Debattenschau № 51: Ukraine bannt russische Internetseiten

Zensur oder Sicherheitsmaßnahme? In einem Dekret hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Anfang der Woche angekündigt, dass mehrere russische Internetseiten, darunter Soziale Netzwerke und Email-Provider, in der Ukraine gesperrt werden – für mindestens drei Jahre. Betroffen sind unter anderen das russische Facebook-Pendant VKontakte, Odnoklassniki, die Suchmaschine Yandex oder der Email-Provider mail.ru – sie gehören zu den Top-10 der beliebtesten Seiten in der Ukraine.

 

Quelle: TNS Ukraine

Die überraschende Ankündigung entfachte entsprechend aufgeregte Debatten in der Ukraine und auch in Russland. Vor allem seitens der ukrainischen Zivilgesellschaft und junger liberaler Politiker hat das Vorhaben viel Kritik geerntet. Sie sehen die Meinungsfreiheit bedroht. Befürworter dagegen bewerten es als notwendigen Schritt für die nationale Sicherheit und zur Abgrenzung gegenüber Russland. All diese Argumente werden auch in russischen Medien diskutiert: dekoder bringt Debatten-Ausschnitte aus beiden Medienlandschaften.

Blog Ukrainska Pravda: Sicherheitslücke füllen

Der Westukrainer Maksym Sawanewskyj, Online-Experte und Leiter der PR-Agentur PlusOneDa, unterstützt im Blog der Ukrainska Pravda das Verbot vor allem aus Sicherheitsgründen:

[bilingbox]Es ist kein Geheimnis, dass alle bedeutenden IT-Firmen in Russland von den Geheimdiensten kontrolliert werden oder Informationen mit ihnen austauschen. Die Leute verstehen oft nicht, welche Fülle an Informationen sie den Sozialen Netzwerken übergeben: Informationen über Chats, Freunde, Vorlieben – alles, was man liked, teilt und kommentiert; Webseiten, die man besucht. […]~~~Ні для кого не секрет, що всі значущі ІТ-компанії Росії так чи інакше контролюються або обмінюються інформацією з російськими спецслужбами.

Люди часто не усвідомлюють, який масив інформації вони передають соцмережам:

– інформація про коло друзів

– переписка з ними

– ваші уподобання – що ви лайкаєте, поширюєте, коментуєте

– сайти, які ви відвідуєте […][/bilingbox]

 

erschienen am 16.05.2017

Meduza: Tipps vom russischen Staats-TV

Beim Exilmedium Meduza wundert man sich, dass ausgerechnet der staatliche Fernsehsender Rossija 24 in seinem Programm erklärt hat, wie man mit Hilfe von Anonymizern und anderen Tricks die Sperren umgehen kann:

[bilingbox]Ungeachtet dessen, dass ein föderaler [russischer – dek] Fernsehsender die Benutzung von Anonymizern empfiehlt, werden diese in Russland aktiv bekämpft. Roskomnadsor beispielsweise fordert, dass Anonymizer keinen Zugang zu Seiten geben dürfen, die offiziell in der Russischen Föderation gesperrt sind – und natürlich blockiert die Behörde Anonymizer.

Hervorzuheben ist, dass die Anleitung für die Ukrainer auf einem Kanal gezeigt wurde, der seit 2014 in der Ukraine verboten ist.~~~Невзирая на то, что федеральный телеканал советует пользоваться анонимайзерами, в России с ними активно борются. Роскомнадзор, в частности, требует, чтобы анонимайзеры закрывали доступ к сайтам, официально заблокированным в РФ — и, конечно, блокирует сами анонимайзеры.
Отдельно следует отметить, что инструкцию для украинцев показали на телеканале, который с 2014 года запрещен на Украине.[/bilingbox]

 

erschienen am 16.05.2017

Vedomosti: Doppelte Standards

Auch im Wirtschaftsblatt Vedomosti sprechen Pawel Aptekar und Nikolay Epplée von einer widersprüchlichen Haltung russischer Offizieller zum Thema Internetsperren:  

[bilingbox]Wenn es um Russland geht, wird oft das „souveräne Recht des Staates“ betont, „die Informations-, Technologie- und Wirtschaftspolitik im nationalen Segment des Netzes ,Internet‘ zu bestimmen“. Werden in den Ländern Zentralasiens den jeweiligen Regierungen gegenüber kritische russische Internetseiten blockiert, tun russische Offizielle so, als wüssten sie von nichts. Wenn aber die Ukraine russische Internetseiten sperrt, dann ist das natürlich „politisch motivierte Zensur“.~~~Когда дело касается России, важно «суверенное право государства определять информационную, технологическую и экономическую политику в национальном сегменте сети «Интернет». Когда в странах Центральной Азии происходит блокировка российских интернет-ресурсов, критически настроенных к властям этих стран, российские официальные лица как бы не в курсе. Но если российские ресурсы блокирует Украина, это, конечно, «цензура по политическим мотивам».[/bilingbox]

 

erschienen am 17.05.2017

Echo Moskwy: Eine Identitätsfrage

Alexander Baunow, Chefredakteur von Carnegie.ru, sieht im Interview mit Echo Moskwy die Entscheidung vor allem in der ukrainischen Identitätsfrage begründet:

[bilingbox]Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Staatsmacht und öffentliche Meinung [in der Ukraine – dek] mehr oder weniger einigen können, ist der: Die Ukraine ist nicht Russland. […]

Bei der ganzen Geschichte geht es darum, dass dieses Land tatsächlich spürt: Es kann seine Identität nicht aufbauen, solange es in engem Kontakt mit Russland steht, weil die Ähnlichkeit so groß ist, das Gravitationszentrum aber aufgrund der unterschiedlichen Masse in jedem Fall in Richtung Moskau rückt. Der gemeinsame russisch-ukrainische Raum sollte deswegen so wenig wie möglich gemein haben.~~~главный вектор всех сил, на котором более-менее сошлись власти и общественное мнение – что Украина не Россия. […]
Это все история про то, что действительно это страна чувствует, что свою идентичность, находясь в тесных связях с Россией, она не может построить в связи с тем, что сходство велико, а центр тяжести из-за разности масс все равно, так или иначе, будет откатываться в сторону Москвы. Этого общего российско-украинского пространства поэтому должно быть как можно менее общим.[/bilingbox]

 

erschienen am 16.05.017

Nowoje Wremja: Poroschenkos Pseudo-Patriotismus

Serhij Leschtschenko, einer der führenden liberalen Politiker der Ukraine und Abgeordneter des Block Petro Poroschenko, kritisiert in der ukrainischen Nowoje Wremja das Vorhaben heftig:

[bilingbox]Das wird alles übel enden. Denn Poroschenkos Plan ist es, die öffentliche Aufmerksamkeit zu verschieben: vom Kampf gegen Korruption hin zu einem Pseudo-Patriotismus. Er wird immer neue Ideen haben, um die Illusion zu erzeugen, dass ausgerechnet er der wichtigste Schutzschirm gegen die russische Aggression ist. Und parallel wird er Szenarien zur Vernichtung des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine und zur Diskreditierung von Korruptionsbekämpfern vorantreiben. […]

Hauptsache ist, möglichst laut über „Moskaus Hand“ zu schimpfen und alle, die nicht einverstanden sind, als „Putins Agenten“ zu bezeichnen.~~~Все это плохо закончится. Потому что идея Порошенко – перевести фокус общественной дискуссии: с борьбы с коррупцией на тему псевдопатриотизма. Он будет выдумывать все новые и новые идеи, призванные создать иллюзию, что именно он – главный заслон от российской агрессии. И параллельно будет продвигать сценарий уничтожения НАБУ и дискредитации антикоррупционеров.
[…] Главное – погромче кричать о „руке Москвы“ и называть „агентами Путина“ всех несогласных. [/bilingbox]

 

erschienen am 16.05.2017

Facebook: Social-Media-Flüchtlinge

Oleksij Tschupa, Poetry-Slammer aus der Ostukraine, gehört zu denen, die die Aufregung wegen des Verbots eher lächerlich finden und ironisch kommentieren:

[bilingbox]Ein wahrlich hartes Schicksal haben die Ukrainer. Nicht nur, dass viele von ihnen im Laufe ihres Lebens die Stadt oder das Land, ihren Beruf oder ihre Sprache wechseln müssen – jetzt sind sie auch gezwungen, ihr bevorzugtes Soziales Netzwerk zu wechseln. Ach du meine Güte. Schande dem Diktator Poroschenko. […] Wenn es Flüchtlingslager für die Flüchtlinge aus VKontakte und Odnoklassniki geben wird – sagen Sie mir Bescheid, ich werde ihnen ein Brötchen überweisen.~~~Справді трагічна доля випала українському народові. Мало того, що багатьом доводить упродовж життя змінювати місто та країну проживання, доводиться кілька разів за життя змінювати професію чи мову спілкування, так тепер ще й змушені будуть змінювати пріоритетну соцмережу.
Лышенько-лышенько
Ганьба диктаторові Порошенку.
[…]
Коли з’являться табори для біженців із ВК та ОК – дайте знати, перекажу їм булочку.[/bilingbox]

 

erschienen am 16.05.2017

Sekret Firmy: Infrastruktur fehlt

Sergej Petrenko, Ex-CEO des ukrainischen Yandex, äußert im Interview mit dem russischen Business-Portal Sekret Firmy Zweifel in Bezug auf die Umsetzbarkeit des Vorhabens:

[bilingbox]Anders als Russland verfügt die Ukraine nicht über die Infrastruktur für derartige Blockierungen. Es gibt kein Roskomnadsor oder eine andere Stelle, wo eine Liste der zu sperrenden Seiten veröffentlicht wird. […] 
Die einzig reale Möglichkeit für eine solche [Sperrung] wäre es, die 1500 Provider (oder wieviele wir hier haben) abzuklappern und sie davon zu überzeugen, bestimmte IP-Adressen zu sperren. Ich weiß nicht mehr, wieviele IP-Adressen Yandex genau hat, aber ein paar Zehntausend sind es sicher.~~~Дело в том, что у Украины, в отличие от России, нет инфраструктуры для таких блокировок. Нет Роскомнадзора или другого места, где публикуется общий список адресов, которые нужно заблокировать. […]
Единственный реальный способ это сделать — ногами обойти 1500 (или сколько там у нас) провайдеров и уговорить их заблокировать определённые IP-адреса. Я не помню, сколько именно IP-адресов у «Яндекса», но несколько десятков тысяч точно есть.[/bilingbox]

 

erschienen am 16.05.2017

dekoder-Redaktion, Inga Pylypchuk

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