Der Terror ist zurück in Russland: Am Abend des 22. März 2024 dringen bewaffnete Männer in den Konzertsaal Crocus City Hall am Stadtrand von Moskau und töten mindestens 137 Menschen. Es ist das blutigste Attentat seit den Terrorattacken der 2000er Jahre wie etwa den Geiselnahmen im Dubrowka-Theater 2002 oder in der Schule von Beslan 2004.
Zu der Tat hat sich die Terrororganisation Islamischer Staat bekannt. Gleichzeitig deuten Kreml und Staatsmedien auf eine angebliche Spur in die Ukraine, jedoch ohne dafür Beweise zu liefern. In russischsprachigen Sozialen Medien spekulieren außerdem viele User, ob nicht sogar der Inlandsgeheimdienst FSB dahinter steckt, und sehen eine Parallele zu den Explosionen von Wohnhäusern 1999.
Am Sonntag, zwei Tage nach dem Anschlag, wurden vier der mutmaßlichen Täter dem Moskauer Basmanny-Gericht vorgeführt. Alle trugen offensichtliche Spuren von Misshandlung und Folter: Blutergüsse, Schürfwunden, eine geschwollene Wange, einer der Beschuldigten wurde gar im Rollstuhl in den Gerichtssaal gebracht, ein anderer hat einen Verband über dem Ohr. Zuvor kursierten auf Telegram Aufnahmen, wonach einem der mutmaßlichen Täter bei einem Verhör ein Ohr abgeschnitten und ihm in den Mund geschoben wurde. Eine andere Aufnahme soll einen Beschuldigten zeigen, der mit heruntergelassener Hose auf dem Boden liegt und mit Strom an den Genitalien gefoltert wird. Von einem CNN-Journalisten auf die Folterspuren der Beschuldigten angesprochen, sagte Kremlsprecher Dimitri Peskow: „Ich lasse diese Frage unbeantwortet.“
Was so eine zur Schau gestellte Brutalität bedeutet und was sie über den russischen Staat verrät, fragt der Politologe Kirill Rogow in einem Kurzkommentar auf Facebook. Kirill Rogow ist Direktor des Portals Re:Russia und Gastwissenschaftler am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien.
Zu den verbreiteten Mythen über Putin gehört, dass er Judo betrieb und dort eine Technik gelernt habe, bei der man den Angriff des Gegners dazu nutzt, die Energie seines Angriffs gegen ihn anzuwenden. Dieser Quatsch wurde hunderte Male wiederholt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass da wenig Wahres dran ist. Dabei hat Putin wirklich eine ganz spezielle Art, auf Krisen zu reagieren, das ist tatsächlich sein Markenzeichen. Und das ist es wert, dass man sich das mal genauer anschaut.
Die Technik besteht in Folgendem: Wenn eine Krise deine Schwäche aufdeckt, muss die Wut des Vergeltungsschlags auf den losgelassen werden, der sich in Reichweite befindet. Das ist in der Regel nicht der, der für deine Schwäche verantwortlich ist. Doch das spielt keine Rolle. Denn vor allem die Heftigkeit und Wirksamkeit des Schlages sollen den Eindruck deiner Schwäche aufheben, der durch die zuvor erlittene Niederlage entstanden ist. Das ist der Sinn dieser Technik.
Die Wucht des Vergeltungsschlags soll nicht den Gegner beeindrucken, sondern den Zuschauer
Wenn du einen Schlag einstecken musstest, schlage einfach den, dem du in diesem Moment eine verpassen kannst. Und werde wieder Sieger. Dass der Zorn in die völlig falsche Richtung losgeht, ist egal. Die Leute merken das nicht. Sie werden dich als Gewinner sehen und nicht als Verlierer. Das bedeutet: Die Wucht des Vergeltungsschlags soll nicht den Gegner beeindrucken und erschrecken, sondern den Zuschauer.
So auch nach dem Geiseldrama im Moskauer Dubrowka-Theater und der gescheiterten Befreiungsoperation, bei der durch die Inkompetenz der Sicherheitskräfte viele Kinder ums Leben kamen. Putin ging damals plötzlich auf die Leitung des Senders NTW los und beschuldigte sie, die Befreiungsaktion gestört zu haben. Dasselbe geschah nach dem Terroranschlag in Beslan, bei dem mehr als 330 Menschen ums Leben kamen und Putin daraufhin die Gouverneurswahlen in Russland abschaffte.
Wir werden noch erfahren, wer zur Vergeltung ins Visier genommen wird nach der Demütigung Putins, der gewarnt wurde und den Schlag trotzdem nicht abgewehrt hat. Teilweise ist die Logik des Vergeltungsschlags jedoch bereits jetzt erkennbar.
Putins hauptsächliche Reaktion sind tägliche Episoden von öffentlichem Sadismus
Putins hauptsächliche Reaktion auf diesen schrecklichen Terroranschlag sind sich Tag für Tag wiederholende Episoden von öffentlichem Sadismus gegenüber denjenigen, die als Verdächtige im Zusammenhang mit dem Terroranschlag festgenommen wurden. Im Prinzip stammt die gesamte Bildsprache dieser Episoden von den islamistischen Terroristen selbst – das Aufschlitzen von Kehlen und Enthauptungen vor laufender Kamera, die Zurschaustellung von Menschen, die bis an die Grenzen des Erträglichen gefoltert werden. All dies hat die doppelte Funktion, den Terror so darzustellen, wie er ist: als Mechanismus der Einschüchterung, und die Schaffung der Geschlossenheit im Hass. Die von der Präsidialadministration angeregte Errichtung von „spontanen Gedenkorten“ in russischen Städten (wie nach der Ermordung Nawalnys), ergänzt nur das Programm des kollektiven Hasses. Der Terror ist eine Manifestation des Hasses. Terror und Hass bilden das Gegenstück zum Gesetz, sie heben es auf, indem sie etwas über das Gesetz stellen.
Dieser öffentliche Terror wendet sich gleichermaßen gegen sein Objekt [die Terroristen – dek], wie auch gegen diejenigen, die die Unumstößlichkeit des offiziellen Narrativs in Zweifel ziehen. Der Terror richtet sich gegen die russischen Bürger, weil er den Hass als Antwort normal werden lässt. Auch auf ihre Fragen und ihr Nichteinverständnis. Auch in Bezug auf den Terroranschlag.
Denn nach allem, was wir in den letzten Tagen erfahren haben, befremdet Folgendes am meisten: Wenn ihr diese Leute schon so schnell gefasst habt und die so naiv und ungeschickt waren, um richtig vom Tatort zu fliehen – wie kommt es dann, dass ihr den Terroranschlag nicht verhindern konntet? Es liegt doch auf der Hand, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Aber die Bilder vom demonstrativen Sadismus sind dazu da, diese Frage emotional zu verwischen.
Und ihr sprecht von Judo. Ich verstehe nicht, was das mit Judo zu tun hat.
Am frühen Morgen des 24. Februar 2022 hat Russland die gesamte Ukraine angegriffen. Sämtliche diplomatische Bemühungen, die es seit Dezember 2021 auf internationaler Ebene gegeben hat, als Russland von der NATO und den USA weitreichende „Sicherheitsgarantien“ gefordert hatte, sind damit komplett gescheitert. Zuvor hatte sich die Entwicklung massiv zugespitzt: Schon beim Besuch von Olaf Scholz am 15. Februar hatte Putin von einem „Genozid“ im Osten der Ukraine geprochen. Am Montag, 21. Februar, erkannte Russland die Separatistengebiete im Osten der Ukraine als unabhängig an, verbunden damit, dass Putin Truppen losschickte. In einer TV-Rede, ausgestrahlt am Montagabend, nur Stunden vor dem Ingangsetzen der Militärkolonnen, hatte Putin der Ukraine ihre eigene Staatlichkeit abgesprochen. Ein „Meisterwerk der Demagogie“, nannte der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel den Auftritt.
Worum aber geht es dem Kreml, worum geht es Moskau? Wirklich um Kränkungen durch den Westen, vermeintlich nicht eingehaltene „Versprechen“ und Sicherheitszusagen aus den 1990er Jahren? Die Politikanalystin Tatjana Stanowaja schrieb nach Putins Rede: „Heute ist der Tag, an dem Wladimir Putin auf die dunkle Seite der Geschichte übergewechselt ist. Es ist der Anfang vom Ende seines Regimes, das sich nur noch auf Waffen stützt.“ In einem langen Analysestück auf Vashnyje Istorii skizziert Kirill Rogow ein Regime, das auf Repression und Rohstoffe setzt, aber keine wirkliche Zukunftsperspektive zu bieten hat. Und so zum Aggressor wird. Einen Tag vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde der Text veröffentlicht.
Wofür braucht Putin einen Krieg? Wissenschaftler suchen nach einer Erklärung für den exzentrischen und aggressiven außenpolitischen Kurs des Kreml, versuchen, die Logik dahinter und seine wahren Ziele zu erklären. Diese Versuche führen allerdings zu einer anderen, allgemeineren Frage: Was leitet autoritäre Regime überhaupt bei der Wahl ihres außenpolitischen Kurses? Sind die Eskalation des Konflikts mit dem Westen und die Vorbereitung eines realen Krieges gegen die Ukraine [Text vom 23.02.22 – dek] eine Reaktion auf äußere Bedrohungen – oder werden sie von innenpolitischen Gründen diktiert?
Einige Vorteile einer Eskalation sind mit dem bloßen Auge erkennbar. Wer war Putin noch vor einem Jahr? Er war jemand, dem die Welt einen Mordversuch mit einer verbotenen Chemiewaffe am Anführer der Opposition vorwarf. Selbst der amerikanische Präsident unterstrich diesen Vorwurf mit einem Wort. In Russland haben zig Millionen Menschen den Film [von Alexej Nawalny – dek] über Putins Palast gesehen, der ihn als im Pomp versinkenden Mafiaboss zeigte.
Sind die Eskalationen Reaktion auf äußere Bedrohungen – oder von innenpolitischen Gründen diktiert?
Derselbe Putin erscheint heute als jemand, der bereit ist, einen großen Krieg zu führen, um die russischen Interessen zu verteidigen und die „Umzingelung Russlands durch die NATO“ aufzuhalten. Die Machthaber dieser Welt statten ihm einer nach dem anderen Besuche ab und diskutieren betont respektvoll über seine Sorgen und Forderungen. Niemand erwähnt den Palast, den Anschlag auf Alexej Nawalny oder die im ganzen Land zunehmenden Repressionen. Wenn das mal kein überzeugender Nutzen einer Eskalation ist. Fighting Fire with Fire, oder klin klinom wyschibat, einen Keil mit dem anderen rausschlagen, wie es auf Russisch heißt.
Aber es gibt auch eine tiefer gehende Perspektive, die die Dynamik der Putinschen Eskalationen erklärt. 2011, als Putin verkündete, in den Präsidentensessel zurückkehren zu wollen, sah er sich zum ersten Mal mit Massenprotesten konfrontiert. Sein berühmtes Rating, seine Beliebtheitsskala, sank auf einen Tiefstand. Anti-Putin-Äußerungen wurden zu einem wesentlichen Bestandteil im innenpolitischen Geschehen. Der Kreml reagierte darauf mit verstärkter Kontrolle der Medien, gezielten Repressionen und einer Verschärfung der Demonstrationsgesetze. In der Folge wurde 2013 das organisatorische Potential der Opposition gesprengt, die Demonstrationswelle verebbte. Doch die Umfragewerte blieben unten. Putins Legitimität als autoritärer, alternativloser Herrscher wurde nicht wiederhergestellt. Erst nach der Annexion der Krim und den entfachten Kämpfen im Donbass schnellte das Rating wieder in die Höhe. Der „schwache Putin“ löste sich auf im Rauch eines siegreichen Krieges.
Als Putin Ende 2020/Anfang 2021 erneut mit einer Reihe von ernstzunehmenden Herausforderungen konfrontiert wurde – der aufgedeckte Mordanschlag, der Film über den Palast, Massenproteste, die diesmal auch die Provinz ergriffen –, holte er wieder zum Gegenangriff auf die Opposition und die unabhängige Presse aus, schickte Dutzende von Oppositionellen ins Gefängnis oder vertrieb sie aus dem Land, und erklärte Nawalnys Organisationen für illegal. Und wieder gelang es ihm, das Potential der Opposition erfolgreich zu sprengen. Doch genau wie beim letzten Mal führte das nicht zur Wiederherstellung der Legitimität Putins als autoritärer Leader. Das Rating blieb auf demselben Niveau, und die Proteststimmen bei den Wahlen im vergangenen Jahr konnten lediglich mithilfe von Fälschungen abgefangen werden. Das heißt, das Problem war nur halb gelöst.
Es ist an der Zeit, sich die Wechselbeziehungen zwischen der Innen- und der Außenpolitik genauer anzuschauen
Doch diese Argumentation überzeugt jene nicht so recht, die in den Handlungen des Kreml ein Bekenntnis zu den nationalen Interessen sehen. Und es ist an der Zeit, sich diese Interessen und die tieferen Wechselbeziehungen zwischen der Innen- und der Außenpolitik genauer anzuschauen.
In Russland existieren schon seit Jahrhunderten zwei große Narrative, die seine Beziehungen zur Außenwelt beschreiben.
Zwei große Narrative
Das erste sieht Russland als ein riesiges, an Territorium und natürlichen Ressourcen außerordentlich reiches Land, was sein Potential als Großmacht sozusagen von Anbeginn an definiert. Die Länder, die Russland umgeben, sind demzufolge neidisch auf diesen Reichtum und fürchten sein Potential, und deshalb trachten sie danach, Russland zu spalten, von innen heraus zu unterwandern oder seine Möglichkeiten zur vollen Entfaltung dieses Potenzials einzuschränken. Russlands primäre Aufgabe besteht in diesem Narrativ darin, sich diesen feindlichen Handlungen unter Einsatz seiner inneren Kräfte zu widersetzen. Das ist das Narrativ von Schutz und Verteidigung.
Das zweite Narrativ ist wohl nicht weniger historisch verankert und praktisch jeder Russe, jede Russin kennt es. Es beschreibt Russland ebenfalls als ein an Territorium und an Ressourcen reiches Land mit einem riesigen Potential, welches es nicht vollends entfalten kann – allerdings, weil das Land nicht genügend entwickelt ist und technisch, wirtschaftlich wie gesellschaftlich hinter dem Westen zurückbleibt. Das Land muss also unbedingt eine Kraftanstrengung unternehmen und den Westen einholen, damit sich sein Potential vollends entfalten kann. Dieses Narrativ ist das der Modernisierung und der aufholenden Entwicklung.
„Schutz und Verteidigung“ versus Modernisierung
Diese zwei Narrative stehen in der öffentlichen Meinung in ständiger Konkurrenz, wobei sie die Prioritäten der nationalen Interessen, der entsprechenden politischen Ziele und notwendigen Handlungen auf unterschiedliche Weise definieren. Was meistens bei der Analyse durchrutscht, ist, dass diese zwei Narrative und die politischen Prioritäten, die sie implizieren, grundsätzlich unterschiedliche Kompetenzen von den Leadern und Eliten auf den Kommandoposten erfordern.
Im ersten Fall sind das die Kompetenzen der Verteidigung und der Bewahrung von Ordnung – also Kompetenzen der Gewalt. Im zweiten Fall ist es die Kompetenz, Technologien und Institutionen zu übernehmen und sie anzupassen sowie Allianzen zu schließen und Handel zu treiben. Die zwei Narrative führen nicht nur zu einer Konkurrenz, was die priorisierten Ziele in der öffentlichen Meinung angeht, sondern auch zu einer Konkurrenz zwischen zwei Typen von Eliten, die auf unterschiedliche Kompetenzen und Mechanismen in der Verwaltung, in den Institutionen ausgerichtet sind.
Löwen und Füchse
In Phasen, in denen in Russland das erste Narrativ populär ist, dominiert an der Spitze der Führungspyramide jener Typ von Elite, den Vilfredo Pareto in Anlehnung an Machiavelli als „Löwen“ bezeichnete und die wir hierzulande als Silowiki kennen. Dominiert das zweite Narrativ, betreten die Bühne diejenigen, die Pareto und Machiavelli als „Füchse“ bezeichneten. Ändert sich das dominierende Narrativ, kommt es unweigerlich zu einer Umgestaltung der Eliten.
Betrachtet man Russlands Geschichte der letzten Jahrzehnte aus diesem Blickwinkel, kann man sagen, dass seit Gorbatschows Reformen Mitte der 1980er Jahre bis Anfang der 2000er Jahre in der russischen Politik die Füchse dominierten, die ein Aufholen in der Entwicklung und eine pragmatische Kooperation mit dem Westen in den Vordergrund der nationalen Interessen stellten. In diese Zeit fielen die massenhaften Privatisierungen, und die Füchse, die feste politische Posten innehatten, wussten diese für ihren eigenen Vorteil zu nutzen.
Mit Putin kamen die Löwen
Doch mit Putins Einzug in den Kreml im Jahr 2000, betraten immer mehr Löwen, oder Silowiki, wie man sie in Russland nennt, die politische Bühne. Ab 2012 dominierten sie das Regierungssystem vollends. Wir dürfen nicht vergessen, dass in Putins 20-jähriger Amtszeit eine massive Umschichtung privatisierter Vermögenwerte stattgefunden hat, überwiegend zum Vorteil der Löwen. Jetzt stehen sie genau wie Putin vor der Frage, wie sie ihre Vorherrschaft festigen und zusammen mit dem erbeuteten Reichtum an die nächste Generation von Politikern und Eigentümern weitergeben können: an ihre Kinder und Erben.
Während es in den 2000er Jahren zunächst danach aussah, als würden Putin und seine Regierung über Kompetenzen sowohl des ersten als auch des zweiten Typs verfügen – also als würden sie sowohl die Wirtschaft ankurbeln als auch Ordnung schaffen – geriet das Wirtschaftswachstum 2010 beträchtlich ins Stocken. Das stellte die Fähigkeiten der Putinschen Elite auf diesem Gebiet in Frage und holte den Modernisierungsbedarf wieder zurück auf die Tagesordnung. Das heißt, es eröffnete den Füchsen wieder die Chance, ihre Positionen in der russischen Politik zu stärken. Davon zeugten sowohl die Modernisierungsrhetorik während Medwedews Präsidentschaft als auch die Proteste 2011 und 2012, bei denen soziale Gruppen neue Forderungen stellten, die über die Ideale von Sicherheit und Stabilität hinausgingen.
Dies ist der Hintergrund, vor dem die Krim-Wende in der russischen Politik vonstatten ging. Die Annexion der Krim kam wie die symbolische Rückkehr eines sowjetischen Elysiums mit dem Titel Supermacht daher. Und sie schuf nicht nur ein unlösbares Problem in Russlands Beziehungen zum Westen, sondern blockierte auch jeden Versuch, das Land wieder auf den Weg der Modernisierung zu bringen. Die Annexion der Krim und der Konflikt mit dem Westen wurden zum Hebel, mit dem die Füchse an den Rand gedrängt und ihr politischer Einfluss untergraben wurde. Damals wie heute provozierte der hohe Konfrontationsgrad den Westen zwingend zu einer Reaktion, die es wiederum erlaubte, das Narrativ vom sich verteidigenden Russland als alternativlos und einzig möglich darzustellen – und dieses Narrativ als eine einvernehmliche Doktrin nationaler Interessen durchzusetzen.
Die Isolation Russlands ist keine Nebenwirkung der Konfrontation, sondern ihr Ziel, so paradox das auch klingen mag
Vertreter der Elite ersten Typs – Löwen, Silowiki – besetzen heute die politischen Spitzenpositionen der Herrschaftspyramide und aller weiteren Ebenen, sowie die Schlüsselpositionen der Wirtschaft und Geschäftswelt. Eine antiwestliche Haltung und der Isolationismus sind für sie nicht nur ein formaler, sondern ein realer ideologischer Identifikationsrahmen, der durch ihre entsprechenden Kompetenzen (Kontrolle, Bewachung, Unterwerfung, Repression) und institutionellen Präferenzen gestützt wird.
Die Isolation Russlands ist daher keine Nebenwirkung der Konfrontation, sondern ihr Ziel, so paradox das auch klingen mag. Sie soll den Modernisierungseffekt aus zweieinhalb Jahrzehnten prowestlicher Orientierung des Landes nivellieren. Sie sichert das Funktionieren eines geschlossenen wirtschaftlichen Umverteilungsmodells, in dem der durch Rohstoffexport erzielte Gewinn zum überwiegenden Teil in den Händen des Staates landet und die Dominanz der Löwen festigt. Diese Ressourcen reichen aus, um notwendige technische Ausrüstungen anzuschaffen und einen riesigen Sicherheitsapparat zu unterhalten. Gleichzeitig lässt dieses Modell keinen nennenswerten Zufluss von ausländischem Kapital zu. Das würde nicht nur dem inländischen Kapital und den traditionellen Patronage-Eliten Konkurrenz machen, sondern auch die Position der Modernisierungs-Eliten stärken, die für den Austausch mit anderen Ländern besser geeignet sind.
Russlands wirtschaftliche Interessen zu opfern, wirkt gar nicht so irrational – wenn man bedenkt, dass es um den Erhalt der herrschenden Stellung in der russischen Politik und um die Weitergabe von erbeutetem Vermögen an die Nachfolger geht. Sanktionen, die politische und wirtschaftliche Isolation, begleitet von einer drastischen Schwächung der rivalisierenden Eliten und deren politischer Narrative – all das sichert eine reibungslose und sichere Weitergabe.
Vom „Blockbuster“ und „Gulfik-Gate“ (dt. Unterhosen-Gate) schreiben unabhängige russische Medien, nachdem der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny am Montag, 21. Dezember, seinen jüngsten Coup gelandet hat: Ich rief meinen Mörder an. Er hat gestanden lautet der Titel seines aktuellen Videos. Darin ist zu sehen, wie Nawalny mehrere der acht FSB-Agenten anruft, die mutmaßlich hinter dem Anschlag auf ihn stehen. Zunächst legen einige von ihnen wieder auf, bis sich Konstantin Kudrjawzew, ein Chemiker im Dienst des FSB, schließlich tatsächlich auf das Gespräch einlässt. Nawalny gibt sich dabei als Mitarbeiter von Nikolaj Patruschew aus, dem Chef des Russischen Sicherheitsrats. In dem rund 49-minütigen Telefonat sagt Kudrjawzew unter anderem, dass das Gift an der Innenseite von Nawalnys Unterhose angebracht worden sei, und auch, dass der Oppositionspolitiker wohl nur überlebt habe, weil das Flugzeug zwischengelandet und sofort ein Krankenwagen vor Ort gewesen sei. Das Gespräch, bei dem unter anderem auch Bellingcat-Chefredakteur Christo Grozew dabei war, war bereits Mitte Dezember aufgezeichnet worden – als die Recherchen zu den acht FSB-Mitarbeitern von The Insider, Bellingcat und Der Spiegel veröffentlicht wurden. Online ging das Video jedoch erst am 21. Dezember. Auf seiner Jahrespressekonferenz vergangene Woche hatte Präsident Putin noch jede Beteiligung des FSB an dem Mordversuch abgestritten: „Wenn man das gewollt hätte, dann hätte man es auch zu Ende geführt.“ Der FSB beeilte sich nun, das Video als „Fälschung“ und Provokation westlicher Geheimdienste darzustellen. Unterdessen ließen im RUnet Spott und Häme nicht lange auf sich warten, unter anderem gingen zahlreiche Unterhosen-Memes viral. Im US-Kongress soll sich womöglich ein Unterausschuss mit dem Fall befassen, ein US-Abgeordneter kündigte eine Anhörung an.
In einem viel beachteten Facebook-Post beschreibt der Politologe und Journalist Kirill Rogow, was das Nawalny-Video für den „Mythos Geheimdienst“ bedeutet – und damit für den „Mythos Putin“.
Der Mythos vom KGB/FSB hat sowohl die Kommunistische Partei als auch die Sowjetunion überlebt. Geschaffen hat ihn Juri Andropow: Als selbst das gutgläubige Sowjetvolk nicht mehr an den Kommunismus glaubt und die Gerontokratie der Partei verachtet, wächst hinter der verfallenden Fassade der Schatten einer Struktur, die von dem allgemeinen Zerfall verschont bleibt, die wachsam den großen Staat vor den Attacken innerer und äußerer Feinde schützt. Eine Struktur, die weiß, was andere nicht wissen, und über Qualitäten verfügt, die keine andere Struktur hierzulande hat: Effektivität und innere Ordnung.
Dieser Mythos hat im Laufe der Geschichte empfindliche Kratzer abbekommen. Etwa beim Augustputsch 1991, als anstelle der unfehlbaren, mächtigen Maschinerie eine gewaltige Leere klaffte. Einige Jahre später waren die Bürger Russlands müde von der Korruption und dem Chaos, das ihnen die junge Demokratie brachte (und das jungen Demokratien insgesamt innewohnt). Da erinnerten sich die Menschen daran, dass da doch irgendwo diese geheime Organisation existiert, die auf wundersame Weise erhalten blieb zwischen Enteignungen und Privatisierungen und nach wie vor über jene Qualitäten verfügt, die keine andere ihnen bekannte nicht-geheime Struktur hierzulande hat: Uneigennützigkeit, Effektivität, innere Ordnung, Gerechtigkeit und Informiertheit.
Kratzer im Mythos
Wladimir Putin wurde zum Hauptprofiteur dieses wiederbelebten Mythos, dieses Traums. Genauer gesagt wurde er zu dessen schauspielerisch talentiertem Restaurator. Denn ein unvoreingenommener Blick auf seine Karriere offenbart gleich etwas Banales: Sie war nicht sonderlich erfolgreich. Sowohl die Arbeit im Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft als auch die Tätigkeit als KGB-Mann in der Rolle des Prorektors der Leningrader Universität – das sind ziemlich magere Randposten innerhalb des weltbekannten allmächtigen Dienstes der Ordnung und Wahrheit. Obwohl er diesem Verein gleich nach dem Ende der UdSSR leichtfertig den Rücken kehrte, verstand es Wladimir Putin meisterhaft, den Mythos dieser geheimen Macht plastisch und feinfühlig zu vermitteln – den „Mythos KGB“, eines effektiven, uneigennützigen, informierten und dem Staat verpflichteten Dienstes, eine Struktur, die so anders ist als alle anderen hierzulande. Genau deswegen hegte das russische Volk so lange eine solch erstaunliche Ergebenheit für Putin. Wenn das Volk auf ihn schaute, dachte es: „Was, wenn eine solche Struktur tatsächlich irgendwo hierzulande existiert? Natürlich ganz geheim, denn die nicht-geheimen kennen wir nur allzu gut, aber die geheime … vielleicht gibt es die wirklich?“
Kleinkriminelle Witzfiguren
Dieser kurze Exkurs in die Geschichte des russischen Durchschnittswählers und seine Erwartungen an die Institutionen macht deutlich, welch einen Schlag der nicht-zu-Ende-ermordete Nawalny dem putinschen Hauptmythos verpasst. Alles Geheime wird konkret, und nun zeigt sich dieser bewunderte Dienst in Person irgendwelcher Knechte aus der Platte von nebenan. Kleinkriminelle Witzfiguren, die losgezogen sind, um den Eingriff von Nawalnys Unterhose mit Nowitschok einzureiben und es später dann wieder aus dem Eingriff von Nawalnys Unterhose auszuwaschen. Und es stellt sich heraus, dass sie weder das eine noch das andere richtig gemacht haben, was grob gesagt bedeutet, dass dieser krasse Geheimdienst nicht nur das Zentrum stupider und sinnloser Grausamkeiten ist, sondern auch das Zentrum von monströser Ineffektivität, Ungerechtigkeit und Unordnung.
Ein Geschmäckle bleibt
All das wird unser Durchschnittswähler natürlich nicht glauben: „Wenn sie ihn hätten töten wollen, dann hätten sie ihn getötet“, Nawalny hätte das alles nicht ohne Tipps von [ausländischen] Geheimdiensten wissen können, und so weiter. Und dennoch bleibt ein recht starkes Geschmäckle. Denn gleich neben dem Glauben an die geheime Superorganisation, die den Durchschnittswähler so lange an Putin glauben ließ, lebt in seiner Seele auch die Ahnung von der totalen Niedertracht der Behörden, von der Ineffektivität und mafiösen Korruption, von all dem, worüber Nawalny in seinen brillanten Ermittlungen so überzeugend berichtet.
Bewegung unter den russischen Gouverneuren: Bei den Gouverneurswahlen am Einheitlichen Wahltag Anfang September konnte in mehreren russischen Föderationssubjekten kein Kandidat eine absolute Mehrheit erzielen, weshalb dort Stichwahlen angesetzt wurden. Am Sonntag fanden diese im Chabarowski Krai sowie in der Oblast Wladimir statt. In beiden Fällen gewannen überraschend die Kandidaten der LDPR und nicht die Amtsinhaber der Regierungspartei Einiges Russland, die traditionsgemäß die überwältigende Mehrheit aller Gouverneure in Russland stellt.
Bereits in der vergangenen Woche entschied im Primorski Krai der Kandidat der systemoppositionellenKPRF die Mehrzahl der Wahlbezirke für sich – die Ergebnisse wurden jedoch später wegen massiver Wahlmanipulationen zugunsten des Gegenkandidaten von Einiges Russland annulliert.
Was ist da los? Woher kommen die plötzlichen Erfolge von LDPR und KPRF? dekoder hat drei Statements von kremlkritischen Politologen und Journalisten übersetzt.
Ekaterina Schulmann (Echo Moskwy): Nicht aus Liebe
Politologin Ekaterina Schulmann hat bereits im Wahlergebnis des Primorski Krai vor allem einen Ausdruck des Protests gesehen, wie sie im Interview auf Echo Moskwy äußerte:
[bilingbox]Die heutigen Wähler stimmen für den Kandidaten aus der Opposition nicht aus Liebe zu dem Kandidaten aus der Opposition. Sie wissen oft nicht einmal, wie er heißt, wer das überhaupt ist. Sie wollen gegen die Amtsinhaber, gegen die herrschende Regierung stimmen. Es ist genau, was der von mir bereits zitierte Alexander Kynew folgendermaßen nannte: „Wähl einen Teufel mit Glatze, aber ja nicht den Kandidaten von Einiges Russland.“~~~Нынешний избиратель не голосует за оппозиционного кандидата из любви к этому оппозиционному кандидату. Он вообще не знает часто, как его зовут, кто он такой. Он хочет голосовать против инкумбента, против действующей власти. Это вот ровно то, что уже цитировавшийся мной Александр Кынев, называет «за черта лысого, только бы не а «Единую Россию».[/bilingbox]
erschienen am 18.09.2018
Kirill Rogow (Facebook): Das wird ein grausamer Kampf
Der Politologe und Journalist Kirill Rogow spricht auf Facebook gar von einer „Anti-Kreml-Rallye“ und wittert nach den Ergebnissen aus der Oblast Wladimir neue Machtkämpfe im Kreml selbst:
[bilingbox]Eine solch vernichtende Niederlage hätte ich, wie wohl alle, nicht erwartet. Beeindruckend ist Folgendes: Sobald die Menschen im ersten Wahlgang gesehen haben, dass es möglich ist, sind sie in den kleinen Spalt, der da entstanden war, hineingesprungen, um zu sagen, was sie wirklich denken. Gute Nacht und träumt schön. Das Spannendste liegt noch vor uns: Wenn es an die schonungslose Aufarbeitung des Themas innerhalb der Kremlmauern geht. Das wird ein grausamer Kampf mit unerwarteten Opfern. ~~~В принципе, такого разгрома я, конечно, как и все, не ожидал. Впечатляет вот это: как только люди увидели в первом туре, что это можно, они просто рванули в образовавшуюся расщелину, чтобы сказать, что они на самом деле думают. Спокойной ночи и хороших снов. Главная интрига впереди – это суровая разборка внутри кремлевских. Борьба будет жесткой и с неожиданными жертвами.[/bilingbox]
erschienen am 24.09.2018
Alexander Morosow (Facebook): Kluge Vorschläge der Polittechnologen
Der kremlkritische Journalist Alexander Morosow lenkt in einem Kommentar auf Facebook sein Augenmerk darauf, was sich nun insgesamt in der politischen Landschaft Russlands ändern könnte:
[bilingbox]Als Ergebnis der Gouverneurswahlen […] gab es von Seiten der Experten, die für Kirijenko arbeiten, bislang zwei äußerst kluge Vorschläge: Matweitschew schlug vor, dass die Gouverneure wieder ohne jegliche Demokratiespielchen direkt ernannt werden sollen; Gleb Kusnezow sprach sich für eine harte Bestrafung der drei im Parlament vertretenen Parteien aus, die als Juniorpartner von Einiges Russland auftreten – aufgrund unwürdigen Verhaltens und Erpressung. Gewiss, betrachtet man die Tränen der Pamfilowa, dann ist es schwierig, etwas noch Klügeres zu fordern als die Zerschlagung von KPRF-LDPR-SR und das Einstellen des idiotischen Zensus-Systems zur Vergabe von Vollmachten für die Statthalter in der Provinz.~~~по итогам губернаторских выборов, – омраченных вторыми турами (т.е. де-факто "невыполненными договоренностями") со стороны экспертов, работающих на Кириенко, пока поступили два разумных предложения: от Матвейчева – вернуться к практике прямого назначения губернаторов без всякой "игры в демократию", от Глеба Кузнецова – жестоко наказать три парламентские партии, выступающие "младшими партнерами" ЕР, за недостойное поведение и шантаж. Действительно, глядя на "слезы Памфиловой" трудно предложить, что-то более разумное, чем устроить разгром КПРФ-ЛДПР-СР и перестать дурачиться со сложной цензовой системой выдачи "ярлыков" наместникам в провинции.[/bilingbox]
Vorläufiges Ergebnis der Stichwahl vom 23.9. in der Oblast Wladimir im Vergleich zum ersten Wahlgang am 9.9.
Zum Zoomen mit dem Mausrad die Strg-/Ctrl-Taste gedrückt halten oder in den Vollbildmodus wechseln. Viele der Wahlbezirke, die im ersten Wahlgang noch an die Amtsinhaberin und Kandidatin von Einiges Russland Swetlana Orlowa (blau) gegangen sind, konnte der LDPR-Kandidat Wladimir Sipjagin (gelb) in der Stichwahl für sich entscheiden. Quelle: ZIK
Die neu gewählte Duma hat am Mittwoch erstmals getagt. Vor mehr als zwei Wochen gewählt, galten die Ergebnisse auch als Signal an die politische Elite und den Kreml: Wie ticken die Menschen im Land?
Wie aber sind die Stimmenanteile genau zu lesen? Es gab Fälschungsvorwürfe, Beschwerden über massive Vorteilsnahme durch Behörden und eine niedrige Wahlbeteiligung. Wie werden die Menschen in ihrem Parlament nun also tatsächlich repräsentiert? Der Politologe Kirill Rogow hat sich das gefragt und bei slon.ru eine Rechnung aufgestellt, die Russlands Wahlvolk und das manipulative Spiel um seine Gunst durchexerziert – mit überraschenden Schlussfolgerungen.
Die Tatsache, dass kein einziger oppositioneller Kandidat und nicht eine neue Partei ins Parlament einzog, war das Hauptthema der Kommentare zum Ausgang der Dumawahl. Die Wahlen erscheinen wie eine mustergültige Niederlage der Opposition und wie ein Triumph der Wolodinschen Strategie, die im Grunde darin bestand, zunächst einige Vertreter der Opposition zu den Wahlen zuzulassen, sie dann aber nicht gewinnen zu lassen und ihnen auch keinen Anlass zu liefern, gegen die Niederlage zu protestieren. Die heftige Diskussion über diesen Erfolg verdeckt aber einige wichtige und für den Kreml weitaus weniger angenehme Ergebnisse des Urnengangs.
Supermehrheit: Wozu brauchen autoritäre Regime Wahlen und Betrug
Die jüngsten Wahlen wurden vom Kreml als ausnehmend wichtige Revanche für den Misserfolg von 2011 betrachtet. Schließlich werden in autoritär regierten Ländern Wahlen nicht abgehalten, um die Präferenzen der Wähler zu ermitteln, sondern um eine beeindruckende Unterstützung für das Regime zu demonstrieren – für die regierendePartei oder den Leader. Aufgabe des Leaders oder der herrschenden Partei ist es wiederum, nicht einfach nur über die Gegner zu siegen, wie das bei Wahlen mit echtem Wettbewerb der Fall wäre, sondern die eigene erdrückende Überlegenheit zu demonstrieren, also die Unterstützung einer Supermehrheit vorzuweisen.
Das Bild einer solchen erdrückenden Überlegenheit wird dann für die Unzufriedenen und die Eliten ein wichtiges Signal, dass das Regime stark ist, dass Versuche, seine Macht in Frage zu stellen, sinnlos sind und Investitionen in die Opposition zwecklos. Für den Durchschnittswähler sind die Ergebnisse ein nicht minder wichtiges Signal, was denn die (in der Regel scheinbare) Mehrheit denkt. Dieses Signal bringt den Durchschnittswähler dazu, seine eigenen Einschätzungen und Wahrnehmungen zu korrigieren und sie in Richtung dessen zu verschieben, was er als „allgemein übliche Meinung“ auffasst. So stellt sich ein autoritäres Gleichgewicht ein.
Ein Grundpfeiler für die Stabilität autoritärer Regime ist die maßlose Übertreibung ihres Rückhalts in der Bevölkerung. Es ist ein zentrales Element des Autoritarismus, in das denn auch riesige Mittel und Anstrengungen investiert werden. Es mag paradox erscheinen, doch bevorzugt ein autoritäres Regime bei der Wahl zwischen einer gefälschten Supermehrheit und einer realen Mehrheit stets das Erstere, und eine solche Strategie ist vollauf rational.
Bei den Wahlen 2011 sind am Bild einer bedingungslosen Dominanz der Machtpartei Zweifel aufgekommen, und das führte umgehend zu einer Verfestigung der Agenda einer neuen Opposition, die die Protestbewegung des Winters 2011/12 hervorbrachte. Bei den jüngsten Wahlen musste der Kreml um alles in der Welt seine erdrückende Überlegenheit demonstrieren, um diese unangenehme Episode hinter sich zu lassen. Inwieweit und auf welche Weise ist das gelungen?
Mathematik der Archaisierung
Desorganisierung und Demoralisierung der Opposition einerseits sowie Demobilisierung der Wähler andererseits – das waren zwei Schlüsselelemente der Kremlstrategie bei diesen Wahlen. Während die Pragmatik des ersten Ziels auf der Hand liegt, wirft das zweite Fragen auf. Wenn die Unterstützung für das Regime derart groß ist, wie es uns die Umfragewerte weisgemacht haben, warum dann solch große Anstrengungen, um die Wähler von der Urne fernzuhalten?
Bei genauerem Hinsehen liegt der Demobilisierungsstrategie eine klare, mathematisch prüfbare Logik zugrunde, auf die sich die Regierung stützen kann. Wie bereits bei der Wahl 2011 zu konstatieren war, ist Russlands Wählerschaft ein Konglomerat aus verschiedenen politischen Kulturen.
Einen Pol bildet hier das, was Dimitri Oreschkin, Leiter des Projektes Wahlkommission des Volkes, das „symbolische Tschetschenien“ nannte. Das sind die südlichen Regionen und die autonomen Republiken, in denen die Wahlergebnisse stets konformistisch sind: mit 70 bis 97 Prozent Unterstützung für die Staatsmacht bei hoher Wahlbeteiligung. Das sind traditionalistische Enklaven, in denen die Gesellschaft Wahlen nicht als Instrument politischer Partizipation auffasst, sondern wo Regierungen sie als Ritual zur Loyalitätsbekundung arrangieren. Ein Bereich, der tatsächlich ganz traditionalistisch verfasst ist. Die Stimmzettel müssen nicht einmal gezählt werden, weil niemand die verkündeten Zahlen anfechten würde. Zu diesem Bereich zählen insgesamt die Republiken im Kaukasus, die autonomen Republiken und einige russische Oblaste. Nennen wir sie Russland 3.
Am anderen Pol liegt Russland 1, der europäische Teil des Landes, die großen Städte, die [prosperierenden entlegenen – dek] Regionen und Gegenden mit einem großen urbanen Bevölkerungsanteil. Hier spielen die Wählerpräferenzen eine Rolle, und sie zu verfälschen ist nur begrenzt möglich, weil es Wahlbeobachter gibt, wenigstens irgendeine Art Opposition, einige unabhängige Medien und ein gewisses Selbstwertgefühl bei den Wählern, die der Ansicht sind, dass das Regime sie wenigstens anhören sollte.
Zwischen Russland 3 und Russland 1 liegt ein Bereich, der die Elemente der traditionalistischen und pluralistischen politischen Kultur in sich vereint: Das ist Russland 2, in dessenbreiter Peripherieviele Merkmale einer traditionellen Gesellschaft erhalten sind, während der fortschrittliche Kern anstrebt, die Standards von Russland 1 zu erreichen, wobei er jedoch zahlenmäßig sehr schwach ist.
Die drei Russlands haben jeweils typische, sehr unterschiedliche Wahlergebnisse. Wenn wir die Regionen nach den Ergebnissen von Einiges Russland anordnen, dann definieren wir Russland 3 vereinfacht als jene Gebiete, in der Einiges Russland über 65 Prozent der Stimmen erhielt, und Russland 1 als die Gebiete, wo die Partei 45 Prozent oder weniger erhielt. Gerade an dieser Marke bewegt sich die Wahlbeteiligung stabil um einen Mittelwert von 39 Prozent. In Russland 2 ist die Wahlbeteiligung sehr viel breiter gestreut mit durchschnittlich 49 Prozent, während sie in Russland 3 im Schnitt bei 73 Prozent liegt. Diese Angaben sind selbstverständlich stark vereinfacht.
So ergibt sich: In Russland 3 gibt es 16 Millionen Wahlberechtigte (das sind 14,5 Prozent aller Wahlberechtigten), von denen nach offiziellen Angaben 12 Millionen zur Wahl gegangen sind und von denen laut offiziellem Ergebnis 9,4 Millionen der Machtpartei ihre Stimme gaben (das wiederum entspricht einem Drittel aller Stimmen, die Einiges Russland bekommen hat).
Auf dem Gebiet von Russland 1 leben 51,7 Millionen Wahlberechtigte (47 Prozent); zur Wahl gingen hier 19,7 Millionen Wähler. 7,7 Millionen von ihnen gaben Einiges Russland ihre Stimme (in Russland 1 erhielt die Partei demnach im Schnitt 39 Prozent, in Russland 3 waren es 78 Prozent).
Somit führt die Strategie der Demobilisierung der Wähler dazu, dass Russland 1 weniger, dafür aber Russland 3 stärker repräsentiert ist – also die Gebiete mit behördlich organisiertem Stimmverhalten. In Russland 3 hat Einiges Russland 1,7 Millionen Stimmen mehr erhalten als in Russland 1, obwohl es hier rund 69 Prozent weniger Wahlberechtigte gab als in Russland 1.
Dieses Bild stellt uns nicht nur vor die Frage nach den Besonderheiten der jüngsten Wahlen und den Folgen der Strategie, das Wählen unpopulär zu machen. Eine Strategie, über die in den letzten Wochen ziemlich viel diskutiert wurde. Sondern es stellt sich auch die viel weitreichendere Frage nach dem politischen Aufbau Russlands und seinem Wahlvolk. Dadurch, dass die Wahlergebnisse (und auch die Wahlbeteiligung) auf dem Gebiet von Russland 3 und zum Teil auch von Russland 2 behördlich organisiert sind, ergibt sich im Gesamtbild von Wählerpräferenzen eine erhebliche Verschiebung zugunsten einer paternalistischen politischen Kultur. Russland 3 ist somit in den Repräsentationsorganen systematisch überhöht vertreten.
Die Partei der Macht ist an ihre Grenzen gestoßen
Bereinigt man die Wahlergebnisse nach der Methode von Sergej Schpilkin um die Abstimmungsanomalien, dann ähneln sie insgesamt durchaus denjenigen von 2011. Nach Schpilkin betrugen die reale Wahlbeteiligung 2016 rund 37 Prozent und das Ergebnis für Einiges Russland 40 Prozent. Stichproben mit Hilfe von Kontrollgruppen in rund 1000 Wahllokalen durch die Wahlkommission des Volkes ergeben ein ähnliches Bild, nämlich eine Wahlbeteiligung im Bereich von 34 bis 41 Prozent und ein Stimmenanteil für Einiges Russland im Bereich von 35 bis 38 Prozent in einigen durchschnittlichen und fortschrittlichen Regionen Russlands (ohne Russland 3, das bei der Stichprobe nicht repräsentiert war).
2016 war die behördliche Mobilisierung von Wählerstimmen noch stärker als 2011: Das Russland 3 der Provinz hat Einiges Russland jetzt mehr Stimmen geliefert, während die Wahlbeteiligung im urbanen Russland 1 diesmal niedriger war. Eine stärkere Mobilisierung realer Wähler hätte 2016 wahrscheinlich für ein schlechteres Ergebnis für Einiges Russland in Russland 1 und dementsprechend auch in Russland insgesamt gesorgt.
Bemerkenswert ist, dass Einiges Russland 2004 37 Prozent der Stimmen errang und nach Schätzung der realen Ergebnisse 2011 ebenfalls zwischen 35 und 39 Prozent lag (diese Werte ergeben sich über verschiedene Auswertungsmethoden). Demnach führte die Post-Krim-Mobilisierung, von der in den letzten zwei Jahren so viel gesprochen wurde, zu keiner wesentlichen Verschiebung der Wählerpräferenzen. Das etwas höhere offizielle Wahlergebnis wäre demnach die Folge einer stärkeren behördlichen Mobilisierung in Russland 3 und einer geringeren realen Wähleraktivität in Russland 1; letztere ist angesichts der Methoden im Wahlkampf vollauf erklärlich.
Russland in der Post-post-Krim-Phase
Lässt sich also feststellen, dass eine Unterstützung für die Partei der Macht im Bereich von 36 bis 39 Prozent dem realen Bild der Wählerpräferenzen in Russland entspricht? Das nun auch wieder nicht. Neben dem verzerrenden Effekt durch behördlich gelenkte Wählerstimmen, „Karussells“ und Mehrfacheinwurf zusätzlicher Stimmzettel, sind auch die autoritären Zerreffekte der Wahlkämpfe zu berücksichtigen. Zu nennen wäre da die Qualität der zur Wahl zugelassenen oder eben nicht zugelassenen Parteien wie auch die Verzerrung der Medienberichterstattung, der begrenzte Zugang der Opposition zu den Medien und die ungleichen Voraussetzungen im Wahlkampf.
Der Haupterfolg des Kreml liegt in der Demobilisierung der liberalen Wählerschaft und der Demoralisierung der neuen Opposition, die 2011 so deutlich zu Tage getreten war. Die Spaltung der Anhänger Kassjanows und Nawalnys, die die PARNAS in ein völlig wirkungsloses Projekt nach Art der Bogdanowschen Bürgerplattformen verwandelt hat, sowie das Vorgehen von Jawlinski, der seine Unfähigkeit und seinen Unwillen, mit auch nur irgendjemandem übereinzukommen, zu seinem wichtigsten politischen Kapital gemacht hat, haben die Agenda der neuen Opposition zunichte und jedwede Koordination unmöglich gemacht.
Verhindert wurde auch eine Wiederholung der Strategie der Partizipation, die Nawalny bei vergangenen Wahlen so erfolgreich verfolgt hatte. Da die Nawalny-Fraktion Jawlinski völlig zurecht als Spoiler für ihre Agenda betrachtete, rief auch sie diesmal dazu auf, nicht zur Wahl zu gehen (da man dort wohl oder übel hätte Jablokowählen müssen). Dadurch wurde sowohl die Gleichgültigkeit gegenüber den Wahlergebnissen verstärkt, als auch die Kontrolle über selbige. Im gleichen Zuge konnte mit dieser Strategie des Kreml auch noch eine Demobilisierung der Wahlbeobachterbewegung erreicht werden.
Gleichwohl bleibt es eine Tatsache – so erstaunlich das klingen mag – dass sich der Anteil liberaler Wählerstimmen in den beiden Hauptstädten im Russland der Post-Krim-Phase nicht grundsätzlich verändert hat.
Neben diesem Erfolg lässt sich in der elektoralen Landschaft Russlands allerdings auch ein weiteres Muster ausmachen. Während der aufwendige Wahlkampf Jawlinskis in Russland insgesamt mit einem Fiasko endete, erhielten die liberalen Parteien (Jabloko, PARNAS und die Partei des Wachstums) in Moskau und St. Petersburg zusammen 15 bis 20 Prozent. Das mag verwundern, entspricht aber durchaus den liberalen Wahlergebnissen bei den Präsidentschaftswahlen von 2012. Die Liberalen hatten seinerzeit ebenfalls keinen eigenen Kandidaten, sodass als dessen Surrogat der Milliardär Michail Prochorow angetreten war, der dann in St. Petersburg 15 und in Moskau 20 Prozent erzielte.
Hier handelt es sich nicht einfach nur um eine liberale Wählerschaft, sondern um die stark motivierte liberale Wählerschaft, die ihrer Agenda die Stimme gibt, ungeachtet der offensichtlichen politischen Schwäche des Hauptakteurs für diese Agenda. Allerdings ist diese Wählergruppe bei den jüngsten Wahlen im Kaliningrader, Moskauer und Swerdlowsker Gebiet, wo Prochorow 2012 ebenfalls über zehn Prozent geholt hatte, nun schwächer gewesen. Eine Erklärung hierfür steht noch aus.
Insgesamt allerdings erscheint der Wähler in Russland vollkommen ausgelaugt durch die politischen Inszenierungen und Trugbilder des Kreml. Die Debatten der Parteikandidaten ähnelten einem Wettkampf provinzieller Antitalente, und zwar in der Disziplin „Wer ist am unattraktivsten für den Wähler?“. Jawlinski hat es irgendwie geschafft, niemandem zu gefallen und das kümmerlichste Ergebnis seiner ganzen Karriere einzufahren. Hinter all dem wird aber auch das völlige Fehlen einer irgendwie gearteten und für Wähler relevanten Agenda des Kreml deutlich. Zu beobachten ist auch eine nicht von Wolodin bewerkstelligte, sondern eben tatsächliche Demobilisierung der Wähler. Ausgeblieben ist eine Verschiebung der Wählerpräferenzen ins Konservative, wie sie noch vor Jahresfrist als unumstößliche Realität angenommen wurde. Der Zustand der Gesellschaft ähnelt wohl einem Kater nach einer durchzechten Nacht: Der Hype der Party ist vorbei, doch wieder scharf zu fokussieren gelingt noch nicht so recht. Wie dem auch sei: Offenbar haben wir es bereits mit einem Post-post-Krim-Russland zu tun.
Diese Übersetzung wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung.
Wählen oder Nicht-Wählen, das ist die Frage, die sich angesichts der bevorstehenden Dumawahl den oppositionell eingestellten Bürgern stellt: Hauptargument gegen den Gang an die Wahlurne ist, dass Wahlen in einem autokratischen System nichts weiter seien als eine Farce, eine Imitation von Demokratie, und das Ergebnis sowieso schon feststehe. Wer wählen geht, erkläre sich damit einverstanden – und solle deswegen besser zuhause auf dem Sofa bleiben.
Die Opponenten dieser sogenannten „Sofapartei“ jedoch appellieren, dass jedes Nicht-Handeln apolitisch sei und es durchaus gute Gründe für den Wahlgang gebe. Schließlich gehe es auch darum, die „demokratischen Muskeln zu trainieren“ und Weichen für die nächsten Wahlen zu stellen.
Sofa oder Wahlurne? Slon.rubat sieben renommierte Politik-Experten um ihren Ratschlag.
Wählt, auf wen die Flasche zeigt
In einem britischen Kinderbuch mit dem Titel Sie sind ein schlechter Mensch, Mr. Gum pflegt die Hauptperson und der Antiheld, also jener Mr. Gum, einen sehr unhygienischen Lebenswandel. Daraufhin siedeln sich in seinem Haus Insekten an, aber keine gewöhnlichen, sondern, wie der Autor schreibt, riesenhafte: mit Gesichtern, Namen und Dienstposten. So ein Gefühl bekomme ich bei dem Angebot an Parteien und Kandidaten. Wählt bitte, wen ihr lustiger findet, oder auf wen die Flasche zeigt, es spielt keine Rolle.
Unter einer Vielzahl an Äußerungen zu den bevorstehenden Wahlen findet sich oft folgende: „Sie wollen, dass wir wählen gehen, also gehen wir nicht – und wer hingeht, der kooperiert mit ihnen und ist also ein Kollaborateur.“ Darauf basieren alle Ideen von Boykott und Delegitimierung des Regimes.
Doch im ersten Teil des Satzes ist ein Fehler: Sie wollen ja eigentlich überhaupt keine Wahlen. Und haben alle Wahlen abgeschafft, die man abschaffen kann, und den Rest reglementiert. Die Wahlen generell abschaffen können sie aber nicht, das wäre ein zu radikaler Schritt – vorerst jedenfalls.
Insofern sind Wahlen für sie ein unangenehmes Prozedere, zu dem sie leider verpflichtet sind, obwohl sie, hätten sie die Freiheit, sie am liebsten abschaffen würden. In dieser Lage – man muss Wahlen durchführen, die man fürchtet – wäre es am besten, wenn die Leute gar nicht hingingen. Deswegen muss der Satz, mit dem ich diesen Text begonnen habe, anders lauten: „Sie haben Angst vor den Wahlen, können sie aber nicht abschaffen. Deswegen wären sie nur froh, wenn ihr nicht hingeht.“
Ivan Kurilla (geb. 1967) ist Historiker und Amerikanist. Der Experte für Geschichtspolitik lehrt seit 2015 an der Europäischen Universität Sankt Petersburg und leitet das Partnerprogramm der Universität.
An der Türe rütteln!
Bei diesen Wahlen spricht man nicht mehr von „Wählergruppen“ – die gibt es im herkömmlichen Sinne nicht – weder regierungstreue, noch liberale, noch linke. Die Wählergruppen der Zukunft schlummern innerhalb der Gruppe X – das sind die, die unschlüssig sind oder nicht einmal die Leute aus dem eigenen Lager wählen wollen. Je nach Quelle sind das 15 bis 30 Prozent.
Die Abgeordneten der 7. Staatsduma werden in den kommenden zwei bis drei Jahren im Zentrum der Umbrüche stehen. Und dann werden wir alle wollen, dass es eine gute Duma ist. Umso wichtiger, dass auf dem Ochotny Rjad noch andere sein werden als die vier Kopfnicker-Parteien.
Wen werden oppositionell gestimmte Bürger wählen? PARNAS, die Partei des Wachstums, Rodina oder Jabloko – egal. Aus der neuen Palette wird sich jeder was aussuchen. Wir wählen am 18. September nur für den Sand im Getriebe des Druckers. Sollten ein oder zwei neue Fraktionen in die Duma einziehen, knirscht es im Drucker, und dann kriegen sie ihn vielleicht nicht wieder in Gang.
Zur Wahl gehen in dem Wissen, dass man auf euch – genau auf euch – dort nicht wartet! Da haben wir ihn, den Einzelprotest, den man sich gefahrlos erlauben kann. Doch dieser seltene Einzelprotest birgt die Chance, ein schnelles Ergebnis zu bringen. Ohne den Versuch, die Wahlen zu politisieren, werden wir nie erfahren, wie weit die Gesellschaft politisiert ist. Einen Versuch ist es wert. Denn man kriegt die Tür nicht auf, wenn man nicht zumindest einmal dran gerüttelt hat.
Gleb Pawlowski (geb. 1951) war Mitbegründer und Direktor der Stiftung für effektive Politik – eines Thinktanks, der sich 2011 auflöste. Für viele Beobachter galt Pawlowski als „Chef-Polittechnologe“ des Kreml, im Zuge der Schließung der Stiftung wandte sich Pawlowski weitgehend von Putin ab und gilt seitdem als ein Kritiker seines Regimes.
Für die stimmen, die an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen
Fehlt eine maßgebliche, geeinte Opposition, dann ist ein Umschwung bei den Wahlen unmöglich. Selbst wenn die Regierungspartei deutlich an Popularität einbüßt, gibt es einfach keinen Ersatz – ein Alternativvorschlag steht nicht auf dem Stimmzettel.
Man kann aber ein Parlament anstreben, das weniger monopolisiert ist und untereinander konkurriert – also eines, in dem die Mitglieder ständig miteinander verhandeln müssen, genau wie die Exekutive es mit ihnen allen tun muss. Niemand hat dann ein Mehrheitspaket an Stimmen (und damit die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, ohne mit den anderen zu kooperieren).
Ein solches Szenario ist zwar auch bei einer inneren Spaltung der Regierungspartei denkbar. Effektiver aber wäre es , wenn mehrere unterschiedliche Fraktionen und Gruppen in die Duma einzögen, egal welche ideologische Ausrichtung sie haben. Deswegen sollten Protestwähler ihre Stimme vielleicht einfach irgendeiner Partei geben, die nicht im Parlament sitzt. Denn die im Parlament brauchen ihre Stimme ja nicht.
Dann beginnt ein recht spitzfindiges Spiel: Wenn die von den oppositionellen Wählern gewählten Parteien es nicht ins Parlament schaffen, dann kommen ihre Stimmen dem Sieger zu Gute – also einer Partei, die durchgekommen ist. Daher hoffen womöglich viele, jene zu unterstützen, die an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen.
Das Problem der aktuellen Wahlen für den oppositionellen Wähler ist: So gut wie jedes Votum konserviert das bestehende System. Möglichkeiten des Protestwählens fehlen praktisch völlig. Es gibt keine Option „gegen alle“ zu sein, die Abstimmung mit den Füßen mehrt die Stimmen für die regierende Partei. Die Unterstützung der systemischen Opposition, die sich dem Kreml immer weiter annähert, führt zu keiner Veränderung der Kräfteverhältnisse.
Für den oppositionellen Wähler bleibt nur eine für ihn relativ wirksame Taktik: Beobachtung statt Teilnahme. Das Sammeln von Informationen über Verstöße, die Verbreitung dieser Daten über zugängliche, legale Wege, die Analyse, wie das System mit all seinen Nuancen funktioniert und genaue Kenntnis über das Wahlrecht – das alles ist eine Art Ressource, die sich positiv auf das oppositionelle Umfeld und seinen Reifungsprozess auswirkt.
Geht ins Wahllokal, seht euch an, wie alles funktioniert, schaut, welche Wahlbeobachter anwesend sind, notiert die persönlichen Angaben jener, die die Exit-Polls durchführen und vergleicht danach deren Daten mit den offiziellen Ergebnissen aus eurem Wahlbezirk. Den Stimmzettel kann man nach eigenem Gutdünken verwenden.
Tatjana Stanowaja (geb. 1978) ist Leiterin der Analyse-Abteilung im Zentrum für Politische Technologien. Ihre Analysen werden oft von wissenschaftlichen und unabhängigen Massenmedien veröffentlicht
Wählen als Widerstand
Ich glaube, bei den bevorstehenden Wahlen wird den Leuten, die dem Land Wohlergehen und Fortschritt wünschen, im Großen und Ganzen dasselbe geboten wie vor vier Jahren. Das, was man uns anbietet, sind keine Wahlen, sondern ein sorgfältig inszenierter Betrug. Diesmal ist der Fake so einstudiert, dass er auch ohne Wahlbeteiligung auskommt. Er hat jetzt die Stufe der Selbstgenügsamkeit erreicht. Er ruft die Passivität der Bürger hervor, ja, er fördert sie sogar.
Und deswegen wäre es meiner Ansicht nach für diejenigen, die sich diesem Betrug widersetzen wollen, am sinnvollsten, einfach wählen zu gehen. Aber nicht mit der Vorstellung, jemanden zu wählen oder für jemanden zu stimmen. Es gibt keine Wahlen. Es gibt eine rechtswidrige Aneignung von Wahlverfahren und es gibt Widerstand dagegen. Das Ausmaß des geleisteten Widerstands wird sich auf den weiteren Kurvenverlauf der Ereignisse auswirken.
Kirill Rogow (geb. 1966) ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er war Mitbegründer und zwischen 1998 und 2002 Chefredakteur des Online-Mediums Polit.ru. Zwischen 2005 und 2007 war Rogow stellvertretender Chefredakteur der Zeitung Kommersant. Er schreibt regelmäßig für die unabhängigen Medien Vedomostiund Novaya Gazeta.
Es gibt weder etwas zu gewinnen noch zu verlieren
Bei diesen Wahlen gibt es für den oppositionellen Wähler keine gute Strategie – ihr werdet nichts gewinnen, aber auch nichts verlieren, auch wenn ihr gar nicht hingeht.
Diese Wahlen finden vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Niedergangs und einer tiefen Krise der liberalen Bewegung statt. Das Wahlergebnis – das Scheitern der alten liberalen Parteien – wird die Frage nach einer völlig neuen Etappe der Gesellschaft als ganzer aufwerfen. Der Kreml wird über die Einerwahlkreise eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit in der neuen Duma bilden.
Als nächstes stellt sich die Frage der Präsidentenwahl 2018. Und hier wird dann das gebraucht, was vor der Dumawahl nicht zustande gekommen ist: eine neue demokratische Koalition, die eine Strategie des Widerstands anzubieten hat gegen das heraufziehende Regime lebenslänglicher Macht.
Vor 25 Jahren, im März 1991, hat die Auflösung der Sowjetunion ihren Anfang genommen, als sich die baltischen Teilrepubliken Litauen und Estland für unabhängig erklärten. Im Lauf des Jahres gab es Volksabstimmungen und Unabhängigkeitserklärungen weiterer Republiken, im Dezember 1991 wurde die Sowjetunion offiziell aufgelöst und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gegründet.
Diesem Prozess folgten zahlreiche bewaffnete Konflikte und Auseinandersetzungen in unterschiedlichen ehemals sowjetischen Regionen, die zum Teil weiter schwelen oder andauern. Inwiefern der „Mythos vom Zerfall“ der Sowjetunion dabei noch heute eine Rolle in der politischen Rhetorik spielt, analysiert der Politologe Kirill Rogow auf RBC.
Die Agenda der „Bewahrung“
Das Verhältnis der Bevölkerungsmehrheit zum Zerfall der Sowjetunion hat sich im Laufe der Zeit ziemlich stark gewandelt. Die Wehmut über den Verlust nahm in den 1990er Jahren in Russland kontinuierlich zu und erreichte zu Beginn der 2000er Jahre einen Höhepunkt: Über 70 % der Menschen bedauerten den Zerfall. Ab Mitte der 2000er ging dieser Anteil wieder zurück und sank in den Jahren 2011/12 auf unter 50 %.
Im politischen Diskurs hingegen war eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten: Das Thema „Zerfall der Sowjetunion“ ist im Verlauf der Putin-Epoche politisch immer lauter zu vernehmen. 2005 bezeichnete Wladimir Putin den Untergang der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Die wichtigsten Wörter im Satz waren jedoch nicht „Katastrophe“ oder „größte“, sondern das Wort „geopolitisch“, denn das stülpte dem Land wieder die außenpolitischen Klischees der Sowjetzeit über. Erst kürzlich war Putin bei einem unerwarteten Angriff gegen Lenin auf dieses Thema zurückgekommen: Lenin habe der Sowjetunion durch sein Beharren auf einer föderalen Struktur einen Sprengsatz untergeschoben.
Sehnsucht nach „Supermächtigkeit“
Folgende zwei Punkte beleuchten die Rolle, die der „Zerfall der UdSSR“ in der zeitgenössischen politischen Mythologie spielt:
Erstens ist da diese Sehnsucht nach einer „Supermächtigkeit“ und der Versuch, was den Supermachtstatus der UdSSR betrifft, eine Art Rechtsnachfolge anzutreten.
Zweitens geht es um eine Projektion: der Zerfall des Landes (der UdSSR, Russlands) als größte innenpolitische Bedrohung. Eine solche Bedrohung zu verkünden, sei sie real oder imaginär, ändert umgehend die Prioritäten der politischen Agenda: Sämtliche Elemente einer normalen, zivilen Tagesordnung – wie gut ist ein Regime, wie effektiv ist seine Wirtschaft, wie gerecht die soziale Ordnung – treten in den Hintergrund. An die Stelle der zivilen Tagesordnung tritt eine Mobilisierungsagenda, das Ziel ist nicht Entwicklung, sondern Erhaltung des Status quo. Die Regierung ist voll und ganz damit beschäftigt, den Zerfall zu verhindern, und es wäre irgendwie fehl am Platz, noch mehr zu verlangen: Schließlich gibt es Wichtigeres als Wohlstand, Entwicklung und Effizienz, die auf ein ewiges Später verschoben werden können.
Historisches Paradox
So gesehen kam es keineswegs unerwartet, dass Putin auf dem Höhepunkt der Rubelverfalls-Welle plötzlich das Lenin-Thema aufbrachte. Damit wird nicht nur die Frage unter den Teppich gekehrt, wer für die Krise verantwortlich ist. Das Thema „drohender Zerfall“ beantwortet auch die wichtigste wirtschaftspolitische Frage: Denn es ist offensichtlich, dass angesichts der massiv gesunkenen Haushaltseinnahmen und der sich verschärfenden Wirtschaftskrise eine Liberalisierung sowohl der Wirtschaftsordnung als auch der Regierungsstruktur nötig wäre, das rückt ganz von selbst auf die Tagesordnung. Nun ist es an dem reanimierten „drohenden Zerfall“ zu erklären, warum es nicht dazu kommen wird, selbst wenn die Wirtschaft darunter leidet.
Putin folgt Gorbatschows Weg
Und hier stoßen wir nun auf ein erstaunliches historisches Paradox:
Im Gegensatz zu Michail Gorbatschow, der sich Ende der 1980er Jahre für eine Liberalisierung des politischen Systems entschied, hat Wladimir Putin offenbar das Gegenteil vor und will den Herausforderungen der Wirtschaftskrise mit einer Art Anti-Perestroika begegnen. Bei Lichte betrachtet folgt Putin mit seinen politischen und wirtschaftlichen Prioritäten jedoch bis zu einem gewissen Grad Gorbatschows Weg.
Mit der Antwort auf die Frage, warum die Sowjetunion auseinanderfiel und ob dieser Zerfall unvermeidlich war, ließen sich natürlich ganze Bücher füllen. Relativ einfach und kurz lässt sich hingegen beantworten, warum ein Zerfall in der Form, wie er tatsächlich erfolgte, möglich wurde. Hauptmotor waren nicht in erster Linie politische Faktoren, sondern der wirtschaftliche Kollaps.
REFORMWILLIGE FUNKTIONÄRE VERSCHWANDEN
National-demokratische Bewegungen, die einen Ausstieg aus der UdSSR anstrebten, gab es Ende der 1980er Jahre nur in einigen wenigen Teilrepubliken – vor allem in den baltischen und zum Teil in den transkaukasischen Gebieten, wo diese Prozesse durch national-territoriale Konflikte angeheizt wurden. Schon in der ersten Jahreshälfte 1990 versuchten die baltischen Staaten für den Ausstieg aus der UdSSR einen praktischen und juristischen Weg zu ebnen. Entscheidend für das, was anderthalb Jahre später geschah, waren jedoch die Unabhängigkeitserklärungen von fast allen übrigen Sowjetrepubliken im Sommer und Herbst 1990, obwohl es hier kaum ernsthafte national-demokratische Bewegungen gegeben hatte und größtenteils Parteifunktionäre an der Macht waren.
Seit Mitte des Jahres 1990 war die Erhaltung der Sowjetunion zur politischen Hauptsorge Michail Gorbatschows geworden. Ende des Jahres verlieh ihm der Kongress der Volksdeputierten außerordentliche Vollmachten im Interesse der Erhaltung der Sowjetunion. Reformwillige Funktionäre verschwanden aus Gorbatschows Umfeld, ganz im Gegensatz zu ihnen spielten dann die Silowiki eine immer größere Rolle. Anfang 1991 suchte man den Austritt der baltischen Republiken aus der UdSSR mit Gewalt zu verhindern. Außerdem wurde der aufgelöste, progressive Präsidentenrat durch einen neugegründeten Sicherheitsrat ersetzt.
DAS EINST VERBOTENE WORT „MARKT“ ERSCHRECKTE KEINEN MEHR
Zu diesem Zeitpunkt war im Alltagsleben zweifellos die Wirtschaft das Hauptproblem. Seit über vier Jahren waren die Erdölpreise im Keller. Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich exponentiell, es brauchte Sofortmaßnahmen. Im März 1990 arbeitete man einen ersten Plan für den Übergang zur Marktwirtschaft aus – das Programm 400 Tage. Die Wirtschaftskrise verschärfte sich so rasant, dass das noch anderthalb Jahre früher verbotene Wort „Markt“ keinen mehr ins Staunen oder Stocken versetzte.
GORBATSCHOW WAR ZU UNENTSCHLOSSEN
Doch mit dem Programm für den Übergang zur Marktwirtschaft wird nie begonnen. Ab Mitte 1990 beginnt ein endloses Hin und Her – eine Abstimmung in einer ersten Kommission, dann in einer zweiten, dann die Zusammenführung mit Alternativprogrammen und so weiter und so fort. Grund dafür ist die offenkundige Unentschlossenheit Gorbatschows. Die Umsetzung einer realen, wirkungsvollen Reform hätte ernsthafte Kosten verursacht und steigende Preise mit sich gebracht. Gorbatschow scheut das Risiko: Eine Preiserhöhung wäre für seine politische Beliebtheit fatal und würde seine politischen Gegner stärken. Das Thema „Erhaltung der Sowjetunion“ hingegen wirkt lebenswichtig und wie ein sicherer politischer Gewinn. Gorbatschows Einschätzung nach musste das in den Herzen der Menschen Widerhall finden.
SEPARATISTISCHE RHETORIK
Doch je weniger das sowjetische Geld wert war und je weniger man damit kaufen konnte, umso schneller verlor das politische Zentrum an Macht. Und umso weniger brauchten die Eliten in den Republiken die Macht von dort – sie setzten mehr und mehr eine gemäßigt separatistische Rhetorik ein, um der Zentralmacht die Verantwortung für die verschlechterte Situation zuzuschieben und sich so den politischen Einfluss in den Republiken zu erhalten.
Die Unabhängigkeitserklärungen, die anfänglich nach hochtrabender Rhetorik und einem Tribut an die politische Mode aussahen, gewannen allmählich an Inhalt. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil den Republiken jeder Ressourcenaustausch mit dem Zentrum unvorteilhaft erschien.
Und da haben wir es in seiner ganzen Pracht, das erstaunliche historische Paradox: Der Kampf um den Erhalt der Sowjetunion war für Gorbatschow Grund und Anlass, die Wirtschaftsreformen aufzuschieben – und letztlich war dies auch der Hauptauslöser für den Zusammenbruch der UdSSR.
Zentripetalkraft
Die Frage, ob eine in der Jahresmitte 1990 begonnene radikale Wirtschaftsreform den Zusammenbruch hätte verhindern können, wird für immer unbeantwortet bleiben. Doch es gibt Argumente, die für diese Annahme sprechen. Nicht in Bezug auf die baltischen Staaten natürlich, aber ein Kerngebiet aus fünf oder sechs Schlüsselrepubliken hätte durchaus erhalten bleiben können. Zumindest zeigten die jeweiligen Bevölkerungen weder 1990 noch 1991 einen ausgeprägten Willen zur Abspaltung. Aber gleichzeitig sahen sie auch keinen Grund, an der Sowjetunion festzuhalten.
Was die bedrohte Einheit angeht, so befand sich Russland nach dem Zerfall der UdSSR in einer kaum besseren Lage als die Sowjetunion 1990. Die russischen autonomen Gebiete hatten noch vor dem Zerfall der Sowjetunion ihre Unabhängigkeitserklärungen unterzeichnet. Tatarstan führte eine Volksabstimmung durch und wollte als gleichberechtigtes Gründungsmitglied der GUS auftreten. Auch das Gebiet Irkutsk rief die Unabhängigkeit aus, die Idee einer Ural-Republik lag im ungesunden Klima des Wirtschaftschaos in der Luft und wäre 1993 beinahe Wirklichkeit geworden. Natürlich wirkte die Irkutsker Unabhängigkeit ein wenig wie fake, aber so hatten die Unabhängigkeitserklärungen Weißrusslands oder Kasachstans 1990 auch gewirkt.
Es war weniger Boris Jelzin als Jegor Gaidar, der Russland letztendlich vor dem Zerfall rettete. Die Freigabe der Preise verlieh dem Geld wieder Kaufkraft. Trotz der hohen Inflation brauchten alle dieses Geld, weil die Menge der Dinge, die man dafür kaufen konnte, ständig wuchs. Die Perspektive, dass es eine Privatisierung geben würde, änderte die Agenda der Eliten und den Fokus ihrer Aufmerksamkeit. Die Unabhängigkeitsfrage verlor allmählich an Energie und Schärfe. Neue politische Institutionen eröffneten den regionalen Eliten die Möglichkeit zur Lobbyarbeit, um ihre Interessen umzusetzen. Und der Bevölkerung wurde klar, dass eine Unabhängigkeit die anstehenden Probleme nicht lösen würde.
Auch dem heutigen Russland droht kein Zerfall. Aber ihm droht wohl ernsthaft ein permanenter Kampf um den Erhalt der russischen Einheit. Wie oben dargelegt lenkt man durch einen solchen Kampf in Wirklichkeit ziemlich oft von wirklich wichtigen, komplexen Problemen ab. Versucht, sich der Verantwortung zu entziehen, und macht auf diese Weise Propaganda für den Einsatz von Gewalt als angeblich einzig wirksamem Mittel. Allein diese Kombination aus versuchter Gewaltanwendung und wirtschaftlicher Schwäche ist ein hochexplosives Gemisch, das schon öfter das Fundament eines Staates gesprengt hat – das lehrt uns unter anderem die Erfahrung der Sowjetunion.