„In diesen Kreisen kenne ich mich aus“

Um Konstantin Bogomolow hat sich in Russlands liberalen Kreisen eine heftige Debatte entzündet. Bogomolow gilt neben Kirill Serebrennikow als einer der wichtigsten Theaterregisseure des Landes. Er hat außerdem die erste russische Serie gedreht, die Amazon für die Kategorie Originals and Exclusives kaufte und seit Dezember auch auf Deutsch zeigt.

Zwar nimmt sich die Filmkritik zu Sodershanki (Russian Affairs, dt.: Mätressen) nicht so überschwänglich aus wie üblicherweise die Theaterkritik zu Bogomolows Inszenierungen, insgesamt sind die Rezensenten aber wohlwollend. Mit viel Sex erzählt die erste Staffel vom Glamour-Milieu der russischen Hauptstadt: Intrigen und Machtspiele sind hier demnach genauso an der Tagesordnung wie Geldgier und Zynismus.

Ähnliches werfen nun einige auch Bogomolow selbst vor: Noch 2013 hatte er gegen Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin und die Ergebnisse der Moskauer Bürgermeisterwahl protestiert, 2018 aber plötzlich im Wahlteam für Sobjanin getrommelt. Bogomolow habe sich verkauft, so der häufige Vorwurf. Meduza hat mit dem Regisseur über Sodershanki gesprochen und ihn mit dem Vorwurf konfrontiert. 

Konstantin Bogomolow / © Dmitriy DubinskiyAlexandra Serkalewa: Warum haben Sie beschlossen, eine Serie über die Moskauer High Society zu drehen? Was macht das Thema gerade jetzt aktuell und interessant für Sie?

Konstantin Bogomolow: Ich wähle Themen nicht nach ihrer Aktualität aus. In diesem Fall wollte ich mich in der Filmbranche ausprobieren, ich habe noch nie eine Serie gedreht. Ich habe mich mit den Produzenten zusammengesetzt, und gemeinsam sind wir mögliche Themen durchgegangen. Am Ende waren wir uns einig, dass eine Serie über das moderne Leben in Moskau, innerhalb einer gewissen Moskauer Bourgeoisie, genau das Richtige für ein Debüt wäre. In diesen Kreisen kenne ich mich mehr oder weniger aus, kann mehr oder minder glaubwürdig, auf jeden Fall ehrlich, darüber berichten. Das ist alles. Dann kam das Drehbuch.

Ich habe nur die erste Folge gesehen, darin gibt es sehr viel Sex, und der ist für russische Verhältnisse ziemlich realistisch dargestellt. Man hört von vielen russischen Schauspielern und Regisseuren, bei uns seien weder die Zuschauer noch die Filmemacher Sex auf der Leinwand gewohnt. Hatten Sie keine Schwierigkeiten damit?

Nein. Ich finde, das ist ein echtes Problem im russischen Film und unter russischen Schauspielern. In dieser Hinsicht ist uns vielleicht sogar eine Art Durchbruch gelungen. Es stimmt, in der ersten Folge gibt es viele erotische oder explizite Szenen; in der siebten Folge gibt es eine fantastische Sex-Szene, die Seltenheitswert für den russischen Film hat.

Ich wollte, dass man die Erotik spürt, die Schönheit, den Sex

Mir ging es darum, diesen natürlichen, wesentlichen, schönen Teil des menschlichen Lebens nicht in diesen verschämten Bildern zu zeigen, bei denen sie auf ihm sitzt, schnell runterklettert, und dann liegen beide erschöpft da. Oder die Lippen berühren sich, seine Hand wandert irgendwohin – und dann wird abgeblendet. Ich wollte, dass man die Erotik spürt, die Schönheit, den Sex. Ich finde, das ist uns auch gelungen: Man hat wirklich das Gefühl von echtem Sex.

Wenn es im russischen Film schlecht um den Sex bestellt ist, dann findet er im russischen Theater überhaupt nicht statt.

Im Theater Sex darzustellen ist witzlos. Das Theater ist nicht die Kunstform, die das braucht. Ich bin prinzipiell gegen zu viel Körperlichkeit, zu viel physische Nacktheit auf der Bühne.

Warum?

Weil auf der Bühne niemand lebt und niemand stirbt. Aber damit wären wir bei ästhetischen Überlegungen, die ich ungern im Interviewmodus bespreche. Das Theater ist eben die Kunst des Bedingten, nicht des Unbedingten, verstehen Sie? Im Theater mit körperlicher Freizügigkeit zu schocken, ist dumm. Einfach dumm, so sehe ich das.

Im Westen gibt es die #MeToo-Bewegung und im Kino den Superheldinnen-Film Captain Marvel, während bei uns zur selben Zeit der Film Ljubownizy (dt. Liebhaberinnen) und die Serie Sodershanki an den Start gehen. Ist das die russische Filmversion von starken Frauen?

Ich denke nicht in diesen Kategorien, ganz ehrlich. Ich finde diesen ganzen Kontext furchtbar langweilig, diese ganzen Genderrollen, Feminismus und so weiter.

Dabei haben Sie jüngst in einem Interview gesagt, Frauen seien – sowohl als Protagonistinnen sowie als Schauspielerinnen – heutzutage viel spannender als Männer.

Ja, so ist die Zeit. In den 1970ern waren Männer spannender als Frauen. Es gab sehr unterschiedliche Protagonisten, viele komplexe Männerfiguren auf der Leinwand. Jetzt gerade gibt es sehr viel mehr energetisch interessante Frauen als Männer.

Und womit hängt das zusammen?

Vielleicht damit, dass in den 1970er Jahren die Vorkriegsgeneration nachwirkte, heute die Nachkriegsgeneration. Krieg, Revolution, Emigration und so weiter – das hat vor allem die männliche Linie getroffen. Die Opfer des 20. Jahrhunderts waren überwiegend Männer, deshalb ist die weibliche Linie besser erhalten. Vielleicht hat es damit zu tun. Vielleicht ist es auch nur eine Kulturperiode.

Also sehen Sie keinen Zusammenhang zu gesellschaftlichen Bewegungen?

Ich bitte Sie, womit soll das zusammenhängen, mit welchen gesellschaftlichen Bewegungen? Soll der Feminismus etwa dafür gesorgt haben, dass es weniger energetische Männer gibt? Nein.

Oder gibt es wegen des Feminismus mehr energetische Frauen? Das hat nichts mit gesellschaftlichen Bewegungen zu tun. Ich glaube, der Qualitätsverfall der männlichen Bevölkerung ist eine Phase, die entweder mit den Genen oder mit gesellschaftlicher Nachfrage zu tun hat.

So eine Art Winterschlaf der männlichen Gemeinschaft. Jeder muss sich mal ausruhen

So eine Art Winterschlaf der männlichen Gemeinschaft. Jeder muss sich mal ausruhen. Das ist normal. Wie bei einem Tischgespräch, da will man auch mal schweigen. Vielleicht ist das so eine Phase, in der die Männer eben beschlossen haben, den Mund zu halten.

Sie sind aktiv in Sozialen Netzwerken, schreiben auf Facebook und Instagram. 2018 haben Sie eine Reihe von Beiträgen veröffentlicht, wie sehr sich Moskau zum Besseren verändert habe. Kurz darauf gaben Sie bekannt, dass Sie Sobjanin als Vertrauensmann [bei der Bürgermeisterwahl – dek] unterstützen. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Weil ich seine Arbeit in Moskau unterstütze. Ich finde, er ist ein sehr effektiver Manager, Moskau hat Glück mit diesem Mann, er hat die Stadt wieder zu einem neuen Leben erweckt, er hat sie reanimiert und vor dem Kollaps bewahrt. Einem atmosphärischen Kollaps, sozusagen. Es wurde irgendwann unerträglich, sich in der Stadt aufzuhalten. Sobjanin und seine Leute haben das Blatt gewendet, die Stadt ist wieder eine Stadt für die Menschen geworden, nicht nur Steine, ohne Grün, ohne Gehwege, ohne irgendein urbanes Leben.

Wir sind dauernd genervt, das ist die Natur der Russen – immer genervt sein, immer mosern und meckern

Verstehen Sie, irgendwann ist man genervt vom Genervtsein. Wir sind dauernd genervt, das ist die Natur der Russen – immer genervt sein, immer mosern und meckern. Da, ein kaputter Gehweg – der perfekte Grund für einen spitzfindigen Instagram-Post mit Foto, oder? Aber die Bäume auf der Twerskaja, die sind wohl kein Grund. Ganz objektiv nicht: Niemand postet ein Foto von den Bäumen auf der Twerskaja. Aber ich erinnere mich, dass da in meiner Kindheit Bäume standen, ich weiß noch, wie sie unter Lushkow zerstört und abgeholzt wurden. Und jetzt sehe ich die Twerskaja meiner Kindheit wieder.

Aber wenn kurz vor den Wahlen auf Instagram 50 Posts mit dem Hashtag erscheinen, wie schön jetzt alles ist, dann hat das etwas Künstliches.

Das ist wohl eher eine Frage an die Macher der Kampagne. Wahrscheinlich hätte man das Ganze komplexer gestalten sollen.

Aber es war Ihnen nicht unangenehm, da mitzumachen?

Nein, warum? Ich habe da aus Überzeugung mitgemacht. Mir waren meine gesellschaftlichen Aktivitäten noch nie unangenehm. Sie fragen mich ja auch nicht: War es Ihnen nicht unangenehm, gegen die KPdSU oder für Jelzin auf die Straße zu gehen? Das habe ich gemacht, ja.

Sie sind auch 2012 auf die Straße gegangen.

2011, 2012 und 2013, für [Alexej] Nawalny. Ja, das bin ich, ich habe kein Problem damit. Wenn mir etwas in dem Moment richtig erscheint, tue ich das aus Überzeugung.

Würden Sie heute nicht mehr für Nawalny auf die Straße gehen?

Nein.

Haben Sie keine Angst, wenn Sie als Kunstschaffender Ihre Überzeugungen ändern und heute zum Beispiel die Regierung unterstützen, morgen die Gunst der Herrschaft aber in einen Zorn der Herrschaft umschlagen und man Ihnen das alles nachtragen könnte?

Ich bitte Sie, welche Gunst der Herrschaft? Habe ich denn ein Theater? Auf welche geheimnisvolle Weise ergoss sich die Gunst der Herrschaft über mich? Wenn ich etwas mache, das mit dieser Regierung zu tun hat, dann, weil ich es für richtig halte und nicht, weil ich dafür Zuckerbrot bekomme.

Aber Sie können sich durchaus vorstellen, dass Sie Ihre Meinung vielleicht in drei Jahren wieder ändern?

Hören Sie, meine Ansichten verändern sich ständig, jetzt sehe ich das so, morgen vielleicht anders, heute betrachte ich Europa und Russland auf diese Weise, gestern war es eine andere. Ich kann heute mit dem Sender Spas reden, und gleichzeitig gebe ich Ihnen ein Interview. Gestern habe ich mit Doshd gesprochen. Ich habe kein Problem damit, überall das zu sagen, was ich denke. Auf Spas rede ich darüber, dass ich nicht getauft und ziemlich kirchenfern bin. Und bei Doshd sage ich, dass mir diese ganze liberale Clique auf den Geist geht, sie ist dumm und untalentiert. Ich habe kein Problem damit, zu sagen, was ich denke. Ob das jemandem gefällt oder nicht, ob man was anderes von mir erwartet oder was anderes gewohnt ist – das ist nicht mein Problem.

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