„Geh hin, ich weiß nicht wohin“

„Staunend sieht er, über Nacht / auf dem weiten öden Strand / eine große Stadt erstand …“ Fotograf Andrey Ivanov entführt den Betrachter in die surreale Bildwelt russischer Märchen. Dabei entstehen seine Fotos mitten im Hier und Jetzt. Sein Fotobuch Geh hin, ich weiß nicht, wohin («Poidi tuda, ne snaju kuda») gewann den Hauptpreis beim Photobookfest 2018.

Über das Fotoprojekt, das zwischen 2014 und 2018 entstand, schreibt der Fotograf:

„Als ich Vater wurde, hatte ich die Idee ein Fotobuch für Kinder zu machen. Ich habe dann angefangen, Motive aus russischen Märchen zu fotografieren. Zunächst eine Serie von inszenierten Bildern, aber dann merkte ich, dass auch einige andere Sujets und Dokumentarfotos gut in diese Märchenreihe passen. Die bei der vorigen Arbeit Identitäts-Index (2012–2015) begonnene Suche nach nationaler Identität entfaltet sich in dem Spielraum zwischen Dokumentar- und inszenierter Fotografie. Das Märchen als authentischste Quelle russischer Archetypen. Nur ein Märchen war’s, nicht mehr – doch sei’s manchem eine Lehr.“ (Das Märchen vom goldenen Hahn von Alexander Puschkin)

Plötzlich, flammend wie Gewitter, / springen dreiunddreißig Ritter / aus der Flut, in blankem Stahl, / junge Riesen allzumal, / hochgemut, von stolzer Schöne, / auserwählte Heldensöhne, / ein gewalt’ger Reckenchor.

 

Märchen vom Zaren Saltan von Alexander Puschkin | Projekt Gutenberg /  Foto © Andrey Ivanov

Nun machte sich Zarewitsch Iwan auf, den Pfeil zu suchen. Er wanderte und wanderte und gelangte schließlich an einen Sumpf. Dort sah er einen Frosch sitzen, der seinen Pfeil hielt. Zarewitsch Iwan sprach: „Fröschlein, Fröschlein, gib mir meinen Pfeil zurück.“ Der Frosch aber antwortete: „Nur wenn du mich heiratest!“ „Wo denkst du hin! Wie kann ich einen Frosch zur Frau nehmen?“ „Nimm mich, so will es dein Schicksal.“

 

Foto © Andrey Ivanov

Staunend sieht er, über Nacht / auf dem weiten öden Strand / eine große Stadt erstand, / um das weite Häusermeer / laufen weiße Mauern her, / goldne Kuppeln sieht er blitzen, / Klöster, Kirchen, Turmesspitzen.

 

Märchen vom Zaren Saltan von Alexander Puschkin | Projekt Gutenberg / Foto © Andrey Ivanov

Foto © Andrey Ivanov

Geh hin – ich weiß nicht wohin – bring das, ich weiß nicht was.

 

Alexander Afanassjew (2010): Russische Volksmärchen, Wien, S. 29-55 / Foto © Andrey Ivanov

Foto © Andrey Ivanov

Weht der Wind vom Meere her, / treibt ein Schifflein auf dem Meer, / das, die Segel ausgebreitet, / leicht und schnell die Flut durchgleitet. / Plötzlich ruft das Schiffsvolk laut: / „Welch ein Wunder! Kommt und schaut! / Auf dem alten Inselland / Eine neue Stadt erstand.“

 

Märchen vom Zaren Saltan von Alexander Puschkin | Projekt Gutenberg / Fotos © Andrey Ivanov

Foto © Andrey Ivanov

Foto © Andrey Ivanov

Foto © Andrey IvanovFoto © Andrey Ivanov

„Wer bist du, wackerer Bursche?“, fragte sie.
„Mach das Fenster auf, ich will es dir erzählen.“ (…)
Nun saßen sie da und konnten sich aneinander nicht sattsehen. Dann fragte der Zarewitsch die Zarentochter, ob sie seine Frau werden wolle.
„Ich wäre schon einverstanden”, antwortete sie, „doch ich fürchte, meine Eltern werden es nicht erlauben.“

 

Der Holzadler
Russische Volksmärchen, St. Petersburg, 2016 (aus dem Russischen übertragen von Roman Eiwadis) / Foto © Andrey Ivanov

Ein Mäuschen kam gelaufen und wedelte mit dem Schwanz. Das Ei fiel zu Boden und zerbrach.

 

Das buntscheckige Hühnchen, Moskau, 1978 (aus dem Russischen übertragen von L. Majorowa) / Fotos © Andrey Ivanov

Foto © Andrey Ivanov

Foto © Andrey Ivanov

Foto © Andrey Ivanov

Gerade als er heimkehren wollte, begegnete ihm ein fremdes altes Männchen, das trug ein rotes Blümchen in der Hand.
„Alterchen, verkauf mir die Blume!“
„Die Blume ist nicht käuflich, es ist eine Zauberblume und du mußt geloben, daß deine jüngste Tochter meinen Sohn, den hellen Falken Finist, heiratet; dann bekommst du sie umsonst.“

 

Das Federchen vom hellen Falken Finist / Fotos © Andrey Ivanov

Die Hexe führte Aljonuschka zum Fluß. Dort aber stürzte sie sich auf sie, band ihr einen Stein an den Hals und stieß sie ins Wasser. (…) Nur das Böckchen wusste alles. Es ließ den Kopf hängen, aß nicht und trank nicht. Morgens und abends lief es am Ufer entlang und rief: 
„Aljonuschka, lieb Schwesterlein!
Steig herauf, komm heraus ans Ufer geschwind …“

 
Schwesterlein Aljonuschka und Brüderlein Iwanuschka
Russische Volksmärchen, St. Petersburg, 2016 (aus dem Russischen übertragen von Margarete Spady) / Foto © Andrey Ivanov

Iwan-Zarewitsch dankte dem Alten und warf das Knäuel vor sich hin. Das Knäuel rollte dahin, Iwan-Zarewitsch ging hinter ihm drein… Im freien Feld draußen trifft er auf einen Bären … 

 

Zarewna-Frosch
Russische Volksmärchen, St. Petersburg, 2016 (aus dem Russischen übertragen von Margarete Spady) / Fotos © Andrey Ivanov

Der Wolf ging zum Fluss, steckte den Schwanz ins Eisloch. Es war sehr kalt. Der Wolf saß und saß am Fluss, bis zum nächsten Morgen. Doch als er da aufstehen wollte, hatte der Frost seinen Schwanz bereits im Eis gefangen.

 

Der Fuchs und der Wolf / Foto © Andrey Ivanov

 

Fotos: Andrey Ivanov
Bildredaktion: Andy Heller
Übersetzung: dekoder-Redaktion
Veröffentlicht am 23.12.2019

Weitere Themen

April: Liebe in Zeiten des Konflikts

Oktober: Restricted Areas

November: Einst war hier das Meer

Iwan Turgenjew

Wer lebt glücklich in Russland?

Danila Tkachenko: Родина – Motherland


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: