Was war da los? #1

Foto ©  Ilya Varlamov/zyalt.livejournal.com
Das Foto ist vom 11. Dezember 2010, aufgenommen auf dem Manegenplatz in Moskau, im Hintergrund sieht man den Kreml. Der Platz wird auch liebevoll Maneshka genannt. Seit dem 11. Dezember 2010 allerdings steht der Begriff Maneshka auch für nationalistische Ausschreitungen.

An dem Tag sind tausende Menschen auf dem Manegenplatz aufmarschiert. Wenige Tage zuvor war Jegor Swiridow, Fan der Fußballmannschaft Spartak, bei einer Schlägerei mit aus dem Kaukasus stammenden Männern ums Leben gekommen. Nationalisten vermuteten, dass das Verbrechen von der Polizei verheimlicht würde.

Der Blogger Ilya Varlamov war Augenzeuge am 11. Dezember 2010 auf der Maneshka, von ihm stammt das Foto. Auf Batenka.ru erinnert er sich:


„Dass sich die Fans auf der Maneshka versammeln wollten, wussten viele, obwohl es zu dieser Zeit solche Zusammenrottungen – speziell im Zentrum von Moskau – noch nicht oft gab. Ich erinnere mich ehrlich gesagt überhaupt nicht, dass es früher unerlaubte Massenaktionen gab. Seinerzeit waren das, was die Opposition, die Nationalisten veranstalteten, eher unvorhersehbare Kleinstereignisse.

Niemand hatte die Pläne für die Maneshka richtig ernst genommen: Morgens gab es einen Protestmarsch [zum Gedenken an den ermordeten Spartak-Fan Jegor Swiridowdek], Blumen wurden niedergelegt, alles lief recht friedlich und ruhig. Ich erinnere mich, dass ich noch mit Kollegen darüber gesprochen habe, ob es sich überhaupt lohnt, zur Maneshka zu fahren, denn vielleicht würde dort gar nichts passieren. Die Fans hatten morgens ziemlich ruhig und still gewirkt, es schien fast, als würde es keine Bilder geben, keine Geschichten. Aber ich hatte an dem Wochenende nichts vor und bin deshalb mit ein paar Kollegen hingefahren.

Als wir bei der Maneshka ankamen, sahen wir, dass überhaupt keine Polizei da war, sich aber immer mehr Nationalisten versammelten. Völlig ungezwungen fühlten sie sich: Skandierten wie gewohnt ihre Sprüche „Russland den Russen“ und ähnliches.

Dieses Bild konkret ist dem Zufall zu verdanken: Dass die Arme, die dort zum Hitlergruß erhoben sind, eine Linie bilden, die auf den Kreml zeigt, ist eine unumgängliche Folge der Architektur des Manegenplatzes. Es gibt dort eine Treppe, die eine Art Amphitheater bildet, auf der die Menschen standen. Als ich das sah, habe ich mich einfach zum höchsten Punkt begeben, den ich finden konnte, und dieses Bild im Weitwinkel aufgenommen.

Viele der Versammelten trugen schwarze Masken, die die Gesichter vollständig verdeckten – sowas kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Sie zündeten Handfackeln und Rauchkörper. […]

Irgendwann hatten die versammelten Nationalisten genug vom Rumstehen und Brüllen. Es begann das, was in diesen Kreisen zum Standard gehört: „Kommt, los, wir schlagen jemanden zusammen.“

Zu allem Unglück kamen gerade in dem Moment diese jungen, dunkelhäutigen Jugendlichen vorbei. Die Menge prügelte sofort auf sie ein, ein paar Journalisten schafften es, die Jungs zu retten. Sie wurden zu einem Rettungswagen geschleppt. Dann kam auch der OMON.

Und bald hatte die Menschenmenge einen neuen Feind, so wie manchmal nach Fußballspielen. Da wurde dann der Weihnachtsbaum zerlegt, und man kloppte sich mit der Polizei.“

Autor: Ilya Varlamov
Übersetzung: dekoder-Team

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