„Es war ein richtiger Kampf“

In Russland wüten derzeit heftige Waldbrände. In Jakutien stehen rund 1,52 Millionen Hektar in Flammen – eine Fläche etwa so groß wie Schleswig-Holstein. In zahlreichen Städten breitet sich der Rauch aus, Anwohner klagen über Atemwegsprobleme. Auch in Karelien, in Russlands hohem Norden an der Grenze zu Finnland, wurde der Notstand ausgerufen, eine Fläche von rund 7200 Hektar brennt. 
Wissenschaftler wie Behörden sehen die Ursache für die massiven Brände im Klimawandel. So habe Jakutien – mit seinen extrem kalten Wintern und heißen Sommern – 2021 den heißesten Sommer seit Ende des 19. Jahrhunderts verzeichnet, zitiert Interfax den Gouverneur der Region. 
Angesichts der Hitze und großen Trockenheit der Böden reichen Blitzeinschläge aus, um das Feuer zu entfachen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es dazu kommt, allerdings treten Extremwetterereignisse global zunehmend häufiger auf. Der Klimawandel bedroht den Permafrostboden in der Region, die Feuer verstärken diese Entwicklung. Taut der Permafrostboden auf, werden Treibhausgase freigesetzt – was zur weiteren Erderwärmung führt.

Immer wieder gibt es außerdem Kritik an unzureichenden Maßnahmen und Ressourcen, die Brände zu löschen. Nikolaj Schmatkow, Direktor des Forest Stewardship Counsil (FSC) in Russland, etwa, kritisiert auf dem staatlichen Sender Radio Sputnik eine „chronische Unterfinanzierung“ der Forstwirtschaft. Eine Verordnung aus dem Jahr 2015 etwa besagt, dass Feuer in sogenannten Kontrollzonen nicht mehr zu löschen sind, wenn „die voraussichtlichen Löschkosten den voraussichtlichen Schaden übersteigen“. 
Der Feuerökologe Prof. Johann Goldammer vom Global Fire Monitoring Centre rät im Interview mit der Deutschen Welle dazu, das Problem noch grundsätzlicher anzugehen: „Wir müssen uns entscheiden, ob wir den Wald um jeden beliebigen Preis löschen – oder ob wir versuchen ihn so zu kultivieren, dass er den Auswirkungen des Klimawandels, wie steigenden Temperaturen, veränderten Niederschlagsmustern, die in Mitteleuropa bereits deutlich sichtbar sind, Orkanen und Bränden standhalten kann.“ 

In Jakutien sind unterdessen auch zahlreiche Ortschaften von den Bränden bedroht, NGOs wie Greenpeace bilden in Zusammenarbeit mit staatlichen Organisationen freiwillige Helfer bei der Brandhilfe aus. Auch andere Freiwilligen-Trupps helfen bei der Brandbekämpfung. 

Die Novaya Gazeta hat mit dem freiwilligen Helfer Ajyl Dulurcha gesprochen. Das Interview gibt Einblick in die Arbeit und das hohe Engagement vor Ort. Dulurcha kritisiert aber deutlich auch Missstände, die er bei der Brandhilfe sieht.

Ajyl Dulurcha hilft als Freiwilliger bei der Löschung der Brände in Jakutien / Foto © Socialmedia Screenshot/Novaya GazetaNovaya Gazeta: Erzähl bitte von eurem freiwilligen Einsatz bei der Brandbekämpfung, womit begann alles, wo warst du, was hast du gesehen, was ist überhaupt los?

Ajyl: Alles begann vor etwa zwei Wochen. Auf WhatsApp ging ein Video herum, auf dem man sah, wie Menschen schreiend gegen die lodernden Flammen anstürmen und schreien: „Für die Heimat!“, „Los, vorwärts!“. Das hat mich tief bewegt. Ich redete mit meinen Freunden, und alle fragten sich, wie man helfen, was man in dieser Situation tun kann. Wir machen uns sehr große Sorgen, vor allem um die Natur. Dann redete ich mit dem Leiter von Jakutlesressurs, Djulustan Iwanowitsch Chon, der sagte: „Ja, es stimmt, wir brauchen Leute, uns fehlen etwa 100 bis 150 Freiwillige.“
Ich postete einen Aufruf auf Instagram, Facebook: „Lasst uns mithelfen, meldet euch als Freiwillige!“ 
Es gab am Anfang sehr viel Resonanz, etwa 70 Menschen haben sich gemeldet, aber als es wirklich losging, sagten viele wieder ab, entweder aus Zeitgründen oder sie haben es sich einfach anders überlegt. Im Endeffekt fuhren wir am 11. Juli zu zwölft los, mit unseren Privatwagen.

Alle fragten sich, wie man helfen, was man in dieser Situation tun kann. Wir machen uns sehr große Sorgen, vor allem um die Natur

Unsere Arbeit besteht darin, Brandschneisen zu ziehen, damit das Feuer nicht überspringt. Unsere Freiwilligen halten Brandwache: Erst gehen wir hinter dem Pflug her, der reißt den Boden auf, und damit der sich nicht wieder verschließt, zerkleinern wir die Erde und verstreuen sie, ziehen einen richtigen Graben. Wenn das Feuer näherkommt, passen wir auf, dass die Flammen nicht überspringen. Meistens sind es große Bäume, die Feuer fangen und auf den ungeschützten Teil kippen, über den Graben hinaus. 
Parallel dazu sind wir los und haben um Spenden gebeten von Geräten, von denen es für uns nicht mehr genug gab – Spaten, Motorsägen –, ich bin buchstäblich von Geschäft zu Geschäft und habe die Leitung überredet, so habe ich zum Beispiel eine Säge für 23.000 Rubel [etwa 260 Euro – dek] bekommen, und noch andere Dinge. So kamen wir an die Motorsägen …

Ajyl, wie lange hat eure Hilfsaktion gedauert, wie viele Tage?

Inoffiziell im Prinzip seit dem 11. Juli bis heute [dem 21. Juli – A. d. Red.], seit paar Tagen sind wir auch offiziell registriert, wir haben einen gemeinnützigen Verein zur Waldbrandbekämpfung in der Republik Sacha (Jakutien) gegründet.

Haben die Freiwilligen die ganze Zeit im Dorf gewohnt?

Ja, wir alle hatten Schlafsäcke und Zelte dabei.

Wart ihr gleich neben dem Gebiet, wo es gebrannt hat?

Ja, ganz in der Nähe. Von da aus sind wir mit unseren Privatautos los, sind die Waldschneisen abgefahren, an den Überlandleitungen entlang, die Jungs haben ihre Autos nicht geschont, sie waren wirklich toll. Sie waren bereit, fast rund um die Uhr alles zu geben.

Technisch gesehen habt ihr also mit dem Pflug Schneisen gezogen, um die das Lauffeuer aufzuhalten.

Ja, mit Pflug und Spaten.

Das heißt, entweder mit Motorkraft, mit Hilfe eines Traktors zum Beispiel, oder auch mit bloßen Händen. Und ihr habt Bäume gefällt, damit sie, wenn sie Feuer fangen und umkippen, nicht die Flammen überspringen lassen?

Ja, und wir haben die Ausbreitung auch mit Hilfe von Wasser und Spaten gebremst.

Gibt es Hinweise darauf, was die Ursache für den Waldbrand ist, Fahrlässigkeit oder ein Blitzeinschlag?

Man geht davon aus, dass es Trockengewitter waren. Wir hatten kaum Regen hier. Darum war es sehr trocken, und es gab Gewitter. Den letzten Brandherd, den 21., sollen Menschen entdeckt und gemeldet haben. Am nächsten Tag sind die Löschtrupps raus und haben zwei Tage lang gesucht, aber sie haben die Stelle nicht gefunden und aufgegeben. Drei Tage später hat sich der Brandherd ausgeweitet, und es gab kaum noch eine Chance ihn aufzuhalten.

Aber ihr habt diesen Brand irgendwie unter Kontrolle gebracht? Das heißt, eure Mühen waren nicht umsonst?

Ja, auf der Karte sieht man sogar eine gerade Linie, da, wo wir das Feuer stoppen konnten. Wir haben mehrere Anläufe gebraucht, hatten zu wenig Erfahrung – es hat nicht geklappt. Auch der Wind hat uns die ganze Zeit Streiche gespielt. Das war ein richtiger Kampf, wir versuchten, dem Feuer den Weg abzuschneiden, und dann drehte der Wind wieder. Es war wie ein Kampfeinsatz.

In Jakutien steht zurzeit eine Fläche so groß wie Schleswig-Holstein in Flammen / Foto © Alexander Miridonow/KommersantDieser Brand, den ihr gelöscht habt: War die Feuerwehr nach den Verordnungen des Katastrophenschutzes verpflichtet, ihn zu löschen, oder nicht?

Nein, war sie nicht. Das Feuer war am Anfang mehr als fünf Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt, und wir haben versucht, es dort aufzuhalten.

Das war ein richtiger Kampf, wir versuchten, dem Feuer den Weg abzuschneiden, und dann drehte der Wind wieder

Das heißt, das Feuer war im Grunde weit genug weg, und die Feuerwehr hatte das Recht, es nicht zu bekämpfen, richtig?

Ja, sie fangen soweit ich weiß erst ab fünf Kilometern an zu löschen, aber das ist sehr nah.

Was denkst du, ist es normal, dass sich bei uns die Betroffenen quasi selbst retten müssen, wenn sie brennen?

Nein. Aber die Mitarbeiter von Jakutlesressurs waren schon seit April praktisch pausenlos im Einsatz, sie haben gekämpft, das Gleiche gemacht wie wir, aber sie haben es nicht geschafft.

Das heißt, sie konnten nicht rechtzeitig genügend Brandschneisen ziehen?

Ich denke, sie hatten zu wenig Technik, und zu wenig Leute.

Verstehe ich das richtig, dass Jakutlesressurs seit dem Frühjahr das Gleiche gemacht hat wie ihr, also Schneisen gegraben und freigelegt?

Ja, und gelöscht.

Wenn ein Wald von Anfang an mit diesen Schneisen durchzogen ist, so wie in den stadtnahen Wäldern bei Jakutsk, dann sollte sich ein Brand im Prinzip nicht über dieses Gebietsstück hinaus ausbreiten, oder?

Ich sag mal so: Wir haben ein großes Problem bei der Finanzierung der ganzen Branche, das fängt schon bei den Feuerspringern an. Als wir im Lager ankamen, wurden wir dem Brandbekämpfungsleiter unterstellt, das sind Leute von Jakutlesresurs. Das heißt, wir haben unter der Anleitung von Profis gehandelt, wir haben uns nicht einfach gedacht: Lasst uns mal machen. 

Ich sag mal so: Wir haben ein großes Problem bei der Finanzierung der ganzen Branche

Sehen wir uns doch mal die Zahlen für die ganze Branche an: Zu Sowjetzeiten gab es 1500 Feuerspringer, heute sind es 224.

Was machen Feuerspringer genau?

Das sind die, die vor Ort löschen.

Und von wem werden sie finanziert? Von der Zentralregierung oder von den Regionen?

Soweit ich weiß, von Moskau, 1,3 Milliarden Rubel [umgerechnet rund 15 Mio. Euro – dek] ist das Gesamtbudget in Russland. Aber dieses Geld fließt in den Betrieb der Anlagen, der Technik, der Löschfahrzeuge.

Verstehe ich das richtig, dass das Geld vorne und hinten nicht ausreicht, um die eigentliche Arbeit zu machen?

Der Normsatz für den ganzen Fernen Osten sind 28 Rubel [rund 32 Cent – dek] pro Hektar, das ist der Regelsatz für die Finanzierung. In der Republik Sacha sind es 6 Rubel 90 Kopeken [rund 7 Cent – dek]. Weiter westlich, Richtung Europa, ist der Regelsatz, glaube ich, höher. Aber bei uns sind es 6 Rubel. Und Sie sehen ja die Ausmaße.

Man soll also, grob gesagt, für 6 Rubel einen Hektar Wald mit Gräben durchfurchen?

Im Grunde genommen, ja. So viel gibt es für die Instandhaltung eines Hektars.     

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