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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Wie kann man zum post-roten Menschentyp durchdringen?”

    „Wie kann man zum post-roten Menschentyp durchdringen?”

    Der „rote Mensch“ ist das Lebensthema von Swetlana Alexijewitsch. Warum hat der homo sovieticus das Ende der Sowjetunion überlebt und sorgt in seiner Untertänigkeit auch für die Stabilität eines Systems Putin? Bei einer Diskussion, die Mitte Juni 2025 in Warschau stattfand, reflektierte die belarussische Literaturnobelpreisträgerin über diese Frage. Das Online-Portal GazetaBY hat Alexijewitschs Antwort veröffentlicht.

    Swetlana Alexijewitsch vor einer Lesung in Stockholm am 24. März 2025. / © Foto Viktoria Bank/ TT/ Imago 

    „Trotz 21. Jahrhundert leben wir immer noch in einer Art neuem Mittelalter“, sagte Swetlana Alexijewitsch bei einer Lesung in Warschau, die von Euroradio übertragen wurde. „Vor 30 Jahren waren wir alle naiv. Wir dachten, der Kommunismus ist tot, diese ‚rote Idee‘ ist tot und auch der ‚rote Mensch‘, der von ihr verschluckt wurde.  

     
    Swetlana Alexijewitsch bei ihrem Auftritt am 16. Juni 2025 in Warschau. 

    Uns war nicht klar, dass ein Mensch des Sozialismus, der Jahrzehnte im Lager verbracht hat, nicht einfach aus dem Lagertor treten und sofort frei sein kann. Diese Mythen sitzen tief in seinem Bewusstsein. Und dieses Unbewusste ist stärker als unsere Worte. Und deswegen ist der Kommunismus noch nicht tot, und diese ‚roten Menschlein‘ ziehen in die Ukraine in den Tod.  

    Und heute sterben Russen, um sich einen Kühlschrank zu kaufen oder eine Wohnung zu bezahlen. 

    Als ich damals in Afghanistan war und mein Buch über jenen Krieg schrieb, hat keine der Mütter, hat keiner der Jungs, mit denen ich dort sprach, den Krieg unterstützt. Sie hassten den Kommunismus. Und heute sterben Russen, um sich einen Kühlschrank zu kaufen oder eine Wohnung zu bezahlen. Das erzählen sie auch so: ‚Wir haben uns alle zusammengesetzt – meine Frau, meine Tochter und ich – und kamen zu dem Schluss, dass wir zu viele Schulden haben. Wir müssen den Kredit abbezahlen, brauchen ein Auto, also muss ich in den Krieg – und ich zog in den Krieg.‘   

    Ein anderer sagte: ‚Ich hasse die chochly.‘ Ich fragte: ‚Warum?‘ – ‚Ich hasse sie einfach.‘ Und ich weiß nicht, wie man zu diesem post-roten Menschentyp durchdringen soll.“  

    Die Schriftstellerin macht sich Sorgen, dass die Ideen des „roten Menschen“ sich immer weiter in der Welt verbreiten.  

    „Ich glaube, die Menschen in Russland sind gekränkt, dass dieser große russische Kuchen ohne sie aufgeteilt wurde: Wenn zum Beispiel ihre Großeltern oder Eltern in irgendeiner Fabrik gearbeitet haben und diese Fabrik dann für ein paar Kopeken an irgendwen verscherbelt wurde, der jetzt Milliarden daran verdient. Und selbst können sie ihren Kindern keine Ausbildung finanzieren. Einer sagte zu mir, er könne seiner Tochter keine ordentliche Hochzeit zahlen. 

    Mir als Schriftstellerin scheint, dass ich überall eine Art Aufstand der Gekränkten sehe. 

    Ich glaube, etwas Ähnliches passiert in Amerika. Ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung hat das Gefühl, übergangen zu werden, nichts wert zu sein. Und da kommt Trump, der im Namen dieser Menschen spricht. Ich glaube, so funktioniert das auch in Ungarn, wo ich kürzlich war, und in der Slowakei. Dort habe ich genau solche gekränkten Menschen gesehen. Mir als Schriftstellerin scheint, dass ich überall eine Art Aufstand der Gekränkten sehe. In Deutschland, wo ich jetzt lebe, wird die AfD genau von solchen Leuten gewählt. Sie bekommt immer mehr Stimmen. Doch vor allem sind wir demgegenüber so hilflos. 

    Von einem russischen Schriftsteller stammt die Metapher, dass wir lange Zeit gegen einen Drachen gekämpft haben, gegen den Kommunismus. Wir gefielen uns in diesem Kampf, er war schaurig, aber schön. Und dann haben wir den Drachen besiegt, und sahen uns um – und da waren ringsum lauter Ratten, doch wir wissen nicht, wie man Ratten bekämpft. Weder unsere Literatur noch unsere Kunst weiß, wie man Ratten bekämpft. Diese Monster sitzen in jedem von uns. Sie steigen in uns auf wie etwas Wildes, wie irgendwelche Instinkte. Und über die wissen wir kaum etwas. Wir haben den Begriff des Kommunismus zu stark vereinfacht.  

    Gefährlich ist die Natur des Menschen als solche. Sie neigt ohnehin nicht zur Vollkommenheit. Wenn man ihr dann noch eine Idee in den Kopf setzt, zum Beispiel die sozialistische, die den Menschen verdirbt, dann wird man diese Version des Menschen sehr schwer wieder los. Weil zwar immer neue Generationen nachkommen, diese aber von denselben Großmüttern, denselben Lehrern erzogen werden. Und dann passiert wieder, was wir in Russland sehen: wieder ein Krieg, wieder Arme und Reiche – alles gerät wieder in die alten Bahnen.        

    Ich würde sagen, unser Problem ist heute eine Kultur der Gewalt und eine Kultur der Ungerechtigkeit.   

    Vor Kurzem noch dachte ich, es ist vorbei, ich habe sogar in einem meiner Bücher den Untertitel: Das Ende des roten Menschen (dt. Titel: Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus). Aber es ist noch lange nicht vorbei. Ich schreibe jetzt ein neues Buch darüber, was mit diesem Menschen heute passiert. Warum er so lange überlebt, was ihn hält, auf welchem Nährboden sein Klonen erfolgt und warum das nicht nur ein russisches oder ein sozialistisches Problem ist.  

    Früher sagten Europäer zu meinen Büchern: Das ist bei euch vielleicht so, aber bei uns sind solche Rückschritte nicht möglich. Ich würde sagen, unser Problem ist heute eine Kultur der Gewalt und eine Kultur der Ungerechtigkeit. Woher kommt die Gewalt? Vom Menschen. Wir haben die Vorstellung, dass sie nur an Putin oder Lukaschenko delegiert wurde. In den ersten Jahren versuchte Putin, der Nato beizutreten, und wollte von den europäischen Eliten in ihren Kreis aufgenommen werden. Er konnte nicht verstehen, dass er mit seinem Verständnis, mit der Welt, die er in sich trug, ein Fremder für sie war. Fremdsprachenkenntnisse taten hier nichts zu Sache. Damals war dann plötzlich von einer souveränen Demokratie die Rede, davon, dass es eine Art russische Demokratie gäbe. Das alles geht also von Menschen aus, die in dieser Zeit lebten.  

    Wir dürfen uns in der heutigen Welt nicht so einfach damit abfinden, dass die Demokratie verschwindet. 

    In letzter Zeit mache ich viele Aufnahmen mit Belarussen, die an den Protesten teilgenommen haben. Sie sagen: Ja, wir haben eine Niederlage eingesteckt, aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Es ist eine neue Philosophie entstanden: eine Philosophie der kleinen Schritte. Die Leute sagen, das sei Selbstschutz, es helfe ihnen, sie selbst zu bleiben, ihre Persönlichkeit beizubehalten und trotzdem den einen oder anderen winzigen Schritt zu tun.  

    Wir dürfen uns in der heutigen Welt nicht so einfach damit abfinden, dass die Demokratie verschwindet. Wir müssen Widerstand leisten. Und diese Menschen, die ich in verschiedenen Ländern getroffen habe, suchen nach Formen des Widerstands. Aber es ist enorm wichtig, dabei man selbst zu bleiben. Sich von diesen finsteren Zeiten nicht zertrampeln zu lassen.”  

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  • „Uns steht noch so etwas wie ein Bürgerkrieg bevor”

    „Uns steht noch so etwas wie ein Bürgerkrieg bevor”

    Die belarussische Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch erhebt immer wieder ihre Stimme, wenn es um politische Themen und die Verteidigung demokratischer Grundrechte geht. Auch deswegen musste sie ihre Heimat verlassen, wo die Machthaber nach den Protesten von 2020 bis heute mit harten Repressionen gegen jegliche Form des Andersdenkens vorgehen. 

    In einem längeren Interview für das belarussische Online-Medium Zerkalo spricht Alexijewitsch über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, über die Frage einer Schuld der Belarussen an diesem Krieg, über die vielen politischen Gefangenen in ihrer Heimat und über die Auswirkungen der post-sowjetischen Ära auf die aktuelle Lage in Osteuropa.

    Zerkalo: Was machen Sie in letzter Zeit?

    Swetlana Alexijewitsch: Ich lebe in Berlin, habe Heimweh, schreibe ein Buch und reise viel. Im Grunde ist mein Leben wie immer, nur eben nicht zuhause. Belarus vermisse ich sehr. Ich habe keine Ahnung, wann ich wieder hinfahren kann. Das macht mich traurig. 

    Sie wurden in der Ukraine geboren, in Iwano-Frankiwsk. Ihre Mutter ist Ukrainerin, Ihr Vater Belarusse. Wie erleben Sie das, was derzeit passiert?

    Ich fiebere mit der Ukraine, ich wünsche mir sehr, dass sie siegt. Das würde das Machtgefüge unserer gesamten Region verändern. Sonst bleiben wir weiterhin außen vor. Die Ukraine ruft in mir nichts als Begeisterung hervor. Wie sich die Ukrainer vom ersten Tag an behauptet und gezeigt haben, dass sie ihre Heimat nicht hergeben, das kann nur begeistern. 

    Haben Sie erwartet, dass die Ukrainer sich so verhalten?

    Wissen Sie, ich habe lange genug in der Ukraine gelebt. Ich habe damit gerechnet, ja, ich wusste, dass sie die Ukraine nicht hergeben werden. Sie haben schon mehrere Maidane hinter sich. Sie sind auf ein europäisches Leben eingestellt und wollen nichts anderes mehr. Ich war dort an vielen Universitäten eingeladen, habe diese Jugend mit ihren leuchtenden Augen gesehen, die sich ein neues Land aufbauen will. Ich fürchte nur, sie sind jetzt alle tot. 

    Tragen die Belarussen Schuld an diesem Krieg und werden wir danach Reparationen an die Ukraine zahlen müssen?

    Ob wir müssen werden, weiß ich nicht, aber ich denke, wir werden helfen. Wir sind ja Geiseln unseres Regimes. In Belarus tragen nur wenige Menschen Schuld, und wenn, dann sind es Russen, die Russland unterstützen. Ich habe hier viele Belarussen getroffen, keiner hat schlecht über die Ukraine gesprochen, niemand will kämpfen und Ukrainer töten. Ich habe zwei Cousins in der Ukraine und will mir gar nicht vorstellen, wie das möglich wäre – dass wir einander umbringen. 

    Das sind nicht meine Worte, aber man hört oft: Dieser Krieg ist ein Krieg der alten Männer, der alten Überzeugungen und Vorstellungen, ein Krieg von Leuten , die diese alte Weltordnung beibehalten wollen. Schade um die ukrainische Jugend, auch um die russische, die gern anders leben würde. Ich habe hier viele Menschen gesehen, die vor der Mobilmachung geflohen sind. Sie könnten in den Schützengräben sitzen, aber sie wollen nicht sterben oder Ukrainer töten. Sie verstehen nicht, warum sie Menschen töten sollten, die einfach ihr Leben leben. Es ist also ein Krieg der Alten. Sie wollen die Zeit besiegen, aber das geht nicht. Also werden sie verlieren. Die Frage ist nur – wann?

    Sprechen wir über die politischen Gefangenen in Belarus. Halten Sie es für angebracht, wenn es einem peinlich ist, dass sie im Gefängnis sitzen?

    Ich weiß gar nicht, ob man das peinlich nennen kann. Peinlichkeit ist ein oberflächliches Gefühl, hier geht es um etwas viel Tieferes. Man begreift, dass man an ihrer Stelle sein könnte. Bei meiner Gesundheit würden mir zwei-drei Tage Gefängnis wohl reichen, aber trotzdem könnte ich an ihrer Stelle sein, bin es aber nicht. Ich bin nicht einmal im Land. 

    Was ist das also für ein Gefühl? Vielleicht ist es Scham oder Peinlichkeit, auch wenn die sehr an der Oberfläche liegen. Diese Gefühle gehen tiefer. Denn ich kenne Katja Andrejewa (eine Journalistin des Fernsehsenders Belsat, die zu 8 Jahren und 3 Monaten verurteilt wurde, Anm. d. Red.) und Maria Kolesnikowa, diese schöne Powerfrau, die eine Leitfigur im neuen Belarus hätte sein können. Wahrscheinlich ist es nicht Peinlichkeit, sondern Verzweiflung. So würde ich es nennen. 

    Ich denke ständig an Mascha Kolesnikowa, die ich sehr toll finde, an Polina Scharendo-Panasjuk, an Katja Andrejewa – so wunderbare Frauen! Ich will mir nicht vorstellen, was man ihnen dort antut, wie krank sie davon zurückkehren werden. Unsere Hilflosigkeit desillusioniert mich, dass wir nichts für sie tun können. Hilflosigkeit. Ich weiß nicht, was ich tun kann. Ich kenne viele, die im Gefängnis sitzen, sehr starke und interessante Frauen. Und auch Männer, wie Maxim Znak zum Beispiel. 

    Swetlana Alexijewitsch nach der Verleihung des Literaturnobelpreises im Jahr 2015 in Minsk / Foto © Tut.by
    Swetlana Alexijewitsch nach der Verleihung des Literaturnobelpreises im Jahr 2015 in Minsk / Foto © Tut.by

    Sollte der Westen Zugeständnisse machen, um die politischen Gefangenen zu befreien? Beispielsweise Belarus von Sanktionen befreien oder Lukaschenko als Präsidenten anerkennen?

    Ich weiß nicht. Früher war ich überzeugt, dass man alles tun sollte, um Menschen zu retten. Ich dachte das, als Nord-Ost passierte (eine Geiselnahme in Moskau im Oktober 2002, Anm. d. Red.) und als der Tschetschenienkrieg begann. Und auch jetzt denke ich, dass es unsere oberste Priorität sein sollte, Menschen zu retten. Andererseits wird die Regierung sich kaum auf Zugeständnisse einlassen. Sie halten die Häftlinge nicht nur als Tauschware im Gefängnis, sondern auch aus Rache. Sie sehen ja, die Maschine läuft, sie bleibt nicht einfach stehen, jeden Tag gibt es neue Verhaftungen. Und vor allem so brutale.

    Ich werde nie vergessen, wie eine Frau – ich glaube, es war Nikolaj Awtuchowitschs Mutter – während der Wohnungsdurchsuchung gezwungen wurde, die ganze Zeit zu knien. Vielleicht war es auch jemand anders, aber das hat sich mir eingeprägt. Letztlich hat ja nicht Lukaschenko befohlen, dass sie knien muss, das war deren Wunsch. Das bedeutet, ein Teil der Leute hasst uns, hasst uns dermaßen, dass sie eine alte Mutter vier Stunden lang knien lassen. 

    Das ist alles ziemlich gefährlich. Ich hatte immer Angst vor einem Bürgerkrieg. Wir balancieren ständig auf einem schmalen Grat. Je länger es dauert, desto tiefer geraten wir hinein. 

    Menschenrechtsaktivisten sprechen von 1500 politischen Gefangenen allein in den Untersuchungshaftanstalten und Straflagern, zudem gibt es Menschen, die ohne unser Wissen aus politischen Gründen sitzen, enorm viele haben Verhaftung, Schläge, Prozesse, Strafen, Durchsuchungen und Emigration hinter sich. Wie wird sich diese Erfahrung in unserer Bevölkerung niederschlagen?

    Es ist ein schweres historisches Trauma. Eine Demütigung. Einerseits werden wir, wenn es gut ausgeht, sagen können, dass wir standgehalten haben. Andererseits geht das nicht spurlos an einer Nation vorbei. 

    Es hängt alles davon ab, wie sich unser weiteres Leben entwickelt. Ob wir in Belarus bleiben können, wo wir nun einmal in einer geopolitischen Lage sind, in der Russland auch ohne Lukaschenko und mit einem anderen Präsidenten immer irgendwie präsent sein wird. Es ist also sehr kompliziert. Ich bin keine Politikerin, aber ich denke, dass die Bewährungsprobe für unsere Nation noch nicht zu Ende ist. Uns steht noch so etwas wie ein Bürgerkrieg bevor. 

    Die aktuelle Emigrationswelle aus Belarus ist nicht die erste, aber wohl die umfangreichste in der Geschichte des Landes. Haben Sie versucht, den Erfahrungen nachzuspüren, die die Menschen machen, die das Land verlassen und alles aufgegeben haben?

    Ja, ich treffe mich viel mit solchen Leuten und möchte ein Buch über sie schreiben. Noch vor einem Jahr hatten diese jungen Menschen leuchtende Augen und dachten, sie würden sehr bald zurückkehren. Jetzt ist dieses Strahlen erloschen. Bei Weitem nicht alle wollen hierbleiben (ich auch nicht), sie wollen nach Hause, wissen aber nicht wie.

    Gelingt es Ihnen, Kontakt mit Belarussen zu halten, die noch im Land sind? Wissen Sie, wie es denen geht?

    Es gelingt mir nur wenig, da ich weiß, dass ich abgehört werde, dafür habe ich Beweise. Ich möchte niemanden gefährden. Aber wenn wir uns treffen, dann frage ich sie aus. Ich möchte in meinem neuen Buch über sie schreiben. 

    Und dieser Streit zwischen Emigrierten und Gebliebenen … Den finde ich ungerechtfertigt. Denn auch, wer ins Ausland geht, hat es schwer. Ich kannte 50-jährige Frauen, die am Bahnhof Lasten schleppten, um zu überleben. Später fanden sie eine andere Arbeit, aber am Anfang mussten sie da durch. Ich möchte nicht, dass die Menschen in Belarus glauben, uns gehe es hier so gut. Einerseits das Heimweh, andererseits wollen bei Weitem nicht alle bleiben. Ja, viele werden hierbleiben, das ist klar, weil sie Kinder haben, die zur Schule gehen, sie werden in einem normalen Land aufwachsen. 

    Polen zum Beispiel ist sehr froh über die belarussischen Immigranten. Ich war in Wrocław, dort gibt es Fabriken, die schon geschlossen waren und nun wieder produzieren können. Für die Wirtschaft ist das sehr gut. Und die Menschen haben alles, was sie zum Leben brauchen. Aber keiner von uns weiß, wann es das neue Belarus geben wird, wer dahin zurückkehren wird. Ich denke, es werden viele sein. 

    Wenn Sie jetzt zurückblicken, drei Jahre nach den Wahlen, würden Sie dann wieder genauso handeln – dem Koordinationsrat beitreten und Ihre Solidarität mit den Protestierenden ausdrücken?

    Ja, natürlich, damals ging es gar nicht anders. Das war eine solche Bewegung, solche Gesichter! Mein Gott, wie viele wunderschöne Frauen in weißen Kleidern da auf den Straßen waren. Sie schenkten den OMON-Spezialeinheiten Blumen, worauf diese ziemlich verwirrt reagierten, bis sie ihr Kommando empfingen. Es wäre seltsam, wenn ich mit Asarjonok in dieser Rückkehrerkommission säße, während Mascha Kolesnikowa im Gefängnis ist. Nein, das ist unvorstellbar. 

    Halten Sie es für richtig, dass der Protest friedlich geblieben ist? Oder hätten die Protestierenden doch entschlossener handeln sollen?

    Diese Frage wird mir tatsächlich häufig gestellt. Ich war immer für friedlichen Protest, und nun schreibt man mir sogar Briefe, in denen man mir das vorwirft: „Sind Sie glücklich mit Ihren Luftballons und Blümchen?“ Verstehen Sie, wir haben der ganzen Welt gezeigt, dass Protest anders sein kann, dass völlig andere Menschen auf die Straße gehen können. Im Nachhinein haben wir dafür bezahlt. Aber ich reise viel, und die ganze Welt erinnert sich daran, wie schön und würdevoll alles war. Es müssen keine Reifen brennen. 

    Erstens waren die Menschen nicht bereit zum gewaltsamen Protest. Der Protest war, wie er war, weil seit dem letzten Krieg so viele Jahre vergangen und die Menschen an Frieden gewöhnt sind. Sofort eine Waffe oder einen Pflasterstein zu greifen, das ist nicht so leicht. Ich habe bei den Märschen niemanden gesehen, der dazu bereit gewesen wäre. Wenn die Situation irgendwie gekippt wäre, vielleicht wäre es dann möglich gewesen. 

    Wir hätten länger auf der Straße bleiben müssen, wir hätten nicht nachlassen dürfen

    Diese Hofgemeinschaften, die entstanden sind, das war ein völlig anderes, friedliches und modernes Belarus. Das hat die Menschen im Westen sehr beeindruckt, weil sie eher brennende Reifen kennen. Aber sehen Sie, wenn Reifen brennen wie auf dem Maidan, dann gewinnt das Land, aber wenn die Menschen in weißen Kleidern und mit Blumen auf die Straße gehen, dann bezahlen sie hinterher dafür. 

    Aber ich bin Künstlerin, ich kann mich nicht über Blutvergießen freuen oder behaupten, es sei notwendig. Auch wenn russische Schriftsteller immer sagen, dass beständig sei, wofür Blut geflossen ist. Nein, das war nie meine Überzeugung und ist es auch heute nicht. 

    Ein anderes Thema ist, dass wir länger auf der Straße hätten bleiben müssen, wir hätten nicht nachlassen dürfen. An diesem einen Tag, an dem wir so viele waren wie noch nie und Lukaschenko mit dem Maschinengewehr herumlief, kehrten wir vom Marsch zurück, und da war ein alter Mann, der weinte und sagte: „Wohin geht ihr, warum geht ihr weg?“ Verstehen Sie, er sprach aus Erfahrung. 

    Wir dachten, dass wir nach Hause gehen, um am nächsten Tag wiederzukommen. Mascha Kolesnikowa stand ebenfalls da und wollte die Leute nicht gehen lassen, sie sagte: „Bleibt hier!“ Ich weiß nicht, vielleicht wird die Geschichte sagen, dass wir im Unrecht waren, aber das war so schön. Was danach kam, war schrecklich – die Gefängnisse und all das. Für diese Schönheit müssen wir nun die Konsequenzen tragen. 

    Ihr neues Buch sollte ursprünglich von der Liebe handeln, nun habe ich gehört, Sie schreiben über die Proteste?

    Mein Buch Secondhand-Zeit trägt im Original den Untertitel Das Ende des roten Menschen. Wie sich nun herausstellt, war das noch nicht sein Ende. Er lebt weiter, er hatte sich nur versteckt. Also muss diese Geschichte weitergeschrieben werden, und das tue ich. Über den roten Menschen, was er verkörpert, wer seine Kinder sind, die nach dem Zerfall der UdSSR aufwuchsen. Ein sehr großes und ernstes Thema. 

    Ich würde gern Bücher über andere Themen schreiben, die mich interessieren, über die Liebe und das Altern. Dank der Medizin sind uns 20-30 Jahre zusätzliche Lebenszeit vergönnt. Mich interessiert, was die Menschen darüber denken, wie sie leben, wie sie diese Zeit nutzen. Aber sehen Sie, es gelingt mir nicht, die Barrikaden zu verlassen. 

    Nach dem Zerfall der UdSSR entstand ein furchtbarer Hybrid aus Kapitalismus und sowjetischem Fundament, es wurden Staaten gegründet, die nur vorgeben, Demokratien zu sein. Sie organisieren Wahlen und errichten eine Marktwirtschaft, aber in Wirklichkeit sind sie ganz normale Diktaturen, ohne klare Ideologie und mit dem einzigen Ziel, die Macht ihrer Führung zu sichern und auszuweiten. Welches der beiden Systeme ist in Ihren Augen schlimmer – das sowjetische oder das postsowjetische?

    Ich hatte mehrfach die Gelegenheit, Michail Gorbatschow zu treffen. Viel haben wir nicht gesprochen, aber er sagte wiederholt, er sei Sozialdemokrat. Ich denke auch, dass man Gorbatschows Wunsch, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen – auch wenn Russland so riesig ist und die Sowjetunion so riesig und mächtig war – als moderne Sozialdemokratie bezeichnen kann. Das ist mir sehr nah. Ich glaube, Russland hätte einen anderen Weg eingeschlagen, wenn er an der Macht geblieben wäre. Er war wohl nicht die Art Mensch, die Krieg mit der Ukraine führt. Nein, er war anders, aus einer anderen Zeit. 

    Ich erinnere mich an seine Dialoge mit dem Dalai-Lama (dem geistigen Führer Tibets, Anm. d. Red.). Die beiden formulierten sehr schöne Träume. Es gibt ein Buch darüber, aber meines Wissens nicht auf Russisch. Es soll sehr interessant sein – zwei Menschen dieses Denkens unterhalten sich über die Zukunft. Aber sehen Sie, es ist nichts daraus geworden, alles hat eine andere Richtung genommen. 

    Die Menschen hatten viele Jahre im Lager gelebt, und plötzlich ließ man sie frei. Sie traten vor die Tore, kannten nichts außer dem Lagerleben. Was sollten sie also aufbauen? Wieder ein Lager. Sie erinnern sich wieder daran, dass wir Menschen des Krieges sind, dass wir entweder kämpfen oder uns auf einen Krieg vorbereiten oder uns an einen erinnern – das ist unser Zustand. Ich habe viele Jahre lang unsere Geschichte aufgeschrieben, und ich würde sagen, die Erfahrung des Krieges und der Stalinzeit, das waren die zentralen Erfahrungen des sowjetischen Menschen. 

    Man hätte das Volk auch bilden müssen. Nicht nur füttern

    Ich erinnere mich an eine Reise nach Russland, irgendwo in die Provinz, bei Irkutsk, glaube ich. Hinterher erzählte ich meinen Freunden in Moskau: „Ihr wisst gar nicht, was die Menschen denken, die dort leben. Alles, was wir hier über Demokratie und Freiheit reden, betrifft nur unseren kleinen Kreis. Fahrt nur ein Stückchen weiter, schon weiß keiner mehr, was Freiheit ist“. Früh am Morgen hielten wir an einem Laden, vor dem schon ein Mann stand, und er sagte zu mir: „Was für eine Freiheit? Es gibt den Wodka, den du willst, es gibt sogar Bananen. Welche Freiheit? Wovon redest du?“

    Man hätte also das Volk auch bilden müssen. Nicht nur füttern, sondern auch mit ihm über die Freiheit sprechen. Über das neue Leben. Aber niemand hatte Erfahrung damit, weder die Schriftsteller noch die Ökonomen, noch die Politiker. Also ist ein neues Lager entstanden, das noch schrecklicher ist als das davor. Das Einzige, was mir trotz allem gut gefällt, sind die jungen Leute. Ich hatte Gelegenheit, mit einigen zu sprechen, die gerade das Studium beenden. Sie gefielen mir sehr. Wir haben damals vom Kosmos geträumt, von geologischen Expeditionen, wir waren Romantiker. Diese jungen Leute heute träumen konkret: Wirtschaft studieren, Manager werden, oder etwas in der Art. Sie haben so eine Selbstachtung. 

    Ich erinnere mich an eine Schülerin, die bei der Abschlussfeier des Gymnasiums für einen Lehrer eingetreten ist, der im Okrestina inhaftiert war. Ich weiß nicht, wo dieses mutige Mädchen jetzt ist, sie wurde ebenfalls verhaftet. Und dieser „Studenten-Fall“! Damit beschäftige ich mich gerade. Ja, sie wurden unter Druck gesetzt, manche vielleicht auch gebrochen, aber sie haben Großartiges geleistet, und die anderen jungen Leute werden sich daran erinnern. 

    Wissen Sie, alles was heute vor sich geht, will begriffen werden. Nicht nur Lukaschenko oder die Opposition. Man muss diese ganze Aura erfassen, die es im Land gibt, in dem um die 1000 Organisationen liquidiert wurden. Selbst ein Verein zum Schutz der Wildvögel. (Gemeint ist die Liquidation der NGO Achowa ptuschak bazkauschtschyny, Anm. d. Red.).

    Können Sie sich vorstellen, was für ein Land da geschaffen werden soll? Und doch, trotz allem können sie uns nicht aus dem globalen Kontext werfen. Es gibt Computer, einen gemeinsamen Raum im Netz. Ich wiederhole deshalb: Diese Leute kämpfen gegen die Zeit, doch die Zeit ist unbesiegbar. 

    Das heißt, die roten Menschen werden abtreten? Wie kann man die Menschen charakterisieren, die den roten Menschen ablösen werden?

    Unter diesem roten Menschen haben wir gelebt wie in einem Aquarium. Jetzt kommen Leute nach, die dem Rest der Welt gleichen. Ob es die Diktatoren wollen oder nicht, Russland und Belarus öffnen sich.. 

    Man kann heute nicht mehr in einem abgegrenzten Ghetto leben. In der heutigen Zeit sind Ghettos nicht mehr möglich. Und wenn, dann nur für kurze Zeit. Schade natürlich, dass das Leben so kurz ist, aber was will man machen?

    Wie kann man ein Land charakterisieren, in dem die Werke der einzigen Literaturnobelpreisträgerin auf Extremismus überprüft werden?

    Ja, das ist eine interessante Frage. Ich glaube, im Gebiet Hrodna hat man sogar Bücher von mir, von Uladsimir Arlou und Alhierd Bacharevič gesammelt, in eine Grube geworfen und angezündet. (Anm. d. Red.: Wir konnten keine Bestätigung für diese Information in öffentlich zugänglichen Ressourcen finden.) Die Phantasie unserer Sklaverei ist erstaunlich. Sergej Dowlatow antwortete einmal auf die Behauptung, Stalin sei an allem schuld: „Ja, Stalin. Aber wer hat die vier Millionen Denunziationen geschrieben?“ Etwas Ähnliches passiert auch bei uns. Ich habe mich mit der Stalinzeit beschäftigt und bin erschüttert, wie sehr sich alles wiederholt, wie das alles in den Hirnen festsitzt. Wieder Denunziationen, wieder lässt sich die Macht an Menschen aus, die anders denken. Es ist erschreckend. Es ist noch nicht 1937, aber es erinnert bereits daran. Besonders das Verhalten der Menschen in solchen kritischen Situationen.

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  • Zitat #16: „Bjaljazki ist für mich eine mythologische Figur des belarussischen Kampfes“

    Zitat #16: „Bjaljazki ist für mich eine mythologische Figur des belarussischen Kampfes“

    Der belarussische Menschenrechtler Ales Bjaljazki wird mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Kurz nach Bekanntgabe durch das Nobelkomitee in Oslo äußerte sich die belarusissche Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch dazu auf Pozirk, dem neuen Telegram-Portal des liquidierten Naviny.by

    Der Belarusse Ales Bjaljazki wird zusammen mit den Menschenrechtsorganisationen Center for Civil Liberties (Ukraine) und Memorial (Russland) ausgezeichnet.

    [bilingbox]Bjaljazki ist für mich eine mythologische Figur des belarussischen Kampfes. Er hat es verdient – das ist noch zu wenig gesagt. Das ist schon lange sein Preis.

    Was die von ihm gegründete Menschenrechtsorganisation Wjasna gemacht hat und unter den gegenwärtigen Umständen weiter tut, ist in seinem Geiste, nach seiner Philosophie. Das freut mich sehr.

    Ich weiß, dass Ales [in Haft – dek] ernsthaft erkrankt ist. Wir alle müssen darüber sprechen, dass er in Freiheit sein sollte, mit seinem Volk. 
    Was die Staatsmacht mit ihm anstellen wird, ist schwer vorstellbar, aber ein solcher Mensch darf nicht im Gefängnis sein, das ist eine Erniedrigung sowohl für das Volk als auch für die Staatsmacht selbst, falls sie das versteht.~~~— Считаю Беляцкого мифологической фигурой белорусской борьбы. Заслужил — этого мало сказать. Это уже давно его премия, — сказала лауреат Нобелевской премии по литературе Светлана Алексиевич. — То, что сделала и делает в этих условиях созданная им «Вясна», — это в его духе, в его философии. Я очень рада.

    Алексиевич сомневается, что после этого Беляцкого выпустят из тюрьмы.

    — Знаю, что Алесь серьезно болен. Мы все должны говорить о том, что ему нужно быть на свободе, со своим народом, — считает Алексиевич. — Что сделает с ним власть, трудно представить, но такой человек не может быть в тюрьме — это унижение и народа, и самой власти, если она это понимает.[/bilingbox]

    Original und russische Übersetzung vom 07.10.2022;
    Übersetzung aus dem Russischen: dekoder-Redaktion
    Veröffentlicht am 07.10.2022

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    Seit 2016 lädt die belarussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch zu einem Diskussionsklub ein – um die dringendsten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zu diskutieren. Beim zweiten Klub-Treffen des Jahres Anfang Juni 2021 ging es um das Buch Das Licht, das erlosch des bulgarischen politischen Analysten Iwan Krastew. Neben Krastew und Alexijewitsch nahm die russische Politologin Ekaterina Schulmann an der Diskussion teil, die der belarussische Analyst Artyom Shraibman moderierte. 
    Mit seinem Co-Autor Stephen Holmes vertritt Krastew in Das Licht, das erlosch einmal mehr die These eines „Nachahmungsimperativs“ des Westens nach dem Kalten Krieg. Damals hätte in Mittel- und Osteuropa ein Zeitalter der Imitation begonnen, doch auch unter dem Eindruck der Bevormundung seien Gefühle der eigenen Unzulänglichkeit immer größer geworden. Schließlich habe der Westen knapp 30 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs seine Glaubwürdigkeit und Strahlkraft verloren. 

    Krastews Buch wurde in Westeuropa kontrovers diskutiert. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann etwa kritisiert unter anderem, dass Krastew mit „dem Westen“ einen Kampfbegriff und eine normative Bezugsgröße aus Zeiten des Kalten Krieges bemühe, die es so heute gar nicht mehr gebe. Auch unterscheide Krastew zu wenig zwischen liberaler Demokratie und neoliberaler Wirtschaftsordnung. 

    Vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt und Repression in beiden Gesellschaften, sowie angespannter politischer Beziehungen mit Westeuropa fragt der Klub: Wo stehen Russland und Belarus knapp 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion? Und wie sieht ihre gesellschaftliche und politische Zukunft aus? Das belarussische Magazin Kyky hat Teile der Diskussion transkribiert – in denen vor allem die Politologin Ekaterina Schulmann den Thesen Krastews teilweise energisch widerspricht.

    Swetlana Alexijewitsch: Die Zeit hat alle unsere Illusionen und Erwartungen auf den Kopf gestellt, unsere ganze emotionale Trägheit. Vor allem in Belarus sind wir gezwungen, nach Solshenizyns Büchern zu leben. Weder meine noch eure Generation – niemand hat damit gerechnet. Wenn wir an unseren Enthusiasmus der 1990er Jahre denken, hätten wir nie gedacht, dass wir dort hinkommen, wo wir heute sind. Es gibt viele drängende Fragen, aber ich glaube, noch viel wichtiger ist es zu verstehen, warum wir da gelandet sind, wo wir heute sind. Warum all unsere Illusionen, die wir hatten, als wir uns an die Perestroika machten – warum nichts davon eingetroffen ist, sich nichts bewahrheitet hat.


    Wenn wir an unseren Enthusiasmus der 1990er Jahre denken, hätten wir nie gedacht, dass wir dort hinkommen, wo wir heute sind

    Als ich Das Licht, das erlosch von Iwan Krastew und Stephen Holmes gesehen habe, war ich schwer beeindruckt. Wir sollten aufhören, Angst zu haben, mal vor der Vergangenheit, mal vor der Zukunft, mal vor der Gegenwart. Wir leben in ständiger Angst. Versuchen wir doch einmal, unserer neuen Realität ins Gesicht zu schauen.

    Artyom Shraibman: Nachahmung ist ein Prozess, der viele Länder der Welt erfasst hat, aber vermutlich nicht alle. Es ist wichtig zu verstehen, warum er ausgerechnet unsere Länder erfasste und was das Ende dieser Epoche für uns bedeutet. 

    Iwan Krastew: Anfang der 1990er Jahre war klar, dass die Welt das westliche Lebensmodell imitieren würde, weil es zwei globale Ideologien gab, die den Kalten Krieg begründeten. Eine davon hat den Krieg nicht nur verloren, sie hat auch aufgehört, sich selbst zu glauben.

    [Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis] Fukuyama sprach von dem Ende der Geschichte, heute lachen alle über diese Idee. Aber Anfang der 1990er Jahre war Demokratie ein Synonym für die Modernisierung der Gesellschaft. Alle dachten, dass sie dieses Modell imitieren werden. Wir wollten leben wie im Westen: Die Ungarn wollten das, die Bulgaren, die Polen. 

    Aber wenn man jemanden imitiert, gibt man zu, dass er besser ist als man selbst. Das wirft eine zweite Frage auf: Was passiert mit der eigenen Identität? Und es gibt noch einen dritten Punkt: Man imitiert nicht Christus, sondern eine andere Gesellschaft, die sich ständig verändert. Daher kommen die starken antiliberalen Stimmungen, die man in Teilen der ungarischen und auch der polnischen Gesellschaft beobachten kann: Man wollte etwas anderes als das, was man imitiert hat. Schließlich erschien den Polen die westliche Gesellschaft Ende der 1980er als durchaus konservativ, alle gingen in die Kirche. Und sehen Sie sich an, wie sich diese Gesellschaft innerhalb von 30 Jahren verändert hat.

    Man wollte etwas anderes als das, was man imitiert hat

    Es gab in der Tat eine Zeit, in der selbst autoritäre Regime die Menschen davon überzeugen wollten, dass sie demokratisch legitimiert sind, dass sie wie die westlichen Demokratien sein wollen, es aber nicht gelingt. Doch diese Zeiten sind seit vier, fünf Jahren vorbei. Jetzt sehen wir in Russland und Belarus eine andere Rhetorik: Wir wollen nicht so sein wie ihr, im Gegenteil, und wir werden nie so sein wie ihr.

    Ekaterina Schulmann: Einen Teil dessen, was Iwan anspricht, bezeichnet man als Problem oder, wenn man so will, als Tragödie der aufholenden Entwicklung. Länder, die das Gefühl haben, rückständig zu sein, versuchen den Weg zum Fortschritt durch Nachahmung abzukürzen. Doch bevor wir konstatieren, dass die Länder der Zweiten Welt aufgehört haben, die Länder der Ersten Welt zu imitieren, sollten wir uns daran erinnern, dass das westliche Lebensmodell universelle Anziehungskraft besitzt.
    Niemand will etwas grundsätzlich anderes (das gilt auch für China und den postsowjetischen Raum), alle wollen iPhones, Supermärkte und Cafés, niemand will in Askese leben. Außerdem reagieren die Menschen sehr empfindlich auf Einschränkungen, die ihr Privatleben betreffen. Sie sind bereit, politische Freiheiten zu opfern – zum einen, weil sie nicht wirklich verstehen, was das ist, zum anderen, weil sie diese Freiheiten nie wirklich gehabt haben. Sie haben den unmittelbaren Zusammenhang zwischen politischer Freiheit und Lebensstandard noch nicht erkannt. Aber die Konsumfreiheit wollen ausnahmslos alle. Insofern wird die Nachahmung nicht aufhören, solange sich Wunsch und Wirklichkeit gleichen.

    Wir sollten uns daran erinnern, dass das westliche Lebensmodell universelle Anziehungskraft besitzt

    Es hat sich kein Alternativangebot, kein neuer Zivilisationstypus herausgebildet. Wie Iwan schon sagte, gab es zwei globale Ideologien, von denen die eine gestorben ist und die zweite gesiegt hat, das ist nach wie vor wahr. Aber es gibt auch eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem gewollten Lebensstil und dem politischen Überbau. Genau darin liegt die Gefahr oder die Attraktivität des chinesischen Beispiels. China scheint der ganzen Welt sagen zu wollen: Man kann auch ohne den politischen Überbau des Westens Dutzende Millionen von Menschen aus der Armut führen und Riesenstädte errichten, ohne die Risiken, die die Demokratie in sich birgt. Das ist ein neues autoritäres Angebot, das nicht ideologisch ist. Es macht keinen Versuch, das Märchen von Orthodoxie, Selbstherrschaft, Volkstümlichkeit nachzuerzählen; Versuche dem Wahlvolk zu gefallen – das ist keine Ideologie. Auf dem Markt der Ideen hat der Westen insofern immer noch das absolute Monopol.

    China scheint der ganzen Welt sagen zu wollen: Man kann auch ohne den politischen Überbau des Westens Dutzende Millionen von Menschen aus der Armut führen

    Als der Sprecher der russischen Staatsduma vor einiger Zeit sagte, Russland sei die letzte Insel der Demokratie und der Freiheit, konnte man schwer nachvollziehen, was in diesem Moment in seinem komplexen Hirn vor sich ging. Klar ist jedoch, dass Demokratie und Freiheit als etwas Gutes wahrgenommen werden. Nur dass diese Dinge im Westen faul geworden und verdorben sind, wohingegen es sie bei uns nun einfach gibt. 

    In Russland spricht man oft davon, dass wir mehr Europa sein werden als Europa selbst, das die wahre Freiheit gegen Toleranz eingetauscht habe. Nach dem Motto: Ihr beschwert euch über die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor? Ihr habt ja keine Ahnung von der grausamen Hetze gegen Menschen und der Selbstzensur, die in den sozialen Netzwerken im Westen florieren.

    In Russland spricht man oft davon, dass wir mehr Europa sein werden als Europa selbst

    Das Buch, mit dem wir das Gespräch begonnen haben, wurde vom russischsprachigen Publikum nicht ohne Schadenfreude aufgenommen: Die im Westen haben ihre historische Niederlage eingestanden! Aber Niederlage im Vergleich zu wem? Zu diesen ewig imitierenden Autokratien, die zu 80 Prozent aus Propaganda und 20 Prozent aus Gewalt bestehen? Sollen die das neue historische Angebot sein?

    Niederlage im Vergleich zu wem? Zu diesen ewig imitierenden Autokratien, die zu 80 Prozent aus Propaganda und 20 Prozent aus Gewalt bestehen?

    Sie können ja nicht einmal formulieren, wer sie selbst sind. Heute sind sie eine souveräne Demokratie, morgen verteidigen sie sich gegen geheimnisvolle Feinde und machen sich nicht einmal mehr die Mühe zu erklären, was sie überhaupt zu verteidigen versuchen. Das einzige erklärte Ziel ist es, den Tag irgendwie durchzustehen und die Nacht zu überleben. Die Macht geben wir nicht ab, weil es ohne uns nur noch schlimmer wird – das ist das Einzige, was sie ideologisch anzubieten haben.

    Artyom Shraibman: Betreten wir wirklich eine neue Ära? Und ist sie überhaupt neu, haben wir nicht im 20. Jahrhundert und noch früher ähnliche Umbrüche, eine ähnliche Abkehr von Formen eines nationalen Selbstverständnis gesehen?

    Ekaterina Schulmann: 30 Jahre postsowjetischer Transit gehen zu Ende. Während dieser Zeit haben sich im postsowjetischen Raum drei politische Ordnungen herausgebildet: primitive mittelasiatische Despotien (Usbekistan u. a.); schwache Demokratien mit einem instabilen Staatsapparat, einem nicht erreichten Gewaltmonopol und einer ziemlich starken Rolle von Zivilgesellschaft, aber auch oligarchischen Gruppen (Ukraine, Kirgistan, Republik Moldau, Georgien, Armenien); und der dritte Typus – personalisierte Autokratien, die zwar Wahlen durchführen, aber durch die Wahlen keinen Wechsel riskieren wollen; die die Vorteile des Konkurrenzkapitalismus für sich nutzen, aber gleichzeitig eine extrem hohe Staatspräsenz in der Wirtschaft erschaffen (Russland, Belarus, Kasachstan). Das sind unsere drei Karten: eine Drei, eine Sieben, ein Ass. Oder, wenn Sie so wollen, die drei Wege, die die postsowjetische Entwicklung einschlagen konnte.

    Jetzt können wir beobachten, wie unterschiedlich die Autokratien in die für sie kritische Übergangsperiode eintreten. Bisher scheint Kasachstan von den dreien am besten abzuschneiden – sein politisches System hat den Mut gefunden, einzugestehen, dass ein Übergang notwendig ist und stattfinden wird.

    Die zwei slawischen Autokratien haben sich entschieden, den Lauf der Zeit zu leugnen, sie krallen sich am Status quo fest, den sie Stabilität und Souveränität nennen, und laufen jetzt doppelt so schnell, um auf der Stelle zu bleiben.

    Denn es hat sich herausgestellt, dass man den Status quo nicht aufrechterhalten kann, ohne eine unglaubliche Menge an Ressourcen reinzustecken. Ich glaube nicht, dass dieses Stadium – der Versuch, die Notwendigkeit eines Übergangs zu leugnen – die Endstation ist.

    Die zwei slawischen Autokratien haben sich entschieden, den Lauf der Zeit zu leugnen, sie krallen sich am Status quo fest

    Das russische Modell, das vielfältiger und flexibler als das belarussische ist, ist noch dabei, diese komplexe Gleichung für sich zu lösen: Was müssen wir ändern, damit alles gleich bleibt? Das politische System in Belarus verhält sich dabei sekundär und komplementär zum russischen. Wenn bzw. falls sich das russische Modell transformiert, wird das belarussische folgen.
    Die Todesstarre, der Krampf, der unsere beiden Systeme befallen und zahlreiche Prozesse auf Zwangspause gestellt hat, verdient Beobachtung, aber keine Verabsolutierung. Man sollte es nicht als finale Etappe einer dreißigjährigen Entwicklung sehen, als Ende der Geschichte. Lassen Sie uns nicht Fukuyama spielen.

    Artyom Shraibman: Wenn Belarus, Kasachstan und Russland denselben institutionellen Weg gehen, den die Länder Zentral- und Osteuropas gegangen sind, wird sich nicht irgendwann herausstellen, dass es eine Sackgasse ist? Was sollen die jungen, noch ungewissen Regime nach Lukaschenko, Putin und Nasarbajew aufbauen, wenn selbst ein wesentlicher Teil der Bevölkerung in den jungen Demokratien Osteuropas von der Imitation enttäuscht ist?

    Ekaterina Schulmann: Wie sollen wir uns modernisieren, wenn der Westen nicht mehr das Vorbild ist? Wissen Sie, einer der Faktoren für die Erosion des Ideals ist die Annäherung daran. Das heutige Belarus und sogar Russland sind dem Westen viel ähnlicher als der Sowjetunion. Unsere Autokratien haben sich den Vorbildern angenähert, die sie sich vorgestellt hatten. Wir haben uns den Kapitalismus angeschafft, Wahlen, sogar ein bisschen freie Presse, breite Uferpromenaden und Elektroroller, aber in die Erste Welt dürfen wir immer noch nicht.

    Der Sowjetmensch hat sich den legendären Westen als Schlaraffenland vorgestellt. Aber als das westliche Leben immer vertrauter wurde, entdeckte man darin immer mehr Flecken und Risse. Zumal man über den kollektiven Westen heutzutage nur nachsinnen darf, wenn man Nikolai Platonowitsch Patruschew ist.

    Einer der Faktoren für die Erosion des Ideals ist die Annäherung daran

    Was können wir über den nächsten Entwicklungssprung der postsowjetischen Autokratien sagen? Sie werden offenkundig urbanisierte Staaten mit einer gebildeten Bevölkerung bleiben und sich weiter in diese Richtung entwickeln; sie sind nicht so sehr Industriemächte als vielmehr Länder, in denen der Dienstleistungssektor eine immer größere Rolle spielt. Das ist nicht unbedingt der geeignetste Nährboden für eine primitive Diktatur. 

    Obwohl die neuen Möglichkeiten, jede einzelne Geldtransaktion, jede Bewegung nachzuverfolgen, einschließlich der Bewegung von Informationseinheiten, neue Möglichkeiten für Planung und Umverteilung bieten. Der Staat gibt seinen Bürgern Geld, unterstützt die Wirtschaft, und will im Gegenzug dafür deine Daten – wissen, was du schreibst, sagst, wo du dein Geld aufbewahrst, wohin du geschaut hast – und im nächsten Schritt auch deine Loyalität.

    Was die nächste Zukunft bringt

    Artyom Shraibman: Ekaterina, Sie haben das, was in Belarus und in Russland passiert, als „Krampf“ bezeichnet. Worin wird das münden? Der eine wie der andere Leader scheint sich ganz wohl zu fühlen, sie haben keine Angst, den Einsatz zu erhöhen, den Griff noch fester zuzudrücken. Wo ist die Wand, gegen die dieser Krampf prallt?

    Ekaterina Schulmann: Dass der Druck erhöht wird, ist kein Anzeichen für die Abwesenheit von Angst. Jemand, der sich nicht bedroht fühlt, führt keine Eskalation herbei. Ich will nicht darüber urteilen, wer sich wohl fühlt und wer nicht. Bedenken wir einfach, dass die ganze Arbeit dieser politischen Systeme darin besteht, einen Eindruck zu erwecken, und zwar zum großen Teil einen falschen. Dafür werden gigantische Ressourcen aufgewendet.
    Ich habe die Situation nicht als Krampf bezeichnet, weil ich sie für ein kurzfristiges Phänomen halte. Ineffektive politische Modelle können sehr langlebig sein.

    Bedenken wir einfach, dass die ganze Arbeit dieser politischen Systeme darin besteht, einen Eindruck zu erwecken, und zwar zum großen Teil einen falschen. Dafür werden gigantische Ressourcen aufgewendet

    Was ist diese Wand, diese Schwelle, hinter der sich etwas qualitativ transformiert? Die Wahlen 2024 sind der nächste Punkt. Wenn die Beliebtheit des amtierenden russischen Präsidenten nach 2021 weiter sinkt, könnte er auf den Gedanken kommen: Sollte ich es nicht lieber machen wie Jelzin? Sollte ich nicht meinen Nachfolger mit den Überresten meiner eigenen Popularität ausstatten und ihm das Verlangen nach Erneuerung, das in der Gesellschaft so groß ist, als Geschenk hinterlassen?
    Jelzin war extrem unpopulär, und sein Nachfolger wurde quasi über Nacht ein gefragter Mann. Warum? Weil die Menschen einen neuen Leader wollten, aber keine Revolution. Ein Nachfolger muss gleichzeitig Erbe und Antagonist sein. Ich denke, je näher 2024 rückt, desto mehr könnte diese politische Parallele eine Rolle spielen.

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    „Alle sind entweder im Gefängnis oder außer Landes gebracht“

    Das Lukaschenko-Regime geht weiter hart gegen den Koordinationsrat der Opposition in Belarus vor. Nach der gestrigen Verschleppung von Maria Kolesnikowa wurde nun der Jurist Maxim Snak von unbekannten Männern in Zivil in Minsk abgeführt. Inzwischen befindet sich Kolesnikowa in einem Minsker Untersuchungsgefängnis, wie ihr Vater gegenüber tut.by berichtete.

    Von den sieben Präsidiumsmitgliedern des Koordinationsrates ist nur noch die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch auf freiem Fuß und in Belarus, alle anderen wurden festgenommen oder zur Ausreise gedrängt. Doch in den Sozialen Medien wird berichtet, dass auch Alexijewitsch anonyme Anrufe erhält und Unbekannte vor ihrer Tür stehen. Auf der Seite des belarussischen PEN-Zentrums hat Alexijewitsch eine Erklärung veröffentlicht, in der sie sich auch an die russische Intelligenzija wendet. dekoder bringt die ebenfalls auf tut.by abgedruckte Stellungnahme im Wortlaut in deutscher Übersetzung.

    Von meinen Freunden und Gesinnungsgenossinnen und -genossen im Präsidium des Koordinationsrates ist keiner mehr da. Alle sind entweder im Gefängnis oder wurden rausgeschmissen und unfreiwillig außer Landes gebracht. Heute war der letzte dran: Maxim Snak.

    Wir haben keinen Umsturz geplant. Wir wollten keine Spaltung in unserem Land. 

    Erst wurde unser Land erbeutet, dann die besten von uns gekidnappt. Doch an die Stelle der aus unserer Mitte Gerissenen treten Hunderte andere. Nicht der Koordinationsrat revoltiert. Das ganze Land revoltiert. 

    Ich möchte wiederholen, was ich immer sage: Wir haben keinen Umsturz geplant. Wir wollten keine Spaltung in unserem Land zulassen. Wir wollten, dass in der Gesellschaft ein Dialog beginnt. Lukaschenko sagt, dass er nicht mit der Straße redet. Aber die Straße, das sind hunderttausende Menschen, die jeden Sonntag und jeden Tag auf die Straße gehen. Das ist nicht die Straße. Das ist das Volk. Die Menschen gehen mit ihren kleinen Kindern auf die Straße, weil sie glauben, dass sie gewinnen.

    Warum schweigt ihr, wenn ein kleines, stolzes Volk zertrampelt wird? Wir sind doch immer noch eure Brüder und Schwestern.

    Wenden möchte ich mich auch an die russische Intelligenzija – nennen wir sie doch aus alter Gewohnheit einfach so. Warum schweigt ihr? Nur einzelne Stimmen von Unterstützern hören wir. Warum schweigt ihr, wenn ihr seht, wie ein kleines, stolzes Volk zertrampelt wird? Wir sind doch immer noch eure Brüder und Schwestern.
    Und meinem Volk möchte ich sagen, dass ich es liebe. Dass ich stolz bin.

    Da, es klingelt schon wieder jemand an der Tür, den ich nicht kenne …
     

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