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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Die große Vertuschung

    Die große Vertuschung

    Vergangene Woche hat das russische unabhängige Online-Magazin Projekt eine umfangreiche Recherche veröffentlicht – die allein schon deswegen als Sensation gelten kann, weil sie auch ein Thema berührt, das tabu ist, (oft) selbst in unabhängigen russischen Medien: Putins Privatleben. Projekt zeigt auf, dass eine gewisse Petersburger Millionärin namens Swetlana Kriwonogich Anteile an der russischen Staatsbank Rossija hält – und ihr außerdem Immobilien im Millionenwert gehören. Swetlana Kriwonogich ist in einer Petersburger Kommunalka großgeworden – wie kam sie an so viel Geld? In der umfangreichen Recherche, die nicht nur den unklaren Eigentumsverhältnissen und Verstrickungen in Putins engstem Umfeld nachgeht, kommt Projekt zu dem Schluss, dass Kriwonogich die Geliebte Putins war, mit der er wahrscheinlich auch eine gemeinsame Tochter hat, die 17-jährige Jelisaweta.

    Das unabhängige Medium Projekt machte schon mehrfach mit investigativen Recherchen auf sich aufmerksam, etwa über den Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoshin. Projekt-Gründer Roman Badanin, der mit Andrej Sacharow auch die aktuellen Recherchen zur Bank Rossija unternahm, ist einer der bekanntesten Investigativjournalisten Russlands. Ehe er Projekt gründete, war er in der Chefredaktion von RBC. RBC hatte auch über Putins Tochter Jekaterina Tichonowa berichtet, mutmaßlich eine der Recherchen, die das Ende der damaligen RBC-Redaktion bedeuteten.
    Warum die aktuellen Projekt-Recherchen nicht einfach Stoff für Boulevardmedien sind (junge Geliebte! Uneheliche Tochter!), sondern was sie vor allem aufdecken, das macht die Projekt-Redaktion nochmal in einem eigenen Editorial deutlich, das dekoder in deutscher Übersetzung bringt: „Die 20-jährige Vertuschungsoperation hat das Land Milliarden Dollar und viele Leben gekostet“, heißt es darin. 
    Auf Echo Moskwy wiederum kommentiert der Journalist Anton Orech: „In jedem demokratischen Land würde eine solche Recherche einen grandiosen Skandal auslösen und die Reputation eines Politikers schädigen. […] In Russland geht es andersherum: […] Das Volk erregt sich nicht nur nicht, es beneidet die Korrupten und Beamten. Und wenn es so ist, dann sind solche Enthüllungen nur für deren Autoren eine ernste Gefahr.“

    Jeder Herrscher hat eine Idée fixe, ein Konzept, das zu einem gewissen Grad die meisten seiner Handlungen in der Innen- und Außenpolitik, in der Wirtschaft und in der Kultur erklärt. Die Liste dieser Konzepte war über mehrere Jahrhunderte ziemlich übersichtlich: der Kampf um Ideologien, die Erschaffung oder Wiedererrichtung eines Imperiums, Revanche, das Sich-von-den-Knien-Erheben, der Wunsch, Weltschiedsrichter oder -Gendarm zu spielen, und noch ein paar mehr. Alle diese Konzepte wurden einzeln oder in Kombination wiederholt auch Wladimir Putin zugeschrieben, der – wenn nicht persönlich, dann in Form des Putin-Regimes (also einschließlich der Regierungszeit Dimitri Medwedews) – Russland seit nunmehr 20 Jahren regiert. 
    Wenn man alles zusammennimmt, was Putin-kritische Experten über ihn sagen, kommt ungefähr Folgendes heraus: Putin will das Sowjetimperium mit den Methoden des KGB wiederherstellen, weil er wie ein Geheimdienstler denkt, aber er befürwortet Privateigentum, weil es das Stehlen ermöglicht. 
    Politikexperten aus den Reihen seiner Befürworter sagen etwas Ähnliches, nur mit anderen Vorzeichen, nämlich: Er hat alle dazu gebracht, Russland zu respektieren, weil er unser Land liebt und sich um seine Bürger kümmert.

    Jetzt sieht es allerdings so aus, als hätten all diese Konzepte zu nichts geführt und als hätte die komplette Politikwissenschaft ausgerechnet in Putins Fall mächtig danebengelegen.

    Vertuschen und Verschleiern

    Die zentrale Idee, die den russischen Präsidenten die vergangenen 20 Jahre hindurch leitet, besteht darin, seine Vergangenheit und Gegenwart hinter hochtrabenden Worten zu verstecken, zu vertuschen und zu verschleiern. Und aus dieser Idee erwächst alles Übrige: die Konfrontation mit anderen Ländern, eine Wirtschaft, die sich an seinen Freunden orientiert, die geistigen Klammern, YUKOS, die Vergiftung Nawalnys und so weiter, bis hin zu absurden Kleinigkeiten wie erhöhten Absätzen und Fotos mit freiem Oberkörper.

    Es ist unangenehm, das zuzugeben, aber auch wir Journalisten sind darauf hereingefallen. 20 Jahre lang hat die russische Wirtschafts- und Politikpresse versucht, in den Handlungen des Staatsoberhaupts diesen oder jenen höheren Sinn zu sehen – ob gut oder schlecht, auf jeden Fall hoch. Selbst dann, wenn das, was wir sahen und wussten, danach schrie, dass alles viel simpler ist. Jetzt ist es an der Zeit, das zu korrigieren. Und das kommt dabei raus:

    Das moralische Image des Präsidenten hält keiner Kritik stand, und in einem Land, wo es so etwas wie politische Reputation und faire Wahlen gibt, wäre es für ihn schwer geworden, 20 Jahre an der Macht zu bleiben. All diese Jahre lief unter Einbeziehung tausender Staatsdiener und Privatpersonen eine Vertuschungsoperation: fiktive Posten für die Frauen des Präsidenten, geheime Residenzen und andere unrechtmäßig erworbene Besitztümer, versteckt vor der Öffentlichkeit mit Hilfe von Staatsmedien, Geheimdiensten, dem Katasteramt und einer Vielzahl anderer Menschen, die genau dafür ihren Lohn bekommen.

    Geheime Residenzen und andere unrechtmäßig erworbene Besitztümer

    Der Präsident und sein innerster Kreis waren seit den 1990er Jahren in zweifelhafte Geschäfte verwickelt, die sie zu Milliardären gemacht haben. Vereinfacht ausgedrückt: die Bank Rossija ist die Bank von Wladimir Putin, und die Vermögenswerte, die auf Freunde, Verwandte und andere Figuranten laufen – Juri Kowaltschuk, Pjotr Kolbin, Sergej Roldugin, Michail Schelomow und so weiter –, gehören ebenfalls Putin.

    Vereinfacht ausgedrückt: die Bank Rossija ist die Bank von Wladimir Putin

    Die Verbindungen des amtierenden russischen Präsidenten und seines direkten Umfelds zur kriminellen Welt sind viel umfassender und lohnender als der breiten Öffentlichkeit bekannt. In den 1990er Jahren haben Putin und Staatsbeamte aus seinem nächsten Umfeld unmittelbar für Personen gearbeitet, die Morde verübt und andere Verbrechen begangen haben. Diese Verbindungen sind bis in die 2000er Jahre erhalten geblieben, auch wenn sich ihr Charakter verändert hat.

    Diese Liste ist zweifelsfrei unvollständig – denn jetzt, unter Putin, sind ganze Abschnitte der neuesten Geschichte Russlands der Öffentlichkeit unzugänglich. Aber sie werden mit Sicherheit später fortgeschrieben werden, nach Putin. Die Geschichte seiner Machtergreifung und der „Zucker von Rjasan“, die politischen Morde und Attentate, die in den 2000er Jahren mit dem grausamen Tod des investigativen Journalisten Juri Schtschekotschichin und des Hüters von Putins Geheimnissen Roman Zepow begannen, und die sich bis zur jüngsten Vergiftung Nawalnys fortsetzen. All das, was für die Presse bis vor Kurzem noch unbewiesene Spekulation war, erscheint nach der Veröffentlichung unserer Untersuchungen als nicht mehr ganz so abwegig.

    Diese 20-jährige Vertuschungsoperation hat das Land Milliarden Dollar und viele Leben gekostet, doch sie ist nicht vorbei

    Ohne Zweifel wird irgendwann alles ans Licht kommen. Doch vorerst geht die Vertuschungsoperation weiter: Das staatliche Katasteramt löscht die Namen von Staatsbediensteten und Präsidentenfreunden aus den Eigentumsregistern; die Banken, die offiziell Juri Kowaltschuk oder Arkadi Rotenberg gehören, werden mit staatlichen Geldern vollgepumpt, damit Aktionärinnen wie Swetlana Kriwonogich ihr Dasein nicht in Armut fristen müssen; die Rechtsschutzorgane und Gerichte verfolgen die, die versuchen die Wahrheit ans Licht zu bringen, und einzelne Wahrheitssuchende werden von Kämpfern der aus Staatsgeldern finanzierten, tschetschenischen Einheit Sewer ermordet. Selbst das Stadtarchiv Sankt Petersburg hat einen Teil der Dokumente über die Arbeit des Komitees für Außenbeziehungen der Stadt, das damals unter Putins Leitung stand, aus dem Fundus entnommen.

    Diese 20-jährige Vertuschungsoperation hat das Land Milliarden Dollar und viele Leben gekostet. Doch sie ist nicht vorbei, der Mechanismus arbeitet wie geschmiert und die neue Version des Immunitätsgesetzes für Ex-Präsidenten verlängert sie faktisch auf ewig. Doppelleben und Doppelmoral, doppelte Buchführung und doppeltes Recht, drohen sowohl die Regierung als auch die Gesellschaft zu korrumpieren und zu Putins wichtigstem politischen Erbe und Vermächtnis zu werden.

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  • Eine toxische Angelegenheit

    Eine toxische Angelegenheit

    Alexej Nawalny liegt im Koma, seine Pressesprecherin Kira Jarmysch geht davon aus, dass er vergiftet wurde. Er wäre nicht der erste russische Oppositionspolitiker, dem dies geschieht. In einem redaktionellen Statement listet Projekt ähnliche Fälle auf – in denen nie ein Täter identifiziert, Ermittlungen gar nicht erst aufgenommen oder nie abgeschlossen wurden.

    Politik in Russland ist eine toxische Angelegenheit, oft auch im Wortsinne. Was auch immer der Grund für Alexej Nawalnys Vergiftung war, wer auch immer dahinter stehen mag: Es ist wichtig, dass die Umstände umgehend, sorgfältig und unvoreingenommen aufgeklärt werden. So sollte es sein, doch in der Realität bleiben die vielfältigen Gewaltakte gegen Vertreter der politischen Opposition und gegen Bürgeraktivisten zu oft folgenlos. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Toleranz gegenüber politischer Gewalt in Russland extrem hoch ist, und derzeit deutet nichts darauf hin, dass sie sinken wird. 

    Nawalny wurde im Flugzeug übel, als er am 20. August morgens von Tomsk Richtung Moskau flog. Wie seine Sprecherin Kira Jarmysch berichtete, die Nawalny auf der Reise begleitet hatte, hat er während des Flugs nichts zu sich genommen, er hatte nur zuvor eine Tasse Tee im Flughafencafé getrunken. Das Flugzeug landete in Omsk zwischen, Nawalny wurde im bewusstlosen Zustand auf die Intensivstation des örtlichen Krankenhaus gebracht und dort künstlich beatmet. Er liegt im Koma, die Ärzte in Omsk bewerten seinen Zustand als ernst, aber stabil. Wie Kira Jarmysch mitteilt, ist aus Sicht der Ärzte eine Verlegung in eine andere Klinik derzeit unmöglich. Nawalnys Kollegen glauben, dass der Gründer des Fonds für Korruptionsbekämpfung mit Absicht vergiftet wurde. Sie nehmen an, dass der Giftstoff im Tee gewesen sein könnte. Die Ärzte halten eine Vergiftung für möglich, eine abschließende Diagnose gibt es bislang allerdings nicht.

    Das ist nicht die erste ernsthafte Attacke auf Nawalnys Gesundheit. Es ist bezeichnend und auf jeden Fall äußerst gefährlich, dass der Grad der Gewalt zunimmt.

    Im Frühjahr 2017 hatte man Nawalny Seljonka ins Gesicht gespritzt (womöglich gemischt mit Säure). Die Folgen der schweren Verätzungen im Auge mussten lange behandelt werden. Der Angreifer ist untergetaucht, ob er gestellt und bestraft wurde, ist nicht bekannt. 
    Im Sommer 2019 wurde Nawalny während einer Haftstrafe, die er aufgrund einer Ordnungswidrigkeit absaß, mit einer starken allergischen Reaktion in ein Krankenhaus eingeliefert, obwohl er nie zuvor unter Allergien gelitten hatte. Der Allergieauslöser wurde nicht gefunden. (In derselben Zelle hatte zuvor auch Nawalnys Mitstreiter Leonid Wolkow gesessen, bei ihm zeigten sich unmittelbar nach Freilassung ebenfalls Anzeichen einer plötzlichen starken Allergie.)

    Vergiftungen von politischen und anderen Aktivisten mit ähnlichen Symptomen wie bei Nawalny sind leider auch keine Seltenheit mehr. [Mediazona-Herausgeber und Pussy Riot-Aktivist – dek] Pjotr Wersilow kam 2018 mit Anzeichen einer schweren Vergiftung ins Krankenhaus, er wurde schließlich zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen. Er hat bereits geäußert, dass ihn das, was mit Nawalny geschehen ist, an seine eigene Geschichte erinnert. Wersilow hatte die Vergiftung damals in Verbindung gebracht zu seinen Recherchen zum Mord an russischen Journalisten in der Zentralafrikanischen Republik. Der Giftagent wurde nicht gestellt. Der stellvertretende Vorsitzende von Open Russia, Wladimir Kara-Mursa junior, wurde zweifach mit ungeklärten Substanzen vergiftet – 2015 und 2017. Er selbst sprach von einem Mordversuch an ihm, aus Rache für seinen Einsatz für den Magnitski-Akt in den USA und in Europa. 
    Die Journalistin Anna Politkowskaja hatte 2004 im Flugzeug einen Tee getrunken und wurde daraufhin mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert. Sie war damals auf dem Weg nach Beslan, zu der von den Terroristen besetzten Schule. Kollegen der 2006 ermordeten Politkowskaja sehen ebenfalls Ähnlichkeiten zwischen den Vergiftungserscheinungen bei der Journalistin damals und bei Nawalny heute. 

    In keinem der Vergiftungsfälle wurde je ein Täter identifiziert, Ermittlungen wurden quasi gar nicht aufgenommen oder nie abgeschlossen.

    Die Regelmäßigkeit solcher Vergiftungen und die Straffreiheit der Täter ist beängstigend. Durch die Häufigkeit und die ständig wachsende Gefahrenlage sinkt in der Gesellschaft die Sensibilität für derartige Verbrechen. Gewalt gegen Regierungsgegner oder lediglich unzufriedene Bürger wird zur Routine. Zweifellos festigt sich auch bei denen, die missliebige Personen auf die ein oder andere Art „bestrafen“ wollen, das Gefühl, dass ihnen alles erlaubt ist. Im Fall von Nawalny gibt es von solchen Leuten potentiell sehr viele, angefangen bei den Protagonisten seiner Korruptions-Enthüllungen (darunter sind auch hochrangige Silowiki und Vertreter der Elite) bis hin zu inoffiziellen Helfern der Staatsmacht, die so auf ihre Art mit „Bedrohungen für die Stabilität“ des Regimes umgehen. 

    Ein Attentat auf einen Staatsvertreter oder eine Person des öffentlichen Lebens (Artikel 277 des Strafrechts der Russischen Föderation) wird in Russland hart bestraft: 12 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (die in dem Paragraphen ebenfalls vorgesehene Todesstrafe wird nicht angewendet). Aber solche Fälle sind eine Seltenheit. Nach Angaben der Rechtsdienststelle am Obersten Gericht wurden in den vergangenen zehn Jahren nach diesem Paragraphen drei Menschen verurteilt.

    Nawalnys Kollegen haben sich bereits an das Ermittlungskomitee gewendet mit der Forderung, ein Verfahren nach Paragraph 277 Strafgesetzbuch zu eröffnen. Wie die Strafverfolgungsbehörde darauf reagierte, ist bislang nicht bekannt – außer, dass im Omsker Krankenhaus ziemlich viele Vertreter der unterschiedlichsten staatlichen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden versammelt sind. Indes sind das Hinauszögern der Untersuchung, die Imitation von Ermittlungen, das Abbremsen des ganzen Falls das schlimmste Signal, das die Regierung der Gesellschaft jetzt geben kann. Jetzt, da es um den Anführer der russischen Opposition geht – dessen Namen sein größter Rivale – Wladimir Putin – lieber gar nicht erst laut ausspricht. Es ist zynisch darüber zu diskutieren, wem eine Vergiftung Nawalnys nutzen könnte, aber eine gründliche und professionelle Untersuchung des Vorgangs würde zweifellos auch der Regierung nutzen. 

    Ja, die Politik ist eine toxische Angelegenheit, aber der politische Kampf darf niemals in politischen Terror ausarten, wenn der Staat nicht selbst zu einem Terrorstaat werden soll.

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  • Fall Safronow – „Journalismus ist kein Verbrechen“

    Fall Safronow – „Journalismus ist kein Verbrechen“

    Unabhängige journalistische Arbeit war in Russland schon immer gefährlich: In den 1990er Jahren wurden Dutzende Journalisten während der Ausübung ihres Berufs getötet, seit etwa 2003 pendelt das Land in der Rangliste der Pressefreiheit beständig um die Marke 145 von rund 180. In den vergangenen Jahren haben die Einschränkungen für die Arbeit von Journalisten sukzessive zugenommen, in dieser Woche hat der Druck auf Pressevertreter einen neuen Höhepunkt erreicht.

    Gleich drei Fälle versetzen derzeit die Redaktionen unabhängiger Medien in Alarmstimmung: Am Montag wurde die Journalistin Swetlana Prokopjewa wegen angeblicher Rechtfertigung von Terrorismus zu umgerechnet rund 6000 Euro Strafe verurteilt. Am selben Tag wurde auch eine Untersuchung gegen Pjotr Wersilow eingeleitet, den Herausgeber von Mediazona und Aktivisten von Pussy Riot: weil er die Behörden nicht über seine kanadische Staatsbürgerschaft informiert hatte. Nun sorgt der Fall Safronow für Aufsehen: Der ehemalige Journalist soll Landesverrat begangen haben, ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

    In einer Atmosphäre der Zensur, Einschüchterung und Verfolgung wendet sich die Redaktion von Projekt mit einem Editorial an ihre Leser: Was sind die eigentlichen Gründe für die Verhaftung von Iwan Safronow, und was kann man überhaupt noch tun gegen die fortschreitende Einschränkung der Pressefreiheit?

    Journalismus ist kein Verbrechen, sondern Arbeit für das Wohl der Gesellschaft. Doch die russischen Behörden sehen das anders: Eine erneute Bestätigung dafür ist die Verhaftung des ehemaligen Kommersant– und Vedomosti-Journalisten Iwan Safronow. Er wird des Landesverrats verdächtigt. In einem Land, in dem die Behörden vom Syndrom der Belagerten Festung infiziert sind und in jedem denkenden Menschen einen Feind und Spion sehen, ist die erschreckende Häufung von Strafverfahren gegen Journalisten nur folgerichtig. Aber eine Gesellschaft, die sich der Bedeutung echter journalistischer Arbeit bewusst ist, kann die Behörden – manchmal – dazu zwingen, nachzugeben.

    Symptomatische Unstimmigkeit

    Über den Gegenstand des Verfahrens gegen Safronow ist bisher vor allem aus den Berichten von Silowiki oder anonymen Quellen aus den Strafverfolgungsbehörden etwas bekannt. Es geht um Artikel 275 des Strafgesetzbuches: Landesverrat, bis zu 20 Jahre Haft. „Safronow hat Aufträge eines der Nachrichtendienste der NATO erfüllt, er hat einem ihrer Vertreter Informationen übergeben, die Teil des Staatsgeheimnisses über die militärtechnische Zusammenarbeit, Verteidigung und Sicherheit der Russischen Föderation sind“, erklärte der FSB (zitiert nach: TASS). [Die russische Raumfahrtbehörde – dek] Roskosmos, wo Safronow in den vergangenen zwei Monaten als Berater des Generaldirektors Dimitri Rogosin tätig war, hat bereits erklärt, dass die Vorwürfe gegen Safronow nicht in Zusammenhang mit seiner Arbeit in dem Staatsunternehmen stehen. Präsidentensprecher Dimitri Peskow sagte, die Verhaftung habe – „soweit der Kreml weiß“ (zitiert nach: RIA) – auch nichts mit Safronows journalistischer Arbeit zu tun. Diese Unstimmigkeit ist symptomatisch.

    Safronow ist in seinem beruflichen Umfeld ein anerkannter Experte auf den Gebieten Rüstungsindustrie, Raumfahrt und Waffenexporte. Auch sein Vater Iwan Safronow senior war Militärexperte und arbeitete für Kommersant; er verstarb 2007 unter merkwürdigen Umständen, laut offizieller Version beging er Selbstmord. 

    Heikles Themenfeld

    Dies ist ein heikles Themenfeld: 2019 hat Safronow mit seinem Kommersant-Artikel über die Exportpläne russischer Su-35-Kampfflugzeuge nach Ägypten einen Skandal provoziert. Der Artikel wurde von der Website genommen, Kommersant drohte eine Klage wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen, Rosoboronexport [ein staatliches Unternehmen für den Export von Rüstungsgütern – dek] dementierte den Vertrag, das US-Außenministerium drohte Ägypten mit Sanktionen. Journalisten, die mit Safronow zusammengearbeitet haben, halten die Vorwürfe des Landesverrats für absurd und bezeichnen ihn als ehrlichen und prinzipientreuen Mann, als Patrioten seines Landes und seiner Sache.

    Die russischen Behörden haben jedoch ihre eigenen Vorstellungen von Patriotismus und auch von Journalismus: Sie trauen den Bürgern nicht – und insbesondere nicht den Journalisten. In Reportagen über heikle Themen, in Recherchen zu Korruption und in kritischen Kolumnen sehen sie Bedrohung, Provokation und Rechtfertigung von Terrorismus. Der Spionagewahn hat die gesamte Vertikale von der Spitze an befallen: So sagte Nikolaj Patruschew, Sekretär des Sicherheitsrats, im Juni erneut, dass „der Westen (und allen voran die USA und die NATO) Russland als Feind betrachtet, […] regelmäßig die kontrollierten Medien und das Internet nutzt, um die Führung unseres Landes, die Institutionen der Staatsmacht und die patriotischen politischen Leader zu diskreditieren […] Ständig werden die Aktivitäten zur Destabilisierung der soziopolitischen Lage in unserem Land intensiviert“. In einer solchen Atmosphäre laufen Journalisten Gefahr, als Erste getroffen zu werden – zumal der Staat viele Möglichkeiten hat, Druck auszuüben und einzuschüchtern.

    Landesverrat bietet sich vor diesem Hintergrund an als passender Artikel aus dem Strafgesetzbuch. Die Definition von Landesverrat ist sehr weit gefasst, die Ermittlungen finden in der Regel genauso unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt wie der Gerichtsprozess selbst. Die Argumente der Verteidigung und die Aussagen der Angeklagten können der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben, wenn Anwälte zu Stillschweigen verpflichtet werden. 

    Niemand mag Spione und Verräter

    Landesverrat ist auch ethisch ein toxischer Artikel: Niemand mag Spione und Verräter, und ob es Beweise für ihr Verbrechen gibt – wer weiß das schon. Für normale Menschen wird es schwierig sein, sich mit dem mutmaßlichen Landesverräter zu solidarisieren: Landesverrat erscheint ihnen als etwas, das unendlich weit von ihrem Leben entfernt ist, als etwas aus der Welt der Diplomaten, großer Wissenschaftler oder hoher Militärs.
    In Wirklichkeit kann aber jeder einfache Mensch des Landesverrats beschuldigt werden.

    Denken Sie an den Fall Swetlana Dawydowa – eine Hausfrau aus Wjasma. 2015 wurde sie des Landesverrats angeklagt, weil sie die ukrainische Botschaft angerufen hatte und darüber berichtete, dass ein Standort des Militärgeheimdienstes GRU neben ihrer Wohnung teilweise verlassen sei. Dawydowa vermutete, dass das Militär in die Ukraine geschickt worden ist. 
    Denken Sie an den Fall Oxana Sewastidi, eine Verkäuferin aus Sotschi: 2008 hatte sie eine Textnachricht über Züge voll mit russischer Militärausrüstung an einen Bekannten in Georgien geschickt – und ist dafür zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Sewastidi wurde vom Präsidenten begnadigt, und der Fall Dawydowa wurde mangels eines Straftatbestands eingestellt. In beiden Fällen reagierten die Behörden erst nach umfassenden öffentlichen Protesten, provoziert durch die Absurdität der Anschuldigungen.
     
    Wie die Geschichte des Journalisten Iwan Golunow aus dem vergangenen Jahr zeigt, ist eine massive öffentliche Resonanz auf absurde Ermittlungsverfahren eine der wenigen wirksamen Möglichkeiten für den Widerstand gegen die Walze der Herrschaftsmaschine, die sowohl unbequeme Journalisten als auch normale Menschen überrollen kann. Im Sommer 2019 wurde Golunow nach einer Reihe von Artikeln zum Thema Korruption des versuchten Drogenhandels beschuldigt. Viele Menschen sind damals für den Journalisten eingetreten. Wenige Tage später wurde die Anklage fallen gelassen, mehrere an der Konstruktion des Strafverfahrens beteiligte Vollzugsbeamte wurden entlassen. Jetzt verhandelt ein Moskauer Gericht den Fall derjenigen, die Golunow Drogen untergejubelt haben.
     
    Kurz nach der Nachricht von der Verhaftung Safronows gab es in Moskau Einzelpikets zu seiner Unterstützung, die Protestierenden wurden fast sofort verhaftet. Doch bisher scheinen nur Journalisten unter ihnen zu sein.

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  • Warum gehen wir nicht auf die Straße?

    Warum gehen wir nicht auf die Straße?

    Am 1. Juli haben Russlands Wahlberechtigte über die Verfassungsänderung abgestimmt. Mit einem Häkchen – bei Ja oder Nein – sollten sie über 206 Änderungen abstimmen: darunter etwa die Ehe als Institution zwischen Mann und Frau, und die Nullsetzung der Amtszeiten Putins. Offiziell wegen der Corona-Pandemie waren diesmal auch Wahllokale an „einem Ort unter freiem Himmel“ erlaubt, es lief eine mehrtägige „Vorab-Abstimmung“, noch vor dem eigentlichen Abstimmungstag, dem 1. Juli, und in zwei Regionen konnten Stimmen auch online abgegeben werden. So gab es Wahllokale in Kofferräumen und auf Baumstümpfen, Wahlurnen wurden in Hausflure getragen. 
    Die unabhängige Wahlbeobachtungsorganisation Golos kritisierte, dass weder eine freie Wahl noch eine unabhängige Wahlbeobachtung unter diesen Umständen wirklich möglich sei – außerdem sei kaum nachprüfbar, wer sowohl online als auch offline abgestimmt hat. Schließlich gab die Zentrale Wahlkommission ZIK ein Zwischenergebnis von über 70 Prozent Zustimmung bereits vor Schließung der letzten Wahllokale bekannt – was in Russland unüblich ist und als Manipulation kritisiert wurde. Analysten wie Sergej Schpilkin sprechen von den größten Wahlfälschungen und -anomalien in der Geschichte der Russischen Föderation. Das ungewöhnliche Prozedere werten manche Beobachter als Testlauf für die Dumawahl 2021.
    Das Vorgehen und auch das Ergebnis (knapp 78 Prozent Zustimmung) hält die Redaktion des unabhängigen Online-Mediums Projekt für eine moralische Niederlage – nicht nur des Systems, sondern auch der Bürger, die jetzt nicht auf die Straße gehen. Ein Kommentar.

    Die radikale Umschreibung der Verfassung durch den Kreml im Jahr 2020, die es Putin erlaubt, noch länger im Amt zu bleiben, droht als eines der schlimmsten Ereignisse für die Zivilgesellschaft in die Geschichte einzugehen. Unterschieden sich die Menschen schon vor der Corona-Epidemie in ihren Überzeugungen, so hat Corona sie auch noch physisch voneinander entfernt. Am Ende blieb jeder Kritiker allein mit sich und seinem Wahlzettel.

    Die Kampagne zur Verfassungsänderung begann noch vor dem Ausbruch von COVID-19 in Russland, nahm aber so schnell Fahrt auf, als stünde das Virus schon vor der Tür. Das sorgte bei einigen für Irritation: Anfangs schien es, als wolle Putin die Macht gar nicht bei sich konzentrieren, sondern sie sogar mit dem Parlament teilen. Doch schon bald wurde klar, dass die neue Version des Grundgesetzes kein Konzept von Checks and Balances festschrieb, sondern dass stets Putin das Machtzentrum sein würde, und das nicht nur im Amt des Präsidenten. 

    Das alles kam nicht überraschend: Experten hatten schon lange damit gerechnet, dass der Mensch, der de facto seit 20 Jahren an der Macht war, diese nicht plötzlich aufgeben würde. Die Frage war bloß, wie konkret er das bewerkstelligen würde. Die Verfassungsänderung war also in dieser Hinsicht einzig ein Moment der Ehrlichkeit: Genau, so wird es sein.

    Unverhohlene Offenheit: Genau, so wird es sein

    Diese unverhohlene Offenheit und die Perspektive noch viele Jahre in Putins Russland – im wahrsten Sinne des Wortes – zu leben, hätten zum Anlass für Proteste werden können. Trotz der Augenwischerei mit der Rentenanpassung, „dem staatsbildenden Volk“ oder dem Verbot der Geschichtsklitterung. Hätten, wurden sie aber nicht. Genauso wenig wie es am 24. September 2011 zu Protesten kam, als der damalige Präsident Dimitri Medwedew den Wiedereinzug Wladimir Putins in den Kreml verkündete, der seine nächste, damals erst dritte Amtszeit antrat. Es dauerte noch mehr als zwei Monate bis Tausende Menschen auf die Straße gingen – dafür brauchte es erst die massiven Fälschungen bei der Dumawahl im Winter, und später bei der offiziellen Präsidentschaftswahl im März 2012. Zunächst vereinte die Menschen die Forderung nach fairen Wahlen, nach einer Anerkennung ihrer Stimme. Darin trafen und solidarisierten sich die Anführer der Opposition (der rechten wie der linken, und der Menschenrechtsbewegung).

    Als 2020 Putins Amtszeiten auf Null gesetzt wurden, gab es keinen Zusammenschluss der Opposition. Keine allgemeine Strategie des Widerstands: Sollte man gegen die Verfassungsänderung stimmen oder die Abstimmung boykottieren? „Jelzins“ Verfassung von 1993, die die Regierungszeit einer Person zwar sehr dehnbar, aber wenigstens überhaupt begrenzte, fand keine überzeugenden Verteidiger, deren Stimme laut genug gewesen wäre. 

    Die Verfassung war für die meisten bloß ein Stück Papier mit irgendeiner Erklärung, pathetisches Geschwurbel

    Aber vermutlich hätten sie auch kein Publikum gefunden. Wie Umfragen des Lewada-Zentrums belegen, war die Verfassung für die meisten bloß ein Stück Papier mit irgendeiner Erklärung, pathetisches Geschwurbel, aber sicher kein gesetzgebendes Dokument mit direkter Auswirkung auf das politische System. Wenn sie also weder Wahrheit noch Gewicht hat und man sie verdrehen kann, wie es gerade passt, braucht man sie auch nicht zu verteidigen (so unter anderem die Meinung von Alexej Nawalny). Dennoch sahen viele den Vorschlag, die Verfassung durch ein paar Sozialleistungen zu ergänzen, als eine Chance an, endlich einmal etwas „Nützliches“ für die einfachen Leute zu tun. (Dass diese Leistungen längst in anderen Gesetzen festgeschrieben sind, wissen die wenigsten.) Doch obwohl die Mehrheit die „Sozialreformen“ unterstützte, befürworteten nicht einmal alle Putin-Anhänger die Nullsetzung der Amtszeiten. Die Gesellschaft teilte sich in zwei gleich große Lager.

    Gespaltene Gesellschaft

    Diese unerwartete Spaltung hat sich jedoch kein einziger russischer Oppositionspolitiker zu Nutze gemacht, weder von der systemischen noch der nichtsystemischen. Das kann man in Teilen mit politischem Pragmatismus erklären: Es war klar, dass der Kreml unbedingt, koste es, was es wolle, eine hohe Beteiligung und hohe Zustimmungsraten für die Änderungen erreichen möchte, und so konnte die Opposition nicht ernsthaft mit einem Scheitern der Abstimmung rechnen (und selbst der Erfolg eines Boykotts ließe sich nur schwer mit verlässlichen Zahlen belegen). 

    Aber es gab auch ein ethisches Problem: Man konnte nicht zu Protestaktionen aufrufen (die während der Pandemie verboten sind), aber selbst ein Aufruf, zur Abstimmung zu gehen [und mit Nein zu stimmen – dek], hätte so ausgesehen, als würde man das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus einfach ignorieren – das konnte sich nur Putin selbst erlauben, als er die Russen am 30. Juni zur Teilnahme an der Abstimmung aufforderte.

    Fernseherverpackung dient als Wahlurne

    Eine weitere Rolle spielte sicher auch die Komik des Abstimmungsprozesses selbst: Diese ganzen Wahllokale in Kofferräumen, auf Hockern und Bänken mit Urnen aus Pappkarton. Es ist schwer den Feind in Form einer Fernseherverpackung [als Wahlurne – dek] ernst zu nehmen.

    „Und wie gefällt euch das Wählen auf dem Fußballfeld so?“ – Tweet des Wahlkampfstabs von Alexej Nawalny vom 25. Juni 2020

    Es gab viele Witze, aber auch Beschwerden über vielfältige Verstöße im Verlauf der Abstimmung: So berichtet die Wahlbeobachtungsorganisation Golos über fast 700 mutmaßliche Verstöße. Das Hautproblem: Wählernötigung. Doch das passiert de facto bei allen wichtigen Wahlen. Diesmal gab es eine massenhafte fast einwöchige Vorab-Abstimmung, auch online, wo eine ebenso massenhafte, unabhängige Beobachtung unmöglich war. Allein dieses Format der „Willensbekundung“ ließ nicht groß hoffen auf wirklich ehrliche Wahlen, vor allem in den Regionen. Dass, wer wollte, zwei, drei, ja sogar vier Mal abstimmen konnte – für sich selbst, die Oma und für die ganze Sippe – das war schon in den ersten Tagen dieser Vorab-Abstimmung klar. Schon allein die Umstände ihrer Durchführung boten die Möglichkeit zu manipulieren – ja, zwangen einen schon fast dazu. Das an sich demoralisiert schon: Was für einen Unterschied macht es, wie man abstimmt und ob man überhaupt abstimmt, wenn die ganze Abstimmung im Grunde zum reinsten Chaos geworden ist, das auch noch von den Behörden verwaltet wird?

    Moralisches Versagen

    Verärgerte Bürger, die davon noch nicht völlig paralysiert und apathisch geworden waren, fanden sich vor ihren Notebooks, ihrem Facebook, wieder, allein mit ebenso verstörten Menschen, und stellten einander immer wieder ein- und dieselbe Frage: Was tun?

    Klar, man kann sich jetzt über die 20 bis 30 Prozent an Nein-Stimmen freuen. Aber gleichzeitig gibt es 70 bis 80 Prozent an Ja-Stimmen [das derzeitige Ergebnis ist 77,92 Prozent Ja-Stimmen und 21,27 Nein-Stimmen – dek]. Ungefähr so viel, wie der Kreml erreiche wollte. Man kann versuchen Trost zu finden in Debatten über die Kurzlebigkeit der neuen Putinschen Verfassung. Aber es ist nicht gesagt, dass sie kürzer wirkt als die Erinnerung an das moralische Versagen im Sommer 2020.
    Am Abend des 1. Juli kamen nicht mehr als 300 Leute [zu einer Protestaktion gegen die Abstimmung – dek] zum Puschkin-Denkmal in Moskau, in Petersburg waren es noch weniger.
    Übrigens: Auch am 4. Dezember 2011 konnte keiner voraussehen, dass schon binnen weniger Tage Zehntausende auf die Straße gehen würden.

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