Zitat #12: „Meine Stadt stirbt einen qualvollen Tod“

„Ich war in der Hölle“, schreibt die ukrainische Journalistin Nadeshda Suchorukowa über ihre Heimatstadt Mariupol. Die Stadt, der sie inzwischen entkommen konnte, wird seit Tagen von der russischen Armee belagert und heftig beschossen – auch Wohnhäuser, Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen. Die verbliebenen Bewohner sind abgeriegelt von der Außenwelt, von Strom, Wasser, Internet und Lebensmitteln. Die Stadt am Asowschen Meer gilt als strategisch wichtig zwischen den von Russland kontrollierten Donbass-Gebieten und der Krim.

Auf ihrer Facebook-Seite schildert Suchorukowa Erlebnisse aus der Belagerung – dekoder dokumentiert einen Ausschnitt daraus. 

Die Leichen deiner Nachbarn und Bekannten holt niemand ab. Die Toten liegen in Hausfluren, auf Balkonen, in Höfen. Und du hast kein Fitzelchen Angst. Denn die größte Angst kommt beim nächtlichen Angriff.

Wisst ihr, was dem nächtlichen Angriff ähnelt? Der Tod, der alle Adern aus dir herauszieht. Schlafen darf man nachts nicht. Denn man träumt friedliche Träume. Du tauchst aus ihnen auf und fällst in den Alptraum.

Zuerst kommen Geräusche. Fiese metallische Geräusche, als würde jemand einen riesigen Zirkel drehen und die Entfernung zu deinem Schutzraum messen. Um ihn genauer zu treffen. Dann kommt die Rakete. Du hörst, wie ein riesiger Hammer auf das Metalldach schlägt, und dann ein fürchterliches Knirschen, als würden sie mit einem riesigen Messer die Erde aufschlitzen oder als würde ein gewaltiger Riese aus Metall in schmiedeeisernen Stiefeln über deine Erde gehen und Häuser, Bäume, Menschen zertreten. Du sitzt da und merkst, dass du dich nicht mal bewegen kannst. Du kannst nicht wegrennen, schreien nützt nichts, verstecken nützt nichts. Er findet dich sowieso, wenn er will.

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