vom Pressesprecher des Präsidenten, German Klimenko und Dimitri Peskow, gefolgt, zu einem Messenger aus den 1990ern zu wechseln: ICQ. Der aktuelle Betreiber der Plattform, die Mail.ru Group, brachte umgehend einen Telegram-Klon unter dem Namen TamTam heraus. Kurz vor der Sperrung des Messengers schalteten russische Wirtschaftsblätter wie Kommersant und Vedomosti eine breit angelegte Werbeaktion für den Dienst.
Jetzt werden auf TamTam aktiv Klone von populären Telegram-Kanälen erzeugt. So gibt es auf TamTam beispielsweise am 17. April schon ganze zwei Nesygars– mit 89, beziehungsweise 13 Followern.
Eine Order, zu TamTam zu wechseln, bekamen auch die Mitarbeiter einiger Staatsmedien, aber wie man munkelt, kommunizierte jedenfalls noch vor wenigen Tagen das gesamte Management über die bisher verschont gebliebene WhatsApp. Einige russische Bürger lassen sich seit dem Mittag des 16. April ganz loyal nicht mehr auf Telegram blicken und demonstrieren so ihre Treue und in den meisten Fällen nicht unentgeltliche Liebe zum Kreml.
Das Private ist politisch
Andererseits war zum Beispiel auf dem Telegram-Account von Wadim Ampelonski, dem Ex-Pressesprecher des Roskomnadsor, der aktuell wegen Hinterziehung unter Hausarrest steht, in der Nacht zum 17. April Aktivität zu verzeichnen. Und so bewahrheitet sich einmal mehr, was die zeitgenössische Philosophie postuliert: Das Private ist politisch.
Telegram steckt den Schlag ein und bereitet sich darauf vor, der Welt das libertäre Wunder vom Sieg über die russische Zensur zu offenbaren – um daran dann tüchtig zu verdienen. Die Frage ist, was der nächste Zug des Roskomnadsor sein wird. Schließlich vermeldeten die Beamten noch vor einigen Jahren ihre Bereitschaft, das Land vom weltweiten Internet abzutrennen. Zum Schutz der Souveränität, versteht sich.
Russland blockiert Telegram: Nach einem Gerichtsurteil am vergangenen Freitag hat die Medienaufsichtbehörde Roskomnadsorgestern mit der Sperrung des Messenger-Dienstes begonnen. Im Zuge dessen wurden hunderttausende IP-Adressen blockiert, darunter auch Cloud-Dienste von Amazon und Google. Auf diese war Telegram zunächst ausgewichen. Dem Urteil ging ein Streit zwischen Telegram und Roskomnadsor voraus über die Herausgabe verschlüsselter Daten.
Auf das Urteil am vergangenen Freitag reagierte die Redaktion des russischen Exilmediums Meduzain ihrem Newsletter mit bewegenden Worten:
[bilingbox]Die Sperrung von Telegram ist eine Attacke auf etwas, auf das das Land stolz sein sollte.
Ein „nationales Gut“ in Russland ist nicht Gazprom, das sich selbst so nennt, sondern Telegram. Wie viele russische Unternehmen kennen wir, die in der dritten Amtszeit von Putin entstanden sind und eine Weltsensation wurden? Wie viele russische Unternehmen haben Erfolg im Ausland, ohne auch nur eine Kopeke aus dem Staatssäckel erhalten zu haben, beziehungsweise ohne den Verkauf natürlicher Rohstoffe zu betreiben?
Die Sperrung von Telegram, das ist ein Schlag gegen die russische Wirtschaft.
Der russische Staat hätte Pawel Durow zu seinem Hauptverbündeten machen sollen, stattdessen erklärte er ihn zum Feind. Dank Durow haben wir VKontakte – ein Soziales Netzwerk, das unter dem Druck von Facebook nicht aufgegeben hat (wie viele davon gibt es noch auf der Welt?). Pawel Durow wurde der Held einer Generation, das ideale Vorbild, einer der berühmtesten Russen – berühmt im Übrigen nur für Gutes.
Die Sperrung von Telegram ist ein Schlag gegen unsere Zukunft.~~~Блокировка телеграма — это атака на то, чем страна должна гордиться. «Национальное достояние» в России — не «Газпром», который так себя называет, а Telegram. Сколько мы знаем российских компаний, появившихся во время третьего срока Путина и ставших мировой сенсацией? Сколько российских компаний добились успеха за рубежом, не взяв ни копейки из государственного бюджета и не занимаясь продажей природных ресурсов? Блокировка телеграма — это удар по российской экономике. Российское государство должно было сделать Павла Дурова своим главным союзником, а вместо этого объявило врагом. Благодаря Дурову у нас есть «ВКонтакте» — соцсеть, которая так и не сдалась под напором Facebook (много ли на земле осталось таких мест?). Павел Дуров стал героем поколения, идеальным примером для подражания, одним из самых известных россиян — причем известных только с лучшей стороны. Блокировка телеграма — это удар по нашему будущему. [/bilingbox]
In ganzer Länge erschien der Newsletter am 13.04.2018unter dem Titel Telegram – nazionalnoje dostojanije (dt. „Telegram – ein nationales Gut“). Das russische Original lesen Sie hier.
Diskutieren Sie über das Zitat bei uns auf Facebook.
In der Nacht auf Samstag haben die USA, Großbritannien und Frankreich syrische Ziele angegriffen. Diese Vergeltungsmaßnahme der Verbündeten für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien sollte laut US-Angaben Assad klarmachen, dass er rote Linien überschritten habe. Der russische UN-Botschafter Nebensja kritisierte das „neokoloniale Auftreten“ der Verbündeten, die das Völkerrecht ignorieren würden.
Noch im Vorfeld des Angriffs hatten russische Politiker damit gedroht, dass die Marschflugkörper der Verbündeten abgeschossen würden. Da es vereinzelt auch Stimmen gab, die den Gegenangriff auf US-amerikanische Raketenträger androhten, sprachen einige Analysten schon von einer neuen Kuba-Krise. Doch schließlich reagierte Russland nicht mit militärischen Mitteln – vermutlich auch, weil die Angriffsziele offenbar mit der russischen Seite abgestimmt waren. Umso massiver fällt nun die offizielle russische Kritik aus: Der Giftgasangriff sei nicht bewiesen, der Westen habe gegen das Völkerrecht gehandelt.
Welche Folgen hat der Angriff für die internationale Diplomatie? Und wie geht es nun weiter mit Russland und dem Westen? dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte.
Republic: Kuba-Krise gebannt, Russland geschwächt
Im Vorfeld des Luftschlags sprachen Politiker und Militärexperten schon von einer zweiten Kuba-Krise. Diese Gefahr ist nun zwar vorerst gebannt, Russland geht aus der Krise aber geschwächt hervor, meint der Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow auf Republic:
[bilingbox]Russland hat in Syrien den Schlag gegen seinen Alliierten trotz militärischer Präsenz im Land weder verhindern noch abschwächen können – obwohl die lauten Statements die Planung der Operation für die USA etwas erschwert haben. Doch für die anderen Staaten der Region wurde die Schwäche Russlands offensichtlich. Den Anspruch auf die Rolle einer Alternative zum Kraftzentrum der USA und auf die des Sicherheits-Providers im nahen Osten kann Russland nicht erheben.~~~В Сирии Россия не смогла предотвратить или ослабить удар по своему союзнику даже в условиях военного присутствия в стране, хотя громкие заявления несколько затруднили планирование операции для США. Но для других государств региона эта российская слабость стала очевидной. Претендовать на роль альтернативного США центра силы и провайдера безопасности на Ближнем Востоке Россия не может. [/bilingbox]
erschienen am 16.04.2018
Novaya Gazeta: Krise zwischen Ost und West bleibt
„Aufatmen“ heißt es auch in der Novaya Gazeta – der Journalist und Militärexperte Pawel Felgengauer sieht die Eskalation aber noch nicht beendet:
[bilingbox]Kurz, es ist noch mal gut gegangen: Die russischen Militärs in Syrien und die Kampfschiffe im Mittelmeer haben nicht einmal auf Raketen geschossen, geschweige denn auf westliche Flugzeuge und Schiffe. Es wird also wegen Duma weder einen regionalen (innereuropäischen) noch einen globalen Krieg geben.
Aber die Krise zwischen Ost und West bleibt. Gegenseitige Beschimpfungen und Konfrontationen, auch die in Syrien, gehen weiter und werden wahrscheinlich noch an Schärfe gewinnen. Auf syrischem Boden sind amerikanische, französische und britische Spezialeinheiten aufgeschlagen. Und natürlich wollen sowohl Damaskus als auch Moskau als auch Teheran diese Truppen aus Syrien verdrängen.~~~Короче, обошлось: российские военные в Сирии и боевые корабли в Средиземном море даже по ракетам не стреляли, не то что по западным самолетам и кораблям. Не будет из-за Думы ни региональной (общеевропейской), ни глобальной войны.
Но кризис между Востоком и Западом никуда не делся. Взаимная ругань и противостояние, в том числе в Сирии, продолжатся и будут, наверное, еще более ожесточенными. В Сирии развернуты «на земле» силы американского, французского и британского спецназа. И Дамаск, и Москва, и Тегеран, конечно, хотят вытеснить эти силы из Сирии.[/bilingbox]
erschienen am 16.04.2018
Vedomosti: Sieht Assad nun Russlands Schwäche?
Die Vedomosti-Redaktion fragt nach möglichen Gründen für das vergleichsweise vorsichtige Vorgehen der westlichen Verbündeten und nach Russlands neuer Stellung in Syrien. Dabei zitiert sie den Außenpolitik-Experten Wladimir Frolow und den Nahost-Forscher Alexej Malaschenko:
[bilingbox]Es ist möglich, dass Moskaus Drohungen, Raketen abzuschießen und im Falle eines Schlags gegen russische Truppen deren Träger zu attackieren, zur Abmilderung des Szenarios beigetragen haben. Auch die harsche Rhetorik mag den Westen dazu gezwungen haben, vorsichtiger zu Handeln, so Frolow.
Doch nun findet sich Russland in einer schwierigen Situation wieder: Die Erklärung, man sei bereit, auf Anschläge der Koalition nur im Falle einer direkten Bedrohung für russisches Militär und russische Einrichtungen zu reagieren, war unter anderem auch eine Demonstration gegenüber Assad, dass man nicht willens ist, für ihn das Leben der eigenen Staatsbürger einzusetzen. Dies könnte in Damaskus als Schwäche ausgelegt werden, führt Malaschenko an.~~~Возможно, на смягчение сценария сработали угрозы Москвы сбивать ракеты и атаковать их носители в случае, если под ударом окажутся российские военные, жесткая риторика вынудила Запад действовать осторожнее, отмечает Фролов.
Но теперь и Россия оказалась в сложной ситуации: заявления о готовности отвечать на удары коалиции только в случае прямой угрозы российским военным и объектам были в том числе демонстрацией Асаду нежелания рисковать ради него жизнями своих граждан. Это может быть воспринято Дамаском как слабость, отмечает Малашенко.[/bilingbox]
erschienen am 15.04.2018
Kommersant: Völkerrechtswidriges Vorgehen
Russland wird oft wegen Nichteinhaltung des Völkerrechts kritisiert. Das berühmteste Beispiel dieser Kritik war die Angliederung der Krim. Im Interview mit Kommersant dreht nun Sergej Rjabkow – einer von zehn stellvertretenden Außenministern Russlands – den Spieß um:
[bilingbox]Die USA und ihre Verbündeten entfernen sich nicht nur immer weiter vom Imperativ der Einhaltung des Völkerrechts, sondern sogar von ganz schlichten Standards der diplomatischen Kommunikation und der internationalen Praxis. Unserer Meinung nach schaden sie damit nicht nur dem gesamten System der internationalen Beziehungen, sondern auch sich selbst. […] Aber zusammenarbeiten muss man. Und eine der Hauptaufgaben am heutigen Tag ist es, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zu ermöglichen, dass sie trotz allem ihre Arbeit tut und Experten nach Duma schickt, um Materialien und Fakten zu sammeln und entsprechende Gespräche zu führen.~~~Мы считаем, что США и их союзники, которые все дальше отдаляются не только от императива соблюдения норм международного права, но и просто даже от стандартных канонов дипломатического общения и международной практики, по большому счету наносят ущерб не только всей системе международных отношений, но и самим себе. […]
Но сотрудничать нужно. И одна из главных задач сегодняшнего дня — это обеспечить для Организации по запрещению химического оружия (ОЗХО) возможность все-таки выполнить свою работу и направить специалистов в (сирийский город — “Ъ”) Думу, чтобы они собрали материалы и факты, провели соответствующие беседы.[/bilingbox]
erschienen am 14.04.2018
Zvezda: Feige Haltung wird Westen zum Verhängnis
Der TV-Sender Zvezda steht dem Verteidigungsministerium nahe. Den Raketenangriff auf Syrien lässt er vom kremlnahen Politologen und Amerikanisten Rafael Orduchanjan kommentieren, der meint, man solle sich jetzt auf Terrorabwehr einstellen:
[bilingbox]Wir sehen gerade eine absolut feige Haltung, die der Westen, vertreten durch Frankreich, England und die USA, vereint an den Tag legt. […] Neue Terroranschläge in Westeuropa stehen unmittelbar bevor – dies nicht genau zu analysieren und zu verstehen, ist schlichtweg ein Verbrechen. ~~~«Мы сейчас видим абсолютно трусливую позицию, которую демонстрирует объединенный Запад в лице Франции, Англии и Америки» […] «Мы стоим в преддверии новых террористических актов в Западной Европе, и не анализировать и не знать это – это просто преступно».[/bilingbox]
Laut Pentagon ist die mission accomplished: Alle 105 Raketen hätten ihre Ziele – Kommandozentrale, Lager und Forschungseinrichtungen für Chemiewaffen – erreicht. Die staatsnahe Izvestia greift dabei eine Meldung des Assad-Regimes auf und behauptet, dass die meisten Raketen der Verbündeten abgeschossen wurden. Die entscheidende Rolle bei der Abwehr des Angriffs habe das russische Militär gespielt:
[bilingbox]Informierte Quellen des Portals iz.ru berichten, dass bei der Abwehr des Angriffs moderne Flugabwehr-Anlagen aus russischer Produktion eine entscheidende Rolle gespielt haben, darunter auch Ausrüstung, die im Laufe der vergangenen Wochen nach Syrien geliefert worden war. In erster Linie geht es hier um die Flugabwehrraketen-Systeme Panzir und BUK. Ein Teil der Geschütze, einschließlich schon früher aus Russland gelieferter Flugabwehrraketen-Systeme der neuen Generation, wurden von syrischer Seite bedient. Jedoch spielten russische Militär-Experten eine entscheidende Rolle bei der Abwehr des Angriffs.~~~Информированные источники портала iz.ru сообщают, что основную роль в отражении удара сыграли современные средства ПВО российского производства, в том числе поставленные в Сирию в течение последних нескольких недель. В первую очередь речь идет о зенитных ракетно-пушечных комплексах «Панцирь» и зенитных ракетных комплексах «Бук». Часть комплексов, в том числе ранее поставленные из России системы нового поколения, управлялась сирийскими расчетами, однако существенную роль в отражении удара сыграли российские военные специалисты.[/bilingbox]
erschienen am 16.04.2018
Facebook/Adagamow: Verteidigungsministerium als Münchhausen
Der bekannte russische Blogger Rustem Adagamow hat auf Facebook rund 180.000 Abonnenten. Die in den Staatsmedien gefeierten Erfolge der russisch-syrischen Koalition quittiert er mit einem Screenshot aus dem bekannten sowjetischen Film Genau jener Münchhausen. Dabei legt er dem Lügenbaron Münchhausen die Meldung des russischen Verteidigungsministeriums in den Mund:
„Die syrische Flugabwehr hat 71 von 103 Raketen erfolgreich abgefangen.“ Verteidigungsministerium der Russischen Föderation
Vorgestern hat Trump Russland gedroht, in Syrien „smarte“ Lenkwaffen einzusetzen. Nicht einmal eine Stunde später ruderte er zurück und sagte, dass es für die USA „easy“ wäre, Russlands darbender Wirtschaft zu helfen. Der Journalist und Militärexperte Pawel Felgengauer erklärt in der Novaya Gazeta, wie ein solcher Deal „Hilfe statt Raketen“ aussehen könnte:
[bilingbox]Die Sanktionen werden „easy“ aufgehoben. Russland bekommt Investitionen und Technologien, und die langjährige wirtschaftliche Stagnation wird dadurch beendet. Dafür muss man [Russland – dek] aber Assad aufgeben genauso wie die Donbass-Republiken. Und wir müssen die Minsker Vereinbarungen vollständig erfüllen. Erst dann werden alle zufrieden sein. Andernfalls werden Raketen abgeschossen. […]
Ja, als man sich in Moskau im November 2016 über Trumps Wahlsieg gefreut hatte, hat man sich einen zukünftigen Pakt, der die Spannungen mit den USA löst, anders vorgestellt. Anscheinend sind gewaltsame Deals grundlegend für Trumps Geschäftserfahrungen, ähnlich wie in Russland. Wenn es um Immobilien geht, dann kann es sein, dass eine solche Art der Übereinkunft funktioniert, und wenn sie es nicht tut – dann schreibt man einfach die Verluste ab und fängt irgendwas Neues an. Im Fall zweier atomarer Supermächte können die Verluste allerdings tatsächlich massiv ausfallen. In den USA sind viele davon überzeugt, dass Trump völlig fehl am Platze ist. Wie gefährlich das [diese Fehlbesetzung – dek] ist, ist nun auch in Moskau angekommen, wo er versucht, Russland gewaltsam zum Frieden zu zwingen.~~~Санкции будут сняты «легко», Россия получит инвестиции и технологии, многолетняя экономическая стагнация закончится, но надо «сдать» Асада. Еще, очевидно, надо «сдать» донбасские республики — безусловно, выполнить Минские соглашения, и всем будет хорошо. В случае отказа — полетят ракеты. […] Да, не таким представлялся будущий пакт с Трампом по глобальному разрешению противоречий с США, когда в Москве радовались в ноябре 2016-го его победе. Но, похоже, в бизнес-опыте Трампа именно такой силовой способ заключения сделок, схожий с российским, — основной. Если дело касается недвижимости, такой способ договариваться может работать, а не выйдет, то потери можно списать и браться за что-то другое. В случае двух ядерных сверхдержав потери могут оказаться вправду капитальными. В США многие уверены, что Трамп попал совсем не на свое место. Теперь, когда он пытается силой принудить Россию к миру, и до Москвы дошло, насколько это опасно.[/bilingbox]
In ganzer Länge erschien der Artikel am 13.04.2018 in der Novaya Gazeta unter dem Titel Tramp samedlennowo dejstwija (dt. „Trump mit Zeitzündung“). Das russische Original lesen Sie hier.
Diskutieren Sie über das Zitat bei uns auf Facebook.
Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien drohte Trump mit einer „starken Reaktion“. Der russische UN-Botschafter Nebensja entgegnete, dass ein Angriff „schwerwiegende Folgen“ haben werde. In The New Times appelliert der russische Militärexperte Alexander Golz an die Vernunft der Verantwortlichen:
[bilingbox]Eine direkte kriegerische Konfrontation, die sich die Militärs Russlands und der USA noch im Februar – nach der Zerschlagung von Söldnertruppen durch die Amerikaner – nicht einzustehen getrauten, ist mittlerweile höchstwahrscheinlich. Die Gefahr wächst um ein Vielfaches, falls nun aus Moskau der Befehl folgt, amerikanische Raketenträger anzugreifen. Es ist klar, dass die vielfache amerikanische Überlegenheit (gewährleistet durch die Flugzeugträgerkampfgruppen der 6. Flotte, die strategische Luftwaffe sowie Stützpunkte auf Kreta, Zypern und in Neapel) Moskau wenig Chancen lässt, einen konventionellen Krieg zu gewinnen. O weh, das bedeutet, dass sehr bald die Verlockung aufkommen wird, mit dem Einsatz von Kernwaffen zu drohen … Da ist sie also, die neue Kubakrise in Zeiten der Postmoderne. Das einzige, was ein winziges bisschen Optimismus einflößt, ist die Hoffnung auf die Vernunft der Militärs, denen sehr bewusst ist, was folgen wird, wenn die Befehle erst ergangen sind.~~~Прямое военное столкновение, признать которое военные России и США побоялись в феврале, после разгрома американцами колонны наемников, сейчас становится весьма вероятным. Опасность возрастает многократно, если из Москвы последует приказ атаковать «носители» американских крылатых ракет. Понятно, что при многократном американском превосходстве (его обеспечивают авианосные группировки 6-го флота, стратегическая авиация, базы на Крите, Кипре, в Неаполе) у Москвы мало шансов победить в обычной войне. Увы, это означает, что очень скоро возникнет соблазн угрожать применением ядерного оружия… Вот он, новый Карибский кризис, эпохи постмодерна. Единственное, что внушает толику (очень малую) оптимизма, так это надежда на разумность военных, которые прекрасно понимают, что последует после того, как приказы будут отданы.[/bilingbox]
In ganzer Länge erschien der Artikel am 10.04.2018 in The New Times unter dem Titel Karibski Krisis 2.0 (dt.„Kuba-Krise 2.0“). Das russische Original lesen Sie hier.
Diskutieren Sie über das Zitat bei uns auf Facebook.
Die Beweislage im Fall Skripal ist nach derzeitigem Stand der Veröffentlichungen sehr dünn. Dennoch entschlossen sich rund 25 Länder, über 140 russische Diplomaten auszuweisen. Für viele unabhängige Beobachter in Russland ist der Fall klar: Es sei dem Westen nicht so sehr um Skripal gegangen, sondern vielmehr darum, einen Schulterschluss zu demonstrieren. Dieser sei notwendig gewesen, weil der Westen nicht anders auf die ständigen Herausforderungen seitens Russlands zu reagieren wusste. Angliederung der Krim, Krieg im Osten der Ukraine, Abschuss der MH17, Krieg in Syrien, Einmischung in Wahlen und so weiter – dies seien die eigentlichen Ursachen; der Fall Skripal sei nur der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, so die Beobachter.
Auch der Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew kann nachvollziehen, warum der Westen trotz dürftiger Beweislage solch drastische Maßnahmen ergreift. Auf Snob meint der kritische Intellektuelle, dass der russischen Außenpolitik eine der wichtigsten Eigenschaften abhanden kommt – ihre Rationalität.
Die kürzliche Ausweisung von 139 russischen Diplomaten aus 24 Ländern ist außergewöhnlich. Besonders wenn man bedenkt, dass es keine Reaktion auf Provokationen dieser Staaten war, sondern ein Zeichen der Solidarität mit Großbritannien, das Russland des Attentats auf den ehemaligen Spion Sergej Skripal beschuldigt.
Derzeit ist es Mode, die aktuellen Ereignisse als einen neuen Kalten Krieg zu bezeichnen – und ich sage schon lange, dass das für die veränderte Form der russischen Beziehungen zum Westen durchaus angemessen ist. Allerdings gehen die Ereignisse mittlerweile womöglich darüber hinaus (oder genauer gesagt, in eine etwas andere Richtung).
Die Ereignisse von 2014 und 2015 in der Ukraine haben den Westen sehr beunruhigt; Putins Auftritte von 2007 und 2008 in München und in Bukarest, der fünftägige Georgienkrieg sowie Moskaus Versuche, seinen Einfluss auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zu festigen und freundschaftliche Beziehungen mit einigen Staatschefs Mitteleuropas auszubauen – das alles passte, zusammen mit dem aggressiven Vorgehen Russlands, sehr gut zu dem früheren Bild.
Verständlich wirkten auch die unterschiedlichen [russischen – dek] Reaktionen: Distanziertheit, Unterstützung der Verbündeten, Konkurrenz und Rivalität an der globalen Peripherie. Über Putin hieß es gemeinhin, er verstehe nur die Regeln eines Nullsummenspiels: Wenn einer Verluste macht, macht der andere Gewinne.
Was hat der Kreml denn erreicht?
Schon seit Mitte der 2010er Jahre hat sich die Situation, wie mir scheint, allmählich verändert, auch wenn es nicht sofort zu bemerken war. Russlands Einmischung in die amerikanischen Wahlen, das Geschäker mit Europas radikalen Rechten, die offenkundige Unterstützung von Kriegsverbrechern wie Assad und der staatliche Terror gegen Regimegegner und Menschen, die Putin selbst oder sein Umfeld als Verräter betrachten – all das deutet nicht nur darauf hin, dass der Kreml keinerlei Regeln mehr anerkennt. Weit wichtiger ist, dass Moskau bei bestimmten Schritten seinen eigenen Nutzen überhaupt nicht mehr im Sinn hat.
Denn was hat der Kreml damit erreicht, dass er in der Geschichte der amerikanischen Wahlen 2016 eine schmutzige Spur hinterlassen hat? In Bezug auf Russland überhaupt nichts: Wer auch immer die Wahlen ohne die russische Einmischung gewonnen hätte – die Beziehungen zwischen beiden Länder wären wohl kaum schlechter, als sie es heute sind. Die einzigen Folgen sind eine übermäßige Anspannung im amerikanischen politischen System und die Verschärfung interner Kämpfe des Establishments in Washington. Und was erreicht der Kreml in Europa, wenn er antieuropäische Kräfte unterstützt und finanziert? Offenbar wiederum eine Destabilisierung.
Der Großteil Europas wird antirussischer werden
Bezeichnend ist, dass allein das Aufkommen der Rechten, sollte es dazu kommen, Russland nichts bringen wird. Die EU wird nicht auseinanderbrechen, nur weniger effektiv werden. Und die proeuropäischen Kräfte werden einfacher argumentieren können, dass sich die Länder des Alten Europa verbünden sollten – wenn nicht für etwas, dann doch gegen jemanden. Und sogar wenn die proputinschen Kräfte hier und da lokale Siege erringen sollten, ändert es nichts an der Gesamtsituation. Der Großteil Europas wird immer antirussischer werden.
Was hat Putin erreicht, indem er in Großbritannien allem Anschein nach mittlerweile etwa ein Dutzend seiner persönlichen Feinde ermorden ließ, die längst aller Möglichkeiten beraubt waren, Russland zu schaden? Man sollte doch meinen, es hätte niemand etwas davon, wenn Russland zum internationalen Outlaw wird.
Der Westen versteht Russland überhaupt nicht mehr – was nicht überraschend ist
Die Reaktion des Westens in Form von einer Ausweisung russischer Diplomaten zeugt von einer neuen Wirklichkeit, die vor allem darin besteht, dass der Westen Russland überhaupt nicht mehr versteht. Was nicht überraschend ist, denn es ist heute tatsächlich völlig unklar, was Putin will. Zum Diktator im eigenen Land werden, das nicht einmal mehr den Anschein einer Demokratie wahrt? Daran hindert ihn der Westen nicht, er versucht es nicht einmal besonders nachdrücklich. Die Sowjetunion wiedererrichten? Nur zu – fraglich ist nur, ob die zentralasiatischen Khans und Bais das wollen, bislang sehen Moskaus Versuche der Integration nicht sehr vielversprechend aus. (Die Ukraine ist ein Sonderfall, hier wäre es allerdings zielführender gewesen, mit dem ukrainischen Volk zu verhandeln anstatt mit Brüssel oder Washington.) In Russland gestohlenes Geld in Europa und anderen Offshores waschen? Ich habe bislang nichts davon gehört, dass russisches Kapital eingefroren oder Eigentum beschlagnahmt worden wäre. Weil der Westen Russland nicht versteht, geht er dazu über, Signale zu senden und anzudeuten, Putin möge doch zur Vernunft kommen: Er soll nicht einmal weniger antiwestlich werden, nur rationaler; vom Himmel auf die Erde zurückkehren, und nach Möglichkeit Chaos innerhalb der eigenen Grenzen anzetteln.
Russland ist deutlich verwundbarer
Der Kreml gibt vor, diese Signale nicht zu verstehen und handelt lieber nach dem Prinzip der „symmetrischen Reaktionen“. Doch was zu Zeiten des Kalten Krieges normal war, ist es heute nicht mehr. In den 1970ern hatten die Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei keine Villen in Südfrankreich und auch keine Firmenkonten in Luxemburg oder Delaware. Russische Betriebe waren nicht Teil von Unternehmen, die im Westen Kredite laufen hatten. Die heimische Industrie konnte die Bevölkerung mit dem Nötigsten versorgen und das, was fehlte, ließ sich über osteuropäische Satellitenstaaten beziehen. Heute ist alles anders. Russland ist deutlich verwundbarer, nicht mal so sehr durch amerikanische Atomraketen als vielmehr durch europäische Wirtschaftssanktionen.
Symmetrische Reaktionen waren brauchbar, als beide Seiten durch Interessen gelenkt waren. Handelt jedoch eine Seite aus einer banalen Kränkung heraus, werden sie kontraproduktiv. Moskau nimmt an, man würde es „hochnehmen“. Aber in Wirklichkeit bedeutet das Signal etwas anderes: Man hat mit dem Kreml nichts zu besprechen, allein die Vorstellung erscheint den meisten unangenehm. Wozu sollte man in dieser Situation in den Ländern der Gegner Botschaften haben, die stärker besetzt sind als die Auslandsvertretungen in den Ländern der treuesten Freunde?
Die Sanktionen sind quasi für immer
Will man auf Grundlage der letzten Schritte des Kreml Analogien finden, so erinnern sie weniger an die Handlungen von Chruschtschow oder Breshnew, als vielmehr an die Experimente aus der Stalinzeit: Als sowjetische Geheimdienste im Ausland [sogenannte – dek] Feinde der Revolution ausschalteten und der Kreml – trotz der nationalsozialistischen Gefahr – von den deutschen Kommunisten verlangte, nicht mit den Sozialdemokraten zu paktieren. Damals schien es, die maximale Destabilisierung der demokratischen Länder könne zu deren Kollaps und damit zur weltweiten Herrschaft des Proletariats führen.
Die Geschichte hat uns eines Besseren belehrt. Der Zusammenbruch der Weimarer Republik hat niemandem so sehr geschadet wie der Sowjetunion. Sollte die europäische Integration scheitern, wird Russland auch diesmal wohl kaum davon profitieren. Vor kurzem noch freuten wir uns über den Brexit, erinnert ihr euch? Gingen davon aus, dass ein selbstständiges Großbritannien die EU-Bürokratie schwächen würde. Allerdings sieht es bisher eher danach aus, als würde die „größere Selbstständigkeit“ des Vereinigten Königreichs seine Entschiedenheit im Vorgehen gegen Moskau verstärken, und Europa (und nicht nur Europa) scheint durchaus geneigt, den „Abtrünnigen“ zu unterstützen.
Ich kann also nur meine frühere Annahme wiederholen: Die Sanktionen gegen Russland sind quasi für immer. Denn anstatt die Ereignisse rational zu betrachten, das Für und Wider abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen, die auf Deeskalation zielt, fährt Russland fort zu provozieren, zu lügen und sich herauszuwinden. Dem Westen fällt es schwer, mit militärischen Mitteln darauf zu reagieren, und das möchte auch niemand, deswegen werden die Zeichen der Ächtung immer weiter zunehmen. Darauf sollte sich Russland einstellen – oder anfangen sich zu verändern. Aber damit ist offensichtlich nicht zu rechnen.
Es war eine konzertierte Aktion: Am Dienstag haben die USA, Kanada und mehrere europäische Länder russische Diplomaten ausgewiesen. Fast 150 Personen sind betroffen, in 26 Ländern, darunter 15 EU-Staaten. Dies ist eine Reaktion auf den Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Skripal in Südengland. Das Auswärtige Amt begründete die Ausweisungen damit, dass Russland nicht zur Aufklärung des Falls beitrage. Die Entscheidung sei nicht leichtfertig getroffen worden, aber man wolle nun „Entschlossenheit“ signalisieren. Allerdings wurden auch im Westen die Maßnahmen mitunter kritisch kommentiert, zumal es keine Beweise gibt, dass Moskau tatsächlich hinter dem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten steckt. Moskau kündigte an, die Ausweisungen würden nicht folgenlos bleiben. Bislang steht eine russische Reaktion noch aus.
Sind die Ausweisungen eine wichtige diplomatische Reaktion auf russische Herausforderungen seit 2014? Oder droht nun eine weitere Eskalation, die am Ende noch die Falschen trifft? dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte in russischen Medien.
Rossijskaja Gaseta: Schlimmer als Kalter Krieg
Der Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow scheut in der Regierungszeitung Rossijskaja Gasetaden Vergleich mit dem Kalten Krieg – die Situation sei derzeit wesentlich unberechenbarer:
[bilingbox]Die Verwendung des Ausdrucks „Kalter Krieg“ ist im Grunde ziemlich riskant. Nicht weil das eine Übertreibung wäre – vom Geist und der Atmosphäre her stimmt das alles, der Grad gegenseitiger Entfremdung ist komplett. Aber der der alte Terminus bezieht sich auf eine Situation, die vierzig Jahre zurückliegt, die sehr viel verständlicher und kontrollierbarer war, die ziemlich klaren Verhaltensregeln unterworfen war, formellen wie informellen.
Aktuell ist das völlig anders, Symmetrie ist per Definition unmöglich (die ganze Welt ist voll von Asymmetrien; die jetzige multilaterale Ausweisung [von Diplomaten – dek], bei der völlig unklar ist, wie man darauf angemessen reagieren soll, ist der beste Beweis dafür). Die Verantwortungslosigkeit der öffentlichen Erklärungen lässt einen völlig ratlos zurück. Das heißt, tatsächlich ist die Lage wesentlich schlechter.
Wenn man die Spezifika der modernen Welt berücksichtigt, ist zu erwarten, dass die Wirtschaft den hauptsächlichen Schauplatz darstellen wird. Für ein neues Bündel Sanktionen ist also praktisch schon gesorgt bis hin zu Versuchen finanzieller Erdrosselung im Stile der Maßnahmen gegen den Iran (Gruß oder eher Tschüss an das berüchtigte SWIFT-System).~~~Вообще, употребление самого понятия "холодная война" довольно рискованно. Не потому что это преувеличение – по духу и атмосфере все так и есть, степень взаимного отчуждения полнейшая. Но прежний термин отсылает к ситуации сорокалетней давности, которая была намного более понятной, управляемой и подчинялась довольно четко определенным правилам поведения – формальным и неформальным. Сейчас ничего этого нет, симметричность невозможна по определению (весь мир состоит из сплошных асимметрий и данная многосторонняя высылка, где непонятно, как вообще правильно реагировать, тому убедительное свидетельство), а безответственность публичных заявлений вызывает настоящую оторопь. Так что на деле обстановка существенно хуже. Стоит ожидать, что основным полем – с учетом специфики современного мира – будет экономика, так что новый веер санкций практически обеспечен, вплоть до попытки финансового удушения в стиле мер против Ирана (привет, точнее, пока, пресловутый SWIFT).[/bilingbox]
erschienen am 26. März 2018
Facebook/Alexander Morosow: Zivilgesellschaft als Zielscheibe
Der kremlkritische Journalist Alexander Morosow warnt auf Facebook davor, dass die Reaktion Moskaus nun genau die Falschen treffen könnte:
[bilingbox]Für die meisten europäischen Länder ist es eine symbolische Geste, weil jeweils drei bis vier Menschen ausgewiesen wurden. […] Der „symbolische Charakter“ ändert aber nichts daran, dass Moskau reagieren wird – das alles ist wie ein Schneeball, der in den letzten Jahren immer schneller größer wird.
Deshalb kann man nun alles erwarten: sowohl Restriktionen im wissenschaftlichen und studentischen Austausch als auch gegenüber den Vertretungen zivilgesellschaftlicher Organisationen europäischer Länder in Russland, von denen auch schon davor viele ihre Büros aus Moskau abgezogen haben. Das wird ein neue lange Etappe der Konfrontation.~~~Для большинства европейских стран – это символический жест, поскольку выслали по 3-4 человека. […] Но "символический характер" ничего не меняет, поскольку Москва будет отвечать – и все это как снежный ком, быстро нарастает в последние годы. Поэтому ждать можно чего угодно и в сфере ограничения научного и студенческого обмена, и в отношении представительств гражданских организаций европейских стран в России – уже и ранее многие вывели свои офисы из Москвы, – а теперь будет новый длинный этап конфронтации.[/bilingbox]
erschienen am 26. März 2018
Rosbalt: Mauer des Unverständnisses
Die Debatte ist in Russland überschattet vom Großbrand im westsibirischen Kemerowo: Nur einen Tag danach erfolgten die Diplomatenausweisungen. Der Politikwissenschaftler Iwan Preobrashenski stellt auf Rosbalt fest, dass dies in westlichen Medien kaum Thema ist:
[bilingbox]Tatsächlich war früher alles deutlich anders. Zum Beispiel hat die Tragödie von Beslan Europa buchstäblich erschüttert, obwohl der Großteil der westlichen Presse Russland hart verurteilte für den Krieg in Tschetschenien. Für die Kinder aus Beslan gibt es heute Denkmäler in Europa, und die Erinnerung an diese Tragödie ist lebendig. Über die in Flammen gestorbenen Kinder aus Kemerowo erfahren viele Europäer aber schlicht nichts, weil in der Zwischenzeit eine Mauer des Unverständnisses, der Angst und des Misstrauens zwischen Russland und Westeuropa gewachsen ist.~~~Раньше, надо отметить, все было заметно иначе. Например, трагедия Беслана буквально потрясла Европу, и это несмотря на то, что ранее западная пресса в большинстве своем жестко осуждала Россию за войну в Чечне. Памятники детям Беслана есть сегодня во многих европейских странах и память об этой трагедии жива. А вот о сгоревших кемеровских детях многие европейцы видимо просто не узнают, потому что между Россией и западной частью европейского континента выросла за эти годы стена непонимания, страха и недоверия.[/bilingbox]
erschienen am 26. März 2018
Izvestia: Spektakel der Theresa May
In der kremlnahen Izvestia sieht Politologe Jewgeni Krutikow das Vorgehen als außenpolitisches Ablenkungsmanöver einer innenpolitisch angeschlagenen Theresa May:
[bilingbox]Wahrscheinlich wird es irgendeine Fortsetzung geben, ein Einfrieren irgendwelcher „toxischer“ russischer Vermögen. Doch das wäre das Höchstmaß des Spektakels einer Theresa May, die es nicht geschafft hat, eine Margaret Thatcher zu werden. Sie hat keine weiteren Möglichkeiten in petto. Nun, dann kommt Prinz Harry eben nicht zur Fußballweltmeisterschaft nach Moskau, dafür werden die Engländer mit großer Wahrscheinlichkeit die Vorrunde nicht überstehen. Sie sorgen sich schon jetzt um „die Sicherheit ihrer Familien“ in Moskau, die Ärmsten. Nun, dann fragen Sie mal Ihre Premierministerin, warum sie in der Welt Dummheit und Inkompetenz verbreitet.~~~Возможно, последует некое продолжение в виде ареста каких-то «токсичных» российских активов. Но всё это максимум того спектакля, который разыгрывается с подачи так и не ставшей Маргарет Тэтчер Терезы Мэй. Никаких дальнейших шагов в ее арсенале нет. Ну не приедет принц Гарри в Москву на чемпионат мира по футболу, так и англичане, скорее всего, из группы не выйдут. Они уже сейчас переживают «за безопасность своих семей» в Москве, бедняжки. Ну так и спросите со своего премьер-министра, зачем она разгоняет по миру глупость и некомпетентность.[/bilingbox]
erschienen am 26. März 2018
Facebook/Maria Sacharowa: Alle für einen, der eine für keinen
Außenamtssprecherin Maria Sacharowa wundert sich auf Facebook über so viel europäische Solidarität mit den Briten – angesichts des Brexit:
[bilingbox]Wenn London nicht mehr in der EU ist, wird es nicht nicht mehr an Verpflichtungen im Rahmen des einheitlichen außenpolitischen Kurses gebunden sein. Wenn es will, beginnt ein Spiel der Annäherung, wenn es will, entfernt es sich. Tja, und die in der Europäischen Union verbleibenden Staaten werden weiterhin gebunden sein an die Sippenhaft der antirussischen Solidarität, die ihnen seinerzeit von den Briten aufgehalst wurde. Alle für einen, der eine für keinen – das ist die neue Devise, die Brüssel von London geschenkt bekommen hat.~~~Когда Лондон из ЕС выйдет, его ничто не будет связывать обязательствами в рамках единого внешнеполитического курса. Захочет — начнет игру на сближение, захочет — на удаление. А вот оставшиеся в Европейском союзе страны так и будут связаны круговой порукой антироссийской солидарности, навязанной когда-то британцами. Один их всех, и все под одного — новый девиз, подаренный Лондоном Брюсселю.[/bilingbox]
erschienen am 26. März 2018
RBC: Angestauter Ärger
Die Politologin Tatjana Stanowaja sieht auf RBC die diplomatische Reaktion des Westens dagegen nicht allein als Reaktion auf den Fall Skripal:
[bilingbox]Die Ausweisung der Diplomaten sollte nicht zu sehr als Reaktion auf die Ereignisse von Salisbury gesehen werden, sondern vielmehr als angesammelte Verärgerung und Besorgnis bezüglich Russlands in Post-Krim-Zeiten. Die Ausweisung der Diplomaten ist nur der Anfang eines tiefgreifenden Prozesses, in der der außenpolitische Einfluss Russlands vom Westen kanalisiert wird und das Land [Russland – dek] sich als Reaktion darauf selbst isoliert.~~~Высылку дипломатов следует понимать не столько как ответ на события в Солсбери, а как проявление накопившегося раздражения и опасений, связанных с Россией посткрымского периода. Высылка дипломатов — только начало более глубокого процесса канализации Западом внешнего влияния России и ответной самоизоляции страны.[/bilingbox]
Der Fall Leonid Sluzki schlägt immer höhere Wellen. Dem Duma-Abgeordneten der LDPR wird vorgeworfen, im Parlament akkreditierte Journalistinnen mehrfach sexuell belästigt zu haben. In einem Fall hat die russische BBC Sluzkis Übergriffigkeit per Audiomittschnitt dokumentiert (siehe auch unsere Debattenschau zum Thema). Am Mittwoch hatte sich nun der Ethikrat der Duma mit der Angelegenheit beschäftigt, konnte jedoch keinerlei „Verletzung von Verhaltensnormen“ feststellen.
Dies sorgte bei vielen Journalisten für große Empörung. Innerhalb kürzester Zeit verkündeten über 20 russische Medien – darunter Kommersant, Vedomosti, Novaya Gazeta, Meduza und viele weitere auf dekoder vertretene – die Zusammenarbeit mit der Staatsduma einschränken oder gar vollständig boykottieren zu wollen: Sekret Firmy beispielsweise schreibt fortan hinter jeder Erwähnung der Duma den Zusatz: „(Staatsorgan, das sexuelle Belästigung rechtfertigt)“,RBC, Echo Moskwy und eine Reihe weiterer Medien haben ihre parlamentarischen Korrespondenten abgezogen, da die Duma „kein sicherer Ort für Journalisten“ sei, wie Echo-Chefredakteur Alexej Wenediktow erklärt.
Olga Beschlej, Chefredakteurin von Batenka, beschreibt in einer Kolumne auf Colta, warum sie bei der Solidaritätsaktion Stolz empfindet auf die Presse in Russland.
Weit über 20 russische Medien verkündeten, ihre Zusammenarbeit mit der Staatsduma einschränken oder boykottieren zu wollen
Hilflosigkeit ist das Gefühl, das wir hier allzu oft empfinden. Ein Gefühl, das uns schon seit allzu langer Zeit aufgezwungen wird.
Ja, eine Gruppe von Menschen versucht ständig etwas zu unternehmen – eine Gruppe, die sogar selbst gar nicht sagen kann, welchen Anteil der Bevölkerung sie ausmacht, weil die Umfragen sie genauso belügen, wie sie den Präsidenten belügen. Diese Menschen – zu denen manchmal auch ich gehöre – unterschreiben Petitionen, machen Einzelproteste, gehen zu Demonstrationen, schreiben Texte, kratzen an den Türen von Diensträumen [hoher Beamter – dek]. Und jedes Mal dasselbe Gefühl: Von uns hängt gar nichts ab, wir können nur bitten und krakeelen, bitten und krakeelen. Und weiter Spiele spielen, deren Regeln von Betrügern gemacht werden.
Aber Hilflosigkeit wird durch aktives Handeln überwunden. Deshalb ist die Geschichte mit dem Abgeordneten Sluzki und jenem Konflikt mit der Duma, auf den sich Journalistinnen, Journalisten und ganze Redaktionen eingelassen haben, weitaus bedeutender als eine Geschichte über einen Rüpel und seine Maßlosigkeit.
Es ist auch ein Aufstehen gegen Machtmissbrauch. Auch ein Aufstehen gegen die Gewalt der Privilegierten und im Grunde auch gegen jedwede andere Gewalt. Es ist ein Aufstehen gegen gegen das herrische, konsumistische Verhältnis der Machthaber gegenüber allen anderen.
Es ist eine Geschichte darüber, dass die Geduld zu Ende geht.
Denn es gab in den letzten 18 Jahren eigentlich genug Gründe, Journalisten aus dem intransparent und unehrlich arbeitenden Parlament abzuziehen. Aus einem Parlament, das Gesetze verabschiedet hat und verabschiedet, die die Meinungsfreiheit beschneiden. Es gab auch so schon genug Gründe dafür, dass das Land aufhört, die Lügen, Rüpeleien, Gewalt und Dieberei zu tolerieren.
Niemand sollte in einem Organ der Staatsmacht arbeiten, das sexuelle Belästigung rechtfertigt. Und genau so sollte man meiner Meinung nach nicht in einem Organ der Staatsmacht arbeiten, das ein Gesetz über die Entkriminalisierung von häuslicher Gewalt verabschiedet hat.
Ich weiß nicht, ob es den Journalisten gelingen wird, im Fall Sluzki hinreichend Druck auszuüben, wenn man bedenkt, dass die Staatsmacht ihre Leute unter dem Druck der Gesellschaft nie im Stich lässt. Aber dass die Journalisten sich auf diesen Konflikt eingelassen haben, lässt einen stolz sein auf die Presse in Russland. Das ist schon keine Hilflosigkeit mehr.
Und auch kein Spiel nach aufgezwungenen Regeln.
Mich befremden die Befürchtungen einiger Menschen, dass wir ohne Journalisten in der Duma eine Informationsquelle verlieren würden. Ein professioneller Journalist – und alle Redaktionen, die ihre Kollegen abgezogen haben, sind zweifellos sehr professionell – findet Wege, um von Gesetzesinitiativen nicht nur in der unteren Kammer des Parlaments zu erfahren. Um so mehr, da die wichtigsten Gesetze nicht von Abgeordneten der Staatsduma geschrieben, sondern von der Präsidialadministration lanciert werden.
Und schließlich: Die hochkarätigste, wertvollste und gesellschaftlich wichtigste Arbeit von Journalisten in Russland findet nicht in den Räumen der Staatsduma statt. Sie findet statt bei Recherchen jener Geschichten, über die die Abgeordneten sich ausschweigen. Wenn daher in meiner Redaktion ein parlamentarischer Journalist gebraucht würde – dann nur, um ihn von dort abzuziehen.