Debattenschau № 77: Wahltag – wer ist der wirkliche Sieger?

Am Sonntag, 8. September, haben in allen 83 Föderationssubjekten Russlands Wahlen stattgefunden: Unter anderem stimmten Menschen über 16 Gouverneursposten ab sowie über Abgeordnete von elf Regionalparlamenten. Während alle Wunschkandidaten des Kreml die Gouverneurswahlen gewonnen haben, musste die Regierungspartei Einiges Russland (ER) herbe Schlappen einstecken.

So bewerten viele Beobachter das Ergebnis der Moskauer Stadtduma-Wahl als Niederlage für Einiges Russland. Bei einer Wahlbeteiligung von rund 22 Prozent gingen hier 20 der insgesamt 45 Sitze an Kandidaten anderer Parteien. 

Schon im Vorfeld der Wahlen galt die Regierungspartei für viele als angeschlagen. Ihre Kandidaten schickte sie als „Unabhängige“ ins Rennen – laut Beobachtern deshalb, damit das schlechte Image von Einiges Russland nicht auf sie abfärbe. Auch der Moskauer Parteichef Andrej Metelski hat als „Unabhängiger“ an der Wahl teilgenommen, laut vorläufigem Ergebnis verliert er die Wahl gegen den Konkurrenten von der Kommunistischen Partei.

Nun verbuchen sowohl Opposition als auch Regierungspartei das Ergebnis als einen Erfolg. Ist die Wahl tatsächlich ein Triumph für die Opposition? Welche Folgen hat sie für die Regierungspartei? dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte in russischen Medien.

Sobyanin.ru: Diversity in der Duma

Moskaus amtierender Bürgermeister Sergej Sobjanin hat sich auf seiner Homepage offiziell zufrieden über das Wahlergebnis geäußert:

[bilingbox]Es war am Ende ein echter politischer Wettbewerb, und es waren die emotionalsten Wahlen in der gesamten jüngeren Geschichte. In jedem Wahlkreis kämpften im Durchschnitt fast fünf Kandidaten um die Mandate. Die Leidenschaft war kein Witz.

Im Ergebnis kamen neben einem starken Trupp Kommunisten eine Kohorte aus den ehrwürdigen Parteien Jabloko und Gerechtes Russland ins Parlament. Die Duma ist nun politisch vielfältiger, was dem Stadtparlament, so hoffe ich, gut tun wird.~~~Пожалуй, самые эмоциональные и реально конкурентные за всю последнюю историю. В каждом округе за мандаты боролись в среднем почти по пять кандидатов. Страсти были нешуточные.

В результате, помимо сильного отряда коммунистов, в парламенте появилась когорта от уважаемых партий «Яблоко» и «Справедливая Россия». Дума стала политически более разноплановой, что в общем, надеюсь, будет на пользу городскому парламенту.[/bilingbox]

erschienen am 09.09.2019, Original

Facebook/Alexej Nawalny: Sieg für das kluge Abstimmungsverhalten

Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hatte im Vorfeld der Wahl zu klugem Abstimmungsverhalten aufgerufen: Man sollte die Stimme für denjenigen Oppositionskandidaten abgeben, der dem Kandidaten der Regierungspartei Einiges Russland am ehesten gefährlich werden könnte. Auf Facebook schreibt er nach der Wahl:

[bilingbox]4 Uhr morgens. Jetzt kann man mit Sicherheit sagen, dass der Bürgermeister und Einiges Russland 24 von 45 Wahlkreisen verloren haben.
Mit Fälschungen haben sie das derzeitige offizielle Ergebnis erreicht: Einiges Russland – 24 Sitze, kluges Abstimmungsverhalten – 21 Sitze.
Jetzt versuchen sie noch drei weitere Mandate zu klauen.

Es ist jedoch ein fantastisches Ergebnis des klugen Abstimmungsverhaltens. Dafür haben wir zusammen gekämpft. Danke für den Beitrag jedes Einzelnen.~~~4 часа утра. Сейчас можно уверено говорить, что мэрия и „Единая Россия“ проиграли 24 округа из 45.
С помощью фальсификаций они добились того, что текущий счёт: ЕР – 24 депутата, УМГ – 21 депутат.
Сейчас они пытаются украсть ещё три мандата.

Однако в любом случае, это фантастический результат „Умного голосования“. Мы боролись за него вместе. Спасибо каждому за его вклад.[/bilingbox]

erschienen am 09.09.2019, Original

The New Times: Haftzeiten statt Prozente messen

In der unabhängigen New Times erinnert Kolumnist Iwan Dawydow an die Haftstrafen nach den Protesten für faire Wahlen: 

[bilingbox]Dennoch ist das Hauptergebnis der Wahlen schon jetzt offensichtlich. Es lässt sich nicht in Prozenten messen, sondern in Jahren. In den realen Haftzeiten, zu denen die Betroffenen des Moskauer Prozesses verurteilt wurden im Rahmen von mit beispielloser Geschwindigkeit durchgeführten Gerichtsprozessen.
[…] Neun von ihnen […] hat Memorial International als politische Häftlinge anerkannt.~~~И все-таки главный итог выборов понятен уже сейчас. Главный итог исчисляется не в процентах, а в годах. В реальных сроках, которые получили фигуранты «московского дела» в ходе проводившихся с невиданной стремительностью судебных процессов.

[…]  Девятерых […] международный «Мемориал» признал политическими заключенными.[/bilingbox]

erschienen am 08.09.2019, Original

Novaya Gazeta: Digitale versus reale Stadt

Kirill Martynow, Politikchef der unabhängigen Novaya Gazeta, konstatiert einen Erfolg der Opposition und liefert Hinweise auf Wahlfälschungen:

[bilingbox]Die Lage der Regierung in Moskau ist ziemlich wackelig, das Vertrauen in sie ist nach der Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten im Sommer sehr gering. Die Opposition kann sich bislang zwar noch nicht die Hauptstadt holen, aber sie ist schon fähig zu einem ernsten Kampf.
Der einzige Ort, wo in der Stadt wie bisher Einiges Russland herrscht, ist wohl die moderne digitale Wahl, die bislang im Testverfahren gelaufen ist und den „unabhängigen“ Kandidaten aus der Mannschaft um den Bürgermeister hervorragende Ergebnisse brachte – enorm viel besser als in der realen Stadt.~~~Положение властей в Москве довольно шаткое, кредит доверия к ним после летних полицейских рейдов против мирных демонстрантов очень невысокий. Оппозиция, возможно, пока не забирает столицу себе, но уже способна дать серьезный бой. Единственное место, где в городе по-прежнему правят единороссы, — это, кажется, модное электронное голосование, которое пока проводилось в тестовом режиме и показало прекрасные результаты для самовыдвиженцев из «команды мэра». Гораздо лучшие, чем в реальном городе.[/bilingbox]

erschienen am 08.09.2019, Original

Izvestia: Plan B für die Opposition

Um die Unzufriedenheit der Bürger einzudämmen, plant der Kreml sogenannte nationalen Projekte. In der kremlnahen Izvestia fordert Polittechnologe Dimitri Fetisow noch ganz andere Strategien:

[bilingbox]Es ist gut, wenn die Strategie des Kreml bezüglich der nationalen Projekte umgesetzt wird und die Staatsmacht bei den Wahlen zur Staatsduma 2021 einen überzeugenden Sieg erringt. Aber es wäre nicht schlecht, einen Plan B zu haben, falls die Regierungen in einer Reihe von Regionen es nicht schaffen sollten, die nationalen Projekte umzusetzen, falls sich das Leben der Leute nicht verbessert und sie gezwungen sind, ihren Protest auf jede mögliche Art und Weise zu artikulieren. 
Solch ein Plan B könnte sein, entweder diejenigen parlamentarischen Oppositionsparteien zu transformieren, mit denen es möglich ist, eine gemeinsame Sprache oder akzeptable Formen der Zusammenarbeit zu finden. Oder aber man könnte neue politische Kräfte gründen, die die Interessen des Gesellschaftsteils vertreten, der die Wahlen ignoriert hat. Schließlich hat noch nie jemand gefordert, auf die Opposition im Staat zu verzichten. Hauptsache, sie ist bereit zum konstruktiven Dialog und ruft nicht zu illegalen Protestaktionen auf.~~~Хорошо, если стратегия Кремля по нацпроектам будет реализована и власть одержит убедительную победу на выборах в Государственную думу в 2021-м. Но неплохо было бы иметь и «план Б» на случай, если в ряде регионов местные власти не справятся с реализацией нацпроектов, жизнь людей не улучшится и они будут вынуждены искать все возможные формы для того, чтобы обозначить свой протест. И таким «планом Б» могла бы стать либо трансформация уже существующих партий парламентской оппозиции, с которыми можно найти общий язык и приемлемые формы сотрудничества, либо создание новых политических сил, которые будут отстаивать интересы той части общества, которая проигнорировала выборы. Ведь от оппозиции в государстве никто никогда не призывал отказываться. Главное, чтобы она была готова к конструктивному диалогу с властью, а не выходила на незаконные акции протеста.[/bilingbox]

erschienen am 09.09.2019, Original

Facebook/Dimitri Gudkow: Jede kleine Chance genutzt

Der Oppositionelle Dimitri Gudkow, Parteichef von Partija Peremen, war zu der Wahl nicht zugelassen worden. Er wertet das Wahlergebnis ebenfalls positiv:

[bilingbox]Moskau hat Nein gesagt zu diesem Sondereinsatz, der unter dem Deckmantel von Wahlen stattfand. In der illegitimen Moskauer Stadtduma wird es trotz allem anständige Menschen geben. 

Klar, das sind bei weitem nicht alle. Klar, sie sind weiterhin in der Minderheit. 
Aber angesichts von Repressionen und Polizeiterror haben die Moskauer gezeigt, dass sie sich das nicht gefallen lassen wollen. Und da, wo es zumindest eine kleine Chance gab, haben sie sie genutzt.~~~Москва сказала «нет» спецоперации, проходившей под видом выборов. В нелегитимной Мосгордуме все же будут приличные люди.

Да, далеко не все. Да, их там по-прежнему меньшинство. Но в условиях репрессий и полицейского террора москвичи показали, что не намерены с этим мириться. И там, где был хотя бы небольшой шанс, воспользовались им.[/bilingbox]

erschienen am 08.09.2019, Original

dekoder-Redaktion

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