Seit der plötzlichen Aussöhnung zwischen Putin und Erdogan Ende Juni lag dieses Treffen auf der Hand. Am 9. August trafen die beiden Staatschefs nun in Sankt Petersburg zusammen: Erdogan bezeichnete Putin mehrmals als seinen „geschätzten Freund“, der Kreml-Chef blieb etwas kühler und sagte, die „guten Beziehungen“ zwischen den beiden Ländern sollten wiederhergestellt werden.
Entsprechend wurden bei dem rund dreistündigem Gespräch die ganz heißen Themen wie der Syrienkrieg, in dem Russland und die Türkei unterschiedliche Seiten unterstützen, nicht weiter vertieft. Stattdessen ging es vor allem um die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern.
Russische Medien, staatliche wie unabhängige, bewerten das Treffen mit zurückhaltender Begeisterung:
Essen vom Freundschaftsteller – Putin und Erdogan trafen sich am 9. August in St. Petersburg
Rosbalt: Keine Zungenkuss-Freundschaft
Iwan Preobrashenski fragt sich auf dem unabhängigen Nachrichtenportal Rosbalt, inwiefern die Annäherung der beiden Präsidenten wirklich eine nachhaltige Grundlage für eine russisch-türkische Freundschaft ist:
[bilingbox]Anders gesagt, aus einer Zungenkuss-Freundschaft wird natürlich erstmal nichts. Am ehesten wegen eben dieser Syrien-Geschichte. Die Positionen Russlands und der Türkei haben sich schon so sehr angenähert, dass man beispielsweise überhaupt mal die Zukunft Assads diskutieren kann. Aber sie habe sich noch nicht genug angenähert, als dass man sich über diese Zukunft auch einigen könnte.
Letztlich darf man nicht vergessen, dass die Beziehungen der beiden Länder, wie zu Zeiten des monarchistischen Europas, vollständig abhängig sind von der Freundschaft ihrer Herrscher – die kann ebenso rapide erlöschen wie sie wieder aufflammen kann. Und das lässt sich wohl kaum als feste und stabile Basis für eine russisch-türkische Freundschaft bezeichnen, ganz gleich wie schnell sich die beiden Länder derzeit einander annähern. ~~~Иначе говоря, «дружбы взасос» пока явно не получается. Скорее всего, все по той же сирийской причине. Позиции России и Турции настолько сблизились, что они вообще могут уже откровенно обсуждать, например, будущее Башара Асада. Но все еще не настолько, чтобы они могли об этом будущем договориться. В конце концов не надо забывать, что отношения двух стран, как в эпоху монархической Европы, полностью зависят от стремительно гаснущей и также стремительно возрождающейся дружбы двух государей. А это вряд ли можно назвать твердой и стабильной основой для российско-турецкой дружбы, несмотря на нынешнее стремительное сближение двух стран.[/bilingbox]
Life.ru: Putins Linie hat sich bewährt
Auf der Internetseite des kremlnahen Fernsehsenders LIFE dagegen sieht Anna Gimadejewa nach dem Treffen neue Chancen für eine Lösung der Situation im Nahen Osten:
[bilingbox]Statt eines weiteren feindlich gesinnten Staates an der eigenen Grenze bekommt Russland nun eine günstige strategische Auszeit und die Möglichkeit, an einer Reihe von Energie-Projekten weiterzustricken. Die Türkei wird natürlich kein strategischer Verbündeter oder Freund Russlands. Jedoch kann sie unter dem Druck der Umstände und objektiven Bedingungen ein berechenbarer Partner bei der Lösung von unterschiedlichsten Problemen in der Welt sein.
Außerdem muss man darauf hinweisen, dass sich die außenpolitische Linie von Präsident Putin vollends bewährt hat: Erstens hat Putin verhindert, dass Russland in einen gefährlichen Militärkonflikt mit der Türkei (und entsprechend mit dem ganzen NATO-Block) hineingezogen wird. Zweitens hat er Ausdauer und Beharrlichkeit bewiesen, dass er der türkischen Führung genau in dem Moment entgegen kommt, der geopolitisch gesehen für Russland am vorteilhaftesten ist.~~~Россия вместо очередного недружественного государства у своих границ получит благоприятную стратегическую паузу и возможность „расшить“ ряд энергетических проектов. Турция, безусловно, не станет стратегическим союзником или другом России, однако под давлением обстоятельств и объективных условий способна быть предсказуемым партнёром в решении целого ряда мировых проблем.
Также необходимо указать и на то, что полностью оправдала себя внешнеполитическая линия президента Путина, который, во-первых, не дал втянуть Россию в острое военное противостояние с Турцией (и всем блоком НАТО соответственно), во-вторых, продемонстрировал выдержку и упорство, пойдя навстречу турецкому руководству в наиболее выгодный для России с геополитической точки зрения момент.[/bilingbox]
Novaya Gazeta: Klub der Ausgestoßenen
Eine Ursache der raschen Annäherung von Erdogan und Putin liegt für Alexander Tschursin von der unabhängigen Novaya Gazeta im Zwist der Türkei mit Deutschland wegen der deutschen Anerkennung des Genozids an den Armeniern:
[bilingbox]Dadurch, dass der türkische Präsident einen eigenen Kalten Krieg gegen Deutschland, und somit gegen die gesamte Europäische Union begonnen hatte, brauchte er Verbündete. Und der Kreml passte am besten in diese Rolle – Russland lebt schon seit zwei Jahren unter Sanktionen, die politische Elite Russlands verwandelt sich in internationale Aussätzige, und Propaganda hat die öffentliche Meinung mit antiwestlichen Einstellungen durchsetzt.~~~Начиная свою собственную холодную войну против Германии, а в ее лице против всего Евросоюза, турецкий президент нуждался в союзниках. И Кремль лучше всего подходил на эту роль — Россия два года живет под санкциями, российская политическая элита превращается в международных изгоев, общественное мнение пропаганда пропитала антизападными настроениями.[/bilingbox]
Argumenty i Fakty: Türkei nicht allzu eng umarmen
Im Boulevardblatt Argumenty i Fakty warnt Wjatscheslaw Kostikow vor einer zu engen „Umarmung“ der Türkei:
[bilingbox]Die russische Diplomatie war in einer äußerst heiklen Situation. Sich ausgerechnet in dem Moment in eine Umarmung mit Erdogan zu stürzen, in dem die Türkei in eine islamische Spielart des Totalitarismus abgleitet, das würde bedeuten, genau diejenigen politischen Vorlieben an den Tag zu legen, vor denen sich Moskau sonst beflissen sträubt. Denn egal wie laut wir auch immer wieder behaupten: „Eurasien, Eurasien über alles!“, unsere Gedanken sind sowohl historisch als auch aktuell mit Europa verbunden. Den Riss zu Europa noch zu vergrößern, das ist gefährlich für Russland. Die Gespräche über eine „Partnerschaft“, über „besondere Beziehungen“, wie sie unsere Diplomatie so gerne führt, muss man im Bezug auf die Türkei mit einem Konjunktiv versehen: „Wir sind nicht dagegen, falls, natürlich…“
Klar, sehr viele (42 Prozent) wollen an die warmen und süßen Küsten zurück. Aber es ist offenkundig, dass man, wie beim wunderbaren „all inclusive“-System, auch die gefährlichen Besonderheiten der türkischen Politik im Kopf haben muss.~~~Российская дипломатия оказалась в крайне деликатной ситуации. Броситься в объятия Эрдогана в тот момент, когда Турция скатывается в исламскую разновидность тоталитаризма, значило бы продемонстрировать те политические вкусы, от которых Москва старательно открещивается. Ведь как бы громко мы ни твердили: «Евразия-Евразия превыше всего!», наши помыслы и исторически, и актуально связаны с Европой. Углублять разрыв с Европой опасно для России. Разговоры о «партнёрстве», об «особых отношениях», столь любимые нашей дипломатией, в случае с Турцией следует облекать в форму сослагательного наклонения: «Мы не против, если, конечно…»
Понятно, что очень многим (42%) хочется вернуться к тёплым и вкусным берегам. Но очевидно, что, вспоминая чудесную систему «всё включено», следует помнить и об опасных особенностях турецкой политики.[/bilingbox]
Blog Echo Moskvy: Türkei ist ein gefährlicher Nachbar
Auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Oppositionspartei Jabloko, Grigori Jawlinski, sieht in der Türkei einen eher gefährlichen Bündnispartner für Russland – wie er auf dem Blog des unabhängigen Radiosenders Echo Moskvy deutlich macht:
[bilingbox]Für Russland ist es sehr gefährlich, einen solchen Nachbarn zu haben. Hierzu gäbe es viel zu sagen: Dass Erdogan diese Situation mit seiner extrem autoritären Politik selbst herbeigeführt hat, dass diese Politik die Türkei weiter zerlegen wird … Aber angesichts der bestehenden brutalen Konfrontation mit den Kurden und angesichts dessen, dass Erdogan sich nun immer mehr auf islamistische Radikale stützen wird, ist klar, dass dies alles für Russland sehr gefährlich ist. Denn die Türkei ist unser nächster Nachbar.~~~Для России иметь такого соседа — очень опасная вещь. Здесь много о чем можно говорить: что привел к этой ситуации сам Эрдоган своей сверхавторитарной политикой, что теперь эта политика будет дальше разваливать Турцию… Но учитывая существующее жестокое противостояние с курдами, учитывая, что теперь Эрдоган все больше будет опираться на исламистских радикалов, мы понимаем, что все это очень опасно для России. Потому что Турция — наш ближайший сосед.[/bilingbox]
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