Alexander Vasukovich ist einer der bekanntesten belarussischen Fotografen der jüngeren Generation. Seine Bilder erschienen in zahlreichen internationalen Zeitungen und Publikationen. Bereits seit dem Beginn des Euromaidan dokumentiert er die Ereignisse in der Ukraine, so auch den russischen Krieg seit 2014.
In seiner Heimat wurde er im Oktober 2023 festgenommen, offiziell wegen Teilnahme an den Protesten im Jahr 2020. Dennoch gelang ihm die Flucht nach Polen, wo er derzeit lebt. Wir haben mit ihm über seine Arbeit und den Krieg in der Ukraine gesprochen und zeigen eine Auswahl seiner Bilder.
dekoder: Sie waren bereits 2013 auf dem Maidan, um die dortigen Ereignisse fotografisch festzuhalten. Warum diese Entscheidung, aus Belarus in die Ukraine zu fahren?
Alexander Vasukovich: Damals stand meine Karriere als Fotograf noch am Anfang, aber ich hatte bereits Erfahrung mit Aufnahmen bei Protesten gemacht: nach den [belarussischen] Präsidentschaftswahlen 2010, als die Kundgebungen mit gewaltsamer Auflösung und Haftstrafen für viele Beteiligte endete, darunter auch die Präsidentschaftskandidaten.
Vom ersten Maidan im Jahr 2004 hatte ich nur gehört, deshalb beschloss ich hinzufahren, als der zweite begann. Mich begeisterte, wie die Ukrainer für ihre Freiheit kämpften. Ich sah Menschen, die bereit waren, für ihre Ideen sogar ihr Leben zu opfern. Ich sah, wie den Ukrainern der Sieg gelang, und genau das wollte ich auch in meiner Heimat sehen. Deshalb fotografierte ich auch nach Beginn des Krieges im Osten der Ukraine weiter jene Menschen, die nicht einmal den Kampf fürchteten. Ich wollte die Freiwilligen zeigen, die auf der Welle des Siegesgefühls vom Maidan in den Krieg gezogen waren, um auch dort zu gewinnen. Vor Ort wurde mir dann klar, dass das im Krieg bedeutend schwieriger ist.
Diese Reisen wurde zur Grundlage für das sehr persönliche und schmerzhafte Projekt Commemorative photo (dt. Gedenkfoto), mit dem ich an den Wert des menschlichen Lebens erinnern wollte. Der Tod von Menschen, die wenige Augenblicke vorher noch lebendig neben mir standen, hat mich sehr getroffen. Ich schickte dann Fotos an die Angehörigen und sprach mit ihnen. So wurde dieser Krieg, obwohl ich Ausländer bin, auch ein wenig zu meinem. Deshalb konnte ich auch 2022 nicht aufhören zu fotografieren.
Die Fotos in dieser Auswahl stammen vor allem aus dem ersten Jahr der russischen Invasion. Nach welchen Kriterien haben Sie die Bilder ausgewählt?
Ich sehe drei zentrale Gründe dafür, dass die Bilder hauptsächlich aus dem ersten Jahr stammen. Da ist zum einen die Intensität dessen, was passierte, dann die Abwesenheit von Einschränkungen und Regulierungen, wo man sich aufhalten durfte, und drittens die Veränderung meiner Wahrnehmung dessen, was vor sich ging.
Zu Beginn des Krieges war es wesentlich einfacher, irgendwo hinzufahren und zu fotografieren. Niemanden interessierte, was du machst, du konntest in Ruhe irgendwo sein und beobachten, was passiert. Es gab befreite Gebiete, die man leicht erreichen konnte, um die Folgen der Kriegshandlungen zu dokumentieren, mit den Menschen zu sprechen, alles zu sehen, was passiert war, bevor aufgeräumt wurde. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Regeln tauchten auf. Bei meiner zweiten Reise konnte ich schon nicht mehr dorthin fahren, wohin ich wollte: Für viele Orte war die Begleitung durch einen Presseoffizier erforderlich, und da es nicht so viele gab, war das mit Wartezeiten verbunden.
So viel Zeit hatte ich nicht, also fuhr ich mit dem Motorrad los, weil das mein einziges Transportmittel war, und ich vor dem ersten Schnee zurück sein musste. Damals konzentrierte ich mich auf Bachmut: Ich war sehr beeindruckt, wie die Menschen dort zwischen den Stellungen lebten, während über ihren Köpfen tagelang Geschosse hin und her flogen, die manchmal nicht ans Ziel kamen und auf den schmalen Streifen zwischen den Fronten krachten. Die Menschen lebten dort und warteten darauf, dass all das endlich aufhört.
Bei meiner dritten Reise Ende September 2023 wollte ich in erster Linie fotografieren, wie die Zivilbevölkerung in den Frontstädten überlebte. Damals war der Zugang schon sehr schwierig, man durfte fast nirgends ohne Begleitung Zeit mit der Zivilbevölkerung verbringen, von den Begleitpersonen gab es nicht genügend und außerdem konnte man von den Menschen keine Offenheit erwarten, wenn ein Soldat daneben saß. Der einzige Ort, an dem ich in Ruhe machen konnte, was ich wollte, war die Stadt Siwersk.
Wie erlebten Sie die Ukrainer im Krieg?
Bei meiner ersten Reise waren die Menschen stark mobilisiert und sehr kämpferisch eingestellt, mit jeder weiteren Reise erschienen sie mir müder, fast alle sagten: „Hoffentlich ist es bald vorbei.“ Für mich war es damals schwer vorstellbar, wie sich das anfühlt: Du hast ein Haus, dein normales Leben, ein paar Besitztümer – und dann kommt eine Rakete, und plötzlich ist alles vorbei, du hast nichts mehr, musst flüchten und alles zurücklassen.
Erst als ich selbst mein Zuhause verlassen musste, ohne die Aussicht, in absehbarer Zeit zurückzukehren, konnte ich das etwas besser nachempfinden.
Nicht alle können und wollen evakuiert werden, bei meiner dritten Reise sprach ich mit vielen Menschen, die in ihrer Stadt blieben. Siwersk lag direkt hinter der Front, die Menschen lebten zu diesem Zeitpunkt bereits anderthalb Jahre im Keller. Auf die Frage, warum sie blieben, antworteten sie, dass sie in der Westukraine niemand brauchen würde, dass man dort darüber lachen würde, wie sie sprechen, dass man ihnen dort keine Arbeit geben würde, und sie hier wenigstens einen Ort zum Leben haben, auch wenn sie jeden Moment sterben könnten.
Wie wurden Sie als Belarusse aufgenommen, schließlich nutzte die russische Armee belarussisches Territorium für ihre Angriffe auf die Ukraine?
Bis zum Kriegsbeginn fühlte ich mich in der Ukraine wie zuhause. Es war das erste Land, in das ich gereist war, meine ersten ausländischen Freunde waren Ukrainer. Kurz vor Kriegsbeginn planten meine Freundin und ich, in die Ukraine zu fahren und unsere Freunde zu besuchen.
Dann begann der großangelegte Angriff, ich versuchte sofort, als Fotograf eine Akkreditierung zu erhalten. Viele wollten meine Bewerbung nicht weiterreichen, weil ich belarussischer Staatsbürger bin. Die Kollegen sagten, ich würde keine Akkreditierung erhalten, und wenn doch, dann würde man mich vor Ort nicht arbeiten lassen, mich sogar schlagen. Als ich dann jemanden gefunden hatte, der meine Akkreditierung unterstützte und meine Unterlagen einreichte, war ich auf eine lange Überprüfung und eine mögliche Absage vorbereitet, aber schon drei Tage später hatte ich die Akkreditierung.
Bei der ersten Reise war ich mit einer ukrainischen Freundin unterwegs und musste nicht groß erklären, wer ich bin. Bei der zweiten Reise wollte ich allein fahren, mit meinem Motorrad mit belarussischem Kennzeichen. Ich hatte gelesen, was über Belarussen im Internet geschrieben wurde und machte mir Sorgen, wie ich dort allein erklären würde, warum ich in der Ukraine unterwegs bin. Manchmal stellte ich mir vor, man würde hinter mir ausspucken, nachts meine Reifen zerstechen.
Aber zum Glück war die Realität ganz anders: Die Leute waren eher erfreut, einen Belarussen zu sehen, der auf der ukrainischen Seite fotografierte, sie interessierten sich dafür, wer ich bin und wie die Belarussen über den Krieg denken. Die Leute begriffen wohl, dass ich in Ordnung sein musste, weil ich bei ihnen war.
Ende 2023 wurden Sie in Belarus nach der Rückkehr aus der Ukraine festgenommen. Warum sind Sie überhaupt zurückgekehrt?
Ich habe in Belarus gelebt und bin dorthin zurückgekehrt, weil ich das Land liebe, weil meine alten Eltern dort leben und auch meine Großmutter, die jetzt schon 99 Jahre alt ist. Ich wollte dort sein und fotografieren, sobald sich etwas verändert.
Nach meiner dritten Reise interessierte sich der KGB an der Grenze für mich. Sie stellten viele Fragen über meine Arbeit in der Ukraine, besonders wunderten sie sich, wie ich ohne Freunde bei der ukrainischen Armee in Orte wie Butscha kommen konnte. Sie wollten nicht glauben, dass das möglich war. Nach der Befragung ließen sie mich gehen. In den folgenden Tagen wurde ich beobachtet, und nach zwei Wochen holten sie mich schließlich ab.
Sie durchsuchten meine Wohnung, nahmen Computer, Festplatten und Notizbücher mit. Nach zehn Tagen wurde mir eine Anklage vorgelegt. Sie lautete: Teilnahme an Protesten nach Artikel 342, Absatz 1 des Strafgesetzbuches: „Organisation von Gruppenaktivitäten, die die öffentliche Ordnung grob stören und einhergehen mit offener Zuwiderhandlung gegen gesetzliche Vorschriften der Machtorgane, oder die das Funktionieren von Verkehr, Betrieben, Einrichtungen oder Organisationen stören, oder aktive Teilnahme an solchen Aktivitäten.“ Die Anschuldigung bezog sich darauf, dass ich beim Fotografieren auf der Straße gestanden hatte, die Sicherheitskräfte also angeblich blockiert hätte. Dass ich dort als Journalist im Einsatz war, interessierte die nicht.
Meine Reisen in die Ukraine waren sicher ein Katalysator für die Festnahme. Über Google findet mal leicht heraus, dass ich mit fast allen unabhängigen belarussischen Medien zusammengearbeitet habe, die heute als „extremistisch“ gelistet sind. Auf diese Zusammenarbeit stehen bis zu sechs Jahre Haft.
Wie ist Ihnen die Flucht nach Polen gelungen?
Nach der Festnahme war ich drei Monate in Untersuchungshaft. Danach wurde ich zu drei Jahren Hausarrest verurteilt. Was bedeutet, dass ich das Haus nur für meine offizielle Arbeit verlassen durfte. Eine Bar oder Freizeitveranstaltungen zu besuchen war untersagt. Auch ein Besuch bei meinen Eltern und bei meiner Oma. Nach 19 Uhr musste ich zuhause sein. Die Miliz hätte jederzeit kommen und überprüfen können, ob ich zuhause und nüchtern bin.
Ich begriff, dass ich nichts mehr machen konnte, was mir wichtig ist. Zudem war das Risiko sehr hoch, dass ein weiteres Strafverfahren gegen mich angestrengt wird. Also beschloss ich, das Land zu verlassen, auch wenn mir das bis zuletzt widerstrebte. Aber ich wusste: Wenn ich bleibe, würde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Gefängnis landen.
Also kontaktierte ich den Evakuierungsdienst der Organisation BYSOL. Sie hilft ehemaligen politischen Häftlingen und ihren Familien, Belarus zu verlassen, selbst wenn ein Ausreiseverbot besteht. Details meiner Flucht kann ich nicht verraten, sonst würde ich den Fluchtweg für andere gefährden.