In Russland wird der Tag der Raumfahrt gefeiert. Derweil verteidigt Putin den Cellisten Sergej Roldugin, der als einer der Hintermänner der russischen Offshore-Verwicklungen gilt. Ein Film unterstellt dem Oppositionspolitiker Alexej Nawalny aus den USA gesteuerte Umsturzabsichten und das enteignete Eigentümerkonsortium von Yukos lässt internationales Vermögen des russischen Staates beschlagnahmen.
Tag der Raumfahrt. Die russische Öffentlichkeit liebt Jahrestage, am meisten runde. Am Dienstag war nicht nur, wie an jedem 12. April, der Tag der Raumfahrt, sondern auch noch der 55. Jahrestag des ersten Raumflugs in der Geschichte der Menschheit – und der war schließlich eine russische Errungenschaft. Die Raumfahrtbehörde Roskosmos nahm es zum Anlass, unter dem Motto Podnimi golowu! (dt. Kopf hoch!) eine patriotisch-optimistische Flashmob-Kampagne zu starten – auch auf Youtube. Das charmante Breitband-Lächeln des sowjetischen Superhelden Juri Gagarin prangte am Dienstag als Festtags-Logo von den Titelseiten vieler Zeitungen. Bei dem Kommersant-Tochterblatt Ogonjok zierte der Kosmonaut sogar die Titelseite, allerdings nicht mit Helm, sondern als Schelm mit einem fransigen Damen-Strohhut. Der Kosmos sei für Russland schließlich symbolisches Kapital und ein Markenprodukt, schrieb Vedomosti in einem Kommentar – „einzig zum Erhalt der Marke reichen die Mittel und die Qualifikation nicht aus“, weshalb man „alte Symbol-Vorräte ausnutzen“ müsse. In der harten Realität sei für die russische Raumfahrt Anfang des Jahres eine Mittelkürzung um 30 Prozent für das nächste Jahrzehnt beschlossen worden – und das demnächst startbereite neue Kosmodrom Wostotschny mache vor allem durch Skandale und Hungerstreiks der Bauarbeiter Schlagzeilen.
Panama Papers. Zu anderen irdischen Problemen: Und die laufen in Russland – wie momentan in vielen anderen Staaten – unter dem Etikett Panama Papers. Als mutmaßlicher Strohmann und eine Putin besonders nahestehende Schlüsselfigur der russischen Offshore-Verwicklungen wurde darin der Cellist Sergej Roldugin enthüllt. Zwei Milliarden Dollar sollen über Briefkastenfirmen unter seinem Namen geflossen sein. Putin persönlich nahm ihn auf einem Petersburger Medienforum in Schutz: Roldugin sei einfach ein Musiker, der auch im Business aktiv sei und sein sauer verdientes Geld in den Ankauf von sündteuren Musikinstrumenten zur Talentförderung stecke. Russlands staatlicher Hauptpropaganda-Kanal, die Sendung Westi nedeli von und mit Dimitri Kisseljow, brachte daraufhin ein langes Sujet über den Musiker und präsentierte ihn und dessen piccobello restauriertes Petersburger Haus der Musik als jenen Kulturhort, in den der emsige Roldugin seine Reichtümer gesteckt habe. Das alte Adelspalais beeindruckt in der Tat – doch konterte die lokale Webzeitung fontanka.ru schon tags darauf mit eigenen Recherchen: Die Sanierung des Gebäudes sei für umgerechnet circa 50 Millionen Euro seinerzeit von der Stadt Sankt Petersburg bezahlt worden. Und kein einziges der im Film präsentierten mehrere Millionen Dollar teuren antiquarischen Instrumente stünde in der Bilanz von Roldugins Haus der Musik – das im Übrigen zu 80 Prozent vom Kulturministerium finanziert werde.
Enthüllungen über Nawalny. Von Kisseljow am Sonntag bereits als Preview präsentiert, strahlte Rossija 1 am Mittwoch einen langen Film mit Enthüllungen über den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny aus. Die Kernaussage: Nawalny arbeite seit Jahren im Auftrag und auf Rechnung des Putin-Intimfeinds Bill Browder, der einst in Russland zu den größten Finanzinvestoren gehörte – und betreibe letztlich einen Umsturz in Russland. Mit allerlei angeblich erbeuteter oder abgehörter Kommunikation unterstellt der Film, dass auch der Haft-Tod des Browder-Anwalts Sergej Magnitzki von den beiden Putin-Gegnern initiiert wurde – und zwar über geheimnisvolle britische Agenten im russischen Strafvollzugssystem. Auch Nawalnys Enthüllung über das Geschäftsimperium der Söhne von Generalstaatsanwalt Juri Tschaika sei auf Geheiß westlicher Geheimdienste erfolgt, heißt es in dem Material.
Nawalny kündigte eine Klage gegen den Fernsehsender wegen Rufmords an. Das einzig Wahre darin über ihn sei, dass er Nawalny heiße, erklärte er. Und in seinem Blog veröffentlichte er eine Selbstanzeige beim FSB, in dem er um eine offizielle Untersuchung der publik gemachten Vorwürfe samt Beschlagnahme des angeblichen Belastungsmaterials bittet. Originellerweise fand er damit sogar Beifall bei Chef-Propagandist Kisseljow. Über die Qualität des Belastungsmaterials lästerte die Novaya Gazeta: Das Englisch der vermeintlichen britischen Agenten sei auf dem Niveau von Google-Übersetzungen beziehungsweise Russlands Sportminister Mutko (gegenüber dem Günther Oettinger geradezu Oxford-English spricht).
Auseinandersetzung um Yukos. Ein weiterer ewiger Schauplatz von Battaglien zwischen dem Kreml und seinen Widersachern ist und bleibt Yukos: Das enteignete Eigentümerkonsortium GMT versucht international, seine Forderungen über 50 Milliarden Dollar vom russischen Staat einzutreiben – und hat in Frankreich Zahlungen in Höhe von 700 Millionen Dollar an die russische Raumfahrtbranche beschlagnahmen lassen – ein unschönes Geschenk zum Tag der Kosmonautik. Die russischen Ermittler versuchen derweil, in der schon satte 20 Jahre zurückliegenden Privatisierung von Yukos Kriminelles zu finden – was ermöglichen könnte, diese Forderungen international anzufechten. Der Ex-Eigner im Exil, Michail Chodorkowski, rückte davon unabhängig dieser Tage wieder auf die Forbes-Liste der 200 reichsten Russen: Das Magazin taxierte sein Vermögen auf 500 Millionen Dollar (Platz 170) – zu Beginn seiner zehnjährigen Haft hatte er das Rating noch angeführt.
Direkter Draht mit Wladimir Putin. Ab Donnerstagmittag wird die russische Medienlandschaft aber erst einmal durch die Inhalte des Direkten Drahts mit Wladimir Putin geflutet: Der Präsident antwortet auf Bürgerfragen aus dem ganzen Land – erstmals auch aus dem sozialen Netzwerk VKontakte. Was auf dem Bildschirm nach einem relativ spontanen Dialog aussieht, ist ein gut eintrainiertes Spektakel: Wie rbc.ru berichtete, ist das Saalpublikum bereits seit Dienstag in einem staatlichen Vorort-Sanatorium kaserniert, wo die Frager ausgewählt werden und ihr korrektes Verhalten einstudiert wird.
Lothar Deeg aus St. Petersburg