Unsere Chefredakteurin Tamina Kutscher verlässt dekoder zum 1. Februar 2023. Hier verabschiedet sie sich von euch Leserinnen und Lesern – und wir danken ihr für sieben gemeinsame Power-Jahre.
Liebe dekoder-Leserinnen und -Leser,
zum 1. Februar werde ich nicht mehr Teil von dekoder sein. Dies zu schreiben fällt mir nicht leicht. dekoder war nie nur ein Job für mich. Seit dekoder-Gründer Martin Krohs mich Anfang 2016 als Chefredakteurin ins damals drei Monate junge Projekt geholt hat, war dekoder eine Aufgabe, die mich voll gefordert und erfüllt hat.
Was heißt es, Russland zu entschlüsseln? Das wurde ich sehr oft gefragt in den letzten sieben Jahren. Auf dekoder heißt es, genau hinzuhören – auf den unabhängigen Diskurs, den wir ins Deutsche bringen. Und gleichzeitig, zu hinterfragen, zu kontextualisieren und einzuordnen – mittels Fakten und Expertise aus der Wissenschaft. Mit allzu einfachen Antworten geben wir uns auf dekoder nicht zufrieden, auch unsere Leserinnen und Leser nicht. In sieben Jahren ging es auch darum diesen dekoder-Geist, den Martin Krohs dem Projekt eingehaucht hat, weiterzutragen: Es sind zahlreiche neue Formate entstanden, ein Buch (und ein zweites ist auf dem Weg), wir haben einen russischsprachigen Europa-dekoder und einen Belarus-dekoder aus der Taufe gehoben, ein ganzes dekoder-lab und viele unterschiedliche Specials. Zwei Grimme Online Awards und der Friedrich-Wilhelm-Fricke-Preis waren uns dabei wichtige Anerkennung und Ansporn.
Der nahe und gleichzeitig analytische Blick, den dekoder bietet, auf Russland, auf Belarus und auf Europa, ist mit Sicherheit jetzt besonders wichtig, da Russland in der Ukraine einen schrecklichen Krieg führt. Wir merken es an den vielen Anfragen, die dekoder gerade seit dem 24. Februar 2022 erreichen, und auch an den deutlich gestiegenen Zugriffen auf unsere Seite.
Und doch: Für mich ist es nun Zeit zu gehen. Nach sieben ereignis- und erfolgreichen Jahren in einem großartigen Team gilt es, Neues zu wagen. Im Moment blicke ich erwartungsfroh auf noch Unbekanntes, als Journalistin werde ich mich auf jeden Fall weiterhin mit Gesellschaft und Medien in Russland/Osteuropa beschäftigen.
dekoder weiß ich dabei in Händen eines wunderbaren Teams, unterstützt von euch allen, interessierten, im besten Sinne kritischen und treuen Leserinnen und Lesern. Und ich weiß auch: Wohin mich der Weg auch führen mag, ich bleibe dekoderщik im Herzen.
Und wir alle wissen: Man sieht sich im Leben immer zweimal. Wann und wo auch immer – ich freue mich schon darauf!
Danke für alles.
Tamina
Liebe Tamina,
dieser Abschied fällt auch uns als Redaktion nicht leicht. In sieben Jahren haben wir gemeinsam ein Medium aufgebaut, haben angesichts von Krieg und immer neuen Repressionen Wut und Entsetzen geteilt, sind ausgerastet vor Freude, als wir diverse Preise erhalten haben, haben gemeinsam geflucht über „Bleiwüsten“ und „Textriemen“ (bzw. „RIEMEN“ in deiner Schreibweise), haben mit unseren tollen Übersetzerinnen und Lesern (leider viel zu selten!) Klubabende bis in die Nacht gefeiert, haben über das dekoder-lab weitere Brücken in die Wissenschaft errichtet, …
All das wäre niemals möglich gewesen ohne dich, liebe Tamina, ohne deinen unermüdlichen Einsatz als Chefredakteurin. Mit deiner fachlichen Kompetenz, deiner journalistischen Feinfühligkeit und Erfahrung hast du dekoder federführend zu einem professionellen Medium mit starken Partnern gemacht – ein Medium, das heute gefragter ist denn je.
Auf die intensiven Jahre und das gemeinsam Erreichte können wir voll Dankbarkeit zurückblicken. Und genau deswegen können wir auch trotz Abschiedsschmerz mit Zuversicht auf das Kommende blicken – sowohl bei dekoder als auch für deine Zukunft. Вперед!
Deine dekoderщiki
Alena, Anton, Bianca, Daniel, Ingo, Mandy, Leonid, Rike und Martin
Oh, darf ich (Martin) noch ein PS?
Liebe Tamina! Lass mich nur drei Sätze noch ergänzen – persönliche. Nach innen wie nach außen hast du dekoder verkörpert, wie es sich kein Gründer besser wünschen kann. Was für ein Glück, dass du bereit warst, diese Aufgabe zu übernehmen. Nicht nur als hochprofessionelle Fachperson – das steht sowieso außer Zweifel –, sondern auch als leuchtende Persönlichkeit, deren Integrität, Format, frische Gelassenheit und natürliche Souveränität uns alle um dich herum immer wieder beeindruckt und berührt.
Du wirst diesem Projekt sehr fehlen, publizistisch wie menschlich. Diese sieben Jahre hast du geformt, ja: geprägt. Sie werden weiter glänzen. Das Allerbeste dir. Hab größten Dank!
Dem ferner rückenden Russland wieder näher kommen – das ist Ziel, Sinn, Wesenskern und Ursprung von dekoder. In fast fünf Jahren haben wir im weltweiten Internetz einen Kosmos aufgespannt aus Bildern, Berichten, Interviews, Reportagen, Kommentaren, Gnosen. Es ist ein komplexes Netz, es bedarf konzeptioneller Jonglierkunst – und wir sind die umtriebigen Jongleure für die russische Wirklichkeit.
Doch manchmal möchte man die Bälle ruhen lassen. Zuweilen durchzog uns ein sehnsüchtiger Seufzer, wenn wir uns ausmalten, wie wir das, was wir hier vielstimmig in den Online-Kosmos schicken, ganz ruhig und sanft und klar zwischen zwei Buchdeckel verpacken.
Und so machten wir uns auf den Weg. Zunächst brauchte es einen Verlag, der versteht, was dekoder will und mit dem es Freude macht, das Aus-online-mach-analog-Experiment anzugehen. Diesen Verlag gab es, er heißt Matthes & Seitz Berlin und besticht durch sein vielstimmiges und kluges, begeisterndes und modern kuratiertes Programm. Vielstimmig, klug, begeisternd und modern kuratiert – das ist auch dekoder. Das passte zusammen.
Der nächste Schritt bestand dann darin, einen Textkörper zusammenzubauen, der die mittlerweile fast fünf Jahre dekoder abbildet: das, was in Russland passiert ist, das, was Russland ausmacht, das, was in Russland gedacht wird und nicht zuletzt das, was in Russland zu sehen ist.
Und jetzt ist es da: das aktuelle Vademecum zu dem Riesenland im Osten, das wir lieben, mit dem wir leben und arbeiten. Und zwar gerne, jeden Tag – und da ist es schön, wenn man mal, statt auf den Bildschirm zu starren, einfach zum dekoder #1 greifen, und darin beglückt blättern und selig lächelnd lesen kann.
Das Coverfoto von Anastasia Khoroshilova war übrigens als letzter Streich ein „Genau, das ist es“. Es leuchtet aromatisch und lecker. Und ist somit hoffentlich ein genaues Abbild des Buchinhalts.
Lasst es euch gut gehen bei der Offline-Lektüre, die sich gerade dann lohnt, wenn man dekoder sonst immer online genießt … und die in Zeiten von offizieller Verwirrung einen informierten Überblick schafft.
Have a good read! Das wünschen euch Tamina und Rike
PPS: Eine Klub-dekoderin schrieb uns: „Hier der Kommentar meines Mannes, den ich genötigt habe, das Buch zu lesen: ,Der Band hat mir jetzt ein Studium in Osteuropäischer Geschichte erspart.‘“
liebe Leser, die beiden hätten auf Facebook wohl den Beziehungsstatus „es ist kompliziert“. Es ist eine Beziehung, die viele beschäftigt. Und bei der oft alte Ängste wieder hochkommen – sodass es manchmal schwierig scheint, sich ein Bild zu machen. Wir haben auf dekoder über die letzten Monate viele interessante Texte veröffentlicht, die das Bild klarer werden lassen.
Russland und der Westen – da fragt man sich inzwischen: Wer ist er denn, „der Westen“? Die Spaltungen gehen ja schon lange nicht mehr zwischen Ost und West, sie gehen durch einzelne Gesellschaften, ja durch einzelne Gesellschaftsschichten hindurch. Wie gut es das System Putin versteht, diese Spaltungen für sich zu nutzen, davon spricht der Politologe Sergej Medwedew in seinem Essay Exportgut Angst.
Auch Michail Korostikow beschreibt auf der Seite des Moskauer Carnegie Zentrums, wie leicht es die russische Staatsführung schafft mit Drohgebärden, die eigentlich aus einer Schwäche heraus entstehen, in westlichen Gesellschaften alte Ängste neu zu entfachen. Wobei, wie er schreibt, auch die westliche Medienwelt gern „belanglose Geschichten aufbläht zu echten James-Bond-Comics“.
Da weltweit auch populistische Bewegungen erstarken, wäre es vor diesem Hintergrund eigentlich naheliegend, Putin als einen Populisten zu begreifen. Dieser Schluss führt aber in die Irre, meinen Grigori Judin und Ilja Matwejew in: Warum Putin kein Populist ist.
Dennoch schafft Putin es immer wieder, antiwestliche Ressentiments in der russischen Gesellschaft anzuheizen. Russland sei eine vom Westen „belagerte Festung“, der Westen wirke „der Wiedergeburt Russlands als Supermacht entgegen“. Als Lösung dieses Konflikts schlägt Putin eine neue Weltordnung vor. Und holt damit eigentlich nur die verstaubte Breschnew-Doktrin aus der Mottenkiste, meint der Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow.
Gleichwohl gelingt es der russischen Staatsmacht immer wieder, einen Keil zwischen die westlichen Länder zu treiben. Sei es das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 oder die Frage nach Sanktionen gegen Russland: Europäische Politiker zeigen sich immer wieder uneinig. Nicht zu übersehen sind aber auch Versuche, die einzelnen Gesellschaften im Westen zu entzweien: Die Machenschaften der sogenannten Trollfabrik im US-Wahlkampf ist nur eines der Beispiele.
Über den tatsächlichen Umfang und die praktischen Auswirkungen solcher Versuche gibt es bislang nur Schätzungen. Diese Versuche gibt es aber, und es ist nachvollziehbar, warum die westlichen Länder sich zu Reaktionen genötigt fühlen.
Dass diese Reaktionen manchmal aber unverhältnismäßig ausfallen, das hat der Fall von Russia Today (RT) gezeigt. Im November 2017 musste sich nämlich dieser russische Auslandssender als ausländischer Agent in den USA registrieren. Die russische Reaktion folgte prompt und wie üblich nach dem Muster „Bomben auf Woronesh“: Die eilig beschlossenen Gegenmaßnahmen haben das Potenzial, die verbliebenen kritischen Medien in Russland noch mehr in die Mangel zu nehmen.
Wir merken jedenfalls: All diese Fragen machen den dekoder umso wichtiger. Wenn Ihr das ebenfalls meint und unsere Arbeit unterstützen wollt, dann werdet doch Mitglied in unserem dekoder-Klub!
Wir freuen uns auf Euch,
Tamina Kutscher (Chefredakteurin) und Anton Himmelspach (Politikredakteur)
dekoder übersetzt russische Medien, die nicht (oder zumindest nicht direkt) vom Staat kontrolliert werden. Aber gibt es überhaupt unabhängige Medien in Russland? Das werden wir immer wieder gefragt.
Tatsächlich dominiert in Russland das Staatsfernsehen: In dem großen Land mit elf Zeitzonen und rund 144 Millionen Einwohnern erreicht es nahezu jeden Haushalt. Und Staatsfernsehen ist etwas anderes als öffentlich-rechtliches Fernsehen, es steht unter direkter Kontrolle und Einfluss des Kreml. (Hier kommentiert Blogger Alexej Kowaljow Putins Aussage „In Russland kontrolliert der Staat die Medien nicht“.)
Aber dennoch gibt es unabhängigen Journalismus. Er spielt sich vor allem online ab, darf allerdings gewisse Grenzen und „Linien“ nicht überschreiten – dazu gehört auch, dass er sich nur in einer Nische bewegen und eine bestimmte Reichweite nicht übersteigen sollte. Die Trennlinie zwischen direkter und indirekter Kontrolle ist allerdings nicht immer scharf zu ziehen. So gibt es auch Selbstzensur in strukturell unabhängigen Medien und auch mal kritische Stimmen in staatsnahen Medien. Unser Dossier „Alles Propaganda?!“ bietet einen Überblick über die russische Medienlandschaft, über die ich auch am 14. Juli auf der JOE-Tagung an der Universität Köln diskutieren werde, gemeinsam mit Dr. Rolf Mützenich (SPD) und Sergei Tereshenkov (EU Russia Civil Society Forum). Mehr dazu, wie dekoder die Medien auswählt, die es übersetzt, finden Sie hier.
So verstehen wir uns bei dekoder als Sprachrohr für unabhängige Stimmen aus Russland – aber nicht nur: In unseren Debattenschauen bilden wir auch Staatsmedien ab und sehen uns generell als ein Forum, das die Interferenzen im russischen Diskurs einem deutschsprachigen Publikum zugänglich macht. Denn wer dekoder liest, der weiß: Auch die unabhängigen Stimmen sprechen nicht immer aus einem Mund.
Wie solche – im besten Sinne – alternativen Medien wie dekoder finanziert werden könnten, weshalb Journalismus nicht nur der Information dient, sondern ein Kulturgut ist und welche Rolle gemeinnütziges Geben im Journalismus spielen kann: Zu diesen Themen hat sich dekoder-Herausgeber Martin Krohs unlängst in einem Artikel mit dem Titel Medien, Geld und Gebescham Gedanken gemacht.
Diejenigen Stiftungen, die derzeit Themendossiers und andere Projekte bei uns fördern, finden Sie nun auf unserer Startseite – einfach mal nach unten scrollen. Wir freuen uns sehr über diese großartigen Partner und ihre Unterstützung! Einen herzlichen Dank außerdem allen Lesern, die mit ihren Spenden dazu beitragen, dass wir unsere tägliche Arbeit machen können.
Auf Ihren vielfachen Wunsch hin gibt es nun übrigens auch die Möglichkeit, direkt auf der Startseite unsere einzelnen Rubriken aufzurufen. Schauen Sie mal oben rechts …
Gefunden?! Na, dann: Viel Spaß beim Lesen, Schauen und Hören,
начинается, es geht los, und das in vielerlei Hinsicht: Nicht nur die Sommersonne lacht endlich vom Himmel, auch bei dekoder tut sich viel Neues und Erfreuliches.
Zu jedem Thema bringen wir mehrere und unterschiedliche Stimmen: aus staatlichen wie unabhängigen Medien, aber auch Social Media und Blogs. Dazu stellen wir übersetzte Textausschnitte: In einer Box können Sie jeweils zwischen dem Original-Absatz und seiner Übersetzung hin und her schalten (und unseren Übersetzern auf die Finger gucken). Diese Änderungen geben uns die Möglichkeit, den Fokus zu weiten und die russischen Medien-Debatten zu einzelnen, aktuellen Themen für Sie in ihrer ganzen Breite abzubilden.
Zu den Besonderheiten von dekoder zählt sein hybrides Format, der Mix aus Artikeln und Gnosen. Das spiegeln auch Sie uns immer wieder, wenn Sie uns etwa auf neue Gnosen-Themen aufmerksam machen. Diesen Dialog mit Ihnen wollen wir in Zukunft ein bisschen weiter treiben: In den nächsten Tagen werden wir eine kleine Umfrage auf Facebook starten, welche Gnose Sie auf dekoder gerne lesen möchten. Wir freuen uns schon auf Ihre Vorschläge!
Und weil Festivals mindestens so zum Sommer gehören wie pivo und moroshenoje (Bier und Eis), gibt es bei uns diesen Monat Sommer, Sonne, Groove satt – in unserem aktuellen Visual von Fotograf Nikita Shokhov. Er hat die besondere Festival-Mischung aus Sex, Drugs and Rock’n’Roll mit direktem Blick eingefangen: nackte, tanzende Körper, ausgelassenes Feiern und die Stille abseits am See.
Aufregend wird es für uns nochmal am Monatsende: Am 24. Juni wird der Grimme Online Award in Köln vergeben. dekoder ist nominiert – drücken Sie uns also die Daumen und wir freuen uns, wenn Sie hier bis einschließlich 16. Juni für uns abstimmen. Herzlichen Dank!
In jedem Fall: Auch Ihnen einen spannenden Sommeranfang mit viel Rock’n’Roll, pivo und moroshenoje,
Lange war darauf hingearbeitet worden: Am Mittwoch dieser Woche, dem 25. Mai, durfte die ukrainische Militärpilotin Nadija Sawtschenko in die Ukraine ausreisen.
Sie war zwei Jahre in Russland festgehalten und im März zu 22 Jahren Haft verurteilt worden. Nun wurde sie gegen die russischen Staatsbürger Alexander Alexandrow und Jewgeni Jerofejew ausgetauscht. Die beiden waren 2015 im Donbass aufgegriffen worden. Ihnen wurde vorgeworfen, als Angehörige des russischen Militärgeheimdienst gegen die Ukrainische Armee gekämpft zu haben, was Moskau allerdings bestritt. Ein Kiewer Gericht hatte sie noch im April zu je 14 Jahren Haft verurteilt.
Sawtschenko war während ihrer Gefangenschaft zur Ikone in ihrer Heimat aufgestiegen: In Abwesenheit wurde ihr etwa die Auszeichnung „Heldin der Ukraine“ verliehen. Im Fall Jerofejew/Alexandrow dagegen hatte Moskau vor allem betont, dass sie als Freiwillige in der Ukraine gekämpft, ihren Dienst in Russland zuvor quittiert hätten. Offiziell sind keine russischen Einheiten vor Ort.
Entsprechend fiel der Empfang für die drei Freigelassenen in ihren Heimatländern jeweils sehr unterschiedlich aus: Sawtschenko wurde von Präsident Petro Poroschenko und weiteren hochrangigen Politikvertretern geradezu triumphal willkommen geheißen, Jerofejew und Alexandrow dagegen in Moskau lediglich von ihren Frauen begrüßt.
International fand die Freilassung große Resonanz. Hochrangige Politiker, darunter der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, äußerten die Hoffnung, dass der Gefangenenaustausch sich auch auf die weitere Lösung des Konflikts positiv auswirke.
Rossijskaja Gaseta: Auf Wunsch der Hinterbliebenen
Der Kreml betonte, dass die Freilassung vor allem den Hinterbliebenen der – laut Anklage von Sawtschenko – getöteten Medienleuten zu verdanken sei. Die Witwe und die Schwester zweier Verstorbener hätten Putin bei einem Treffen um Begnadigung Sawtschenkos gebeten und so einen Gefangenenaustausch erst ermöglicht. Die Rossijskaja Gaseta, Amtsblatt der russischen Regierung, berichtet:
[bilingbox]Wie der Pressesprecher des Präsidenten Dimitri Peskow erklärte, „waren dem Treffen Schreiben der genannten Personen vom 22. und 23. März an das Staatsoberhaubt vorausgegangen, in denen sie, Marianna Dimitrijewna und Jekaterina Sergejewna, aus humanitären Erwägungen den Präsidenten darum bitten, Sawtschenko zu begnadigen.“ Das Staatsoberhaupt unterschrieb einen Ukas über die Begnadigung der ukrainischen Pilotin.~~~Как пояснил пресс-секретарь президента Дмитрий Песков, „этой встрече предшествовали обращения на имя главы государства от упомянутых родственниц, которые были написаны еще 22 и 23 марта соответственно, в котором Марианна Дмитриевна и Екатерина Сергеевна исходя из соображений гуманности просят президента помиловать Савченко“. Глава государства подписал указ о помиловании украинской летчицы.[/bilingbox]
Slon.ru: Verlegenes Schweigen
Nun sind auch die beiden Gefangenen Jerofejew und Alexandrow wieder in ihrer Heimat – Russland wisse jedoch einfach nicht, wie es mit ihnen umgehen soll, kommentiert Oleg Kaschin auf dem unabhängigen Portal Slon.ru:
[bilingbox]Jewgeni Jerofejew und Alexander Alexandrow sind für Russland nicht einfach nur keine Helden, sondern es ist völlig unklar, wer sie überhaupt sind – im besten Fall Opfer des ukrainischen, repressiven Systems . […]
Das verlegene Schweigen, mit dem Russland Nadeshda Sawtschenko zum Flugzeug begleitet und mit dem es zwei der eigenen Staatsbürger mit unklarem Status empfängt – das ist vielleicht die wichtigste psychologische Folge des Donbass-Krieges für Russland. Der hat Russland gelehrt, verlegen zu schweigen. Und begleitet von diesem Schweigen müssen wir nun immer weiterleben.~~~Евгений Ерофеев и Александр Александров для России не просто не герои, а вообще непонятно кто, в лучшем случае жертвы украинской репрессивной системы. […]
Неловкое молчание, которым Россия провожает Надежду Савченко и встречает двух своих граждан с непонятным статусом, – это, может быть, главное психологическое последствие донецкой войны для России. Она приучила Россию неловко молчать, и под аккомпанемент этого молчания нам еще жить и жить.[/bilingbox]
Spektr: Nadeshda, halte durch!
Auch der Journalist und Kriegsreporter Arkadi Babtschenko vergleicht die unterschiedliche Art und Weise, mit der Sawtschenko, Jerofejew und Alexandrow in ihren Heimatländern jeweils empfangen werden. Auf dem russischen Exil-Medienprojekt Spektr, das unter dem Dach einer lettischen Medien-NGO firmiert, warnt er Sawtschenko:
[bilingbox]Meiner Meinung nach beginnt für die ukrainische Gesellschaft im Fall Sawtschenko jetzt tatsächlich eine der schwierigsten Zeiten: die Entheiligung. Denn ein lebender Mensch wird niemals dem von der Gesellschaft für ihn erdachten Bild entsprechen – und das ist für viele schmerzhaft und schwer. Für manche mag es gar wie Verrat wirken. Und nach Sawtschenkos Temperament zu urteilen – geradeheraus, harsch und nicht gewohnt, sich in Worten und Taten zurückzunehmen – wird sie diesen Vorgang nur beschleunigen.
Also, Nadeshda, halte durch: Jetzt werden sie dich so richtig in die Mangel nehmen, wie noch nicht mal vorm Kadi in Donezk.~~~На мой взгляд, для украинского общества в вопросе Савченко теперь вообще начинается один из самых трудных периодов — деканонизация. Потому что живой человек никогда не будет соответствовать придуманному ему обществом образу, а это для многих очень болезненно и тяжело. А кем-то воспринимается даже как предательство. И, судя по характеру Надежды — прямому, резкому, не привыкшему сдерживать себя ни в словах, ни в поступках — она этот процесс только ускорит.
Так что, Надежда, держись: как теперь тебя начнут «полоскать» — не полоскали даже на судилище в Донецке.[/bilingbox]
TASS: Guter Anfang
International wurde der Gefangenenaustausch immer wieder mit der Hoffnung auf weitere Fortschritte im Rahmen der Minsker Vereinbarungen verbunden. Ähnlich äußerte sich auch Pawel Krascheninnikow, Chef des Duma-Ausschusses für Gesetzgebung, den die staatliche Nachrichtenagentur TASS zitiert:
[bilingbox]„Wir lassen unsere Leute nicht im Stich. […] Sowohl im Fall Sawtschenko als auch bei unseren Jungs wurden alle Verfahrensweisen eingehalten. Alles wurde im Einklang mit der Russischen Verfassung und den Rechtsnormen durchgeführt“, erklärte Krascheninnikow gegenüber der Nachrichtenagentur TASS.
Ihm zufolge sei das ein Ausdruck für die immer noch bestehende Möglichkeit eines Dialogs zwischen Russland und der Ukraine auf völkerrechtlichem Gebiet. „Es ist durchaus erfreulich, dass es auf juristischer Ebene Kontakt zwischen den Ländern gibt“, fügte Krascheninnikow hinzu.~~~„Мы своих не бросаем. […] А в случае и с Савченко, и с нашими ребятами все процедуры были соблюдены. Все было проведено в соответствии с Конституцией РФ и правовыми нормами“, – заявил Крашенинников ТАСС.
По его словам, это говорит о сохраняющейся возможности диалога между Россией и Украиной в международно-правовой сфере. „Не так плохо, что есть контакт в правовой области“, – добавил Крашенинников.[/bilingbox]
Vedomosti: Kein großer Schritt vorwärts
Die Autoren der regierungsunabhängigen Tageszeitung Vedomosti dagegen warnen vor allzu großen Hoffnungen:
[bilingbox]Die Rückkehr von Sawtschenko sowie Jerofejew und Alexandrowitsch zeigt wohl eher, dass Fortschritt prinzipiell möglich ist. Was die Erfüllung des Minsker Abkommens angeht, ist es ein Schritt vorwärts, aber kein großer. Zumal das Minsker Abkommen einen gleichzeitigen Austausch „aller gegen alle“ vorsieht. Andererseits ist nun auch möglich, dass sich etwas bewegt in den Fällen anderer Gefangener, die es auf beiden Seiten gibt. […] Hat der Kreml Sawtschenko ausgetauscht für eine Lockerung der Sanktionen im Gegenzug? Da wird sich in den nächsten Monaten nichts bewegen. Das ist erst für das Jahr 2017 realistisch, sofern es weitere Fortschritte bei der Konfliktlösung gibt. Vorerst hat sich Russland vor allem damit hervorgetan, dass es Humanität gezeigt hat.~~~Возвращение Савченко и Ерофеева с Александровым скорее обозначает принципиальную возможность прогресса. Это шаг вперед в плане выполнения минских соглашений, но небольшой. Тем более что минские соглашения предусматривают обмен „всех на всех“ и одномоментно. С другой стороны, теперь возможны подвижки в делах других кандидатов на обмен, которые есть с обеих сторон. […] Обменял ли Кремль Савченко на ослабление санкций? Не в ближайшие месяцы. Реалистичный срок при условии прогресса в урегулировании – 2017 год. А пока главная награда для России – ощущение проявленного гуманизма.[/bilingbox]