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Warum sind Polizisten bestechlich?

Antikorruptionskampagnen, höhere Gehälter und verschärfte Strafen für Bestechung helfen nicht gegen Korruption. An der Moskauer Hochschule für Wirtschaft HSE wurde eine Untersuchung mit tatsächlichen Mitarbeitern der russischen Polizei durchgeführt. Sie nahmen an einem Spiel teil, das ihre Neigung zur Korruption aufzeigen sollte. An diesem Spiel nahmen auch gewöhnliche Studenten teil. Die Polizisten waren dabei insgesamt öfter bereit, Bestechungsgelder zu nehmen oder zu zahlen, sogar wenn es sich offensichtlich nicht lohnte. Korruptionsprinzipien und -normen waren für sie wichtiger als Gewinne oder Risiken.

Eine Gruppe von Forschern der Hochschule für Wirtschaft hat sich ein für Russland leidiges Thema vorgenommen: die Korruption bei der Polizei.

Sie sind davon überzeugt, dass Korruption in einer bestimmten Kultur und bestimmten Prinzipien begründet liegt, die tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind: Wenn man einem Mitarbeiter der Staatlichen Straßenverkehrsinspektion Geld zusteckt, kann man sich ziemlich sicher sein, dass er das Geld nimmt und bei dem Vergehen ein Auge zudrückt. Wenn man einem Polizisten vorschlägt, man könne sich doch „einigen“, gibt es eigentlich keinen Zweifel, dass das funktioniert.

Innerhalb der Polizei haben sich mittlerweile feste Korruptionsstrukturen herausgebildet. Beamte der mittleren Ebene nehmen Bestechungsgelder von den normalen Bürgern und – damit es nicht herauskommt – teilen sie sie hinterher mit ihren Vorgesetzten. So entsteht ein funktionierendes Korruptionsnetz. Dabei haben die Polizisten, wie die Studie zeigt, diese Prinzipien derart verinnerlicht, dass sie nicht von ihnen ablassen, selbst wenn die Korruption sich finanziell nicht lohnt. Sie sind bereits eine in sich geschlossene Gruppe, die durch eine bestimmte Kultur mit bestimmten Werten und Prinzipien verbunden ist.

Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler aufgrund eines Experiments, das mit russischen Polizisten vom Polizeihauptmann bis hin zum Oberst durchgeführt wurde, von denen alle einen Zusatzlehrgang der Akademie des russischen Innenministeriums absolviert hatten. Das Durchschnittsalter der Versuchspersonen betrug 36 Jahre. Die russische Polizei befand sich während der Untersuchung gerade in einer Phase der Umstrukturierung.

Dieselbe Untersuchung wurde mit Studierenden der Hochschule für Wirtschaft durchgeführt. Ihre Ergebnisse wurden mit denen der Polizeibeamten verglichen.

Korruptionsspiel

Das Experiment bestand aus einem Spiel. Ziel war nicht, einem konkreten Beamten seine Neigung zur Bestechlichkeit nachzuweisen, sondern zu verstehen, wie die Polizisten interagieren und was ihr Verhalten motiviert. Es wurde kein echtes Geld verwendet.

Die Offiziere wurden in Gruppen zu je 5 Mann eingeteilt, alle saßen am Computer. Sie wussten, dass sie mit Leuten aus dem Raum, in dem sie saßen, in einer Gruppe waren, wussten aber nicht mit wem.

Das Spiel bestand aus 24 Runden, die in drei Spielphasen aufgeteilt waren.

Erste Spielphase

In jeder Runde erhält jeder Teilnehmer 100 Punkte, das ist sein Einkommen. Dieses kann er mithilfe einer beliebigen Menge von Bestechungseinnahmen aufbessern. Dabei werden die Handlungen des Spielers mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit überwacht. Wird er geschnappt, muss er alle Bestechungspunkte zurückgeben und noch dazu 50 Strafpunkte zahlen.

Die Mitglieder einer Gruppe können Geld in einen gemeinsamen Topf geben, quasi als kollektives Bestechungsgeld für den Vorgesetzten, der sie kontrolliert. Schaffen sie 500 Punkte zusammenzubringen, hört die Überwachung auf.

Nach jeder Runde zählen die Teilnehmer, wie viel Geld sie bekommen und wie viel sie ausgegeben haben, dann treffen sie ihre Entscheidung für die nächste Runde.

Damit wird modellhaft folgende Situation nachgestellt: Nehmen wir ein konkretes Polizeirevier. Die Offiziere der mittleren Ebene stehen vor einer schwierigen Wahl: Ihr Gehalt ist niedrig, es besteht jedoch die Möglichkeit, es durch Bestechungsgelder aufzubessern. Dabei besteht das Risiko, dass sie von ihren Vorgesetzten erwischt werden. Dieses Risiko kann man jedoch senken, wiederum mithilfe von Schmiergeldern: Für eine Belohnung verschließt der Vorgesetzte die Augen vor dem Vergehen des Untergebenen. Auf diese Weise entsteht ein Korruptionsnetz.

Neuer Vorgesetzter

In der zweiten Spielphase nach acht Runden werden die Regeln geändert: Nun kann der gemeinsame Topf plötzlich unkontrolliert verschwinden. Wenn dies geschieht, sind die Gelder der Teilnehmer verbrannt, ihre Bestechlichkeit wird nicht länger gedeckt.

Im richtigen Leben sähe das so aus: Der Vorgesetzte wird durch einen Neuen ersetzt. Von ihm ist nicht bekannt, ob er Schmiergelder akzeptiert oder nicht. Wenn er ehrlich ist, hat die Existenz eines gemeinsamen Topfs keinen Sinn mehr. Schmiergeld nimmt der neue Vorgesetzte sowieso nicht und er hat auch nicht vor, die Vergehen seiner Untergebenen zu decken.

Gehaltserhöhung

In der dritten Runde steigt das Einkommen der Teilnehmer auf 300 Punkte, Schmiergeld nicht eingerechnet. Doch wenn man geschnappt wird, muss man alle Bestechungsgelder zurückzahlen, plus in dieser Runde 300 Punkte. Doch die Spieler wissen nicht, ob der Vorgesetzte bestechlich ist oder nicht, genau wie in der zweiten Spielphase.

Tatsächlich wurde diese Methode – Gehaltserhöhung in Kombination mit drastischen Strafen – im Kampf gegen die Korruption in Georgien und vielen anderen Ländern angewandt.

In einer solchen Situation sollte jemand, der kein Risiko will, besser kein Bestechungsgeld annehmen.

Kultur zwingt Polizisten bestechlich zu bleiben

Die Unterschiede zwischen den Studenten und den Polizisten wurden sofort offensichtlich. Die Wissenschaftler hatten die Regeln sachlich neutral erklärt. Den Studenten war bis zum Schluss nicht klar, dass es sich um eine Art Test auf Korruptionsanfälligkeit handelte. Den Polizisten hingegen war dies sofort klar, als sie die Spielregeln hörten.

Die Studenten bevorzugten insgesamt wesentlich öfter ehrliches Verhalten, während die Polizisten in der Mehrheit der Fälle Korruptionsnetze aufbauten.

Interessant war, dass die Polizisten in der ersten Spielphase weniger Bestechungsgelder nahmen, später dann die Zahl der Bestechungsfälle anstieg, obwohl sich Korruption wirtschaftlich immer weniger lohnte. Dies bestätigte, dass in Bezug auf Korruption folgendes Gesetz gilt: Je mehr Druck der Beamte ausgesetzt ist und je höher das Risiko, desto aktiver nimmt er Bestechungsgelder an. Mithilfe der Bestechungsgelder versucht er, die gestiegenen Risiken zu kompensieren. Faktisch bedeutet das, dass Antikorruptionskampagnen im Rahmen der geltenden Normen nicht funktionieren. Doch Kultur und Normen bei der Polizei ändern sich sehr langsam.

Die Entscheidung, kein Schmiergeld mehr an die Vorgesetzten zu zahlen, trafen die Polizisten erst in der dritten Spielphase, und auch dann nicht in allen Fällen. Die Studenten versuchten insgesamt seltener, ihre Vorgesetzten zu bestechen. Solche Versuche hatte es vor allem in der ersten Spielphase gegeben, in der zweiten und dritten Phase nahmen sie ab.

Die Strategie der Studenten war verständlich: Sie nahmen Bestechungsgelder während der ersten und zweiten Spielphase, als es sich lohnte, in der dritten Phase bevorzugten sie ehrliches Verhalten. Die Polizisten ließen sich dagegen eher von gewissen Normen und Prinzipien leiten, denen eine Korruptionskultur zugrunde liegt. De facto verhalten sich Polizisten solidarisch und wählen, ohne sich untereinander abzusprechen, die korruptionsträchtigsten Vorgehensweisen.

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