дekoder | DEKODER

Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Gefangenenaustausch: „Belarus wird dem Kreml zum Fraß überlassen“

    Gefangenenaustausch: „Belarus wird dem Kreml zum Fraß überlassen“

    Am gestrigen Donnerstag kam es zu einem großangelegten Gefangenenaustausch zwischen Russland, den USA, Deutschland und anderen Ländern. Insgesamt 24 Personen wurden dabei aus der Haft entlassen und in andere Länder überstellt, darunter die bekannten russischen Oppositionspolitiker Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa, sowie der US-amerikanische Journalist Evan Gershkovich. Der sogenannte „Tiergartenmörder“ Wadim Krassikow wurde bei seiner Ankunft in Russland von Wladimir Putin persönlich in Empfang genommen. Aus belarussischer Haft wurde der Deutsche Rico Krieger entlassen, der ursprünglich zum Tode verurteilt und Anfang der Woche von Alexander Lukaschenko begnadigt worden war.  

    In Belarus gibt es fast 1400 politische Häftlinge, keiner wurde bei dem Austausch berücksichtigt. Die Enttäuschung bei der belarussischen Opposition ist groß. Warum spielte sie bei der Aktion keine Rolle? Und welche Signale sendet diese Nicht-Berücksichtigung? Dazu zwei Stimmen aus belarussischen Medien. 

    Bei dem großangelegten Gefangenenaustausch zwischen Russland, den USA, Deutschland und Belarus wurden belarussische Häftlinge, wie die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa, nicht berücksichtigt / Foto © Viktor Tolochko/SNA/Imago

    „Der Westen betrachtet Belarus faktisch als russische Provinz“

    In seiner Analyse für das Online-Medium Pozirk äußert der Journalist Alexander Klaskowski die Vermutung, dass Lukaschenko nicht mehr als eigenständig agierender Staatschef wahrgenommen wird. 

    [bilingbox]Ganz offensichtlich schätzt der Westen – in diesem Fall vertreten durch Deutschland – die politische Eigenständigkeit von Alexander Lukaschenko äußerst gering ein. Einerseits könnten sich seine erbitterten Gegner darüber freuen: Seht her, mit dem Diktator will niemand reden. Andererseits wird mehr und mehr deutlich, dass der Westen Belarus mittlerweile faktisch als russische Provinz betrachtet und vorerst keine Möglichkeit sieht, das Land aus den Fängen des Imperiums zu befreien. Mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Gewiss: EU-Politiker unterstützen weiterhin eine europäische Perspektive von Belarus. Aber de facto schließen sie den eisernen Vorhang und überlassen das Land dem Kreml zum Fraß.~~~Oчевидно, что и Запад — в этом случае прежде всего в лице Германии — крайне низко оценивает политическую субъектность Лукашенко. 
     
    С одной стороны, его яростные противники могут порадоваться: вот, с диктатором не хотят разговаривать. С другой стороны, становится все яснее, что Запад фактически стал считать Беларусь российской провинцией, не видит возможности на нынешнем этапе вырвать страну из лап империи. Со всеми вытекающими последствиями. 
     
    Да, европейские чиновники продолжают риторически поддерживать европейскую перспективу Беларуси, но де-факто опускают железный занавес, отдают ее на съедение Кремлю. [/bilingbox]

    erschienen am 1. August 2024, Original 

    „Kolesnikowa wäre eine würdige Kandidatin für einen Austausch gewesen“

    Belarus sei für die verhandelnden Parteien nicht „gewinnbringend“ genug, sagt der Politanalyst und Ex-Diplomat Pawel Sljunkin in einem Interview mit dem Online-Medium Zerkalo

    [bilingbox]Sogar unter rein symbolischen Gesichtspunkten wäre es wichtig gewesen, zumindest einen belarussischen Bürger in den Austausch einzubeziehen. Dies zeigt, dass die westlichen Länder Russland für wichtiger erachten als Belarus. Das höchste der Gefühle, was die europäischen Länder [gegenüber den belarussischen politischen Gefangenen] tun können, ist, ihre Solidarität zu bekunden. In diesem zynischen Sinne waren die belarussischen politischen Gefangenen für den Westen im Gegensatz zu Krieger wahrscheinlich nicht „gewinnbringend“ genug. Die Tatsache, dass der Austausch nicht einmal symbolisch Belarussen umfasste, spricht Bände. Maria Kolesnikowa etwa hat lange Zeit in Deutschland gelebt und kehrte 2020 nach Belarus zurück, um sich an der Demokratiebewegung zu beteiligen. Auch sie wäre doch eine würdige Kandidatin für einen Austausch gewesen. Wie es scheint, hat Deutschland aber nicht versucht, sie auszutauschen. ~~~Даже с символической точки зрения было бы важно попробовать включить в обмен хотя бы одного гражданина Беларуси, — отметил он. — Это говорит о том, что западные страны воспринимают Россию как более приоритетную страну, чем Беларусь. И максимум, что могут делать европейские страны [по отношению к беларусским политическим заключенным], — это выражать солидарность. Наверное, в этом циничном смысле беларусские политзаключенные были для Запада недостаточно «выгодны», в отличие от Кригера. Тот факт, что в обмен не включили ни одного беларуса, хотя бы символически, говорит о многом. Та же Мария Колесникова долгое время прожила в Германии и вернулась в Беларусь в 2020 году, чтобы поучаствовать в демократическом движении. Она тоже была бы достойным кандидатом на обмен — но, видимо, [Германия] не стала [пытаться ее обменять][/bilingbox]

    erschienen am 2. August 2024, Original 

     

    Weitere Themen

    Keine Nischen mehr

    Die Angst vor dem Klopfen an der Tür

    „Als wäre all das Entsetzliche und Absurde um mich herum gar nicht da“

    Im Netz der Propaganda

    Gefangen im Krieg

    „Wenn Böses im Namen des ganzen Landes getan wird, kann man nicht schweigen“

    Die Identitätskrise der belarussischen Opposition

    Tiergarten-Mord: Nachgeschobene Rechtfertigung

  • Presseerklärung: dekoder „unerwünscht“ in Russland

    Presseerklärung: dekoder „unerwünscht“ in Russland

    Erklärung zur Einstufung von dekoder als sogenannte „unerwünschte Organisation“ durch die Behörden der Russischen Föderation

    Mit der Einstufung von dekoder als „unerwünschte ausländische Organisation“ haben die russischen Behörden ein weiteres Mal gezeigt, dass sie keine Informationen dulden, die von der staatlich vorgegebenen Linie abweichen. dekoder gibt deutschen Leserinnen und Lesern einen Einblick in den Diskurs der unabhängigen Journalistinnen und Journalisten aus Russland und Belarus und vernetzt Wissenschaft und Journalismus über die Grenzen hinweg. Russischsprachige Leserinnen und Leser bekommen auf dekoder.org/ru verlässliche Informationen über Deutschland, Europa und Belarus – ohne Zensur der staatsnahen russischen Medien. Berichterstattung, Hintergründe, Debatten und Vernetzung, die nicht unter der Kontrolle des Staates stehen, werden vom Regime in Moskau offensichtlich als Bedrohung wahrgenommen

    Die Liste der „unerwünschten ausländischen Organisationen“, die von der russischen Generalstaatsanwaltschaft geführt wird, umfasst mittlerweile mehr als 160 Namen, darunter renommierte Forschungs-Institutionen wie das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien oder die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde. Die Listung als „unerwünschte Organisation“ soll die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten, die sich noch in Russland aufhalten, erschweren.  

    Für die Redaktion von dekoder kommt die Einstufung durch die russische Staatsanwaltschaft nicht unerwartet. Viele Redaktionen, deren Texte dekoder in Übersetzung veröffentlicht, sind inzwischen selbst als „ausländische Agenten“ oder „unerwünschte Organisationen“ eingestuft. Die meisten von ihnen arbeiten seit Beginn des vollumfänglichen Angriffskrieges auf die Ukraine im Exil. dekoder wird alles in seiner Macht Stehende tun, um Autorinnen, Autoren und Kontaktpersonen, die sich noch in Russland aufhalten, zu schützen.  

    Hintergrund 

    Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat dekoder am 31. Mai 2024 zu einer sogenannten „unerwünschten Organisation“ erklärt. „Unerwünschten Organisationen“ ist jegliche Arbeit in Russland verboten. Darüber hinaus handeln alle russischen Staatsangehörigen, die mit einer als „unerwünscht“ eingestuften Organisation zusammenarbeiten, nach russischem Gesetz ordnungswidrig. Im Wiederholungsfall greift das Strafrecht, es drohen Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren.  

    Mit der Stigmatisierung gehen die Behörden gegen die Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit vor. Das Ziel ist die Einschränkung des Pluralismus, auch in Westeuropa. Die Vermittlung von Fakten- und Hintergrundwissen zu Russland soll auch in Deutschland unterbunden werden. Russland will die unabhängige und wissenschaftlich fundierte Berichterstattung auch unterbinden, um seiner Auslandspropaganda zu mehr Wirkung zu verhelfen. 

    veröffentlicht am 3. Juni 2024 

    Weitere Themen

    Bystro #25: Warum sind deutsche NGOs in Russland „unerwünscht“?

    „Dieser Status ist wie eine schwere Krankheit“

    „Wir sind die letzte Bastion im Krieg des Staates gegen sein Volk“

    Krieg in der Ukraine – Hintergründe

    Zensierte Medien – Journalisten in Gefahr

    Inoagenty: Wer alles als „ausländischer Agent“ gilt

    „Das unbestrafte Böse wächst“

    „Agentengesetz“

  • Menschen des Waldes

    Menschen des Waldes

    „Eine wichtige Dimension des belarussischen Lebens ist immer noch die Schutz- und Ressourcenfunktion des Waldes, das Neue ist die ökologische Sorge um ihn.“ So heißt es im Ankündigungstext zum Fotoprojekt Menschen des Waldes (belaruss. Ludzi Lesu), das die Initiative VEHA im Jahr 2021 ins Leben gerufen hat. Das Projekt geht der Beziehung der Belarussen zu ihren Wäldern auf den Grund. Im Mai 2024 wurde das fertige Buch zum Projekt mit dem Michail Anempadystau-Preis ausgezeichnet. Wir haben mit Lesia Pcholka, Kuratorin von VEHA, über das Projekt gesprochen und zeigen eine Auswahl von Bildern. 

    1978, Wjalikaja Berastawiza. Auf der Birke: Hieorhij Stracha, seine Tochter Tazzjana, sein Sohn Aleh und Natallja Lytschkouskaja. Natalljas Mutter Swjatlana steht rechts / Foto © Aljaxandr Lytschkousk, zur Verfügung gestellt von Mikola Taranda. VEHA-Archiv, Sammlung „Menschen des Waldes

    dekoder: Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?

    Lesia Pcholka: Die Idee, ein Buch zum Thema Wald zu machen, hatten wir im Jahr 2021. Direkt nach den Protesten von 2020 und während der einsetzenden massenhaften Repressionen. Die Straßen der Städte waren damals unsicheres Gelände geworden, die Wände unserer Wohnungen boten keinen Schutz mehr. Man hatte uns den städtischen Raum genommen. Die Wälder boten damals vielen Belarussen Ruhe, viele zogen aufs Land. 

    Wir machten eine Ausschreibung zu dem Thema, um Fotos zu bekommen. Die Frist endete am 20.02.2022, vier Tage vor Russlands großer Invasion in der Ukraine. Wir hatten das Material vorliegen und waren schon tief in das Thema eingestiegen, aber dann kam der Schock des Krieges. Wir diskutierten im Team lange, ob wir das Recht haben, in Zeiten solchen Leids über ein belangloses Thema wie den Wald zu sprechen. Es fehlte auch Kraft, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Trotzdem gaben wir das Buch heraus, denn wir fühlten uns dem Plan für das Projekt verpflichtet. 

    In der Folge erhielten wir Rückmeldungen, dass diese anderen Nachrichten für die Menschen wichtig waren, sie führten sie vom Schrecken weg, zeigten etwas über sie selbst, die Belarussen, über das weitergehende unsichtbare Alltagsleben in Zeiten von Krieg und Repression. Mit der Zeit begriffen wir, dass unser Thema nicht schlecht gewählt war, ich bin froh, dass wir die Arbeit am Buch zu Ende gebracht haben.

    Was für eine Beziehung haben Belarussen zum Wald?

    Dieses Thema hat meine Kollegin Asia Cimafiejeva sehr gut dargestellt in ihrem Artikel Der Wald und der Alltag der Belarussen für unser Buch. Sie schreibt darin, die Kollektion von VEHA Ludzi lesu zeige verschiedene Aspekte – sowohl private als auch öffentliche. Auf den Bildern sehen wir einerseits die lebendige Beziehung zwischen Mensch und Wald, wie sie für ein traditionelles Denken typisch ist. Wir sehen die modernistische Entfremdung von der Natur und die Rückkehr zu ihr als einem Ort der Erholung oder gar Flucht vor der Realität. Wir beobachten aber auch staatliche Interessen: wirtschaftliche und militärische. Der Wald ist Hintergrund für viele Beziehungen und Tätigkeiten des Menschen. Wir betrachten ihn nicht getrennt von uns – schon die Präsenz des Fotoapparats bezeichnet unseren Einbruch in sein Territorium. Wie positiv dieses Eindringen für den Wald ist, bleibt eine offene Frage.

    Wie kommen Sie an die Fotos für die Projekte?

    Aktuell hat das VEHA-Archiv fünf thematische Sammlungen: The Best Side/ Najlepšy bok; Girl’s night/Dziavočy viečar; Last photo/Apošny fotazdymak; People of the Forest/Ludzi Lesu; Ruins of Belarus/Ruiny Belarusi. Wir analysieren verschiedene belarussische Familienarchive und schauen, welche Motive am häufigsten auf den Fotos auftauchen, auf dieser Grundlage wählen wir unsere Themen aus. Wir machen eine Ausschreibung und die Menschen schicken uns digitale Kopien von Fotos aus ihren Privatarchiven. Darüber hinaus bitten wir um detaillierte Informationen zu Jahr und Ort der Aufnahme sowie den Namen der Abgebildeten. So bleiben die Originalfotos in den Familien, nur die Kopien werden zum Forschungsgegenstand, zum Teil des VEHA-Onlinearchivs, und in Ausstellungen und Büchern veröffentlicht. 

    Unsere letzten Bücher wurden in Belarus herausgegeben, in kleinen Auflagen von etwa 200 Exemplaren. Das Buch Ludzi Lesu ist das erste, das im Exil erschien, in Polen. Es besteht aus drei Teilen. Den ersten Teil könnte man beschreiben als Einssein mit der Natur – Menschen umarmen Bäume oder verstecken sich in hohen Waldblumenwiesen. Der zweite Teil zeigt Fotos, die den Wald als Ressource darstellen. Im dritten Teil geht es um den Wald als Erholungsgebiet und Schauplatz von Alltagshandlungen.

    Wie kommt das Projekt bei den Belarussen an?

    Das Buch Ludzi Lesu ist 2022 erschienen. Immer mehr Menschen verlassen das Land und das letzte, woran sie denken, ist ihre Bibliothek aufzufüllen. Zwar haben wir in der Galerie FAF in Warschau eine Buchpräsentation organisiert, aber es gab keine nennenswerten Rezensionen zu dem Buch. Die belarussische Kultur hat 2022 einen harten Schlag versetzt bekommen, von dem sie sich nicht so schnell erholen wird. Ich weiß nicht, wie bewusst es den Menschen im Ausland ist, dass es für Belarussen innerhalb von Belarus gefährlich ist, sich mit ihrer nationalen Kultur zu beschäftigen. Außerhalb der Landesgrenzen gilt man als Besatzernation, zusammen mit den Russen. Das sind keine förderlichen Bedingungen.

    Welches Ziel hat die Arbeit von VEHA?

    Die Fotografien im VEHA-Archiv sind keine künstlerischen Attraktionen, sondern eine kollektive Darstellung von Alltäglichkeit. Ein Abbild dessen, wo wir heute stehen. Unsere Routine, das, was wir für bedeutsam genug halten, um es zu fotografieren. Gerade in den alltäglichen Praktiken provozieren wir Veränderungen – oder aber entscheiden uns für Akzeptanz und Normalisierung. Dafür setzen wir das, was wir auf dem Foto sehen, in Beziehung zu der Zeit, in der das Foto entstanden ist, zu den politischen und sozialen Ereignissen dieser Zeit. Diese Praxis hilft dabei, das Vergangene zu ordnen, sich die eigene Geschichte zurückzuholen.

    1966, der See Naratsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Uladsimir Sadouski, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1968, Tscherwen / Foto © zur Verfügung gestellt von Stanislawа Naidowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1969–1970, Retschyza. Woĺha und Ljubou Karunnaja / Foto © zur Verfügung gestellt von Aljaxandr Drahawos, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    1974, Wolha Shukawa (links) mit einer Freundin / Foto © zur Verfügung gestellt von Vassilina Sakalouskaja, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1930er Jahre, Polesien / Foto © zur Verfügung gestellt von Fundacja Archeologia Fotografii, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1959, Tscherwen. Vera Lipen / Foto © zur Verfügung gestellt von Stanislawa Naidowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1956, Tscherwen. Vera Lipen / Foto © zur Verfügung gestellt von Stanislawa Naidowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1966, Der See Naratsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Uladsimir Sadouski, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1900–1910er Jahre, Schklou. Arbeiter der Fabrik Spartak am Ufer des Dnjepr / Foto © zur Verfügung gestellt vom Shklou District Historical and Regional Studies Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1950er Jahre,das Dorf Starasselle. In einem Garten am Apfelbaum / Foto © zur Verfügung gestellt vom Shklou District Historical and Regional Studies Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1950, Baranawitschy. Valjanzina Bahuschewitsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Maxim Schwed, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1945–1950, Maryja Jeudakimauna Pesljak / Foto © zur Verfügung gestellt von Julija Kaljada, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1934, Schklou. Im Park / Foto © zur Verfügung gestellt vom Sklou District Historical and Regional Studies Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1978, Studentin des Medizinischen Institutes Hrodna (heute staatliche Medizinische Universität Hrodna) während der studentischen Baubrigade / Foto © Alina Taranda, zur Verfügung gestellt von Mikola Taranda, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1960er Jahre, Kusali. Tolik und Siarhej Protscharawy mit Mikalai Palikarpau / Foto © zur Verfügung gestellt von Darja Palikarpawa, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1920–1930er Jahre. Mädchen beten während eines Sommercamps vor einer behelfsmäßigen Kapelle auf dem Baumstumpf eines alten Baumes / Foto © zur Verfügung gestellt von Siarhej Leskiec, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Links: 1920–1930er Jahre / Foto © zur Verfügung gestellt vom Luninets District Local History Museum, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes
    Rechts: 1980, Hluscha, Region Mahilioŭ. Ales Adamowitsch / Foto © Jauhen Koktysch, zur Verfügung gestellt von Natallja Adamowitsch, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    1966, Am See Naratsch. Raman Chacjalowitsch / Foto © zur Verfügung gestellt von Uladsimir Sadouski, VEHA Archiv, Sammlung „​Menschen des Waldes

     

    Fotos: VEHA-Archiv, Sammlung Menschen des Waldes
    Bildredaktion: Andy Heller
    Interview: Ingo Petz
    Veröffentlicht am: 28.05.2024

    Weitere Themen

    Hier kommt Belarus!

    Leben und Sterben

    Landschaft der Trauer

    Die Angst vor dem Klopfen an der Tür

    „Mir sind meine Wurzeln, meine Familie und meine Heimat genommen worden“

    Gefängnis oder Emigration, das ist hier die Frage

    In einem Land zwischen Wald und Fluss

    Der Abgrund ist bodenlos

    IM HEIM DES KRIEGES

  • Debattenschau № 91: Jelzin, die Oligarchen und die Sünden der 1990er

    Debattenschau № 91: Jelzin, die Oligarchen und die Sünden der 1990er

    Mit einer Serie einstündiger Videos haben Mitstreiter Alexej Nawalnys vom Fonds für Korruptionsbekämpfung (FBK) eine heftige Debatte über das Erbe der 1990er Jahre in Russland ausgelöst. Im Kern geht es um die Frage, wann die Weichen für den Weg in Richtung Korruption, Manipulation und Autoritarismus gestellt wurden und wer die Schuld dafür trägt, dass sich Russland nach dem Ende der Sowjetunion nicht zu einem demokratischen Rechtsstaat entwickelte. In seinem letzten programmatischen Aufsatz aus dem Straflager hatte Nawalny im August 2023 voller Wut Boris Jelzin, seine Familie und die Oligarchen der frühen Jahre dafür verantwortlich gemacht, dass Selbstbereicherung und Machterhalt über demokratische Prinzipien triumphierten. In den Videos sitzt nun Maria Pewtschich – die Direktorin von Nawalnys Fonds für Korruptionsbekämpfung (FBK) – in einer Wohnung, die mit Möbeln und Accessoires der 1990er eingerichtet ist – und kommentiert Filmausschnitte und Dokumente.

    Die Debatte um die Fehler der 1990er Jahre ist nicht neu. Aber sie wird vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse immer wieder neu geführt. Diesmal mit großer Heftigkeit. Denn es geht auch um die Verwicklung heutiger Regimegegner, die damals zu Jelzins Netzwerk aus Macht und Geld gehörten und im Gefängnis landeten oder ins Exil gingen, wie etwa Michail Chodorkowski. Während die einen sagen, es sei wichtig, die Fehler der Vergangenheit zu benennen, um sie nicht zu wiederholen, bemängeln andere, angesichts des Krieges gegen die Ukraine sei jetzt nicht die Zeit für Streit. Stattdessen müsse die Opposition geeint auf ein Ende des Krieges und des Regimes hinarbeiten. 

    Was bedeutete Demokratie im postsowjetischen Russland?

    Der Politikwissenschaftler Wladimir Gelman vertritt die Ansicht, dass nie der Weg zu einer echten Demokratisierung eingeschlagen wurde:

    [bilingbox]Die Debatte über die 1990er Jahre in Russland läuft […] letztlich auf die Frage nach den Anfängen des derzeitigen politischen Regimes hinaus: War das Land in den 1990er Jahren auf dem Weg zur Demokratie, und dann kam Putin und ruinierte alles? Oder war nach dem Zusammenbruch der Kommunistischen Partei nie von einer Demokratisierung auch nur die Rede? 
    In meinem Buch Awtoritarnaja Rossija (dt. Das autoritäre Russland) wird die zweite Sichtweise ausführlich dargestellt. Demzufolge lässt sich der politische Prozess im postkommunistischen Russland zusammenfassen mit einem Satz von Anatoli Sobtschak: „Jetzt sind wir an der Macht – und das ist Demokratie“.~~~Спор о 1990-х годах в России, […] в конечном итоге сводится к вопросу об истоках нынешнего политического режима. Действительно ли (1) в 1990-е страна двигалась к демократии, а потом пришел Путин и все испортил или же (2) изначально после краха КПСС ни о какой демократизации не было и речи. В моей книге «Авторитарная Россия» довольно подробно представлена вторая точка зрения. Предельно огрубляя, политический процесс в посткоммунистической России, согласно этой точке зрения, можно суммировать фразой Собчака на с.7 книги – «мы теперь у власти – это и есть демократия».[/bilingbox]

    erschienen am 17.04.2024, Original

    Jelzins Regierungszeit war bestimmt vom Kampf gegen die Geister der Vergangenheit

    Der Journalist Sergej Parchomenko vermisst in Pewtschichs Videos die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe, vor denen sich die Ereignisse abspielten:

    [bilingbox]Die ganze Geschichte mit Jelzin und seiner Regierungszeit begann nicht im luftleeren Raum, sondern knüpfte unmittelbar an eine jahrzehntelange Odyssee: Sowjetmacht, kommunistische Diktatur, eine durch diese Diktatur verunstaltete und gequälte sowjetische Gesellschaft, eine absurde politische Maschinerie ohne funktionierende staatliche Institutionen und eine von sozialistischer Idiotie erdrückte Wirtschaft, die in keinem Bereich funktionsfähig war. Das Ganze hat sich bis zur letzten Minute im Kampf genau dagegen entwickelt und war der Logik dieses Kampfes untergeordnet. Nein, nicht bis zur letzten Minute: Fairerweise müssen wir festhalten, dass es eine späte Periode der Schande gab, als Jelzin die Macht bereits völlig aus den Händen geglitten war und er sie einer Gruppe übergeben hatte, die nur getrieben war von Angst um ihre eigene Zukunft, von dem alleinigen Wunsch, wohlhabend aus der Herrschaft hervorzugehen und ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten.

    All diese Grundlagen sind in dem Film Verräter zu sehen. Nicht als Begleitumstände, sondern eben als tragende Grundlage. Doch die Autoren und die Erzählerin schauen das an und merken irgendwie nichts. Ringsum verschwommene Gesichter und Menschen unklarer Herkunft.

    Wer sind die alle?

    Das sind die, denen die russische (5 Minuten zuvor noch sowjetische) Wirtschaft in dem Moment gehörte, als Abramowitsch und Beresowski und Jelzins ganze Mannschaft auf der Bildfläche erschienen. Sie sind die Verkörperung des sowjetischen Systems, ja, die personifizierte sowjetische Macht. Sie verschwanden nicht, sie lösten sich nicht auf, sondern sie wehrten sich vehement gegen jede Veränderung, forderten ihren Löwenanteil und gaben ihre Positionen nur in einem erbitterten Kampf auf.

    Heutzutage wären solche Verweise auf das „sowjetische Erbe“ und die „verfluchten 90er Jahre“ die reinste Lüge und zynische Heuchelei: Denn von der UdSSR trennen uns 35 und von der „Phase der ursprünglichen Akkumulation“ der 1990er immerhin 30 Jahre.

    Jelzins Periode folgte unmittelbar auf die sowjetische, ohne Pause, dauerte weniger als ein Jahrzehnt und wurde zu einer einzigen Preiskatastrophe mit einem Ölpreis von acht bis zehn Dollar pro Barrel und einem Bezwingen der volkswirtschaftliche Katastrophe.

    Die Gesellschaft forderte eine Befreiung, eine Überwindung der sowjetischen Vergangenheit. Sie forderte kein Verbot der KPdSU, keine Lustration. Die Menschen forderten Reformen, die ihnen Hoffnung auf mehr Konsum gaben: Sie wollten Lebensmittel, Kleidung, Wohnungen, Autos, Geschirrspülmaschinen, Urlaubsreisen, Bücher und Filme, Waschmittel, ohne dafür anstehen zu müssen, sauberes Wasser in Flaschen und frisches Bier aus dem Zapfhahn. Und sie waren bereit, für diesen Konsum – oder zumindest die vage Hoffnung auf diesen Konsum – auf Vieles zu verzichten. Darunter auch auf ihre Wertpapiere, was die Aufgabe des Traums bedeutet, Gazprom-Aktionär zu werden.

    Unter diesen Umständen – in dieser sozialen und gesellschaftlichen Atmosphäre – geschah all das, was in dem Film des Fonds für Korruptionsbekämpfung (FBK) beschrieben ist, plus enorm viel mehr, was dort nicht beschrieben ist. Dem keine Beachtung zu schenken, wäre dumm. So zu tun, als sei das „nicht wichtig“, wäre unlauter. 

    Ich glaube, dass jetzt gerade der falsche Zeitpunkt für solche Debatten ist, und ausgerechnet heute hilft wütendes Streiten darüber, wer schuld daran war, was vor 35 und 25 Jahren geschah, nicht dabei, das Böse, mit dem wir es aktuell zu tun haben, zu bezwingen: Mit Putins Aggression gegen die zivilisierte Welt und der Bereitschaft dieses Diktators, Millionen Leben zu opfern, um selbst an der Macht zu bleiben.~~~Вся история Ельцина и его правления началась не на пустом месте, а отталкивалась от многодесятилетней эпопеи советской власти, коммунистической диктатуры, изуродованного и измученного этой диктатурой советского общества, нелепой политической машины, лишенной нормально действующих институтов государства, и раздавленной социалистическим идиотизмом экономики, не способной действовать ни на одном своем участке. И вся – до последне минуты – в борьбе с этим и развивалась, и логике этой борьбы была подчинена. Впрочем, нет, не до последней: справедливости ради, надо все время оговариваться, чтоб был там поздний, позорный период, когда Ельцин уже совсем упустил власть из своих рук, и отдал ее группе людей, которыми двигал только страх за свое будущее, только желание благополучно “выскочить” из власти и обеспечить лично себе безопасность.

    Вся эта основа – именно не фон, не антураж, а основа, содержательная и решающая, – в фильме ФБК присутствует. Но авторы и рассказчица смотрят на них и как бы не замечают. Какие-то люди с мутными лицами и непроясненным происхождением толпятся вокруг

    Кто они все?

    А это те, кто владели российской (еще пять минут назад советской) экономикой в тот момент, когда на сцене появились и Абрамович, и Березовский, и вся команда Ельцина. Это просто олицетворения, персонализованные воплощения советской власти и советского строя, которые никуда сами не делись, не рассосались, а ожесточенно противостояли любым изменениям, требовали своей львиной доли и первоочередного учета своих интересов, и уступали свои позиции только в свирепой борьбе.

    Это сейчас ссылки на “советское наследие” и на “проклятые девяностые” представляют собой чистейшую ложь и циничное лицемерие: потому что от СССР нас отделяет 35 лет, а от “периода первоначального накопления” 90-х – 30. 

    Ельцинский же период следовал за советским вплотную, без паузы, продолжался меньше десятилетия, и весь пришелся на одну сплошную ценовую катастрофу с нефтью по 8-10 долларов за бочку, и на преодоление хозяйственной разрухи. 

    Общество требовало освобождения от этого, преодоления советского прошлого. Не было никакого общественного запроса на запрет КПСС, например, не было запроса на люстрацию… люди требовали таких реформ, которые обещали им надежду на рост потребления: люди хотели еды, одежды, жилья, автомобилей, посудомоечных машин, поездок в отпуск, книг и фильмов, стирального порошка без очереди, чистой воды в бутылках и непрокисшего пива в разлив. И готовы были за это потребление – или хотя бы за смутную надежду на потребление – многое отдать. В том числе отдать свой ваучер, а с ним и мечту стать акционером Газпрома.

    В этих обстоятельствах – в этой общественной и политической среде – происходило все, что описано в фильме ФБК, а также и колоссальное количество того, что в нем не описано. Не обращать на это внимания – глупо. Делать вид, что это “не важно”, – нечестно.

    Я думаю, что сейчас плохое, неправильное время для этих дебатов, и именно сегодня яростные споры о том, кто виноват в случившемся 35 и 25 лет назад, нам не помогут справиться с главным злом сегодняшнего дня: путинской агрессией против цивилизованного мира и готовностью диктатора пожертвовать миллионами жизней ради того, чтоб остаться у власти.[/bilingbox]

    erschienen am 17.04.2024, Original

    Wie sich echte Politiker von Höflingen unterscheiden 

    Die Psychologin Ljudmila Petranowskaja streicht die Unterschiede zwischen den Akteuren in Jelzins Umfeld und Alexej Nawalny heraus:

    [bilingbox]Folgendes dachte ich bei der kurzweiligen Lektüre der hitzigen Debatte über die 1990er Jahre: Einer der Gründe des gegenseitigen Missverständnisses besteht darin, dass die Akteure der 1990er Jahre und Nawalny (wie wahrscheinlich auch seine Mitstreiter) grundlegend verschieden sind. 

    Erstere waren, wie man es dreht und wendet, Höflinge – Menschikows unter einem schillernden Reformzaren. Sie standen in der Gunst und erhielten Aufträge, fielen in Ungnade, waren in der Verbannung und auf der Flucht – je nachdem, wie das Leben so spielt. Aber im Fokus ihrer Aufmerksamkeit stand immer der Zar (der eine, dann der nächste). Ihr Schicksal hing immer vom Zaren ab, mit seinen Entscheidungen waren ihre Ängste und Hoffnungen verbunden – darunter nicht nur die rein egoistischen, sondern auch die erhabenen, „das Schicksal des Vaterlandes betreffenden“. Politik war in ihren Augen das, was einer mit dem anderen über irgendetwas vereinbart – ob in den Fluren der Macht, in der Banja, in den Büros. Im nächsten Schritt wird das dann als rein polittechnologische Aufgabe umgesetzt: Wie genau soll man die Ergebnisse der Vereinbarungen dem „Volk“ nahebringen? Aber der Gedanke, dass dieses „Volk“ selbst Subjekt des politischen Lebens sein könnte, wird nicht zugelassen – das Volk liebt doch bekanntermaßen die harte Hand und Almosen, ist atomisiert und beeinflussbar. Gott bewahre, dass es etwas entscheiden darf!

    Nawalny dagegen ist ein true politician. Ganz im Ernst. Eine in unseren Breiten noch nie dagewesene Spezies. Der hat sich direkt an die Menschen gewandt – hat hat ihnen nichts vorgespielt, keine von anderen verfassten Reden abgelesen, sondern den direkten Kontakt gesucht, sogar über die Köpfe der Gefängnisaufseher hinweg. Er glaubte wirklich, dass am Ende sie – die Menschen – entscheiden sollen.

    Man kann mit ihm einer Meinung sein oder nicht, ihn lieben oder hassen, aber dass er ein talentierter Politiker war (wie sehr es einem widerstrebt, hier dieses „war“ einzusetzen) – das ist schlicht Fakt.

    Dieser FBK-Film ist keine Recherche im eigentlichen Sinne, kein „Versuch, zu verstehen“, sondern ein direkt an die Menschen gerichtetes politisches Statement. Ob es wirkungsvoll ist oder nicht, wird die Zeit zeigen. Doch das Genre ist klar.

    Was sind die Ziele dieses Statements? 

    Sich von diesen kompromittierten Personen und Entscheidungen abzugrenzen und zu sagen: „So sind wir nicht.“

    Putins Lieblingsargument „Ich habe euch aus den 1990er Jahren gerettet“ und die Schlussfolgerung „Demokratie ist Lüge und Raub“ auszuhebeln.

    Eine Bewegung nach links zu markieren, denn die linke Flanke ist offen und die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit enorm.~~~Первые – это как ни крути, придворные, этакие Меньшиковы при ярком и "с загогулинами" царе-реформаторе. Бывали в фаворе и получали подряды, бывали в опале, в ссылке и в бегах – жизнь разная. Но в фокусе их внимания всегда был собственно царь (один, потом второй). От отношений с царем зависела их участь, с его решениями связывались надежды и страхи – в том числе не чисто эгоистические, а возвышенные, "про судьбы Родины". Политика в их представлении – это кто с кем о чем договорится где-то там, в коридорах, банях, кабинетах. Потом уже решается чисто политтехнологическая задача – как именно результаты договоренностей донести "народу". Но мысли о том, что сам этот "народ" может быть субъектом политической жизни не допускается – народ, как известно, любит твердую руку и подачки, атомизирован и внушаем, боже упаси пустить его решать. 

    А Навальный – он тру политик. Прям вот всерьез . Невиданный в наших краях зверь. Реально обращался к людям – не изображал, не читал написанное спичрайтерами, а прям обращался, даже через головы конвойных. Реально верил, что в конечном итоге им – людям – решать. 
    Можно с ним соглашаться или нет, любить или ненавидеть, но то, что он был (как не хочется вставлять это "был") профпригодным публичным политиком – это просто факт. 
    И фильм ФБК – это не расследование, не "попытка разобраться", а политическое высказывание, обращённое напрямую к людям. Эффективное или нет – время покажет, но жанр очевиден. 
    Какие цели высказывания? 
    Отстроиться от скомпрометированных персон и решений, сообщить "мы не такие".
    Выбить любимый аргумент Путина "я вас спасаю от 90х" и сцепку "демократия – это ложь и грабеж". 
    Обозначить движение влево, потому что левый фланг пуст, а запрос на социальную справедливость огромный. [/bilingbox]

    erschienen am 25.04.2024, Original

    „Dieser Film weckt Wut und Hass“

    Lew Schlosberg, Publizist und Jabloko-Politiker kritisiert die Serie scharf: 

    [bilingbox]Jelzin hatte nicht vor, ein Russland Putins aufzubauen, doch er hat es mit seinen vielen Fehlern herangezüchtet, hat einen historischen Raum geschaffen für eine politische Revanche des imperialen und sowjetischen Systems. 

    Aber eine Aufarbeitung der Chancen, Risiken, Fehler und Verbrechen der 1990er darf nicht zu politischen Repressionen, zur Verunglimpfung politischer Gegner und Feinde führen und nicht zum Entzünden von Rache und Bürgerkrieg anstiften.

    Der Film Verräter beantwortet die Frage „Wer ist schuld?“ auf eine Art und Weise, die nicht Gerechtigkeit durch den Rechtsstaat, sondern durch außergerichtliche Vergeltung nahelegt, wobei die Lenker der Vergeltung sich im Namen der Gesellschaft das Recht auf Gewalt herausnehmen und die Gesellschaft manipulieren, unter anderem durch ihren Schmerz und ihr Leid. Die ist eine unlautere und gefährlich provokative Technik.

    Der Film Verräter fördert keine Gerechtigkeit, sondern Revolution und Umverteilung von Eigentum und Macht durch Gewalt. Dieser Film weckt bei Erniedrigten und Beleidigten Wut und Hass. Er fördert im Land die Atmosphäre von Bürgerkrieg.
    Ich bin sicher, dass das den Autoren des Films sehr wohl bewusst ist.~~~Политически эпоха Владимира Путина выросла из эпохи Бориса Ельцина. Ельцин не планировал построить Россию Путина, но вырастил её своими многочисленными ошибками, создал историческое пространство для политического реванша имперской и советской системы. Политическая ответственность за эти последствия в значительной части лежит на Борисе Ельцине. Идеализировать Ельцина и его эпоху нельзя, хотя это была эпоха невиданного ранее исторического шанса на свободу.
    Но анализ шансов, рисков, ошибок и преступлений 1990-х не должен проводиться в технике политических репрессий, шельмования политических оппонентов и противников, не должен быть разжиганием настроений мести и гражданской войны. 
    Фильм «Предатели» даёт ответ на вопрос «Кто виноват?» в манере, предполагающей не восстановление справедливости через законность, а внесудебные кары, когда вершители возмездия присваивают себе право на насилие от имени общества и манипулируют обществом, в том числе его болью и страданиями. Это нечестная и очень опасная провокативная технология.
    Фильм «Предатели» взывает не к правосудию, а к революции, переделу собственности и власти через насилие. Этот фильм будит в униженных и оскорблённых людях гнев и ненависть. Он формирует в стране атмосферу гражданской войны.
    Уверен, что авторы фильма это хорошо понимают.[/bilingbox]

    erschienen am 22.04.2024, Original

    Dieser Film ist eine Verschwörungserzählung

    Die Medienwissenschaftlerin Xenia Lutschenko sieht in den FBK-Videos Elemente einer Verschwörungs-Erzählung:

    [bilingbox]Maria Pewtschichs Film liefert die endgültige Ausformulierung der Verschwörungerzählung „Komplott der Korruptionäre gegen Russland“. Es gibt da diese Gruppe böswilliger Verschwörer, die mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung und zum eigenen Wohl absichtlich das Leben von Millionen Menschen verschlechtert hat und das auch weiterhin tut und die „uns das Land gestohlen hat“. 

    Die Krieger des Lichts machen Jagd auf die Korruptionäre, doch die sind listig, wohlhabend und lenken im Verborgenen die ganze Welt und das Land entsprechend ihren Interessen. All dies geschieht nicht zufällig, alles ist miteinander verknüpft. Verschwörungsgläubige müssen nicht unbedingt Aluhüte tragen, typisch für sie ist eine bestimmte Art des Denkens. Es gibt Verschwörungserzählungen, die „uns“ gefallen. Also check your biases! ~~~В фильме Марии Певчих окончательно сформулирована конспирологическая теория «Заговор коррупционеров против России»: Существует некая группа злых заговорщиков, которая в целях личного обогащения и собственного блага намеренно ухудшила жизнь миллионов и продолжает это делать, «украла у нас страну». Воины света охотятся на коррупционеров, но те изобретательны, богаты и тайно управляют миром (страной) в своих интересах. Все события неслучайны, явления взаимосвязаны. Конспирология не обязательно в шапочках из фольги, это специфический тип мышления. Бывают теории заговора, которые «нам» нравится. Так что check your biases[/bilingbox]

    erschienen am 21.04.2024, Original

    Boris Jelzin stand am Beginn von billigem Populismus, Familien- und Klanwirtschaft und manipulativer Politik

    Die Demokratie wurde früh verraten, ist der Ökonom und Publizist Wladislaw Inosemzew überzeugt:

    [bilingbox]In den 1990er Jahren bildete und festigte sich ein System persönlicher Loyalitätsbeziehungen, die an die Stelle demokratischer Institutionen trat, die sich nie etablieren konnten. Die Reformen der ersten postsowjetischen Jahre legten die Grundlage für die Marktwirtschaft, wobei ehemaliges Staatseigentum an neue Eigentümer verteilt wurde. In dieser Situation hätte die Rückkehr der Kommunisten an die Macht im Jahr 1996 zu enormen Spannungen zwischen Regierung und Geschäftswelt geführt. Daraus hätte sowohl ein politischer Wettstreit entstehen können als auch eine Rechtsordnung. Doch diejenigen, die die demokratischen Reformen verrieten, zogen persönliche Garantien der Rechtsstaatlichkeit vor, was Russland in eine faschistische Diktatur führte.

    Ich erinnere mich noch lebhaft an den Sommer 1989, als in der UdSSR Millionen von Menschen an den Radioempfängern hingen, um die Debatten auf der ersten Sitzung der Volksdeputierten zu hören. Sie erlebten zum ersten Mal, wie Gesetze diskutiert und verabschiedet wurden, und das einst allmächtige Politbüro war dagegen machtlos. Dann folgten Demonstrationen und Kundgebungen, die Wahlen für die Parlamente der Unionsstaaten 1990 – und die Bereitschaft Michail Gorbatschows, sich den neuen Machthabern und letztlich dem Willen des Volkes zu beugen. 

    Diese Bereitschaft hatte Boris Jelzin nie – er begründete in moderner Zeit die Tradition von billigem Populismus, von Familien- und Klanwirtschaft, von manipulativer Politik und übermächtiger Sorge um geklautes Geld. Der Verrat der Demokratie fand in der Tat Anfang und nicht Ende der 1990er Jahre statt – hier haben die Autoren des Films absolut recht.~~~Именно в 1990-е годы в российской власти стала возникать и укрепляться система отношений личной преданности, заменившая так и не состоявшиеся демократические институты. Реформы первых постсоветских лет создали основы рыночной экономики, во многом распределили бывшую государственную собственность среди новых хозяев — и в такой ситуации возврат коммунистов к власти в 1996 году создал бы необходимое напряжение между властью и бизнесом, из которого смогли бы вырасти и конкурентная политика, и правовой порядок. Но те, кто предал демократические реформы, предпочли личные гарантии власти закона, что и привело Россию к фашистской диктатуре.

    Я прекрасно помню лето 1989 года, когда в СССР миллионы людей приникли к радиоприемникам, слушая дебаты на первом съезде народных депутатов. Они впервые увидели, как обсуждаются и принимаются законы и как всемогущее политбюро бессильно против них. Затем были демонстрации и митинги, выборы 1990 года в парламенты союзных республик — и готовность Михаила Горбачева уступить новым властям, в конечном счете — воле народа.

    Этой готовности никогда не было у Бориса Ельцина, заложившего традиции современных дешевого популизма, семейственности и клановости, манипулятивной политики и непреодолимой заботы о награбленных деньгах. Предательство демократии действительно состоялось в начале, а не конце 1990-х — и тут авторы фильма совершенно правы.[/bilingbox]

    erschienen am 23.04.2024, Original

    Aussprache mit Chance auf Versöhnung

    Der Galerist Marat Gelman war in den 1990er Jahren selbst Politikberater und räumt eine Mitschuld ein:

    [bilingbox]Nach dem FBK-Film sollten andere Journalisten mit jenen sprechen, die noch leben, damit sie ihre Sicht der Dinge darlegen. Die Augenzeugen dieser Ereignisse sollten aus heutiger Perspektive ihre Einschätzung abgeben und nicht schweigen. Ich glaube übrigens nicht, dass dies zu Uneinigkeit in der Opposition führen wird. Im Gegenteil, nach einer Aussprache, kann es zu einer Einigung kommen. Ohne verborgenen Groll. ~~~Я думаю надо историю поднять. И потом, после фильма ФБК, другим журналистам поговорить с теми кто еще жив, и пусть они выскажут свой взгляд на происходящее. Я не знаю, может окажется что Путин не мог не прийти. Я так не считаю, но вдруг. И участники тех событий должны дать оценку из сегодняшнего дня, а не молчать.[/bilingbox]

    erschienen am 17.04.2024, Original

    Der Film ist ein einziges klassisches Ressentiment

    Der Publizist Alexander Morosow lässt kein gutes Haar an der FBK-Produktion

    [bilingbox]In gewisser Hinsicht ist das der beste Beweis, nicht eines „putinschen“, sondern eines „liberalen“ Ressentiments. Das gesamte Narrativ des Films ist ein einziges klassisches Ressentiment: eine Kombination aus Demütigung, dem Erleiden einer Niederlage durch die „Verschwörung der Feinde“, multipliziert mit Heldenpose und moralischer Überlegenheit.~~~В каком-то смысле это лучшее свидетельство не "путинского", а "либерального" ресентимента. Весь нарратив фильма – это просто классический ресентимент: совмещение униженности, переживания поражения из-за "заговора врагов", помноженные на чувство героического превосходства и моральной правоты.[/bilingbox]

    erschienen am 20.04.2024, Original

    Vor dem Hintergrund des autoritären Drifts erscheint die Rolle der 1990er in neuem Licht 

    Durch den Angriff auf andere Oppositionelle könnten Nawalnys Mitstreiter Verbündete verlieren, warnt Ilja Matwejew:

    [bilingbox]Pewtschich hat eindeutig einen Nerv getroffen: Die Ereignisse der 1990er Jahre, die einerseits den Weg für den Putinismus ebneten und andererseits Akteure in den Vordergrund rückten, von denen viele später unter dem Putinismus litten – wie Michail Chodorkowski, der mehr als zehn Jahre im Gefängnis saß. Einerseits wird hier zum ersten Mal laut benannt, dass die Rolle der 1990er Jahre im Angesicht des darauf folgenden autoritären Drifts neu gedacht werden muss, andererseits bleibt bislang unklar, wie die ganze Sache endet. 

    Pewtschich hat es geschafft, sich mit den rechtsliberalen Oppositionellen anzulegen, die sie zum Teil de facto als „Verräter“ bezeichnet hat. Aber kann denn der Fonds für Korruptionsbekämpfung ein Alternativprogramm und einen Aktionsplan anbieten, die einen solch heftigen Bruch rechtfertigen würden? Mit anderen Worten: Der FBK verliert Verbündete – aber kann er weiterhin eine Führungsrolle übernehmen? Auf diese Fragen gibt es bislang keine eindeutigen Antworten, doch die Ideen-Krise sowohl in der Opposition allgemein als auch speziell im FBK dauert an, so dass das Ergebnis möglicherweise nicht erquicklich sein wird – Pewtschichs großtönende Serie wird dann zu einem Sturm im Wasserglas.~~~Певчих явно нажала на больной нерв — события 1990-х годов, которые, с одной стороны, подготовили почву для путинизма, а с другой, выдвинули на первый план действующих лиц, многие из которых впоследствии от путинизма пострадали, как Михаил Ходорковский, отсидевший в тюрьме более 10 лет. С одной стороны, впервые так громко прозвучала реплика, переосмысляющая роль 1990-х годов в последующем авторитарном дрейфе, с другой стороны, пока непонятно, чем закончится история с сериалом. 

    Певчих сумела рассориться с праволиберальными оппозиционерами, часть из которых она фактически назвала «предателями», но сможет ли ФБК предложить альтернативную программу и план действий, которые оправдали бы столь мощный разрыв? Другими словами, ФБК теряет союзников, но сможет ли он оставаться лидером? На эти вопросы пока нельзя дать однозначного ответа, но кризис идей в оппозиции в целом и в ФБК в частности продолжается, так что итог может оказаться неутешительным — громкий сериал Певчих станет бурей в стакане воды.[/bilingbox]

    erschienen am 25.04.2024, Original 

    Die 1990er ohne romantischen Kitsch 

    Der Journalist Farid Bektemirow begrüßt, dass die Opposition die 1990er Jahre nicht länger verklärt:

    [bilingbox]In meinen Augen ist der Film nichts Neues (in dem Sinne, dass die vorgestellten Fakten weitgehend bekannt und sehr grob nachgezeichnet sind). Aber als Ausgangspunkt der nicht enden wollende Debatte über das Russland der 1990er Jahre ist er durchaus geeignet. Immerhin beschreibt er das Verhältnis von Staatmacht und Volk in jenen Jahren ohne die sonst übliche romantische Verklärung der Liberalen. Und ohne diesen nostalgischen Kitsch wirkt die Realität höchst unattraktiv, verachtenswert und – in der Tat – verräterisch.~~~По мне, ролик, конечно, базовый (в смысле факты в нём по большей части общеизвестные и даны широкими мазками), но вполне работающий как точка входа в бесконечную тему российских 90-х с довольно точным описанием отношений власти и народа в те годы, просто лишённым привычного для либералов романтического флёра. А без этого флёра и ностальгии происходившее и правда выглядит крайне неприглядно, подло и – совершенно верно – предательски. [/bilingbox]

    erschienen am 20.04.2024, Original

    Weitere Themen

    [bánja]: Eine Reise in die Nebelwelten des russischen Schwitzbades

    KRACH 1991

    Den Teufelskreis durchbrechen

    Wandel und Handel

    Die Wegbereiter des Putinismus

    Putin – Geisel der 1990er Jahre?

  • Unerforschte Ufer: postsowjetische Fotografie

    Unerforschte Ufer: postsowjetische Fotografie

    Andere Ufer – so nannte der wohl bekannteste russische Exilschriftsteller Vladimir Nabokov (1899–1977) seinen autobiografischen Roman, der 1954 in New York erstmals erschien. Am Ende des Romans bricht der Autor nach Jahren der Emigration in Berlin und Paris in Richtung USA auf, eben zu jenen anderen Ufern, die in der russischen literarischen Tradition nie nur geografisch gemeint waren, sondern auch metaphysisch: Das Überqueren des Ozeans stand symbolisch für das Überqueren des mythischen Totenflusses Styx.

    Die Fotoausstellung Unerforschte Ufer, die 2023 in der armenischen Hauptstadt Jerewan gezeigt wurde, ist ein Blick aus dem Exil auf die nähere Vergangenheit. Sie konzentriert sich jedoch auf die Erkundung der Ufer, die nicht weit weg, sondern ganz nah liegen und die postsowjetischen Kulturen trennen. Eine Erkundung, die lange vernachlässigt wurde und deren Notwendigkeit mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine noch einmal deutlich geworden ist.

    Die beiden Kuratoren – der Armenier Wigen Galustjan und die Russin Victoria Muswik – haben Fotos russischer und armenischer Fotografen aus den vergangenen 15 Jahren ausgewählt. Sie analysieren und dokumentieren künstlerisch die Transformationsprozesse und den „postsowjetischen Zustand“. dekoder zeigt einige Bilder, die im Fotojournal von Republic.ru veröffentlicht wurden.

    Piruza Khalapyan, „Die Mauer“, aus dem Projekt Unaddressed [fragmented] memory, 2020

    „Wir wollten Fotografie als eine Methode der archäologischen Forschung nutzen. Mit dem Unterschied, dass wir statt physischer Denkmäler Bildwelten ausgraben“ – so formuliert die Kuratorin Victoria Muswik ihre Herangehensweise. Im Fokus dieser Forschung befinden sich Übergangsidentitäten und Räume, die in der postsowjetischen Wirklichkeit entstanden sind. Aber auch die Fragen nach Hierarchie und Macht, „Unausgewogenheit zwischen Zentrum und Peripherie“, „zerstörerischen Kräfte des neokolonialen Despotismus“ und „Gleichgültigkeit der Marktwirtschaft“. Diese Themen werden aus zwei Perspektiven betrachtet – aus der russischen und aus der armenischen.

    Dabei stellen die Kuratoren in einem auf Republic.ru veröffentlichten Dialog fest, dass die russische und die armenische Fotografie unterschiedliche Wurzeln haben: Die Entwicklung der russischen Fotografie ist von imperialen und – später – revolutionären Imperativen nicht zu trennen. So spielten etwa die Fotos von Sergej Prokudin-Gorski im 19. Jahrhundert eine entscheidende Rolle in der „Kartografie“ des Russischen Imperiums, in der Bestimmung von dessen Grenzen, dessen Zentrum und Randgebieten. Die armenische Fotografie dagegen war ursprünglich ein Mittel der interkulturellen Beziehungen zwischen Armenien und dem Nahen Osten, Europa und Russland.

    Die modernen Fotografen erben diese Besonderheiten, weisen aber gleichzeitig viele weitere Unterschiede auf. Etwa im Hinblick auf die fotografische Analyse von ähnlichen Themen, wie zum Beispiel die (gemeinsame) sowjetische Vergangenheit. Ein wiederkehrendes Motiv vieler Fotografen ist der „postsowjetische Zustand“ – Ruinen und Symbole der vergangenen Epoche. Während russische Fotografen meistens versuchen, die Größe und Mehrschichtigkeit des untergegangenen sowjetischen Projekts an sich zu verstehen, sehen die armenischen Fotografen nicht nur das Sowjetische oder die Splitter des Sowjetischen, sondern auch das Persönliche und Lokale. Während die russischen Fotografen sich analytisch und verfremdet auf die Landschaften konzentrieren, treten in der armenischen Fotografie die Menschen, deren Beziehungen, Gefühle und persönliche Geschichten deutlicher hervor.

    Wie es in der Fotografie oft der Fall ist, sagen die Bilder nicht nur etwas über die Objekte aus, die sie zeigen, sondern auch etwas über die Fotografen, die sie aufgenommen haben. Alle Fotos wurden vor dem Beginn des großflächigen Angriffskrieges gegen die Ukraine gemacht.

     

    Arman Harutyunyan, „Einige Minuten vor dem Angriff der Hunde“, 2020

     

    Max Sher, „Theater der Ordnungshüter: Glaube in den herrschenden Umständen“, aus dem Projekt Infrastructures, 2016–2019

     

    Natalya Reznik, „Elena“, aus dem Projekt Virtual acquaintances, 2009

     

    Anastasia Tsayder, Ohne Titel, aus dem Projekt Arcadia, 2016–2021

     

    Alexander Gronsky, Ohne Titel, aus dem Projekt Pastoral, 2009–2012

     

    Anahit Hayrapetyan, „Marina“, aus dem Projekt Princess to Slave, 2013

     

    Ilja Rodin, Ohne Titel, aus dem Projekt „Das Haus“, 2018

     

    Nazik Armenakyan, Ohne Titel, aus dem Projekt Red Black White, 2018 – bis heute

     

    Alisa Gorshenina, Ohne Titel, aus dem Projekt Russian Alienated, 2017–2019

     

    Alexey Vasilyev, „Zwillinge“, aus dem Projekt Sakhawood, 2019

     

    Ani Gevorgyan, „Polizeiübungen“, 2014

     

    Igor Tereschkow, „Tschum und Rentierherde, Sommerweide der Familie Tewlins, Jugra“, aus dem Projekt Moos und Öl, 2016–2018

     

    Tanja Tschaika, Ohne Titel, aus dem Projekt Der Weg nach Hause, 2019

     

    Nelly Shishmanian, „Bewohner des Grenzdorfs Tsopi in Georgien feiern den armenischen Feiertag Wardawar“, aus dem Projekt „Vielleicht zusammen“, 2018

     


    Quelle: republic.ru
    Fotoauswahl: Victoria Muswik und Wigen Galustjan
    Veröffentlicht am 25. April 2024
    Wir danken Max Sher für seine Unterstützung in der Vorbereitung dieser Publikaton.

     

    Weitere Themen

    Rund um den Kreml

    März: Alexander Gronsky

    Bilder vom Krieg #18

    Dezember: Prokudin-Gorski

    Müde Helden und bröckelnde Nymphen

    Moos und Öl

  • Bilder vom Krieg #19

    Bilder vom Krieg #19

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Johanna-Maria Fritz

    Familienangehörige betrauern den Tod des 20-jährigen Soldaten Dima in Zorya, einem Dorf in der Nähe von Awdijiwka. 19.11.2023 / Foto: Johanna-Maria Fritz, Ostkreuz
    Familienangehörige betrauern den Tod des 20-jährigen Soldaten Dima in Zorya, einem Dorf in der Nähe von Awdijiwka. 19.11.2023 / Foto: Johanna-Maria Fritz, Ostkreuz

    dekoder: Wie ist dieses Bild entstanden? 

    Johanna-Maria Fritz: Ich arbeite gerade an einem Fotobuch zur Jugend an der Front. Dafür porträtiere ich Teenager und junge Männer, die als Soldaten kämpfen, aber auch solche, die einfach nur in der Nähe der Front leben. Ich bekam die Nachricht, dass in Zorya eine Beerdigung stattfindet. Der kleine Ort liegt etwa zwanzig Kilometer westlich von Awdijiwka im Gebiet Donezk.    

    Um wen trauern die Menschen hier?  

    Dima ist mit 20 Jahren in Bachmut bei einer Angriffswelle der Russen getötet worden. Er ist im Gebiet Donezk in der Ostukraine geboren und aufgewachsen. Als der Krieg begann, war er elf Jahre alt. Mit 18 hat er sich freiwillig zu den Grenztruppen gemeldet. Seine Eltern sind vor zwei Jahren vor der russischen Großinvasion geflohen, sie leben jetzt in Kyjiw. Aber sie wollten ihren Sohn in ihrem Heimatort beerdigen. Nadia, seine Mutter, sagt, sie hoffe, dass die Russen ihr ihren Sohn nicht ein zweites Mal nehmen: Erst haben sie ihn getötet, jetzt drohen sie, auch den Ort einzunehmen, wo er beerdigt ist. Die Frau, die über seinem offenen Sarg steht, ist seine Großmutter, die um ihren Enkel weint. Neben ihr steht Dimas Freundin Sofia, sie hält seine Mutter an der Hand. 

    Drei Generationen, aber die Gesichter der Frauen sind vom Schmerz so verzerrt, dass es fast aussieht, als wären alle im gleichen Alter. 

    Ja, das ist mir in der Ukraine häufig aufgefallen, besonders bei Soldaten: Ich habe Soldaten gesehen, die waren Ende 20, aber sie sahen aus wie Ende 40.  

    Sie berichten seit Beginn der russischen Großinvasion aus der Ukraine. Nach der Befreiung von Butscha waren Sie dort eine der ersten Journalistinnen. Verschmelzen eigentlich die Schrecken, die sie gesehen und fotografiert haben irgendwann zu einer ununterscheidbaren Masse?  

    Ich bin trotz allem jedes Mal neu betroffen. Dieses Bild ist für mich eines, auf dem man den Schmerz am deutlichsten sieht, den dieser Krieg verursacht. Ich habe fotografiert und dabei geweint. Es gibt aber auch manchmal Momente, in denen ich nicht fotografieren kann. Einmal wurde ich in einen Keller gerufen. Dort hatte eine Frau gerade ein Kind zur Welt gebracht, während draußen die Bomben fielen. Da habe ich es einfach nicht übers Herz gebracht, meine Kamera hochzunehmen. Die Umstände waren fürchterlich, aber gleichzeitig war es so ein besonderer Moment für die junge Mutter, den wollte ich ihr nicht kaputt machen.

    Fotografie: Johanna-Maria Fritz / Ostkreuz
    Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
    Interview: Julian Hans
    Veröffentlicht am: 23.02.2024

     

    Weitere Themen

    Das Massaker von Butscha

    Revolution der Würde

    „Wir erleben einen historischen Umbruch, dessen Epizentren die Ukraine und Belarus sind“

    Christopher Nunn: War Rooms