Debattenschau № 49: Nawalny und die Macht der Straße

Es waren auffällig viele junge Leute: Teenager und Schüler. Manche hatten ihre Gesichter grün bemalt, manche hielten Schildchen mit Badeenten darauf in die Höhe. Und sie waren fast überall: nicht nur in Moskau und Sankt Petersburg, sondern auch in Jekaterinburg, in Nowosibirsk, in Wladiwostok und vielen weiteren Städten in den russischen Regionen. Beobachter sprechen von den größten Demonstrationen in Russland seit den Bolotnaja-Protesten 2011/2012.

„Ich vermute, auch Putin und Nawalny sind verblüfft vom Ausmaß der Anti-Korruptions-Proteste“, twitterte Spiegel-Korrespondent Christian Esch am Sonntag aus Moskau. 

Oppositionspolitiker Alexej Nawalny war es, der zu den Protesten aufgerufen hatte. Zuvor hatte sein Fonds für Korruputionsbekämpfung (FBK) einen Bericht über Premier Medwedew veröffentlicht. Das Video auf Youtube hat nach dreieinhalb Wochen derzeit über 12,5 Millionen Klicks. 

Bei den Protesten am Sonntag griff die Polizei durch, zumal die Demonstrationen meist nicht von den örtlichen Behörden genehmigt worden waren: Allein in Moskau gab es laut Menschenrechtlern rund 900 Festnahmen, die Polizei spricht von etwa 500. Jugendliche filmten noch aus Polizeiwagen heraus, die Videos wurden über das Internet verbreitet.

Auch Nawalny selbst war während der Proteste am Sonntag in Moskau verhaftet worden, wurde am heutigen Montag dem Richter vorgeführt und zu einer Strafe von 20.000 Rubel [rund 320 Euro] verurteilt. Außerdem muss er für 15 Tage in Haft.

Auftrieb für die Proteste dürfte außerdem auch der Videomitschnitt einer Diskussion über Nawalny und andere politische Themen zwischen Schülern und Lehrerinnen in der Oblast Brjansk gegeben haben. Das Video, von Nawalnys Wahlkampfteam vergangene Woche im Netz verbreitet, wurde zum Hit, die selbstbewussten Schüler zu „Helden des russischen Internets“. 

Ein ereignisreiches Wochenende, und nicht nur in Russland: In Belarus, wo seit Wochen protestiert wird, griff die Staatsmacht am Samstag durch. Hunderte wurden verhaftet, die Polizei ging teilweise sehr brutal gegen die Demonstrierenden vor. 

Während russische Staatsmedien kaum berichten und die landesweiten Proteste darin weitgehend marginalisiert werden, kommentieren vor allem unabhängige Medien: Nawalny, der Retter Russlands? Frühlingserwachen der russischen Zivilgesellschaft? Was wird bleiben von den Protesten?

Moskowski Komsomolez: Putin ist in der Pflicht

Das Massenblatt Moskowski Komsomolez sieht Wladimir Putin nun vor großen Herausforderungen:

[bilingbox]Der Präsident trägt in unserem Land die komplette Verantwortung. Er ist unmittelbar verpflichtet, seine Untergebenen bei der Stange zu halten. Am Vorabend der Wahlen vom 26. März 2000 erklärte WWP [Wladimir Wladimirowitsch Putin – dek] den Bürgern in einer TV-Sondersendung: „Wir wählen einen Präsidenten, der dazu verpflichtet ist, dem Land wieder zu Ansehen zu verhelfen.“ Die Anschuldigungen Nawalnys an die Adresse Medwedews, die bislang ohne befriedigende Antwort geblieben sind, haben zwar kaum das Ansehen unseres Landes beeinflusst, haben aber das Ansehen der russischen Machthaber eindeutig ruiniert. Mal sehen, ob Wladimir Putin das wieder aufbessern kann.~~~Президент в нашей стране отвечает за все. Держать в тонусе своих подчиненных – это прямая обязанность Владимира Владимировича Путина. Накануне выборов 26 марта 2000 года ВВП заявил в специальном телевизионном обращении к гражданам: “ Мы выбираем президента, чья обязанность – вернуть стране ее престиж”. Оставшиеся пока без содержательного ответа обвинения Навального в адрес Медведева вряд ли повлияли на престиж страны, но вот престиж российской власти они точно уронили. Посмотрим, сумеет ли Владимир Путин вновь его поднять.[/bilingbox]

 

erschienen am 26.03.2017

Kommersant: Der Kreml hat die Wahl  

Auch Stanislaw Kutscher schaut in der Tageszeitung Kommersant auf die mögliche Reaktion des Kreml – und sieht es dabei als entscheidend an, wen mögliche Strafmaßnahmen treffen werden:

[bilingbox]In der Bevölkerung herrscht ein klares Bedürfnis, gegen die Korruption anzukämpfen – das zu ignorieren ist unmöglich. Deswegen wäre meines Erachtens die klügste Reaktion seitens der Regierung, erneut eine demonstrative Antikorruptionskampagne loszutreten.

Kurz gesagt, der Kreml hat die Wahl, und die lautet ganz einfach: Wer wandert ins Kittchen?
~~~Запрос общества на борьбу с коррупцией очевиден, игнорировать его невозможно, а потому самым умным ответом – на мой взгляд – была бы очередная демонстративная антикоррупционная кампания со стороны самой власти.

Итак, если коротко, повторю, у Кремля есть выбор, и формулируется он просто: кого сажать?

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erschienen am 27.03.2017

Republic: Ein Teufelskreis

Für Oleg Kaschin dagegen scheint klar, dass auch die neue Generation der Protestierenden nichts ausrichten kann. Auf auf dem unabhängigen Portal Republic schreibt er:

[bilingbox]Völlig verständlich ist der Enthusiasmus derer, die den vereinten Protest vor fünf Jahren genug beweint haben und jetzt plötzlich die neuen Gesichter auf der Twerskaja entdeckt haben. Ein Generationenwechsel dieser Art allerdings, bei der jede vorige Generation die nächste anschaut und hofft, ihr möge das gelingen, was den Älteren nicht gelang – das ist ein klassischer breit angelegter Entwicklungsweg, der beinahe garantiert, dass irgendwann zur Hälfte der nächsten Amtszeit Putins schon eine neue Jugend antreten wird. Und die, die heute auf der Twerskaja waren, werden ihnen zuschauen mit genau den Hoffnungen, mit denen die ehemalige Bolotnaja-Bewegung auf die heutigen Teenager schaut. Es mutet an wie ein Teufelskreis, was sich da gerade hinter neuen Gesichtern verbirgt, die aber sowieso nichts erreichen werden. […]

Demokratien vermeiden ihr Zerbersten mithilfe von Machtwechseln. Der russische Autoritarismus (lässt er sich noch mit einem anderen vergleichen?) vermeidet das Zerbersten, indem er alle fünf Jahre die Teilnehmer auf Protestkundgebungen auswechselt.~~~Понятен энтузиазм тех, кто успел оплакать слитый протест пять лет назад и вдруг увидел новые лица на Тверской. Но смена поколений в таком формате, когда каждое предыдущее поколение смотрит на новое и надеется, что у него получится то, что не получилось у старших – это классический экстенсивный путь развития, почти гарантирующий, что где-нибудь к середине следующего путинского срока придет уже новая молодежь, а те, кто был сегодня на Тверской, будут смотреть уже на нее с той же надеждой, с которой бывшая Болотная смотрит на тинейджеров сегодня. Ощущение замкнутого круга прячется теперь за новыми лицами, но все равно никуда не девается.
[…] 
Демократии избегают взрыва с помощью ротации власти. Российский авторитаризм (и с кем его здесь сравнить?) избегает взрыва с помощью ротации людей на протестных митингах раз в пятилетку.[/bilingbox]

 

erschienen am 27.03.2017

Colta: Korruption ist der Zündstoff

Jegor Sennikow sieht auf colta.ru die Korruption als Zündstoff und gleichzeitig als Klammer, die viele im Land vereint:

[bilingbox]Vergessen darf man allerdings auch nicht, dass das Thema Korruption als Zündstoff für die heutigen Proteste gedient hat, und dies gänzlich vom Zettel zu streichen wäre falsch. […]

Zu irgendeinem Zeitpunkt wurde vielen klar, dass du zwar gleichzeitig die Spielregeln beachten und den vorgesehenen Abläufen folgen kannst, aber als Reaktion erntest du weder aufrichtiges Mitgefühl noch das geringste bisschen Gerechtigkeit, auch in der Rechtsprechung. Das alles ist so durchsichtig, dass es sowohl Schüler verstehen, die von ihren Lehrern bearbeitet werden, als auch Rentner, die das Fernsehen bearbeitet. […] 
Ganz sicher ist jedoch, dass in Russland – und zwar nicht nur in Moskau und Petersburg – eine neue gesellschaftliche Bewegung herangereift ist.~~~Но нельзя забывать и то, что коррупционная тема послужила запалом сегодняшних протестов — и скидывать ее со счетов целиком совсем не стоит. […] В какой-то момент многим стало понятно, что ты можешь играть по правилам и следовать установленным процедурам, но в ответ ты не дождешься ни искреннего сочувствия, ни хотя бы условной справедливости и правосудия. Символ этот такой зримый, что понятен и школьникам, обрабатываемым своими учителями, и пенсионерам, обрабатываемым телевизором. […]
[Но] о чем можно говорить сегодня совершенно точно, что в России — а не только в Москве или в Петербурге — вызрело какое-то новое общественное движение.[/bilingbox]

 

erschienen am 26.03.2017

Komsomolskaja Prawda: Vorsicht Falle!

Die regierungsnahe Komsomolskaja Prawda warnt vor der Teilnahme an den ungenehmigten Protestaktionen:

[bilingbox]Ganz offensichtlich war es kein friedlicher Spaziergänger, der den Polizisten geschlagen hat. Wahrscheinlich war es ein Aktivist aus dem Lager, das zu der illegalen Demonstration aufgerufen hatte. Der Täter konnte untertauchen, nun wird er anhand von Bildern der Überwachungskameras gesucht.

Das ist die Lektion für alle, die auf nicht genehmigte Demos gehen: Leute, vielleicht steht ihr einfach nur da und seid ganz friedlich. Aber man kann euch leicht in eine Falle locken und in Krawalle hineinziehen.~~~И бил полицейского явно не мирно гуляющий прохожий. Наверняка это был активист из лагеря тех, кто собирал незаконный митинг. Он успел скрыться, его ищут по изображениям с камер наблюдения…
И это урок тем, кто выходит на несанкционированные шествия — ребята, вы, может, и будет просто стоять, никого не трогая. Но вас могут легко подставить, втянуть в беспорядки.[/bilingbox]

 

erschienen am 26.03.2017

Echo Moskwy Blog: Nawalny fehlt ein Plan

Kristina Potuptschik, bis 2012 Pressesprecherin der Jugendorganisation Naschi, galt für viele als die Personifizierung der sogenannten Kreml-Blogosphäre. Seit einigen Jahren hört man von ihr gemäßigte Töne. Auf ihrem Echo-Blog kann sie der oppositionellen Euphorie nur wenig abgewinnen:

[bilingbox]Sehr viele Jugendliche waren da, Schüler von gestern und heute. Der wichtigste Ort war Piter und nicht Moskau. Das sind die Hauptunterschiede zu Bolotnaja. Außerdem gab es damals nach den Protesten dieses deutliche Empfinden: Es passiert etwas. Das fehlt diesmal. […] Nawalny steckt in einer misslichen Lage: Die Menschen haben sich getroffen, sind wieder auseinandergegangen, und dann? Nichts. Nawalny hat dem Protest nichts anzubieten, kein Programm und keinen Handlungsplan. Und das begreifen sogar die Schüler.~~~Очень много молодежи, вчерашних и нынешних школьников. Главным городом стал Питер, а не Москва. Эти же пункты — главные отличия от Болотки. А еще то, что тогда после протестов было четкое ощущение — что-то Происходит. Сейчас такого ощущения нет. […] И Навальный сейчас в ситуации крайне неудачной — ну погуляли, ну разошлись, а дальше что? А дальше — ничего. Предложить Навальный протесту ничего не может, программы и плана действий у него нет, и понимают это даже школьники.[/bilingbox]

 

erschienen am 26.03.2017

Facebook Alexander Morosow: Geschichte geschrieben

Der renommierte Politologe Alexander Morosow dagegen zollt auf seinem facebook-Account dem umstrittenen Oppositionspolitiker Nawalny allen Respekt: 

[bilingbox]

Wie auch immer das alles ausgeht – die heutige Aktion in 80 Städten wird in die politische Geschichte Russlands eingehen. So viel  ist bereits klar. […]

Drei Jahre schon publiziert Nawalny Anti-Korruptions-Materialien. Mit dem Beginn seiner spielerischen Wahlkampagne und nun dem Video über Dimon hat Nawalny ordentlich politisch Kapital geschlagen. Er ist ohne jegliche Übertreibung ein großer Zeitgenosse. Gehörigen Respekt verschaffen ihm sein Verstand, seine Beharrlichkeit und seine geniale Medienkompetenz.~~~Чем бы это все не закончилось, но сегодняшняя акция в 80 городах войдет в политическую историю РФ . Это уже ясно. […]
Трехлетнюю историю антикоррупционных публикаций Навальный мощно капитализировал одним роликом про димона и началом своей игровой президентской кампании. Он без всякого преувеличения великий современник. Вызывают огромное уважение его ум, упорство и медиа-гениальность.[/bilingbox]

 

erschienen am 26.03.2017

Facebook Batscho Kortschilawa: Ukraine als Vorbild

Batscho Kortschilawa ist ehemaliger Presseattaché der georgischen Botschaft in der Ukraine. Auf seinem facebook-Account kommentiert er die Proteste in Russland und Belarus, dabei schreibt er der Ukraine eine wichtige Rolle zu:

[bilingbox]Werden die aktuellen Demonstrationen in Russland und Belarus irgendetwas verändern? In den nächsten Jahren nicht. Weil Derartiges dort regelmäßig passiert, aber ohne jedes Ergebnis.

Wisst ihr, warum ich nicht daran glaube, dass sich in den beiden Ländern – besonders in Russland – aktuell irgendwas verändern wird? Ganz einfach: Weil dort bisher Positiv-Beispiele im großen Maßstab fehlen. Die baltischen Länder und Georgien können hier nicht als Vorbild dienen. Aber falls die Ukraine zu einem entwickelten, wirtschaftlich starken, stabilen und demokratischen europäischen Staat werden sollte, könnte sie nicht nur zum Vorbild, sondern auch zum Impuls für große Veränderungen werden. Und erst dann wird es zu einer Demontage der derzeitigen Regimes in Belarus und Russland kommen. Aber in der gegenwärtigen Lage braucht ihr nicht zu erwarten, dass sich dort irgendetwas verändert.

Veränderungen in der gesamten Region werden von der Ukraine ausgehen und nicht anders. Und falls solche Veränderungen beginnen, dann wird die UKRAINE zum echten Anführer der Region. ~~~Изменят ли что то в России и Белорусии митинги которые проходят? В ближайшие годы нет. Потому что такое переодически там происходит, но не имеет никакого результата. 
Знаете почему я не верю в то что сейчас в этих двух странах, а особенно в России может что-то изменится? Ответ прост – у них нет пока положительного примера в большом масштабе. Страны Балтии и Грузия для них примером служить не может. А вот пример Украины, если она сможет стать развитым, экономически сильным, стабильным и демократическим европейским государством, сможет послужить не только примером, но и импульсом к большим изменениям. И только тогда произойдёт демонтаж тех режимов, которые сейчас в Белорусии и России. 
А пока так как есть, не ждите что там что-то изменится. Изменения во всем этом регионе начнутся с Украины, и никак по другому. А если такие изменения начнутся, то УКРАИНА станет реальным лидером региона.[/bilingbox]

 

erschienen am 26.03.2017

dekoder-Redaktion

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