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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Podcast mit dem ZOiS: Scheinwahlen in Belarus

    Podcast mit dem ZOiS: Scheinwahlen in Belarus

    Noch bis zum 26. Januar 2025 hält das Lukaschenko-Regime in Belarus „Präsidentschaftswahlen“ ab. Ohne transparente Formen der Wahlbeobachtung, ohne unabhängige Medien-Berichterstattung, ohne nennenswerte Konkurrenz, ohne die Möglichkeiten für Exil-Belarussen zu wählen oder zu kandidieren. Währenddessen sind Repression und Verfolgung im Land allgegenwärtig. Die sogenannten „Wahlen“ sind offensichtlich inszeniert statt demokratisch.  

    Und doch ist Amtsinhaber Lukaschenko bemüht, die Inszenierung aufrechtzuerhalten. Warum? 

    Ein Roundtable-Podcast des Zentrums für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS) mit dekoder-Redakteur und Belarus-Experte Ingo Petz und den Wissenschaftlerinnen Nadja Douglas und Nina Frieß über die politischen Hintergründe der vorgezogenen „Wahlen“, darüber, wie europäische Staatsführungen mit der Inszenierung umgehen können und welche Rolle Lukaschenko in möglichen Verhandlungen über ein Kriegsende spielen könnte.

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  • Russophonie – Russische Sprache im Plural

    Russophonie – Russische Sprache im Plural

    „Russland hat kein Monopol auf die russische Sprache. Unser ukrainisches Russisch Putin zu überlassen, das wäre das gleiche, wie Hitler das Deutsche zu überlassen. Ich persönlich habe nicht vor, meine Sprache irgendjemandem zu überlassen“1, sagte der ukrainische Dichter Alexander Kabanow in einem Interview im Mai 2022. Als russischsprachiger Autor ist er wie auch viele andere russischsprachige Ukrainerinnen und Ukrainer seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die gesamte Ukraine mit der Frage konfrontiert, wie er sich zu seiner Muttersprache positionieren soll. Diese sei, wie er das bereits 2017 formulierte, zur „Sprache des Feindes“ geworden: In diesem Jahr veröffentlichte er unter dem Titel „In der Sprache des Feindes“ einen Gedichtband über den seit 2014 im Osten der Ukraine schwelenden Krieg – und zwar auf Russisch.

    Russisch ist eine der sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen, weltweit ist es für etwa 258 Millionen Menschen Mutter-, Erst- oder Zweitsprache. Keineswegs alle von ihnen identifizieren sich als Russinnen oder Russen, haben die russische Staatsbürgerschaft, oder sind russischer Herkunft. Der russische Staat beansprucht jedoch für sich, die Interessen dieser Menschen zu vertreten – im Zweifel unter Einsatz militärischer Mittel.

    Zum Ausdruck kommt der russische Vertretungsanspruch für Russischsprecherinnen und -sprecher besonders deutlich in der Ideologie des sogenannten Russki Mir (dt. russische Welt). Ursprünglich ein eher diffuses Kulturkonzept, wurde die Idee der „russischen Welt“ nach und nach ideologisch aufgeladen und soll nun auf Grundlage einer gemeinsamen Sprache und vermeintlich gemeinsamer Werte Russlands Herrschaftsanspruch im postsowjetischen Raum und mitunter auch darüber hinaus legitimieren.

    Nationales Eigentum Russlands

    Die russische Sprache wird oft als „nationales Eigentum Russlands“2 verstanden – so liest man es beispielsweise auf der deutschsprachigen Seite der Stiftung Russkij Mir, die 2007 durch einen Präsidentenerlass gegründet wurde. Die Grenzen dieser „russischen Welt“ werden maximal weit gefasst: „‚Russkij Mir‘ umfasst nicht nur Russen, nicht nur Einwohner Russlands, nicht nur unsere Landleute [sic] in den Ländern des weiten und nahen Auslands, Emigranten, Auswanderer aus Russland und ihre Nachkommen. Das sind ausländische Bürger, die Russisch sprechen, lernen und unterrichten, alle Menschen, die sich aufrichtig für Russland interessieren und über seine Zukunft aufregen [sic].“3

    In der russischen Außenpolitik spiegelt sich dieser Vertretungsanspruch spätestens seit Russlands militärischer Intervention in Georgien im August 2008 wider. Die offizielle Rhetorik und Rechtfertigung der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 und des kurz darauf beginnenden und von Moskau kontrollierten Krieges im Osten der Ukraine zeigen, dass Russland lange vor dem 24. Februar 2022 damit begann, den vermeintlichen Schutz russischsprachiger Menschen als Vorwand für die Durchsetzung geopolitischer Interessen zu missbrauchen.

    Dieser Vertretungsanspruch beunruhigt Staaten mit einem signifikanten Anteil von Bürgerinnen und Bürgern, die der Kreml durch ihre Herkunft oder ihre Sprache möglicherweise als „russisch“ betrachten könnte. Doch auch nicht alle Russischsprecherinnen und -sprecher wollen sich von Russland vertreten und vereinnahmen lassen. Staaten wie Individuen haben deshalb Strategien entwickelt, um den russischen Vertretungsanspruch einzudämmen und zurückzudrängen. Da Sprache dem Kreml als wichtigstes Identifikationskriterium für die Zugehörigkeit zur „russischen Welt“ dient, fallen auch viele der Gegenmaßnahmen in den Bereich Sprachpolitik.

    Russisch im (post)sowjetischen Raum

    Zur sowjetischen Amtssprache war das Russische erst kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion durch das Gesetz „Über die Sprachen der Völker der UdSSR“ vom 24. April 1990 geworden. Die Verfassung der Sowjetunion von 1977 verbot, Menschen aufgrund ihrer Sprache zu diskriminieren, räumte die Möglichkeit ein, muttersprachlichen Unterricht zu besuchen und gewährte den Sprachen der einzelnen Republiken einen besonderen Status. Faktisch war Russisch jedoch jahrzehntelang die Sprache gewesen, die das öffentliche Leben in der Sowjetunion dominiert hatte: Wer in der Politik, der gelenkten Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur etwas werden wollte, musste Russisch sprechen.

    Schon während der Perestroika begannen die Sowjetrepubliken, ihre Nationalsprachen aufzuwerten. Sie änderten Schulprogramme, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden bestimmte Sprachkenntnisse teilweise auch zur Voraussetzung für den Erhalt der Staatsbürgerschaft oder die Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Einen verfassungsrechtlichen Sonderstatus hat die russische Sprache außerhalb Russlands heute nur noch in drei Nachfolgestaaten der UdSSR: in Belarus, Kasachstan und Kirgisistan, wobei es nur in Belarus den Rang einer Amtssprache besitzt, die mit dem Belarussischen gleichberechtigt ist.

    In der Ukraine gab es seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 immer wieder Debatten um die Nutzung der russischen Sprache. Während der ehemalige Präsident Viktor Janukowitsch 2012 noch die Anerkennung des Russischen als Regionalsprache in den Regionen mit einem hohen Anteil von Russischsprecherinnen und -sprechern gefördert hatte4, unterstützte der Staat nach 2014 immer stärker das Ukrainische. Das 2019 angenommene Gesetz „Über die Gewährleistung des Funktionierens der ukrainischen Sprache als Staatssprache“ wurde zum Wendepunkt der staatlichen Sprachregulierung in der jüngsten Geschichte des Landes. Das Gesetz schreibt unter anderem die Verwendung des Ukrainischen in öffentlichen Einrichtungen vor und stärkt seine Nutzung in den Medien und in der Kultur- und Unterhaltungssphäre, indem es etwa Bußgelder vorsieht, wenn beispielsweise russischsprachige Publikationen nicht auch in ukrainischer Sprache erscheinen.

    Seit Beginn des großflächigen russischen Angriffskriegs hat sich die Sprachsituation im Land noch einmal beträchtlich verändert. Laut einer Umfrage, die vom Kyjiwer Internationalen Institut für Soziologie durchgeführt wurde, hat sich die Anzahl der Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich im Alltag ausschließlich auf Ukrainisch unterhalten, im Vergleich zu 2017 bemerkenswert (um 7 Prozentpunkte) vergrößert.5 Auch im Kulturbereich können erhebliche Kurswechsel beobachtet werden. Ehemals primär russisch schreibende Autorinnen und Autoren haben öffentlich ihren Wechsel in die ukrainische Sprache zum Thema gemacht, darunter die aus Donezk stammende Dichterin Ija Kiwa6 oder der in Kanada lebende ukrainische Lyriker und Literaturwissenschaftler Alex Averbuch.7 Und selbst Alexander Kabanow, der weiterhin auf Russisch schreiben will, plant nun einen Gedichtband auf Ukrainisch zu veröffentlichen.8

    „Unsere“ russische Sprache

    Nicht alle Russichsprecherinnen und -sprecher sind bereit, ihre Sprache dem Kreml zu überlassen. Einen Mitstreiter im Geiste hat Alexander Kabanow in Juri Serebrjanski aus Kasachstan. Der Autor und Kulturwissenschaftler ist einer der führenden Vertreter der sogenannten „jungen“ russischsprachigen Literatur Kasachstans. Auch in der zentralasiatischen Republik wird über die Verwendung der russischen Sprache gestritten. Während kasachische Nationalisten den verfassungsrechtlichen Sonderstatus der russischen Sprache streichen wollen, fürchten Vertreterinnen und Vertreter ethnischer Minderheiten in diesem Fall um ihre Zukunft in Kasachstan: Russisch ist für viele Angehörige dieser Minderheiten Erstsprache. Ihre Kasachischkenntnisse liegen trotz massiver staatlicher Investitionen in Sprachförderung weiterhin deutlich unter denen der Mehrheitsbevölkerung.

    Schon 2019 hatte Serebrjanski in einem Essay mit dem Titel „Die russische Sprache – das ist Kasachstan“9 gefragt, ob sich die Diskussion um die Nutzung der russischen Sprache in Kasachstan nicht entspannen würde, wenn man die russische Sprache als etwas begreife, das den russischsprechenden Bürgerinnen und Bürgern Kasachstans gehöre, und eben nicht Russland. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine wirbt Serebrjanski vermehrt für die Einrichtung eines kasachstanischen Instituts für russische Sprache, das eigene Standards für die russische Sprache Kasachstans setzen und die russischsprachige Kultur Kasachstans unterstützen solle.10 Als Kasachstans Präsident Qassym-Schomart Toqajew im Oktober 2022 vorschlug, ein internationales Institut für die Unterstützung und Entwicklung der russischen Sprache zu schaffen, erschien es für einen kurzen Moment, als bekäme diese Idee Rückendeckung von höchster Ebene. Dass diese Ankündigung bei einem Gipfeltreffen der GUS-Staaten im Beisein Wladimir Putins erfolgte, weckte allerdings Zweifel, ob es sich bei einem solchen Institut um eine von Russland unabhängige Einrichtung handeln kann.

    Indessen werden Debatten um die Beschaffenheit der russischen Sprache sowie um deren Zukunft nicht nur in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion geführt, sondern weltweit. So sprechen in den USA, Israel oder Deutschland, also in jenen Ländern, die zwischen den 1970–1990er Jahren Hauptziele (post)sowjetischer Emigrantinnen und Emigranten waren, noch heute Millionen dieser Menschen und ihrer Nachkommen Russisch, darunter zahlreiche Kulturschaffende. Ihrer russischen Muttersprache bedienen sich etwa die in Israel lebende Bestsellerautorin Dina Rubina, die Lyrikerin Polina Barskova in den USA oder der Komponist und Dichter Boris Filanowsky in Deutschland. Die Themen dieser und anderer migrierter Autorinnen und Autoren sind dabei ebenso vielfältig wie die sprachliche Ausgestaltung ihrer Werke: Während viele Migrationserfahrungen und das Leben in den jeweils neuen Ländern in den Fokus stellen, beschäftigen sich andere mit der Geschichte oder der Gegenwart Russlands, dritte wiederum mit gänzlich anderen Themen. Vielfach finden die jeweiligen Landessprachen Eingang in die Texte, Deutsch, Englisch oder Hebräisch werden kunstvoll mit dem Russischen verflochten. Oftmals verändert sich in der neuen Umwelt aber auch die russische Sprache selbst: Neologismen und Lehnwörter verleihen ihr eine spezifische lokale Prägung und verankern sie in einem konkreten, erkennbar nicht russländischen geokulturellen Kontext. Diese Veränderungen des Russischen sowie die alltägliche und literarische Mehrsprachigkeit verweisen auf die Entstehung einer Mehrzahl postimperialer ‚russischer Sprachen‘ – ganz so, wie nach dem Zerfall des britischen Imperiums eine Vielzahl von ‚World Englishes‘ entstanden ist.

    Globale russophone Kulturen

    In akademischen Debatten trifft man in diesem Zusammenhang auf den Begriff der „Russophonie“.11 Analog zu Überlegungen zu frankophonen Literaturen und Kulturen12 ließen sich russophone Autorinnen und Autoren vor allem über die Sprache definieren, in der sie schreiben. Diese Betonung der Sprache der Texte, statt der territorialen Zugehörigkeit der Schreibenden, macht die Frage nach ihrer Herkunft oder ihrer Beziehung zu Russland obsolet. Statt der russischen Kultur wird nun von den globalen russischen oder eben russophonen Kulturen13 – und der Plural ist hier wichtig – gesprochen, die sich als ein „Archipel“ verstehen lassen. Zusammen formen die weltweit verteilten „Inseln“ russophoner Kulturen ein dezentrales Ganzes. Diese „Inseln“, die sich unter anderem im Baltikum und in Israel, in Zentralasien, den USA oder Deutschland befinden, stehen im regen Austausch miteinander, sind aber voneinander unabhängig und orientieren sich nicht an einem gemeinsamen Zentrum – also weder an Russland, noch an einem anderen Land.14

    Der russische Angriff auf die gesamte Ukraine hat diese Debatte auch unter Kulturschaffenden intensiviert. Dabei geht es um Abgrenzung zu Putins Russland, aber auch um ganz praktische Fragen, etwa darum, wie man sich von dem für russischsprachige Autorinnen und Autoren seit den 1990er Jahren so relevanten russischen Literaturmarkt unabhängig machen kann. Welche konkreten Resultate diese Diskussionen einmal haben werden, ist aktuell offen. Dass sie geführt werden, zeigt aber, dass Russlands Alleinvertretungsanspruch auf die russische Sprache und die russische Kultur nicht zu halten ist.


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  • Gulag-Literatur

    Gulag-Literatur

    Im November 1962 erscheint in der sowjetischen Literaturzeitschrift Nowy Mir die Erzählung Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch. Ein bis dahin völlig unbekannter Autor hatte sie geschrieben – Alexander Solschenizyn. Der Text schildert auf 65 Seiten einen typischen Tag eines typischen Lagerhäftlings im Jahr 1951: vom morgendlichen Wecksignal bis zum abendlichen Zählappell. 

    Die mit ausdrücklicher Genehmigung Nikita Chruschtschows erfolgte Veröffentlichung war eine Sensation: Erstmals durfte in der Sowjetunion verhältnismäßig offen über das harte Leben im Gulag zur Herrschaftszeit Josef Stalins berichtet werden. Zeitgenössische Leserbriefe zeigen, dass die Erzählung nur wenige Leser gleichgültig ließ. Neben Zuschriften, die dem Autor vorwerfen, Lügen zu verbreiten und der Sowjetunion zu schaden, finden sich vor allem enthusiastische Stimmen, die der Redaktion und dem Autor überschwänglich dafür danken, das Thema aufgegriffen zu haben.1 Auch der ehemalige Gulag-Häftling Warlam Schalamow schreibt an Solschenizyn und lobt ihn überschwänglich: „Ich habe zwei Nächte nicht geschlafen – ich habe ihre Erzählung gelesen, noch einmal gelesen, mich zurückerinnert … Die Erzählung ist wie ein Gedicht, alles daran ist vollkommen, alles ist schlüssig.“2

    Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch legte den Grundstein für den Ruhm Alexander Solschenizyns, der sich in den Folgejahren zu dem Autor der Gulag-Literatur entwickeln sollte. Der Text unterbrach das staatlich verordnete, fast 30 Jahre währende Schweigen über das sowjetische Repressionssystem. Er wurde zu einem Initiationstext, der viele ehemalige Lagerhäftlinge nicht nur dazu ermutigte, ihre eigenen Erlebnisse aufzuschreiben, sondern sie zur Publikation in Zeitungen und Zeitschriften einzureichen. Auch Warlam Schalamow hoffte darauf, endlich etwas veröffentlichen zu können. In seinem Brief an Solschenizyn heißt es: „Ich habe tausend Gedichte und hundert Erzählungen geschrieben und in sechs Jahren mit Mühe einen Band verkrüppelter Gedichte veröffentlicht, wo jedes Gedicht beschnitten, verstümmelt ist.“3 

    Entstehungsgeschichte des Repressionssystems

    Die Anfänge der sowjetischen Gulag-Literatur gehen indes bis in die 1920er Jahre zurück.4 Damals erschienen im Ausland erste Texte von russischen Emigranten, die von den Repressionen nach der Revolution handeln und von den chaotischen Zuständen in den ersten Lagern der Sowjetunion, etwa in dem Lagerkomplex auf Solowki. Die Texte, meist Memoiren und häufig in der Sprache des Aufnahmelandes veröffentlicht, wollten über die Herrschaft der Bolschewiki informieren und ihre Leserschaft aufrütteln. Ihren Weg zurück in die Sowjetunion fanden sie nicht, auch nach der Perestroika blieben sie einem russischsprachigen Publikum meistens verschlossen.

    Neben den Memoiren und Zeugnissen, die von Repressierten verfasst wurden, entstanden bis Mitte der 1930er Jahre auch literarische Texte, deren Veröffentlichung in der noch jungen Sowjetunion erlaubt und sogar gefördert wurde. In der sogenannten Tschekistenliteratur, die unmittelbar nach der Oktoberrevolution zu entstehen begann, avancierten die Mitarbeiter der staatlichen Sicherheitsorgane zu literarischen Helden. Zwar wird das Lager in diesen Texten nur am Rande erwähnt, sie geben aber einen aufschlussreichen Einblick in die Entstehungsgeschichte des sowjetischen Repressionssystems und in die Mentalität der Exekutive.5 

    Umerziehung zu aufrichtigen Sowjetmenschen

    Außerdem kamen Texte heraus, die die sogenannten Arbeitsbesserungslager in den Fokus rücken. Berühmtheit erlangte das Kollektivprojekt Der Weißmeer-Ostsee-Kanal »Stalin«. Eine Baugeschichte 1931–1934. Dieses entstand 1934 im Anschluss der Reise einer Schriftstellerdelegation rund um Maxim Gorki an den Weißmeer-Ostsee-Kanal. Der Text vermittelt den Eindruck, dass die sowjetischen Lager erforderliche und gesellschaftlich nutzbringende Einrichtungen seien, in denen „gesellschaftsferne Elemente“ zu aufrichtigen Sowjetmenschen umerzogen werden. Nur so lässt sich erklären, warum sich in dem Buch Details über das junge Gulag-System finden, die mit dem Beginn des Großen Terrors eigentlich streng geheim waren. Bis zum Jahr 1937, in dem die sowjetischen Behörden Der Weißmeer-Ostsee-Kanal aus dem Verkehr zogen, diente der Band anderen Autoren als Prototyp für ähnliche Texte. 

    Schreibverbote

    Ab Mitte der 1930er Jahre konnten in der Sowjetunion keine Texte mehr erscheinen, die die Lager oder die staatlichen Repressionen thematisierten. Verfasst wurden sie dennoch. Allerdings ist wohl nur ein Bruchteil von ihnen erhalten geblieben und zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht worden. 

    Die bekannt gewordenen Texte sind zumeist Aufzeichnungen, die Aufschluss über Details des Lageralltags geben, ihr literarischer Gehalt gilt als gering bis nicht vorhanden. Auch Briefe, die Lagerhäftlinge an ihre Angehörigen schrieben, ermöglichen heute – trotz der Zensurbedingungen, unter denen sie verfasst wurden – einen Einblick in das Lagerleben. Größere Bekanntheit erlangten die Briefe des Priesters, Religionsphilosophen und Wissenschaftlers Pawel Florenski. Von seiner Verhaftung 1933 bis zu seiner Erschießung im Jahr 1937 hatte dieser seiner Familie von verschiedenen Etappen seiner Lagerhaft geschrieben. 1998 wurden die Briefe Florenskis erstmals komplett veröffentlicht.6 

    Die literarischsten Texte, die in den Lagern selbst entstanden, waren Gedichte. Sie hatten den Vorteil, dass sie auf kleinstem Raum verfasst, gut versteckt und durch ihre Form leicht auswendig gelernt werden konnten. Unter Umständen konnten sie so – wie auch Lieder – die Haftzeit ihrer Verfasser überdauern und zu einem späteren Zeitpunkt erneut aufgeschrieben und publiziert werden. Die bekannt gewordenen Gedichte, die im Lager entstanden, umfassen ein weites Spektrum: Neben tiefgründigen Reflektionen über das Lagerleben und das eigene Schicksal finden sich hier auch Beschwerden und Spottverse.7 

    Verschmolzen zu einem einzigen Hypertext

    Nach Stalins Tod und der Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag im Jahr 1956 begannen viele Menschen, ihre Erinnerungen an die Lager aufzuschreiben. Dabei mag es den meisten weniger darum gegangen sein, Memoiren zu veröffentlichen, sondern vielmehr darum, ihre Erinnerungen an das erlittene Unrecht überhaupt zu Papier zu bringen. Das Ablegen eines Zeugnisses (auch gegenüber sich selbst) wurde zum wesentlichen Motivationsmoment des Schreibprozesses. Diese Texte sind nach einem nahezu identischen Muster angelegt, das auf der Chronologie der Ereignisse beruht: Die Autoren schildern ihr Leben vor der Verhaftung, die aufkommende Angst vor einer Festnahme und schließlich die (von einigen fast als Erlösung von ihrem angstvollen Warten empfundene) Verhaftung selbst. Dem folgen Erinnerungen an die Untersuchungshaft, die Verurteilung, die Überführung ins Lager und in unterschiedlicher Ausführlichkeit an das Lagerleben selbst. Schließlich schildern die Autoren ihre Entlassung und die Rückkehr ins zivile Leben. Durch ihre Ähnlichkeit scheinen diese Texte, wie die russische Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Irina Schtscherbakowa treffend feststellte, zu einem „einzigen Hypertext zu verschmelzen“.8

    Die Tauwetterperiode währte nur kurz. Solschenizyns Folgewerke, Im ersten Kreis der Hölle, Die Krebsstation und natürlich sein Monumentalwerk Archipel Gulag, erschienen bereits im Samisdat beziehungsweise im Ausland. Ähnlich erging es Warlam Schalamow und Jewgenija Ginsburg, deren Werke durch ihre literarische Qualität aus der Vielzahl der Lagertexte herausstechen. Erst während der Perestroika konnten Schalamows Erzählungen aus Kolyma und Ginsburgs Marschroute eines Lebens in der Sowjetunion frei zugänglich erscheinen, beide erlebten das nicht mehr. 

    Neben diesen heute zum Kanon der Gulag-Literatur zählenden Texten erschien zu dieser Zeit eine Vielzahl von Zeugnistexten, die Betroffene zu einem früheren Zeitpunkt verfasst und dann jahrzehntelang aufbewahrt hatten oder die erst während der Perestroika niedergeschrieben worden waren. Bis heute werden neue Gedächtnistexte publiziert, meist durch die Nachfahren der Repressierten, die etwa beim Aufräumen auf die Manuskripte stießen.9 Keiner dieser Texte hat jedoch die Bekanntheit und die Bedeutung von Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch erreicht. Der Wegbereiter der sowjetischen Gulag-Literatur ist bis heute Pflichtlektüre für russische Schulklassen – trotz der aktuellen russischen Geschichtspolitik, die Stalins Herrschaft zunehmend in ein besseres Licht zu rücken sucht.

     

    Zum Weiterlesen:
    Toker, Leona (2000): Return from the Archipelago: Narratives of Gulag Survivors, Bloomington und Indianapolis
    Frieß, Nina (2017): „Inwiefern ist das heute interessant?“ Erinnerungen an den stalinistischen Gualg im 21. Jahrhundert, Berlin 
    Für russischsprachige Leser bietet die Internetseite Wospominanija na Gulage eine große Auswahl an Texten, die an den Gulag erinnern, und die dazugehörigen Autorenbiografien. 

    1. Anlässlich des 50. Jubiläums der Veröffentlichung erschien eine Sammlung von Leserbriefen: Tjurina, Galina (2012): «Dorogoj Ivan Denisovič!..» Pisʼma čitatelej 1962–1964: K 50-letiju publikacii rasskaza Aleksandra Solženicyna‚ Odin denʼ Ivana Denisoviča‘, Moskva ↩︎
    2. Šalamov,Varlam (2007): Šalamov an Aleksandr Solženicyn, in: Osteuropa: Das Lager schreiben, Berlin 6/2007, S. 125-136, hier S. 125 ↩︎
    3. ebd., S. 136 ↩︎
    4. Texte über die Zwangsarbeit unter den russischen Zaren wie Fjodor Dostoevskijs Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860-62) und Anton Čechovs Die Insel Sachalin (1893) sind streng genommen nicht Teil der Gulag-Literatur, bilden aber wichtige Prätexte für diese. ↩︎
    5. siehe dazu ausführlich Heller, Michel (1975): Stacheldraht der Revolution: Die Welt der Konzentrationslager in der sowjetischen Literatur, Stuttgart, S. 93 ff. ↩︎
    6. Florenskij, Pavel (1998): Sočinenija v četyrech tomach: Tom 4: Pisʼma s Dalʼnego Vostoka i Solovkov, Moskva ↩︎
    7. Eine beeindruckende Sammlung der „Poesie der Gefangenen des Gulags“ findet sich in der russischsprachigen Anthologie Poezija Uznikov GULAGa, die Gedichte von über 300 politischen Häftlingen enthält. Vilenskij,Semen (Hrsg., 2005): Poėzija uznikov GULAGA: Antologija, Moskva ↩︎
    8. Shcherbakova,Irina (2003): Remembering the Gulag: Memoirs and Oral Testimonies by Former Inmates, in: Dundovich, Elena et al. (Hrsg.): Reflections on the Gulag: With a documentary appendix on the Italian victims of repression in the USSR, Milano, S. 187-207, hier S. 198 ↩︎
    9. So wie es Vorläufer der sowjetischen Gulag-Literatur gab, gibt es auch Nachfolger, etwa Michail Chodorkowskis Briefe aus dem Gefängnis, München, 2011 ↩︎

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  • Russlands Jugend und der Zweite Weltkrieg

    Russlands Jugend und der Zweite Weltkrieg

    „Dieser kleine Soldat kann jedem Erwachsenen eine Lektion in Sachen Tapferkeit, Patriotismus und Standhaftigkeit erteilen,“1 heißt es in einer Beschreibung des Films Soldatik (dt. Der kleine Soldat), der 2018 in die russischen Kinos kam. Der sechsjährige Serjosha Aleschkow wird von Rotarmisten aufgenommen, nachdem deutsche Soldaten seine Familie getötet haben. Serjosha kämpft gemeinsam mit ihnen gegen die deutschen Faschisten, wird für seinen Mut mit einem Orden ausgezeichnet und findet in dem Kommandanten seiner Einheit und einer Front-Krankenschwester schließlich eine neue Familie. Der mit Ressourcen des russischen Kulturministeriums finanzierte Film basiert auf einer wahren Begebenheit und ist für ein Publikum ab sechs Jahren freigegeben.

    Kulturelle Produktionen wie Soldatik zeigen, wie früh Kinder in Russland mit dem Krieg konfrontiert werden. Doch wie bewerten Russlands junge Generationen den Zweiten Weltkrieg? Und wie geht Russlands Jugend mit dem offiziellen Geschichtsbild des Kreml um?

    In der Liste der stolzstiftenden Ereignisse der russischen Geschichte, die das renommierte Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum seit 1999 führt, ist Jahr für Jahr vieles in Bewegung. Nur der erste Platz scheint für immer vergeben zu sein: der Große Vaterländische Krieg. Das sieht tatsächlich nach einem Konsens aus in der sonst oft polarisierten russischen Gesellschaft: Der Große Vaterländische Krieg ist das zentrale Ereignis der Geschichte. 

    Junge Menschen im Blick

    Wie die jüngsten Umfragen des Berliner Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) belegen: Auch für junge Menschen ist das so.2

    Und das ist nicht nur auf die Geschichtspolitik des Kreml zurückzuführen: Nirgendwo sonst hat der Zweite Weltkrieg so viele Opfer gefordert wie in der Sowjetunion. Nahezu jede Familie hatte Tote zu beklagen, in manchen Dörfern kehrten ganze Jahrgänge nicht aus dem Krieg zurück.3 Der Sieg über das zunächst übermächtig erscheinende nationalsozialistische Deutschland am 9. Mai 1945 nimmt eine entsprechend wichtige Rolle in den Erinnerungskulturen der sowjetischen Nachfolgestaaten ein. 

    In Russland wurde der Sieg nach 1991 zu einer wichtigen Ressource in der Entwicklung einer postsowjetischen russischen Identität. Die russische Führung versucht seit den 1990er Jahren, sich die innen- wie außenpolitische Deutungshoheit über dieses historische Ereignis zu sichern. In den staatlichen Feierlichkeiten zum Tag des Sieges, in neuen Lehrbüchern für den Geschichtsunterricht und staatlich geförderten Kulturproduktionen steht der heroische Sieg über das faschistische Deutschland im Vordergrund. So entsteht das Bild einer ruhmreichen Vergangenheit, an das der heutige russische Staat nahtlos anzuknüpfen scheint. Und viele dieser Maßnahmen richten sich explizit an junge Menschen, deren Geschichtsbild als noch formbar gilt. 

    Bereits für Kindergärten gibt es ein Programm zur patriotischen Erziehung, wobei entscheidende Schlachten des Krieges im Sandkasten nachgestellt werden sollen. Viel diskutiert wurde in den letzten Jahren auch eine Reihe von neuen Vorgaben für den Geschichtsunterricht, jüngst in Form eines „historisch-kulturellen Standards“, der die grundlegende inhaltliche Ausrichtung des Geschichtsunterrichts festlegt. 

    Allerdings hängt gerade im Schulunterricht auch viel vom Gestaltungswillen des Lehrpersonals ab. So können Lehrkräfte im Fach Russische Literatur aus einer Vielzahl von Texten wählen, die den Großen Vaterländischen Krieg thematisieren. Unter diesen Texten finden sich durchaus solche, die ein sehr differenziertes Bild des Krieges zeichnen, etwa Wassili Grossmanns epischer Roman Shisn i Sudba (Leben und Schicksal, 1980). Weniger differenziert sind Freizeitangebote, die der patriotischen Erziehung der Jugend dienen. Dazu zählen etwa das „russische Disneyland“, wie der Park Patriot in der Nähe von Moskau oft genannt wird, der ausschließlich dazu dient, den russischen militärischen Ruhm zu feiern. Oder die 2016 gegründete Jugendorganisation Junarmija (dt. Junge Garde), die in den jährlichen Feierlichkeiten zum Tag des Sieges involviert ist und sich auch darüber hinaus regelmäßig an lokalen Veranstaltungen zur Ehre von Veteranen beteiligt. Was denkt nun Russlands junge Generation über den Krieg? Das ZOiS hat dazu in den Jahren 2018, 2019 und 2020 Meinungsumfragen unter jungen Russinnen und Russen (16–34 Jahre) durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Ansichten der jungen Menschen oft differenzierter sind, als es die aktuelle russische Geschichtspolitik vermuten ließe. Und dass sie Widersprüche enthalten, die nicht immer aufzulösen sind. 

    Stolz und Dankbarkeit gegenüber den (Ur-)Großeltern, aber auch gegenüber dem Staat, dominieren die Ansichten der jungen Leute. In einem Interview unterstrich eine junge Frau ihren Stolz darauf, „dass ausgerechnet unser Land dieser schlechten Seite der Geschichte ein Ende bereitet hat.“4 

    Russlands Jugend teilt laut der Studie die Ansicht, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg für die Gegenwart relevant ist und gepflegt werden muss. Überraschenderweise aber empfinden viele junge Menschen die alljährlichen staatlichen Gedenkfeierlichkeiten zum 9. Mai als dem historischen Ereignis unangemessen. Sie kritisieren, unabhängig von ihrer politischen Einstellung, dass die russische Führung den 9. Mai für ihre Agenda missbraucht, die nichts mit dem historischen Ereignis gemein hat. Die Präsentation heutiger Stärke ist dem Kreml dabei wichtiger als das eigentliche Gedenken. Auf Kritik stoßen auch die enormen finanziellen Ressourcen, die für die Siegesfeierlichkeiten aufgewendet werden, während, wie es eine junge Frau ausdrückt, „in den Dörfern Veteranen verhungern“. Viele würden intimere Erinnerungsformen bevorzugen, etwa im Familienkreis, bei dem auch daran erinnert werde, dass – so ein junger Mann – „der Sieg durch die Opfer der Menschen errungen wurde, nicht durch den Staat.“ 

    Allerdings rücken die Opfer, die für diesen Sieg erbracht wurden, in den Erzählungen vieler junger Menschen in den Hintergrund. Das ist in Anbetracht der familiären Betroffenheit in Russland erstaunlich. Auch in Politikerreden5 und in den zahlreichen medialen Verarbeitungen werden die Opferbereitschaft und das Leid der Bevölkerung im Krieg häufig thematisiert – nicht zuletzt, weil es ohne Opfer keine Helden geben kann. Stattdessen dominieren heroische Momente – etwa der eigentliche Tag des Sieges – die Erinnerungen der jungen Menschen. 

    Streit- und Tabuthemen

    Die Rolle Josef Stalins wird von Russlands junger Generation unterschiedlich eingeschätzt. Zwar sind sich die jungen Menschen der stalinistischen Repressionen bewusst, denen die sowjetische Bevölkerung auch während des Krieges ausgesetzt war.6 Ihre Bewertung des totalitären Herrschers unterscheidet sich aber je nach politischer Selbstverortung. 

    Regimekonforme junge Russinnen und Russen loben Stalins positiven Beitrag für den Sieg und den Wiederaufbau des Landes. Regimekritische junge Menschen kritisieren die exzessive Gewalt gegen die eigene Bevölkerung. Gleichzeitig betonen aber selbst sie, dass der Sieg im Zweiten Weltkrieg ohne die harte Hand Stalins wohl nicht errungen worden wäre. So sagt ein junger Mann im Interview: „Mit jemandem wie Nikolaus II. wäre alles ganz anders gewesen, die Soldaten wären desertiert, denn es hätte nichts gegeben, wovor sie sich gefürchtet hätten.“ Insgesamt bewerten junge Menschen in Russland Stalin allerdings kritischer als die Gesamtbevölkerung.7  

    Ein Tabuthema bleibt unter jungen Russinnen und Russen – gleich welcher politischen Einstellung – bestehen: Kriegsverbrechen der Roten Armee werden entweder geleugnet oder relativiert. Eine junge Interviewte sagte etwa: „Wenn wir uns daran erinnern, was die Deutschen uns angetan haben, dann war das alles weitaus schlimmer.“ Diese Ansichten decken sich mit den Bemühungen der russischen Politik, das Andenken der Roten Armee zu bewahren, indem jegliche Kritik verbannt wird. Seit 2014 ist es möglich, öffentlich geäußerte Kritik an der Roten Armee strafrechtlich zu verfolgen

    Die Überzeugungen der jungen Menschen gehen mit einem gesamtgesellschaftlichen Schweigekonsens einher, der seit dem Ende des Krieges besteht: Nur wenige Soldaten haben es gewagt, über die Kehrseite des heldenhaften Krieges, über Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde an der Zivilbevölkerung zu sprechen. Werke wie das Langpoem Prusskije notschi (Ostpreußische Nächte, 1974) von Alexander Solschenizyn oder Daniil Granins lange Erzählung Po tu storonu (Jenseits, 2003), die beide unter anderem die Vergewaltigung deutscher Frauen problematisieren, bleiben in Russland absolute (und hoch umstrittene) Ausnahmen.

    Sehnsucht nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt

    Auch wenn es einige Punkte gibt, in denen Russlands junge Generation andere Auffassungen vertritt als die russische Führung, besteht doch im Großen und Ganzen eine hohe Zustimmung zu den Narrativen, die der Kreml seit Anfang der 2000er Jahre und verstärkt seit Wladimir Putins dritter Amtszeit zu implementieren versucht. Unter jungen Russinnen und Russen lässt sich eine gewisse Sehnsucht nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt konstatieren, die den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland überhaupt erst ermöglicht hat. Es werden auch die brüderlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Völkern der Sowjetunion thematisiert, wobei die dominante russische Rolle darin nicht hinterfragt wird. 

    Eine Rede von Waleri Gassajew, Vorsitzender des Duma-Ausschussesfür Nationalitäten, zeigt, wie nahe diese Vorstellungen an der offiziellen Linie des Kreml sind. Im Februar 2020 beschwor Gassajew anlässlich eines Rundtischgesprächs zum Thema Die historische Erinnerung der Völker Russlands an den Großen Vaterländischen Krieg. Verbindung der Generationen die nationale Einheit, die dem „größtmöglichen Sieg“ vorausgegangen sei. Gleichzeitig lässt sich an diesem Beispiel illustrieren, wie Geschichte für die Gegenwart nutzbar gemacht wird: „Es ist wichtig, dass junge Menschen die untrennbare Verbindung zwischen den Generationen spüren, den Beitrag der multinationalen Bevölkerung zum größten Sieg in der Geschichte der Menschheit – den Sieg über den Faschismus – kennen und stolz darauf sind. Die heldenhaften Errungenschaften unseres Volkes waren und sind das beste Beispiel und die beste Quelle für die Erziehung zum Patriotismus, zur Liebe zur eigenen Heimat. Das Erbe des großen Sieges ist eine mächtige, einheitliche Grundlage für die Entwicklung des modernen Russlands.“8


     

    1. kino-teatr.ru: Soldatik (2018) ↩︎
    2. Krawatzek, Félix/Friess, Nina (2020): ZOiS Report No. 1/2020 „World War II for Young Russians: The Production and Reception of History“ ↩︎
    3. Etwa 27 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger wurden im deutschen Vernichtungskrieg ermordet, darunter schätzungsweise 19 Millionen Zivilistinnen und Zivilisten. Über die genaue Zahl sowjetischer Kriegstoter gibt es nach wie vor Diskussionen, mitunter werden auch noch höhere Opferzahlen genannt. ↩︎
    4. Alle hier zitierten Interviews wurden im Juni 2019 im Rahmen von Fokusgruppeninterviews erhoben, die das ZOiS in Sankt Petersburg und Jekaterinburg unter jungen Russinnen und Russen durchführte. Die Fokusgruppen wurden unter jungen Menschen im Alter von 16 bis 34 Jahren durchgeführt und bestanden jeweils aus Personen, die ähnliche politische Ansichten (regimekonform, regimekritisch, politisch indifferent) hatten, um die freie Äußerung der eigenen Meinung zu stimulieren. ↩︎
    5. tass.ru: Putin otložil podgotovku k paradu pobedy ↩︎
    6. Andere Meinungsumfragen zeigen allerdings, dass dieses Wissen unter jungen Russinnen und Russen nicht mehr so weit verbreitet ist wie bei älteren Generationen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WCIOM aus dem Jahr 2018 gaben 47 Prozent der 18- bis 24-Jährigen und 30 Prozent der 25- bis 34-Jährigen an, nichts von den stalinistischen Repressionen zu wissen. ↩︎
    7. levada.ru: Dinamika Otnošenija k Stalinu ↩︎
    8. Ria Novosti: V GD Otmetili rol‘ edinstva naroda v pobede v Belikoj Otečestvennoj ↩︎

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  • Lubjanka

    Lubjanka

    Im März 2015 veröffentlichte das Zentrale Kinderkaufhaus eine Serie von Werbeclips. Zu sehen waren zwei Kinder, die ein Verhör ihrer Eltern inszenieren, mit barschen Fragen, blendendem Licht, psychischer Folter. Ziel der Aktion: Sie möchten mit ihren Eltern in das Zentrale Kinderkaufhaus am Lubjanka-Platz fahren. Die Clips enden mit dem Slogan: „Du liebst dein Kind? Bring es zur Lubjanka!“ 

    Die Werbefilme riefen in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung hervor und sogar die russische Wettbewerbskommission auf den Plan: Während Intellektuelle wie Lew Rubinstein die Geschichtsvergessenheit der Werbeleute anprangerten,1 urteilte die Wettbewerbskommission (allerdings erst Monate später), das Video würde das russische Werbegesetz verletzen und Eltern diskreditieren, die das Kaufhaus nicht aufsuchten.2 Nach kurzer Zeit löschte das Zentrale Kinderkaufhaus die Clips von seinem YouTube-Kanal, zu diesem Zeitpunkt hatten sie sich aber bereits über andere Kanäle verbreitet.3

    Sowohl die Videoclips selbst als auch die Reaktionen darauf zeigen, womit der Begriff Lubjanka auch heute noch von den meisten Russen assoziiert wird: mit Terror, Angst und Unrecht. Doch was ist die Lubjanka eigentlich?

    Erst in den 1980er Jahren erhielt die Lubjanka ihr heutiges ockergelbes Antlitz im Stil des sozialistischen Klassizismus / Foto © James Offer/flickr unter CC BY-NC-SA 2.0
    Erst in den 1980er Jahren erhielt die Lubjanka ihr heutiges ockergelbes Antlitz im Stil des sozialistischen Klassizismus / Foto © James Offer/flickr unter CC BY-NC-SA 2.0

    1897/98 errichtete die Versicherungsgesellschaft Rossija ihre Verwaltungszentrale am Lubjanka-Platz in Moskau. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde das Gebäude im Zentrum Moskaus konfisziert. Zunächst sollte der Moskauer Gewerkschaftsrat in die Große Lubjanka 2 einziehen, doch schon wenige Tage später entschieden die Behörden im Mai 19194, das Gebäude an die Moskauer Außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage (Tscheka) zu übergeben. Seitdem dient es dem sowjetischen Geheimdienst unter seinen wechselnden Namen – von der Tscheka bis zum KGB – durchgehend als Amtssitz; seit 1996 ist es Sitz des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Die Adresse „Lubjanka“ steht längst auch synonym für die Geheimdienstorgane selbst.

    Das Gebäude, das die Tschekisten bezogen, war damals noch wesentlich kleiner als heute. Der Personalzuwachs der sogenannten Organe in den 1920er und 1930er Jahren führte dazu, dass nach und nach immer mehr Gebäude in der Nachbarschaft eingegliedert oder angebaut wurden. Irgendwann nahm das stetig wachsende Ensemble den gesamten Block ein. Pläne für weitere Umbauarbeiten gab es bereits in den 1930er Jahren, durch den Zweiten Weltkrieg verzögerten sie sich aber. Erst in den 1980er Jahren erhielt die Lubjanka ihr heutiges Antlitz mit der einheitlichen ockergelben Fassade im Stil des sozialistischen Klassizismus. Bis heute dominiert das einer Trutzburg gleichende Gebäude den Lubjanka-Platz.5

    Ort des Schreckens

    Unter der Führung von Felix Dsershinski wurde der Dienstsitz des sowjetischen Geheimdienstes zu einem Ort des Schreckens. Ab 1920 diente einer der inneren Gebäudeteile als Gefängnis. Unzählige Untersuchungshäftlinge durchliefen ihre Verhöre in dem Gebäude, in denen ihnen insbesondere während der Zeit des Großen Terrors unter schwerer psychischer und physischer Folter bizarre Geständnisse über nicht begangene Verbrechen abgepresst wurden. Zahlreiche Arretierte – darunter prominente politische Häftlinge wie Lew Kamenew und Grigori Sinowjew – wurden in den Kellern der Lubjanka erschossen. 

    Folter und Exekutionen gab es zwar auch in anderen sowjetischen Gefängnissen, etwa in der Moskauer Butyrka, in der Nikolaj Jeschow erschossen wurde – führender Organisator der Stalinschen Säuberungen. Aber nirgendwo sonst saßen die, die den Terror planten und ausführten, so dicht zusammen mit ihren Opfern wie in der Lubjanka. Nicht selten gerieten außerdem einstige Täter in der Lubjanka selbst in die Mühlen des sowjetischen Repressionssystems.

    Zwar haben Historiker inzwischen vor allem durch Berichte von überlebenden Häftlingen wie Alexander Solschenizyn, Margarete Buber-Neumann oder Juri Treguboff eine gewisse Vorstellung davon, wie die Lubjanka aufgebaut war: So weiß man heute unter anderem von der Größe und Lage der Zellen sowie von den Wegen zu den Verhörzimmern. Aus denselben Quellen ist bekannt, wie sich die Abläufe gestalteten: wie Einlieferung, Verhöre, Leben in der Zellengemeinschaft vor sich gingen, wie Weitertransport in andere Gefängnisse beziehungsweise Arbeitslager organisiert waren. Doch liegen genaue Zahlen über die Opfer der Lubjanka bis heute nicht vor und nähren damit den Mythos des Ortes.

    Das Gefängnis in der Lubjanka wurde 1957 geschlossen, einige Zellen blieben aber erhalten und wurden mitunter für die Unterbringung prominenter Häftlinge genutzt:  So saß der US-amerikanische Pilot Francis Gary Powers in der Lubjanka ein, nachdem sein Flugzeug während eines Spionageflugs am 1. Mai 1960 über dem Ural abgeschossen worden war. 
    Ein Ort des Schreckens blieb die Lubjanka auch nach 1957: Noch in den 1980er Jahren – und wohl auch darüber hinaus – machten Menschen „einen möglichst großen Bogen um sie“, wie Witali Schentalinski in seinem Buch Das auferstandene Wort schreibt. „Jeder Bürger unseres unermeßlichen Staates wußte, daß er der Lubjanka jederzeit ins Visier geraten konnte, daß sie die Macht hatte, in sein Leben einzugreifen und mit ihm anzustellen, was sie wollte. Vor der Lubjanka gab es keinen Schutz.“6

    Abkehr von der Geschichte

    Im Jahr 1958 errichtete man in der Mitte des Lubjanka-Platzes, der unmittelbar nach dem Tod Dsershinskis 1926 in Felix-Dsershinski-Platz umbenannt wurde, ein Denkmal für den sogenannten Eisernen Felix.

    33 Jahre später entwickelte er sich zu einem Schauplatz historischer Umwälzung, die die Politologin Tatjana Rastimeschina als „die markanteste Episode bei der Abkehr von der Geschichte“ bezeichnete:7 Im August 1991 wurde der Eiserne Felix von wütenden Demonstranten attackiert, die kurz zuvor erfolglos versucht hatten, die Geheimdienstzentrale zu stürmen. Der Denkmalsturz gelang allerdings erst mit Hilfe zweier Kräne. Seitdem ist die Statue im Moskauer Skulpturenpark zu sehen, in dem sich auch andere abgeräumte Statuen finden. Im Jahr 2002 brachte der damalige Moskauer Bürgermeister Juri Lushkow ins Spiel, das Denkmal an seinem alten Standort wiederaufzustellen – ein Vorschlag, der nicht realisiert wurde.

    Gedächtnisort

    Im Oktober 1990 errichtete die Menschenrechtsorganisation Memorial schräg gegenüber des Geheimdienstsitzes ein Mahnmal für die Opfer des totalitären Regimes: den Solowezki-Stein. Der Findling, der von den Solowki-Inseln stammt, wo das System der Arbeitslager seinen Anfang genommen hatte, ist der einzige sichtbare Hinweis auf das, was wenige Meter von ihm entfernt geschah. Am Lubjanka-Gebäude selbst befindet sich bis heute keine Gedenktafel, die auf die dort verübten Verbrechen hinweist oder der Opfer gedenkt.

    Zum Gedenktag an die Opfer politischer Repressionen am 30. Oktober versammeln sich Menschen am Solowezki-Stein und verlesen nacheinander die Namen der Opfer. Auch Karl Schlögel brachte die Lubjanka als Erinnerungsort ins Spiel: Im Abschlusskapitel seines 2017 erschienenen Monumentalwerks Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt schlug der Osteuropahistoriker vor, man solle aus der Lubjanka ein Museum machen, in welchem man die Geschichte der Sowjetunion (und auch des Ortes Lubjanka) erzählt. 

    Dieser Vorschlag wird allerdings wohl so bald nicht realisiert werden. Zwar befindet sich in der Lubjanka ein Museum, doch es ist das Museum der inneren Organe, das der Geheimdienst in den 1980er Jahren zur Fortbildung seiner Mitarbeiter eingerichtet hatte. Eine Zeitlang war es auch für die Öffentlichkeit zugänglich, aktuell ist es aber nur für den internen Dienstgebrauch geöffnet.


    Zum Weiterlesen:
    Uroki istorii: Formirovanie kvartala gosorganov na Lubjanke (letzter Zugriff am 05.06.2019)
    Rüthers, Monica (2007): Die Lubjanka, in: Diess.: Moskau bauen von Lenin bis Chruščev, Wien u. a., S. 153-169
    Schlögel, Karl (2017): Das sowjetische Jahrhundert: Archäologie einer untergegangenen Welt, München

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  • Sachar Prilepin

    Sachar Prilepin

    Großgewachsen, durchtrainiert, mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck und traurigen, aufmerksamen Augen. Ein Veteran des Tschetschenienkriegs, der als solcher anerkannt und geschätzt wird – keiner der nur labert, sondern zupackt. Einer, der nachdenklich am Steuer eines Transporters durch die zerbombten Straßen des Donbass humanitäre Hilfe zu den Separatisten bringt, die ihn als einen der ihren willkommen heißen. So präsentiert sich Sachar Prilepin, einer der populärsten und meistgelesenen Autoren Russlands, in seinem Dokumentarprojekt Ne tschushaja Smuta: Odin Den – odin God (dt. „Keine fremden Wirren: Ein Tag – ein Jahr“).

    Sachar Prilepin – Schriftsteller und Veteran des Tschetschenienkrieges – führt nun ein Bataillon im Donbass / Foto © Screenshot der Sendung „60 Minut“ („Erster Kanal“) vom 14.02.2017
    Sachar Prilepin – Schriftsteller und Veteran des Tschetschenienkrieges – führt nun ein Bataillon im Donbass / Foto © Screenshot der Sendung „60 Minut“ („Erster Kanal“) vom 14.02.2017

    März 2017: Zurück in Moskau, casual look, Prilepin stellt sein neuestes Buch vor, die Essaysammlung Wswod (dt. „Trupp“) über die Militärdienstzeit klassischer Autoren der russischen Literatur – von Dershawin bis Puschkin, non Fiction. Prilepin (re-)konstruiert damit eine literarische Tradition des martialisch-expansionistischen Kosakentums, als deren jüngster Repräsentant er sich versteht. Der Autor stellt sich in die europäische Tradition der romantischen Paramilitärs, der poeti condottieri (Dichterkrieger), die vor allem die europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts für sich einnahmen.1

    Bereitschaftspolizei und Literatur

    Militärdienst und Literatur sind aber kein neues Thema in seinem Werk. In der Biographie Prilepins sind diese auf das Engste verflochten: Der 1975 in einem Dorf in der Rjasaner Oblast geborene Prilepin absolvierte parallel zum literaturwissenschaftlichen Studium in Nishni Nowgorod die Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei OMON, einer Sondereinheit der russischen Polizei, die damals unmittelbar dem Innenministerium unterstand. Zwischen 1996 und 1999 nahm Prilepin an Einsätzen im Ersten Tschetschenienkrieg und im Dagestankrieg teil. Im Jahr 1999 kehrte er ins zivile Leben zurück, quittierte den Polizeidienst, schloss sein Studium ab und widmete sich der journalistischen Arbeit.
     
    Die Kriegs- und Militärerfahrung ist schließlich auch der Gegenstand seiner Literatur und polarisiert die Leser bereits seit seinem Debüt Patologii (dt. „Pathologie“, 2005). In dem Roman setzt sich Prilepin in dichter Prosa mit seinen Erfahrungen aus dem Ersten Tschetschenienkrieg auseinander. Die nüchterne und zugleich verklärende Schilderung des Kriegsalltags sowie die meisterhafte Beschreibung von Schlachtszenen brachten dem Debütanten auch breite Anerkennung ein. An diese konnte er 2006 mit seinem ebenso umstrittenen Roman Sankya2anknüpfen. Während Patologii einen Insider-Blick in die soziale Organisation der Bereitschaftspolizei im Kriegseinsatz darstellt, bietet Sankya eine feinfühlige und dynamisch erzählte Innenansicht in das Milieu der Nationalbolschewistischen Partei (NBP)3Eduard Limonows, der Prilepin seit 1996 angehörte.4

    Eine Rebellion ohne Ziel

    Prilepin, der als Heranwachsender den Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt hat, zeichnet in Sankya das literarische Abbild einer desorientierten, regimekritischen Generation, die von einem großen Revolutionsereignis träumt und von Polizeitruppen in Kleinkämpfen aufgerieben wird. Eine Rebellion ohne Programm und ohne Ziel, angerührt aus einem kruden rot-braunen Ideenbrei und berechtigter Empörung – so ließe sich das in dem Roman verarbeitete Lebensgefühl der Limonow-Anhänger und ihrer aktionistischen Provokationen beschreiben. Spätestens seit der Angliederung der Krim im März 2014 gehören viele von Limonows einst radikalen Ideen, die auch Prilepin teilte, allerdings zum Mainstream in der russischen Politik und den russischen Medien.

     Versöhnung mit der Macht

    Limonows politischer Ziehsohn Prilepin hat seit seinem Romandebüt 2005 eine steile Karriere gemacht. Heute gehört er nicht nur zu den meistgelesenen Autoren Russlands, sondern auch zu den bekanntesten Mediengestalten. So ist er seit November 2017 einmal wöchentlich in der Sendung Sachar Prilepin. Russischstunde auf NTW zu sehen, in der er aktuelle Themen kommentiert. Mit dem in Russland mehrfach ausgezeichnetem Lagerroman Obitel (dt. „Kloster“) fand Prilepin 2014 auch breite Zustimmung im staatlich-patriotischen Literaturbetrieb. Gleichzeitig verkündete er seine „persönliche Versöhnung mit der Macht“5und engagierte sich aktiv im Ukraine-Konflikt auf Seiten der prorussischen Separatisten. Für die sammelte er medienwirksam Geld und Hilfsgüter und stellte als Kriegsberichterstatter ihre Sicht der Ereignisse dar. Offiziell war er zunächst als Berater des Separatistenführers der sogenannten Donezker Volksrepublik (DNR) tätig, dann gründete er laut Komsomolskaja Prawda ein eigenes Freiwilligenbataillon, dem er als Major vorstand.6Er selbst sieht sich dabei in der Tradition russischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, allen voran Puschkins, der sich, so Prilepin, mit Sicherheit seinem Bataillon im Donbass angeschlossen hätte.7
     
    Bei der Buchpräsentation von Wswod nach seinem Engagement im Donbass gefragt, antwortet Prilepin: „Ich vertrete die Prinzipien der liberalen Demokratie: Wenn sich ein überwältigender Teil der Bevölkerung im Donbass und auf der Krim der Russischen Welt zugehörig fühlt […] wer ist dann berechtigt, ihnen diese Rechte zu nehmen? Sprache ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel, das ist Physiologie, das ist alles, was wir sind.“8
     
    Im Juli 2018, einen Monat vor dem Tod des ehemaligen Regierungschefs der selbsternannte Volksrepublik, Alexander Sachartschenko, verließ Prilepin allerdings die DNR. Einer der Anführer der ostukrainischen Separatisten, Igor Strelkow, ließ unlängst verlauten, Prilepin habe dort überhaupt nicht an Kampfhandlungen teilgenommen, sondern PR für Sachartschenko betrieben und an einem Buch über diesen gearbeitet, von dem nicht klar sei, ob es „mehr versteckten Spott über den Chef oder mehr Arschkriecherei“ enthielte. Prilepin wies diese Vorwürfe scharf zurück. Seine Zeit im Donbass sei allerdings vorbei: „Ich will nicht weiter für die Interessen des großen Business kämpfen. Ich will nicht für den Kapitalismus kämpfen.“9

    Konservativ-patriotisches Theater

    Insofern trifft es sich gut, dass Prilepin Anfang Dezember 2018 eine neue Stelle in Moskau antreten konnte. Unter der Führung des Produzenten und Regisseurs Eduard Bojakow wird er künftig stellvertretender Leiter und Verantwortlicher für den Bereich Literatur am Gorki-Künstlertheater Moskau (MChAT) sein. Dritter im Bunde ist der Schauspieler und Regisseur Sergej Puskepalis, der die künstlerische Arbeit am Theater koordinieren wird. Alle drei sind dem Spektrum konservativ-patriotischer Kunstschaffender zuzuordnen, die sich nach der Angliederung der Krim zur Politik der russischen Führung bekannten. Verkündet wurde diese Personalie von niemand geringerem als Wladimir Medinski, dem russischen Kulturminister. Das MChAT ist eines der traditionsreichsten Theater Russlands, in den letzten Jahren machte es aber kaum noch von sich reden, der Kritik galt es als altmodisch. Medinski bezeichnet es lieber als „patriotisch“ und verspricht der neuen Führung eine Aufstockung der Mittel.10Prilepin verkündet derweil, man plane keine Revolutionen, wolle das Theater aber noch konservativer machen.11Auf weitere Überraschungen Prilepins, der erfolgreich zwischen der Rolle des authentischen Rebellen und des loyalen Nationalisten hin und her pendelt, darf man gespannt sein.


    1. Insbesondere in Italien bestand eine lebhafte Tradition der Dichterkrieger (poeti condottieri), etwa Mussolinis großes Vorbild, der italienische Schriftsteller Gabriele D’Annunzio, der 1919 mit einem Trupp Freischärler die kroatische Stadt Rijeka besetzte (vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich et al. (Hrsg.) (1996): Der Dichter als Kommandant: D’Annunzio erobert Fiume, München). Zur kulturhistorischen Ausprägung der Allianz zwischen Sprachkunst und Gewalt siehe: Koschorke, Albrecht / Kaminskij, Konstantin (2011): Despoten dichten: Sprachkunst und Gewalt, Konstanz ↩︎
    2. Sankya ist bislang Prilepins einziger Roman, der in deutscher Übersetzung erschienen ist (Matthes & Seitz, Berlin, 2012). ↩︎
    3. Die NBP wurde 1993 von Eduard Limonov gegründet, scheiterte allerdings mehrfach an der offiziellen Registrierung als Partei, sodass sie bis zu ihrem Verbot 2007 formal keine Partei, sondern eine politisch-gesellschaftliche Organisation war. Ihre Ideologie umfasste nationalistische wie sozialistische Elemente. Liberalismus, Demokratie und Kapitalismus dagegen wurden abgelehnt. Bekannt wurden die National-Bolschewiken durch spektakuläre, medienwirksame Aktionen, die als radikale ästhetisch-politische Opposition zur existierenden Ordnung gedacht waren. In ihrem Parteiprogramm von 1994 forderte die NBP ein Imperium von Wladiwostok bis Gibraltar, dem die russische Zivilisation zugrunde liegen sollte. Zwar wurde 2004 ein neues Parteiprogramm beschlossen, das alte jedoch nicht offiziell annulliert. Als Hauptziel der NBP benannte das neue Programm die Wiedererlangung des Großmachtstatus für Russland. Nach dem Verbot setzten viele NBP-Mitglieder ihre Aktivitäten fort. ↩︎
    4. Limonow selbst inszeniert sich in seinem umfangreichen literarischen Werk ebenso wie in seinen Auftritten als postmoderner Revolutionär und Kriegsvolontär. Zu Limonow siehe die Romanbiografie Limonow von Emmanuel Carrère (Berlin 2012) ↩︎
    5. zaharprilepin.ru: Zachar Prilepin: «V Rossii proischodit to, o čem ja mečtaju s 90-ch» ↩︎
    6. lenta.ru: Zachar Prilepin sformiroval v Donbasse sobstvennyj batalon und Meduza: Zachar Prilepin stal politrukom batalona v DNR ↩︎
    7. Komsomolskaja Prawda: Zachar Prilepin: Puškin i Lermontov segodnja byli by opolčencami i voevali rjadom s nami ↩︎
    8. mk.ru: Zachar Prilepin, vernuvšis iz DNR, vspomnil sudbu Givi i Motoroly ↩︎
    9. nsm.fm: Prilepin otvetil na obvinenija Strelkowa ↩︎
    10. Meduza: Boevye tovarišči c donbassikimi kornjami MChAT imeni Gor’kogo vozglavili Borjakov, Prilepin i Puskepalis. Пускепалис. Čto vse ėto značit? ↩︎
    11. mskagency.ru: Z. Prilepin: Nikakich «Revoljucij» v Mchate im. M. Gor’kogo ne planiruetsja ↩︎

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  • Der Große Terror

    Der Große Terror

    „Zwischen dem Parteiausschluß und meiner Verhaftung vergingen acht Tage. Während dieser Tage blieb ich zu Hause und schloß mich in mein Zimmer ein. Ich nahm den Telefonhörer nicht ab. Ich wartete … Und alle meine Lieben warteten auch. Worauf warteten wir? Wir erklärten einander, daß wir auf den Urlaub meines Mannes warteten, […]. Sobald er beurlaubt ist, wollen wir nach Moskau fahren um weiter zu kämpfen. […] Aber insgeheim wußten wir ganz genau, daß alles das nicht eintreten würde, daß wir auf etwas ganz anderes warteten.“1

    So erinnert sich die Journalistin und Autorin Jewgenija Ginsburg in ihren Memoiren2 an das Warten auf ihre Verhaftung. Es ist das Jahr 1937, der Höhepunkt des Großen Terrors, den das sowjetische Regime unter der Herrschaft Josef Stalins zunächst gegen die Eliten der Kommunistischen Partei entfacht, dann zunehmend gegen die gesamte Bevölkerung. Ginsburg wird im Februar 1937 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und als eine angebliche Trotzkistin zu zehn Jahren Haft verurteilt. Insgesamt wurden zwischen 1936 und 1938 rund 1,6 Millionen Menschen verhaftet, knapp die Hälfte davon ermordet.3

    Als einer der Auslöser für den auch als große Säuberungen bezeichneten Terror gilt die Ermordung des Ersten Leningrader Parteisekretärs Sergej Kirow am 1. Dezember 1934. In diesem Zusammenhang werden zunächst vor allem Leningrader Parteifunktionäre verhaftet, aber dann „zog die Affäre immer weitere Kreise, wie die Wellen, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft.“4 Für Ginsburg beginnt, wie für Millionen ihrer Landsleute, eine Zeit der Verunsicherung und des bangen Wartens. Eine Zeit, für die der britische Historiker Robert Conquest in seiner 1968 erschienenen Monografie den Begriff Großer Terror einführt.5

    Altgediente Bolschewiki werden inhaftiert, einstige Vorbilder als „Volksfeinde“ entlarvt. Im Jahr 1936 kommt es in Moskau zu einem ersten Schauprozess, bei dem Grigori Sinowjew und andere bolschewistische Veteranen ihren Verrat an der Partei einräumen und zum Tode verurteilt werden – die Geständnisse waren unter Folter erpresst worden.6 Sowjetische Medien berichten ausführlich von diesem und den folgenden Schauprozessen: „Die Zeitungsblätter ätzten, verwundeten und vergifteten das Herz, wie der Stachel eines Skorpions. Nach jedem Prozeß wurde die Schlinge enger gezogen.“7

    Fünf, vier, drei, zwei: Auf dem Originalbild von 1926 ist Stalin mit seinen Weggefährten abgebildet, v.l.n.r.: Nikolaj Antipow, Josef Stalin, Sergej Kirow, Nikolai Schwernik und Nikolai Komarow. Nach und nach entzieht ihnen Stalin seine Gunst, Antipow und Komarow fallen 1937 bzw. 1938 dem Großen Terror zum Opfer. Das Bild wird parallel dazu beschnitten und retuschiert. Am Ende steht Stalin nur noch mit seinem Günstling Kirow da, der 1934 unter ungeklärten Umständen von einem Attentäter erschossen wurde.

    Die Repressionen beschränken sich längst nicht mehr auf Moskau, sie schwappen auch in die sowjetische Provinz über. Jewgenija Ginsburg wird im Februar 1937 in Kasan wegen der angeblichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Untergrundorganisation verhaftet. Im August 1937 wird sie zu zehn Jahren Isolationshaft8 verurteilt, die später in Lagerhaft umgewandelt werden wird. Ihre Erleichterung über das Urteil ist groß: „Plötzlich wird es um mich hell und warm. Zehn Jahre? Das bedeutet: Leben!“9

    Ginsburgs Freude lässt sich nur aus dem zeitlichen Kontext heraus erklären: Bei geschätzt 680.000 Todesurteilen, die zwischen 1936 und 1938 gefällt wurden,10 erscheinen zehn Jahre Gefängnis für ein nicht begangenes Verbrechen tatsächlich als mildes Urteil.

    Jeschowschtschina

    Neben Mitgliedern der Kommunistischen Partei geraten auch andere Gesellschaftsgruppen ins Visier der sowjetischen Organe: Die Rote Armee wird ebenso „gesäubert“ wie die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten. Eine nochmalige Verschärfung der ohnehin angespannten Situation ergibt sich durch den von NKWD-Chef Nikolaj Jeschow am 30. Juli 1937 unterzeichneten und einen Tag später vom Politbüro bestätigten Befehl № 00447 „Über die Operation zur Repression ehemaliger Kulaken, Krimineller und anderer antisowjetischer Elemente“.11 Damit kann praktisch jeder Sowjetbürger zum sogenannten „Volksfeind“ erklärt werden.

    Für die einzelnen Republiken, Gebiete und Kreise der Sowjetunion legt der Befehl Kontingente fest – um den Plan zu erfüllen, kommt es massenhaft zu willkürlichen Verhaftungen und Verurteilungen.12 Dem Befehl № 00447 folgt eine Operation, die sich gegen Angehörige ethnischer Minderheiten in der Sowjetunion richtet: gegen Polen, Deutsche, Koreaner und andere.13 Organisiert und ausgeführt wird diese – wie die Repressionen zuvor und danach – durch den NKWD, gebilligt durch das Politbüro unter der Führung Stalins, der zahlreiche Listen mit Todesurteilen selbst unterzeichnet.14

    Ein Ende der Massenrepressionen deutet sich ab dem Sommer 1938 an. Im November 1938 wird NKWD-Chef Jeschow durch Lawrenti Berija ersetzt.15 Der Sturz Jeschows bringt zwar ein Ende der Massenrepressionen, in einen Rechtsstaat verwandelt sich die Sowjetunion jedoch keineswegs. Bis zu Stalins Tod 1953, und in abgeschwächter Form auch darüber hinaus, werden Operationen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, vermeintliche „Volksfeinde“ und „anti-sowjetische Elemente“ organisiert und durchgeführt.

    1937 in der Erinnerungskultur

    Zur Rechenschaft gezogen wird dafür auch nach dem Ende der Sowjetunion niemand. Eine 2007 anlässlich des 70. Jahrestages des Großen Terrors veröffentlichte Meinungsumfrage besagt, dass eine Mehrheit der russischen Bevölkerung keinen Sinn in einer juristischen Verfolgung möglicher Organisatoren und Ausführenden der Repressionen sehe. Fast die Hälfte (49 Prozent) der Befragten sprach sich dafür aus, diese „in Ruhe zu lassen“, da die Repressionen bereits zu lange her seien. Lediglich 26 Prozent befürworteten ein juristisches Verfahren.16

     


    Quelle: Lewada-Zentrum

    Dass die Ergebnisse im Jahr 2017 anders ausfallen würden, kann bezweifelt werden. Auch Stalin selbst erfreut sich wieder hoher Beliebtheitswerte: 46 Prozent der vom Lewada-Zentrum im Januar 2017 befragten Russen gaben an, Stalin mit „Begeisterung“, „Verehrung“ oder „Sympathie“ zu begegnen, im März 2016 hatte dieser Wert bei 37 Prozent gelegen. Allerdings stieg auch die Zahl derjenigen an, die dem Diktator mit einem unguten Gefühl, „Angst“ oder „Hass“ begegneten: von 17 auf 21 Prozent.17

    Jewgenija Ginsburgs Gefängnishaft wird 1939 in zehn Jahre Lagerhaft umgewandelt, die sie in unterschiedlichen Lagern des Gulags an der Kolyma verbringt. Erst 1953 darf sie nach Zentralrussland reisen, 1955 wird sie vollständig rehabilitiert. Sie wird weder ihren älteren Sohn, der 1944 bei der deutschen Belagerung Leningrads starb, noch ihren Mann, der kurz nach ihr verhaftet wurde, wiedersehen.


    Zum Weiterlesen:
    Memorial Krasnojarsk: „Der Große Terror“: 1937-1938: Kurz-Chronik
    Schlögel, Karl (2008): Terror und Traum: Moskau 1937, München

    1. Ginsburg, Jewgenija Semjonowna (1967): Marschroute eines Lebens, Reinbek bei Hamburg, S. 42 ↩︎
    2. Die Memoiren sind im italienischen Tamisdat erschienen. Ginsburg, Jewgenija Semjonowna (1967): Marschroute eines Lebens (Teil 1), Reinbek bei Hamburg und Ginsburg, Jewgenia (1980): Gratwanderung (Teil 2), München/Zürich ↩︎
    3. Bonwetsch, Bernd (2014): Gulag: Willkür und Massenverbrechen in der Sowjetunion 1917–1953: Einführung und Dokumente, in: Landau, Julia/Scherbakowa, Irina: Gulag Texte und Dokumente 1929–1956, S. 30–37, hier S. 36. Vor der Öffnung der sowjetischen Archive kursierten wesentlich höhere Zahlen. ↩︎
    4. Ginsburg: Marschroute eines Lebens, S. 11 ↩︎
    5. Conquest, Robert (1993): Der Große Terror: Sowjetunion 1934–1938, München. Der Begriff knüpft an den bereits zu Bürgerkriegszeiten gebrauchten Terminus des Roten Terrors an, der seinen Ursprung wiederum in der Französischen Revolution hat. ↩︎
    6. vgl. Baberowski,Jörg (2012): Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt, München, S. 247 ↩︎
    7. Ginsburg: Marschroute eines Lebens, S. 27 ↩︎
    8. Isolationshaft ist in diesem Fall nicht gleichzusetzen mit Einzelhaft. Die meiste Zeit ihrer zweijährigen Gefängnisstrafe verbrachte Ginsburg gemeinsam mit einer weiteren Gefangenen in einer Zelle, von den anderen Häftlingen waren sie weitgehend isoliert. Dennoch gelang es ihnen, etwa über Klopfzeichen, miteinander zu kommunizieren. ↩︎
    9. Ginsburg: Marschroute eines Lebens, S. 156 ↩︎
    10. vgl. Fußnote 5 ↩︎
    11. Eine deutsche Übersetzung des Befehls № 00447 sowie eine umfangreiche Darstellung und Analyse der Operation findet sich in Binner, Rolf /Bonwetsch,Bernd /Junge, Marc (2009): Massenmord und Lagerhaft: Die andere Geschichte des Großen Terrors, Berlin ↩︎
    12. vgl. und siehe dazu ausführlich ebd. ↩︎
    13. siehe dazu ausführlich Baberowski: Verbrannte Erde, S. 341–354, außerdem Martin,Terry (2000): Terror gegen Nationen in der Sowjetunion, in: Osteuropa: Unterdrückung, Gewalt und Terror im Sowjetsystem, Nr. 6 (2000), S. 606–616 sowie Polian,Pavel (2003): Soviet Repression of Foreigners: The Great Terror, the Gulag, Deportations, in: Dundovich, Elena/Gori, Francesca/Guerctti, Emanuela (Hrsg.): Reflections on the Gulag: With a documentary appendix on the Italian victims of repression in the USSR, Mailand, S. 61–103 ↩︎
    14. Stalins Verantwortung für die Massenrepressionen wird durch Studien belegt, die historisches Quellenmaterial auswerten. Besondere Beachtung hat die Monografie Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt von Jörg Baberowski gefunden, auf die bereits verwiesen wurde. Zur Kritik an Baberowski siehe die Ausgabe Im Profil: Stalin, der Stalinismus und die Gewalt der Zeitschrift Osteuropa (4/2012). ↩︎
    15. Jeschow wird im April 1939 verhaftet und im Februar 1940 erschossen. ↩︎
    16. levada.ru: Obščestvennoe Mnenie – 2007 – hier: S. 258 ↩︎
    17. RBC: Ljubov rossijan k Stalinu dostigla istoričeskogo maksimuma za 16 let. Die in dem Artikel verwendeten Umfragedaten stammen vom Lewada-Zentrum. ↩︎

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