„Ein Fehler historischen Ausmaßes“

An jedem Tag der vergangenen Woche haben hunderte Moskauer gegen die Nichtzulassung von Oppositionskandidaten zur Regionalwahl protestiert. Am Samstag versammelten sich laut Nichtregierungsorganisation Bely Stschottschik 22.500 Demonstranten auf dem Sacharow-Prospekt. Bei der größten Protestaktion der vergangenen Monate forderten sie eine freie und faire Regionalwahl, zu einem wiederkehrenden Motiv der Demonstration gehörte der Slogan Ljubow (dt. Liebe).

Ljubow Sobol ist eine von rund 20 OppositionskandidatInnen, die die Moskauer Wahlkommission von der Wahl zum Stadtparlament ausgeschlossen hatte. Wie auch die anderen unabhängigen Kandidaten musste die junge Juristin und Mitstreiterin von Alexej Nawalny Unterstützer-Unterschriften von mindestens drei Prozent aller Wähler aus ihrem Wahlkreis sammeln, um antreten zu dürfen. Laut Moskauer Wahlkommission sei ein Teil dieser Unterschriften jedoch gefälscht, deshalb dürfe Sobol per Gesetz nun nicht zugelassen werden.

Sobol sowie andere Oppositionskandidaten sehen darin eine politisch-motivierte Entscheidung. Die Regierungspartei Einiges Russland sei in der russischen Gesellschaft derzeit so unbeliebt, dass sie ihre Kandidaten als unbefleckte Unabhängige ins Rennen schicke. Um eine Schlappe bei der Wahl am Einheitlichen Wahltag am 8. September abzuwenden, würden die Behörden nun auch unfaire Zulassungshürden konstruieren – und damit die Teilnahme der Opposition verhindern. 

Viele Beobachter vergleichen diese Entscheidung mit der letzten Wahl zum Moskauer Stadtparlament vor fünf Jahren. Auch damals sei sie weder frei gewesen noch fair, auch damals habe es ähnliche Zulassungshürden gegeben. Diesmal, so der Tenor, sei aber Eines anders: Die Opposition, die damals gespalten war, ziehe jetzt an einem Strang. Tatsächlich kam es bisher noch nie vor, dass Ljubow Sobol, Ilja Jaschin, Dimitri Gudkow und andere Oppositionelle gemeinsame Forderungen erheben und gemeinsam auf die Straße gehen. Wlad Dokschin hat sie begleitet und die Proteste in einer Fotoreportage für die Novaya Gazeta festgehalten.

Unabhängige Kandidaten unterschiedlicher politischer Bewegungen für die Wahl der Moskauer Stadtduma. Eine Sache verbindet sie: der Ausschluss von der Wahl aus formalen Gründen / Foto © Wlad Dokschin

Der Politiker Alexej Nawalny vor dem Beginn der Kundgebung bei seinen Anhängern / Foto © Wlad Dokschin

Auf dem Sacharow-Prospekt vor Beginn der Kundgebung / Foto © Wlad Dokschin

Rede des Politikers Dimitri Gudkow. Er wurde von der Wahl ausgeschlossen, weil er nach Angaben der Wahlkommission die gestatteten zehn Prozent „Ausschuss“ an  Unterstützer-Unterschriften überschritten hat / Foto © Wlad Dokschin

Teilnehmer der Kundgebung mit einem Plakat: „Ein Fehler historischen Ausmaßes“ / Foto © Wlad Dokschin

Ljubow Sobol, der die Registrierung zur Wahl der Moskauer Stadtduma verweigert wurde, kommt von der Bühne. Ihr hilft Iwan Shdanow, dem ebenfalls die Registrierung verweigert wurde / Foto © Wlad Dokschin

Politiker Alexej Nawalny beschwört die Teilnehmer der Kundgebung, keine Angst vor Festnahmen zu haben im Kampf für ein besseres zukünftiges Russland / Foto © Wlad Dokschin

Eine Teilnehmerin der Kundgebung. Aufschrift auf den Plakaten: „Ich habe ein Recht auf Wahl“ sowie die Namen der Kandidaten Iwan Shdanow und Ljubow Sobol / Foto © Wlad Dokschin

Michail Swetow, Vertreter der Libertären Partei. Mitglieder der Partei hatten die Kundgebung organisiert / Foto © Wlad Dokschin

Am Eingang bekamen die Teilnehmer Trillerpfeifen. Laut Plan der Organisatoren sollten sie damit die Machthaber auspfeifen / Foto © Wlad Dokschin

Ilja Jaschin während seines Auftritts. Auch ihm wurde die Registrierung verweigert. Im Hintergrund zu lesen: „Wir haben das Recht auf eigene Kandidaten“ / Foto © Wlad Dokschin

Teilnehmerin der Kundgebung auf dem Sacharow-Prospekt. Auf ihrem Plakat steht: „Sie nahmen die Liebe – es blieb nur Hass“, Anspielung auf den Vornamen der Kandidatin Ljubow Sobol, der übersetzt „Liebe“ bedeutet / Foto © Wlad Dokschin

Laut Zählung der NGO Bely Stschottschik nahmen an der Kundgebung rund 22.000 Menschen teil / Foto © Wlad Dokschin

Nach dem Ende der Kundgebung / Foto © Wlad Dokschin

Angehörige der Russischen Nationalgarde drängen die nach der Demo Gebliebenen auf dem Sacharow-Prospekt zurück. Insgesamt wurden bei der Protestaktion sechs Menschen verhaftet / Foto © Wlad Dokschin

Fotos: Wlad Dokschin
Übersetzung und Anlauf: dekoder-Redaktion
Veröffentlicht am 22.07.2019

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