Presseschau № 21

Während die russischen Medien den Internationalen Frauentag mit Reportagen über die besten Geschenke für Frauen und einem Grußwort des Präsidenten feiern, erschüttert den russischen Sport ein Dopingskandal um Tennisspielerin Scharapowa. Der Urteilsspruch im Prozess um Militärpilotin Sawtschenko wird vertagt, woraufhin diese ihren Hungerstreik ausweitet und auch aufs Trinken verzichtet. Und im Nordkaukasus erfolgen Anschläge auf Menschenrechtler und Journalisten.

Internationaler Frauentag. In Russland begann diese Woche mit einem viertägigen langen Wochenende: Der am 8. März begangene Internationale Frauentag hat schließlich den Rang eines gesetzlichen Feiertags – und ein von den ohnehin langen offiziellen Neujahrsferien abgeknapster arbeitsfreier Tag war per Regierungserlass auf den Montag geschoben worden. Vom einstigen revolutionär-feministischen Ansatz des Frauentags ist bei den Russen nicht mehr viel übrig – es handelt sich vielmehr um einen Tag der ritualisierten Beschenkung und Beglückwünschung aller Frauen durch die Männerwelt (zwei Wochen vorher, am 23. Februar, dem „Tag der Vaterlandsverteidiger“ läuft es andersrum). Auch der (geschiedene) Präsident macht da keine Ausnahme und gratuliert der Damenwelt artig per Grußwort.

Russlands Medien widmen sich zu diesem Datum einmal ausführlich „Frauenthemen“ – etwa mit einem Ratgeber, was Mann keineswegs zum 8. März verschenken sollte (Staubsauger, Unterwäsche, Schmuck), einer psychologischen Analyse, warum russische Frauen riesige Blumensträuße mögen oder einem analytischen Bericht, was unter „orthodoxer Mode“ zu verstehen ist – und warum diese in Russland immer beliebter wird.

Prozess um Sawtschenko.  Doch zurück in die harte russische Nachrichtenrealität, wo unabhängig vom Feiertag gegenwärtig zwei Frauen im Mittelpunkt des Medieninteresses stehen: Nadeschda Sawtschenko und Maria Scharapowa.

Immer dramatischer entwickelt sich der Prozess gegen die ukrainische Militärpilotin Sawtschenko – deren „unverzügliche Freilassung“ inzwischen auch die Bundesregierung fordert. Moskau wies derartige Forderungen seitens der USA bereits als „Einflussnahme auf das Gericht“ zurück. Sawtschenko wird vorgeworfen, während der Kämpfe in der Ostukraine Artilleriefeuer korrigiert zu haben, was zum Tod zweier russischer TV-Journalisten führte. Sie selbst betrachtet sich als unschuldig, die russische Justiz für nicht zuständig und beteuert, nach Russland entführt worden zu sein. Eigentlich steht nur noch die Urteilsverkündung aus – und kaum jemand zweifelt daran, dass das Urteil in etwa der Forderung der Staatsanwaltschaft nach 23 Jahren Haft entsprechen wird.

Doch als letzte Woche der Prozess vertagt wurde, bevor Sawtschenko ihr schon auf Facebook veröffentlichtes Schlusswort halten konnte, trat die kämpferische Angeklagte aus Protest gegen die Verzögerung in einen trockenen Hungerstreik und trank nichts mehr. Sechs Tage später, am Mittwoch dieser Woche, inzwischen nahm sie wieder Flüssigkeit zu sich, konnte sie ihr Schlusswort halten: Ausgezehrt stieg sie auf die Anklagebank und zeigte dem Gericht den Stinkefinger, berichtet die Novaja Gazeta. Den Text verlas dann ihr Dolmetscher: Man werde sie so oder so zurück in die Ukraine schicken, tot oder lebendig, heißt es darin. Denn Sawtschenko hungert schon seit zwei Monaten, in einer Woche will sie auch wieder auf das Trinken verzichten, doch die Urteilsverkündung ist erst für den 21. und 22. März anberaumt.

Dopingskandal. Das Doping-Eingeständnis des russischen Tennis-Weltstars Scharapowa schockierte die russische Sportwelt – genauso wie die Tatsache, dass immer mehr Fälle der Anwendung des seit Jahresbeginn von der Welt-Anti-Doping-Agentur verbotenen Präparats Meldonium bekannt werden. Eine ganze Reihe russischer Eisschnellläufer wurde positiv getestet – und muss nun mit langen Sperren rechnen. Während Scharapowa ihren Fehltritt mit Unaufmerksamkeit beim Lesen der entsprechenden Verbote erklärte, sieht der russische Eisschnelllaufverband Saboteure und Intriganten am Werk: Konkurrenten aus dem eigenen Team müssen den Spitzensportlern das Mittel untergeschoben haben, erklärte Verbandschef Alexej Krawzow. Vorrätig hatten es wohl viele, denn laut Sportmediziner Kirill Raimujew nahmen „100 Prozent aller russischer Leistungssportler“ das Präparat ein.

Meldonium in Form des Herzmedikaments Mildronat – erhältlich in jeder russischen Apotheke, 40 Kapseln für  250 bis 300 Rubel – gehörte in Russland in den letzten drei Jahrzehnten zur Sportler-Standardernährung und galt als absolut harmlos, schreibt auch die Sport-Webzeitung championat.ru und fleht Scharapowa geradezu an, jetzt nicht die reuige Sünderin zu spielen, sondern mit ihrer Finanz- und Medienmacht zum Wohle aller russischen Sportler für die Rehabilitierung des Mittels wie seiner Anwender zu kämpfen. „Das kann nur sie tun. Unsere Flaggenträgerin. Niemand anderes wird man mehr hören. Zu spät. Russe – das heißt Doping. … Mascha, rette uns!“

Selbst der Wirtschaftspresse ist der Fall Titelstories wert. Schließlich war Scharapowa mit einem Jahreseinkommen von zuletzt 30 Mio. Dollar die bestbezahlte Sportlerin der Welt, berichtet rbc.ru. Zu drei Vierteln kam das Geld aus Werbeverträgen. Doch Nike, Porsche und TAG Heuer beendeten bereits die Zusammenarbeit mit Scharapowa, schreibt der Kommersant.

Überfall auf Journalisten im Nordkaukasus. Zu den negativen Nachrichten muss der brutale Überfall auf eine Gruppe Journalisten und Menschenrechtler in Inguschetien gezählt werden. Ihr Kleinbus wurde am Mittwoch auf der Fahrt von Inguschetien nach Grosny auf freiem Feld von etwa 20 Maskierten in drei Autos angehalten. Die neun Insassen wurden zusammengeschlagen, teilweise ausgeraubt, als „Verräter“ beschimpft und der Bus der NGO Komitee zur Verhütung von Folter in Brand gesetzt. Vier Betroffene kamen ins Krankenhaus, darunter zwei Journalisten aus Norwegen und Schweden. Die Webseite Mediazona, deren Korrespondent ebenfalls zu den Opfern gehört, berichtete mit einem Newsticker über die Ereignisse – denn am gleichen Tag drangen auch unbekannte Täter in das Büro der NGO in Inguschetien ein. Die inguschetischen Behörden haben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die tschetschenische Führung wies Vorwürfe zurück, die anti-oppositionellen Appelle von Republikchef Ramsan Kadyrow könnten zu derartigen Gewaltauswüchsen führen.

Ölpreis. Zu den wenigen positiven Nachrichten der Woche gehört jene, dass der Ölpreis wieder steigt. Brent kostet nun wieder über 40 Dollar, analog stieg der notorisch schwachbrüstige Rubelkurs auf den bisher höchsten Wert der Jahres. Doch die Krise ist nicht vorbei. Fundamental hat sich auf dem überfluteten Ölmarkt nichts geändert, der Preisanstieg ist eher spekulativer Natur: „Von einer Trendwende kann man noch nicht sprechen“, warnt Vedomosti in einem Kommentar.

Tierische Liebe. Und um nochmals auf den Frauentag und zugleich einen Dauerhelden der russischen Medien zurückzukommen: Für Ziegenbock Timur, weltbekannt für seine furchtlose Zoo-Freundschaft mit dem sibirischen Tiger Amur, wurde am 8. März eine Brautschau organisiert. Doch er verschmähte alle sechs aus verschiedenen Regionen aufgebotenen Damen, darunter auch eine aus Moskau eingeflogene Ziege namens Merkel.  Freundlich begrüßte Timur nur seinen Tigerkumpel hinterm Zaun.

Lothar Deeg aus St. Petersburg für dekoder.org

 

 

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