дekoder | DEKODER

Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • „Die westlichen Linken verstehen nicht, was hier passiert“

    „Die westlichen Linken verstehen nicht, was hier passiert“

    Bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine galt Russland Teilen der Linken weltweit als globale Friedensmacht. Putin war in dieser Erzählung eine Art Fahnenträger des Kampfs gegen den US-amerikanischen Imperialismus und die NATO. Mit einem starken Staat und angeblich starken Gewerkschaftsbewegungen habe Russland demnach außerdem gegen den neoliberalen Mainstream und die Vormacht der globalen Konzerne gekämpft. Nicht selten wurde Russland so als ein Gegenentwurf zur imperialistischen, militaristischen und kapitalistischen Grundordnung des Westens verstanden.

    Mit dem 24. Februar 2022 scheint sich unter vielen linken Bewegungen weltweit ein Umdenken abzuzeichnen. Auch die deutsche Partei Die Linke hat den russischen Angriff auf die Ukraine „aufs Schärfste“ verurteilt. An dem klaren Nein zu Waffenlieferungen wird gerüttelt. Gleichzeitig fordern Bundestagsabgeordnete wie Klaus Ernst das Ende der Sanktionen, Sahra Wagenknecht wittert einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg“ gegen Russland, während andere zu Verhandlungen aufrufen – ohne jedoch an Russland zu appellieren, seine Truppen zurückzuziehen.

    Viele Linke weltweit würden immer noch einem verzerrten Russland-Bild anhängen, kritisiert der ukrainische Sozialist Taras Bilous. Für den Territorialverteidiger ist klar, dass man dabei den „Einfluss der russischen Propaganda nicht überbewerten“ sollte, dass die Gründe dahinter komplexer sind. 

    Im Interview mit Meduza kritisiert Bilous Klischees über Russland und die Ukraine im Westen und ruft zu einem Kampf für eine „Demokratisierung der Weltordnung“ auf.

    In Russland weiß man ziemlich wenig darüber, wie die ukrainische Politik aufgebaut ist, normalerweise wird das Thema nur im Kontext „prorussisch – prowestlich“ diskutiert. Erklären Sie uns bitte, welchen Platz Sie und Sozialny Ruch [dt. „Soziale Bewegung“] darin einnehmen.

    Hier muss man zunächst sagen, dass es in der Ukraine genau wie in Russland eine systemische und eine nicht-systemische Politik gibt.

    Da ist einerseits die Politik, die im Parlament und im Fernsehen stattfindet – das sind Parteien, die von Oligarchen gesponsert werden. Dann gab es – und gibt es teilweise noch – die alten Linksparteien wie die KPU. Ob man sie links nennt oder nicht, ist ein Thema für sich, aber sie hatten in vergangenen Jahren überhaupt keinen Einfluss mehr. Sie haben ihre Wählerschaft schon vor dem Maidan und den Gesetzen zur Entkommunisierung verloren, und als sie dann noch die repressiven Gesetze von Janukowitsch unterstützten, wanderten auch die Mitglieder massenweise ab.

    Eine Ebene darunter gibt es die Zivilgesellschaft. Auch da gibt es Parteien, aber die haben sich von unten gebildet und schaffen es normalerweise nicht ins Parlament.

    Der realistischste Weg für Aktivisten, ins Parlament zu kommen, ist über Listen von Politikern wie Swjatoslaw Wakartschuk. Wir haben versucht, unsere Partei registrieren zu lassen, aber es stellte sich heraus, dass das mit unseren bürokratischen und finanziellen Ressourcen zu schwierig ist. Andererseits schaffen es die Parteien, die im Parlament sitzen, in der Regel nicht, die Leute auf der Straße zu mobilisieren. Wie zum Beispiel die Partei Batkiwschtschina von Julia Timoschenko, die einfach Fahnenträger engagierte und bezahlte Demos veranstaltete. Genau wie die Partei der Regionen und die ganzen anderen. Aktivistische Organisationen kommen zwar nicht in die Regierung, aber dafür sind sie imstande, von unten Druck auf sie auszuüben.

    Das ist wohl eine der schwerwiegendsten Fehlkalkulationen von Putins Leuten. Sie haben das Mobilisierungspotential der ukrainischen Gesellschaft stark unterschätzt

    Die russischen Polittechnologen, die die Wahlen in der Ukraine vor Ort beobachtet haben, dachten, sie hätten unsere Politik verstanden – zumindest die, die vor Selensky da war; seit seiner Präsidentschaft hat sich vieles verändert. Das ist wohl eine der schwerwiegendsten Fehlkalkulationen von Putins Leuten. Sie haben das Mobilisierungspotential der ukrainischen Gesellschaft stark unterschätzt, darunter das der Freiwilligen-Organisationen, die seit Beginn des Krieges [2014] gegründet wurden. Ja, ein Teil von ihnen ging aus bereits bestehenden zivilgesellschaftlichen Institutionen hervor, aber viele wurden quasi von Null auf von einfachen Menschen und regionalen Leadern aufgebaut, die davor überhaupt nichts mit Politik zu tun hatten. Das haben die russischen Polittechnologen nicht kapiert.

    Was genau machen Sie, oder besser gesagt, was haben Sie bis zum Krieg gemacht?

    Mein Linksaktivismus hat auf dem Maidan begonnen: Zwischen 2014 und 2019 war ich im Rahmen der Projekte Neuer Donbass und Gemeinsam bauen wir die Ukraine auf sowie mit anderen Freiwilligeninitiativen im Donbass unterwegs, beteiligte mich am Wiederaufbau von Schulen und anderen Gebäuden, die durch die Kampfhandlungen zerstört wurden, arbeitete mit Kindern. Und weil sich meine Tätigkeit mehr und mehr vom Aktivismus auf den redaktionellen Bereich verlagerte, habe ich angefangen, Artikel zum Thema Donbass zu schreiben. Zum Beispiel über den Luftangriff auf das regionale Verwaltungsgebäude der Oblast Luhansk – ein Thema, das in der ukrainischen Gesellschaft sehr kontrovers diskutiert wird; offiziell wurde dementiert, dass der Angriff von ukrainischer Seite erfolgt sein könnte. Dann gab es einen weiteren [Angriff] auf die Ortschaft Stanyzja Luhanska (bei dem zwölf Zivilisten getötet wurden – Anm. Meduza), für die in all den Jahren niemand die Verantwortung übernommen hat. Ich habe viel zum Thema der zivilen Opfer des Kriegs im Donbass auf beiden Seiten geschrieben.

    Der Donbass, meine Heimat, wird jetzt von niemand anderem als von Russland vernichtet

    Aber alles Kritikwürdige, was der ukrainische Staat im Donbass zu verantworten hat, verblasst vor dem Hintergrund dessen, was Russland gerade macht. Der Donbass, meine Heimat, wird jetzt von niemand anderem als von Russland vernichtet. Unter den heuchlerischen Rufen vom „Genozid an der Donbass-Bevölkerung“, mit denen der Einmarsch gerechtfertigt wurde, vernichtete die russische Armee Sewerodonezk, Popasna, Mariupol und all die anderen Städte im Donbass. Sie warfen den Ukrainern vor, die Minsker Vereinbarungen nicht zu erfüllen, und schwiegen über die eigenen Verstöße. Jetzt sagen sie, der Westen sei bereit, „bis zum letzten Ukrainer“ zu kämpfen, und mobilisieren selbst zwangsweise die Männer in der LNR/DNR, um sie als Kanonenfutter an die Front zu schicken.

    Alles Kritikwürdige, was der ukrainische Staat im Donbass zu verantworten hat, verblasst vor dem Hintergrund dessen, was Russland gerade macht

    Was unsere Organisation Sozialny Ruch [kurz: Sozruch – dek] angeht, so beschäftigen wir uns im weitesten Sinn mit sozialen Fragen. Der Leiter der Organisation Witali Dudin ist Jurist für Arbeitsrecht. Manche unserer Aktivisten arbeiten in Gewerkschaften. Ein paar Monate vor dem Einmarsch haben wir beispielsweise in Kyjiw eine Demo gegen die Preiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr veranstaltet. Wenn wir nicht selbst etwas organisieren, arbeiten wir mit anderen Gruppierungen zusammen – wir unterstützen zum Beispiel Umwelt- oder feministische Initiativen und nehmen an den Märschen zum 8. März teil. Außerdem haben wir in Kyjiw Gedenkveranstaltungen für Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa durchgeführt.

    Auf einer dieser Veranstaltungen sind Sie mit einem Plakat erschienen, auf dem stand: „Löst das Asow-Regiment auf“.

    Daran erinnern sich die Leute bis heute. Ehrlich gesagt, wenn ich gewusst hätte, was dieses Jahr passiert, dann ich bin mir nicht sicher, ob ich das gemacht hätte. Das Asow-Regiment wurde 2014 von Leuten gegründet, die zumindest in der Vergangenheit neonazistische Ansichten vertreten hatten. Aber schon 2014 waren bei weitem nicht alle Asow-Kämpfer Neonazis, um so weniger in den Jahren danach, als die Führung gewechselt hatte und sich viele junge Leute einfach deshalb anschlossen, weil das eine der einsatzfähigsten Einheiten in der Ukraine war. Die russische Propaganda kann heute so viele Bilder von einzelnen Kämpfern mit [neonazistischen] Tattoos zeigen, wie sie will, aber zum Regiment gehören über tausend Soldaten, darunter sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansichten.

    Was genau sind die Stereotype über die Ukraine, gegen die Sie ankämpfen?

    Im linken Milieu existiert eine ganze Palette von Meinungen – ungefähr von „alles furchtbar“ bis „finden wir ganz gut“. Es gibt Stalinisten – über die braucht man nicht zu reden, da ist alles klar. Obwohl es auch da ganz vernünftige gibt. Mich hat eine stalinistische Partei in Indien überrascht, die die russische Aggression gegen die Ukraine mithilfe von Stalin-Zitaten kritisiert hat.

    Aber für mich sind die Fälle wichtiger, in denen Menschen mit vermeintlich progressiven Ansichten, von denen man eigentlich Unterstützung oder wenigstens eine adäquate Position erwarten würde … zum Beispiel [Noam] Chomsky oder [Jeremy] Corbyn … Eine offene Unterstützung Russlands ist aber eine Randerscheinung, und wenn, dann findet man sie eher in Lateinamerika als im Westen. Im Westen trifft man öfter auf eine quasi neutrale Position – wir verurteilen den Krieg als solches, aber auch nicht mehr.

    Im linken Milieu existiert eine ganze Palette von Meinungen

    Das ist zum Beispiel die DiEM25, eine Organisation, die von Yanis Varoufakis ins Leben gerufen wurde. Oder die Progressive Internationale, die auf ihre Initiative hin gemeinsam mit einzelnen Mitgliedern des Teams von Bernie Sanders gegründet wurde. Als der Krieg losging, erklärten die polnische Linkspartei Razem [dt. „Gemeinsam“] und unsere Zeitschrift den Austritt aus dieser Vereinigung. Deren Position ist nämlich: Krieg ist sehr schlecht, wir rufen zu Verhandlungen und einem schnellstmöglichen Ende der Kampfhandlungen auf.

    Das nächste Level [linker Positionen] ist es, die russische Aggression offen zu verurteilen und einen Rückzug der Truppen bis an die Grenzen vor dem 24. Februar zu fordern, aber keine Waffenlieferungen [an die Ukraine] zu unterstützen. Das ist ja schön und gut, aber – was dann? Mit welchen Mitteln will man [diese Ziele] erreichen? Das ist die Position von Die Linke, aber die schwankt – [die Jugendorganisation] unterstützt die Waffenlieferungen bereits, obwohl die offizielle Position der Partei immer noch dagegen ist.

    Überhaupt sind die Stimmungen im linken Milieu stark abhängig vom jeweiligen Land. Die skandinavischen Linken haben sehr schnell die richtige Position eingenommen – sowohl die Sozialdemokraten als auch die Radikalen. Sie verhalten sich viel adäquater als die südeuropäischen Linken – Griechenland und Italien sind da ganz schlimm. Im deutschsprachigen Raum macht sich der Generationenkonflikt stark bemerkbar – wie man am Beispiel der Linkspartei sieht, in der die Jugend für die Waffenlieferungen ist; nicht ausnahmslos natürlich, aber bei der älteren Generation sieht es damit viel schlechter aus. In den englischsprachigen Ländern gibt es einen solchen Riss eher nicht.

    Die Stimmungen im linken Milieu sind stark abhängig vom jeweiligen Land

    Was die Stereotype angeht, zum Beispiel, dass der Maidan ein von den USA unterstützter rechter Putsch war, beinahe ein faschistischer Staatsstreich und dergleichen. Da fragt man sich, ob diese Leute überhaupt ein adäquates Bild von der Ukraine und von Russland haben. Manchen ist vielleicht klar, dass Russland ein kapitalistischer Staat mit einem reaktionären Regime ist, sie hegen aber unter dem Einfluss von Russia Today gewisse Illusionen, dass es in Russland angeblich eine starke Gewerkschaftsbewegung gebe. Na ja, und so Sachen halt.  

    In Diskussionen mit westlichen Linken höre ich oft das Argument, dass die NATO während des Kalten Krieges die Ultrarechten unterstützt und benutzt hätte. Aber der Kalte Krieg ist seit 30 Jahren vorbei, und gerade das Beispiel, dass sich die USA in Syrien mit den sozialistischen syrischen Kurden verbündet haben und nicht mit irgendwelchen anderen Kräften, zeigt meiner Meinung nach, wie weit sich die US-amerikanische Außenpolitik mittlerweile von der Logik des Kalten Kriegs entfernt hat. Gleichzeitig ignorieren diese Linken die Tatsache, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem Russland war, das die rechtsextremen Parteien in Europa unterstützt hat.   

    Dann kommen sie noch auf solche Ideen, dass das ukrainische Regime die Linken unterdrücken würde. Das ist ein Problem für sich – den westlichen Linken zu erklären, dass es, wenn sie Parteinamen wie Progressive Sozialistische Partei der Ukraine lesen, sich um etwas ganz anderes handelt, als sie erwarten würden. Diese Natalja Witrenko (Parteichefin der Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine) hat mit Alexander Dugin zusammengearbeitet, die beiden führten eine offen rassistische Wahlkampagne. Jedenfalls gingen alle Parteien mit vermeintlich linken Namen, die verboten wurden, in diese Richtung.  

    Diese Linken ignorieren die Tatsache, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem Russland war, das die rechtsextremen Parteien in Europa unterstützt hat

    Die westlichen Linken kritisieren an der Ukraine zum Beispiel oft den politischen Einfluss der Oligarchen. Aber was für praktische Schlüsse ziehen sie daraus? Ich weiß selbst sehr gut, dass in der Ukraine eine schlechte Regierung mit einer neoliberalen Politik an der Macht ist. Wir haben vor dem Krieg dagegen gekämpft, wir müssen auch jetzt dagegen kämpfen – etwa, wenn die Arbeitsrechte beschnitten werden sollen. Mir sind viele Defizite der ukrainischen Gesellschaft, der Staatsmacht und der Politik bewusst, aber das heißt ja nicht, dass man die Verteidigung gegen die russische Aggression nicht unterstützen soll. 

    Aber woher kommen diese Klischees? Ist das alles der Einfluss der russischen Propaganda, oder gibt es noch weitere Faktoren? Russia Today hat sich ja bekanntlich gezielt auf diese Gruppe konzentriert – viele ihrer Frontmänner waren linke Aktivisten, sie hatten etliche Medienprojekte wie Podcasts, die sich konkret an ein linkes Publikum im Westen richteten. 

    Ich glaube, man sollte den Einfluss der russischen Propaganda nicht überbewerten. Ein markantes Beispiel ist Slavoj Žižek. Bis vor Kurzem schrieb er auf Russia Today Texte über Edward Snowden usw. Nach dem 24. Februar hat er jede Zusammenarbeit mit RT eingestellt und nimmt jetzt durchaus sinnvolle Positionen [bezüglich der Ukraine – Anm. Meduza] ein. 

    Man sollte den Einfluss der russischen Propaganda nicht überbewerten

    Das Schlimmste, was die russische Propaganda anrichtet, ist, dass sie ein verzerrtes Bild der postsowjetischen Realität vermittelt. Dazu haben die westlichen Linken weder eigene Erfahrungen noch Informationsquellen oder ein Verständnis davon, was hier passiert. Und weil sie den Mainstream-Medien nicht vertrauen, landen sie oft bei der russischen Propaganda als Hauptinformationsquelle. 

    Doch die westlichen Linken brauchen kein Russia Today, um den amerikanischen Imperialismus, die Hegemonie, die unipolare Welt und die NATO abzulehnen. Sie haben genug eigene Gründe dafür. Die ältere Generation hat oft schon zur Zeit des Kalten Krieges an den Protesten gegen den Vietnamkrieg oder andere Operationen der USA teilgenommen, die jüngere hat sich angesichts des Irak-Kriegs formiert. Wobei viele die Idee einer multipolaren Welt ganz unkritisch sehen, anstatt sich zu überlegen, wie man die Weltordnung demokratisieren könnte. Für sie wird ihre NATO-Gegnerschaft einfach zu einem Teil ihrer Identität, statt dass sie ein konkretes politisches Problem angehen und im Rahmen einer linken Strategie zu lösen versuchen. Sogar die, die die Ukraine und Waffenlieferungen einhellig unterstützen, unterscheiden sich manchmal nur dadurch, dass sie für die Auflösung unterschiedlicher militärischer Allianzen eintreten, unter anderem der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS). 

    Na gut, angenommen, man löst die NATO auf und auch die OVKS, was ist dann eine Alternative in der internationalen Politik und wie verhindert man dann, dass die starken Staaten den schwächeren ihren Willen aufzwingen? Der Sicherheitsgarant der osteuropäischen Staaten ist ihre NATO-Mitgliedschaft, der von Armenien – seine Mitgliedschaft in der OVKS. Ich bin selbst kein Fan der NATO, ich finde, dass Militärbündnisse, in denen imperialistische Staaten dominieren, kein gutes Instrumentarium zur Aufrechterhaltung der weltweiten Sicherheit sind. Aber das heißt nicht, dass die NATO einfach irgendein globales Übel ist.   

    Wir brauchen keine multipolare Welt und keine Konfrontation zweier imperialistischer Blöcke. Wir müssen für eine allgemeine Demokratisierung der Weltordnung kämpfen

    Dahinter steckt meiner Vermutung nach ein Problem mit der geopolitischen Logik. Jemand hat mir zum Beispiel klipp und klar geschrieben, dass wir Russland als Gegengewicht zu den USA brauchen. In dieser Logik der Opposition wird aber eigentlich Putins Regime, solange es besteht, die NATO noch zusätzlich stärken, wie wir an den Folgen der Invasion in der Ukraine sehen. 

    Wir brauchen keine multipolare Welt und keine Konfrontation zweier imperialistischer Blöcke. Wir müssen für eine allgemeine Demokratisierung der Weltordnung kämpfen, und dafür kann man Widersprüche zwischen verschiedenen Ländern nutzen. Aber eine multipolare Welt, in der jeder imperialistische Staat seine Einflusssphäre hat und seine imperialistische Politik fährt – das ist eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Das kann uns wirklich gestohlen bleiben.    

    Eine der wichtigsten linken Forderungen in der internationalen Politik sollte eine Reform und Demokratisierung der UNO sein

    Diese Denkweise rührt wohl hauptsächlich daher, dass die Linken in den letzten Jahrzehnten auf dem absteigenden Ast waren, was nicht förderlich war für ihr politisches Denken und ihre Strategien. Das merkt man sogar an jenen, die [bezüglich der Ukraine] eine sinnvollere Position einnehmen. Sogar viele unserer Partner im Westen verschwenden mehr Zeit damit, die richtige Haltung zu finden und andere zu überzeugen, als sich zu überlegen, was man praktisch tun könnte, um auf die Situation Einfluss zu nehmen.  

    Zum Beispiel finde ich, eine der wichtigsten linken Forderungen in der internationalen Politik sollte eine Reform und Demokratisierung der UNO sein. Aber viele wollen das überhaupt nicht diskutieren, weil die UNO eben ein Gremium ist, in dem imperialistische Staaten dominieren. Tja, aber was ist die Alternative?

    Wie schätzen Sie das Potenzial der russischen Antikriegsbewegung ein? 

    Viele Ukrainer haben zu Beginn des Krieges gehofft, dass die russische Antikriegsbewegung etwas erreichen kann. Aber dann haben sie gesehen, dass stattdessen manche anfangen, gesellschaftliche Tendenzen in der Ukraine zu kritisieren – vor etwa einem Monat hat sich ein Schriftsteller darüber beschwert, dass die Ukrainer die russische Kultur abschaffen und Puschkin-Denkmäler stürzen (gemeint ist ein Kommentar von Leonid Bershidski in The Washington Post – Anm. Meduza). Aber mit so etwas sollte sich die russische Intelligenzija heute überhaupt nicht beschäftigen. So werden sie die Situation ganz bestimmt nicht zum Besseren wenden. Wenn sie Zugang zu westlichen Medien haben, sollten sie den lieber dazu nutzen, die westliche Öffentlichkeit von einer mutigeren und entschiedeneren Handlungsweise zu überzeugen. Wenn die Ukrainer Waffen fordern, ist das sowieso klar, was sonst, aber wenn die russische Opposition Waffen fordert, hat das einen ganz anderen Effekt.

    Viele Ukrainer haben zu Beginn des Krieges gehofft, dass die russische Antikriegsbewegung etwas erreichen kann

    Ich weiß natürlich, dass die politischen Perspektiven von jemandem, der sich so äußert, in Russland gleich Null sind. Doch seit dem 24. Februar hängen sämtliche Perspektiven einer Demokratisierung Russlands von der militärischen Niederlage Russlands ab und davon, wie schnell das passiert. Auch als Deutschland mit den Waffenlieferungen monatelang gezögert hat, waren es die Russen, die das hätten beschleunigen können. Ich weiß, dass es manche versucht haben, aber für die Ukrainer war das zu wenig. Das wäre wirklich notwendiger gewesen als Texte darüber, wie die Ukrainer Puschkin verunglimpfen. Der Diskurs, dass angeblich alle Russen gleich seien, gefällt mir überhaupt nicht, aber dass sogar bei Vertretern der russischen Opposition imperialistische Allüren durchschlagen – das stimmt eben auch. 

    Statt die Folgen des Kriegs zu beklagen, sollten wir lieber versuchen, das Problem an der Wurzel zu packen. Wer ukrainischen Flüchtlingen hilft, ist toll, keine Frage. Das ist eine sehr wichtige Arbeit, die irgendjemand machen muss, und wer sie macht, darf nicht einer zusätzlichen Gefahr ausgesetzt sein. Innerhalb der ganzen russischen Antikriegsbewegung ist für mich der Feministische Antimilitaristische Widerstand das positivste Beispiel, weil sie völlig frei sind von imperialistischen Komplexen aller Art. 

    Der Diskurs, dass angeblich alle Russen gleich seien, gefällt mir überhaupt nicht, aber dass sogar bei Vertretern der russischen Opposition imperialistische Allüren durchschlagen – das stimmt eben auch

    Andererseits verstehe ich, dass ihre Tätigkeit in Russland jetzt nicht sehr effektiv ist. Proteste können in Russland momentan nur die Zahlen der politischen Gefangenen erhöhen, der Nutzen ist überschaubar. Deswegen sollte die Frage, wie man sich unter konkreten Bedingungen verhält, lieber von denen beantwortet werden, die sich unter diesen Bedingungen befinden. Etwas anderes sind die Anarchisten, die auf den Eisenbahnschienen Sabotage betreiben. Ich weiß schon, dass es nicht viele sind, die sich zu solchen Aktionen entschließen, aber bislang ist das eine der besten Methoden, das Ende dieses Kriegs zu beschleunigen, weil das unmittelbar auf Russlands Kampffähigkeiten einwirkt. 

    Mir scheint, viele Russen, auch oppositionelle, begreifen noch nicht, dass die Ukraine nicht kapitulieren wird. Da geht es gar nicht um Selensky – der ist in diesem Punkt nur Erfüllungsgehilfe des Volkes. Nach dem, was Russland angerichtet hat, ist die absolute Mehrheit der Ukrainer gegen Zugeständnisse. Sie bereiten sich schon auf einen Winter ohne Gas und Strom vor. Dass die Fortsetzung des Krieges weitere Verluste bedeuten wird, ist allen klar, aber die Ukraine ist bereit, bis zum Sieg zu kämpfen.

    Viele Russen, auch oppositionelle, begreifen noch nicht, dass die Ukraine nicht kapitulieren wird

    Russland kann nicht siegen, und der einzige Grund, warum dieser Krieg weiter andauert, ist, dass da so ein erbärmlicher Zwerg in seinem Bunker nicht zugeben kann, dass er es mit dem Befehl zum Einmarsch in die Ukraine verbockt hat. Wenn Russland verliert, verliert er die Macht, und diesen Moment schiebt er hinaus, indem er sein Land in einen immer größeren Abgrund zieht. Je früher aber Russland seine Niederlage anerkennt und seine Truppen abzieht, desto besser ist es für die Russen.

    Weitere Themen

    Die Geschichte der NATO-Osterweiterung

    Warum Putin die Ukraine grundsätzlich missversteht

    Endkampf gegen die Realität

    „Niemand wird das Russland jemals verzeihen”

    RIA Nowosti: Programm zur „Entukrainisierung“?

    „Solange die Hälfte des Landes im Zombie-Zustand verharrt, wird nichts besser“

    Kanonenfutter: „Wenn sie sterben – umso besser“

    „Ich wünsche Putins Russland aufrichtig eine Niederlage“

    Zitat #15: „Die Lüge vergiftet und zermalmt den Menschen das Hirn“

    „Nicht Russland ist populär, sondern Putin als Gegenspieler des Westens“

  • Begeisterte Bulgaren

    Begeisterte Bulgaren

    „Bulgaren sind begeistert vom Lada Niva“, „Bulgaren sind Russland dankbar für Hilfe“, „Bulgaren lachen über Kiews Plan zur Einmischung in das Genehmigungsverfahren von Nord Stream 2“: Woher kommt diese Faszination der Bulgaren für alles, was mit Russland zu tun hat? Stehen die Bewohner der Balkanrepublik wirklich immer auf der Seite Putins, so wie es die Überschriften bei RIA Nowosti vermuten lassen? Und warum übersetzt eine staatliche Nachrichtenagentur eigentlich anonyme Leserkommentare? 

    Meduza-Investigativchef Alexej Kowaljow über einen bizarren Trend in staatlichen russischen Nachrichtenmedien – an dem er selbst nicht ganz unschuldig ist.

    „Bulgaren sind begeistert von russischem [hier etwas Beliebiges einsetzen]“. Dieses Mem ist derart hartnäckig, dass es jetzt kaum einen Tweet des offiziellen Accounts von RIA Nowosti gibt, bei dem sich der geneigte Leser nicht fragt, was denn mit den Bulgaren los ist.

    Angemerkt sei, dass Bulgaren sich nicht nur begeistern. Sie „äußern sich“ auch, sie „lachen über“ Dinge, sie „bewerten“ … Und zugegeben, auf den Internetseiten von RIA Nowosti zeigen auch Leser aus anderen Ländern Gefühle zu den Ereignissen in Russland unterschiedlichster Art.

    Die Briten beispielsweise, die einen Artikel des Daily Telegraph über mögliche Sanktionen der USA gegen Moskau kommentieren, „haben Angst“, dass sie frieren werden, wenn Russland vom Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen werden sollte.

    „Als ich eine blutjunge Reporterin war“, schreibt die Moskaukorrespondentin des Daily Telegraph und Mitautorin dieses Beitrags Natalja Wassiljewa auf Twitter, „da gab es bei uns diese Passantenbefragungen. Du gehst auf die Straße und fragst das Volk, was es denkt. Aber bei RIA sind wohl alle zu jung, um sich daran zu erinnern.“

    Das Format Anonyme Leserkommentare zu Artikeln ausländischer Medien über Russland gibt es auf der Website von Inosmi schon seit Mitte der 2000er Jahre. Das Portal übersetzt Artikel ausländischer Medien und gehört zur internationalen Mediengruppe Russia Today.

    Achtung, hier ein Hinweis auf einen möglichen Interessenkonflikt: Der Autor dieses Artikels und Investigativchef von Meduza, Alexej Kowaljow, schreibt im Weiteren über den damaligen Chefredakteur von Inosmi, Alexej Kowaljow. Es handelt sich hierbei um ein und dieselbe Person (Anm. Meduza).

    Der ehemalige Chefredakteur von Inosmi Alexej Kowaljow, zeichnet sich für die Schaffung dieser Rubrik voll verantwortlich. Unter seiner Leitung wurden im Rahmen einer allgemeinen thematischen Ausweitung des Online-Portals nicht nur Leserkommentare zu Artikeln über Russland aufgenommen, sondern auch zu allgemeineren Themen, etwa zum Gerichtsverfahren gegen Anders Breivik oder zum Tod von Margaret Thatcher. Seinerzeit war noch nicht allgemein bekannt, dass Internetseiten ausländischer Medien mit Kommentaren professioneller Kreml-Trolle zugemüllt werden. Und es war auch noch nicht so, dass Trolle Artikel kommentierten, in denen es überhaupt nicht um Russland ging.

    „Begeisterte Bulgaren“ und „in Furcht versetzte Briten“ gelangen auf die Internetseite staatlicher und regierungsfreundlicher Medien

    Vom Portal Inosmi gelangen die „begeisterten Bulgaren“ und „in Furcht versetzten Briten“ auf die Internetseite von RIA Nowosti und wandern dann weiter zu anderen staatlichen und regierungsfreundlichen Medien, die beginnen, das Format zu kopieren. Immerhin geht Inosmi bei der Auswahl anonymer Kommentare zu Artikeln aus dem Ausland relativ sorgsam vor: Es landen dort positive wie kritische Anmerkungen.

    Wenn die Kommentare von RIA übernommen werden, verschwinden gewöhnlich die negativen Anmerkungen. So erschien beispielsweise ein Beitrag von Inosmi vom 21. Mai 2021 unter der Überschrift Leser der Daily Mail über die neue „Putin-Rakete“: Die Russen sind Habenichtse, woher haben sie so viel Knete? Die hierfür ausgewählten Kommentare zum Artikel der Daily Mail über Tests der Hyperschall-Rakete unter der Codebezeichnung Ostrota spiegeln allgemein die Haltung der Leser dieser Zeitung wider: „Putin folgt dem niederträchtigen, von Despoten seit jeher ausgetretenen Pfad: Drohe dem eigenen Volk mit einem äußeren Feind, um es von den Misserfolgen im Innern abzulenken“, schreibt etwa der User Ravfox. Nachdem das Material zu RIA gewandert war, blieb dort nur eine Emotion übrig: „Das ist unser Ende“ – Briten in Angst vor supergeheimer russischer Rakete. Deshalb erschienenbei RIA – im Unterschied zu Inosmi – von den Kommentaren zum Artikel der Daily Mail nur die unpopulärsten Reaktionen mit den meisten Down-Votes. Übrigens ist dieser Artikel bei RIA eine weitere Variante dieses Genres über (angeblich) begeisterte Ausländer: „[Bewohner des Landes X, meist der USA] fürchten sich vor [russische militärische Erfindung].“

    Was Bulgaren über die „begeisterten Bulgaren“ denken

    Übersetzungen bulgarischer Kommentare, denen wir das Mem über die „begeisterten Bulgaren“ zu verdanken haben, gibt es erst seit 2020. Das ist wahrscheinlich auf eine Rotation bei den freischaffenden Übersetzern von Inosmi zurückzuführen. Im Juni 2021 schloss sich endlich der Kreis mit den „begeisterten Bulgaren“: Zu diesem Zeitpunkt berichtete das bulgarische Portal OFFNews von dem russischen Medienphänomen.

    „Diese Strategie, die Meinung einzelner (womöglich trolliger) Kommentatoren als Stimme des ganzen Volkes hinzustellen, das vermeintlich einhellig die russische Außenpolitik unterstützt, wird nicht nur bei den Bulgaren angewendet“, hebt das Portal hervor. „Auf gleiche Weise werden Kommentare der Amerikaner, der Chinesen, Briten, Franzosen, Japaner usw. aufgearbeitet. Unklar ist nur, warum bei dieser Medienkampagne so viel Meldungen ausgerechnet den Bulgaren gewidmet sind“.

    Die Strategie, einzelne womöglich trollige Kommentare als Stimme des ganzen Volkes hinzustellen, wird nicht nur bei den Bulgaren angewendet

    Unter den bulgarischen Medien, die RIA „begeisterte Bulgaren“ liefern, ist am häufigsten das Portal fakti.bg zu finden, das dem bulgarischen Unternehmen Rezon Mediya gehört. Zu dessen Konglomerat gehören auch die populärsten Internetportale Bulgariens zum Kauf und Verkauf von Immobilien und Gebrauchtwagen. Georgi Angelow, ein bulgarischer Journalist und Autor des Artikels über die „begeisterten Bulgaren“ auf OFFNews, erklärte gegenüber Meduza, warum gerade fakti.bg bei den Redakteuren von Inosmi und RIA beliebt ist: Diese würden sich vor allem Portale aussuchen, auf denen Kommentare nur wenig oder gar nicht moderiert werden. Wahrlich ein Grund für Begeisterung!

    Diese Übersetzung wurde gefördert durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die MatKat-Stiftung

    Weitere Themen

    Die für den Westen sprechen

    „Die russische Propaganda hat sich selbst besiegt“

    Aus der Filmfabrik

    Alles Propaganda? Russlands Medienlandschaft

    Wladimir Solowjow

    Der Wortwichser am Abend

    Bullshitting Russia

    Erster Kanal

  • Bullshitting Russia

    Bullshitting Russia

    Fast die Hälfte der Artikel in der ausländischen Presse berichteten „negativ“ über Russland – zu diesem Schluss kommt Oktopus-1, eine Studie von Rossija Sewodnja. Darin wurden knapp 80.000 Artikel von Medien aus G7-Ländern untersucht, die von Januar bis Ende Juni 2019 erschienen sind. Das Ergebnis der Studie schlägt in die Kerbe, das Ausland würde schlecht über Russland reden, und hat somit auch eine politische Dimension: So ließen offizielle Reaktionen nicht lang auf sich warten. Die russische Gesellschaftskammer jedenfalls nahm die Studie zum Anlass, um eine öffentliche Diskussion über die Rechte ausländischer Medien und Journalisten in Russland anzuregen. Bereits Ende 2017 wurden einzelne Auslandssender wie Golos Ameriki (Voice of America) und Radio Swoboda (Radio Liberty) in Russland zu „ausländischen Agenten“ erklärt. 

    Die Mitarbeiter des Exilmediums Meduza machte all das hellhörig. Alexej Kowaljow, Leiter des dortigen Investigativressorts, war einst Chefredakteur von InoSMI – InoSMI gehört zu Rossija Sewodnja und übersetzt westliche Presse ins Russische. Kowaljow sah sich die Studie genauer an und fand heraus: Die Untersuchung von Rossija Sewodnja stützt sich vor allem auf britische Medien (die mehr als ein Drittel der gesamten Studie ausmachen). Auffällig viele der untersuchten Artikel in diesen wiederum haben laut Meduza denselben Autor. 

    Er heißt Will Stewart. Unter seinem Namen, so Meduza, werden allerdings vor allem Geschichten veröffentlicht, die Themen aus russischen Boulevardzeitungen aufgreifen. Allein im ersten Halbjahr 2019 hat Meduza auf den Seiten der Daily Mail knapp 220 Artikel gezählt, die unter dem Namen Will Stewart veröffentlicht wurden. 

    Das bedeutet nicht nur, dass die „negative“ Berichterstattung, die die Studie beklagt, in Teilen sogar aus russischen Medien übernommen wurde. Es wirft auch die Frage auf: Wer ist Will Stewart und wenn ja, wie viele? Meduza hat sich auf Spurensuche begeben.

    William Stewarts Identität ist selbst für die Veteranen unter den Auslandskorrespondenten in den Moskauer Büros ein Rätsel. Nicht ein einziger der von Meduza befragten, zum Teil seit Jahrzehnten in Russland tätigen Journalisten hat ihn je persönlich getroffen oder weiß, wer er ist.

    Nicht einmal im Außenministerium der Russischen Föderation scheint man das genau zu wissen – obwohl Stewart offiziell in Russland akkreditiert ist und auf den Seiten des Außenministeriums als Chef des Moskauer Büros der britischen Zeitung Daily Express genannt wird.

    Dabei ist William Stewart eine ganz reale – wenn auch ziemlich verschlossene – Person. Er taucht nicht in den sozialen Netzwerken auf; in keiner einzigen Zeitung, für die er arbeitet, ist ein Foto von ihm zu finden. Dafür gelang es Meduza, im britischen Handelsregister eine Firma zu entdecken, als deren Geschäftsführer Stewart fungiert: East2West Limited, eingetragen im Januar 1996. Zur selben Zeit taucht sein Name erstmals in den Akkreditierungslisten der in Moskau tätigen Auslandskorrespondenten auf.

    Stewart selbst, den Meduza nach mehreren Anfragen per E-Mail erreicht hat, gab an, seit 1992 in Moskau zu arbeiten. Viele seiner Beiträge, die von ausländischen Medien übernommen werden, nennen die Agentur als Quelle.

    Anfang 2019 tauchte auf der Internetplattform Reddit die Frage auf: „Kennt hier jemand die russische Nachrichtenagentur East2West? Falls ja, wie vertrauenswürdig ist sie? Ich bin auf einen Bericht über einen grausamen Mordfall gestoßen, aber alle Versuche, die Originalquelle zu finden, führen auf Seiten aus Russland, die auf East2West verweisen. Merkwürdig, dass gleich mehrere Internetseiten auf eine völlig unbekannte Agentur verweisen.“

    Ein anderer Nutzer antwortete: „Ich war auch sehr enttäuscht, als mehrere vermeintlich vertrauenswürdige Nachrichtenseiten in Brasilien, wo ich lebe, einen Bericht über ein Mädchen übernommen haben, das angeblich bei der Explosion eines Mobiltelefons gestorben war. Alle berufen sich auf russische Quellen, die ebenfalls auf diese merkwürdige Phantom-Agentur verwiesen. Ich finde das beängstigend.“

    Killermäuse in den Kremltürmen

    Will Stewarts beeindruckende Produktivität lässt sich damit erklären, dass die unter seinem Namen veröffentlichten Artikel das Produkt eines ganzen Kollektivs von russischen Journalisten sind, die für seine Agentur East2West News arbeiten. Unter ehemaligen Mitarbeitern hat Meduza endlich Menschen gefunden, die Stewart persönlich kennen. Stewart selbst hat nicht beantwortet, wie viele russische Mitarbeiter für seine Agentur tätig sind, er sagte nur, er arbeite ausschließlich mit „erstklassigen Freelancern aus Russland, den Ländern der ehemaligen UdSSR und Osteuropa zusammen“.

    Eine ehemalige Mitarbeiterin, die bis 2011 für die Agentur tätig war, hat Meduza erzählt, wie die Vorbereitungen zu einer Nachrichten-Ausgabe abliefen: „Wir waren mehrere freie Mitarbeiter, am Morgen ging es los mit dem Monitoring: das Wichtigste aus der Welt der Politik, amüsante Ereignisse, Persönlichkeiten, die in Großbritannien von Interesse sind – wie Arschawin, Abramowitsch, der damalige [Premierminister] Tony Blair, Nasarbajew. Und Trash à la Killermäuse in den Kremltürmen. Will wählte die interessantesten Themen aus, ging ihnen nach. Sehr sorgfältig, mit Liebe zum Detail. Mehrere Tage lang, manchmal sogar Wochen, bis sich die Fakten zu einer Geschichte fügten.“

    Die ehemaligen Mitarbeiter von East2West News, mit denen Meduza gesprochen hat, lobten Stewarts Professionalität, journalistische Sorgfalt und seine tiefe Russland-Kenntnis. Dabei unterscheiden sich die ersten Reportagen, die Stewart in den 1990ern in Moskau veröffentlichte, deutlich von seinen heutigen Arbeiten: Im Oktober 1992 brachte der Daily Express eine Analyse zum Konflikt zwischen Boris Jelzin und Ruslan Chasbulatow, 1996 folgte ein großes Porträt über Alexander Lebed, der damals als möglicher Jelzin-Nachfolger gehandelt wurde.

    Andere Journalisten, die mit seiner Arbeit vertraut sind, bewerten sein Verhältnis zu den Fakten kritischer. Oliver Carroll, der für die britische Zeitung The Independent in Moskau schreibt, machte auf einen Artikel aufmerksam, der am 26. Juni 2019 in der Daily Mail erschien: „Ich war sein Futtervorrat – Russe gleicht Mumie nach einem MONAT in Bärenhöhle. Das Raubtier hatte ihm die Wirbelsäule gebrochen und als Futter in seine Höhle verschleppt.“ Unter Berufung auf eine Meldung des Nachrichtenportals EADaily berichtete Stewart von dem in der Überschrift genannten Schicksal eines Mannes aus Tuwa namens „Alexander“. Die ursprüngliche Nachricht versah er mit neuen schockierenden Details: Demnach musste der Held den eigenen Urin trinken, um zu überleben.

    Der Daily Mail-Artikel war ein Hit in den sozialen Medien: Der Zähler auf dem Internetauftritt der Daily Mail zeigt 72.000 Reposts an. Daraufhin drehte die Geschichte eine zweite Runde durch die russischen Medien, diesmal unter Berufung auf die Daily Mail und Will Stewart. Oliver Carroll veröffentlichte im Independent einen Gegenbericht: Er entlarvte die Story mit der Bärenhöhle als Fake und den ausgemergelten Mann im Video als einen Patienten aus Kasachstan, der an einer schweren Form von Schuppenflechte leidet. Daraufhin änderte die Daily Mail den Inhalt und die Überschrift des Artikels. In der neuen Version beruft sich Stewart auf die Agentur East2West News, die mit dem Gesundheitsministerium in Tuwa gesprochen und herausgefunden habe, der Mann sei in Wirklichkeit Psoriasis-Patient. Dass die Agentur ihm selbst gehört, wird dabei nicht erwähnt.

    Westliche Medien berichten

    Stewarts Artikel, die auf russischen Quellen basieren, werden oft von genau diesen Quellen wieder aufgegriffen und neu belebt – dann mit dem respekteinflößenden Verweis auf „westliche Medien“. So brachte beispielsweise [die russische Nachrichtenagentur] Regnum 2016 eine Meldung unter folgender Überschrift heraus: „Mirror: Putin will Sibirien per Zeppelin erschließen“. Darin heißt es, unter Berufung auf einen Artikel von Will Stewart in der Daily Mail: „‚Putin setzt wieder auf den Zeppelin, so die britische Zeitung The Daily Mirror.“ (In Wirklichkeit ist in Stewarts Artikel keine Rede davon, dass Putin „auf den Zeppelin setzt“.) 

    Weiter berichtet Regnum: „Der russische Sicherheitsrat unter dem Vorsitz von Wladimir Putin hat ein Projekt zum Bau eines Luftschiffs bewilligt, das der Erschließung Sibiriens dienen soll. Die Kosten für einen dieser futuristisch anmutenden Zeppeline (Arbeitsname: East2West) belaufen sich auf rund 23 Millionen Pfund.“

    Natürlich existiert überhaupt kein futuristischer Zeppelin, der East2West heißen und den Hohen Norden mit der Transsibirischen Magistrale verbinden soll. Der Autor des Regnum-Artikels hat die Bildunterschrift im Daily Mirror, wo der Urheber genannt wird, fälschlicherweise für den Namen des Luftschiffs gehalten: East2West – William Stewarts Agentur.

    Dabei stammen die Bilder im Daily Mirror gar nicht von ihm. Die umgekehrte Bildersuche bei Google führt auf die Internetseite Siberian Times, die – am selben Tag wie der Daily Mirror – einen fast identischen Bericht über gemeinsame Pläne des Sicherheitsrates und der Russischen Akademie der Wissenschaften herausbrachte, abgelegene Gebiete mithilfe von Heißluftballons zu erkunden. Die Illustrationen auf der Seite der Siberian Times sind mit RosAeroSystems unterschrieben.

    Das Phänomen Siberian Times

    Das Internetportal Siberian Times sitzt in Nowosibirsk und veröffentlicht Artikel in englischer Sprache, die Will Stewart in seinen Beiträgen häufig zitiert. Obwohl auf der Seite das Impressum fehlt, ist die Chefredakteurin der Siberian Times bekannt: eine gewisse Swetlana Skarbo, Absolventin der Londoner City University und ehemalige Mitarbeiterin des Daily Express.

    Im britischen Handelsregister taucht Swetlana Skarbo als ehemalige Geschäftsführerin der Agentur East2West auf (im Juli 2018 übergab sie die Geschäfte offiziell an William Stewart). Verschiedene Quellen behaupten, Siberian Times sei ein Projekt von Stewart persönlich, der es mit den Honoraren für seine Artikel bei den führenden britischen Zeitungen betreibt – in denen er wiederum auf seine eigene Webseite als Quelle verweist. Stewart selbst wollte sich zu seiner Verbindung zu Siberian Times oder Swetlana Skarbo nicht äußern und riet, sich mit allen Fragen direkt an sie zu wenden. Eine Antwort liegt der Redaktion bislang nicht vor. 

    Von der Politik zum Boulevard

    Der britische Journalist und Propagandaforscher Peter Pomeranzew ist einer der wenigen, die Stewart persönlich kennen. 2008, als Pomeranzew ebenfalls in Moskau arbeitete, half Stewart bei den Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm von Channel 4 über den „dicksten Jungen der Welt“ – Dshambulat Chachotow aus Kabardino-Balkarien. Pomeranzew erklärt Stewarts Werdegang – weg von ernsthaften gesellschaftspolitischen Themen hin zur Regenbogenpresse – mit dem Wandel in der Redaktionspolitik des Daily Express selbst: „Er [William Stewart] war damals so etwas wie der politische Redakteur des Daily Express. Aber da war das Blatt auch noch eine halbwegs ernstzunehmende Zeitung für die Mittelschicht, sie gehörte nicht zur Kategorie der Red Tops wie The Sun oder der Daily Mirror.“ Aber irgendwann sei auch der Daily Express zu diesem Format übergegangen, meint Pomeranzew, wobei der reißerische Charakter der Schlagzeilen vergleichbare Blätter bald noch übertrumpfte.

    Stewart selbst äußerte gegenüber Meduza, er beziehe das Ergebnis der Studie von Rossija Sewodnja nicht auf sich. Die darin erwähnten Artikel hätten es wegen ihrer „exotischen“ Überschriften hineingeschafft, für die aber nicht er verantwortlich sei, sondern seine Redakteure. Außerdem sagte Stewart: „Überall auf der Welt wird Auslandskorrespondenten negative Berichterstattung und Voreingenommenheit vorgeworfen. Wie Sie wissen, passiert das russischen Journalisten, die in Großbritannien arbeiten, genau so.“

    Auf die Frage, warum es in seinen Beiträgen von blutigen Details und entstellten Kindern wimmelt, reagierte Stewart mit Unverständnis: „Wenn Sie den Artikel über das Mädchen meinen, das ohne Gesicht geboren wurde, dann bin ich froh, dass ich mit Hilfe der Leser wenigstens einen kleinen Teil der Summe sammeln konnte, die für die Behandlung in Russland und Großbritannien nötig war.“

    Weitere Themen

    Die für den Westen sprechen

    Wladimir Solowjow

    Infografik: Wer ist Freund, wer Feind?

    Viel Rauschen um Nichts

    Eingeschränkte Freiheit für alle

    Der Wortwichser am Abend

  • Stone: The Putin Interviews

    Stone: The Putin Interviews

    Zwölf Mal haben sie sich getroffen, zwischen Juli 2015 und Februar 2017: Der russische Präsident Wladimir Putin und der US-amerikanische Kinoregisseur Oliver Stone. Nun wurden The Putin Interviews Mitte des Monats im russischen Staatsfernsehen gezeigt. Auch international war das Stone-Interview zu sehen, so im US-Fernsehen und für das deutschsprachige Publikum auch auf einzelnen Sparten des Bezahlsenders Sky

    Anschließend sorgte im russischen Web eine kurze Filmszene für Häme, in der Kreml-Pressesprecher Dimitri Peskow in unbequemer Haltung mit Mikrofon-Angel über der Schulter zu sehen war. Außerdem entfachte das Bildmaterial einiger Blogger Diskussionen: Ein Video, das Putin dem Regisseur auf dem Smartphone zeigte, dokumentiere nicht, wie behauptet, den russischen Kampf gegen Terroristen in Syrien, sondern US-Soldaten im Einsatz gegen Taliban in Afghanistan.

    Alexej Kowaljow, der den Medienblog Lapschesnimalotschnaja betreibt, hat sich die vier Stunden Putin-Interview für The New Times angesehen. 

    „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ – Oliver Stone und Wladimir Putin / Foto © Screenshot aus dem Film „The Putin Interviews“
    „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ – Oliver Stone und Wladimir Putin / Foto © Screenshot aus dem Film „The Putin Interviews“

    Putin und der Kreml haben ein ziemlich gravierendes Imageproblem. So absurd es auch klingen mag: Trotz eines nahezu unerschöpflichen Budgets und der vollen Kontrolle über alle Medien im Land fehlt es an Leuten, die Wladimir Putin loben.

    Selbstverständlich gibt es eine ganze Armee von Leuten, die nichts anderes tun. Aber wenn Putin wieder einmal von einem Experten oder Moderator gelobt wird, der sein Gehalt von Putin bezieht, noch dazu auf einem Sender, der ebenfalls Putin gehört, wirkt das sogar für den leidenschaftlichsten Anhänger wenig überzeugend.

    Deswegen ist der neue Film von Oliver Stone The Putin Interviews ein ungeheures Glück für hunderte von Menschen in den Büros der Agitprop-Kommandozentralen: Vier Stunden liebedienerische Propaganda, die auch noch vollkommen aufrichtig gemeint ist und das Budget gerade mal mit ein paar läppischen Millionen für die Verleihrechte belastet. Ein besseres Geschenk kann es für die Wahlkampagne gar nicht geben.

    So absurd es auch klingen mag: Im Land fehlt es an Leuten, die Wladimir Putin loben

    Kein Zweifel: Oliver Stones Film und nicht der alljährliche Direkte Draht mit Wladimir Putin hat den offiziell noch nicht eröffneten Wahlkampf eingeläutet. Es genügt ein Blick darauf, wie viel Aufmerksamkeit und Sendezeit diesem Film schon jetzt durch die russischen Staatsmedien zukommt. Wochenlang waren Hunderte von Mitarbeitern in Dutzenden von Redaktionen damit beschäftigt, aus buchstäblich jeder Sekunde des vierstündigen Films (vier Folgen à 60 Minuten) eine Schlagzeile zu machen. 

    Diese Propagandakampagne führt zu bemerkenswerten Szenen der Selbstentblößung. Die Schlagzeile „Putin erklärte, dass der Staat in Russland die Medien nicht kontrolliere“ erschien beispielsweise auf der Seite des staatlichen Medienunternehmens Rossija Sewodnja (dt. Russland heute), der ehemaligen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, die durch einen Erlass Putins aufgelöst worden war.

    Oliver Stones Film hat den offiziell noch nicht eröffneten Wahlkampf eingeläutet

    Doch eine noch krassere Diagnose verdient der Macher von The Putin Interviews Oliver Stone. Der dreifache Oscarpreisträger und Regisseur steht politisch jenen Linken nahe, die man für gewöhnlich als „tankies“ beschimpft. Ein historischer Begriff, mit dem ursprünglich Mitglieder der britischen Kommunistischen Partei verspottet wurden, die 1956 den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn unterstützt hatten. Seitdem bezeichnet er Menschen, die autoritären Regimes anhängen, seien sie noch so blutig, solange sie nur antiwestlich oder antiimperial und so weiter sind.

    Ein Tankie kann also jeder Linke sein, der die Freiheiten und Privilegien im Westen genießt, wo er auch lebt, gleichzeitig aber als leidenschaftlicher Anhänger und Verteidiger irgendeines Saddam Hussein auftritt. Ganz nach dem Prinzip: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Diese Ideologie geht meist einher mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus (Tankies vertreten fast immer radikal antiisraelische Positionen) und einem moralischen Relativismus im Sinne von: Egal was diese Regime tun, Amerika/der Westen ist schlimmer.

    Stone ist einer von ihnen. Hinter ihm liegt ein langer und konsequenter Weg zu The Putin Interviews. Kennedy wurde nicht von Lee Harvey Oswald ermordet, sondern fiel einer Verschwörung des CIA mit dem militärisch-industriellen Komplex der USA zum Opfer. Davon handelt JFK, einer der bekanntesten von Stones Filmen. Die jüdische Verschwörung in den Medien – darum ging es kürzlich bei einem Fernsehauftritt von Stone. Stones gesamte Filmkarriere der letzten zehn Jahre (Mein Freund Hugo, Ukraine on Fire) ist eine leidenschaftliche, aufrichtige und unkritische Apologie höchst zweifelhafter Regime.

    Stones gesamte Filmkarriere der letzten zehn Jahre ist eine Apologie höchst zweifelhafter Regime

    Deswegen ist The Putin Interviews auch keine Auftragsarbeit des Kreml, sondern ein folgerichtiger Ausdruck der politischen und künstlerischen Haltung eines Regisseurs, der zweifellos als einer der begabtesten und bekanntesten unter seinen amerikanischen Kollegen gelten kann. Und diese Haltung lässt den Hauptprotagonisten des Films, Wladimir Putin, sogar moderater und vernünftiger wirken als seinen Interviewer. Interviewer ist in der Tat zu viel gesagt. Als journalistische Gattung setzt das Interview gewisse Standards voraus, an die sich zu halten Stone erst gar nicht versucht.

    Tatsache ist, dass Oliver Stone den gesamten Film über nicht mit Putin spricht, sondern mit sich selbst. Stone hält ausschweifende Monologe wie: „Sie klingen so, als sei die Wall Street ihr Freund, dabei frage ich mich, ob die Wall Street Russland nicht vernichten möchte?“ Oder: „Viele gebildete Menschen sind der Meinung, das Ziel der USA sei, die russische Wirtschaft zu zerstören.“ Oder: „Gab es in der amerikanischen Geschichte denn je eine Zeit, in der Russland den USA nicht als Feind präsentiert wurde?“

    Wladimir Putin wirkt moderater und vernünftiger als sein Interviewer

    Willst du Putin dazu bringen, deine antiwestlichen Kampfreden zu korrigieren, braucht es dafür wirklich ein oscarwürdiges Talent. Putin war beispielsweise gezwungen zu erklären, dass es keinerlei formale Verpflichtung gebe, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Selbst wenn Stone Putin nicht mit seinem selbst für Putin allzu radikalen Antiamerikanismus irritierte, warf er ihm bestenfalls sogenannte Softbälle zu – unverfängliche und bequeme Fragen, die den Interviewpartner keinesfalls in eine Sackgasse führen. Wenn Sie wissen möchten, was eine Softball-Frage ist, sehen Sie sich ein beliebiges Interview mit Putin im Staatsfernsehen an. Sogar die angesehensten Moderatoren der staatlichen Sender werden nicht gebraucht, um Fragen zu stellen, sondern dienen zur Dekoration für Putins Monologe.

    Aber natürlich ist Stone viel talentierter als die meisten russischen Fernsehmacher. Außerdem würde niemand einem Kameramann von Vesti je erlauben, Putin aus einem Winkel zu filmen, bei dem seine Glatze oder sein Bäuchlein zu sehen sind, geschweige denn seine Finger, die nervös die Armlehne kneten. Deswegen wirkt Putin hier auch viel lebendiger, als der Cyborg aus dem russischen Fernsehen. Genau dafür wurde Stone in englischsprachigen Kritiken übrigens gelobt – die Authentizität des Streifens.

    Putin wirkt hier viel lebendiger als der Cyborg aus dem russischen Fernsehen

    Und natürlich würden dem Ersten Kanal bei der Montage niemals solche Fauxpas unterlaufen, die passiert sind, weil Stone tatsächlich rein gar nichts über Russland weiß, nicht mal auf Wikipedia-Niveau: Als sie auf das Thema internationaler Terrorismus kommen, liefert Stone Putin abermals eine enthusiastische Vorlage, woraufhin Putin erzählt, die CIA habe tschetschenische Kämpfer finanziert. Gleichzeitig laufen im Hintergrund Bilder vom Nord-Ost und aus Beslan ab. Offenbar hat niemand Oliver Stone erklärt, dass bei mindestens einem dieser tragischen Ereignisse der russischen Geschichte am Tod der meisten Geiseln nicht die Terroristen schuld sind. Völlig unabhängig davon, wer sie finanziert.

    Tatsache ist, Putin und Russland nehmen im Weltbild eines Oliver Stone und anderer anti-westlicher Linker eine untergeordnete Position ein, sie sind quasi Dekoration für ihren Hass gegen das Establishment der USA. Deswegen braucht Stone Putins Antworten auch gar nicht unbedingt, meistens ist die Antwort schon in der Frage enthalten.

    Letzten Endes ist aus einem epischen vierstündigen Streifen über den widersprüchlichsten, mächtigsten, weisesten und erfahrensten Politiker, der völlig zu Unrecht vom Westen verleumdet wird – so hatte sich der Macher das gedacht – eine selbstentblößende Autobiografie zweier in die Jahre gekommener verwirrter Menschen geworden. Beide haben sich hoffnungslos in einem Netz aus längst veralteten und widersprüchlichen ideologischen Dogmen verheddert.

    Oliver Stone wettert mit so viel Feuer gegen die ‚Hegemonie Amerikas‘, dass Putin sich genötigt sieht, ihn zu bremsen

    Oliver Stone wettert mit so viel Feuer gegen die „Hegemonie Amerikas“ (die auf jeden Fall alles andere als frei von Sünde ist), dass Putin sich genötigt sieht, ihn zu bremsen. Putin gibt solche Interviews schon seit 18 Jahren, sein Panzer ist kugelsicher.

    Alle Versuche von Reportern, seien sie noch so forsch und frech, ihn mit irgendeiner Frage zu kriegen, scheitern und enden mit Anfall von Untertänigkeit in den russischen Medien, nach dem Motto: „Da hat Putin es dem West-Journalisten aber gezeigt.“ Er vermag es, auf die direkteste Frage mit einer offenkundigen Lüge zu antworten, sodass seinem Gegner nichts anderes übrigbleibt, als mit offenem Mund dazusitzen.

    Denn Putin hat nichts zu befürchten. Es gibt niemanden, der „es ihm zeigen“ könnte. Seine Chancen bei der Wahl hängen nicht davon ab, ob er die Wahrheit sagt oder lügt. Wahrscheinlich weiß er sogar intuitiv um das ulkige Brandolini-Gesetz: Das Widerlegen von Unsinn erfordert erheblich mehr Energie als die Erfindung. Als Putin dann ganz unumwunden behauptet: „In Russland mischt sich der Staat nicht in die Arbeit der Medien ein“, sieht man, dass er wohl schon selbst daran glaubt. Und das ist der mit Abstand unheimlichste Moment des gesamten Films.

    Weitere Themen

    Fernseher gegen Kühlschrank

    „Die Rhetorik derzeit ist komplett putinozentrisch“

    Trump ein Agent Putins?

    Die Wegbereiter des Putinismus

    Triumph der Propaganda über den Journalismus

    Die Geburt des Politischen aus dem Geist der Propaganda

  • Die für den Westen sprechen

    Die für den Westen sprechen

    In unregelmäßigen Abständen werden wir auf dekoder nun auch Beiträge aus russischen Blogs übersetzen, den Anfang macht diese Woche der Blog noodleremover (russisch: lapschesnimalotschnaja) von Alexej Kowaljow. 

    Jemandem Nudeln auf die Ohren hängen – das heißt in Russland soviel wie: jemanden für dumm verkaufen, jemandem einen Bären aufbinden. Die Wendung kommt wohl aus dem Gefängnis-Jargon, und mit Nudeln hat sie mit ziemlicher Sicherheit ursprünglich gar nichts zu tun, aber Kowaljow nimmt sie beim Wort: Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Fälle zu entlarven, in denen russische Massenmedien ihren Lesern (und Zuschauern) die Pasta auf die Ohrmuscheln zu kleben versuchen – und kratzt sie mit medienanalytischen Werkzeugen wieder ab. Fündig wird er dabei häufig, und seine Leser danken es ihm inzwischen mit bis zu 100.000 page views für jeden seiner Posts. 

    In dem hier übersetzten Beitrag wirft Kowaljow – der als ehemaliger Chefredakteur von inosmi.ru und Co-Chef von yodnews.ru die Medienszene genauestens kennt – einen Blick auf einige Persönlichkeiten, die im russischen Fernsehen als westliche Experten zu verschiedenen politischen Themen präsentiert werden. Dabei spielt die deutsche rechtsnationale Szene keine unbedeutende Rolle.

    Gestern hatte euer ergebener Diener ein Gespräch mit den Kollegen des Internetfernsehens Nastojaschtscheje Wremja [currenttime.tvdek], und zwar anlässlich eines kürzlich veröffentlichten noodleremover-Beitrags über die „Experten“, die in den russischen Fernsehprogrammen auftreten und sowohl für den einheimischen Markt, sprich für die WGTRK, tätig sind als auch für den ausländischen Markt, also beispielsweise für Sendungen von RT und Sputnik. Diese Experten werden gewissermaßen zur äußeren Legitimation propagandistischer Thesen benutzt – schaut mal her, wir haben uns diese ganzen Geschichten über das niederträchtige Amerika gar nicht selbst ausgedacht, sogar die amerikanischen Experten sagen das. 

    [video:https://www.youtube.com/watch?v=SSovnoi5_n8 align:left]

    Es gibt also eine Handvoll Leute, die von Beitrag zu Beitrag ziehen, wo sie mal als „Experten“, mal als „Analytiker“ und mal als „Journalisten und Schriftsteller“ vorgestellt werden. Obgleich sie bei sich zu Hause keineswegs als Experten gelten. In Russland kann man ja Parlamentssprecher oder Leiter der größten Staatsbetriebe sein oder einen anderen höchsten Staatsposten bekleiden und dabei in der Öffentlichkeit den tumbesten verschwörungstheoretischen Blödsinn von sich geben, und das wird dann in den staatlichen Medien abgedruckt, ohne dass es irgendjemanden kümmern würde. Im Westen aber, im Gegensatz zu Russland, hat der Begriff Reputation doch ein gewisses Gewicht. Wenn jemand ein hohes Amt anstrebt oder in den seriösen Medien auftreten will, obwohl er irgendwelche komplett marginalen Standpunkte vertritt oder Anhänger einer Verschwörungstheorie ist, so wird er versuchen, diese für sich zu behalten. Denen, die ihre Leidenschaft für Aluhüte nicht im Griff haben, bleiben nur die Websites für den kleinen Kreis ihrer Gesinnungsgenossen – oder der Fernsehsender RT, wo man ihre Phantasien live an ein mittlerweile durchaus breites, wenngleich weltweit gesehen doch marginales Publikum ausstrahlt. So gelangen „Experten“ zuerst zu RT und von dort aus auch in die Westi – bei näherer Betrachtung entpuppen sie sich dann als stadtbekannte Irre, sonstige schräge Vögel oder als mehr oder weniger offene Nazis. 

    Manuel Ochsenreiter (Redakteur der rechten Zeitschrift Zuerst!) im Ersten Russischen Fernsehen
    Manuel Ochsenreiter (Redakteur der rechten Zeitschrift Zuerst!) im Ersten Russischen Fernsehen

    In meinem Gespräch mit Nastojaschtscheje Wremja kam eine interessante Frage auf, deren Beantwortung bedauerlicherweise nicht gesendet wurde. Woher kommen  diese ganzen Leute eigentlich? Sitzt irgendein unbekannter Redakteur des Staatsfernsehens da und überlegt: „Welchen renommierten ausländischen Experten hole ich am besten in die Sendung, damit er dort über Amerikas heimtückische Intrigen berichtet?“ Wir wollen einfach mal versuchen, anhand jenes Westi-Beitrags über sogenannte Couchexperten Licht ins Dunkel zu bringen.

    Da ist zum Beispiel William Engdahl, der behauptet, die USA hätten „einen umfassenden Plan zur Dämonisierung Russlands aufgestellt“. Engdahl ist Autor zahlreicher Bücher, Artikel und Vorträge über die schädlichen Folgen von Genmanipulation sowie darüber, dass die globale Erderwärmung ein Mythos sei und dass hinter sämtlichen globalen Entwicklungen in der Welt, vom Sturz des Schahs im Iran 1979 bis zur ägyptischen Revolution 2011, die CIA stehe. Er ist häufig zu sehen auf RT, unter anderem war er in der Sendung Truthseeker im Juli 2014 zugeschaltet, und zwar in der Ausgabe über das „gekreuzigte Baby“, die nach zahlreichen Zuschauerbeschwerden wieder aus dem Programm genommen wurde. 

    Wurde Engdahl in dem Westi-Beitrag als „Schriftsteller und Politologe“ vorgestellt, so betreibt er hier „investigativen Journalismus“ 
    Wurde Engdahl in dem Westi-Beitrag als „Schriftsteller und Politologe“ vorgestellt, so betreibt er hier „investigativen Journalismus“ 

    Außerdem ist Engdahl ständiger Autor des Zentrums für Globalisierungsforschung und seine Texte werden häufig auf der Website globalresearch.ca publiziert. Ich habe bereits darüber geschrieben, warum diese Seite eine solch wertvolle Quelle für die verschiedensten „Analytiker“ und „Politologen“ im russischen Fernsehen darstellt. Der Gründer des Zentrums für Globalisierungsforschung Michel Chossudovsky gehört dem wissenschaftlichen Beirat der italienischen Zeitschrift Geopolitica an, deren Chefredakteur Tiberio Graciani wiederum im obersten Rat der Internationalen eurasischen Bewegung sitzt, deren Vordenker und Anführer Alexander Dugin ist. Wenn ihr nicht darüber informiert seid, wer das ist, lest es bitte nach, so auf die Schnelle lässt sich das nicht sagen. Eine, kurz gesagt, facettenreiche Persönlichkeit, die in Russland innerhalb von wenigen Jahren vom „verrückten Professor“ zu einem der einflussreichsten öffentlichen Intellektuellen mit einer enormen Wirkung auf die Innen- und Außenpolitik geworden ist. Über sein Verhältnis zur russischen Führung gibt wohl am deutlichsten ein Zitat von ihm aus dem Jahr 2007 Aufschluss. Seither haben sich seine Ansichten nicht allzu sehr geändert.


    „Gegner des Putinschen Kurses gibt es nicht mehr, und wenn doch, sind sie psychisch krank und man muss sie zur Gesundheitsfürsorge schicken. Putin ist überall, Putin ist alles, Putin ist absolut, Putin ist unersetzlich.“ Der Anführer der Eurasischen Bewegung Alexander Dugin am 17. September, auf einem Empfang der Zeitung Izvestia


    Es gibt noch eine italienische Zeitschrift für ultrarechte Intellektuelle, die Putin nach dem Prinzip „der Feind meines Feindes“ (Hauptsache, es geht gegen Amerika) unterstützen, und dort steht Engdahl beim wissenschaftlichen Beirat direkt in der Zeile unter Dugin. Man kann also davon ausgehen, dass Engdahl mit Dugin persönlich bekannt ist und über ihn Zugang hat zu den Köpfen und Büros der höchsten Führungsetagen, also auch zu den Chefs der staatlichen Fernsehgesellschaft WGTRK, dass er also nicht auf persönliche Initiative eines Jungredakteurs im russischen Äther auftaucht. Dugin nahestehende Kreise der europäischen Ultrarechten, Neonazis, Euroskeptiker und verschiedenste Verschwörungstheoretiker – das sind, wie es aussieht, die Hauptquelle, aus der das russische Fernsehen seine „Experten“ rekrutiert. Und nicht nur fürs Fernsehen. Da ist zum Beispiel Manuel Ochsenreiter, der regelmäßig sowohl auf RT als auch auf den russischen TV-Kanälen als „Journalist“ herumgeistert. Hier ist er beispielsweise in Gesellschaft von Alexander Dugin zu sehen: 

    Der Journalist Ochsenreiter ist natürlich ein ziemlicher Spezialfall: Er ist Redakteur der ultrarechten [deutschen] Zeitschrift Zuerst!, die in Deutschland immer wieder für Schlagzeilen sorgte (beispielsweise lehnte der Bauer-Verlag wegen Sympathien für die Nazis die Zusammenarbeit ab). Und Ochsenreiter ist nicht einfach nur ein häufiger Kommentator im russischen Fernsehen – er war auch „Beobachter“ bei den „Wahlen“ in der „Volksrepublik Lugansk“. Die sich anscheinend der Aggression der faschistischen Junta zur Wehr setzt. Mit Hilfe eines echten deutschen Neonazis, der früher eine Zeitschrift über die ruhmreichen Siege der Wehrmacht herausgegeben hat. 


    Izvestia, 2. November 2014:
    Ausländische Beobachter verzeichnen hohe Wahlbeteiligung bei den Wahlen in der Volksrepublik Lugansk 
    Der Vertreter Deutschlands, Manuel Ochsenreiter, erklärte, er habe bislang „keinen einzigen Verstoß beobachtet“.
    Die ausländischen Beobachter, die an dem Wahlmonitoring teilnehmen – gewählt werden das Oberhaupt der Volksrepublik Lugansk und die Abgeordneten des Volkssowjets – verzeichnen eine hohe Wahlbeteiligung.
    „Wir kommen gerade aus einem Wahllokal – das war voll bis zum Anschlag. Mein erster Eindruck ist, dass die Menschen ein enormes Interesse daran haben, an diesen Wahlen teilzunehmen“, erklärte Manuel Ochsenreiter, der hier Deutschland vertritt, gegenüber der Nachrichtenagentur TASS. Die Gruppe, der er angehört, hatte ein Wahllokal in Brjanka besucht. 

    Und so sieht das Cover der Deutschen Militärzeitschrift aus, deren Chefredakteur Ochsenreiter bis 2011 war:

    Weiter im Text unseres Westi-Beitrags: Nach Engdahl tritt dort Jeffrey Steinberg auf. Steinberg schreibt für die Zeitschrift Executive Intelligence Review, die von der sogenannten LaRouche-Bewegung (LaRouche Movement) herausgegeben wird. Die „Bewegung“ – diplomatisch ausgedrückt, in Wirklichkeit sind die LaRouchisten eine faschistoide Sekte mit ziemlich ekelhaften Ritualen (nachzulesen beispielsweise unter dem Stichwort „Ego-Striptease“ [im Wikipedia-Eintrag über LaRouche – dek]). Ihre Ansichten sind ebenfalls extrem verschwörungstheoretisch und sektenmäßig. Die LaRouchisten haben zum Beispiel einen kompletten Dachschaden, was die britische Königsfamilie angeht, die ihrer Ansicht nach generell an allem Unglück der Menschheit schuld ist, Königin Elisabeth II. kontrolliert persönlich das Kokainkartell und so weiter. Eben jener Jeffrey Steinberg behauptete zum Beispiel in einem Interview, Prinzessin Diana sei nicht bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sondern auf Weisung Prinz Philips vom britischen Geheimdienst ermordet worden (eine populäre Verschwörungstheorie bezüglich Diana: murder, not accident). Bei der Zeitschrift Executive Intelligence Review (EIR) finden sich regelmäßig Cover im Geiste wie diesem hier:

    LaRouche: Jetzt handeln, um Obamas Nazi-Plan zur Gesundheitsreform zu stoppen!
    LaRouche: Jetzt handeln, um Obamas Nazi-Plan zur Gesundheitsreform zu stoppen!

    Wie ihr wahrscheinlich ahnt, ist in Amerika die Herausgabe von Zeitschriften mit einem derartigen Cover und solchen Ansichten zwar nicht verboten (man stelle sich das mal entsprechend in Russland vor), doch sie sind, gelinde gesagt, bei der breiten Masse nicht gerade beliebt.
    Ganz anders in Russland. Zum einen haben die LaRouchisten eine Niederlassung in Russland – das sogenannte Schiller-Institut. Und die Executive Intelligence Review hat auch eine russischsprachige Website. Dort steht genau das Gleiche wie im Original, bloß dass es in russischer Übersetzung noch hirnverbrannter wirkt:



    Britische Agenten – Verfechter des Völkermords [an in der Ukraine lebenden Russen] – […] Organisation eines US-imperialen Umsturzes in der Ukraine. Mannomann.
    Dabei sind diese Leute nicht erst gestern aufgetaucht. Seit 2008 gibt Lyndon LaRouche auf RT regelmäßig Interviews.

    [video:https://www.youtube.com/watch?v=ISjsnfg0UVk align:left]

    Doch er ist nicht vom Himmel gefallen. Lyndon LaRouche ist kein persönlicher und langjähriger Freund von irgendjemandem, sondern vom Präsidentenberater zu Fragen der Wirtschaftsintegration Sergej Glasjew. Hier sehen wir LaRouche und Glasjew im Jahr 2001 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz:



    Und hier eine persönliche Gratulation von Sergej Glasjew an Lyndon LaRouche auf der russischen EIR-Seite:
     

    Lieber Lyndon LaRouche!
    Von ganzem Herzen gratuliere ich Ihnen zu Ihrem runden Geburtstag, den Sie dieser Tage feiern, Sie, ein weltweit anerkannter Wissenschaftler, der verdientermaßen die Achtung von Spezialisten, Politikern und Personen des öffentlichen Lebens in verschiedenen Ländern der Welt genießt. Ihre visionäre Gabe und die von Ihnen lange vor der weltweiten Finanzkrise erarbeitete Prognose des Zusammenbruchs des internationalen Finanzsystems haben Ihnen den Ruhm eines Propheten und Gurus für die Schlüsselprobleme der Menschheitsentwicklung eingebracht!
    Aufrichtig wünsche ich Ihnen neue schöpferische Großtaten, eine robuste Gesundheit und das Glück, die Umsetzung Ihrer Vorschläge und Empfehlungen zur Gesundung und Entwicklung der Weltwirtschaft mitzuerleben. 
    Ihr
    Sergej Glasjew 
    29.08.2012


    Wie ihr seht, fallen diese „Experten“ und „Analytiker“ wirklich nicht vom Himmel und werden nicht auf Initiative irgendwelcher Nachrichtenredakteure ins russische Fernsehen geholt, sondern von ihren Freunden an der Spitze der russischen Macht. Dugin, Glasjew und die Partei Rodina unterhalten enge Verbindungen zu europäischen und amerikanischen Ultrarechten, Neonazis und sonstigen Obskuranten, die man als im Westen einflussreiche Politikwissenschaftler und Journalisten ins Fernsehen schleift – die sie aber natürlich nicht sind. Und die sich deshalb freuen wie die Schneekönige, wenn sie, zwar nicht im eigenen Land, aber in Russland, ins echte Fernsehen dürfen und als wichtige Leute vorgestellt werden. Die Partei Rodina, der Sergej Glasjew angehört, ist ebenfalls ein Großlieferant für unterschiedlichste handgemachte TV-„Experten“. Einer davon ist zum Beispiel John Laughland, der immer wieder in der Nachrichtensendung Westi zitiert wird. Mindestens schon seit 2002:



    Heute wird Laughland als „Forschungsprogrammleiter des Instituts für Demokratie und Zusammenarbeit“ zitiert. Dieses hat seinen Sitz in Paris und nennt sich solide The Institute of Democracy and Cooperation oder auch Institut de la Démocratie et de la Coopération. Nur ist Leiter des Instituts nicht Laughland und auch nicht irgendein Monsieur Sowieso, sondern die ehemalige (2003–2007) russische Dumaabgeordnete für die Partei Rodina Natalja Narotschnizkaja, die von Putin persönlich zur Leiterin ernannt wurde. 



    Narotschnizkaja und Laughland sind ebenfalls langjährige und gute Freunde. 

    John Laughland und Natalja Narotschnizkaja
    John Laughland und Natalja Narotschnizkaja



    Das Institut für Demokratie und Zusammenarbeit ist eine NGO, die offiziell von Russland aus gegründet wurde und gesponsert wird. Wenn ihr also solche Experten im Fernsehen seht, lasst euch nicht durch ein Institute of Democracy and Cooperation und einen Mister Laughland täuschen, die die NATO, Amerika und die Demokratie kritisieren – das sind alles einheimische Pflanzen. 
    So weit für heute, lasst euch keine Nudeln auf die Ohren hängen und bleibt online. 

    PS: Für eine Vielzahl an nützlichen Hinweisen dankt der Nudelentferner Anton Schechowzow, der die Verbindungen zwischen dem russischen Polit-Establishment und den europäischen und amerikanischen Ultrarechten gründlich erforscht hat.

    Weitere Themen

    „Propaganda wirkt, wenn sie auf vorbereiteten Boden fällt“

    Albrights Un-Worte

    Die Propagandamacher (Teil 1)

    Nach dem Bruderkuss

    Die Propagandamacher (Teil 2)

    „Beide Seiten konstruieren in Syrien ihre Realität“

    In stillem Gedenken und …