дekoder | DEKODER

Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Wie ich den Winter verbrannt habe

    Wie ich den Winter verbrannt habe

    Sie sägen Blöcke aus Schnee, bauen eine Festung daraus und stürmen sie. Die Bakschewsche Masljaniza ist ein großes Fest an geheimem Ort, organisiert von Freiwilligen. Und am Ende verbrennt der Winter. Wirklich. Pawel Nikulin war für Takie Dela dabei. 

    Fotos © Stoyan Vassev/Takie Dela
    Fotos © Stoyan Vassev/Takie Dela

    Anarchie im Wald

    „Hier sehen Sie, wie Anarchie funktioniert“, erklärt mir eine Frau um die vierzig und hält mir eine Tasse dampfenden Tee entgegen.

    Hier – das ist auf einem namenlosen Feld im Wald hunderte Kilometer von Moskau entfernt. Ich bin hergekommen, um mir die Vorbereitungen der Bakschewschen Masljaniza anzusehen. (Genau so, mit „ja“ schreibt man hier das Fest.) Im Slang der Masljaniza-Veranstalter heißen diese Vorbereitungen Butterbau. Und die freiwilligen Helfer Butterbauarbeiter.

    Ich lerne sie am Lagerfeuer kennen. Über den Flammen köcheln Suppen und blubbert Tee. Dicke Äste knacken. Gemahlene Arabica-Bohnen werden in einen kleinen Armee-Kochtopf geschüttet und dazu noch ein paar Tannenzweige. So kocht man Waldkaffee. 

    Ich versuche, meine Füße trockenzukriegen. Strecke sie möglichst ans Feuer, von den Socken steigen dichte Dampfschwaden auf. Die Frau, die mich auf die Tasse Tee eingeladen hat, lacht. An ihren Füßen trägt sie riesige Überzieher eines Chemieschutzanzugs.

    Vom Rand des gigantischen Feldes – mindestens so groß wie ein Fußballfeld – dringt das Heulen einer Motorsäge zu uns herüber. Die Butterbauarbeiter sägen Blöcke aus gepresstem Schnee für den Bau der Schneefestung – ein Bauwerk von mindestens fünf Metern Höhe, das an Masljaniza gestürmt werden soll, unter Anführung des Frühlings-Woiwoden. Aufgetürmt werden die Blöcke mithilfe eines Krans, der ist selbstgezimmert aus ein paar Baumstämmen, Seil und Segeltuch. Darin wird der Schnee mit den Füßen zusammengestampft und zersägt.

    Am Waldrand ist die nächste Gruppe Bauarbeiter am Werk, sie errichten Toiletten, stellen das Eingangstor auf oder entfernen die Rinde von gefällten Bäumen. Am schnellsten gelingt das einer jungen Frau, die den Baumstamm gekonnt mit einer großen Machete bearbeitet. 

    „Ich habe über Freunde, die schon mal hier waren, von dem Fest erfahren. Das erste Mal bin ich nur zum eigentlichen Fest gekommen, das war 2015. Im nächsten Jahr bin ich schon über Nacht geblieben, und diesmal wollte ich auch bei den Vorbereitungen dabei sein. Es ist ein tolles, fröhliches Fest, hier kann ich alle Hektik und Sorgen der Großstadt vergessen und einfach die Seele baumeln lassen“, erzählt mir Olja.

    Der längste glattpolierte Baumstamm, etwa zehn Meter lang, wird später in der Mitte vom Feld aufgestellt. Er ist fester Bestandteil des Unterhaltungsprogramms einer jeden Masljaniza. Ganz oben werden Preise angebracht – für diejenigen, die es so weit hoch schaffen. Ich bekomme die Aufgabe, eine Wippe zu bauen. Dafür braucht es einen Baumstamm, Tannen und ein paar Feuerwehrschläuche.

    Bliny und Postmoderne

    Den richtigen Ort für das Fest suchen die Veranstalter lange im Voraus. Manchmal sind sie bis zu einem Jahr unterwegs, um sich verschiedene Örtlichkeiten anzusehen. Bei der Auswahl spielen viele Faktoren eine Rolle: Entfernung zur nächsten Ortschaft, Erreichbarkeit im Winter wie im Sommer.

    Informationen über die Masljaniza findet man auf der Webseite des Vereins Roshdestwenka, einer Bewegung freiwilliger Restauratoren, die sich der Wiederherstellung alter russischer Denkmäler, Bräuche und Volksfeste verschrieben haben.

    Natalja Charpalewa, ein aktives Mitglied von Roshdestwenka erzählt, die erste Masljaniza sei noch in den Achtzigern von ein paar Ausflüglern veranstaltet worden. Enthusiasten, die sich im Sommer mit der Restaurierung von Klosteranlagen beschäftigten, hätten die ersten Masljazina-Feste im kleinen Kreis gefeiert und Mal für Mal mehr Folklore-Elemente hinzugefügt. Von den KSP-Anhängern hätte man beispielsweise die Butter-Abzeichen übernommen – die jährlich wechselnden Aufnäher für die Masljaniza-Teilnehmer.

    1998 verstarb Michail Bakschewski, ein Gründungsmitglied der Masljaniza, doch das Fest, das nun nach ihm benannt wurde, lebte weiter und fand immer mehr Anhänger. Irgendwann wurde das den Veranstaltern sogar lästig. Der Wald war voller Autos, es wurde immer schwieriger den Müll wegzuräumen. Deswegen wird das Fest mittlerweile fast schon konspirativ durchgeführt: Nur wer sich im Voraus registriert hat, erfährt wenige Tage vorher per Mail, wo die Masljaniza stattfindet. „Schaltet bitte die Ortsangabe aus, wenn ihr während der Vorbereitungen Fotos vom Feld postet“, richten sich die Organisatoren auf der offiziellen Webseite der Roshdestwenka an ihre Helfer.

    Örtliche Regierung und Polizei wissen nichts vom Fest. Die Veranstalter informieren nur den Rettungsdienst.

    Über die Jahre hat sich ein fester Ablauf etabliert. Bestimmte Protagonisten sind vom Fest nicht mehr wegzudenken: der Frühlings-Woiwode, die Strohpuppe Winter, der Bär.

    Es gäbe zwar keine Belege dafür, dass unsere Vorfahren die Masljaniza exakt so gefeiert hätten, räumt Charpalewa ein, aber einzeln kämen alle Figuren in ethnografischen Skizzen vor.

    „Irgendwie postmodern“, werfe ich ein.
    „Ein wenig“, erwidert Charpalewa lächelnd.

    Ein verbindendes Ding

    „Ich bin seit zwanzig Jahren dabei. Ich bin gern im Wald. Allein fährst du vielleicht ein, zwei Mal im Winter raus. Aber ganz bestimmt nicht jedes Wochenende, und so kannst du immer herkommen. Hier sind viele Menschen, du lächelst, sie lächeln“, erzählt Roshdestwenka-Koordinator Arkadi Jurowizki.

    Er trägt einen dicken Lammfellmantel und sieht selbst ein bisschen aus wie ein gutmütiger Bär. Zum Feld ist er mit einem Kettenwagen gekommen. Geduldig erklärt mir Arkadi, dass die Freiwilligen die Masljaniza zwar eigentlich für sich selbst veranstalteten, aber so ganz ohne Gäste wäre es doch langweilig. Wenn Arkadi nicht gerade bei der Roshdestwenka arbeitet, repariert er Computer. 

    Die Veranstaltung war seit ihren Anfängen unkommerziell. Besucher werden keine Sponsorenwerbung antreffen, und es wird auch niemand Eintrittsgeld von ihnen verlangen. Die Organisatoren machen keinen Gewinn. Auf den Vorschlag, Kassenbuden auf dem Feld aufzustellen, erwidern sie: „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie fehl am Platz bei uns Gespräche über Kassenbuden sind.“

    Ein weiteres Tabu ist politische und religiöse Agitation. Nicht zuletzt, weil bei der Masljaniza das ganze politische Spektrum vertreten sei, sagt Jurowizki:

    „Wir haben hier Menschen mit völlig unterschiedlichen politischen Ansichten. Es gibt Kommunisten, ich selbst bin Demokrat, Putinisten sind auch dabei. Unterschiedlichste Menschen kommen hier zusammen. Und da passiert dann so ein verbindendes Ding, es ist mal stärker, mal schwächer, aber es ist da. Es sind sicher 50 Berufsgruppen vertreten! Vom LKW-Fahrer bis zum Forscher.“

    „Entschuldigen Sie bitte, ist das ein Drakkar?“

    Die Nacht vor Masljaniza ist die schönste: Die Leute stellen Kerzen auf, bringen elektrische Lichterketten an, lassen Himmelslaternen aufsteigen, zünden Feuerwerk. Man geht von Lagerfeuer zu Lagerfeuer, bietet sich gegenseitig etwas zu essen an, spielt Gitarre und singt.

    Alkoholkonsum ist bei dem Fest nicht besonders gern gesehen. Aber es gibt auch kein Alkoholverbot. Ein angetrunkenes Grüppchen zieht, von einem Akkordeonspieler angeführt, durch den Wald, man könnte meinen, sie wären Braunbären. Kommt ihnen jemand entgegen, verstummt plötzlich die Musik und die soeben noch Kosakenlieder grölenden Männer blicken verlegen um sich.

    „Entschuldigen Sie bitte, ist das ein Drakkar?“, frage ich einen Künstler, der mit Gouache-Farbe blaue Wellen auf einen Schiffsrumpf aus Schnee malt.
    „Ein Drakkar?“, wundert er sich über meine Frage.
    „Ein Wikingerschiff.“
    „Ähm … genau. Ein Drakkar … Was ist denn ein Drakkar?“
    „Ein Wikingerschiff.“
    „Die Slawen hatten auch solche, die waren wahrscheinlich mit den Wikingern befreundet …“
    „Wahrscheinlich“, stimme ich zu und gehe in mein Zelt schlafen.

    Morgens sitze ich am Lagerfeuer und versuche wieder, meine Füße trockenzukriegen. Von meinen Socken steigen wie schon beim Butterbau dichte Dampfschwaden auf. Ich hätte mir doch Schuhüberzieher kaufen sollen.

    Am Eingangstor herrscht ausgelassene Heiterkeit – alle singen, tanzen und jauchzen Tschastuschki. So „bezahlt“ man hier den Eintritt. Ein paar Meter weiter führt ein Seil über den Bach, für diejenigen, die keine Tschastuschki kennen oder keine Lust haben, zu singen und zu tanzen.

    Tausende Menschen tummeln sich auf dem Feld: backen Bliny oder klettern durch das Schneelabyrinth. Ich beobachte, wie eine Frau lachend ein Pawlow-Possad-Tuch um ihre Dreads wickelt und muss daran denken, dass mein Witz über die Postmoderne wirklich ins Schwarze trifft. Ein Mann kraxelt nur mit einer Unterhose bekleidet den Pfosten mit den Preisen hinauf. Das Ausziehen muss sein, denn nur ohne Kleidung, mit nackter Haut, hat man den nötigen Griff an dem glatten Pfosten.

    Eroberung der Schneestadt

    Die interaktive Vorstellung kann beginnen. Ausgestattet mit einem schmackhaften Blin brechen wir auf, um den Bären aus der Höhle zu locken. (Die Rolle des Bären übernimmt einer der Masljaniza-Veranstalter und der Blin ist der Anschaulichkeit halber aus Papier.) Danach stehlen wir die Strohpuppe Winter und tanzen um sie herum Chorowod.

    Schon bemerkt der Bär den Verlust, erobert die Puppe zurück und versteckt sie in der Schneefestung. Der Frühlings-Woiwode ruft zum Sturm auf die Festung. Sie wird von alteingesessenen Masljaniza-Teilnehmern verteidigt, die nicht davor zurückschrecken uns mit Schneebällen zu bewerfen oder von der steilen Mauer in den Schnee zu schmeißen.

    „Scheiße“, entfährt es dem jungen Mann neben mir.

    Es ist wohl kaum der Raub der Puppe, der ihn so erbost. Eher schon der wuchtige Schneeball, den er soeben abbekommen hat.

    „In Stellung! In Stellung! Erster Stock!“, erschallen eindringliche Kommandos aus der Menschenmenge.

    Der Startschuss ertönt. Der Sturm kann losgehen. Riesige Kerle aus der Menschenmenge rücken unter einem Schneeballhagel zur Festungsmauer vor, dicht an dicht stehen sie in drei Reihen zusammen.

    „Kletter rauf!“, ruft der junge Mann links neben mir.

    Ich komme gar nicht dazu, ihm zu antworten, da hievt man mich schon auf die Rücken vom ersten Stock. Ich rutsche auf dem Helm von jemandem aus.

    „Rückzug!“ 

    Wer da ruft, kann ich nicht zuordnen, aber ich sehe, wie ein junger Mann neben mir von der Mauer abrutscht. Der menschliche Belagerungsturm fällt in sich zusammen, und ich werde unter einem Haufen Körper begraben. Ich halte die Arme über den Kopf und brülle vor Schmerz: Jemand versucht mich am Bein aus diesem Geknäuel herauszuziehen. Es gelingt mittelprächtig – mehrere Leute liegen auf mir drauf. 


    Ich stehe wieder auf, wasche mir mit Schnee das Gesicht, weiche einem Schneeball aus und klettere wieder auf die Festung. Beim zweiten Mal bilde ich einen Teil des ersten Stocks. Ich versuche, einen Blick zu erhaschen, was da oben los ist, muss aber schnell einsehen, dass es eine sehr schlechte Idee war – jemand tritt auf mein Gesicht und versucht sich abzustoßen, um höher zu klettern.

    Wieder stürzt einer von der Mauer, schließe ich aus dem ohrenbetäubenden Aufschrei. Ich sehe nichts außer Füßen und Schultern. Wir fallen. Ein junger Mann mit blutiger Nase hilft mir auf und spuckt rot in den Schnee. Neben uns ist noch ein Verwundeter. Aufgeschlagene Augenbraue.

    Das Herz pocht in den Schläfen, die Beine zittern vor Aufregung, ein Teil vom Armband meiner Uhr ist abgerissen, genau wie die Schnürsenkel-Haken von meinen Schuhen. Trotzdem stürme ich immer wieder die Festung, rutsche wieder ab, falle wieder in die aufgeheizte Menschenmenge. Jemand hat die Festungsmauer erklommen. Jetzt darf er die anderen Angreifer hinaufziehen. Den jungen Mann mit der aufgeschlagenen Augenbraue, den mit der kaputten Nase und mich.

    Ich helfe immer mehr Stürmern über die Mauer. Neben mir steht ein Teenager mit einem blutigen Schuhabdruck im Gesicht.

    „Tut’s weh?“, frage ich mitfühlend.

    „Sch… drauf“ [im russischen Original Mat dek], winkt er fröhlich ab und blickt verzaubert auf die Strohpuppe Winter, die auf dem Feld langsam in Flammen aufgeht.

    Weitere Themen

    Samogon

    Walenki

    „Sie sind völlig frei“

    Juni: Grooven auf den Leeren Hügeln

    November: Einst war hier das Meer

    Lehrerinnen fürs Ende der Welt

  • „Mir ist klar, warum es diese ganze Prostitution gibt“

    „Mir ist klar, warum es diese ganze Prostitution gibt“

    Wer durch St. Petersburg spaziert, dem begegnen sie immer wieder, auf Zebrastreifen, Autotüren, Plakatfenstern: Anzeigen von Prostituierten und Bordellen. Meist stehen da nur ein Frauenname und eine Nummer dahinter.

    Prostitution ist in Russland ein relativ neues Phänomen, das zu Sowjetzeiten in einer absoluten Tabuzone und im Alltag kaum sichtbar war. Mit der Migration und den wirtschaftlich prekären Verhältnissen verbreitete sie sich erst nach der Perestroika. Da die Prostitution als Gewerbe verboten ist, bewegen sich die Frauen in der Illegalität, sind kaum geschützt, während das ganze Milieu hochgradig kriminalisiert ist. Vereinzelt machen Aktivisten auf die schwierige Lage der Prostituierten aufmerksam, insgesamt jedoch wird das Problem nur wenig thematisiert.

    Das Stadtmagazin Bolschoi Gorod lässt den ehemaligen Security-Mann eines Bordells zu Wort kommen. Der gibt einen subjektiven Einblick in den rauen Alltag.

    Hartes Pflaster – Prostitution in Russland ist illegal, die Frauen sind kaum geschützt. Foto © Ilya Varlamov
    Hartes Pflaster – Prostitution in Russland ist illegal, die Frauen sind kaum geschützt. Foto © Ilya Varlamov

    Ein Freund, der auch Fußballfan ist, bot mir vor ein paar Jahren an,  für ihn als Security im Bordell einzuspringen. Der Job sagte mir zu, und ich blieb Vollzeit dort. Die Wachleute wurden anständig bezahlt – für eine 24-Stunden-Schicht ungefähr 100 Dollar bar auf die Hand. Für Piter war das gutes Geld.

    Der Puff befand sich in einem Souterrain am Stadtrand. Drei Kellerräume waren mit Vorhängen abgeteilt, so dass sich jeweils zwei oder drei Nischen ergaben. So einen Laden kann man aufmachen, wenn man nicht viel Geld hat und Bullen kennt – ein Bordell aufmachen, schnell Kapital anhäufen und in ein anderes Business wechseln.  

    Unser Bordell kam ins Laufen, weil wir im ganzen Stadtviertel Werbezettel aufhängten. Sowas wie Relax 24. Da gab es extra einen Typen, der rumlief und Zettel klebte. Wenn auf diese Inserate hin viele Männer anriefen, bekam er 1500 bis 3500 Rubel [circa 20 bis 40 Euro] Manchmal meldeten sich auch Mädels, die Arbeit suchten.

    Ein Bordell aufmachen, schnell Kapital anhäufen und in ein anderes Business wechseln

    Keine Ahnung, was die Bordellbesitzerin vorher gemacht hatte, aber wahrscheinlich irgendwo am Empfang gearbeitet. Sie kannte die Bullen des Bezirks recht gut, ich denke, da nutzte sie Verbindungen von früher.

    Es war Aufgabe der Administration, Anrufe entgegenzunehmen und Präsentationen für die Kunden zu arrangieren. Die Administration machte die Kasse und die Abrechnungen, zahlte Löhne aus, organisierte den Alltag der Prostituierten und verkaufte alkoholische Getränke. Die Kohle ging an die Puffmutter oder, seltener, an einen Bullen.

    Ich kannte den Bullen, der den Kies holte. Das ganze Polizeirevier, ja der ganze Bezirk wusste, dass hier ein Bordell war. Manchmal kamen die Bullen selber als Freier. Die wurden gratis bedient. Ich hab gehört, dass sie rund 50.000 Rubel [circa 600 Euro] im Monat bekamen, aber ob das stimmt, weiß ich auch nicht.

    Auf Arbeit musste ich absolut nichts tun, nur Gäste begrüßen und verabschieden. Lesen ging nicht wirklich – Geschrei, Gestöhn, laute Musik. Das beste war, auf dem Handy zu spielen oder in sozialen Netzen rumzuhängen.

    Damit wir uns nicht langweilten, schleppten mein Freund und ich Fitnessgeräte an. Wir fanden einen abschließbaren Raum und kauften dafür Sporteinrichtung. Wir hatten da eine Scheibenhantel, ein Reck, einen Barren, Fausthanteln und Gewichte. Ich aß, schlief, trainierte, hing am Handydisplay. Konflikte mit Freiern wurden mit Worten oder Waffen gelöst. Pistole raus und höflich zum Abmarsch auffordern ging immer. Manchmal reichte auch Reizgas.

    Manchmal kamen die Bullen selber als Freier, die wurden gratis bedient

    Der Großteil der Kunden sind Arbeiter. Tadshiken, Usbeken. Manchmal auch ganz normale junge Russen. Wo mir dann oft nicht klar war, warum der keine Freundin hat. Aber nein – er geht in den Puff. Und bezahlt eine Frau, die … na eben eine unter seinem Niveau.

    Der Freier wird reingelassen und setzt sich dann auf die Gästebank. Dann kommen die verfügbaren Mädchen raus und lassen sich anschauen – das ist die Präsentation. Er sucht sich eine aus, die ihm gefällt. Die nimmt er mit aufs Zimmer.

    Die Mädchen kosteten 1200 [knapp 15 Euro]. Dafür kriegt der Kunde einen Blowjob, zweimal Verkehr und eine Entspannungsmassage. Analsex kostet extra. Ein Mädchen, das gut ankam, konnte locker bis zu zehn Freier pro Schicht bedienen. Die, die nicht so oft drankamen, zwei bis drei.

    Nutten gibt es verschiedene – Russinnen, Asiatinnen, Schwarze. Die Schwarzen haben eine eigene Chefin, die sie in Afrika für Russland anwirbt. Sie zahlt ihnen die Reise und eine Unterkunft. Die Mädchen schulden ihr dann rund eine Million Rubel [circa 12.000 Euro]. Diese Summe arbeiten sie im Bordell ab, zahlen ihr also nach jeder Schicht eine Rate. Außerdem bringt ihnen diese Frau Mittel gegen den speziellen Körpergeruch von Schwarzen und traditionelles Essen – so Fleischgerichte mit Reis. Manchmal gab’s auch Kuhschwänze.  

    Wenn sie nicht umgebracht werden oder sonst was passiert, gehen die nach Afrika zurück und starten dort gemütlich ihr eigenes Business. Zum Beispiel einen Supermarkt. Einen anderen Weg gibt es nicht. Dafür können sie herkommen, was ausprobieren und leben dann in Saus und Braus.   

    Die Afrikanerinnen wohnten im Bordell. Ich brachte ihnen russische Schimpfwörter bei. Zum Beispiel „******“ auf die Frage „Wie gehts“. Ich wollte einfach hören, wie sie das Wort „******“ [supergeil] mit ihrem Afroakzent aussprechen.

    Die Mädchen hatten keinen bestimmten Zeitplan. Kein Krankengeld und keine Sozialleistungen. Das ist keine Arbeit

    Die anderen kamen einfach zum Geld verdienen. Zum Spaß einfach nur rumhängen tat dort niemand – die Mädels mussten für die Wachleute zahlen. Auch Gleitgel und was sie sonst noch brauchten bezahlten sie aus eigener Tasche. Gummis kauften sie auch auf eigene Rechnung, und sie bumsten nie ohne. Das war absolute Bedingung. Die Freier versuchten manchmal, das Kondom abzustreifen, aber dann mischten wir uns ein, entweder ich oder die Administration.

    Ganz interessant, dass in diesem Geschäft keine Tadshikinnen genommen werden. Viele Tadshiken haben nämlich was dagegen, dass Tadshikinnen auf den Strich gehen. Dann kommen sie womöglich ins Bordell, stiften Unruhe, verletzen jemanden, nehmen die Frau mit und fahren mit ihr in den Wald und bringen sie um.

    Unsere Luder hatten keinen bestimmten Zeitplan. Kein Krankengeld und keine Sozialleistungen. Das ist keine Arbeit. Manchmal, wenn zu wenige da waren, riefen wir sie an, ansonsten scherte sich niemand drum, ob sie sich frei nahmen oder nicht. War ja ihre Kohle. Soll sie doch selber entscheiden: Kann sie krank herkommen oder nicht? Klar kann sie krank kommen. Manche kommen auch mit Fieber und ****** [arbeiten].    

    Die Mädchen landen freiwillig im Puff. Heutzutage bringt es nichts, jemand zu entführen und zu zwingen. Das gilt als besonders schweres Verbrechen, und wozu bitte jemanden klarmachen, wenn es Leute gibt, die freiwillig auf den Strich gehen?

    Wenn sie nicht umgebracht werden oder sonst was passiert, gehen die nach Afrika zurück und starten dort ihr eigenes Business

    Einmal gab’s bei uns einen Überfall. Stammkunden. Zwei klingelten an der Tür, drei versteckten sich um die Ecke. Ich war nicht dabei, mein Kollege hatte Schicht. Er sah durch den Spion bekannte Gesichter, dachte, alles ok, und machte auf. Sie schlugen ihn sofort nieder, er rollte die Treppe runter. Die, die sich versteckt hatten, stürmten rein. Sie hatten Schlagstöcke. Einer hatte eine Luftpistole. Sie schlugen meinen Kollegen zusammen, schleiften ihn ins Bordell rein, prügelten dort alle nieder. Meinem Kollegen haben sie sein Tablet und sein Geld abgenommen. Die Afrikanerinnen haben sie ausgeraubt, das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Die Kasse mitgehen lassen.     

    Die Frau am Empfang hatte sich auf dem Klo versteckt, aber sie schlugen die Tür ein, zogen sie aus dem Klo und vergewaltigten sie auch noch. Den Wachmann wollten sie auch vergewaltigen.

    Dann kam ein Polizist ins Bordell. Er kam nicht wegen dem Überfall, sondern um seine Knete zu holen. Sie sahen ihn, jagten ihm nach, und als sie ihn erwischten, schlugen sie ihn mit den Schlagstöcken und schossen ihn mit der Luftpistole an. Nahmen ihm zwei iPhones und eine Goldkette ab. Die Gangster, alles Migranten, versprachen, wiederzukommen. Sie wollten Schutzgeld erpressen.    

    Ich und die anderen Securitys beschlossen, sie zu bestrafen.

    Das nächste Mal nahm ich eine Gummigeschosspistole, einen Jagdkarabiner, mehrere Messer und Tränengas mit ins Bordell. Wir warteten, dass sie wiederkommen. Im Endeffekt kamen zwei der Gangster, einen davon erkannten wir. Sie brachten eine Torte mit. Wir stürzten uns auf sie. Sie ließen die Torte fallen und suchten Deckung. Einen verprügelte ich mit dem Pistolenschaft, es begann ein Gerangel, und mein Kumpel schoss den beiden in die Beine.

    Das nächste Mal nahm ich eine Gummigeschosspistole, einen Jagdkarabiner, mehrere Messer und Tränengas mit ins Bordell. Wir warteten, dass sie wiederkommen

    Ich nahm das Messer, packte einen von ihnen am Kragen und tat, als wäre ich ******** [irre]. Ich lachte hysterisch, heulte, brüllte ihn an und biss ihn in die Wange. Als er sein Gesicht hinter seiner Hand verbarg, stach ich mit dem Messer auf seinen Arm ein. Dann drohte ich, ihm das Ohr abzuschneiden.

    Da sah ich, dass in der Blutlache auf dem Boden Tortenstückchen schwammen. Ich fischte mit dem Messer einen Brocken Torte, schwenkte ihn im Blut und fütterte den Burschen mit dieser appetitlichen, prächtig roten Torte. Er aß. Er hatte keine Wahl, ich hatte ihm ja versprochen, ihm sonst den Mund mit dem Messer aufzuschneiden. Sie erzählten uns alles, was sie wussten.

    Dem Typen, der nichts damit zu tun hatte, rieten wir, bis zum Abend ruhig abzuwarten, und ließen ihn frei. Der andere blieb bei uns. Wir hielten ihn als Geisel, bis unsere Leute die anderen Gangster gefunden hatten. Insgesamt hielten wir sie ungefähr 20 Stunden fest. In der Zeit versuchten wir, ihnen die Kugeln aus den Beinen zu ziehen, aber vergeblich. Die Nutten riefen einen Bekannten an, der Arzt war. Der bekam die Kugeln aber auch nicht raus. Wir überredeten sie, ins Krankenhaus am anderen Ende der Stadt zu gehen.

    In der nächsten Nacht nahm uns die Polizei fest – der, den wir laufen gelassen hatten, war zu den Leuten seines Kumpels gegangen. Als die erfuhren, dass wir ihn im Bordell festhielten, verpfiffen sie uns bei den Bullen. Ich hab’s abgesessen. Die, die den Überfall gemacht haben, sitzen immer noch.

    Ich fischte mit dem Messer einen Brocken Torte, schwenkte ihn im Blut und fütterte den Burschen mit dieser appetitlichen Prächtig roten Torte

    Die Mädels im Puff hab ich verachtet. Ich hab mich sogar bemüht, sie nicht zu berühren und nichts zu nehmen, was sie in der Hand hatten. Einmal hab ich Wasser genommen, und usbekische Pistazien.

    Jemand, der so etwas macht wie die, verkommt mit der Zeit. Sie trinken, nehmen Drogen. Wir haben im Bordell Spritzen gefunden. Eine hing sicher an der Nadel – immer völlig fertig, und die Beine voller blauer Flecken. Geschwollene Füße, das Gesicht aufgedunsen, hässlich. Den Job wechseln wollten die Nutten anscheinend nicht. Sie sagten, sie haben im Bordell angefangen, weil sie sich anders nicht finanziell durchschlagen konnten.

    Ich finde es nicht in Ordnung, seinen Körper zu verkaufen, aber ich finde, jeder Mensch hat das Recht, das selbst zu entscheiden. Mir ist klar, warum es diese ganze Prostitution gibt. Daran sind nicht die Mädchen schuld. Schuld sind die Umstände rundherum.

    Weitere Themen

    Aus der Tiefe

    Die Anzapf-Könige

    Prostitution in Russland

    Warum sind Polizisten bestechlich?

    Mat – russische Vulgärsprache

    Kontakt der Zivilisationen

    Die Kirschhölle