Protestflagge: Verbot als Heiligsprechung

Die Generalstaatsanwaltschaft in Belarus plant, die weiß-rot-weiße Flagge als Symbol des Extremismus einzustufen, was de facto ein Verbot bedeuten würde. Das wurde vergangenen Freitag bekannt. Die Flagge ist vor allem seit Beginn der Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko am 9. August 2020 zum Symbol für die demokratische Bürgerbewegung geworden. Das Bekanntwerden der Verbotspläne entfachte empörte Debatten und neuerliche Protestaktionen, bei denen Belarussen weiß-rot-weiße Flaggen zeigten oder Gebäude damit dekorierten. Der Koordinationsrat der Opposition initiierte eine Petition gegen das Verbot und wandte sich mit einem Statement an die Öffentlichkeit: „Wir glauben, dass das Verbot der Verwendung von weiß-rot-weißen Symbolen unbegründet ist. Es wird nur dadurch motiviert, dass politischer Druck auf Bürger ausgeübt wird, die weit von der Linie der Regierung entfernt sind.“

In einem Kommentar, den Artyom Shraibman in seinem Telegram-Kanal veröffentlichte und der schließlich vom belarussischen Medium Nasha Niva übernommen wurde, prognostiziert der politische Analyst: Ein Verbot der weiß-rot-weißen Flagge könnte einen Bumerangeffekt für die Machthaber haben.

Das Verbot der weiß-rot-weißen Flagge und ihre Einstufung als Extremismus ist ein wichtiger Schritt zur weiteren Sakralisierung der Flagge. Die war zu Beginn des Jahres 2020 ein Symbol der national-demokratischen Gesellschaftsschicht – die etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Zum  Jahresende hin war sie bereits – ohne Bezug zur historischen Bedeutung – ein Symbol des breiten bürgerlichen Protests.

Am Sonntag nach der Wahl im August 2020 protestierten hunderttausende Menschen in Minsk gegen die Machthaber / Foto © Nadseja Bushan/Nasha NivaJetzt wird sie zu einem heiligen Symbol, zur verbotenen Frucht, zu etwas, das man nachts an Wände malt, das in verborgenen Winkeln versteckt und wodurch die emotionale Bindung an dieses Symbol immer mehr gefördert wird. 

Die Machthaber unterschätzen ihre Beliebtheit und verbauen sich so einen weiteren Weg für eine Kompromissfindung, indem sie Millionen ihrer Gegner zu Kriminellen machen, nicht nur für ihre Taten, sondern auch für ihre Zeichen. 

Der Awtosak (Gefangenentransporter) gilt als Inbegriff für staatliche Repressionen bei den Protesten in Belarus / Foto © Homoatrox/Wikimedia unter CC-BY SA 3.0

Die rot-grüne Flagge hatte immer mehr Unterstützung als die belarussische Staatsmacht und sie hätte diese ganz bestimmt überleben können. Jetzt wird der Gesellschaft angetragen sich aufzuteilen. Sich neben einer rot-grünen Flagge zu zeigen ist mittlerweile Ausdruck einer politischen Position.

Solch eine Politisierung eines Symbols und seine Bindung an eine konkrete Position ebnet den Weg dahin, dass das Verschwinden der Machthaber auch das Verschwinden seiner Attribute bedeuten wird. Die rot-grüne Flagge hatte Chancen, kein solches Attribut zu werden, aber nun wird sie es ganz bestimmt. 

Mit dem Verbot der weiß-rot-weißen Flagge gewährleisten die Machthaber, dass sie zum Staatssymbol werden wird, weil sie nun keine Subkultur mehr darstellt. Ein bedeutender Tag.

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