Debattenschau № 67: Inszenierter Mord an Babtschenko

Nach tausenden Nachrufen, die verfasst worden waren, nach Trauer und Entsetzen über die Ermordung des russischen Journalisten, kam die Nachricht: Arkadi Babtschenko lebt. Der Chef des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU hatte am 30. Mai auf einer Pressekonferenz in Kiew zunächst erklärt, der Fall sei gelöst. Dann trat Arkadi Babtschenko vor die verblüfften Journalisten. Die Ermordung sei inszeniert gewesen, so die Nachricht. Dies sei nötig gewesen, um den Drahtzieher eines tatsächlich geplanten Mordanschlags auf Babtschenko zu ermitteln. Ein Hintermann sei gefasst worden, ein ukrainischer Staatsbürger G., dem die russischen Geheimdienste insgesamt 40.000 Dollar angeboten hätten, damit er die Ermordung Babtschenkos veranlasse. Daraufhin habe er einen Auftragsmörder angeheuert. Den Hintermann G. habe man identifiziert und festgenommen.

Neben allgemeiner Freude darüber, dass Arkadi Babtschenko lebt, waren die internationalen Reaktionen auf die Spezialoperation des SBU gespalten. Der OSZE-Medienbeauftragte Hamid Désir bedauerte „die Entscheidung, falsche Informationen über das Leben eines Journalisten zu verbreiten. Es ist Pflicht eines Staates, korrekte Informationen an die Öffentlichkeit zu geben“. Auch die internationale Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen äußerte sich kritisch darüber, dass „die Kiewer Polizei mit der Wahrheit gespielt hat“. Das Atlantic Council veröffentlichte ein Q&A unterschiedlicher Meinungen internationaler Ukraine-Experten. 

Die Spezialoperation des SBU – ein grandioser Coup? Oder gefährliches Spiel mit der Wahrheit? dekoder bringt Ausschnitte aus den Debatten in russischen und ukrainischen Medien.

Facebook / Arkadi Babtschenko: Nerviges Gesterbe

In die allgemeine Aufregung nach der Kiewer Pressekonferenz hinein postete Arkadi Babtschenko auf Facebook:

[bilingbox]Könnt ihr knicken. Die könnens nicht abwarten. Habe ich versprochen, dass ich mit 96 sterbe, nachdem ich auf Putins Grab getanzt und auf der Twerskaja ein Selfie auf einem Abrams gemacht habe? Ich werde mein Möglichstes tun. Anscheinend will es der Planet, dass man alle vier Jahre wiederaufersteht.
Mein Gott, dieses Gesterbe ist doch völlig nervig ©.
Guten Morgen.~~~Хрен там. Не дождутся. Я обещал умереть в девяносто шесть лет, станцевав на могиле Путина и сделав селфи на Абрамсе на Тверской? Я постараюсь это сделать. 
Видимо планида такая, воскресать каждые четыре года. 
Господи, как же умирать-то надоело (с).
Доброе утро.[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Facebook / Anton Geraschtschenko: Einzigartige Spezialoperation

Auf Facebook zeigt sich der ukrainische Abgeordnete Anton Geraschtschenko von der Spezialoperation des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU begeistert:

[bilingbox]Die einzigartige Spezialoperation bezüglich der Morddrohung an Arkadi Babtschenko ist ein Beispiel für die effektive Zusammenarbeit zwischen dem Geheimdienst und der Nationalpolizei auf dem Gebiet der Bekämpfung von Terroranschlägen und politischen Morden.
Einzigartig ist auch, dass es bei dieser Spezialoperation keinerlei Informationslecks gab, weder vor der Mordinszenierung an Arkadi Babtschenko noch danach. Das spricht dafür, dass wir gelernt haben, auch an der unsichtbaren Konfrontationsfront mit den russischen Sicherheitsdiensten zu kämpfen.~~~Уникальная спецоперация по предупреждению убийства Аркадия Бабченко – пример эффективного сотрудничества между Службой безопасности и Национальной полиции в деле предотвращения террористических актов и политических убийств.

Уникальным также является тот факт, что не было утечки информации об этой спецоперации ни до инсценировки убийства Аркадия Бабченко, ни после. Это говорит о том, что мы научились воевать и на невидимом фронте противостояния российским спецслужбам.[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Facebook / Ivan Yakovina: Irgendein G.

Der Journalist Ivan Yakovina arbeitete einst bei Lenta.ru, lebt und arbeitet seit 2014 in der Ukraine. Er kommentiert auf Facebook weit weniger euphorisch:

[bilingbox]Der Witz ist, dass man die Glaubwürdigkeit des gesamten ukrainischen Staates geopfert hat für die Festnahme irgendeines dicken „Bürgers G“.
Wobei dieser, wenn ich das richtig verstanden hab, bloß Geld von den Auftraggebern an den Vollzieher übergeben hat. Er war also, einfach gesagt, ein Bote. 
Ich verstehe, wenn sie ein riesiges, verzweigtes Netz aufgedeckt hätten, mit Illegalen, Agenten, Informanten. Dann wäre es das wert gewesen. Aber wir haben hier nur irgendeinen G. 
Was soll das bitteschön?~~~Прикол в том, что пожертвовав credibility всего государства Украина, получили арест какого-то толстого „гражданина Г“.
Причем, если я правильно все понял, он лишь передавал деньги от заказчиков исполнителю. Проще говоря, был курьером.
Мне кажется, цена больно уж высока. 
Я понимаю, если бы вскрыли огромную, разветвленную сеть – с нелегалами, агентами и резидентами. Тогда оно того бы стоило. А тут какое-то Г!
Ну как так?[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Facebook / Mustafa Najem: Eins hinter die Löffel!

Ähnlich kritisch sieht es auf Facebook auch der ukrainische Investigativjournalist und Politiker Mustafa Najem, der einst den Maidan angestoßen hatte:

[bilingbox]Danke, natürlich, aber verzieht euch in den Wald mit solchen Inszenierungen! )) Ich schlage vor, ihm [Babtschenko – dek] auf dem Maidan anstelle von Kerzen eins hinter die Löffel zu geben.~~~Спасибо, конечно, но идите вы в лес с такими инсценировками! )) Предлагаю вместо свечек ему на Майдане по ушам надавать.[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Novaya Gazeta: Russische Methoden

Das Investigativmedium The Insider veröffentlichte einzelne Beispiele, in denen russische Geheimdienste Mordfälle inszeniert hatten. Entsprechend macht die kremlkritische Novaya Gazeta im Fall Babtschenko „russische Methoden“ aus:

[bilingbox]Alexej Gluchow sinniert auf Facebook darüber, dass die Realität ein allgemeines Gut ist, und die, die sie fälschen, dazu verdammt sind, gegen erfahrenere Spezialoperations-Experten zu unterliegen. Das letzte Argument sollte man sehr ernst nehmen: Im Kampf gegen die russische Einflussnahme kommen bei der ukrainischen Regierung nun ausgerechnet russische Methoden zum Einsatz. Fakes, Mystifizierungen, mit einem Wort: Post-Wahrheit.~~~Алексей Глухов рассуждает в фейсбуке о том, что реальность является общим благом, а те, кто фальсифицирует ее, обречены проиграть более опытным специалистам в области спецопераций. Последний аргумент стоит воспринимать всерьез: в борьбе с российским влияниям украинские власти начали использовать российские же методы, фейки, мистификации, словом — постправду.[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Rosbalt: Enttäuscht von Arkadi

Der prominente kremlkritische Publizist Stanislaw Belkowski zeigt sich auf Rosbalt persönlich enttäuscht: 

[bilingbox]Ich habe den starken Eindruck, dass der amtierende ukrainische Präsident Petro Poroschenko krampfhaft nach einem Szenario sucht, um wiedergewählt zu werden. Die Chancen sind gering. […] Deswegen greift man zu merkwürdigen Methoden und ersinnt polittechnologische Kombinationen, um seine Beliebtheit zu erhöhen. […]
Mir stößt es schwer auf, dass mein Freund Arkadi Babtschenko da mitmacht. […] Auch ich bin auf meine Art ukrainischer Patriot, aber das, was hier geschieht, eine solche Häme im Stil Viktor Janukowitschs, nur noch schlimmer, ist für mich äußerst bitter, und ich bin höchst enttäuscht über das, was da geschieht.~~~У меня складывается впечатление, что нынешний президент Украины Петр Порошенко судорожно ищет сценарии переизбрания на второй срок. Шансов очень мало. […]
Поэтому ищутся странные способы, придумываются политтехнологические комбинации для того, чтобы поднять рейтинг Петра Порошенко. […]
Для меня очень обидно, что в этом участвует мой друг Аркадий Бабченко. […] И я по-своему патриот Украины, а то, что происходит, такое издевательство в стиле Виктора Януковича, только еще хуже, для меня крайне горько и я весьма разочарован в происходящем.[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Facebook / Gleb Morew: Merkwürdige Meinungslage

Gleb Morew, Chefredakteur des unabhängigen Kulturmagazins Colta.ru, kann dagegen solche Vorwürfe gegen Babtschenko nicht verstehen. Auf Facebook schreibt er:

[bilingbox]Eine merkwürdige Meinungslage ist das im Nachrichtenverlauf. Was ist denn gegen Babtschenko zu sagen? Dass er nicht ermordet wurde und geholfen hat, die Mörder zu fassen? Hallo?~~~Странная пошла лента. Какие могут быть претензии к Бабченко? В том, что его не убили и он помог взять убийц? Ну але.[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Komsomolskaja Prawda: Neuer Boden für neue Zweifel

Alexander Kotz schreibt im kremlnahen Boulevardblatt Komsomolskaja Prawda, dass der Fall zu neuen Zweifel auch bei anderen Themen führen wird:

[bilingbox]Aber ich bin Arkadi trotz des ganzen Spektakels dankbar. Weil ich mit Erleichterung festgestellt habe, dass unter meinen russischen Kollegen deutlich mehr Menschen als Menschenfresser sind. Ihre Reaktion auf den „Mord“ war menschlich. 
Und ein weiteres Mal konnte ich mich davon überzeugen, dass die Welt keinerlei Beweise braucht, um Russland schreckliche Verbrechen anzuhängen. Ein adäquates Verhältnis zu meinem Land zu erwarten, ist sinnlos. Und so habe ich gesehen, dass die ukrainischen Geheimdienste in ihren Diskreditierungs- und Diffamierungs-Bemühungen gegenüber Russland keine Grenzen kennen. 
Das heißt, dass viele nun weniger daran zweifeln werden, dass die Ukraine beispielsweise die MH17 abgeschossen hat. Auch Eduard Limonows Version, dass die Skripals von Mitarbeitern des SBUs vergiftet wurden, wirkt nun nicht mehr exotisch.~~~Но Аркадию я, несмотря на этот спектакль, все равно благодарен. Потому что с облегчением понял, что среди моих российских коллег Людей гораздо больше, чем людоедов. Их реакция на «убийство» была человечной. И в очередной раз убедился, что для того, чтобы обвинить Россию в ужасном преступлении, миру не нужны никакие доказательства. Рассчитывать на адекватное отношение к моей стране бессмысленно. И потому что увидел, что в своем стремлении дискредитировать или оклеветать Россию у украинских спецслужб практически нет тормозов. А значит и сомнений в том, что Боинг, к примеру, сбила Украина, у многих станет меньше. Да и версия Эдуарда Лимонова о том, что Скрипалей отравили сотрудники СБУ совсем не кажется экзотичной.[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

 

Facebook / Sergej Medwedew: Was bleibt

Für den kremlkritischen Historiker und Publizisten Sergej Medwedew ändert sich dagegen in gewisser Hinsicht nichts, wie er auf Facebook schreibt:

[bilingbox]Eine super Geschichte ist das mit Babtschenko geworden, hat was von Post-Wahrheit, Quantenphysik, Pop-Mechanika und Spaßgesellschaft. Schrödingers Katze lebt wohl eher, als dass sie tot ist. Aber die Hauptsache ist, dass die Reaktion auf diese Post-Wahrheit die Wahrheit war. Das Mitleiden und die Entrüstung waren aufrichtig, obwohl der Anlass gefaked war, aber sind sie deswegen weniger wert? 
Ich werde meine Postings der letzten 24 Stunden nicht löschen, alles, was ich denke über den toxischen Zerfall des Imperiums und die vergiftete Luft des Krieges, über die Boeing, Nemzow und Politkowskaja, über die sinnlosen Hoffnungen auf das mythische Haag und die göttliche Gerechtigkeit, all das bleibt – und Gott sei Dank ist das Martyrologium nicht noch um einen Namen erweitert.~~~Хорошая вышла история с Бабченко, в духе постправды, квантовой физики, поп-механики и общества спектакля. Кот Шредингера скорее жив, чем мертв. Но главное, что реакция на эту постправду была правдой, сострадание и негодование были искренними, хотя и по фейковому поводу, но становятся ли они от этого менее ценными? Я не буду тереть свои посты за последние 24 часа, все, что я думаю о токсичном распаде Империи и отравленном воздухе войны, о Боинге, Немцове и Политковской, о бессмысленности надежд на мифическую Гаагу и божественную справедливость – все остается без изменений, и слава богу, что в этот мартиролог не добавилось еще одно имя.[/bilingbox]

erschienen am 31.05.2018

 

Facebook / Roman Schraik: Ein Happy End?

Der ukrainische Blogger Roman Schraik fasst auf Facebook die unterschiedlichen Sichtweisen folgendermaßen zusammen:

[bilingbox]Wie ich mir ein Happy End vorstelle: Der Auftraggeber politischer Morde ist unschädlich gemacht. 

Wie sich der SBU ein Happy End vorstellt: Der Mord an Babtschenko wurde verhindert, der Organisator des Mordes verhaftet, die Verbindung zum Auftraggeber wurde aufgedeckt.

Wie sich internationale Journalistenverbände ein Happy End vorstellen: Babtschenko ist tot, Journalisten fordern, den Vollstrecker zu finden, sind entrüstet und stellen Fragen.~~~хэппи-энд в моем представлении – заказчик политических убийств обезврежен

хэппи-энд в представлении сбу – убийство бабченко предотвращено, организатор убийств задержан, связь с заказчиком обнаружена

хэппи-энд в представлении международных журналистских организаций – бабченко мертв, журналисты требуют найти исполнителя, негодуют и вопрошают[/bilingbox]

erschienen am 31.05.2018

 

Facebook / Jakow Ochonko: Neues Zeitalter

Jakow Ochonko, Dozent an der Moskauer Higher School of Economis und Chef vom Dienst der Philosophie-Zeitschrift Logos, sieht auf Facebook gar ein neues Zeitalter angebrochen:

[bilingbox]Der Post-Tod~~~Постсмерть[/bilingbox]

erschienen am 30.05.2018

dekoder-Redaktion

 

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