Am 18. September wählen die russischen Staatsbürger ihr Parlament – die Staatsduma. Obwohl die Volkskammer nur eine geringe Rolle in der politischen Landschaft Russlands spielt, ist diese Wahl von enormer Bedeutung. Sie wird ein Stimmungsbarometer abgeben und somit mittelbare Folgen für die wohl meistbeachtete Statistik Russlands haben: die Zustimmungswerte des Präsidenten.
Was sagen uns diese Zahlen? Ist Putin wirklich dermaßen beliebt? In welchem Zusammenhang stehen die Umfragewerte mit den politischen Ereignissen? Diskutieren Sie mit uns auf facebook!
Quelle: Lewada-Zentrum
Wie beliebt ist Putin? Diese repräsentative Infografik verdeutlicht die Höhen und Tiefen in den Zustimmungswerten seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada, das kurz vor der Dumawahl 2016 zum sogenannten ausländischen Agenten erklärt wurde, ermittelt sie in regelmäßigen Abständen.
Wir versahen diese Grafik mit wichtigen Ereignissen, die das Auf und Ab der Werte erklären können. Sie können in bestimmte Zeiträume hineinzoomen, um ein genaueres Bild zu bekommen. Beachten Sie dabei aber den Leitspruch, der in jedem Statistik-Lehrbuch zu finden ist: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast.“
Denn zum einen: Was heißt „Zustimmung“? Drückt dieses Wort tatsächlich Beliebtheit aus oder einfach nur den Umstand, dass die Befragten nichts Schlechtes über Putin sagen können? Solche Begriffe sind dehnbar und verzerren somit das Ergebnis. Hinzu kommt die Tendenz, bei Umfragen eine Meinung kundzutun, die eher auf soziale Zustimmung träfe als die wirkliche Meinung. Soziale Erwünschtheit nennt man dieses Phänomen. Es dürfte zwar in allen Ländern eine wichtige Rolle spielen, in autokratischen Systemen aber umso mehr, wo die Bürger einem gewissen Anpassungsdruck ausgeliefert sind.
Lassen wir aber mal die eigentlichen Zustimmungswerte außer Acht und betrachten nur die Kurve. Da zeigt sich, dass es die höchsten Zuwachsraten nach Konflikten gibt: wie der Antiterror-Operation im Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002, der Verhaftung Chodorkowskis im Oktober 2003, dem Georgienkrieg im August 2008 und der Krim-Angliederung im März 2014. In die umgekehrte Richtung, nämlich nach unten, ging es nach solchen Ereignissen wie dem Untergang der Kursk im August 2000, der Orangen Revolution Ende 2004, den Sozialprotesten 2005 und den Bolotnaja-Protesten 2011/12.
Alles nur Zufall? Manche Soziologen sehen durchaus Zusammenhänge. Einen möglichen eröffnet Lew Gudkow, Direktor des Lewada-Zentrums: In Zeiten von Konflikten laufe die Propaganda-Maschinerie auf vollen Touren. Sie wende sich an sowjetische und imperiale Vorstellungen, aktiviere Feindbilder und suggeriere Gefahr. Dies mobilisiere die Gesellschaft und solidarisiere sie hinter dem Präsidenten, so Gudkow.
Vor dem Hintergrund anhaltend schlechter Beziehungen zwischen Russland und den USA staunten viele Beobachter, als die antiamerikanischen Stimmungen in der russischen Gesellschaft nach der Fußball-WM 2018 rapide sanken. Das Ab in der Kurve erklärten sie mit rund drei Millionen ausländischen WM-Touristen, die das seit Jahren verbreitete Bild des russophoben Ausländers ins Wanken brachten. Die renommierte russische Politologin Lilija Schewzowa etwa meinte in diesem Zusammenhang, dass die propagandistischen Feindbilder mitsamt der Formel belagerte Festung immer weniger Anklang fänden: „Allem nach zu urteilen ist den russischen Bürgern sehr bewusst, dass die Konfrontation Russlands mit dem Westen ein Ablenkungsmanöver ist: von innenpolitischen Problemen und von der Unfähigkeit der Regierenden, diese zu lösen“, so Schewzowa.
Text: dekoder-Redaktion
Veröffentlicht am 12.09.2016