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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Man setzt darauf, dass die Europäer einknicken“

    „Man setzt darauf, dass die Europäer einknicken“

    Russland liefert derzeit deutlich weniger Erdgas nach Westeuropa, berief sich zwischenzeitlich auf „höhere Gewalt“ und mehrmals auf Wartungsarbeiten. Zahlreiche europäische Politiker halten das für Vorwände und Taktik mit dem Kalkül: Der Westen solle gezwungen werden, die wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verhängten Sanktionen zurückzunehmen, um im Gegenzug im nächsten Winter nicht zu frieren. Seit diesem Dienstag gilt ein Notfallplan der EU, um Gas sorgsamer zu verbrauchen und für den Fall eventueller Lieferstopps vorzusorgen.

    Besonders abhängig vom russischen Gas ist und bleibt Deutschland. Entgegen der erhitzten deutschen Debatte, lässt sich eine schwere Gaskrise laut Experten für diesen Winter – jedenfalls mit rechtzeitigen Sparmaßnahmen – noch abwenden. Deutsche Gasspeicher sind im Moment mehr als 70 Prozent gefüllt, 90 sollten es werden, so das angestrebte Ziel.  

    Was auf der anderen Seite das Erdöl angeht: Die Preise sind schon massiv gestiegen, die EU will ihre russischen Importe bis Jahresende um rund 90 Prozent reduzieren. 

    Doch welche Folgen haben Sanktionen und Gas-Lieferstopps eigentlich für Russland selbst? Immerhin speist sich der russische Staatshaushalt größtenteils aus Rohstoffexporten, die wiederum größtenteils nach Westeuropa gehen. Wird diese Geldquelle wirklich versiegen? Verfolgt Russland Pläne, um das zu kompensieren? Wenn ja, wie erfolgversprechend sind diese Ansätze? Und woher kommt das Geld für den Krieg gegen die Ukraine?

    Darüber hat The New Times-Chefredakteurin Yevgenia Albats mit dem Öl- und Gasmarkt-Experten Michail Krutichin und dem Wirtschaftsjournalisten Wladimir Gurewitsch gesprochen. 

    Yevgenia Albats: Wie stark sinken die Staatseinnahmen durch das europäische Embargo auf russisches Erdöl?

    Wladimir Gurewitsch: Im Moment kommen etwas mehr als 50,3 Prozent unserer Haushaltseinnahmen aus dem Erdgas- oder Erdölgeschäft. Dieser Anteil ändert sich ständig durch Ölpreisschwankungen. Das ist ein wichtiger, doch nicht der einzige Indikator. Die Erdöl- und Erdgasindustrie hat eine viel größere Bedeutung für unsere Wirtschaft. Denn aus den Gewinnen der Erdöl- und Erdgasunternehmen und der erdölverarbeitenden Industrie (die Gewinnsteuer liegt bei 20 Prozent) fließen 17 Prozent in die Haushalte der Regionen. Wenn diese Unternehmen plötzlich weniger produzieren, dann ist klar, wohin das führt. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: Das sind Unternehmen, in denen die Menschen, selbst die einfachen Arbeiter, ganz gut verdienen. In diesen Unternehmen arbeiten hunderttausende Menschen. Wenn ihre Löhne sinken oder ein Teil entlassen werden muss, führt auch das zu geringeren Einnahmen in den Haushalten der Regionen. Zudem gehen weniger Sozialversicherungsbeiträge ein.

    Der Erdöl- und der Erdgassektor sind die größten Auftraggeber für die inländische Industrie

    Punkt drei: Der Erdöl- und der Erdgassektor sind die größten Auftraggeber für die inländische Industrie – Metallverarbeitung, Maschinenbau, Transportwesen, Baugewerbe. Wenn sie da, mal angenommen, 150 Millionen Tonnen im Jahr weniger fördern, dann stagnieren auch die Aufträge in all diesen Branchen. Insofern geht es also bei weitem nicht nur um die Mindereinnahmen im föderalen Haushalt.

    Können wir diese Mindereinnahmen nicht wenigstens teilweise kompensieren? Der Export nach Indien soll sich um das Vierfache erhöht haben …

    Michail Krutichin: Indien reduziert die Importe aktuell bereits wieder.

    W.G.: China ebenfalls.

    M.K.: Und zwar gravierend, die Hoffnungen waren wohl nicht ganz gerechtfertigt. Daher sollten wir uns nicht an Indien orientieren. Zumal da Konkurrenz mit Saudi-Arabien und angrenzenden Staaten besteht. Das Erdöl aus Russland zu exportieren, zumal mit dem riesigen Rabatt von 30 Prozent, das bedeutet kolossale Anstrengungen, Aufwendungen, Ausgaben für Transport und so weiter. Auch besteht die Gefahr, dass das russische Erdöl und andere Flüssigtransporte aufgrund der Sanktionen nicht mehr versicherbar sind. Daher ist Indien so zurückhaltend bei Erhöhungen der Erdölimporte aus Russland. 

    Wir sollten uns nicht an Indien orientieren. Zumal da Konkurrenz mit Saudi-Arabien und angrenzenden Staaten besteht

    Für den Staatshaushalt gibt es verschiedene Überlegungen. Wenn die Erdölförderung um 56 Prozent fällt – die Förderung lag im vergangenen Jahr bei 524 bis 526 Millionen Tonnen, wenn also 250 bis 260 oder gar 300 Millionen verschwinden, dann ist das ein schwerer Schlag für die Einnahmen. Wenn wir sagen, dass 50 Prozent aus Erdöl- und Erdgaseinnahmen in den Staatshaushalt fließen, dann bezieht sich das auf drei Steuerarten: die Abbausteuer für Bodenschätze, die Ausfuhrsteuer und die Energiesteuer für Kraftstoffe. Und was ist mit den [Staatseinnahmen – dek] durch die Gewinnausschüttungen der Erdölunternehmen? Und mit dem erwähnten Einnahmerückgang  der Regionalhaushalte und mit dem sinkenden Steueraufkommen durch Rückgang der Lohnsteuereinnahmen? Und das ist noch nicht alles. Tatsächlich sprechen wir insgesamt von 70 Prozent des Staatshaushalts. Wenn wir die Erdölförderung also halbieren, was bleibt dann noch vom Staatshaushalt?

    Das genau zu beziffern ist unmöglich, weil wir weder die künftigen Preise kennen noch konkrete Zahlen, wie die Sanktionen wirklich umgesetzt werden und wie stark Russland die Erdölförderung zurückfährt. Aber es wird auf jeden Fall sehr viel.

    Und was geschieht mit den Erdölanlagen, wenn die Förderung derart stark reduziert werden muss?

    M.K.: Ja, das ist den Erdölunternehmen sehr wohl bewusst. Zunächst einmal wird kein Erdölunternehmen, ausgenommen das staatliche Rosneft, neue Vorkommen erschließen oder welche antasten, die erst kürzlich erschlossen wurden. Wer wird heute investieren, wenn der Gewinn erst in 10 bis 15 Jahren zu erwarten ist? Und wer weiß schon, was in diesen 10 bis 15 Jahren noch alles passiert? 

    Zunächst einmal wird kein Erdölunternehmen, ausgenommen das staatliche Rosneft, neue Vorkommen erschließen

    Erfahrung mit der Stilllegung von Bohrlöchern haben wir schon aus der Zeit, als die Förderung durch Vorgaben der OPEC+ eingeschränkt werden musste. Damals wurde vor allem die Förderung aus Quellen mit niedrigem Ertrag gedrosselt, also es wurden die ineffektivsten Bohrlöcher stillgelegt. Jetzt muss man aber weitergehen, sie schließen oder konservieren. Unter russischen Bedingungen ist das schwierig, denn ein Teil der Ölquellen befindet sich im hohen Norden. Dort sind die Bohrlöcher anderthalb bis zwei Kilometer tief. Wenn dieser Flüssigkeitspfahl einfriert, bilden sich gigantische Pfropfen, die man später nur unter Aufwendung hoher Kosten wieder entkonservieren kann, gegebenenfalls muss man komplett neu bohren.  

    Halten wir also fest, der Einnahmeausfall im Staatshaushalt durch das Öl-Embargo kann etwa 30 Prozent betragen – liege ich richtig?

    M.K.: Sogar mehr.

    Gut, also 30 bis 40 Prozent. Gleichzeitig lese ich letzte Woche in der Financial Times und im Economist, dass Gazprom die Gaslieferungen nach Europa reduziert, dass Europa in Panik aufkommt, weil es zu erfrieren fürchtet. Gibt es denn auf russisches Gas noch keine Sanktionen?

    M.K.: Auf Gas gibt es keine Sanktionen. Selbst im 7. Sanktionspaket, das die EU gerade vorbereitet, ist keine Rede von Gas. Der Gazprom-Konzern hat aber gegenüber vier europäischen Abnehmern höhere Gewalt geltend gemacht. Aus Gründen, auf die man keinen Einfluss habe, könne man die Verpflichtungen gegenüber den Kunden nicht erfüllen. 

    Europa wurde der Gaskrieg erklärt. Das ist eine Reaktion darauf, dass Europa unabhängig von russischem Gas zu sein plant

    Was bedeutet das? Ich habe versucht zu verstehen, ob es für solche außergewöhnlichen Umstände irgendwelche unüberwindbaren Faktoren im technischen oder wirtschaftlichen Bereich gibt. Ich habe keine gefunden.

    Europa wurde also der Gaskrieg erklärt. Das ist eine Reaktion darauf, dass Europa in zwei bis fünf Jahren unabhängig von russischem Gas zu sein plant. Nun läuft eine Art Wettlauf. Die russische Regierung meint: ‚Wenn ihr so mit uns umgeht, zeigen wir euch mal, wie es ohne russisches Gas aussieht. Und so drehen wir euch unter einem passenden Vorwand – in unserem Fall höhere Gewalt – den Gashahn zu.‘

    Wenn ich Sie richtig verstehe, dann zeigt Russland Europa den Mittelfinger: Ihr wollt uns drohen? Hier hast du die Granate, Faschist – wie wir in der Kindheit sagten. Dennoch berührt all das unsere Staatseinnahmen. Wenn wir Europa geißeln, ist das vermutlich schmerzhaft für Europa, doch was wird aus unserem Haushalt? Das Erdöl fließt nicht, und da begrenzen wir auch noch selbst den Gasexport? Und wohin soll all das Gas gepumpt werden, das durch alle diese unendlichen Pipelines fließt, Jamal, TurkStream und wie sie alle heißen. 

    M.K.: Das kommt dem Mord an Gazprom gleich: Kommt, wir wischen Europa mal eins aus und vernichten Gazprom als Gasexporteur. Es bleibt nur eine kleine Pipeline über die Türkei auf den Balkan, die aus politischen Gründen ebenfalls geschlossen werden kann. Nach China haben wir eine Rohrleitung, durch die vergangenes Jahr 10 Milliarden Kubikmeter Gas geflossen sind. Das ist die Sila Sibiri, die bis 2025 ihr Maximum erreichen und bis zu 38 Milliarden Kubikmeter liefern soll. Die Chinesen haben einer Mehrabnahme von 10 Milliarden Kubikmetern zugestimmt. Was mit den restlichen fast 20 Milliarden ist, ist unklar.

    Das kommt dem Mord an Gazprom gleich. Kommt, wir wischen Europa mal eins aus und vernichten Gazprom als Gasexporteur

    Ich habe den Eindruck, unser Präsident lebt in der Illusion, er könne heute oder morgen einen Traum verwirklichen, den er seit Jahren bei unterschiedlichen Anlässen erläutert hat. Nach dem Motto: Ich hab das alles durchkalkuliert. Er sagte, wir würden die Gasleitungen in den Westen mit denen im Osten verbinden und den Gasstrom von Asien Richtung Europa und von Europa Richtung Asien beliebig umschalten, je nachdem, was für uns vom Preis her gerade günstiger ist. Doch das funktioniert so nicht. Alle Rohre führen nach Europa, so viele Rohre, mehr als Europa benötigt. Es gibt aber keine Pipeline, die das Gazprom-Gas von der Jamal-Halbinsel, wo es neue Vorkommen und gute Fördermengen gibt, nach Asien transportieren kann. 

    Um diese Lagerstätten mit China zu verbinden, um eine Pipeline mit einer Kapazität von 100 Milliarden Kubikmetern im Jahr zu bauen, braucht es 10 bis 15 Jahre. Der Präsident denkt aber, wie es mir scheint, dass er das gleich morgen erledigen kann. Er hat Gazprom öffentlich angewiesen: ‚Ich habe Gazprom den Auftrag erteilt, umgehend die Infrastruktur für den Transport von Gas in die asiatische Richtung zu organisieren.‘ Wie soll das umgehend möglich sein? Wie lange wird ein solcher Bau dauern?

    Ich habe den Eindruck, unser Präsident lebt in der Illusion, er könne heute oder morgen einen Traum verwirklichen, den er seit Jahren bei unterschiedlichen Anlässen erläutert hat

    Zudem werden die Chinesen nicht so viel Gas abnehmen. Es hat so viele Gespräche mit den Chinesen gekostet, um sie von Sila Sibiri zu überzeugen und von den 10 Milliarden Kubikmetern aus den Förderstätten im Fernen Osten. Eine Erhöhung der Gasimporte aus Russland steht aber in keinem chinesischen Plan. In keiner Berechnung, in keinem staatlichen oder nichtstaatlichen chinesischen Plan gibt es diese Pipeline. Deshalb richtet seine Illusion großen Schaden an: Kommt, jetzt wischen wir Europa eins aus. Da geht dann allerdings auch Gazprom bei drauf  …

    W.G.: Wenn es keine Lieferungen mehr nach Europa gibt, dann bliebe letztlich nur China als Abnehmer von Pipeline-Gas, andere Möglichkeiten gibt es nicht. Eine weitere theoretische Variante ist die Umwandlung in Flüssigerdgas und die Verschiffung über den Arktischen Ozean. Dazu müsste man, ähnlich wie der Erdgasförderer Nowatek, eine große Menge an Flüssigerdgas-Fabriken wie Jamal LNG oder Arctic LNG 2 bauen. Und Absatzmärkte finden.

    Eine Erhöhung der Gasimporte aus Russland steht in keinem chinesischen Plan

    Allerdings ist es ein großes Problem, für solche Mengen an Flüssigerdgas Abnehmer zu finden. Zudem haben die bestehenden LNG -Terminals Probleme bei der Produktion. Das sind sehr große, komplexe und teure Anlagen, und das alles unter arktischen Bedingungen. Nach dem [sanktionsbedingten –  dek] Weggang der wichtigsten Zulieferer und vieler Beteiligter gibt es bereits heute Probleme mit der Fertigstellung des von Nowatek begonnenen Arctic LNG 2. Eine klare Antwort auf die Frage, wie die nicht gelieferte Technologie ersetzt und wie der technische Betrieb laufen soll, gibt es nicht. Das gesamte Gas aus den Pipelines in Flüssigerdgas umzuwandeln, ist also sehr problematisch, und ich sehe keine Lösung dafür. 

    Deshalb denke ich, man setzt letztlich die Hoffnung darauf, dass die Europäer einknicken. Wenn sie mit ihrer spärlichen Ration dasitzen und der Winter nicht so mild wird wie der letzte – dann werden sie bestimmt um Lieferungen bitten. Ich denke, das ist das Kalkül.

    Herr Gurewitsch, noch einmal: Putin geißelt Europa, gleichzeitig aber den russischen Staatshaushalt. Wie stark werden die Einnahmen im russischen Staatsbudget sinken, wenn neben Erdöl auch kein Erdgas mehr geliefert wird? Was wird stattdessen geliefert? Wir haben Phosphate, Düngemittel …

    W.G.: Wir haben Landwirtschaft …

    Ja, vielleicht Weizen. Wie stark reduzieren sich die Staatseinnahmen?

    M.K.: Ich kann das nicht zusammenzählen. Sehen Sie, auch auf den Kohleexport in den Westen wird ein Embargo eingeführt. Zwar würde China Kohle kaufen, doch wie soll sie dorthin kommen – mit Zeppelinen? Wir haben die Transsib und die BAM, das war’s. Waggons, Transportkapazitäten auf dieser Strecke – nichts … Sie ist komplett ausgelastet, da kann man nichts erhöhen. Irgendjemand sagte, man könne Öl auf der Schiene nach China befördern. Wie soll das gehen? Dort fährt schon Kohle und was sonst noch alles. Es ist völlig dicht.

    Wir haben die Transsib und die BAM, das war’s. Waggons oder Transportkapazitäten auf dieser Strecke – gibt es nicht … Sie ist komplett ausgelastet

    W.G.: Das betrifft auch die Getreidewirtschaft. Häfen und Terminals – nicht unproblematisch. 

    M.K.: Richtig, auch die Häfen kommen nicht nach. Und selbst wenn man aus den Häfen im Fernen Osten zusätzlich Erdöl oder Erdölprodukte nach China liefern möchte – wie kommen die in den Hafen? Auch auf der Schiene. Denn die Pipeline, die bis zur Kosmino-Bucht führt, arbeitet am Anschlag, da kann man nicht noch mehr durchleiten. 

    Es ist einfach ein absolut apokalyptisches Szenario. Denken Sie, Russland ist tatsächlich bereit zu einem Lieferstopp, nur um Europa zu bestrafen?

    M.K.: Ich denke das tatsächlich, bislang deutet alles darauf hin. Die Bestrebungen, Gazproms Marktstellung in Europa zu zerstören, gibt es ja nicht erst seit gestern oder vorgestern. Das hat alles viel früher begonnen. Die Ukraine war der größte Abnehmer für russisches Gas. Dieser Markt wurde schrittweise zerstört. Danach wurden weitere europäische Märkte für russisches Gas vernichtet. Und schließlich sind sie da angekommen, wo sie jetzt sind – bei der Berufung auf höhere Gewalt: ‚Wir werden euch überhaupt kein Gas mehr liefern.‘

    Der Krieg muss in Rubel, nicht in Dollar finanziert werden. Und Rubel muss man sich bei den Bjudshetniki holen, um damit die Armee und die Rüstungsfabriken zu versorgen

    Einen Moment, Herr Gurewitsch, aber auch der Krieg muss doch irgendwie finanziert werden. Laut Daten von Sergej Gurijew verdient die Russische Föderation eine Milliarde Dollar am Tag mit Erdöl, wovon sie die Hälfte für den Krieg ausgibt.

    M.K.: Das ist komplizierter, wie sich gezeigt hat. Wenn wir nämlich in Russland für Öl, Gas, Kohle und Diamanten ausländische Währung bekommen, muss mit dieser Auslandswährung ja etwas geschehen. Unser Import ist aber dermaßen gesunken, dass er nicht mal unter dem Mikroskop zu sehen ist. Wir können also nichts mit den Devisen anfangen. Daher ist die einzige Hoffnung, dass wir noch genug Rubel haben. Der Krieg muss in Rubel, nicht in Dollar finanziert werden. Und Rubel muss man bei den Bjudshetniki abziehen, um damit die Armee und die Rüstungsfabriken zu versorgen.

    W.G.: Wenn der Rubel fällt, füllt sich automatisch der Staatshaushalt. Denn dann bringt sogar eine geringere Menge an exportiertem Gas und Öl konvertiert in Rubel mehr Einnahmen als jetzt.

    Es gibt also zwei offensichtliche Schlussfolgerungen. Erstens, das russische Sozialsystem, das Gesundheitssystem und überhaupt die Bjudshetniki müssen auf spärliche Einkünfte vorbereitet sein, da nicht nur embargobedingt die Erdöleinnahmen fehlen werden, sondern auch Einnahmen aus dem Gasgeschäft. Zweitens können wir festhalten, dass Russland Europa den Gaskrieg erklärt hat. 

    M.K.: Außerdem darf nicht vergessen werden, dass nicht nur der Export von Erdgas und Erdöl, sondern auch der von Gold, Diamanten und Kohle den Bach runtergeht.

    Wir müssen also den Gürtel enger schnallen.

    W.G.: Ich würde es so formulieren: Wenn alles so kommt, wie wir es hier beschrieben haben, dann bedeutet das für uns tatsächlich einschneidende finanzielle Verluste und Verluste im Staatshaushalt. Wegen der aktuell anomal hohen Rohstoffpreise gibt es jetzt noch einen Puffer. 

    Das Technologieembargo ist auf lange Sicht, viel bedeutsamer. Da gibt es viel mehr Probleme

    Ein viel größeres Problem [als das mit den Rohstoffexporten – dek] sehe ich im Bereich Technologie [die sanktionsbedingt nicht mehr importiert werden kann – dek]. Das ist auf lange Sicht, auch strategisch, viel bedeutsamer. Und da gibt es viel mehr Probleme.
    Denn: Von den Erdöl- und Erdgasexporten nach China und Indien kann man natürlich leben, nicht im Wohlstand, aber es ist möglich. Wie wir aber mit dem technologischen Embargo überleben sollen, das wird uns in den nächsten Jahren sehr viel mehr beschäftigen.

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  • „Russland ist nicht bereit für die grüne Wende“

    „Russland ist nicht bereit für die grüne Wende“

    Immer mehr Verbraucher in Europa bekommen es zu spüren: Rekordpreise auf dem Energiemarkt. Ein Faktor, der in der Debatte darüber immer wieder genannt wird, ist Russland. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unterdessen, dass die US-Regierung Insidern zufolge bereits Notfallpläne für Gaslieferungen nach Europa ausarbeite – für den Fall, dass diese im Zuge der Krise um die Ukraine etwa unterbrochen würden. 
    Präsident Wladimir Putin hatte noch im Dezember größere Gaslieferungen versprochen – sobald Nord Stream 2 in Betrieb ginge. Nach Aussagen der Internationalen Energieagentur (IEA) könnte der staatliche Gazprom-Konzern die Liefermengen jedoch auch über die bestehende Infrastruktur deutlich erhöhen.

    Der Energieexperte Michail Krutichin nennt das „Erpressung“. Im Interview mit Republic spricht der Branchenkenner der Consulting-Firma RusEnergy über die Perspektiven des Pipeline-Projekts, über die Vermischung politischer und wirtschaftlicher Interessen bei Gazprom, aber auch ausführlich über die möglichen Auswirkungen der globalen Hinwendung zu den erneuerbaren Energien für die russische Öl- und Gaswirtschaft.

    Jewgeni Senschin: Was hatte Ihrer Meinung nach im vergangenen Jahr den größten Einfluss auf den russischen Öl- und Gasmarkt?

    Michail Krutichin: Das Wesentliche ist, dass sich die globale Ölbranche umorientiert: weg von Investitionen zur Förderung kohlenwasserstoffbasierter Rohstoffe hin zu Investitionen in erneuerbare Energiequellen und in die grüne Energiewirtschaft. Wir sehen das bei den führenden Öl- und Gasunternehmen. Die Regierungen vieler Länder, auch erdölfördernder Länder wie Saudi-Arabien, unterstützen diesen Trend nicht nur, sondern sichern die Entwicklung gesetzgeberisch, finanziell, mit verschiedenen Vergünstigungen in diese Richtung ab, sogar mit staatlichen Investitionen.
    Im vergangenen Jahr hat sogar die russische Führung verstanden, dass sich die Welt ernsthaft in eine neue Richtung bewegt. Und das ist keineswegs die Richtung, auf die man in Russland gesetzt hatte. Wir erinnern uns an solche Dokumente wie die Doktrin der nationalen Energiesicherheit, in der ganz klar davon die Rede war, dass diese ganze Energieeffizienz, die Energieeinsparungen, die grünen Energien, dass das alles Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen für Russland sind. Das aber will den bisherigen Weg weiter beschreiten und stützt sich dabei auf die Förderung und den Export von Erdöl, Erdgas und Kohle, das heißt auf das, was heute als „schmutzige Energie“ bezeichnet wird. Dieser Trend wird kurz- und mittelfristig bestimmen, wohin sich die Welt bewegt und wie sehr Russland dabei ins Hintertreffen gerät.

    Russland stützt sich auf das, was heute als ‚schmutzige Energie‘ bezeichnet wird

    Neben dieser allgemeinen Entwicklung in der Branche wird jedoch auch die Gefahr deutlich, dass weltweit weniger in die Suche nach Öl- und Gaslagerstätten investiert wird. Möglicherweise wird das nach einer gewissen Zeit zu einem Einbruch in der Öl- und Gasförderung führen, und das hätte wiederum höhere Öl- und Gaspreise zur Folge. Somit ringen also zwei unvereinbare Trends miteinander, und welcher davon auf absehbare Sicht die Oberhand behält, ist derzeit ungewiss. 

    Inwieweit tragen die Maßnahmen der russischen Führung Ihrer Meinung nach diesen Herausforderungen Rechnung? 

    Bislang sehen wir einen Tanz der russischen Führung um den heißen Brei – es werden seltsame Dokumente verabschiedet, etwa ein Wasserstoff-Aktionsplan; einzelne Unternehmen beschließen Aktionspläne für die Entwicklung grüner Energien. Hier stechen einige Unternehmen heraus, wie Nowatek, Gazprom Neft und teilweise Lukoil. Aber insgesamt zeigt sich, dass Russland für die grüne Wende nicht bereit ist und es auch nicht eilig hat, sich darauf vorzubereiten. 

    Niemand hat es mit dem Übergang zu etwas Neuem eilig, solange das Alte noch nutzbar ist

    Die Regierung ist nicht einmal in der Lage, eine kohärente Wasserstoff-Strategie zu beschließen, stattdessen werden einzelne Dokumente verabschiedet. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich, doch welche Behörde wofür zuständig ist, bleibt völlig unklar. Alle zerren in unterschiedliche Richtungen und kommen mit bürokratischen Äußerungen wie „gut wäre es, wenn“, „wir arbeiten aktiv daran, dass“ oder „die Vorbereitungen für x y z laufen“. Aber tatsächlich passiert sehr wenig.

    Weshalb passiert so wenig? Misst man dem keine Bedeutung bei, mangelt es an Kompetenz, fehlt die Zeit, oder was ist das Problem?

    Sowohl die Beamten als auch die Chefs der Öl- und Gasunternehmen sind es gewohnt, wie Parasiten von der traditionellen Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu profitieren, sprich, einfach zu fördern und zu verkaufen. Niemand hat es mit dem Übergang zu etwas Neuem eilig, solange das Alte noch nutzbar ist. Wir beobachten den seltsamen Trend, dass gigantische Projekte initiiert werden (vor allem zu Lasten von Staatsunternehmen wie Rosneft), die wirtschaftlich jedoch kaum zu rechtfertigen sind – zum Beispiel Vostok Oil. Somit bestätigt sich die alte Wahrheit, dass ein Beamter in einem Staatsunternehmen nicht am Endergebnis, an Gewinn und an Effizienz interessiert ist. Für ihn ist der Prozess interessant, im Zuge dessen etwas herauszuholen ist, nennen wir es mal eine Korruptionssteuer – also das, was man als raspil und otkat bezeichnet. In diesem Sinne werden bei uns Projekte oft ohne Rücksicht auf die künftige Rentabilität umgesetzt. Und das ist nicht nur Vostok Oil, sondern beispielsweise auch die viel gepriesene Erdgaspipeline Sila Sibiri 2.

    Auf lange Sicht sind grüne Energien eine Bedrohung für Russland in seiner derzeitigen wirtschaftlichen Struktur. Aber wenn wir eine Perspektive von vielleicht fünf Jahren nehmen, lohnt es sich da überhaupt für das heutige politische Regime, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen? Vielleicht wird das Regime eher untergehen, als dass sich die Welt von Öl und Gas verabschiedet. Der Planungshorizont von Beamten und Politikern ist kurz.

    Wir sehen, dass der Trend zur Ökologisierung, insbesondere die Abgaben auf CO2-Emissionen in die Atmosphäre, für einige Unternehmen schon jetzt zu einer ernsthaften Belastung werden. In den europäischen Richtlinien für Öl und Gas findet sich bislang nur wenig dazu, aber: In ein, zwei Jahren werden Öl und Gas in die Liste der Energieträger aufgenommen, die solchen Beschränkungen unterliegen. 

    Die Kosten für das aus Russland exportierte Öl und Gas werden drastisch steigen

    Dann werden die Öl- und Gaslieferanten und natürlich auch die Kohlelieferanten eine sogenannte CO2-Steuer in ganz unterschiedlicher Form zahlen. Und die Kosten für das aus Russland exportierte Öl und Gas werden drastisch steigen. Möglich ist das bereits in naher Zukunft.

    Die Lage wird noch verschärft: Solange es genügend Nachfrage gibt, aus der Profit geschlagen werden kann, schrumpfen die Möglichkeiten, die Öl- und Gasförderung rasch hochzufahren. So ist vor allem beim Erdöl festzustellen, dass russische Ölunternehmen die Förderung aus längst erschlossenen Lagerstätten intensivieren – mit Ausnahme von Rosneft und seinem zweifelhaften Projekt Vostok Oil. Oder sie beginnen einfach mit der Ausbeutung der Vorräte im sogenannten Erdölsaum von Gaslagerstätten. 

    Solange es genügend Nachfrage gibt, aus der Profit geschlagen werden kann, schrumpfen die Möglichkeiten, die Öl- und Gasförderung rasch hochzufahren

    So deklariert Gazprom Neft beispielsweise die bereits 1974 erschlossene Lagerstätte Peszowoje als neu und gibt feierlich bekannt, dass dadurch die Förderung erhöht wird. Jedoch könnten solche Möglichkeiten in alten Lagerstätten sehr schnell ausgeschöpft sein, da der Großteil der übrigen Ölvorräte in Russland zur Kategorie der schwer förderbaren Reserven gehört und die Preise für solche Rohstoffe dann zwangsläufig extrem hoch sein werden. 

    Die Unternehmen wollen ganz einfach nichts Neues entwickeln. Bei der Erschließung neuer Lagerstätten können vom Beginn der Investition bis zum realen Gewinn sieben bis 15 Jahre vergehen. Aber wie sich in diesem Zeitraum die Branche, die weltweite Nachfrage, die politischen Verhältnisse und die steuerliche Situation in Russland entwickeln, weiß niemand genau. Es gibt hier keine Stabilität, daher investieren die Unternehmen nicht in solche Projekte. 

    Wenn man für das Jahr 2021 ein Fazit für den russischen Öl- und Gassektor zieht, kann die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht außer Acht gelassen werden. Alexander Nowak hat kürzlich gesagt, die Zertifizierungsverfahren für das Projekt könnten Mitte 2022 abgeschlossen sein, sodass dann die ersten Gaslieferungen aufgenommen würden. Sie sind ein bekannter Kritiker dieser Pipeline und sagten einmal, dass das Projekt bereits im Dezember 2019 gestorben sei, als vom US-Kongress Sanktionen dagegen verhängt wurden. Wie schätzen Sie aktuell die Zukunft des Projekts ein?

    Noch vor ihrer Inbetriebnahme ist die Pipeline zu einem politischen Druckmittel geworden. Unser Präsident erklärt, dass er die Gaslieferungen [in die Europäische Union – dek] um zehn Prozent erhöhen könne, jedoch unter der Bedingung, dass das Gas durch Nord Stream 2 fließt. Andernfalls würden Europas Bürger aufgrund des fehlenden Gases womöglich im Winter frieren. Das heißt, dass entweder enorme freie Kapazitäten für den Gastransport durch die Ukraine und auch durch Belarus und Polen stillliegen, oder dass dort der Gasdurchfluss gedrosselt wird. Das ist ein Gaskrieg von Seiten Russlands. 

    Wird Nord Stream 2 zertifiziert? Diese Frage ist offen. Erst kürzlich haben sich in Deutschland das Auswärtige Amt und der Bundeskanzler darauf geeinigt, dass das Projekt nach europäischen und nicht nach deutschen Richtlinien zertifiziert werden soll. Damit ist eine einfache Anforderung verbunden: Der Betreiber der Pipeline kann nicht gleichzeitig auch der Eigentümer des Gases sein. Somit kann Gazprom nicht sein Gas durch seine eigene Pipeline leiten. Das widerspricht den Wettbewerbsregeln der EU. Das bedeutet, dass Gazprom entweder eine Änderung des Föderalen Gesetzes über den Gasexport erwirken muss, das dem Konzern bislang eine Monopolstellung zuschreibt, oder gezwungen ist, die Funktion des Pipeline-Betreibers an ein anderes Unternehmen abzutreten.

    Das ist ein Gaskrieg von Seiten Russlands

    Gazprom hat versucht, diese Funktion an ein in der Schweiz registriertes Unternehmen abzugeben. Von den Deutschen hieß es daraufhin, so gehe es nicht. Das Unternehmen müsse in Deutschland registriert sein. Bislang ist Gazprom dieser Forderung der deutschen Regulierungsbehörde nicht nachgekommen. Wann es dazu kommt – dahinter steht ein riesiges Fragezeichen. In welche Richtung sich die Sache entwickelt, ist absolut unklar. Bislang sehen wir ganz einfach eine Erpressung, um Deutschland zur Absage an europäische Wettbewerbsregeln zu zwingen. Die Erwartung seitens Gazprom ist jedoch unrealistisch.

    Könnte Europa auf russisches Gas verzichten, wenn das Vorgehen von Gazprom die Grenzen des Tolerierbaren überschreitet?

    Ich würde nicht von der gesamten Europäischen Union sprechen. Nehmen wir Deutschland. Dort sind drei Terminals für Flüssigerdgas geplant, es gibt Pläne für den Bezug großer Mengen via Frankreich, Belgien und so weiter. Das heißt, Deutschland wird auf russisches Gas verzichten können, obwohl es heute einen großen Teil seines Bedarfs damit deckt. 

    Eine solidarische Entscheidung über ein Embargo für russisches Gas würde ich nicht erwarten

    Aber es gibt andere Länder, die nicht ohne russisches Gas auskommen. Das sind die osteuropäischen Länder: Ungarn, Bulgarien, die Slowakei. Sie werden eine erhebliche Zeit benötigen, um auf russisches Gas verzichten zu können. Eine solidarische Entscheidung über ein Embargo für russisches Gas würde ich daher nicht erwarten.
    Aber ich möchte eines anmerken: Sogar in den Darstellungen von Gazprom ist immer die Rede davon gewesen, dass russisches Erdgas in der Europäischen Union bis 2040 einen Anteil von 30 bis 33 Prozent behalten wird. Ja, selbst wenn der Gesamtgasverbrauch aufgrund der grünen Wende zurückgehen könnte, bleibt demnach der Anteil von Gazprom an der Gesamtmenge unverändert. Allerdings nur, wenn der Konzern sich nicht als politisches Druckmittel instrumentalisieren lässt, sondern als echtes Wirtschaftsunternehmen agiert.

    Gazprom verfügt über bemerkenswerte Wettbewerbsvorteile. Erstens ist eine gute Lieferinfrastruktur vorhanden. Zweitens stehen gigantische Mengen zur Verfügung, mit denen Verbraucher flexibel versorgt werden können. Drittens gibt es die Unterstützung der russischen Regierung in ganz unterschiedlicher Form. Viertens gibt es das Phänomen der sogenannten Schröderisierung, also korrumpierte Politiker aus Europa, die Gazprom unterstützen können.

    Gazprom kann einen beträchtlichen Anteil am Gasverbrauch in der EU halten. Jedoch nur, wenn es nicht wie ein Hooligan auftritt

    Kurz, Gazprom hat alle Chancen, über viele Jahre hinweg einen Anteil von einem Drittel am Gasverbrauch in der Europäischen Union zu halten. Jedoch unter der Bedingung, dass der Konzern nicht wie derzeit als Hooligan auftritt und Krieg gegen die Verbraucher führt.

    Man muss Gazprom als drei getrennte Unternehmen betrachten. Ein Gazprom, das Vorkommen erkundet, Gas fördert, Pipelines baut und innerhalb Russlands mit Gas handelt. Das ist ein abgegrenztes Geschäft, das Gazprom gut beherrscht. Dort sind massenhaft Menschen beschäftigt, bis zu einer halben Million, die einen riesigen und sehr leistungsfähigen Industriezweig aufgebaut haben. 

    Gazprom ist ein politisches Instrument, wenn das Unternehmen Entscheidungen entgegen wirtschaftliche Interessen trifft

    Das zweite Gazprom ist ein politisches Instrument, wenn das Unternehmen Entscheidungen entgegen wirtschaftliche Interessen trifft. Beispielsweise im Winter 2014/2015, als die Lieferungen nach Europa eingeschränkt wurden. Damals hatte Gazprom nur die halbe Menge Gas nach Europa geliefert, weil es der russischen Regierung nicht gefiel, dass europäische Händler Gas an die Ukrainer verkauft haben. Dadurch entgingen Gazprom mehr als vier Milliarden US-Dollar. Jetzt, wo Gazprom im Winter die Lieferungen kürzt, haben wir genau das gleiche Bild. Das zweite Gazprom schadet also dem ersten.
    Das dritte Gazprom ist schlicht ein Instrument, um staatliche Gelder in private Unternehmen zu transferieren. Dabei geht es um die Initiierung großer Investitionsvorhaben ohne wirtschaftliche Perspektiven: die Pipelines Sila Sibiri, Sila Sibiri 2, die Gasleitung Sachalin-Chabarowsk-Wladiwostok und ähnliche, völlig unrentable Megaprojekte. Das ist ein Gazprom des Eigennutzes. 

    Ein Monopol bedeutet immer schlechte Qualität, Niedertracht, Korruption

    Ich kann ein utopisches Szenario vorbringen. Zu dessen Verwirklichung bräuchte es allerdings die Hilfe von Außerirdischen. Doch sollte es in Russland einmal eine Regierung geben, die sich um die nationalen Interessen und nicht um die eigene Geldbörse sorgt, dann könnte in diesem Land ein richtiger Gasmarkt entstehen – heute gibt es keinen. Dafür ist eine Liberalisierung notwendig, damit alle Erdgas fördernden Unternehmen die gleichen Bedingungen erhalten, und zwar ohne Monopolismus. Ein Monopol bedeutet immer schlechte Qualität, Niedertracht, Korruption, umso mehr wenn das Ganze von Staatsbeamten geführt wird. 

    Zum Abschluss, worauf sollte man im kommenden Jahr mit Blick auf den Öl- und Gassektor in Russland besondere Aufmerksamkeit richten?

    Man sollte ein besonderes Augenmerk darauf richten, wie sich die politische Lage entwickelt. Denn diese drängt die wichtigsten Abnehmer von kohlenstoffbasierten Rohstoffen aus Russland verstärkt zu einem schnelleren Verzicht auf diese Lieferungen. Wenn sie sehen, dass die russische Regierung beabsichtigt, auch weiterhin militärische Spannungen an ihren Grenzen zu schüren, und offen von einer möglichen Aggression gegen andere Staaten spricht, dann ist zumindest Vorsicht geboten – oder man beendet die Geschäftsbeziehungen einfach komplett. Ich werde vor allem die Entwicklung der außenpolitischen Lage beobachten, und nicht die des Öl- und Gassektors an sich.

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