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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Nawalnys misslungener Spagat

    Nawalnys misslungener Spagat

    Ob mit den landesweiten Protestaktionen im März und im Juni oder durch die jüngsten Razzien in seinen Wahlkampfbüros – der erklärte Präsidentschaftsanwärter Alexej Nawalny schafft es derzeit immer wieder in die Schlagzeilen. Für weitere Furore sorgte nun eine öffentliche Diskussion mit Igor Strelkow, bei der die beiden über Korruption, Russlands Verhältnis zum Westen und über die Ukraine sprachen.

    Viele waren bereits irritiert, dass es überhaupt zu einer solchen Debatte kam: Schließlich ist der bekennende Nationalist Igor Girkin alias Strelkow nicht irgendwer – durch seine Rolle während der Krim-Angliederung und als Separatistenführer im Donbass wird er von Kritikern nicht selten als Kriegsverbrecher bezeichnet.

    Warum wollte Nawalny diese Diskussion? Kirill Martynow kommentiert in der Novaya Gazeta, welche Spekulationen es im Vorfeld gab und was sich davon letztlich bewahrheitet hat.

    Als Nawalny einwilligte, mit Girkin zu debattieren, wurde das vom Publikum unterschiedlich erklärt. Die erste Erklärung besagte, Nawalny versuche, seine Wählerschaft und seine Bekanntheit landesweit zu vergrößern – nach Daten der Soziologen wachse letztere aktuell nicht mehr so stark, trotz der Protestaktionen im Juni. Die zweite Erklärung ging davon aus, dass Nawalny einfach alle dazu bewegen wolle, über ihn zu sprechen, und er in der politisch toten Feriensaison um Aufmerksamkeit werbe. Die dritte Erklärung schließlich besagte, Nawalny wolle aus dem Gespräch mit dem einstigen „Chef der Volksmilizen von Noworossija“ eine Art Verhör machen und ihn in einer Live-Sendung als Verbrecher entlarven.

    Erreicht hat Nawalny wohl letztlich das zweite Ziel: Das nach Politik und unzensiertem Aufeinanderprallen politischer Programme dürstende Publikum warf sich gierig auf die Debatte. Auf dem Kanal von Nawalnys Anhängern schauten die Sendung fast 100.000 Menschen, weitere 50.000 folgten dem Spektakel auf dem YouTube-Kanal von Doshd. Das Interesse war definitiv hoch, trotz fehlenden Werbebudgets. 

    Zugeschaut haben hauptsächlich die eigenen Anhänger

    Dennoch konnte Nawalny seine Bekanntheit wohl kaum ernsthaft vergrößern. Es scheint, als habe man Girkin bereits etwas vergessen, und wegen Nawalny haben hauptsächlich seine eigenen Anhänger eingeschaltet. Ähnlich viele Leute – 100.000 bis 200.000 – beteiligten sich in diesem Jahr aktiv an Nawalnys politischer Kampagne. Über die Zusammensetzung der Zuschauer geben auch Umfragen in den Sozialen Medien indirekt Aufschluss: Für Nawalny stimmten dort über 80 Prozent (übrigens eine vertraute Zahl).

    Beim Versuch, die ,imperial-nationalistische‘ Wählerschaft auf seine Seite zu bringen, hat Nawalny versagt

    Bei dem Versuch, die „imperial-nationalistische“ Wählerschaft, den typischen Sawtra-Leser oder Zargrad-Zuschauer, mit dieser Debatte auf seine Seite zu bringen, hat Nawalny versagt.

    Er gab keine wesentlich bessere Figur als sein Gegner ab, war lange in der Defensive, rechtfertigte sich ein paar Mal und rollte die Augen. Girkin ist gewiss kein glänzender Rhetoriker, aber er blieb ruhig, warf Nawalny vor, dass dieser „kein echter Nationalist“ sei. Nawalny konnte dem weder zustimmen, noch konnte er widersprechen – die Frage, welche Art von Nationalist er sei, umging er behutsam. Girkin versteckte sich in kritischen Momenten nicht besonders überzeugend hinter dem „Militärgeheimnis“ und seiner „Ehre als Offizier“ – zwei Dinge, die in Russland durchaus geschätzt werden, und auf die Nawalny sich nicht beziehen kann.

    Girkin wird nach der Debatte neue Anhänger finden – was man von Nawalny nicht unbedingt behaupten kann. In diesem Sinne hat Letzterer die Debatte verloren.

    Kein „Schauprozess gegen den Kriegsverbrecher“

    Bitter enttäuscht wurde die Hoffnung auf einen „Schauprozess gegen den Kriegsverbrecher“, von dem viele liberale Aktivisten vor der Diskussion träumten. Im Studio erklärte Nawalny, dass ausschließlich Gerichte klären sollten, ob Girkin ein Verbrecher sei oder nicht, und er folglich als Politiker keine Meinung dazu habe.

    Im Verlauf der Debatte machte Nawalny zwei Fehler, die wiederum durch eine Schlüsselentscheidung bereits vorbestimmt waren: nämlich der Einwilligung zu der Debatte selbst, die viele aus ethischen Erwägungen bereits kategorisch abgelehnt hatten (dabei geht es nicht um Girkins Überzeugungen, sondern um seine Handlungen als Kriegführender – nach dem Motto: Erst der Prozess um mögliche Kriegsverbrechen, dann die Debatte).

    Ein gravierenderer Fehler bestand darin, dass Nawalny von vorneherein auf zwei Stühlen sitzen wollte

    Der erste Fehler hängt damit zusammen, dass Nawalny offenbar eine falsche Vorstellung davon hatte, mit wem er diskutiert. Er betrachtete Girkin als Botschafter der nicht anerkannten Donezker und Luhansker Volksrepubliken. Doch Girkin antwortete ihm, dass sich die gegenwärtigen Machthaber dort in keinster Weise unterschieden von den Kompradoren-Eliten Russlands und oligarchischen Statthaltern des Westens, die das russische Volk durch das Minsker Abkommen an ukrainische Nationalisten ausgeliefert hätten. Eins ist ziemlich sinnlos: Girkin, dem fanatischen Geheimdienstler und Freiwilligen in allen postsowjetischen Kriegen, vorzuwerfen, er habe sich angedient oder sich gar mit russischen Korruptionären am Diebstahl beteiligt. Er ist natürlich ein Mensch der Ideen, auch wenn diese – zum Beispiel die von der Unvermeidlichkeit eines Krieges mit dem Westen – ziemlich monströs sind.

    Der zweite und gravierendere Fehler bestand darin, dass Nawalny von vorneherein auf zwei Stühlen sitzen wollte. Er ist für das russische Volk, aber gegen Irredentismus. Ein Nationalist, der aber nicht bereit ist, die Nation um jeden Preis zu retten. Ein Liberaler, der aber meint, dass man die Krim nicht einfach so zurückgeben kann. Die Klammer, die all das im Programm Nawalnys zusammenhalten soll, ist natürlich der Kampf gegen Korruption – gegen ebenjene Kompradoren-Eliten und für ein Aufblühen der Nation.

    Girkins Rede wirkt zeitweise zusammenhängend, widerspruchsfrei und überzeugend – so wie es zum Beispiel bei Verrückten vorkommt

    Und da beginnt Girkin plötzlich ganz ruhig von „politischer Philosophie“ und Marx, von Basis und Überbau zu sprechen. Der Kampf gegen Korruption ist nicht möglich, urteilt der einstige Geheimdienstler, ohne eine Änderung der gegenwärtigen Weltordnung im Ganzen – ohne eine Absage an Russlands Rolle in der globalisierten Welt, an die vom Westen diktierte wirtschaftliche Zusammenarbeit, was wiederum auf friedlichem Wege nicht zu erreichen sei und so weiter. Girkins Rede wirkt zeitweise zusammenhängend, widerspruchsfrei und überzeugend – so wie es zum Beispiel bei Verrückten vorkommt. Der Kampf gegen Korruption führe zu nichts, solange wir in dieser wirtschaftlichen Ordnung leben, schließt Girkin seine Rede ab – das Thema bleibt offen. Darauf hatte sich Nawalny, der von seinem Wahlprogramm erzählen und Girkin mit Fragen zu Putin und dem abgeschossenen MH17-Flugzeug attackieren wollte, nicht vorbereitet.

    Nawalny hat versucht, zwischen einer nationalistischen Agenda und liberalen Werten zu balancieren – in etwa der Cocktail, der in postsozialistischen Ländern von Polen bis Georgien als Treibstoff für den demokratischen Wandel diente. Doch dagegen wirkt eine gigantische Maschinerie des imperialen Ressentiments: Die Kränkungen seitens der ganzen Welt, welche Millionen von Menschen nach dem Zerfall der UdSSR real erlebt haben. Schließlich erlangten die Russen, im Unterschied zu den Bürgern anderer postsowjetischer Staaten, 1991 keine Unabhängigkeit von einem fremden und feindlichen Imperium, sondern sie verloren ihr eigenes. Und die Rezepte für den Übergang zu einer Demokratie sollten in dieser Situation andere sein.

    Man kann nicht mit dem Anhänger einer faschistischen Ideologie streiten und gleichzeitig betonen, dass man selbst Nationalist sei

    Für die gegenwärtige Position Girkins ist die Analogie verständlich. Versetzen wir uns ins 20. Jahrhundert, in einen gewissen Staat, der eine Niederlage erlitten hat und in Teile zerfallen ist. Die Bühne bekommt ein Veteran, der an allen Kriegen teilgenommen hat und wieder bereit ist, die Feinde seiner großen Nation zu töten. Dieser ideologische Soldat redet von Feinden im Westen, die seine Heimat zergliedert haben, von der Notwendigkeit, die Großmacht wiederherzustellen, selbst auf kriegerischem Wege. Schließlich leiden die Vertreter unseres Volkes unter der Besatzung benachbarter, verfeindeter Staaten et cetera. Wer im Streit mit so jemandem auf den Kampf gegen Korruption pocht, schießt offenkundig am Ziel vorbei.

    Eine politische Niederlage für Nawalny

    Man kann nicht mit dem Anhänger einer faschistischen Ideologie streiten und gleichzeitig betonen, dass man selbst Nationalist sei. Auch wenn man dabei erklärt, dass derzeit nicht die richtige Zeit für einen Krieg um die Einheit des russischen Volkes sei, weil das Land wegen der Korruption so verarmt sei.

    Das ganze Format der Debatte, Nawalnys Büro als Drehort, das loyale Publikum während der Live-Übertragung, der bestens vertraute Michail Sygar als Moderator – all das war ein Vorteil für den demokratischen Politiker. Aber es ist ihm nicht gelungen, diesen zu nutzen. Zeitweise konnte man den Eindruck gewinnen, Nawalny diskutiere aus reiner Gewohnheit. Dass er die imaginierten Wahlen gewonnen hat und das Land bereits mehrere Jahre regiert. Und dass er äußerst müde ist, ein und dieselben Schablonen-Sätze zu wiederholen, wo anstelle der Mai-Dekrete der Kampf gegen Korruption steht.

    Die Debatte mit Girkin wurde zu einer politischen Niederlage für Alexej Nawalny.

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  • Funkstille

    Funkstille

    Doshd heißt auf Deutsch Regen. Es sind mehrere Tropfen, die nach offiziellen ukrainischen Angaben nun das Fass zum Überlaufen brachten: Die Ausstrahlung des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doshd über Kabel wurde in der Ukraine verboten. Über Internet und Satellit dagegen kann der Sender weiter kostenpflichtig empfangen werden.

    Entschieden wurde dabei nach formalen Kriterien: Unter anderem waren Journalisten des Senders ohne offizielle ukrainische Erlaubnis auf die Krim gereist, außerdem hatte der in Moskau registrierte und ansässige Kanal Landkarten gezeigt, die, entsprechend der russischen Verfassung, auch die Krim als Teil Russlands abbildeten. Zudem habe der Sender an Neujahr zwei Komödien ausgestrahlt, in denen russische Silowiki zu positiv dargestellt würden.

    Auch Letzteres ist in der Ukraine per Gesetz untersagt, schon zuvor war deswegen die Ausstrahlung einiger sowjetischer oder russischer Filme nicht gestattet worden, ebenso existiert eine Verbotsliste „antiukrainischer“ Bücher. Seit der Krim-Angliederung durch Russland und dem Krieg im Donbass gibt es immer wieder Vorstöße in diese Richtung.

    Wurden sie bislang schon viel diskutiert, brach im Fall von Doshd nun eine besonders heftige Debatte aus – hauptsächlich unter unabhängigen Medienschaffenden der beiden Länder. Denn Doshd ist nicht irgendein Sender. In einer weitgehend staatlich kontrollierten Medien- und TV-Landschaft ist Doshd der unabhängige russische Fernsehsender, der es auch in Russland nicht leicht hat: Im Frühjahr 2014 hatten mehrere Satelliten-Anbieter den Kanal aus ihrer Angebotspalette genommen, seitdem ist er nur noch über Internet und einige lokale Betreiber erreichbar.

    Trifft es mit Doshd nun genau die Falschen? Ja, meint Kirill Martynow. Und erklärt in der Novaya Gazeta, warum das Verbot dennoch unausweichlich gewesen sei.
    Die Zeitung befragte außerdem verschiedene ukrainische Journalisten zu dem Fall – einzelne davon bildet dekoder ebenfalls ab.

    Die Ausstrahlung des unabhängigen Fernsehsenders „Doshd“ über Kabel ist in der Ukraine nun verboten / Foto © youtube
    Die Ausstrahlung des unabhängigen Fernsehsenders „Doshd“ über Kabel ist in der Ukraine nun verboten / Foto © youtube

    Die Ukraine hat die Übertragung des Senders Doshd aufgrund einer formalen Rechtsverletzung verboten. Es ging um die positive Darstellung von Vertretern russischer Behörden wie Polizei, Geheimdienst oder Armee. Sofort wurde dieser Skandal zu instrumentalisieren versucht, und zwar von denen, die in den vergangenen drei Jahren den Konflikt zwischen unseren beiden Ländern angeheizt haben. Am meisten sind gerade jene über die Pressefreiheit im Nachbarland beunruhigt, die von der Vernichtung der Ukraine träumen und von der Vernichtung des Senders Doshd und überhaupt aller Lebensformen, die sich äußerlich von Prochanow und Dugin unterscheiden.

    Man hätte Doshd nicht verbieten sollen, denn seine Existenz auf dem Territorium der Ukraine hat den nationalen ukrainischen Interessen nicht im geringsten widersprochen. Natürlich muss der aus Moskau sendende Doshd russische Gesetze befolgen, weshalb er etwa entsprechende Karten zeigt (mit der Krim als Teil Russlands), und zuweilen vom Leben russischer Silowiki erzählt. Aber kein einziger Zuschauer in Kiew dürfte wohl Zweifel daran gehabt haben, dass er es zum einen mit einem russischen Sender und zum anderen mit einem Sender zu tun hat, der eine konsequente Anti-Kriegs-Position vertritt.

    Die Existenz des Senders Doshd ist für die Ukraine nur von Nutzen, wie überhaupt alle von Nutzen sind, die in Russland für friedliche Koexistenz und Einhaltung internationaler Vereinbarungen zwischen den Ländern stehen. Russisch-ukrainische Kultur- und Bildungsprojekte sind heute nötiger denn je, denn in jedem Fall werden wir ja auch weiterhin Nachbarn bleiben müssen. Schließlich beginnt östlich von Charkiw kein großer Ozean. Allerdings weiß fast niemand in den beiden Ländern, wie man solche Projekte realisieren kann – zu viel gegenseitiger Hass hat sich aufgestaut.

    Die Tragödie unserer derzeitigen Situation besteht darin, dass Russland insgesamt von den Ukrainern als feindliches und aggressives Land angesehen wird. Die Fragen, ob du ein guter Mensch bist oder welche politischen Ansichten du hast, treten in den Hintergrund. Auch dafür gibt es objektive Gründe: Die Russen haben die Krim und ein wenig nationale Größe bekommen, die Ukraine aber haben sie verloren. Das sollte man ruhig zugeben – es ist ja genug Zeit vergangen seit dem Beginn unserer „geopolitischen Erfolge“, um daraus nun auch mal ein paar Schlüsse zu ziehen.

    Aus der Frage nach dem Status der Krim folgt: Man muss sich entscheiden, wie man die Karten zeichnet. Das ist nicht das Werk der Ukrainer

    Es gibt drei schlichte Tatsachen. Erstens: Die Ukraine ist ein eigenständiges und anderes Land. Zweitens: Dieses Land wird sich in absehbarer Zukunft bei seinen politischen Entscheidungen niemals an Moskau orientieren. Und drittens: Ein Teil des ukrainischen Territoriums wird nicht von Kiew kontrolliert, die Ukraine sieht sich deshalb als kriegführenden Staat und führt entsprechende Regeln ein. Hört auf, euch darüber zu wundern: Die nette Kolonial-Ukraine, wo ihr so gerne im Sommer Urlaub gemacht habt, gibt’s nicht mehr. Aus diesen drei Fakten und insbesondere aus der Frage nach dem Status der Krim folgt, dass es unmöglich ist, russische und ukrainische Gesetze gleichzeitig zu befolgen und in beiden Ländern zu arbeiten. Man muss sich entscheiden, wie man die Karten zeichnet. All das ist nicht das Werk der Ukrainer.

    Die Geschichte mit dem Doshd-Verbot in Kiew kann noch – so wollen wir hoffen – einen glücklichen Ausgang nehmen. Weitaus schwieriger ist es, sich die Perspektiven der russisch-ukrainischen Beziehungen im Ganzen vorzustellen. Wie werden wir in fünf oder zehn Jahren gemeinsam in einem Osteuropa leben, mit der Krim und den Kriegserfahrungen im Gepäck? Alles deutet darauf hin, dass der Weg zurück zu einer freundschaftlichen Koexistenz, wenn er denn überhaupt möglich ist, lang und schwierig sein wird. Es wäre gut, dies schon jetzt zu verstehen und sich keinen unnötigen Illusionen hinzugeben.

    Und gut wäre auch, wenn all die Kämpfer für die ukrainische Pressefreiheit, die auf ihren Moskauer Sofas sitzen, ebenso aktiv für dieses in der Verfassung verankerte Recht innerhalb ihres eigenen Landes kämpfen würden. Medien sollten weder in der Ukraine noch in Russland geschlossen oder verboten werden. Aber sollen doch die Ukrainer ihre Probleme lösen, und wir kümmern uns um unsere eigenen. Das ist das Beste, was wir im jetzigen Moment tun können, in einer Zeit, in der das Gefühl der geopolitischen Größe uns nach und nach wieder verlässt.


    Es gab zahlreiche Reaktionen in Medien und sozialen Netzwerken, darunter auch viel Unverständnis für diese Entscheidung in Kiew. Die Novaya Gazeta hat nachgefragt, lässt zum Warum gewichtige Stimmen für ein solches Verbot aus der ukrainischen Öffentlichkeit zu Wort kommen – wir haben drei davon ausgewählt:

    Mustafa Najem, Parlamentarier und Journalist

    [bilingbox]Ich mag diesen Fernsehsender, mir gefällt er gut. Seinerzeit setzte er einen gewissen Trend, und was sie gemacht haben, war immer qualitativ hochwertig. Andererseits haben wir es real mit Kriegszeiten und mit Beziehungen zwischen zwei Ländern zu tun. Und ob es uns gefällt oder nicht, der Fernsehsender Doshd hat seinen Sitz in Russland.

    Als ehemaliger Journalist verstehe ich wohl, dass Doshd gezwungen ist, die Gesetze der Russischen Föderation zu achten, sonst drohen ihnen noch größere Repressionen als die, denen sie schon früher ausgesetzt waren. Es ist offensichtlich, dass sie ihre Inhalte den Gesetzen anpassen müssen, was Territorialfragen betrifft, insbesondere die Geschichte mit der Krim. Und gleichzeitig müssen sie sich an die Verfassung der Russischen Föderation halten. Aber andererseits gibt es auch die Verfassung der Ukraine, derzufolge die Verbreitung solcher Informationen über die Krim schlichtweg einen Verstoß darstellt.

    Darin besteht der Konflikt zwischen den beiden Ländern, und Doshd ist in diesem Fall ein Opfer dieses Konflikts.

    Als Politiker verstehe ich, wie die Entscheidung aus der Perspektive des ukrainischen Staates begründet ist.

    Natürlich wären für den ukrainischen Zuschauer alternative Informationen über das, was in Russland passiert, notwendig und nützlich. Solche, die er nicht aus ukrainischen oder russischen Staatsmedien erhält. Das würde sogar gewisse Chancen auf Wiederannäherung bieten. Aber hier muss man einen wichtigen Punkt verstehen. Sehen sie, ich mag Piter, ich habe dort Freunde und würde gern öfters dort sein. Das ist mein persönliches Bedürfnis. Aber in Anbetracht der heutigen Situation verstehe ich, dass ich dort nicht sein kann. Das ist die Politik. Wir alle sind Opfer dieser Geschichte.~~~Я люблю этот телеканал, мне он нравится. В свое время они задали некий тренд, и то, что они делали, имело высокое качество. С другой стороны, есть реальность военного времени и реальность отношений между двумя странами. И хоти мы этого признавать или нет, телеканал «Дождь» является резидентом Российской Федерации.

    Будучи журналистом в прошлом, я понимаю, что они вынуждены выполнять законы Российской Федерации, иначе им грозят еще большие репрессии, чем применялись в отношении них раньше. Очевидно, что они должны согласовывать то, что касается территорий, в частности истории с Крымом. А также должны соблюдать Конституцию Российской Федерации. Но, с другой стороны, есть конституция Украины, по которой распространение информации подобного характера о Крыме является просто нарушением уже ее конституции.

    Как политик, с точки зрения страны я понимаю обоснованность этого решения.

    Конечно, украинскому зрителю нужна и была бы полезна альтернативная информация о том, что происходит в России. Полученная не от государственных СМИ Украины и не от государственных СМИ России. Она бы даже дала какой-то шанс на воссоединение. Но здесь нужно понимать важный момент. Смотрите, я люблю Питер, у меня там друзья, и я хотел бы бывать там часто. Конечно, лично мне это нужно. Но видя сегодняшнюю ситуацию, я понимаю, что там я быть не могу. Это политика. Мы все являемся жертвой этой истории.[/bilingbox]

    Witali Portnikow, Kommentator bei Radio Svoboda Ukraine

    [bilingbox]Für mich ist die Sache mit dem Sendeverbot für Doshd in der Ukraine eindeutig.

    Aber sagen Sie mir bitte, warum hatte Doshd überhaupt eine Sendeerlaubnis?

    Warum haben russische Fernsehsender, seit die Krim okkupiert wurde und der Krieg im Donbass begonnen hat, hier überhaupt irgendwelche Möglichkeiten, Sendungen auszustrahlen? Die politische Einstellung des Senders spielt überhaupt keine Rolle! Eine Entscheidung über die Rückgabe einer Sendelizenz kann erst dann getroffen werden, wenn die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt und die Kriegsverbrecher verurteilt sind.~~~У меня нет никаких вопросов о запрете вещания телеканала «Дождь» на территории Украины.

    Почему российские телеканалы с момента оккупации Крыма и начала войны в Донбассе имеют хоть какие-то возможности для вещания здесь? Не имеет никакого значения политическая позиция телеканала! Решение о возвращении лицензии возможно только после восстановления территориальной целостности Украины и совместного осуждения военных преступников.[/bilingbox]

    Pawel Kasarin, Journalist

    [bilingbox]Ich würde nicht sagen, dass die Entscheidung sehr verwunderlich ist. Sie entspricht dem Gesetz und war unausweichlich. Aber ich würde gerne etwas betonen – immer wenn jemand eine Parallele zieht zwischen der Ukraine und der russischen Medienaufsicht, vergisst er dabei Folgendes: Auch drei Jahre nach dem Beginn von Krieg und Aggression ist der ukrainische Staat nicht dazu übergegangen, das Internet zu regulieren. Und die Zuschauer, die bislang Doshd gesehen haben, können den Sender auch jetzt über einen kostenpflichtigen Zugang im Netz gucken.~~~Я не готов говорить, что здесь есть что-то удивительное. Это было закономерно и неизбежно. Только я бы хотел уточнить, что всякий раз, когда проводят параллели между Украиной и Роскомнадзором, все забывают такую вещь: украинское государство спустя три года после начала войны и агрессии не дало себе права регулировать интернет. Те зрители, которые смотрели «Дождь», они и сейчас могут купить платную подписку и смотреть его в интернете.[/bilingbox]

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