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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Es geht darum, den Gegner möglichst schmerzhaft zu treffen“

    „Es geht darum, den Gegner möglichst schmerzhaft zu treffen“

    Treffen sich neun Staats- und Regierungschefs, und nur einer spricht – rund eine Schulstunde lang. Über diese Episode, die sich Ende Dezember in Moskau ereignet hat, sind in Russland viele Anekdoten entstanden: Über die verdutzten Vertreter von GUS-Staaten, die der russische Präsident als Schuljungen dastehen lasse. Und über Putin selbst, der in seiner sogenannten „Geschichtsstunde“ neueste Erkenntnisse über die vermeintlich eigentlichen Verursacher des Zweiten Weltkriegs präsentiere. 

    Die Episode wiederholte sich kurze Zeit später im russischen Verteidigungsministerium, außerdem kündigte Putin an, einen Artikel zu der Schuldfrage zu veröffentlichen. Die Angelegenheit scheint dem Präsidenten offenbar so wichtig, dass einige Beobachter seine Ausführungen nun auch als „neue Münchner Rede“ bezeichnen. Diese Rede von 2007 gilt vielerorts als die antiwestliche Wende in der russischen Außenpolitik.

    Vor allem aus Polen hagelt es nun Kritik an Putins Worten: Politiker, Historiker und jüdische Gemeinden stemmen sich vehement gegen die Deutung des russischen Präsidenten, der sagte, die Schuld am Holocaust trügen mehr oder weniger alle. Polens Präsident Andrzej Duda hat nun sogar angekündigt, nicht nach Israel zum World Holocaust Forum zu fliegen – weil Putin daran teilnehmen werde. Zum Auftakt der Gedenkfeiern zur Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren werden dort am 23. Januar 47 Staats- und Regierungschefs erwartet, Putin soll eine Rede halten.

    Worin besteht die neue geschichtspolitische Offensive des russischen Präsidenten? Und warum sind die Menschen in Polen so verärgert darüber? Diese Fragen hat die Novaya Gazeta Alexej Miller gestellt, Geschichtsprofessor an der Europäischen Universität Sankt Petersburg.

    Bereits im Jahr 2005 besuchte Putin die Gedenkstätte in Yad Vashem / Foto © kremlin.ru
    Bereits im Jahr 2005 besuchte Putin die Gedenkstätte in Yad Vashem / Foto © kremlin.ru

    Andrej Lipski: Putin hat wiederholt auf das Münchner Abkommen von 1938 verwiesen. Damit wird der Auffassung, die „beiden Totalitarismen“ seien für den Kriegsausbruch verantwortlich, eine andere gegenübergestellt: Demnach sind alle politischen Akteure der Vorkriegszeit auf ihre Weise mitschuldig – alle haben Dreck am Stecken.

    Im gegenwärtigen Stadium trifft das vor allem die ratlosen und verärgerten Polen – die ersten Opfer des Zweiten Weltkriegs und des Molotow-Ribbentrop-Pakts, die ihrerseits das Narrativ von den „zwei Verantwortlichen“, das der Kreml kategorisch ablehnt, besonders aktiv vorantreiben.

    Alexej Miller: Putins Vorschlag war: Sprechen wir doch über den Molotow-Ribbentrop-Pakt, das Münchner Abkommen und andere Umstände der Vorkriegsgeschichte mit Blick darauf, dass alle mehr oder weniger schuldig sind. In gewissem Sinn entspricht das der alten, vormaligen Nachkriegstradition der europäischen Erinnerungskultur. Auch hier ging man davon aus, dass alle auf die eine oder andere Weise Mitschuld am Holocaust tragen.

    Die osteuropäischen Länder, vor allem Polen und die baltischen Staaten, lehnen jedoch jede Mitverantwortung ab. Das alles hat schon vor recht langer Zeit begonnen. 2009 hat das EU-Parlament beschlossen, den 23. August zum Europäischen Gedenktag für die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus zu erklären. Im ursprünglichen Entwurf war die Rede vom Gedenken an die Opfer „totalitärer und autoritärer Regime“. Im Abschlussdokument wurde das Wort „autoritär“ jedoch gestrichen – auf Druck der Vertreter osteuropäischer Länder, in denen es in der Vorkriegszeit autoritäre Regime gab, mit allem was dazugehört, einschließlich antisemitischer Ausschreitungen.

    Statt sich auch mit den eigenen Verfehlungen auseinanderzusetzen, schlug man lieber das bequeme Konzept der ‚beiden totalitären Systeme‘ vor

    Statt sich auch mit den eigenen Verfehlungen auseinanderzusetzen, schlug man lieber das bequeme Konzept der „beiden totalitären Systeme“ vor: Sie sind für alles verantwortlich und sonst niemand.
    Den Vorschlag, alle sollten miteinander über ihre gemeinsame Schuld sprechen, hat Putin in seiner Rede bei den Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs am 1. September 2009 auf der Westerplatte in Polen gemacht.

    Aber dort hat er sich zum Molotow-Ribbentrop-Pakt ganz anders geäußert, als es die Vertreter der russischen Regierung heute tun. 

    Es ist ein schwerer Fehler, dass wir nicht daran festgehalten haben und jetzt stattdessen von einem großen Sieg der Sowjetdiplomatie geredet wird. Man muss schon sehr weltfremd sein, um den Molotow-Ribbentrop-Pakt so zu beschreiben.

    Man muss schon sehr weltfremd sein, um den Molotow-Ribbentrop-Pakt als großen Sieg der Sowjetdiplomatie zu beschreiben

    Putin und [der damalige polnische Ministerpräsident] Tusk traten 2009 übrigens quasi als Duett auf: Es gehe darum, das schwere Erbe der Vergangenheit zu überwinden und sich um Versöhnung und gegenseitiges Verständnis zu bemühen. So stellte Tusk damals fest, die Sowjetarmee habe zwar keine Freiheit bringen können, da sie selbst nicht frei gewesen sei; sie habe jedoch die Befreiung vom Nationalsozialismus gebracht. Putin stand daneben und nickte. Und dann kam [der damalige polnische Staatspräsident Lech – dek] Kaczynski, der gleich am nächsten Tag demonstrativ eine Resolution in den Sejm einbrachte, die forderte, das Massaker von Katyn als Völkermord anzuerkennen.

    Wir sprechen oft von einer „politischen Instrumentalisierung der Vergangenheit“. Aber die kann auf sehr unterschiedliche Art stattfinden. Putin und Tusk haben die Vergangenheit „instrumentalisiert“, um zur Entspannung und zum Streben nach Versöhnung beizutragen. Kaczynski hat sie benutzt, um diese Bemühungen offen zu torpedieren. 

    Leider hat Letzteres, die Logik der Konfrontation, heute gesiegt. Wozu sich verständigen, „einen Schlussstrich ziehen“, „weiße Flecken“ ausfüllen und die „schwarzen Flecken“ auswaschen, wozu sich versöhnen, die Vergangenheit überwinden und Freundschaft schließen? … Heute hat der Rückgriff auf die Vergangenheit einen anderen Sinn: Es ist ein Vernichtungskrieg; keine Seite hat vor, Frieden zu schließen.

    Was hat Putin denn jetzt zu seiner „Geschichtsstunde“ bewogen?

    Ich kann da nur Vermutungen anstellen. Zunächst wohl die Resolution des EU-Parlaments, die am 19. September 2019 angenommen wurde. Sie hat nicht nur Wut ausgelöst, sondern wegen ihrer schwerwiegenden politischen Implikationen auch für ernsthafte Besorgnis gesorgt. 

    Als sich Putin die Resolution genau ansah, wurde ihm bewusst, dass das eine Initiative von polnischen Abgeordneten im Europäischen Parlament war. So kann man erklären, wie es in Putins Geschichtsstunde zu der Kritik an Polens Politik vor dem Zweiten Weltkrieg kam, und weshalb er den damaligen polnischen Botschafter in Deutschland als Antisemit beschimpfte.

    Ein weiterer naheliegender Grund ist Putins bevorstehende Israel-Reise zum Welt-Holocaust-Forum im Januar [am 23.1.2020 – dek]. Angenommen, das war reine Taktik, so ist sein Plan aufgegangen: Der polnische Präsident Andrzej Duda wird nicht dorthin fahren. Das hat auch eine Vorgeschichte: Als sich letztes Jahr der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal jährte, haben die Polen Putin nicht zur Gedenkveranstaltung eingeladen.

    Schon früher gab es Resolutionen oder Ähnliches, in denen „die beiden totalitären Regime“ für die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs verantwortlich gemacht wurden. Warum jetzt auf einmal eine solche Reaktion auf die Resolution des EU-Parlaments vom September? 

    Diese Resolution ist nicht einfach eine von mehreren; sie ist speziell. Wenn das Thema früher vor allem für Osteuropa (vor allem für Polen und die baltischen Länder) wichtig war, haben diesmal bis auf die paar Dutzend linke Abgeordnete alle Parlamentarier dafür gestimmt. Das ist das eine.

    Pelewin: „Demnächst wird man uns auch noch die Verantwortung für den Holocaust zuschieben“

    Außerdem sieht der Kreml die Sache womöglich so: Im September wurde die Resolution vom Europäischen Parlament angenommen. Bis Dezember hat sich kein einziger europäischer Staats- oder Regierungschef dazu geäußert – also finden das offenbar alle in Ordnung. Wenn wir nun nicht darauf reagieren, wird diese Position zur neuen Norm.

    Viktor Pelewin hat schon 2015 geschrieben: „Man hat uns schon zusammen mit Hitler für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht, demnächst wird man uns auch noch die Verantwortung für den Holocaust zuschieben.“
    Wenn das damals vielleicht ein bisschen komisch erschien, so gibt es heute darüber nichts mehr zu lachen – die Tendenz ist ja wirklich spürbar. Und in dieser Situation kann man Putins Entscheidung, die Diskussion auf die höchste Ebene zu bringen, als Kampfansage an andere Staatslenker und führende Politiker verstehen: „Wenn ihr glaubt, dass ihr damit einfach so durchkommt, ohne harte Diskussion, dann habt ihr euch getäuscht.“

    Du beschäftigst dich schon seit Langem mit dem Phänomen der Geschichtspolitik und auch mit den „Erinnerungskriegen“, die daraus hervorgehen. Wozu ist das gut?

    Als ich mich diesem Thema in den frühen 2000er Jahren zuwandte, geschah das aus dem Interesse des Historikers heraus, der feststellte, dass die Berufung auf die Geschichte zunehmend der Konfrontation dient statt der Verständigung und Versöhnung. Als Wendepunkt sehe ich das Jahr 2004. Damals haben die Polen begonnen, die Geschichtspolitik offen als wesentlichen Teil des politischen Instrumentariums zu bezeichnen.

    Jahrelang war mein wichtigstes Motiv, meine wichtigste Botschaft: „Leute, was soll das? Begeben wir uns doch nicht in diesen Sumpf!“ Aber irgendwann war klar, dass wir schon mittendrin stecken.

    ‚Begeben wir uns doch nicht in diesen Sumpf!‘ Aber irgendwann war klar, dass wir schon mittendrin stecken

    Dann fängst du an, die Mechanismen dieser Erinnerungskriege zu erforschen – wer sie betreibt und wie sie geführt werden. Und du begreifst, dass dein Land so oder so in all das verstrickt ist. Du kannst nicht sagen: „Streitet ihr euch nur, wir halten uns da raus“, weil der Streit zu dir nach Hause kommt. Du äußerst dich dazu, wie sich dein Land unter diesen Umständen hätte verhalten sollen. Du wirst nicht zum offiziellen Geschichtskrieger, aber du sagst öffentlich, was deiner Meinung nach zu tun wäre. Und schon bist du in gewissem Sinn selbst in die ganze Sache verwickelt. Das ist ein sehr schwerwiegendes berufliches und moralisches Problem.

    Mit welchen Mechanismen und Instrumenten wird Geschichtspolitik umgesetzt? Wer befasst sich damit und wer ist dafür verantwortlich?

    Erstens gibt es in einigen Ländern staatliche Einrichtungen, die als Institute für Nationales Gedenken bezeichnet werden (zum Beispiel in Polen und in der Ukraine), oder beispielsweise Kommissionen zur Untersuchung der Schäden durch die sowjetische Besatzung. Es gibt Museumseinrichtungen, etwa die Museen zur Besatzungsgeschichte in Riga, Vilnius, Tallinn, Tbilissi und Kiew. Manche waren ursprünglich privat und sind dann zu staatlichen Institutionen geworden. 
    Dann gibt es auch Aktivitäten von außenpolitischen Behörden, sowohl öffentliche als auch nichtöffentliche.

    Die offiziellen Erklärungen der Außenministerien kennen wir. Aber wie agieren sie nichtöffentlich?

    Wenn etwa in Deutschland jemand etwas sagt, das dem litauischen Außenministerium missfällt, bombardiert die litauische Botschaft in Deutschland verschiedene Institutionen mit Briefen, unter anderem auch Universitäten. Ich spreche hier von realen Geschehnissen. Das ist kein konstruiertes Beispiel.

    Haben sich neben Putin auch andere führende Politiker an Erinnerungskriegen beteiligt?

    Bis vor kurzem kam das öffentlich praktisch nicht vor. Allerdings hat der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin im September 2016 eine Rede in der Werchowna Rada der Ukraine gehalten, in der er an die aktive Beteiligung ukrainischer Nationalisten an der Ausrottung der Juden während des Krieges erinnerte.

    Und was sehen wir in Russland?

    Russland war sehr spät dran. In den 1990er Jahren war der Hauptakteur des historischen Gedächtnisses die NGO Memorial. Und ein wenig auch die Russisch-Orthodoxe Kirche. Dann hat die Regierung so idiotische Institutionen geschaffen wie die Kommission beim Präsidenten zur Bekämpfung von Versuchen der Geschichtsfälschung, die von 2009 bis 2014 bestand und dann sang- und klanglos wieder verschwand. 
    2012 erschienen Organisationen auf der Bildfläche, die offiziell als NGOs auftreten, aber eng mit der Regierung verbunden sind und von ihr kontrolliert werden: Die Historische Gesellschaft Russlands und die Russische Militärhistorische Gesellschaft. Die 2008 gegründete Stiftung Historisches Gedächtnis erweiterte ihr Tätigkeitsfeld und wurde gezielt auf die Erinnerungskriege ausgerichtet.

    Ebenfalls 2012 wurde das Gesetz über „ausländische Agenten“ verabschiedet, das vor „schädlichen“ Einflüssen und Fördergeldern aus dem Ausland schützen sollte, auch auf dem Gebiet des historischen Gedenkens. Zugleich fing der Staat an, erhebliche Mittel in diesen Bereich zu pumpen, und zwar nicht nur in die größten Non-Profit-Organisationen.

    Seither erhalten viele Leute staatliche Fördermittel für historische Forschung, und das wirkt sich irgendwann darauf aus, wie sie ihre Fragen formulieren.

    Zur gleichen Zeit setzte übrigens auch die Arbeit an einem historischen und kulturellen Bildungsstandard ein. Und 2013 markiert auch den Beginn der Großausstellungsreihe Russland – Meine Geschichte. Diese Ausstellungen werden dann unter derselben Bezeichnung in ständige Geschichtsparks umgewandelt.

    Das offizielle Russland hat spät mit der Institutionalisierung der Erinnerungspolitik begonnen. Sie ist hierzulande in vielerlei Hinsicht reaktiv.

    Erinnerungspolitik ist hierzulande in vielerlei Hinsicht reaktiv 

    Ist der einzige Verbündete Russlands bei der Interpretation des Gedenkens an den Krieg heute der Staat Israel, für den der Holocaust nach wie vor das zentrale Thema darstellt?

    Für Russland ist das Thema Holocaust im Zusammenhang der Erinnerungskriege eher von Vorteil, weil die sowjetische Armee den Holocaust im Endstadium gestoppt und die Nazis besiegt hat. Und obwohl es durchaus auch Russen gab, die am Holocaust beteiligt waren, ist das nicht zu vergleichen mit dem, was in der Ukraine und in den baltischen Staaten geschah. Vor allem werden solche Leute in unserem Land nicht heroisiert, und das unterscheidet unsere Geschichtspolitik grundlegend von derjenigen dieser Länder. Natürlich hat nicht jedes Mitglied der ukrainischen OUN Juden ermordet.
    Aber wir wissen, dass in der Ukraine heute Hunderte von Denkmälern und Gedenktafeln für Menschen stehen, die sich am Holocaust beteiligt haben. Das ist der entscheidende Punkt. Von daher können wir gerade bei diesem Thema Seite an Seite mit Israel stehen.
    Und wenn Sie sich den Ablauf der Feierlichkeiten anschauen, die am 23. Januar in Israel stattfinden, dann sehen Sie, dass dort das frühere Kriegsnarrativ festgeschrieben wird. Es werden die Führer der Großmächte der Anti-Hitler-Koalition sprechen, natürlich die Israelis selbst und offenbar auch die Deutschen. Warum fährt der polnische Präsident Duda nicht dorthin? Nicht nur, weil Putin Polen „beleidigt“ hat. Sondern weil die Israelis ihm klargemacht haben, dass er nicht reden wird – schon gar nicht nach Putin als Erwiderung auf dessen Rede.

    Ich möchte noch einmal auf Putins Geschichtsstunde zurückkommen. War es nötig, dass der russische Staatschef selbst in die Erinnerungskriege eingegriffen hat?

    Ich halte das für einen Fehler. Wenn man sich im Kriegszustand befindet, überlegt man natürlich, wie man den Gegner möglichst schmerzhaft treffen kann – auch bei Erinnerungskriegen. Aber das sind taktische Erwägungen. 

    Wenn man sich im Kriegszustand befindet, überlegt man natürlich, wie man den Gegner möglichst schmerzhaft treffen kann – auch bei Erinnerungskriegen

    Die andere Frage ist, wie man aus dem Krieg wieder herauskommt. Man kann ja nicht davon ausgehen, dass er endlos weitergeht – kein Krieg dauert ewig. Außerdem hat ein solcher Krieg es an sich, dass man zu seiner Geisel werden kann. Bis vor kurzem – als Russland zusah, wie die osteuropäischen Länder die Erinnerungskriege vom Zaun brachen – appellierte es noch an die Führer der größeren westlichen Mächte …

    … an die Mächte des sogenannten Alten Europa …

    … sie sollten ihren „Juniorpartnern“ klarmachen, dass das falsch ist. Und jetzt müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Juniorpartner praktisch allen ihre Agenda aufgezwängt haben, weil die Seniorpartner sich da heraushalten wollten und glaubten, sie könnten hier nachgeben, um die westliche Solidarität nicht zu verletzen. Wenn man in einer solchen Situation auf höchster Ebene interveniert, trägt das nur dazu bei, die allgemeine Konfrontation zwischen Russland und dem Westen noch zu verschärfen. Es wird sehr schwer, da wieder herauszukommen. 

    Wozu sind denn all diese NGOs gegründet worden? Es gibt doch mit Wladimir Medinski, dem Kulturminister und Vorsitzenden der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft eine sehr effektive Waffe. Lasst ihn alles sagen, was er innerhalb der Logik der Erinnerungskriege für nötig hält, und haltet das Staatsoberhaupt aus diesem Streit heraus, der verheerend ist, vor allem für die Reputation. 
    Aus strategischer Sicht ist es wichtig, dass der Staatschef Manövrierraum hat, dass er über den Querelen steht und die Möglichkeit wahrt, einen Ausweg aus dem Krieg zu finden. Das zählt mehr als taktische Erfolge – wobei noch gar nicht erwiesen ist, dass die überhaupt erzielt wurden.

    Es ist noch zu früh, um die Folgen abzuschätzen, aber es ist immer eine schwache Entscheidung, wenn in der Politik die Taktik über die Strategie siegt.

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  • „Wir haben einen hybriden Krieg“

    „Wir haben einen hybriden Krieg“

    Dimitri Trenin leitet das Moskauer Zentrum des US-amerikanischen Carnegie Endowment for International Peace, das als einer der einflussreichsten Thinktanks der Welt gilt. Dabei teilt Trenin nicht alle klassischen Positionen des liberalen Diskurses in Russland. 

    Im Interview mit der Novaya Gazeta spricht der renommierte Politologe sehr kritisch über die russischen Beziehungen zum Westen im Allgemeinen und zu den USA im Besonderen. Und darüber, was das alles noch mit dem Kalten Krieg zu tun hat.

    Andrej Lipski: Die Beziehungen zu den USA sind immer die reinste Achterbahnfahrt: Mal geht es hoch in die Luft, mal steil bergab. Wenn wir die derzeitige Krise vergleichen wollen, stellt sich die Frage, wodurch sie sich von anderen Einbrüchen in den Beziehungen unterscheidet, insbesondere von dem während der Blockkonfrontation, im Kalten Krieg.

    Dimitri Trenin: Erstens denke ich nicht, dass das eine Krise ist. Meiner Ansicht nach war die Krise ungefähr Anfang 2015 vorbei. Eine Krise ist ja ein zeitlich recht begrenzter Zustand, ein Bruch, ein Übergang von einem Zustand in einen anderen.

    Bis 2014 gab es einen Zustand, bei dem die Zusammenarbeit mit dem Westen überwog. Sie verschlechterte sich, war nicht besonders eng, aber es gab sie immerhin.

    Seit 2014 – und bis 2015 hatte sich das endgültig verfestigt – gibt es überwiegend Rivalität und Feindschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika, bei einer gleichzeitigen Entfremdung von Europa.

    Ich bezeichne den jetzigen Zustand als „hybriden Krieg“. Ende Februar 2014, als ich die Folgen der russischen Operation auf der Krim im Gefolge der Ereignisse in Kiew, nach dem Maidan und dem Machtwechsel einzuordnen versuchte, da hatte ich den Begriff „neuer Kalter Krieg“ verwendet. Den habe ich aber bald fallengelassen und stattdessen von einem hybriden Krieg gesprochen, einfach, um diesen weit verbreiteten Terminus zu verwenden. Gleichzeitig macht er deutlich, dass es sich um eine Konfrontation handelt, die zwar auf dem gleichen Niveau und für Russland mit der gleichen Relevanz wie der Kalte Krieg besteht (das Wort „Krieg“ ist präsent, auch wenn mich viele deswegen kritisiert haben), aber dennoch eine andere ist.

    Erst hatte ich den Begriff neuer Kalter Krieg verwendet. Jetzt spreche ich von einem hybriden Krieg

    Wenn wir jetzt von einem „neuen Kalten Krieg“ sprächen, würden wir gewissermaßen eine Wiederholung dessen erwarten, was sich in den 1940er bis in die 1980er Jahre abspielte. Die Welt hat sich jedoch geändert, und es wird keine Wiederholung geben; wir würden dadurch unsere Orientierung verlieren. Und würden jene neuen Dinge außer Acht lassen, die geschehen und geschehen werden und die es in den Zeiten des Kalten Krieges nicht gegeben hat. Das würde uns auf der intellektuellen Ebene entwaffnen.

    Und worin unterscheidet sich die derzeitige Konfrontation vom Kalten Krieg?

    In vielem. Erstens ist es kein systembildendes Phänomen. Ein solches ist der Kalte Krieg aber für das gesamte System der internationalen Beziehungen gewesen. Der derzeitige amerikanisch-russische hybride Krieg ist von großer Bedeutung, ist aber nicht zentral für die internationalen Beziehungen als Ganzes. Und zweitens handelt es sich um einen höchst asymmetrischen Krieg. Die UdSSR war den USA militärisch, politisch und ideologisch und sogar zum Teil ökonomisch gewissermaßen ebenbürtig. Heute aber hinkt Russland den Vereinigten Staaten bei den meisten Parametern nationaler Stärke hinterher.

    Der Kalte Krieg war etwas Statisches. Die Welt war geteilt. Es existierte ein Eiserner Vorhang, es gab die Berliner Mauer … Der derzeitige hybride Krieg wird unter den Bedingungen der Globalisierung geführt, und er läuft am aktivsten in Sphären, die allen zugänglich sind. 

    Der Krieg damals war zweidimensional – jetzt befinden wir uns in 3D

    Angefangen bei der Wirtschaft, wo die Sanktionen wirken, über die Medien, wo ein harter Informationskrieg geführt wird, bis hin zum Cyberbereich … Und so weiter und so fort. 
    Wenn der Krieg damals zweidimensional war, so befinden wir uns jetzt in 3D. Es gibt keine Frontlinie, keine klare Abgrenzung zwischen dem eigenen Territorium und dem des Gegners. Es gibt noch eine Reihe weiterer Besonderheiten. Das Militärische ist präsent, aber nicht dominierend. Es gibt einen Rüstungswettlauf, der steht aber nicht im Zentrum. Und ich sage es noch einmal:

    Russland hat in diesem Krieg keinen einzigen Verbündeten, nicht einmal unter seinen engsten Partnern. Niemand hat sich Russland angeschlossen. Und es wird sich auch niemand anschließen, solange Russland auf der Gegenseite nicht nur mit den Vereinigten Staaten Probleme hat, mit denen es sich in einer direkten Konfrontation befindet, sondern auch mit den Ländern Europas, die meiner Ansicht nach im Großen und Ganzen nicht in Konfrontation zu Russland stehen.

    Während des klassischen Kalten Krieges und insbesondere während der Kubakrise hat die Angst vor einer Atomkatastrophe von einem Krieg abgehalten. Danach verflüchtigte sich diese Angst allmählich. Perestroika, Reykjavík, das „neue Denken“, der Zusammenbruch des Kommunismus, der Zerfall der UdSSR, des Warschauer Paktes, das Ende der Konfrontation, des Kalten Krieges. Man konnte sich entspannen und die Rüstungsausgaben senken. 


    Die Gesellschaft zitterte nicht mehr vor Angst und glaubte nicht mehr an die Bedrohung durch einen langjährigen potenziellen Feind. Besteht nicht genau darin paradoxerweise die neue Gefahr, wenn sich die Konfrontation wiederum verschärft?

    Natürlich war der Kalte Krieg sehr viel gefährlicher für die menschliche Existenz als die Zeit jetzt. Seinerzeit gab es nicht nur ein Gefühl von Gefahr, sondern echte Gefahr. Ein massiver Atomschlag galt als durchaus real. Und wie wir wissen, gab es im Laufe des Kalten Krieges einige Fälle, bei denen der Finger über dem roten Knopf schwebte, weil die Geräte zeigten, dass es losgeht, oder weil sie irgendwas zeigten, was als massiver Raketenschlag gewertet werden konnte.

    Aber ich stimme in der Tat zu, dass die fehlende Angst vor einem realen Atomschlag die Illusion entstehen lässt, man könne militärische Gewalt einsetzen und gleichzeitig eine Eskalation im Sinne einer atomaren Auseinandersetzung ausschließen. 

    "Für die Amerikaner spielt die Außenpolitik im Prinzip eine zweitrangige Rolle." – Putin und Trump beim G20-Gipfel in Hamburg © kremlin.ru
    „Für die Amerikaner spielt die Außenpolitik im Prinzip eine zweitrangige Rolle.“ – Putin und Trump beim G20-Gipfel in Hamburg © kremlin.ru

    Meiner Ansicht nach standen wir 2016 in Syrien ziemlich dicht vor der Aussicht auf einen russisch-amerikanischen Krieg, als Hillary Clinton und ihre Berater im Wahlkampf verkündeten, sie werde, falls sie Präsidentin werde, über Syrien eine Flugverbotszone ausrufen. Was eine Flugverbotszone bedeutet, haben wir nach Libyen sehr wohl verstanden. Dann hätte die russische Führung – die zu diesem Zeitpunkt in Syrien schon über Streitkräfte verfügte, einschließlich einer Luftwaffenkomponente – vor der Wahl gestanden, sich entweder aus Syrien zurückzuziehen und die Amerikaner dort nicht zu stören oder die Flugverbotszone zu verletzen und mit den Amerikanern in bewaffneten Kontakt zu geraten. Wenn ich das richtig verstehe, waren Hillary Clinton und die Leute an ihrer Seite durchaus entschlossen. Und wenn die Vorschläge von Frau Clinton umgesetzt worden wären, hätten sie den Weg zum ersten russisch-amerikanischen Krieg geebnet.

    Es ist eine Illusion, dass eine atomare Eskalation ausgeschlossen ist

    Es gibt noch andere Bereiche, in denen wir mit den Amerikanern aneinandergeraten könnten: Ich meine heftige Cyberattacken. Nicht das, was wir bisher gesehen haben, sondern beispielsweise, eine ganze Stadt, die lahmgelegt wird, oder ein großes Kraftwerk wird abgeschaltet, oder sonst was, was als feindseliger Akt eines anderen Staates gewertet werden könnte. Es kann zu Zwischenfällen mit Flugzeugen oder Kriegsschiffen kommen, vielleicht über dem Baltikum, vielleicht über dem Schwarzen Meer, wo es ja schon vorkam, dass man dicht aufeinander zuflog oder -navigierte. Die Möglichkeit von Zusammenstößen besteht also, und sie muss ernstgenommen werden.

    Es gibt recht viele unterschiedliche Erklärungen für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und den Staaten. Viele von ihnen sind oberflächlich, nicht überzeugend, einige sogar lächerlich. Wahrscheinlich gibt es wohl fundamentale Gründe für die Widersprüche zwischen unseren Ländern. Versuchen wir also, auf den Grund vorzustoßen, wie die Archäologen sagen.

    Beschreiben würde ich das so: Nach jedem großen Konflikt, in jedem Krieg – und der Kalte Krieg war ein großer Konflikt und einem Krieg gleichzusetzen – gibt es Sieger und Besiegte. Wenn wir den Kalten Krieg aus geopolitischer Perspektive betrachten, so haben die Vereinigten Staaten und deren Verbündete gesiegt, und die Sowjetunion oder Russland, das seinerzeit Sowjetunion hieß, hat ihn verloren. Außerdem hat Russland eine sehr schmerzhafte Transformation durchgemacht, nachdem es den Kommunismus abgeschüttelt hatte. 

    Nach jedem Krieg gibt es zwei grundlegende Optionen. Entweder organisiert die siegreiche Seite auf den Ruinen des Krieges den Frieden auf eine Weise, dass die unterlegene Seite zu akzeptablen Bedingungen in ein neues System eingebunden wird. Das ist die eine Option.

    Der Westen hat die Interessen Russlands nicht berücksichtigt

    Die andere besteht darin, das besiegte Land außerhalb des [neuen] Systems zu belassen und es zu zwingen, den bitteren Kelch des Unterlegenen zu leeren, wie es beispielsweise Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg erging.

    Ich will nicht sagen, dass der Westen Russland nach dem Ende des Kalten Krieges gezwungen hätte, diesen bitteren Kelch zu leeren. Aber Russland musste die Folgen seiner geopolitischen Niederlage anerkennen. Und den Umstand, dass die Welt im Großen und Ganzen nicht unbedingt unter Berücksichtigung von Russlands Meinung eingerichtet wird, dass Russland nicht zu den Bedingungen in das neue Sicherheitssystem in Europa einbezogen wird, die es für sich als akzeptabel erachtet. Der Westen hat die Interessen Russlands nicht berücksichtigt.

    Nehmen wir einmal an, die Vereinigten Staaten hätten Russland in die NATO aufgenommen, wie das Jelzin wollte und wie Putin es anfänglich versuchte. Was wäre geschehen? Herausgekommen wäre eine ziemlich fragmentierte euroatlantische Welt, in der den USA vorgeschlagen worden wäre, auf einem Spielbrett mit den führenden EU-Staaten zu agieren – und diese drei führenden Staaten wiederum hätten ein Triumvirat Berlin – Paris – Moskau bilden können gegen oder sagen wir neben dem Bund Washington – London.

    Dimitri Trenin / © Svetlana TB/CC BY-SA 4.0
    Dimitri Trenin / © Svetlana TB/CC BY-SA 4.0

    Russland hätte, so denke ich, seine Lage ein paar Jahre lang genossen, es hätte angenommen, dass es das zweitmächtigste und zweiteinflussreichste Land der NATO ist, so eine Art „Vizepräsident der euroatlantischen Allianz“. Doch recht bald schon hätte Russland größere Ansprüche erhoben – auf einen gemeinsamen Vorsitz. Und Russland hätte dann Koalitionen gesucht, um seine Positionen zu stärken, vor allem mit Ländern wie Deutschland oder Frankreich. 
    Die Frage ist nun: Was wäre von der NATO unter solchen Bedingungen geblieben? Und wo wäre die amerikanische Führung geblieben, die amerikanische Vorherrschaft, und was hätten die Vereinigten Staaten durch eine Aufnahme Russlands in die NATO gewonnen?

    Ausgehend vom Primat der Eigeninteressen der USA, vom Primat ihres nationalen Egoismus, können wir zu dem Schluss gelangen, dass die amerikanische Weigerung, Russland in die NATO aufzunehmen, kein Ergebnis strategischer Kurzsichtigkeit war, sondern das einer recht nüchternen Kalkulation der Folgen.

    Und Putin hat das ernsthaft vorgeschlagen?

    Ich denke, ja. Der Putin der frühen 2000er Jahre wollte ein Bündnis mit dem Westen, da habe ich keine Zweifel. Nur hat Putin in den fast zwei Jahrzehnten, die er an der Macht ist, eine ganz beträchtliche Evolution vollzogen, unter anderem im Bereich der Außenpolitik.

    Um es also zusammenzufassen: Der jetzige Konflikt zwischen Russland und Amerika ist eine Folge dessen, dass nach dem vorangegangenen Konflikt keine Regelung gefunden wurde, die sowohl die unterlegene als auch die Siegerseite zufriedengestellt hätte. Wenn die Verliererseite, wie die Geschichte zeigt, stark genug ist, über genug Ressourcen verfügt und – das ist die Hauptsache – den nötigen Willen und die Bereitschaft hat, sich dem Gegner zu widersetzen, dann muss man nur eine Weile warten, bis der Konflikt erneut ausbricht.

    In Russland akzeptieren die herrschende Schicht und die Gesellschaft keine Dominanz durch jemand anderen

    Was haben die Amerikaner nicht bedacht? Sie haben nicht bedacht, dass Russland eines der wenigen Länder ist, in denen die herrschende Schicht und die Gesellschaft (aus einer Reihe von Gründen, über die wir lange reden können) ganz prinzipiell keine Dominanz durch jemand anderen akzeptieren. Und die bereit sind, einen hohen Preis zu zahlen, um nicht zum Objekt dieser Dominanz zu werden.

    Russland wiederum hat im Grunde den Platz, der ihm in der Welt nach dem Kalten Krieg angeboten wurde, aus einem ganz bestimmten Grund ausgeschlagen.

    Die Eintrittskarte in das System schien recht günstig – es musste lediglich die Führung der Vereinigten Staaten von Amerika ernsthaft anerkannt werden: Wenn ihr die anerkennt, dann werdet ihr ins Zimmer gelassen und dann, nun ja, da ist dann vieles möglich, aber ihr seid ein Teil unserer Welt.

    Und in dieser Welt befanden und befinden sich jetzt die unterschiedlichsten Länder, die längst nicht alle Demokratien sind, die längst nicht alle in sämtlicher Hinsicht sauber sind. Doch sie alle aber befinden sich dort, weil sie das Primat der amerikanischen Führung anerkennen.

    Russland hat versucht, auf irgendeine Art durch diese Tür zu kommen; einige russische Führungskräfte haben das erklärt und sind wohl persönlich bereit gewesen, etwas zu unternehmen, doch wurden sie von der Gesellschaft und der Elite zurückgezogen. 

    Und Russland weigerte sich, eine amerikanische Führung anzuerkennen. Als das klar wurde, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann und unter welchen Bedingungen Russland mit den Vereinigten Staaten zusammenstoßen würde. Weil die USA prinzipiell und niemals eine Gleichstellung mit einem anderen Land akzeptieren, nicht einmal mit China, wenn Amerika im nach Dollar bemessenem Bruttoinlandsprodukt von ihm überholt werden sollte.

    Unsere Propaganda wie auch Politiker sagen gern, dass die zunehmende Verschlechterung der Beziehungen zu den USA unter Trump eine Folge der internen Widersprüche in der amerikanischen Elite sei. Und Trump – obwohl er bereit ist, sich mit uns zu arrangieren – sei genötigt, Härte zu zeigen, um die demokratischen Opponenten in Schach zu halten und den Verdacht eines Komplotts mit den Russen loszuwerden.
    Wie stark wirkt dieser Faktor auf die Krise in unseren Beziehungen zu den USA?

    In den USA ist die Innenpolitik das Allerwichtigste. Für die Amerikaner spielt die Außenpolitik im Prinzip eine zweitrangige Rolle, da sie ausschließlich den internen Interessen Amerikas untergeordnet ist. Russland als solches gibt es für Amerikaner im Großen und Ganzen nicht. 

    Die Sanktionen zeigen, dass Russland für die Vereinigten Staaten keinen Wert darstellt

    Die Sanktionen belegen, dass Russland für die Vereinigten Staaten keinen Wert darstellt, deshalb werden alle Sanktionen so leicht akzeptiert. Wenn Russland einen Wert darstellen würde, wäre die Situation eine andere.

    Und weil es für Trumps Gegner nichts Wichtigeres gibt, als ihn zu Fall zu bringen, wird Russland als Knüppel eingesetzt, solange Trump an der Macht ist. Wenn Trump geht, dann können wir uns ausmalen, sollte es einen demokratischen Präsidenten geben, dass dieser zumindest anfänglich eine sehr harte Position gegenüber Russland einnehmen wird. 

    Bislang heißt es, dass Trump den Russen gegenüber zu milde sei, dass er, selbst wenn er all die Sanktionsgesetze und -erlasse unterzeichnet hat, in Wirklichkeit eine gewisse Warmherzigkeit gegenüber Russland empfinde. Und dass er sogar von Putin abhängig sei. Meiner Ansicht nach ist das völliger Schwachsinn, doch der findet bei jenen, die daran glauben, ein sehr großes Publikum. Deshalb denke ich, dass der Beginn der nächsten Präsidentschaft ebenfalls sehr schwer würde für die Beziehungen.

    Und es gibt noch einen Faktor. Keiner der in der amerikanischen Innenpolitik profilierten führenden Politiker wird sich in der Kommunikation mit Putin sonderlich frei fühlen. Solange Putin an der Macht ist, wird es ganz erhebliche Vorbehalte auf amerikanischer Seite geben.

    Ist Putin für die Amerikaner toxisch?

    Genau. Sie fürchten ihn, und gleichzeitig hassen ihn viele. Die Dämonisierung Putins in den Augen der amerikanischen Öffentlichkeit macht jeden, der sich ihm zu sehr nähert, bereits zu einem potenziellen Verdächtigen.

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