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Journalismus aus Russland und Belarus in deutscher Übersetzung

  • Ist Russland totalitär?

    Ist Russland totalitär?

    Als der Begriff „Putler“ in den 2000er Jahren im russischsprachigen Internet aufkam, klang es vielen wie ein Kalauer. Mit der Zeit häuften sich die Hitlervergleiche, auch mit Stalin wurde Putin immer wieder verglichen. Heute ist es gewissermaßen normal, das System Putin als faschistisch und/oder stalinistisch zu bezeichnen. Was sind die Gemeinsamkeiten dieser drei Diktaturen? dekoder hat mit dem Historiker Matthäus Wehowski gesprochen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. 

    Das System Putin wird heute häufig als faschistisch oder stalinistisch bezeichnet / Foto © Mikhail Metzel/ZUMA Wire/imago-images

    dekoder: Was ist Totalitarismus und worin unterscheidet er sich vom Autoritarismus?

    Matthäus Wehowski: Es gibt verschiedene Definitionen von Totalitarismus. Ganz grob gesagt, sind das Staatswesen, die auf Massenmobilisierung setzen und dazu alles anhand einer bestimmten Ideologie ausrichten. Die Ideologie durchdringt hier alles, jedes einzelne Leben. Manche Forscher beschreiben Ideologien als politische Religionen: Sie haben einen Ausschließlichkeitsanspruch, die Deutung ist quasi monopolisiert. Eine Ideologie ist weitgehend widerspruchsfrei, ihre einzelnen Komponenten können aufeinander bezogen werden. In der Theorie hat sie also ein Mindestmaß an Konsistenz und Kohärenz. 

    Als „Klassiker“ des totalitären Staates gelten das sogenannte Dritte Reich und die Sowjetunion unter Stalin. Im „Dritten Reich“ war die Ideologie des Nationalsozialismus auf ausnahmslos alle Sphären von Politik und Gesellschaft ausgerichtet. Ob etwa eine Person „Wert“ hatte oder nicht – im Dritten Reich hat man das anhand der Abstammung, von „Blut und Volk“ und dieser ganzen sozialdarwinistischen Ideen definiert. Im Stalinismus gab es eine besondere Färbung des Marxismus-Leninismus und der sogenannten Diktatur des Proletariats. Der „Wert“ einer Person wurde daran gemessen, inwieweit er im Sinne der Staatspartei in diese Ideologie hineinpasst oder nicht. Ob das eine kohärente Ideologie gewesen ist, ist in der Wissenschaft in vielen Punkten umstritten. Wichtig ist aber unter anderem, dass sie allgegenwärtig war: Die Gesellschaft war mobilisiert, es gab ständig Paraden und Indoktrination, die Ideologie war überall, alles wurde durch das Prisma der Ideologie gesehen, ohne Ausnahmen und Nischen. Dies ist wohl auch der Unterschied zum Autoritarismus: Beides sind diktatorische Herrschaftsformen, im Autoritarismus gibt es aber noch ein Mindestmaß an Pluralismus – dieser ist zwar eingeschränkt, aber es gibt ihn eben. Totalitäre Systeme kennzeichnen sich dagegen durch ein Deutungsmonopol. 

    Sie haben das Stichwort politische Religion genannt. Hat eine Ideologie auch ein Heilsversprechen oder eine Zukunftsvision? Will sie unbedingt einen neuen Menschen? 

    Wenn wir uns diese klassischen historischen Beispiele anschauen, dann gehört das wohl dazu. Der Stalinismus hatte einen Anspruch auf die Bildung einer neuen Gesellschaft, auf die Schaffung des sogenannten Sowjetmenschen. Der neue Mensch ist natürlich ein utopisches Element, und wenn man will, auch eine Art Heilsversprechen. Im Nationalsozialismus ist es etwas anders: Hier gab es die Idee einer glorreichen idealen Vergangenheit, die wiederhergestellt werden sollte. Das sogenannte Urvolk sei demnach eine „reine Rasse“ gewesen, ohne Einflüsse von außen – und da, so die NS-Vision, müsse man wieder hin. Gleichzeitig gab es natürlich das Versprechen von moderner Technik. Wir haben diese Ideen von utopischen Umgestaltungen – zum Beispiel Berlin, das zur „Reichshauptstadt Germania“ umgebaut werden sollte. Es war also ein Mix aus romantisierter Vergangenheit und einer utopischen Zukunft. Im Stalinismus haben wir dagegen diesen extremen Blick nach vorn: Dem Anspruch nach wollte der Stalinismus komplett mit der Vergangenheit brechen und aus dieser Tabula Rasa eine neue Gesellschaft, einen vollständig neuen Menschen schaffen. 

    Wenn man diese Prinzipien zugrunde legt, dann ist Russland also nicht totalitär. Richtig? 

    Ja. Aus vielen Gründen. Es gab früher diesen sogenannten „Gesellschaftsvertrag“: Ihr könnt alles machen und reden, was ihr wollt, dafür mischt ihr euch aber nicht in die Politik ein – und wir sorgen für euren Wohlstand. 2014 kam noch der sogenannte „Krim-Konsens“ dazu: Wer für die „Angliederung“ ist, ist auch für Putin – fertig, aus. Das Regime hat also jahrzehntelang dezidiert darauf gesetzt, die Gesellschaft eben nicht zu mobilisieren, sondern sie zu depolitisieren und apolitisch zu halten. Es gibt daher auch keine klare Ideologie, mit der man mobilisieren könnte. 

    Seit 2014 sinkt das Realeinkommen in Russland, der Kreml kann sein Wohlstandsversprechen also nicht halten. Auch der „Krim-Konsens“ scheint zu bröckeln. Das Regime ideologisiert sich zwar scheinbar – man nehme etwa die Diskussion um die Einheitlichkeit der Geschichtsbücher an den Schulen – insgesamt ist der Prozess aber sehr versatzstückartig, Schaffung einer Ideologie aus einem Guss scheint mir da eher unwahrscheinlich. Und eigentlich braucht der Kreml auch keine Ideologie, um sich zu legitimieren: Es ist zynisch, aber der Machterhalt kann auch durch Repressionen gesichert werden. 

    Aber es gibt doch die sogenannte Russische Welt – ist das denn keine Ideologie? 

    Wie man’s nimmt, kohärent ist diese Anschauung jedenfalls nicht: Hier etwas Mystizismus, da ein bisschen Orthodoxie, eine Prise Stalinismus, noch etwas Sowjetnostalgie etc. Für eine kohärente Ideologie reicht das nicht, eigentlich gibt es im aktuellen Russland überhaupt keine Ideologie im klassischen Sinne. Das ist eine ganz wichtige Sache, die wir uns immer wieder vor Augen halten müssen. Mark Galeotti, der britische Russland-Historiker, spricht von Adhocracy. Ich finde, dieser Begriff passt sehr gut: Zuerst konstruiert man eine gefällige russische Geschichte, und dann bedient man sich daraus nach Belieben – man nimmt aus dieser Mottenkiste einfach das, was einem gerade ad hoc in den Kram passt, mal Peter den Großen, mal Katharina, mal Gumiljow, mal Dsershinski. Das ist keine kohärente Ideologie mit einem festen Fundament. Wenn es so etwas heute überhaupt noch gibt, dann wohl nur in Nordkorea.

    Der Journalist Andrej Archangelski hat kürzlich von einem Totalitarismus 2.0 gesprochen: Die Ideologie des Putinismus speise sich aus der Ablehnung von progressiven Werten. 

    Das machen doch auch andere Regierungen, in Ungarn oder Polen zum Beispiel. Feindschemata können zwar auch Solidaritätseffekte stiften und damit eine Eigengruppe formen, das macht das Ganze aber noch lange nicht zu einer Ideologie. Eine Ideologie ist vom Anspruch her konstruktiv, sie ist für etwas – und nicht nur gegen. Der Kreml legitimiert sich aber zunehmend nur noch durch ein schlichtes Feindschema: Russland, so heißt es, sei eine belagerte Festung, der Westen wolle es unterwerfen und plündern. Auch die Aggression gegen die Ukraine verkauft die Propaganda doch als einen Verteidigungskrieg. So ein Feindschema kann zwar einen Rally ‚round the flag-Effekt stiften und auch die Repressionen im Inneren legitimieren, eine Zukunftsvision bietet es aber nicht. Außerdem legitimiert sich das System im Grunde ex negativo: Es braucht einen konstituierenden Anderen.

    Damit macht es sich doch letztendlich auch abhängig von diesem Anderen. Ist es nicht eine recht unzuverlässige Methode des Machterhalts? 

    Es gibt diesen wunderbaren Spruch von Alexei Yurchak: „Everything was forever until it was no more“. Der Zusammenbruch einer Diktatur kann ganz plötzlich passieren oder auch gar nicht. Das klingt jetzt trivial, aber im Sommer 1989 hätte eine Mehrheit aller Beobachter wohl gesagt, dass die Mauer natürlich die nächsten 100 Jahre noch stehen bleiben wird, so wie Honecker das erklärt hat. Hätte man vor dem Arabischen Frühling Experten um ihre Einschätzung zur Dauerhaftigkeit der libyschen Diktatur gefragt, hätten sie die wohl auch als stabil eingestuft. Natürlich kann Putin ein Gaddafi-Schicksal ereilen. Denkbar ist aber auch, dass er bis zu seinem natürlichen Tod an der Macht bleibt. Oder gar darüber hinaus, es gibt da wirklich ganz absurde Fälle: Der algerische Präsident Bouteflika war jahrelang aus der Öffentlichkeit verschwunden und hat trotzdem noch geherrscht. Die Bevölkerung wusste nicht mal, ob der Mann überhaupt noch lebt, er blieb trotzdem an der Macht. Und Mugabe war zuletzt völlig senil und hat nur noch Unsinn geredet. Aber regiert hat er bis zu seinem Exitus. Wir hatten das in der Sowjetunion mit Tschernenko, der schon todkrank war, als er überhaupt zum Generalsekretär der KPdSU wurde. 

    Es gibt so viele Faktoren, die völlig unkalkulierbar sind. Putin hat zwar funktionierende Instrumente des Machterhalts: Propaganda, Feindschema, Repressionsapparat, Geheimdienste etc. – dann kommt aber so ein Prigoshin, und das Regime gerät ins Wanken. So etwas kann in autoritären Regimen mit ihrem typischen Mangel an echten politischen Institutionen eben schneller passieren. Kann passieren, muss aber nicht. 

    Experte: Matthäus Wehowski
    Interview: Anton Himmelspach
    Veröffentlicht am 24.10.2023

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  • Karrieren aus dem Nichts

    Karrieren aus dem Nichts

    Am 30. September 2022 verkündete Wladimir Putin die Angliederung von vier ukrainischen Gebieten in die Russische Föderation: Donezk, Luhansk, Saporishshja und Cherson. Obwohl Moskau zu keinem Zeitpunkt auch nur eines dieser Gebiete vollständig unter seiner Kontrolle hatte, wurden eilig Verwaltungsbehörden nach russischem Vorbild eingerichtet. Journalisten des russischen Portals Verstka haben recherchiert, wer in den Okkupationsorganen wichtige Ämter innehat und dazu die Biographien von 224 Verwaltungsbeamten des mittleren und höheren Dienstes analysiert.

    Das Ergebnis: Etwa jeder zweite Leitungsposten in den regionalen Behörden ist von Beamten besetzt, die aus der Russischen Föderation kommen. Auf kommunaler Ebene überwiegen derweil Mitarbeiter, die vor der Besetzung bereits in den ukrainischen Behörden tätig waren. Ein beträchtlicher Teil der aus Russland zugezogenen Beamten wurde offenbar von der Aussicht angelockt, durch den Einsatz in den Besatzungsbehörden einer Strafverfolgung zu entkommen. Ukrainische Kollaborateure wurden dagegen mit Karriereversprechen geködert. 

    Einwohner der Region Saporishshja stehen Schlange, um in einem Zentrum für die Beantragung der russischen Staatsbürgerschaft Dokumente für den Erhalt des russischen Passes zu bekommen / Foto © RIA Novosti/SNA/imago-images

    Vom Putin-Verspötter zum Beamten seiner Besatzung

    Anfang Februar 2021 platzierte Igor Telegin aus Cherson auf dem Jobportal work.ua seine Bewerbung, in der er sich bereit erklärte, für 30.000 Hrywnja pro Monat (seinerzeit umgerechnet 1100 US-Dollar) als Drehbuchautor und Regisseur zu arbeiten. Als eine seiner besten Arbeiten nannte Telegin einen 2017 auf YouTube veröffentlichten Clip zu einem Lied von Alexander Ponomarjow, einem Schlagersänger mit dem Rang eines „Volkskünstlers der Ukraine“. Die erste Zeile lautet: „Wir werden uns nie von unserer Muttersprache lossagen.“ Die Videosequenz zeigt Antiterrorübungen von Spezialeinheiten der ukrainischen Streitkräfte und Schüler, die eine riesige ukrainische Flagge entrollen. Auch sind Kinder zu sehen, die in ukrainischer Nationaltracht einen ukrainischen Volkstanz aufführen. Telegin bezeichnete sich auch als Autor des Drehbuchs für eine Staffel der populären ukrainischen Serie Weschtschdok (dt. Sachbeweis), die von einem faschistischen Kollaborateur und Spion erzählt, der von Kyjiwer Milizionären gefangen wurde.

    Vor Kriegsbeginn war Telegin ein intensiver Facebook-Nutzer, wobei er dezent die Sowjetunion lobte und ironische Bemerkungen über russische wie auch ukrainische Politiker schrieb. So postete er nach einer der Militärparaden in Kyjiw, auf der sowjetische Kriegstechnik zu sehen war, eine Kollage mit Wladimir Putin und Dimitri Medwedew in T-Shirts in den ukrainischen Nationalfarben – und mit einem Aufdruck „Putin ist ein Schwanz!“. Telegin hat bis zum Abschluss dieser Recherche weder seine Bewerbung noch die Kollage gelöscht.

    Nach Beginn des großangelegten russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022 wurde Telegin zu einer der markantesten Figuren der Besatzungsbehörden. Ende Mai letzten Jahres wurde er zum Chef der Abteilung für Innen- und Außenpolitik der Militär- und Zivilverwaltung des Gebietes Cherson ernannt. Im September wurde er Abgeordneter der „gesetzgebenden Versammlung“ der Region. An Clips mit heldenhaften Kämpfern der ukrainischen Streitkräfte und eine Zusammenarbeit mit einem Kanal des ukrainischen Oligarchen Viktor Pintschuk erinnert er sich nicht. Stattdessen erzählt er, die lokale Bevölkerung habe „auf ihre Befreiung gewartet“, hätte aber „Angst, darüber zu sprechen“, weil sie Repressionen durch das „ukrainische Regime“ fürchte.

    Vor dem Krieg war Telegin kein Ziel strafrechtlicher Verfolgung durch die ukrainischen Behörden. Die örtlichen Medien nannten ihn respektvoll einen „Prominenten der Stadt“. Auf eine Anfrage von Verstka hat Telegin nicht reagiert.

    Er ist längst nicht der einzige Einheimische, der einen leitenden Posten in der Besatzungsverwaltung der Gebiete Cherson und Saporishshja übernahm. Wolodymyr Saldo war Bürgermeister von Cherson und ehemaliger Abgeordneter der Werchowna Rada für die Region. Dann wurde er Chef der Besatzungsverwaltung von Cherson. Drei von fünf seiner wichtigsten Stellvertreter sind ebenfalls Einheimische. 

    Früher gratulierten sie den ukrainischen Streitkräften, jetzt feiern sie russische Propaganda

    Einige von ihnen haben wohl, genauso wie Telegin, erst kürzlich gemerkt, dass sie das ukrainische Regime nicht mögen, dafür aber das russische. So erklärte der stellvertretende Ministerpräsident des Gebiets Witali Buljuk noch im April 2022 öffentlich: „Cherson gehört zur Ukraine“. Schon wenige Wochen später erhielt er einen Posten in der Besatzungsverwaltung von Saldo. Ukrainische Medien erklären dieses Umsatteln damit, dass Buljuk, der vor dem Krieg stellvertretender Vorsitzender der Gebietsrada war, einer der größten Unternehmer von Skadowsk ist, einer Stadt im Süden des Gebietes Cherson, die von russischen Truppen in den ersten Tagen der Invasion erobert wurde. In dieser Stadt gelangten ebenfalls Leute aus Buljuks Dunstkreis an die Macht. Stellvertretende Bürgermeisterin wurde beispielsweise Ljudmila Zelep-Koslowa, lokalen Medien zufolge eine Verwandte von Buljuk. Im Dezember 2021 hatte sie in den sozialen Medien noch Gratulationen zum Tag der ukrainischen Streitkräfte gepostet. Jetzt sind auf ihren Seiten Lieder des russischen Propaganda-Bаrden Jaroslaw Dronow (Schaman) zu finden.

    Das markanteste Beispiel von Kollaboration zur Sicherung des eigenen Besitzes ist das Oberhaupt des benachbarten Gebietes Saporishshja, Jewhen Balyzkyj, ein ehemaliger Abgeordneter der Werchowna Rada der Ukraine für den Oppositionellen Block. Vor dem Krieg hatte seine Familie zu den größten Unternehmern in Melitopol gezählt. Die Stadt wurde bereits Anfang März 2022 eingenommen und zur „provisorischen Hauptstadt“ des Gebietes Saporishshja gemacht. Und dort gab es dann auch die erste hochrangige Kollaborateurin: Melitopols „Bürgermeisterin“ Galina Daniltschenko, die in den Unternehmen der Familie Balyzkyj für Finanzen und Buchhaltung zuständig war. Auch andere lokale Unternehmer widersetzten sich dem neuen Regime nicht. So erhielten Sergej Solotarjow aus Melitopol und Viktor Gretschka aus Berdjansk recht bald in ihrer Stadt jeweils einen Posten als Vizebürgermeister. Solotarjow ist inzwischen Vorsitzender des Stadtrates von Melitopol. 

    Unter den Führungskräften gibt es übrigens auch „unfreiwillige Kollaborateure“: Der Landwirtschaftsminister des Gebietes Cherson, Pjotr Sbarowski, hatte vor dem Krieg ein Unternehmen zur Produktion von Windkraftanlagen geleitet. Bevor er seine Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern begann, hatte es Informationen gegeben, dass er angeblich zuerst gekidnappt und dann von russischen Sicherheitskräften wieder freigelassen worden sei. 

    Früher Animateur im Bärenkostüm, heute verantwortlich für Kultur

    Für viele bedeutet eine Zusammenarbeit mit den Russen einen beträchtlichen Karrieresprung. So war Tatjana Kusmitsch, die Vizegouverneurin von Cherson, vor dem Krieg in der alles andere als beneidenswerten Stellung einer Lehrerin, die von den ukrainischen Sicherheitsbehörden des Landesverrats zu Gunsten Russlands beschuldigt wurde. Jelena Terskich, die Bürgermeisterin von Henitschesk, der „provisorischen Hauptstadt“ des Gebietes Cherson, war zuvor eine gewöhnliche Angestellte in der Stadtverwaltung. Und der Kulturminister des Gebietes, Alexander Kusmenko, war zuvor Direktor einer Musikschule in Cherson.

    Die Beamten der „neuen Verwaltungen“, die aus der Gegend kommen, sprechen allerdings nicht von Karrieresprung. Und sie können sehr genau von den Vorteilen „durch die Ankunft Russlands“ erzählen: „In der Ukraine schert sich niemand um die jungen Leute. Es wurden zwar Haushaltsmittel für sie bereitgestellt, doch die Gelder kamen nicht bei den Menschen an. Deswegen war es öfter so, dass die Verwaltung oder ein Mäzen einen Laden oder einen Spielplatz baute, und der dann nach ein paar Tagen von lokalen Jugendlichen zerstört wurde. Einfach, weil die nichts zu tun haben“, erinnert sich Bogdan Kasnawezki im Gespräch mit Verstka. Er kommt aus Cherson und arbeitet in der Kulturverwaltung des Gebietes. Vor dem Krieg war er Statist und Animateur, trat bei Unternehmens- und Familienfeiern im Bärenkostüm auf.

    Nach der Eroberung von Henitschesk durch russische Truppen wurde Kasnawezki zunächst erster Stellvertreter des Chefs der Militär- und Zivilverwaltung der Stadt. Dann merkte er aber, „dass ihm die Kultur näher liegt“. Und er begann, im Auftrag der Kulturverwaltung des Gebiets, Veranstaltungen zu organisieren. „Jetzt sind die Kinder aktiv, es gibt viele Organisationen, die sie in ihre Tätigkeit einbinden. Im Gebiet wurden 360 Veranstaltungen durchgeführt, im Jugendbereich! Und das bringt Ergebnisse: Bei den Feiern zum 9. Mai kamen viele junge Leute. Die hat niemand gezwungen, das war freiwillig“, erzählt er. Auf die Frage von Verstka, wie das zu dem Umstand passe, dass Umfragen zufolge 64 Prozent der Bewohner des Gebiets Cherson für Ukrainisch-Unterricht in den Schulen sind, meint Kasnawezki, es gebe „tatsächlich nicht wenige Shduns hier“, doch die „können nichts als einem in die Suppe spucken“.

    Flucht vor Strafverfahren

    Ende Dezember 2021 durchsuchte der FSB das Bürgermeisteramt in Krasnodar sowie die privaten Räume des gerade vor einem Monat ernannten Stadtoberhauptes Andrej Alexejenko. Der wurde wegen des Verdachts auf Bestechung festgenommen. Der mutmaßliche Bestechungslohn: eine handgefertigte extravagante Jagdflinte im Wert von 1,5 Millionen Rubel [damals etwa 18.000 Euro – dek]. Der Pressedienst der regionalen Verwaltung des Strafermittlungskomitees veröffentlichte sogar ein 18-sekündiges Video, in dem der Ermittler Alexejenko den Haftbefehl verliest. Bald wurde bekannt, dass Einiges Russland die Partei-Mitgliedschaft des Bürgermeisters ausgesetzt hat. Alles sah nach einer typischen regionalen Korruptionsgeschichte aus. Im weiteren Verlauf hätte – so das übliche Szenario – eine Untersuchungshaft oder ein Hausarrest und dann eine tätige Reue des Bürgermeisters erfolgen müssen und es wären eine Menge Details darüber in Umlauf gekommen, wie er und seine Untergebenen sich bereichert haben.

    Doch Alexejenko widerfuhr nichts dergleichen. Im Gegenteil: Das Video von seiner Festnahme wurde von den Sicherheitsbehörden in den Netzwerken zwei Tage nach seiner Veröffentlichung wieder gelöscht. Der Bürgermeister verschwand zwar aus der Öffentlichkeit, trat aber nicht umgehend zurück. Quellen von Verstka meinen, der Bürgermeister sei von Gouverneur Weniamin Kondratjew gerettet worden, zu dessen Team Alexejenko in den letzten Jahren gehörte. „Kondratjew hat für Alexejenko buchstäblich so etwas wie eine zweite Chance erbeten und sich für ihn gegenüber den Behörden in Moskau verbürgt“, behauptet ein Gesprächspartner von Verstka in der Verwaltung von Krasnodar, ohne genauer zu sagen, um welche Behörden es ging.

    Und in der Tat eröffnete sich ihm schon bald eine zweite Chance: Am 19. August schied er offiziell aus dem Amt des Bürgermeisters von Krasnodar aus; bereits am nächsten Tag wurde er zum ersten stellvertretenden Leiter der Militär- und Zivilverwaltung des Gebietes Charkiw ernannt. Zu jener Zeit traten Führungspersonen der Besatzungsverwaltung wie Wladimir Saldo und Jewgeni Balizki vorwiegend in repräsentativer Funktion in Erscheinung. Für die tatsächliche Zusammenarbeit mit den russischen Behörden und die Verwaltung des besetzten Gebietes waren deren erste Stellvertreter zuständig. 

    In Cherson war das zum Beispiel Sergej Jelissejew, ein ehemaliger FSBler und Vizegouverneur der Oblast Kaliningrad. Für Alexejenko hätte der Posten bedeutet, dass er alle Hebel in der Region Charkiw in die Hand bekommt. Die Streitkräfte der Ukraine eroberten jedoch schon einen Monat später das Gebiet nahezu vollständig zurück. Und Alexejenko blieb nichts, was er noch verwalten könnte. 

    Alexejenko ist nicht der einzige, der in den „neuen Territorien“ einer Strafverfolgung in Russland entkommt. Der Chef des Bauministeriums der „Volksrepublik Donezk“, Nikolaj Ziganow, ein Verwaltungsbeamter aus der Oblast Leningrad, war einer derjenigen, der von Sankt Petersburg aus den Wiederaufbau von Mariupol leitete. Im „großen Russland“ liefen bereits vor Wirtschaftsgerichten verschiedener Instanzen Bankrottverfahren gegen seine Unternehmen für Immobilienentwicklung namens Premjer-Holding, das nicht beglichene Schulden hat und betrogene Investoren hinterlässt.

    Im Gebiet Saporishshja wird die Behörde für Inneres vom ehemaligen stellvertretenden Leiter der Fahndungsabteilung der Moskauer Polizei, Oleg Koltunow, geleitet. Ukrainische Medien berichten, dass seine Versetzung in die besetzten Gebiete darauf zurückzuführen ist, dass Koltunow in Moskau bei ausgiebiger Bestechung erwischt wurde.

    Ehemalige und aktive Verwaltungsbeamte, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, beneiden diese Leuten: „Als ich aus der Untersuchungshaft freikam, setzten sich sofort einige gute Bekannte mit mir in Verbindung die ‚hinter dem Streifen‘ [= „in der Ukraine“ – dek] arbeiten: ‘Komm her, mit deinem Profil kannst du hier arbeiten. Was den Lohn angeht – so einer ist mir in Russland noch nicht untergekommen. Und was die Stelle angeht – nach einer solchen kannst du hier [in Russland] ewig suchen. Ich hatte schon zugesagt, aber meine Familie hat mir abgeraten, schließlich fliegen dort Granaten und Autos gehen in die Luft“, klagt einer von ihnen gegenüber Verstka.

    Eine Person aus dem Stab des Bevollmächtigten des Präsidenten im Zentralen Föderalbezirk bestätigte Verstka: „Ein Trip ‚hinter den Streifen‘ setzt deine gesamte Vergangenheit auf null. Sünden, Strafverfahren oder Fehlschläge in der Verwaltung sind dann mit einem Mal vergessen, aber deine Erfahrung behältst du. Das ist eine Chance, aus dem Nichts eine Karriere zu starten. Für einige kann es die einzige Möglichkeit sein, in der Spur zu bleiben oder dorthin zurückzukehren.“

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  • Verbannt und verboten

    Verbannt und verboten

    Der freie Geist und das geschriebene Wort sind seit jeher Feinde von autoritären Systemen und Diktaturen. Auch das System Alexander Lukaschenko ist in den Jahren seiner Existenz immer wieder gegen die unabhängige Literatur vorgegangen. Es gab zwar keine offizielle Zensur wie in der Sowjetunion, dennoch übten die Machthaber eine gewisse Kontrolle über unabhängige Verlage aus, die beispielsweise eine offizielle Herausgeberlizenz brauchten, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Auch wurden Bücher nicht genehmer Autoren nicht in den staatlichen Buchhandlungen verkauft, die lange Zeit den Markt im unabhängigen Belarus dominierten. Die Existenz eines unabhängigen Schriftstellerverbandes, unabhängiger Verlage und Buchhandlungen wurde lange geduldet, auch wenn sie von Zeit zu Zeit mit Repressionen attackiert wurden, wie im Fall des Verlags Lohvinau. All das ist vorbei, seitdem der Staat nach den Protesten von 2020 die Gesellschaft, Medien, Kultur und Zivilgesellschaft massiv bekämpft. Seitdem gehen die Machthaber auch gezielter gegen Literatur, Verlage und Autoren vor.

    Die belarussische Journalistin Anna Wolynez erzählt die Geschichte des Verlags Januškevič, der in seiner Heimat liquidiert wurde und der ins Exil nach Polen ging, um dort weiterarbeiten zu können.

    Русская версия

    Der britische Botschafter verkleidet als Professor für Zauberkunst, Andrang beim Butterbierausschank, Aufteilung der Gäste nach den Hogwarts-Häusern – so sah Anfang 2020 die Harry-Potter-Nacht in Minsk aus. Zu den Organisatoren gehörte neben der Britischen Botschaft auch der unabhängige belarussische Verlag Januškevič

    Anlass für das Fest war die Veröffentlichung der belarussischen Übersetzung von Harry Potter und der Stein der Weisen. Die erste Auflage, 2000 Exemplare, verkaufte sich innerhalb von drei Monaten. Die zweite Auflage wurde ein halbes Jahr später an der litauischen Grenze vom Zoll beschlagnahmt. Die belarussischen Zöllner hätten sich davon überzeugen wollen, dass das Buch keinen Aufruf zum Sturz der Regierung enthält, erklärte der Verlag Januškevič in den sozialen Netzwerken. 

    Von allen anderen Harry-Potter-Bänden, die in Belarus verkauft wurden, unterschied sich dieser nur dadurch, dass er auf Belarussisch anstatt auf Russisch erschienen war. Schließlich durfte das Buch doch ins Land. Doch schon im Frühjahr 2021 konfiszierte der Zoll einen weiteren Titel des Verlags – den Roman Die Hunde Europas von Alhierd Bacharevič. Der Verkauf des Buchs wurde verhindert, ein Jahr später kam es auf die sogenannte republikanische Liste extremistischer Materialien
     

    Der Verleger Andrej Januschkewitsch / Foto © Andrej Radoman

    Die Eintagsbuchhandlung von Minsk

    Die Regierung hatte den Verlag Januškevič schon lange im Visier. Im Januar 2021 fand eine Durchsuchung in den Büroräumen statt, der Verlagsgründer Andrej Januschkewitsch wurde festgenommen. Nach der Befragung kam er wieder frei, doch die Technik des Verlags wurde konfisziert und die Konten gesperrt. Erst ein halbes Jahr später wurden sie wieder freigegeben. Im März 2022 musste der Verlag sein Büro räumen. Als die Bücher abverkauft wurden, standen die Leute stundenlang danach an.

    „Wir dachten, die Räumung wäre auf Initiative der Stadtverwaltung erfolgt, aber tatsächlich hatten viel höhere Stellen ihre Hände im Spiel“, erinnert sich Andrej Januschkewitsch. „Wir nahmen das nicht ernst und wussten nichts Genaues über die Hintergründe.“

    Der kleine unabhängige Verlag ließ sich nicht unterkriegen. Am 17. Mai 2022 eröffnete im Minsker Stadtzentrum die Buchhandlung Knihauka mit Büchern des Verlags Januškevič, seinen Freunden und Partnern. Der Name bedeutet „Kiebitz“ [doch auch das Wort kniha – „Buch“ – steckt darin – Anm. dekoder]. „Uns war nicht bewusst, dass es sich um eine systematische Attacke auf den belarussischen Buchdruck handelte“, räumt Januschkewitsch ein. 

    Die Buchhandlung Knihauka existierte genau einen Tag. Zuerst kamen Propagandisten vom staatlichen Fernsehen zur Eröffnung, kommentierten die Bücher und versuchten, darin Fotos der SS oder Texte über Nazismus zu finden. Dann kam die Antikorruptionsbehörde GUBOPiK mit einem Durchsuchungsbeschluss – Silowiki aus der Unterabteilung des Innenministeriums, die seit 2020 mit politischer Verfolgung befasst sind. Sie teilten mit, dass die Buchhandlung unter dem Verdacht stehe, „extremistische Literatur“ zu verbreiten, und konfiszierten zweihundert Bücher.

    „Ich hatte damals ein interessantes Gespräch mit dem Offizier. Er teilte Bücher offenbar in ‚richtige‘ und ‚falsche‘ ein. Wir befassten uns, seiner Ansicht nach, mit ‚falschen‘ Büchern. Tja, so ist das … Dem belarussischen Leser genügt Harry Potter auf Russisch, und wer braucht schon das [belarussischsprachige] Kupala-Theater, wenn es Gastspiele aus Moskau gibt“, bemerkt der Verleger sarkastisch. 

    Was in Belarus vier Jahre dauerte, gelang in Polen in weniger als einem Jahr

    Der Verlag Januškevič existierte von 2014 bis 2021 und gab in dieser Zeit etwa 150 Bücher von Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Ländern in belarussischer Sprache heraus. Es war ein privatwirtschaftliches Unternehmen, auch wenn der Verlag Fördermittel für einzelne Bücher bekam, etwa vom deutschen Goethe-Institut, der Stiftung Ireland Literature, dem polnischen Buchinstitut oder dem tschechischen Kulturministerium. Der Übergriff der Silowiki 2022 brachte die Arbeit zum Erliegen. Weitere Festnahmen folgten: Diesmal verbrachten eine Mitarbeiterin der Buchhandlung 23 Tage und der Verleger 28 Tage in Haft. Im Juni 2022 emigrierte Andrej Januschkewitsch nach Polen. 

    „Alles passierte plötzlich und war nicht geplant. Aber ich kenne Polen schon lange und spreche Polnisch. Ich habe hier Bekannte, Kollegen und Freunde“, erzählt er. Nach dem Umzug musste er praktisch bei Null beginnen. Das Team war in Belarus geblieben, so dass der Verlagsinhaber die Arbeit gemeinsam mit Lektoren, Korrektoren, Übersetzern und Designern aus verschiedenen Ländern nun selbst übernahm.

    Auch die Leserschaft half dabei, den Verlag wieder aufzubauen. Ein halbes Jahr nach dem Umzug initiierte der Belarusian Council for Culture eine Spendensammlung zur Unterstützung des Verlags, und zwar in der für Belarus neuen Form des Magistrats, einer Art Genossenschaft, die über einen definierten Zeitraum hinweg ein Projekt unterstützt. Im Rahmen des Magistrats Knihauka spendeten 325 Personen innerhalb eines halben Jahres 23.000 Euro. Der Verlag hat keine eigene Buchhandlung, die Bücher werden über das Internet vertrieben, zum Beispiel über die Online-Plattform allegro. Geplant sind auch der Verkauf über Amazon und die Eröffnung eines Büros mit Direktvertrieb. Im August 2023 ging der eigene Webshop an den Start, der wie die ehemalige Buchhandlung in Minsk heißt – knihauka.com. „Ein Haufen Probleme musste und muss noch immer gelöst werden, verbunden mit der Legalisierung, der Geschäftseröffnung und dem Geschäftsbetrieb. Aber Schritt für Schritt findet sich alles“, so Januschkewitsch. 

    Im Vergleich zu Belarus sind die Arbeitsbedingungen in Polen günstiger, findet der Verleger: kostenlose ISBN-Nummern, einfache Unternehmensregistrierung, eine große Auswahl an Druckereien, günstige Preise, viele Optionen für den Buchvertrieb. „So konnten wir gleich effizient an die Arbeit gehen. In Belarus haben wir drei bis vier Jahre gebraucht, um eine Webseite aufzubauen und bekannt zu werden oder Kontakte mit ausländischen Druckereien aufzubauen, weil die belarussischen nicht die gewünschte Qualität liefern konnten“, erzählt Januschkewitsch. 

    In Belarus müssen sich Verleger zudem beim Informationsministerium registrieren und eine Prüfung ablegen, um eine spezielle Zulassung zu erhalten. Im Januar 2023 wurde Andrej Januschkewitsch diese Zulassung entzogen – als erstem privaten Verleger in Belarus. „Diese Prüfung ist absoluter Schwachsinn und dient als ideologischer Filter, um unerwünschte Verleger aussortieren zu können“, meint er. 

    Bücher sind kein Brot – wer kein Geld hat, kommt auch ohne sie aus

    Während der Zeit in Polen sind bereits an die 20 Titel erschienen, darunter George Orwells Farm der Tiere und eine Neuauflage des legendären Romans Die Hunde Europas von Alhierd Bacharevič (in Zusammenarbeit mit dem Verlag Vesna). Die Auflage im Umfang von 1000 Exemplaren verkaufte sich innerhalb von sieben Monaten. 

    In Belarus hätte der Verlag diese Menge etwa in einem Jahr verkauft. Januschkewitsch erklärt das damit, dass die Leserschaft in Polen „konzentrierter“ sei: „In Belarus verlor sich der belarussische Leser in einem Meer aus russischsprachigen Büchern. Die Menschen wussten nicht, dass es uns gab. Hier aber gibt es kein russisches Monopol, zudem wächst das Bewusstsein dafür, Belarusse zu sein, nicht Russe. Diese Identität will gefördert werden, dadurch wächst das natürliche Interesse an der belarussischen Kultur.“
     
    Im Angebot sind nicht nur Bücher für Erwachsene. Eine Auflage von 200 Stück des Jugend-Fantasy-Romans Wolnery [dt. Die Freiwilligen] von Waler Hapejeu verkaufte sich innerhalb von zwei Monaten. Ebenso der Jugendroman Kasik s kamennaj horki i Wjadsmak Schawanaha Horada [dt. Kasik aus Kamennaja Horka und der Zauberer der Verborgenen Stadt] von Ales Kudryzki. 

    „Das ist etwas ganz Neues. Wir haben nicht viel in die Werbung investiert und hatten Angst, auf einer Auflage von 700 oder 1000 Stück sitzenzubleiben. Deshalb haben wir mit einer Probeauflage von 250 Exemplaren begonnen, und in weniger als zwei Monaten waren alle verkauft“, sagt der Verleger. Für 2023 und 2024 stehen Der Herr der Ringe und der nächste Band von Harry Potter auf dem Programm. Ein weiterer Erfolg des Verlags ist die Vertragsunterzeichnung mit dem „King of Horror“ Stephen King, dessen Bücher nun in belarussischer Übersetzung erscheinen werden. King hatte im Februar 2022 untersagt, dass seine Bücher ins Russische übersetzt werden.
     
    Januschkewitsch ist überzeugt: Die aktuell hohe Nachfrage nach belarussischsprachigen Titeln darf man nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen. „Das Publikum ist da, es verlangt nach neuen Büchern, es hungert richtiggehend danach. Dabei erreichen wir noch gar nicht die großen Länder, wie Großbritannien, die USA und Frankreich, in denen viele Belarussen leben“, sagt er. 

    Es sei also höchste Zeit, die kulturelle Produktion intensiv anzukurbeln, um den günstigen Moment nicht verstreichen zu lassen. „Bücher sind kein Brot und keine Wurst, wer kein Geld hat, der kommt auch ohne sie aus … Aber die Belarussen wollen das Eigene und sind bereit, dafür Geld auszugeben“, meint Januschkewitsch. 

    Das belarussische Regime ist antibelarussisch

    Eines der jüngsten Bücher des Verlags ist Chloptschyk i sneh [dt. Der kleine Junge und der Schnee] von Alhierd Bacharevič. Es sollte ursprünglich bereits im Frühjahrsprogramm 2021 erscheinen, doch dann dauerte es bis zum Sommer 2023. Damals, erklärt der Verleger, habe er mit dem Autor lange über einige scharfe Formulierungen diskutiert. „Der Autor sagte offen, dass im Land Faschismus herrsche und die Situation schrecklich sei. Ich wusste, dass man das unmöglich drucken konnte, die Selbstzensur setzte ein, und ich konnte den Autor, dessen Bücher bereits aus den Bibliotheken und Buchhandlungen verschwanden, überzeugen. Aber dann wurde klar, dass das Problem nicht einzelne Formulierungen waren, sondern dass Bacharevič insgesamt in Belarus verboten werden sollte“, sagt Januschkewitsch. „Ich bin froh, dass wir das Buch jetzt unzensiert herausgeben konnten.“

    Die aktuelle Situation in Belarus, den Einfluss von Ideologie und Kulturpolitik auf den Buchmarkt, sieht der Verleger kritisch. Seiner Meinung nach waren der Besuch des GUBOPiK, die Schließung seiner Buchhandlung und die Ermittlungen gegen seinen Verlag damit verbunden, dass er belarussische Bücher vertreibt. „Ich werde nicht müde zu wiederholen, dass das belarussische Regime antibelarussisch ist. Sie brauchen das Belarussische nur als Vorwand, wie die Fassaden der potemkinschen Dörfer“, sagt Januschkewitsch. Nach diesem Prinzip arbeiten alle staatlichen Verlage. 

    „Ich muss lachen, wenn ich höre, dass auf der Bestsellerliste ein Buch mit dem Titel Der Genozid am belarussischen Volk während des Großen Vaterländischen Krieges steht. Was für ein Unsinn! Ich stelle mir vor, wie die Belarussen an einem ruhigen Familienabend gemütlich im Sessel sitzen und diesen trockenen, vom Generalstaatsanwalt redigierten Text lesen“, sagt der Verleger ironisch. In Belarus könne man sich entweder mit ideologischer Dienstleistung beschäftigen oder neutrale Bücher und Kinderbücher herausgeben. Den Finger am Puls der Zeit haben, sozialkritische oder tagesaktuelle Bücher bringen, das sei verboten. 

    „Es würde mich nicht wundern, wenn sie das Werk von Erich Maria Remarque für unerwünscht erklären. Seine Bücher haben einen stark pazifistischen Anklang, und warum sollte der belarussische Bürger unnötig an den Krieg in der Ukraine erinnert werden?“, sagt Januschkewitsch. Unerwünschte Autoren würden aus den Buchhandelsketten und den Bibliotheken verbannt, die unabhängigen belarussischen Verlage könnten zum großen Teil nicht mehr im Land selbst arbeiten. Gegen sie werde ein systematischer Feldzug geführt, erklärt der Verleger. Dadurch mussten 2022 mehrere Verlage ihre Tätigkeit einstellen: Knihasbor, Halijafy, Medysont und Limaryjus.

    Das ist Putins Rückkehr ins 19. Jahrhundert

    Könnte der Verleger heute nach Belarus zurückkehren? Bislang gebe es keinen Grund dafür, sagt Januschkewitsch. Bücher im Untergrund zu drucken, wie es die Bolschewiki und andere Revolutionäre vor 120 Jahren taten, werde heute nicht gelingen. Und auf offiziellem Weg könne man es aufgrund der Politik nicht tun, die darauf abzielt, alles Belarussische zu vernichten. In kultureller Hinsicht entwickelt sich Belarus zu einer russischen Provinz, resümiert der Verleger. 

    „Das ist Putins Rückkehr ins 19. Jahrhundert … Das Russische Imperium nannte man ‚Völkergefängnis‘, und in dieses Gefängnis kehren wir nun zurück, bloß in neuer Form“, sagt Januschkewitsch. „Das muss sich ändern: Das Nationale sollte für die belarussische Regierung Priorität haben. Um sich von Moskau loszureißen, müssen dieselben Schritte unternommen werden, die die Ukraine in den letzten fünfzehn Jahren gegangen ist. Unter anderem wurde dort ein eigener Buchmarkt auf die Beine gestellt.“

    Bis es soweit sei, würde eine Rückkehr bedeuten, sich in einem Dorf zu verstecken und die verlegerische Tätigkeit einzustellen. „Aber ich bin emigriert, um weiterhin frei arbeiten zu können“, sagt der Verleger. „In Polen kann ich herausgeben, was ich möchte. In Belarus ist das momentan unmöglich.“

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  • Bilder vom Krieg #14

    Bilder vom Krieg #14

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Bartosz Ludwinski

    Diana, acht Jahre alt, vor dem Haus ihrer Großeltern im Donbass. Diana wurde gezwungen, ihr Zuhause im russisch besetzten Gebiet zu verlassen. Als sie an einem vermeintlich sicheren Ort in der Ukraine ankam, begannen die Kinder, sie als „Separatistin“ zu beschimpfen. Sie entgegnete ihnen, dass ihr Vater in Bachmut für das Land kämpfe. Jetzt ist ihr Vater tot. Aufgenommen am 2. August 2023. / Foto © Bartosz Ludwinski

    dekoder: Erinnerst du dich an den Tag, an dem du das Foto gemacht hast?

    Bartosz Ludwinski: Am 2. August 2023 fuhr ich mit zwei anderen Freiwilligen einer NGO, die Evakuierungen und Hilfseinsätze im Donbass durchführt, in die Frontstadt Tschassiw Jar. Ich habe mich der NGO im Sommer 2023 angeschlossen. Vorher, kurz nach Beginn des Krieges, hatte ich mich als Fahrer für Hilfskonvois gemeldet. Für mich ist es wichtig, etwas zurückzugeben, sonst fühle ich mich schnell als Nutznießer. Am Tag zuvor hatten wir also von einer möglichen Zwangsevakuierung der verbliebenen Kinder in der Umgebung erfahren. Zwischen 60 und 70 Kinder waren aber noch vor Ort. Also machten wir uns auf die Suche nach ihnen.

    Was für einen Eindruck hattest du von Tschassiw Jar?

    Während wir durch den Ort fuhren, schlug unweit von uns eine Granate ein. Es müssen etwa 200 Meter gewesen sein. Eine Frau kam uns auf ihrem Fahrrad entgegen und fuhr einfach geradeaus durch eine weiße Rauchwolke. Die Granate hatte sie nur knapp verfehlt, aber sie beeilte sich nicht einmal. Viele der Menschen, die nahe der Front geblieben sind, sind schwer traumatisiert und nehmen die Gefahr um sie herum nicht mehr wahr, es sei denn, sie betrifft ihr direktes Zuhause. In solchen Momenten versuchen wir, die Menschen zur Flucht zu motivieren. 

    Schließlich traft ihr auf das Mädchen auf dem Foto, die achtjährige Diana. Was ist ihre Geschichte?

    Diana war gerade mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Hause. Wir sprachen sie an und erfuhren von ihrer Geschichte. Auch ihre Großeltern kamen heraus und zeigten uns das Haus, das mehrfach von Grad-Raketen getroffen worden war. Diana war zuvor in einen anderen Teil der Ukraine geflohen, der als relativ sicher gilt. Dort wurde sie in der Schule von den anderen Kindern als „Separatistin“ beschimpft. Sie antwortete zwar, dass ihr Vater in Bachmut für die Ukraine kämpfe, aber das interessierte die anderen Kinder nicht. „Du bist eine Separatistin“, sagten sie immer wieder. Als wir sie trafen, war Diana gerade wieder in den Donbass zurückgekehrt. Heute ist ihr Vater tot und mit ihm sein Bruder. Beide sind an der Front gefallen. Diana hat nur noch ihre Großeltern. Die wiederum befinden sich in einem Rechtsstreit mit der eigenen Familie um das Land des verstorbenen Vaters. Das war eine Realität, die mich sehr bewegt hat. Wenn ich an diesen Moment zurückdenke, begleitet mich ein Gefühl der Ohnmacht und Fassungslosigkeit.

    Wie war es für dich, als Fotograf in der Ukraine zu arbeiten?

    Es ist schwierig, zu beschreiben, wie es ist, in einem vom Krieg zerrütteten Land zu leben. Man lernt, seine Gedanken und Ängste zu kontrollieren, einige besser als andere. Während meiner Zeit dort habe ich jedoch vor allem viel Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft erfahren und enge Freundschaften geschlossen. Mir war es wichtig, den Krieg authentisch und ehrlich aus meiner Perspektive zu zeigen, aber natürlich auch aus der Perspektive der Ukrainer. Dafür habe ich Wochen und Monate mit ihnen zusammengelebt und konnte so ihre alltäglichen Gedanken, Ängste und Hoffnungen besser verstehen. Das erfordert natürlich viel Zeit und ist nicht jedem möglich. 

    Was wünschst du dir hinsichtlich des Fotojournalismus in Kriegsregionen?

    Generell wünsche ich mir mehr Zeit für den Journalismus. Das Bild eines Fotografen, der sich kurz in ein Kriegsgebiet abseilt und dann für immer von dort verschwindet, gefällt mir nicht. Dennoch ist mir klar, dass es oft unvermeidbar ist. 

    Inwiefern haben diese Erfahrungen dich als Fotografen und deine Arbeitsweise beeinflusst? 

    Natürlich beeinflussen all diese Erlebnisse, wie man auf unsere Welt blickt. Gerade der westliche Lebensstil mit all seinem Konsum und seinen Sorgen erscheint einem absurder denn je. Man hinterfragt sich und seine Umwelt nach der Rückkehr. Für kurze Zeit hatte ich das Gefühl, mich innerlich aufzulösen, bevor ich mich wieder an das Leben zu Hause gewöhnen konnte. Durch meine Erfahrungen im Krieg sehe ich aber auch Ereignisse oder Probleme zu Hause viel gelassener. Als Fotograf bin ich natürlich gewachsen und habe mich weiterentwickelt. Im Grunde hat sich an meiner Arbeitsweise nichts geändert. Aber ich denke, ich bin heute besser in der Lage zu erkennen, wann ich visuell überreizt bin und die Kamera für eine Weile weglegen muss. 

    BARTOSZ LUDWINSKI, geboren 1983 in Stettin, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Münster. Das Fotografieren brachte er sich selbst bei. In der Ukraine dokumentiert er das Leben der Menschen im Krieg. Seine Werke und Reportagen wurden in verschiedenen deutschen und internationalen Medien veröffentlicht, darunter etwa der Spiegel und das Magazin der Süddeutschen Zeitung.


    Fotos: Bartosz Ludwinski
    Bildredaktion: Andy Heller
    Veröffentlicht am 16.10.2023

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  • Wir danken den Schamanen für die Stärkung der Streitkräfte!

    Wir danken den Schamanen für die Stärkung der Streitkräfte!

    Die Ideologie des Russki Mir beschreibt Russlands Konfrontation mit dem Westen als apokalyptischen Kampf zwischen Gut und Böse. Ein einstmals international gefeierter Regisseur deutet ein eingeritztes Zeichen im Boden einer Moskauer Kirche als Beleg dafür, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine auf göttlicher Vorsehung beruhe. Die orthodoxe Kirche übernimmt Formulierungen von Ideologen, die sie früher wegen Okkultismus und Satanismus bekämpft hat. Wladimir Putin argumentiert mit „Erkenntnissen“, die sein Geheimdienst mit Hilfe von Gedankenlesern errungen haben will. Der Präsident und sein Verteidigungsminister besuchen gemeinsam „Kraftorte“ in der Taiga. Woher dieser Trend zum Magischen in der russischen Führung kommt, schildert der Religionsexperte Alexander Soldatow in der Novaya Gazeta.

    Kara-ool Doptschun-ool ist der oberste Schamane der Russischen Föderation. Schamanismus ist Teil der Kultur der Burjaten und anderer Völker des Landes. In ihrem Feldzug gegen den Westen setzt nun auch die politische und militärische Elite auf rituelle Unterstützung / Foto © Sergey Pyatakov/SNA/imago-images

    Im Zuge der wachsenden Sinnkrise der „militärischen Spezialoperation“ tauchen immer öfter Begriffe wie „Magie des heiligen Krieges“ oder „Blut- und Opferkult“ auf. Die Bemühungen des  Patriarchen Kirill, das Geschehen in ein christliches Gewand zu hüllen, klingen wenig überzeugend. Besser funktioniert da schon das Verschwörungskonstrukt von Alexander Dugin oder die heidnisch-manichäische Doktrin des Russki Mir. 

    Das lateinische Wort occultus bedeutet so viel wie „geheim“, „verborgen“. Und während die großen klassischen Religionen offen predigen, liegt der Reiz des Okkulten im Verborgenen, in seinem esoterischen Charakter. Träumen Sie von geheimen Instrumenten der Weltpolitik, und möchten Sie ewig in Ihrem physischen Leib leben? Dann ist Okkultismus genau das Richtige für Sie. Besonders hilfreich beim Eintauchen in esoterische Tiefen sind Verschwörungserzählungen.

    Die Doktrin des Russki Mir, die der Russischen Föderation heute als Ideologie dient, ist durch und durch konspirologisch. Im vergangenen Jahr haben orthodoxe Theologen aus mehreren Ländern diese Doktrin in einer gemeinsamen Erklärung kritisiert. Sie verglichen sie mit dem Manichäismus  – dem Glauben an einen ewigen Kampf zwischen Gut (Russland) und Böse (der Westen). Wenn es sich bei der „Spezialoperation“ um eine metaphysische Schlacht handelt, wie Patriarch Kirill behauptet, dann reichen weltliche – militärische und politische – Mittel allein nicht aus, um sie zu gewinnen. Dann braucht man „Hilfe von oben“.

    Die Facetten der neuen russischen Konspirologie

    „Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht verlangt ein Zeichen“, sprach Jesus (Matthäus-Evangelium 12:39). Wenn man eines braucht, dann findet man auch ein Zeichen – und den Einen oder Anderen vermag es sogar zu überzeugen. So entdeckte Nikita Michalkow in der Großen Christi-Himmelfahrt-Kirche in Moskau ein „Z“ (welches man übrigens auch als „N“ lesen kann), das jemand im 19. Jahrhundert in den Steinboden geritzt haben soll. Daraus schlussfolgerte der Großmeister des Kinos: „Also ist das [was in der Ukraine geschieht] von Gott gewollt“.

    Einer gründlicheren Suche nach einer orthodoxen Rechtfertigung für die „Spezialoperation“ widmete sich im vergangenen Oktober das Weltkonzil des Russischen Volkes in der Christ-Erlöser-Kathedrale. Einer der Ideologen des Konzils war Alexander Dugin, dem die Russisch-Orthodoxe Kirche einst mit Misstrauen begegnete, weil seine Schriften eine Fülle von okkulten Verschwörungsmythen enthielten. Nun finden sich Dugins Gedanken in den Abschlussdokumenten des Konzils wieder: „Der Westen ist eine Idee. Die Einpflanzung dieser Idee begann mit der Säkularisierung, die das Göttliche vom Menschlichen trennte … Die Spezialoperation ist ein Krieg zwischen Himmel und Hölle.“

    Vordenker des Nationalsozialismus als Inspiration 

    Auf Dugins Lehren, die von russischen Intellektuellen bisher belächelt wurden, muss man nun genauer schauen – der ideologische Überbau der „Spezialoperation“ ist unübersehbar von seinen Postulaten beeinflusst. Dugins Ansichten gediehen im mystischen Nebel des Jushinski-Zirkels, der in den 1960er Jahren von dem Schriftsteller Juri Mamlejew gegründet wurde. Die Teilnehmer – überwiegend Studenten – probierten sich durch sämtliche ihnen zugängliche esoterische und magische Praktiken, psychedelische eingeschlossen. Nach Radikalität strebend, entdeckten die Mamlejew-Anhänger die Ideologie der europäischen Rechtsextremen für sich. Dugin verbreitete im Folgenden die Ideen des französischen Traditionalisten René Guénon und des italienischen Esoterikers Julius Evola. In seinem Buch Heidnischer Imperialismus schreibt Evola: „Der Mensch besitzt keinen Wert an sich. Sein Leben wird durch und durch vom Kastensystem bestimmt und entfaltet sich erst im Imperium … Der Humanismus ist das Böse. Der Imperator steht über der Religion … Die wahre Freiheit ist die Freiheit zu dienen.“  Auf der Suche nach einem Ort, an dem er seinen rechtsextremen Ideen nachgehen konnte, trat Dugin der [National-patriotischen Front] Pamjat bei, wo man ihn jedoch wegen seines „okkulten Satanismus“ rauswarf. Bald darauf gründete er seine Eurasische Bewegung.

    Der heutige Kriegsphilosoph begeisterte sich für die Mystik des Dritten Reiches. In Archiven studierte er die Schriften der okkulten SS-Abteilung Ahnenerbe, und sein Buch Hyperboreische Theorie gibt die Anschauungen eines ihrer Köpfe wieder – Herman Wirth.

    In seinem Almanach Das Ende der Welt publiziert Dugin Werke des englischen Schwarzmagiers und Begründers des Ordo Templi Orientis Aleister Crowley, der dem Satanismus nahe stand. Dugins Kernidee, die der Kreml und das Weltkonzil des Russischen Volkes übernommen haben, ist der „okkulte geopolitische Dualismus“. Für die Anhänger dieser Idee ist die Weltgeschichte einzig ein Kampf zwischen dem Atlantischen Orden des Todes und dem Eurasischen Orden des Lebens. Diese Theorie gipfelt in einer grotesken Rassenlehre: Laut Dugin stammen die reinrassigen Arier von Cro-Magnon-Menschen ab, während die westlichen „Dämonen-Menschen“ von den Neandertalern abstammen. Seine Überzeugungen betrachtet der Chefdenker der Eurasier als durchaus orthodox, genauer noch: als altgläubig – und bezieht sich dabei auf die Starowerzy (dt. Altgläubige), wurzelnd in einer volkstümlichen esoterischen Strömung, die von der offiziellen Kirchen vergessen worden sei.

    Moskau als Nachfolgerin von Byzanz

    Eine andere Figur, die einen religiösen Einfluss auf das aktuelle Geschehen hat, ist Metropolit Tichon (Schewkunow), ehemals Archimandrit des Sretenski-Klosters auf der Lubjanka, jetzt Metropolit von Pskow. Tichon und Putin verbindet eher Freundschaft, wobei dem Lubjanka-Archimandrit einst die Rolle des persönlichen Geistlichen des Präsidenten zugeschrieben wurde. Ihre Freundschaft reicht lange zurück: Bereits 2001 begleitete Tichon Putin zum Starzen Johann Krestjankin, und vor kurzem besuchten sie gemeinsam das Freilichtmuseum Chersonesos von Tauria auf der Krim. Tichons Ideologie ist zwar orthodoxer und weit entfernt von Dugins kruden Theorien, aber in der Praxis führt sie zu denselben Schlüssen.

    Tichons Lehre zufolge ist Russland von Gott als Nachfolger von Byzanz auserwählt und dazu berufen, ein Abbild des Reiches Gottes auf Erden zu sein. Doch eine Vielzahl an äußeren, vom Teufel inspirierten Feinden sorge dafür, dass es ständigen Prüfungen ausgesetzt sei.

    Die „Geschichtsparks“, die unter Tichons Patronage eröffnet wurden und in die Milliarden aus Staatsunternehmen fließen, vermitteln den Besuchern mit interaktiven Mitteln einen einfachen Gedanken: Russland hat immer wieder seine Feinde besiegt, ist dann auf seinen vorbestimmten Weg zurückgekehrt und hat andere Völker mitgezogen.

    Der russische Präsident und Tichon haben sich über den heute im Exil lebenden Oligarchen Sergej Pugatschow kennengelernt, und der ist folgender Ansicht: „[Tichon] verehrt Putin wirklich, er glaubt an sein gottgleiches Charisma.“ Tichon seinerseits sagte unlängst dem Staatssender Rossija 24: „Ich kenne den russischen Präsidenten persönlich. Er hätte die Spezialoperation unter anderen Bedingungen und Umständen für Russland nicht begonnen. Also musste es sein.“

    Populärer Okkultismus bietet einfache Lösungen

    Der populäre, kommerzielle Okkultismus unterscheidet sich von traditioneller Religiosität und geopolitischen Verschwörungsmythen dadurch, dass er einfache Lösungen anbietet. In den vergangenen Jahren (und im letzten ganz besonders) ist oft davon die Rede, dass die Machthaber aktiv auf archaische schamanische Praktiken, Magie, Zauberei und andere esoterische Methoden zurückgreifen würden. Einer der ersten „Schamanismus-süchtigen“ russischen Politiker war der Vorsitzende der gesetzgebenden Versammlung in Sankt Petersburg Wadim Tjulpanow. Bereits als Senator brachte er den nenzischen Schamanen Kolja Talejew mit in den Föderationsrat. „Er bekommt Botschaften vom Universum und kann dir alles über dich erzählen, über deine Vergangenheit und deine Zukunft. Die Vergangenheit kennt er so gut, dass ich Gänsehaut bekomme“, schwärmte der Senator. Bei der gläubigen Orthodoxen [und Vorsitzenden des Föderationsrats] Valentina Matwijenko zeigte das Schwärmen Wirkung: „Dann zaubern Sie uns doch was herbei, damit die Wirtschaft wächst“, bat sie Kolja.

    Davon, dass das Schamanismus-Thema nicht nur Spaß ist, zeugt das tragische Schicksal von Alexander Gabyschew, einem jakutischen Schamanen, der sich zu Fuß nach Moskau aufgemacht hatte, um „den Präsidenten zu vertreiben“. Jetzt wird er seit drei Jahren von unterschiedlichen Gerichten von einer Nervenheilanstalt in die nächste geschickt. Gleichzeitig werden die „richtigen“ Schamanen von der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zitiert: „Der oberste Schamane der Russischen Föderalen Kara-ool Doptschun-ool dankte den Schamanen in Russland für das gemeinsam durchgeführte Ritual zur Unterstützung der russischen Streitkräfte und wünschte ihnen viel Erfolg für die weitere Stärkung unserer Heimat.“

    Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der aus einer Region stammt, in der der Schamanismus zur Tradition gehört, ist der einzige russische Minister, der unter allen Präsidenten und Premierministern in der Regierung verblieb. Er war schon als Kind mit den Traditionen seines Volkes vertraut – er führte Archäologen aus Leningrad zu tuwinischen Grabhügeln. Der junge Schoigu begeisterte sich außerdem für die Geschichte des „schwarzen Barons“ Roman von Ungern-Sternberg, der während des Bürgerkriegs im russisch-mongolischen Grenzgebiet kämpfte. Als einer der ersten eurasischen Mystiker träumte von Ungern-Sternberg von der Wiedererrichtung des Reiches von Dschingis Khan und einem neuen „Feldzug nach Westen“, an dem die Völker Asiens beteiligt sein sollten. Der Vater des Ministers, Kushuget Schoigu, war als Volksheiler und „wahrer Hüter der Volkstraditionen“ bekannt, was ihm zu einer Parteikarriere unter dem alternden Breshnew verhalf. Offenbar haben auch Putins und Schoigus berühmte gemeinsame Reisen zu sibirischen „Kraftorten“ eine spirituelle Erklärung.

    Streben nach ewigem Leben

    Unter der Leitung von Michail Kowaltschuk wird derweil am Kurtschatow-Institut an der Verlängerung des Lebens geforscht. Das Wissenschaftsverständnis von Kowaltschuk, der als Freund Putins gilt, ist dabei durchaus ungewöhnlich. So schlug er 2016 bei einem Treffen mit dem Präsidenten vor, „nach Organisationen zu suchen, die den Gedankenfluss in bestimmte Richtungen lenken können“, und in jüngster Zeit machte er auf die Gefahr von „ethnischen Waffen“ aufmerksam („Kampftauben“ oder „Moskitos“, die „nur Russen“ angreifen würden).

    Auf dieser Ebene bewegt sich auch das Interesse an künstlicher Intelligenz, die es ermöglichen soll, nach dem physischen Tod in ein Meta-Universum umzusiedeln. Die Ablehnung des wissenschaftlichen Weltbildes auf Staatsebene zieht auch die Weltanschauung der einfachen Bürger in Mitleidenschaft, die zunehmend in Aberglaube und magisches Denken abgleitet. Eine Umfrage des Lewada-Zentrums im vergangenen Jahr ergab, dass nur ein Viertel der Russen an das Reich Gottes nach dem Tod glaubt, aber fast ein Drittel an den bösen Blick und Verwünschung (das sind doppelt so viele wie noch vor sieben Jahren). Als wäre das nicht genug, hat das Präsidium der Russischen Akademie der Wissenschaften ohne viel Aufhebens die Kommission zur Bekämpfung von Pseudowissenschaft und Verfälschung wissenschaftlicher Erkenntnisse abgeschafft. Der Verschwörungs-Ideologe Dugin argumentiert: „Echte Forschung und echte Wissenschaftler gibt es schon lange nicht mehr … Durchdrungen von der starren Diktatur des Liberalismus, sehen sie in allem nur noch die in sie selbst eingeimpften Codes.“

    Atmosphäre des kollektiven Rasputinismus

    Esoterik und Okkultismus gab es im Kreml schon lange vor Putin. Gleich zu Beginn von Boris Jelzins Amtszeit ernannte der Leiter des Sicherheitsdienstes, Alexander Korshakow, den General Boris Ratnikow zu seinem Chefberater und General Georgi Rogosin zu seinem ersten Stellvertreter: In den 1980er Jahren hatten diese beiden in geheimen KGB-Labors auf dem Gebiet der „Psychotechnik“ und „extrasensorischen Wahrnehmung“ geforscht. Rogosin erstellte astrologische Karten für Jelzin und förderte die Psychotronik, auf deren Grundlage der Generalstab „psychotronische Waffen“ entwickelte. Laut Eduard Krugljakow, dem ehemaligen Vorsitzenden der Kommission der Russischen Akademie der Wissenschaften zur Bekämpfung von Pseudowissenschaften, brachte Rogosin „alle möglichen Hellseher, Heiler, Okkultisten, Astrologen und andere Scharlatane“ mit in den Sicherheitsdienst, was zu einer Atmosphäre des „kollektiven Rasputinismus“ geführt habe.

    General Boris Ratnikow ging obendrein in die Geschichte ein, weil er das Gehirn von Madeleine Albright „auf Entfernung scannte“ und „pathologischen Slawen-Hass“ darin vorfand. Ratnikow sah seine Mission im Sicherheitsdienst des Präsidenten darin, das Bewusstsein des Staatsoberhaupts vor Manipulationen zu schützen, so erklärte er es in einem Interview mit dem Staatsblatt Rossijskaja Gaseta. Die Manipulationen des parapsychologischen Generals selbst haben jedoch eine deutliche Spur in der Geschichte hinterlassen. Vergleichen wir zwei Aussagen: „Wir haben eine Seance durchgeführt, um uns mit dem Unterbewusstsein von US-Außenministerin Albright zu verbinden … Sie war empört darüber, dass Russland über die größten Rohstoffreserven der Welt verfügt. Ihrer Meinung nach sollten die russischen Reserven in Zukunft nicht von einem Land allein verwaltet werden“ (General Ratnikow, 2006). „Jemand wagt es ungerecht zu finden, dass Russland allein die Reichtümer einer Region wie Sibirien besitzt – ein einzelnes Land“ (Wladimir Putin, 2021). Im Jahr 2015 erklärte Albright, in Russland gebe es „Leute, die glauben, ihre Gedanken lesen zu können“, und fügte hinzu, dass sie „nie so etwas über Sibirien oder Russland gedacht oder gesagt“ habe.

    Hoffen auf Botschaften aus dem All

    Bis 2003 existierte innerhalb der russischen Streitkräfte die sogenannte Dienststelle Nr. 10003 – eine Experten-Abteilung des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation für außergewöhnliche menschliche Fähigkeiten und besondere Waffentypen. Ihrem ehemaligen Chef Generalleutnant Alexej Sawin zufolge, sei es die Aufgabe der Abteilung gewesen, „das Gehirn für Botschaften aus dem Universum empfänglich zu machen“. Er erläuterte: „Wir nannten uns ‚Spezialoperatoren‘ – Menschen mit erweiterten Hirnfähigkeiten … Die Amerikaner erreichten nicht annähernd unsere Ergebnisse.“ Mir, dem Autor dieses Textes, war es vergönnt, an Konferenzen teilzunehmen, auf denen Militärwissenschaftler, viele von ihnen im Generalsrang, allen Ernstes ihre mit Hilfe von „psychotronischen Techniken aufgedeckten“ konspirologischen Erkenntnisse präsentierten. Das sowjetische New Age, das von Science Fiction das in den 1960er bis 1980er Jahren von Science Fiction, Ufologie und dem Glauben an das Übersinnliche geprägt war, wächst und gedeiht in der Armee-„Elite“ fröhlich weiter.

    Angesichts der extremen Auswüchse der russischen Propaganda fragt man sich häufig: „Sind diese Menschen verrückt geworden oder täuschen sie einfach nur sehr professionell eine Paranoia vor?“ Tatsächlich erleben wir gerade eine interessante Verschiebung des Massenbewusstseins weg von einer objektiven und hin zu einer esoterischen Sicht auf die Welt. Einerseits erinnert das an Massenhysterie und eine extreme Archaisierung des Denkens. Wenn wir uns jedoch das ganze technologische Arsenal ansehen, das zur Volksverdummung eingesetzt wird, wirkt es eher wie eine komplexe Manipulation. Wer braucht noch systematische Bildung, nüchterne Religiosität oder die Fähigkeit zum kritischen Denken, wenn der große Leader alles mit Hilfe von Schamanen und künstlicher Intelligenz entscheidet?

    In Wirklichkeit ist das Erstarken des Okkultismus in den Regierungskreisen ein klares Zeichen für ihre Schwäche und Unfähigkeit. Wenn ein Politiker oder ein militärischer Führer nicht in der Lage ist, seine Handlungen rational zu planen und seine Macht lieber an unbekannte und unsichtbare Kräfte „delegiert“, offenbart er damit seine Unfähigkeit, die Situation zu kontrollieren.

    Diese Übersetzung wurde gefördert durch: 

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  • Für den russischen Pass in den Krieg

    Für den russischen Pass in den Krieg

    Seit Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar, aber besonders seit der sogenannten „Teilmobilmachung“ im Herbst 2022 ist auffällig, wie sich der Kreml davor drückt, Männer aus den russischen Metropolen wie Moskau und Sankt Petersburg in den Krieg zu schicken. Denn schon im September war zu beobachten, wie schnell Hunderttausende fliehen und so einen harten Brain Drain verursachen. 

    Also mobilisiert man vorrangig in der Provinz, im Norden, in Sibirien, im Fernen Osten und in der Kaukasusregion. Offenbar reicht das jedoch nicht: Seit Frühjahr 2022 gibt es immer wieder Meldungen von Migrantenjagden und Zwangsrekrutierungen von ausländischen Arbeitskräften. Auch in Europa ankommende Geflüchtete berichten vereinzelt von Mobilisierungsversuchen russischer Behörden – womöglich eine weitere Taktik der „verdeckten Mobilmachung“.

    Die Faktenlage dazu ist dünn. Einige Duma-Abgeordnete fordern populistisch, dass doch die sogenannten Gastarbaitery an die Front gehen sollen. Doch nur selten erreichen Videoaufnahmen oder andere Belege die Öffentlichkeit. Novaya Gazeta Europe hat Fakten und Zusammenhänge über die Mobilisierung von Staatsbürgerschaftsanwärtern und die Bedeutung des Passes der Russischen Föderation zusammengetragen. 

    Für manche eine Aufstiegschance, gleichzeitig ein sehr wahrscheinlicher Weg an die Front und in den Tod im Krieg – der russische Pass / Foto © Andrei Rubtsov/ITAR-TASS/imago-images

    Im August gab es in mehreren Regionen Russlands Razzien gegen Migranten. Unterstützt von der Polizei suchten Beamte der Militärkommissariate auf Märkten und in Gemüselagern nach neuen russischen Staatsbürgern, die noch nicht für den Wehrdienst erfasst waren. Diese bekamen einen Einberufungsbefehl oder wurden gleich auf die nächste Dienststelle mitgenommen.

    Mitte August wurden zum Beispiel rund einhundert neue Bürger vom Sofiskaja-Gemüselager in Sankt Petersburg abgeholt. In einem Obst- und Gemüselager von Nishni Nowgorod wurden über 20 Männer mitgenommen. Auch aus den Oblasten Belgorod, Swerdlowsk, Tscheljabinsk und aus Tschuwaschien wurden solche Razzien gemeldet. 

    Laut Auskunft eines Juristen, der nicht namentlich genannt werden möchte, gibt es Polizeiaktionen dieser Art seit Februar 2023. Unter dem Vorwand, die illegale Einwanderung zu bekämpfen, organisierten die Behörden Razzien, um Migranten in die Armee zu locken. Allen Aufgegriffenen werde dann nahegelegt, einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium zu unterschreiben. 

    Vom Amt an die Front

    In der Oblast Kaluga geht man noch weiter und nimmt gar keine Einbürgerungsanträge mehr an, wenn der Antragssteller nicht auch eine Verpflichtung zum Kriegsdienst unterschreibt. Im August 2023 berichtete die Menschenrechtlerin Tatjana Kotljar dem Medium 7×7 von fünf solchen Fällen, wobei es, wie sie sagt, viel mehr Ablehnungen gibt. 

    In einem Fall wollte ein Einwanderer in der Einbürgerungsbehörde von Kaluga seinen Antrag auf Staatsbürgerschaft einreichen und sollte stattdessen erst einen Vertrag mit der Armee abschließen. Aufgrund gesundheitlicher Probleme wurde zwar seine Untauglichkeit für den Militärdienst festgestellt. Doch er bekam keine Bescheinigung und sein Einbürgerungsantrag wurde nicht angenommen. 
    „Nachdem er Beschwerde eingelegt hatte, bekam er Probleme. Er wurde wegen eines Gesetzesverstoßes angezeigt, den er nie begangen hatte. Er sagte: ‚Wir werden hier nicht wie Menschen behandelt, sondern wie Vieh. Die Staatsbürgerschaft eines solchen Landes will ich gar nicht bekommen. Ich habe schon mein Ticket und fahre nach Hause‘“, so Kotljar. 

    Der Gouverneur der Oblast Kaluga, Wladislaw Schapscha, kommentierte, der Betroffene habe das alles bestimmt wegen mangelnder Russischkenntnisse falsch verstanden. Die Praxis, „angehende Staatsbürger auf die Möglichkeit, als Vertragssoldat für Russland zu kämpfen sowie auf die daraus folgenden Sozialleistungen hinzuweisen“, wertete Schapscha positiv.

    Migranten ohne russischen Pass im Krieg gegen die Ukraine

    Im September 2022 wurde in Russland ein Gesetz verabschiedet, wonach Ausländer, die freiwillig in den Krieg gegen die Ukraine ziehen, nach Ablauf eines Jahres in einem vereinfachten Verfahren die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation erhalten können. Gleichzeitig kündigte der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin an, im Einwanderungszentrum Sacharowo Schalter einzurichten, an denen sich Ausländer zum Militärdienst melden können. 

    Das allerdings sind dann Söldner, weil diese Leute ja noch nicht über die russische Staatsbürgerschaft verfügten, merkt der Jurist Schuchrat Kudratow an. Mehrere Länder Zentralasiens hätten ihre Staatsbürger bereits zu Beginn der Mobilmachung im Jahr 2022 vor strafrechtlichen Konsequenzen bei einer Teilnahme am Krieg in der Ukraine gewarnt.   

    Wer will heute Russe werden?

    Seit 2022 ist der russische Pass ein toxisches Gut: für manche möglicherweise eine Aufstiegschance, gleichzeitig ein sehr wahrscheinlicher Weg an die Front und in den Tod im Krieg. Das Innenministerium stellte 2022 sechs Prozent weniger neue Pässe aus als im Jahr zuvor, nämlich 691.045. Fast in allen Ländern, wo früher viele Menschen aktiv die russische Staatsbürgerschaft angestrebt hatten, ist die Nachfrage gesunken. 


    Nicht einmal durch die aktive Aushändigung russischer Pässe in den besetzten Gebieten der Ukraine vor deren „Angliederung“ an Russland konnten die Zahlen von 2021 übertroffen werden. Auch weil die Bewohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk schon seit 2019 im vereinfachten Verfahren russische Pässe erhalten. Von diesem Moment an wurde jede dritte neue russische Staatsbürgerschaft in der Oblast Rostow zuerkannt, die an die besetzten Gebiete der Ukraine grenzt. Über eine Million Ukrainer erhielten so die russische Staatsbürgerschaft − das ist mehr als die Hälfte aller neuen Staatsbürgerschaften seit 2019.

    Im Juli 2022 erließ Präsident Putin dann ein Dekret, wonach alle Ukrainer die russische Staatsbürgerschaft erhalten können, ohne dass sie einen Wohnsitz in den besetzten Gebieten nachweisen müssen. Die Autoren einer Studie der NGO Grashdanskoje sodeistwije (dt. Zivile Zusammenarbeit) sehen in diesem Dekret auch den Grund für die hohen Zahlen neuer russischer Staatsbürger in der Oblast Cherson im zweiten und dritten Quartal 2022.  

    Nach der Annexion der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporishshja im September 2022 wurden deren Bewohner automatisch zu russischen Staatsbürgern. Sie müssen nun kein Einbürgerungsverfahren mehr durchlaufen, sondern bekommen ihren ersten Pass wie alle Menschen in Russland mit 14 Jahren. Berechnungen von Mediazona zufolge wurden im Oktober 2022 rund 40.000 Ukrainer nach dem neuen Schema zu russischen Staatsbürgern. Anfang 2023 stellte das Innenministerium jedoch die detaillierte Statistik über die Zahl der ausgestellten Pässe unter Verschluss. 

    Wegen des veränderten Status der besetzten Gebiete sind die Oblast Rostow und die Krim aus der Einbürgerungsstatistik so gut wie verschwunden. Im ersten Halbjahr 2023 bekamen 20 Prozent der Neubürger ihre Pässe in der Stadt (16.147) und in der Oblast Moskau (24.884). Im Vorjahr deckten diese Regionen nur elf Prozent der im ersten Halbjahr beantragten Staatsbürgerschaften ab. Sechs Prozent der Einbürgerungen gab es in Sankt Petersburg und der Oblast Leningrad (11.574), fünf Prozent in der Oblast Tscheljabinsk (9460). 

    Eine sehr besondere Beziehung

    Das einzige Land, dessen Bewohner sich im Jahr 2023 weiterhin vielfach um die russische Staatsbürgerschaft bemühen, ist Tadschikistan. Im ersten Halbjahr 2023 wurden bereits 86.964 Tadschiken zu russischen Staatsbürgern, das sind um 17 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

    In der Studie von Grashdanskoje sodeistwije wird als Erklärung für das hohe Interesse am russischen Pass die wirtschaftliche Lage in Tadschikistan angeführt. Tadschikistan ist eines der ärmsten Länder des postsowjetischen Raumes, rund 30 Prozent der Bevölkerung leiden an Unterernährung, 47 Prozent leben von weniger als 1,33 Dollar am Tag. 

    Valentina Tschupik, die ehrenamtlich Rechtsberatung für Migranten anbietet, sieht jedoch auch einen Grund in der in Tadschikistan verbreiteten russischen Propaganda: „Erstens wird rund um die Uhr gratis russisches Fernsehen gesendet. Die eigenen Sender bringen nur Folklorekonzerte und fetzige Reportagen über die schrankenlose Fürsorge von [Präsident] Emomalij Rahmon für das arischste und daher so glückliche Volk, was ja noch schlimmer ist als die russische Propaganda. Zweitens gibt es kaum Zugang zum Internet.“
     
    Tadschikistan ist außerdem das einzige Land, das mit Russland ein Abkommen über eine doppelte Staatsbürgerschaft und eine Vereinbarung hat, dass Personen, die in Tadschikistan Wehrdienst geleistet haben, von der Wehrpflicht in Russland ausgenommen sind und umgekehrt. 
     
    Das betrifft jedoch nur die Wehrpflicht und keine Wehrübungen oder Mobilmachungen. Wenn ein wehrpflichtiger tadschikischer Staatsbürger mit doppelter Staatsbürgerschaft seinen ständigen Wohnsitz in Russland hat, dann kann er durchaus zur russischen Armee einberufen werden. Im Januar 2023 sagte der Leiter des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation, Alexander Bastrykin, dass Ausländer mit russischer Staatsbürgerschaft auch zum Krieg in der Ukraine eingezogen werden sollten. Und als im Mai 2023 das Gesetz über die elektronische Zustellung der Einberufungsbescheide in Kraft trat, tauchten erste Meldungen auf, wonach tadschikischen Staatsbürgern mit russischem Pass die Ausreise verwehrt wurde. Von diesem Ausreiseverbot erfuhren die betroffenen Tadschiken mit doppelter Staatsbürgerschaft, als sie im staatlichen Serviceportal Gosuslugi ihren Einberufungsbescheid erhielten. 

    Je weniger wahrscheinlich eine neue Mobilisierungswelle ist, desto stärker wird der Druck auf Migranten, glaubt Politikwissenschaftler Michail Winogradow. So wurde in der Staatsduma ein Gesetzentwurf eingebracht, der vorsieht, dass im Fall einer Wehrdienstverweigerung eine bereits erworbene Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden kann. Eine andere Gesetzesinitiative will einen verpflichtenden Armeedienst für Ausländer einführen, bevor sie die Staatsbürgerschaft erhalten. Allerdings birgt dieser Vorschlag den Quellen von Verstka zufolge noch immer „zu hohe Risiken“, weswegen die Staatsmacht es bislang nicht eilig hat, ihn als Gesetz zu verankern.    

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    Verschleppung, Elektroschocks und versuchte „Umerziehung“

  • BILDER VOM KRIEG #13

    BILDER VOM KRIEG #13

    Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Nazar Furyk

    Ein alter Mann namens Tarassowitsch holt eine Waschmaschine aus einem zerstörten Hochhaus. Das Haus wurde zu Beginn der Invasion von russischer Artillerie getroffen. Tarassowitsch hatte darin gewohnt. Irpin war im vergangenen Jahr intensivem Beschuss ausgesetzt. Unter der heftigsten Zerstörung litten das Stadtviertel Irpinsky Lypky und seine Vororte, denn die befanden sich während der Schlacht um Kyjiw im Epizentrum der Kämpfe. Beide Fotos wurden im Mai 2023 im Stadtviertel Irpinsky Lypky aufgenommen.  / Foto © Nazar Furyk

    dekoder: Erinnerst du dich an den Tag, an dem du die Fotos gemacht hast?

    Nazar Furyk: An dem Tag war ich zum vierten Mal in dem Stadtteil Irpinsky Lypky. Ich hörte die Ankündigung, dass mehrere Hochhäuser in diesem Gebiet abgerissen werden sollten. Nachdem die Russen diese Gebäude teilweise bombardiert hatten, konnte niemand mehr darin wohnen. Die Abrissarbeiten zogen sich über mehrere Wochen. Jedes Mal, wenn ich dorthin kam, konnte ich sehen, wie das baufällige Haus nach und nach dem Erdboden gleichgemacht wurde. Manchmal standen auch Einheimische neben mir und beobachteten den Abriss. So lernte ich einen Mann kennen, der sich mit dem Namen Tarassowitsch vorstellte. Er ging in das Haus, in dem seine Wohnung gewesen war, um nachzusehen, ob er noch etwas mitnehmen könnte.

    Hast du mehr von der Geschichte dieses Mannes erfahren?

    Tarassowitsch ist während der gesamten Zeit der Besatzung in Irpin geblieben. Überlebt hat er nur durch einen glücklichen Zufall. Seine Wohnung wurde zwar durch den Beschuss beschädigt, aber er ging trotzdem dorthin zurück und versteckte sich. Immer mehr streunende Hunde kamen in das Haus. Einer von ihnen zog bei Tarassowitsch ein, und sie lebten zusammen. So verbrachte der Mann dort einige Tage und beobachtete, wie russische Bomben auf die Wohngebiete der Stadt fielen. Nach einem weiteren Beschuss brannte schließlich fast seine gesamte Wohnung ab – mitsamt dem Hund, der sich unter seinem Bett versteckt hatte. 

    Wie bildest du den Krieg in deinen Arbeiten ab?

    Wenn ich in befreite Gebiete zurückkehre, ist es mir wichtig, die Geschichte der Menschen und ihrer Umgebung aus einer zeitlichen Perspektive heraus zu erzählen. 
    Auf diese Weise ist es mir möglich, unsere Tragödien und unseren Schmerz im individuellen und kollektiven Gedächtnis festzuhalten. Man könnte sagen, dass die meisten meiner Arbeiten ein kontinuierlicher Prozess sind. Es ist ein endloser Zyklus, der mit unserem Gedächtnis und unseren Bildern arbeitet. 

    Aus welchem Motiv heraus fotografierst du die Auswirkungen des Krieges?

    Ich möchte zeigen, wie sich die grausamen und verheerenden Folgen des Krieges in den Menschen und in der Umgebung manifestieren. Und ich denke, dass alles, was Fotografen jetzt dokumentieren oder filmen, nicht nur ein Beweis für die Verbrechen ist, die Russland an der Ukraine und den Ukrainern begangen hat, sondern auch ein Teil des Prozesses der Herstellung von Gerechtigkeit und einer zukünftigen Bestrafung der Russen. Es ist für uns alle eine Möglichkeit zu erkennen, dass dieser grausame Krieg Menschen auf ganz unterschiedliche Weise zerstört. Auch wenn die Verletzungen nicht immer sichtbar sind, zerstören sie uns sowohl von innen als auch von außen.

    An welchem Projekt arbeitest du aktuell? 

    Seit über einem Jahr arbeite ich an einer großen Fotoserie. Ich fotografiere die Region Kyjiw und ihre Städte und Dörfer. Ich kehre häufig dorthin zurück. In Irpin, dort, wo die Fotos aufgenommen wurden, war ich schon häufiger, ebenso wie in den anderen Städten der Region. Ich beobachte und dokumentiere die Veränderungen der Umgebung, der Menschen dort und ihre Einstellung zu dieser Umgebung. Als der Wiederaufbau der Kyjiwer Region nach der Besetzung begann, wurde mir klar, dass sich die Dinge, die ich jetzt fotografiere, in ein paar Wochen vielleicht schon wieder verändert haben werden. Die Bilder dieser Veränderungen werden dann wahrscheinlich aus unserem Gedächtnis verschwinden. Aber die Bilder aus dieser Zeit und die Erfahrung dieser Transformation – die bleiben erhalten.

    Nazar Furyk, geboren 1995 in Kolomyia im Westen der Ukraine, lebt und arbeitet als unabhängiger Fotograf in Kyjiw. Seine Werke wurden international in renommierten Galerien und Museen ausgestellt und in zahlreichen Magazinen veröffentlicht.

    Bildredaktion: Andy Heller
    Fotos: Nazar Furyk
    Veröffentlicht am 10.10.2023

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  • In den Sümpfen Polesiens

    In den Sümpfen Polesiens

    Polesien, eine zwischen Belarus und der Ukraine gelegene Sumpflandschaft, ist eine Art kulturelle Schatzkammer für Ethnologen. Die Abgeschiedenheit der dortigen Kommunen wird im Frühling durch den schmelzenden Schnee und die dann entstehenden Inseln in der verzweigten Wasserlandschaft verstärkt. Das hat über die Jahrhunderte dazu geführt, dass sich dort vorchristliche Traditionen und archaische Lebensweisen erhalten haben und eine eigene Kultur ausformen konnte. Aber der grenzüberschreitende Raum zwischen Polen, Belarus und der Ukraine habe verhindert, dass sich „eine Monokultur“ entwickelt hat, wie der belarussische Historiker Pawel Tereschkowitsch sagt, „da dort permanente Kulturschwankungen und Fremdeinflüsse bestehen, aus denen sich eine hybride Kultur entwickelt“. Der polnische Ethnologe Józef Obrębski (1905–1967) hielt die Bewohner von Polesien weder für Ukrainer, noch für Belarussen, sondern für ein eigenes Volk. Obrębski gilt bis heute als einer der bedeutenden Erforscher dieser geheimnisvollen Landschaft.

    Das belarussische Online-Medium Zerkalo hat Fotos von Obrębski ausfindig machen können, die die Bewohner des westlichen Polesien, ihre Häuser und ihren Alltag in den 1930er Jahren zeigen, als die Region zur Zweiten Polnischen Republik gehörte. Wir zeigen eine Auswahl dieser Fotos, die wir durch weitere Fotos aus dem entsprechenden Archiv ergänzt haben. Es ist nach Menschen im Sumpf der zweite Teil einer Reihe mit historischen Fotos aus Belarus.

    Fotos zu finden, die zeigen, wie die Belarussen vor dem Zweiten Weltkrieg lebten, ist schwierig, da sich viele Bilder aus dieser Zeit im Ausland in privaten Sammlungen oder Museen befinden. Wir können eine Sammlung von Fotografien des polnischen Ethnologen Józef Obrębski präsentieren mit Genehmigung des Robert S. Cox American Research Centre for Special Collections and University Archives an der Bibliothek der University of Massachusetts Amherst
    Von April 1934 bis September 1936 führte der Wissenschaftler im Auftrag des Polnischen Instituts für die Erforschung nationaler Probleme und der Kommission für wissenschaftliche Forschungen in den östlichen Ländern eine Forschungsexpedition durch das westliche Polesien durch. Ein bedeutender Teil seines Schaffens, das der Untersuchung der sozialen Struktur des polesischen Dorfes und seines Wandels gewidmet war, bezieht sich auf das Territorium unseres Landes. Schauen Sie sich an, wie dieser Ethnologe das Leben in den belarussischen Dörfern des westlichen Polesiens in den 1930er Jahren festgehalten hat.

     

    Polesierinnen: Mutter und Tochter in festlichen Kleidern, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Trocknen von Heu auf einem Reiter, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Molkerei, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries

    Familie: Der Hausherr bei …, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Trocknen von Getreide (auf dem Hof ausgelegte Matten mit Getreide), ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Familie: Großes Wohnhaus, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Ernte (Männer und Frauen ernten Getreide), ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Familie: Getreidespeicher und Lager auf einem großen Bauernhof, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Familie: Großer Bauernhof, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Gesellschaft: Schaukel im Wald, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Typen: Ältere Männer, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Eingang zum Bauernhof (Schweine werden am Zaun eines Bauernhauses gefüttert), ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Ein Mann sät Getreide, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Familie: Familiensitz – eine Frau steht auf einem Weg neben reetgedeckten Bauernhäusern, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Familie: Haus einer Baptisten-Familie, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Familie: Große Baptisten-Familie – Söhne im Haus, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Vortrieb des Viehs zum Wasser (während der Fliegenplage, Vieh trinkt in einem See), ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Gesellschaft: Schlägerei auf dem See  auf einem Fischerboot in Ufernähe, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Der Babrowitskaja-See: Fischer holen ihre Netze ein, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Ansicht: Reet-Hütte auf einem Floß, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Wirtschaft: Gerstenernte, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries
    Schweine am Fluss, ca. 1934 / Foto © Joseph Obrebski Papers, Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries

    Im Original erschienen bei Zerkalo
    Bildredaktion: Andy Heller
    Übersetzung: dekoder-Redaktion
    Veröffentlicht am: 10.10.2023

    Mit freundlicher Genehmigung der Robert S. Cox Special Collections and University Archives Research Center, UMass Amherst Libraries

     

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  • Die Unsichtbaren

    Die Unsichtbaren

    Demonstrationen sind nicht mehr möglich. Kritische Äußerungen werden mit jahrelanger Lagerhaft bestraft. Unabhängige Nachrichten sind immer schwerer zu bekommen. Selbst auf der Arbeit und im Freundeskreis müssen die Menschen Denunziationen fürchten. Von März 2022 bis Mai 2023 hat die Soziologin Anna Kuleschowa untersucht, wie sich das Leben von oppositionell eingestellten Russinnen und Russen im Laufe eines Kriegsjahres verändert hat. Dazu hat sie über hundert Personen verschiedenen Alters und aus unterschiedlichen Einkommensgruppen befragt. Allen gemeinsam ist die Angst: vor einem Sieg Russlands, vor immer härteren Repressionen, vor einer immer schlechteren Gesundheitsversorgung und davor, dass sie Verwandte und Freunde, die ins Ausland gegangen sind, lange Zeit nicht mehr wiedersehen. Das Portal Cherta hat mit Anna Kuleschowa über ihre Forschung gesprochen und veröffentlicht ein erstes Fazit – wobei die Soziologin Wert darauf legt, dass die Ergebnisse noch vorläufig sind und nicht einfach auf das ganze Land übertragen werden können.

    „Die Menschen leben auf dem gleichen Territorium und haben ungefähr die gleichen Ansichten. Haben jedoch alle vor etwas anderem Angst: Die einen fürchten einen Sieg Russlands; sie meinen, wenn der Krieg auf diese Weise endet, dann wird das derzeitige Regime im Land nur stärker werden. Für sie bedeutet es, dass Perspektiven fehlen, dass ihnen und ihren Kindern das Leben geraubt würde. Sie fühlen sich in diesem System nicht zuhause“. So beschreibt die Soziologin Anna Kuleschowa die Stimmung bei oppositionell eingestellten Russen.

    Es gibt bei denen, die den Krieg nicht unterstützen, aber auch die entgegengesetzte Angst, dass nämlich Russland den Krieg verliert. Diese Menschen sind überzeugt, dass das Regime trotzdem überleben, dann aber nach Schuldigen suchen wird. „Sie haben Angst, dass man sie zu Volksfeinden erklärt. Dass das Regime die Verantwortung für die Niederlage von denen, die die Entscheidungen getroffen haben, auf alle anderen abwälzt, und dass es dann Säuberungen geben wird und eine Neuauflage der Stalin-Zeit“ sagt die Soziologin.

    Optimistische Prognosen für die kommenden fünf bis zehn Jahre waren von den Befragten nicht zu hören.

    Für viele war wichtig, dass man ihnen zuhört. „Bei den Menschen, die sich zu einem Interview bereit erklärten, brachen die Emotionen hervor. Sie erzählten von all ihrem Schmerz; schließlich ist es gewöhnlich so, als existierten sie nicht: Sie sind für ihre Umgebung unsichtbar, weil sie ihre Ansichten verstecken müssen. In der ganzen Welt, so scheint es, gelten alle, die geblieben sind, als Unterstützer des Regimes“, sagt Kuleschowa. Eines der wichtigsten Themen, über die die Respondenten sprachen, war die Angst.

    Einige Respondenten haben Angst vor einem Atomkrieg. Menschen, bei denen Angehörige in den grenznahen Gebieten leben, fürchten, dass der Krieg ihre Verwandten direkt treffen wird. Kuleschowa unterstreicht, dass 2023 eine neue Angst dazugekommen sei: Viele der Befragten haben Angst vor zurückgekehrten Militärangehörigen.

    „Es gibt die Angst, dass kampferprobte Männer mit einem Schaden in die Stadt kommen und hier ihre eigene Ordnung errichten.“

    Die Respondenten berichteten von Ängsten vor den sich verändernden patriarchalen und maskulinen Normen. Solche Befürchtungen seien keine unmittelbare Folge des Krieges, sondern ein Nebeneffekt, meint Kuleschowa. Der Soziologin zufolge haben die Leute Angst, dass die Propaganda von „echtem“ maskulinen Verhalten und Brutalität, mit der neue Kämpfer mobilisiert werden sollen, früher oder später zu einem Anstieg von Gewalt im Alltag und einer schlechteren Lage der Frauen führt. 

    Die Befragten sprachen oft von Repressionen, davon, dass es keine faire Rechtsprechung gibt, von Gewalt durch Sicherheitskräfte, die sie erleben.
    Viele Gesprächspartner Kuleschowas sagen, dass sie durch die massenhafte Unterstützung für den Krieg alarmiert sind. Hinzu kommt angesichts der vorgeblich allgemeinen Unterstützung für radikale Entscheidungen eine generelle Angst um das Überleben des Landes.

    „In den ersten Tagen [des Krieges] war ich überzeugt, dass ich in meiner Umgebung niemanden treffen würde, der den Krieg unterstützt. Als sich herausstellte, dass es sie dennoch gab, empfand ich neben dem schrecklichen Schock zusätzlich Abscheu, eine Art Ekel.

    Ich denke nicht, dass Unterstützer [des Krieges] schlechter sind als ich. Es ist nicht so, dass ich sie nicht mehr für Menschen halte, oder dass sie nicht mehr meine Freunde sind. Aber mir wird übel. Nicht ihretwegen, sondern durch die Situation und durch ihre Haltung dazu.“

    Andere hätten Angst vor einem Zusammenbruch des Gesundheitswesens, vor einem Mangel an Einweginstrumenten im Krankenhaus und Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten, sagt Kuleschowa. Das betreffe vor allem Menschen, die lebenslang Medikamente einnehmen müssen, meint sie. „Für Medikamente, die früher nicht besonders teuer waren, muss man jetzt viel mehr bezahlen. Die Menschen müssen überlegen: ‚[…] wie kann ich behandelt werden, und wie Medikamente bekommen, Falls, Gott bewahre …‘“, berichtet die Soziologin.

    Eine andere wichtige Angst betrifft die fehlenden Möglichkeiten, sich mit engen Angehörigen zu treffen, die Russland verlassen haben. Vor einem Jahr schien es, dass wir „uns in einem Jahr sicher wiedersehen“. Jetzt ist klar, dass das „vielleicht auch nicht“ eintreten könnte, meinen Respondenten.

    Es gibt eine weitere Angst, die sich nicht direkt auf den Krieg bezieht, sondern auf dessen Folgen, nämlich eine mangelnde Sicherheit des öffentlichen Nahverkehrs. „Sie haben Angst vor Verkehrskatastrophen in der Folge der Sanktionen, dass etwa die U-Bahnwagen nicht mehr intakt sind. Sie wissen nicht, ob es jetzt noch sicher ist, mit dem Flugzeug zu fliegen, und ob die billigen chinesischen Autos sicher sind, die jetzt auf den Straßen fahren“, sagt Kuleschowa.

    Oft wird eine große Sorge um die Zukunft der Kinder geäußert: Ob es sinnvoll ist, dass sie in Russland ihre Bildung erhalten, wie ihre Zukunft aussehen wird, welche Perspektiven sie haben, und ob sie ohne ernste psychische Folgen und Konflikte die Schule abschließen können.
    Auch der „Anstieg der Intoleranz gegenüber Leuten, die in die Ecke gedrängt wurden, was sich zu einem echten Bürgerkrieg entwickeln kann“, macht Angst.

    Sich wegducken, um schwierige Zeiten überstehen

    Die Befragten schätzen den Anteil der Kriegsbefürworter in ihrem Umfeld auf 20 bis 30 Prozent. Viele sagen aber, dass sie nicht einmal annäherungsweise eine Zahl nennen können, da sie versuchen, mit Bekannten keine Gespräche dieser Art anzufangen. Schließlich weiß man ja nicht, was dabei herauskommt oder wer einen dann denunziert. Die Soziologin meint, dass die Menschen jetzt Angst vor Provokationen haben: „Es wurde erzählt, dass im Umkleideraum eines Fitness-Studios blaue Spinde standen. Und am 23. Februar lagen in ihnen dann gelbe Schuhanzieher. Die Leute waren verwirrt: „Wie sollte man darauf reagieren? Ist das eine Art Test?“

    Eine Befragte erzählte, wie sie in einem Geschäft war und von einer Verkäuferin über ihre Haltung zum Krieg ausgefragt wurde. „Wenn du schweigst, werdet ihr [Kriegsgegner] noch weniger“, sagte die Frau. „Aber du weißt nicht, wo das hinführt, du kannst kein Vertrauen haben“. „Der Raum für Vertrauen war für Russen nie groß. Fremden zu vertrauen ist eher atypisch für die Menschen in Russland. Jetzt aber ist dieser Kreis des Vertrauens vollkommen kollabiert“, sagt Kuleschowa.

    Viele Respondenten haben Angst, denunziert zu werden, wobei in Russland heute völlig unklar ist, von welcher Seite die Gefahr droht, meint die Soziologin. „Es sind nicht die Zeiten Stalins, als die Denunziationen nicht selten von Bekannten geschrieben wurden, die ein Motiv hatten; etwa weil jemand einen Posten oder mehr Wohnraum in der Kommunalka ergattern wollte. Jetzt ist es eher so, dass irgendwelche Leute andere denunzieren, die sie persönlich gar nicht kennen.“

    Das Problem der ausgewanderten Angehörigen wird ebenfalls als potenzielle Bedrohung gesehen. Unter denen, die ihre Männer oder Söhne ins Ausland geschickt haben, um sie vor der Mobilmachung zu bewahren, sind viele, die das in Gesprächen mit Fremden verheimlichen. Wenn die Frage nach der Haltung zum Krieg aufkommt, hüten sich die Leute davor, als erste zu antworten. Es ist sicherer, zuerst die Position des anderen zu hören. „Die Menschen beginnen ein Gespräch behutsam und versuchen zu verstehen: ‚Sind wir noch auf der gleichen Seite?‘ Wenn nicht, sollte man innehalten und über dieses Thema nicht mehr sprechen“, erklärt Kuleschowa.

    Die Russen, die von der Soziologin befragt wurden, reden nicht mehr über Politik, wenn sie ihre Gesprächspartner nicht gut genug kennen. „Smalltalk am Arbeitsplatz über die neuesten Nachrichten gibt es praktisch nicht mehr. Beim Plausch mit Nachbarn wird das Thema lieber beschwiegen. Man ist auf der Hut, nicht in Hörweite des Hausmeisters darüber zu reden. An U-Bahn-Eingängen, wo Polizisten auftauchen können, unterbricht man lieber das Gespräch und geht weiter, damit man sich keine Probleme einhandelt“, ergänzt sie. 

    „Dieses Schweigen ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt“, sagt Kuleschowa. „Die Strategie sich wegzuducken, um schwierige Zeiten zu überstehen, war für viele annehmbar, solange es nur um ein Jahr ging. Solange die Leute den 281. Tag zählten, den 282. Tag … Wenn die Zählung aber nicht mehr in Tagen erfolgt, sondern in Jahren, wie lange kannst du dann schweigend dasitzen? Wie wirst du damit leben?“

    In den Städten mit Systemen zur Gesichtserkennung versuchen Andersdenkende – den Umfragen von Kuleschowa zufolge – sich neue „Sicherheitstechniken“ anzueignen, also Methoden, um die Beobachtungskameras zu überlisten, etwa mit Hilfe von Brillenrahmen, Masken, und Augen, die auf Mützen oder Hüte gemalt werden. Populär sind neue Vorsichtsmaßnahmen beim Umgang mit Technik: Menschen, die wissen, dass ihre Gespräche abgehört werden können, legen ihr Telefon und ihre Box mit der Sprachsteuerung ins Nachbarzimmer. Andere nehmen während des Gesprächs den Akku heraus oder legen das Handy ins Gefrierfach, um angstfrei sprechen zu können. „Eine Befragte, mit der wir sprachen, hatte meinen Telegram-Kanal abonniert. Sie fragte: ‚Haben Sie denn nicht bemerkt, dass Sie oft einen neuen Abonnenten bekommen, der dann wieder verschwindet? Das bin ich; jedes Mal, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit in der Universität durch die Kontrolle gehe und Angst habe, dass sie mich filzen. Für alle Fälle lösche ich alle Kanäle, und melde mich dann wieder an.‘“, berichtet Kuleschowa.

    Seine Leute finden

    Für kriegskritische Ansichten, die man in persönlichen Gesprächen, öffentlich oder in sozialen Netzwerken äußert, kann man ins Gefängnis wandern. Daher suchen die Menschen nach anderen Wegen, um Gleichgesinnte zu finden. Zu Beginn des Krieges dienten als „Hinweis“, dass jemand gegen den Krieg ist, oft die Farben der ukrainischen Flagge an der Kleidung, als Bändchen am Handgelenk oder in den Haaren. Jetzt sei das viel zu gefährlich, sind die Befragten überzeugt.

    Auf der Straße ist niemand mehr mit einer Einkaufstasche zu sehen, auf der „Nein zum Krieg!“ oder andere offene Antikriegs-Parolen stehen. Es werden aber andere, bislang noch nicht verbotene Symbole verwendet: „Einige tragen Buttons mit Antikriegs-Parolen, die aber sehr unauffällig sind, damit sie nicht so leicht zu erkennen sind. Einige gehen zu einer doppeldeutigen Sprache über, damit Aussagen nicht direkt ‚gelesen‘ werden können. Andere verwenden Bilder von Friedenstauben oder Zitate von Orwell oder Remarque. Andere wiederum versuchen, anhand des Kleidungsstils oder am Gesicht auszumachen, welche Ansichten ihr Gegenüber hat. Das ist jedoch riskant, man kann da vollkommen falschliegen.“

    „Ich war einige Male bei Führungen von Memorial zum Projekt Die letzte Adresse. Es war keine Überraschung, dass da niemand für den Krieg war. Dort konnte man frei reden.“

    Ein weiterer, relativ sicherer Weg, seine Haltung zum Geschehen zu äußern, sind Veranstaltungen, auf denen man Gleichgesinnte treffen könnte. Manchmal kommen Leute zu Kulturveranstaltungen, weil ihnen die Haltung der Organisatoren oder der Künstler wichtig ist, sagt Kuleschowa: „Zu einem Konzert von Polina Osetinskaya kommen Menschen nicht nur, weil sie eine bemerkenswerte Pianistin ist, sondern auch, weil sie, so die Befragten, gegen den Krieg auftritt. Also könnte man da am ehesten ‚seine Leute‘ treffen. Nach dem gleichen Prinzip besuchen die verbliebenen Kriegskritiker Underground-Ausstellungen von moderner und Antikriegskunst.“

    Wie wird der Krieg mit Angehörigen diskutiert?

    Unter Kuleschowas Gesprächspartnern gab es auch welche, die die politischen Ansichten selbst ihrer nächsten Verwandten nicht kennen (besser gesagt: Sie haben   Angst, sie zu erfahren). „Die Menschen fürchten, ihre Angehörigen könnten ‚mutieren‘, auf ‚die Seite des Bösen‘ überlaufen, wie sie es nennen. Einige hören auf, sich mit ihrem Umfeld wirklich zu unterhalten, und zwar aus Selbstzensur, weil es in ihrer Wahrnehmung immer weniger Gleichgesinnte gibt“, erklärt die Soziologin.

    „Ich weiß das nicht bei allen Freunden und Bekannten. Manchmal erfahre ich es indirekt, über gemeinsame Bekannte. Da ruft beispielsweise eine Freundin meiner Mutter an, eine Ukrainerin, und erzählt mir empört über eine andere Freundin meiner Mutter, eine Moldauerin: ‚Stell dir vor, sie meint, Russland hat nicht recht‘, ‚Stell‘ dir vor‘, antworte ich, ‚das meine ich auch.‘ So erhalte ich politische Informationen.“

    Vor einem Jahr seien unterschiedliche Einstellungen zum Krieg eher ein Grund für eine Spaltung gewesen, meint Kuleschowa. Jetzt versuche man eher, sich damit einzurichten: „Die Menschen haben schon nicht mehr die Illusion, dass man alles abreißen, abbrechen könne, und dabei einen richtigen Schritt macht. ‚Und dann bricht das zweite Kapitel der Beziehung an, wenn der andere auf Knien angekrochen kommt, weil er erkannt hat, dass er nicht recht hatte‘. Die Leute verstehen jetzt, dass man mit denen, mit denen man in einem Boot sitzt, irgendwie bis zum Ende rudern muss und Konflikte und Streitereien sinnlos sind. Vor einem halben Jahr gab es noch Hoffnungen, dass man jemanden umstimmen könnte, jetzt ist klar: Das funktioniert nicht.“

    Der Soziologin zufolge gibt es nur sehr wenige, die früher den Krieg unterstützten und das jetzt nicht mehr tun. Eher passiere das Gegenteil: Jemand in der Familie beginnt der Propaganda zu glauben. „Heute rettet eine Frau ihren Mann vor der Mobilmachung und bleibt selbst mit den Kindern in Russland. Dann kommt er trotz der Gefahr für seine Sicherheit zurück, weil er die Kinder sehen will, aber seine Frau hat den Kindern schon weisgemacht, dass ihr Vater ein Feind ist, alle verlassen hat und abgehauen ist. Die Kinder sind umprogrammiert und denken genauso.“ Jugendliche wiederum, deren Eltern Z-Patrioten sind, können ihre Haltung gegen den Krieg nicht äußern, weil sie schlichtweg finanziell abhängig sind. Sie können nirgendwo hin, nicht woanders leben.

    „Mir scheint, dass man von hier fliehen muss, doch der Rest der Familie sieht keinen Grund für diese Panik.“

    „Es gab unter den Befragten eine Frau, deren Mann ausgewandert ist. Aber ihr Liebhaber, von dem ihr jüngstes Kind stammt, wollte bleiben“, erzählt Kuleschowa. Der Ehemann hat gesagt: ‚Zum Teufel, ich nehm‘ dich zusammen mit dem Liebhaber auf. Kommt zusammen her [ins Ausland], wenn es für dich anders nicht geht.‘ Sie entschied aber mit ihrem Liebhaber, dass sie ‚die eigenen Leute nicht im Stich lassen‘ dürfe, und blieb in Russland. Letztendlich musste das Paar die Kinder aufteilen. In jeder Familie kann sich alles Mögliche ergeben, und selbst nach zwanzig Ehejahren gibt es Überraschungen. Während der Interviews habe ich gemerkt, was für ein großes Glück es für eine Familie sein kann, wenn alle zugleich verrückt werden.“

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  • „Hau ab! Die Belarussen wollen es so!“

    „Hau ab! Die Belarussen wollen es so!“

    „Wir spielen ehrliche Musik.“ Das sagte Dimitri Golowatsch, Gitarrist der belarussischen Band Tor Band, in einem Interview. Mit ins Ohr gehenden Refrains und Melodien und Texten, die das Gefühl der Proteste von 2020 aufgreifen, wurde das bis dato völlig unbekannte Trio zu einer der populärsten Bands, ihre Songs wurden Hymnen der damaligen Demokratiebewegung. Trotz der Repressionen, die sich auch gegen Kulturschaffende richten, blieben die Musiker in Belarus. Im Januar 2023 wurde die Band zur „extremistischen Vereinigung“ erklärt, bereits im Oktober 2022 waren die Musiker festgenommen worden, seit Mitte September läuft hinter verschlossenen Türen ein Prozess gegen die Mitglieder der Band – ihnen drohen bis zu zwölf Jahre Haft.

    Der Journalist Michail Polosnjakow hat sich in einem Beitrag für Mediazona Belarus eingehend mit der weitgehend unbekannten Geschichte der Band und den Repressionen gegen die Musiker beschäftigt, die der Lukaschenko-Staat anscheinend derart fürchtet.

    Tor Band aus der ostbelarussischen Kleinstadt Rogatschow (bel. Rahatschou), das sind Dimitri Golowatsch, Jewgeni Burlo und Andrej Jaremtschik. Sie schrieben den Songtext „Wir sind kein Vieh, keine Herde, keine Feiglinge, wir sind das lebendige Volk, wir sind die Belarussen“. Das Musikvideo bekam mehr als eine Million Klicks, aufgenommen wurde es mit einzelnen Clips der Fans.

    Als die Proteste abgeflaut waren, blieb Tor Band in Belarus, Dimitri Golowatsch arbeitete weiterhin im Kulturhaus von Rogatschow. Doch irgendwann kamen sie auch an die Reihe: zuerst ein eintägiger Gewahrsam, aus dem die Musiker nicht freigelassen wurden, später wurde die Rockband zur „extremistischen Formierung“ erklärt. Den Bandmitgliedern werden mehrere Straftaten vorgeworfen, darunter auch die Diskreditierung von Belarus. 
    Mediazona stellt die Geschichte der Band vor, die die Hymne der Proteste schrieb, und sprach dazu mit Denis Daschkewitsch, ein Aktivist aus Rogatschow und ehemaliger Direktor des Kulturzentrums im Dorf Pobolowo. 

    Auftritt auf der Hauptbühne in Rogatschow am Unabhängigkeitstag

    Zu Beginn des Sommers 2020 ging Denis Daschkewitsch mit seiner Familie in Gomel im Park spazieren. An diesem Tag hörte er aus „allen Autos“ das Lied Uchodi (dt. Hau ab) von Tor Band.
    „Damals bekam ich sofort Angst um die Jungs“, sagt Daschkewitsch. 

    „Hau ab! Friedlich, still und leise
    Hau ab! Wir finden neue Ehrenleute
    Hau ab! Jetzt ist die Zeit der Mutigen, nicht der Feiglinge
    Hau ab! Die Belarussen wollen es so!“ 

    Als 2019 in Rogatschow der Unabhängigkeitstag begangen wurde, bespielte Tor Band den zentralen Platz neben der Stadtverwaltung und donnerte mit einem mehrstündigen Konzert los. Daschkewitsch erinnert sich, dass „die Jugendlichen fast durchdrehten“.
     
    Bandmitglied Dimitri Golowatsch erzählte in einem Interview. „Wir haben einen Song mit dem Text: 
    Die Revolution reift in uns heran, 
    im Innern reift Veränderung.
    Weg mit den offenen Metastasen, 
    brich die Mechanismen des Systems.
    Diesen Titel haben wir auf dem zentralen Platz von Rogatschow am Unabhängigkeitstag gespielt, Organisator war die städtische Ideologieabteilung!“

    Daschkewitsch sagt: „Bis 2020 gab es keinerlei Verdacht auf Opposition oder Terrorismus oder Extremismus. Das war eine Band, auf die die Stadtverwaltung von Rogatschow stolz war, über die in der Kreiszeitung geschrieben wurde.“ 

    Dieselbe Zeitung schrieb im März 2023 über die Band: „Ab 2020 verstärkte das eingeschworene Kollektiv aus Rogatschow seine destruktive Aktivität enorm, indem es die Interessen verschiedenster oppositioneller Strukturen bediente, und die Belarussen buchstäblich zu Brudermord und anderen rechtswidrigen Handlungen drängte.“

    Bevor sie Tor Band gründeten, spielten die Musiker in der Band Sex. Damals hatten sie Probleme mit der lokalen Verwaltung. Der Band wurde vorgeworfen, Drogenkonsum zu propagieren und Pornografie zu verbreiten. 2014 änderte die Band ihren Namen dann in Ojra. In den Texten dieser Gruppen kamen auch politische Motive vor. 

    Aus dem Titel Königreich der glücklichen Sklaven:

    „Ich sitz auf meinem Arsch an einem geilen Platz, 
    ich bin der coole Gockel auf der gold’nen Hühnerstange, 
    Jetzt verbiete ich mal all die Festivals, 
    hab kein‘ Bock zu rackern, ihr könnt mich alle mal!“

    Im Song Ach, Leute fragen die Musiker: „Wie soll man da nicht fluchen, bei 200 Dollar Monatslohn“, und „in der Glotze tönen sie, alles sei so wie es soll“. 2014 spielte die Band Konzerte in Moskau, gemeinsam mit Lyapis Trubetskoy und der Band Lumen. Außerdem gingen sie auf Tour durch die Ukraine. Bis dahin war Jewgeni Burlo der Schlagzeuger, Dimitri Golowatsch sang und spielte Gitarre – heute sind sie zwei von drei Bandmitgliedern, die im Fall der 2017 gegründeten Tor Band angeklagt sind. 

    Jewgeni Burlo hatte bis 2020 etwa zehn Jahre lang als Tontechniker im Kulturhaus von Rogatschow gearbeitet. „Er war der wichtigste Tontechniker der ganzen Stadt“, erinnert sich Denis Daschekwitsch. 
    „Alle betonten sein hohes Niveau bei Tontechnik, Bühnentechnik und Ausstattung. Woanders mussten für größere Veranstaltungen Experten aus Minsk oder Gomel kommen. In Rogatschow war das nie ein Problem.“

    Dimitri Golowatsch machte derweil Fotos und Videos auf Hochzeiten. Daschkewitsch zufolge war die Musik nicht seine Haupteinkommensquelle, sondern eher ein Hobby, in das er viel Geld hineinsteckte. 

    Ein Lied wird zum Protesthit 

    Den Titel My – ne narodez (dt. Wir sind kein Völkchen), der zu einer der Hymnen der Proteste wurde und die Band bekannt machte, hatten sie im Juni veröffentlicht. 

    „Die Leute schreiben uns: ‚Was für ein cooler Protestsong!‘ Aber es ist ein patriotischer Song, kein Protestsong. Es ist ein Song darüber, was die Leute wirklich von sich selbst denken. Seine [Lukaschenkos] Phrasen über das ‚Völkchen‘ riefen bei mir und bei vielen anderen Leuten Empörung hervor. Das hat die Selbstliebe des belarussischen Volkes wirklich stark getroffen“, sagte Golowatsch in einem Interview mit Onliner im September 2020 (der Artikel ist von der Seite gelöscht, aber noch im Webarchiv auffindbar). 

    „Wir sind kein Vieh, keine Herde, keine Feiglinge, 
    Wir sind ein lebendiges Volk, wir sind die Belarussen.
    Mit Glauben im Herzen halten wir stand, 
    die Flamme der Freiheit über uns!“

    Für den Videoclip von My – ne narodez lud die Band ihre Fans ein, Videos davon aufzunehmen, wie sie den Refrain singen. Dimitri Golowatsch zufolge haben nicht alle mitgemacht, aber diejenigen, die in den Clip aufgenommen wurden, seien „die mutigsten und verwegensten“.

    Vor dem Videodreh zu Shywje! (dt. Es lebe!) luden die Musiker per Insta-Livestream ihre Fans ein, nach Rogatschow zu kommen und im Video aufzutreten. „Als wir dann am Dnepr-Ufer die Unmenge von Autos sahen, wurden unsere Augen immer größer und in der Stadt ging das Gerücht um, eine Gang sei angerückt und bald würde wohl eine Schlägerei beginnen“, erzählte Golowatsch. 

    Noch vor dem Song My – ne narodez waren die lokalen Behörden auf die Band aufmerksam geworden. Dimitri Golowatsch berichtet, die Kreisverwaltung habe ihn angerufen und darum gebeten, weniger Aufmerksamkeit auf die Stadt Rogatschow zu lenken: „Die zentrale Aussage war: Wir wollen, dass in Rogatschow alles ruhig ist.“

    Tor Band nahmen weiterhin Songs auf und produzierten Videos. Im Clip zu Kto, jesli ne ty (dt. Wer, wenn nicht du) treten 23 Familien auf. Kinder, Eltern und Musiker singen zusammen:

    „Wer denn sonst, wenn nicht du?
    Man schenkt uns wieder Glauben
    Wir malen alles ganz weiß an
    Und vertreiben all das Grau.“

    Im Interview mit Nasha Niva sagte Dimitri Golowatsch, Tor Band habe zum Ziel, „die stabile emotionale Haltung unseres Volkes zu unterstützen“. 
    Im März 2021 brachte die Band ein Album mit allen Protesthits heraus: Finita La Commedia

    Wir waren überzeugt, dass alles vergessen sei

    „Die Musiker waren davon überzeugt, dass alles vorbei sei – und Schluss. Jewgeni Burlo nahm einen Kredit auf und kaufte sich wenige Monate vor seiner Verhaftung noch ein teures Motorrad“, erzählt Daschkewitsch. Golowatsch arbeitete auch nach den Protesten weiter als Hochzeitsfotograf, und Burlo blieb Tontechniker im Kulturhaus. Er kündigte dort Anfang Oktober 2022, wenige Wochen vor seiner Festnahme. 

    Laut Denis Daschkewitsch war eine lokale Beamtin darüber sehr empört. Nachdem die Musiker festgenommen worden waren, hatte Daschkewitsch die Beamtin angerufen. Daschkewitsch gibt an, sie habe im Gespräch zugegeben, Jewgeni Burlo schriftlich denunziert zu haben. 
    Daschkewitsch gibt ihre Worte so wieder: Er habe nicht einfach nur gekündigt. Erstens habe er den Staat verraten, der ihm auf die Beine geholfen hat. Und zweitens sei er noch so dreist gewesen, die digitale Infrastruktur zu entfernen. Mit „digitaler Insfrastruktur“ meine sie eine lizenzpflichtige Software, die Burlo nach seinem Weggang als Tontechniker im Kulturhaus deinstalliert habe. 

    „Ich sagte ihr, dass man dieses Programm zur Audioaufzeichnung aus dem Internet herunterladen kann. Habt ihr in der Kreisverwaltung  etwa alle lizensierte Windows-Versionen? Sie machen aus einer Mücke einen Elefanten“, erinnert sich Daschkewitsch. 

    Tor Band hatte noch ein weiteres Bandmitglied – den Bassisten Andrej Jaremtschik. Mediazona konnte nicht herausfinden, wann genau er zur Band gestoßen ist, und ob er 2020 dazugehörte. Neben seinem Musiker-Leben arbeitete Jaremtschik als Geschichtslehrer in der Mittelschule Nr. 5 in Rogatschow. Auf der Mitarbeiterliste der Schulwebseite ist er nach wie vor verzeichnet. 

    Plötzlich waren sie „Extremisten“ und Straftatverdächtige

    Am 28. Oktober 2022 nahmen die Silowiki alle drei Bandmitglieder sowie zwei der Ehefrauen fest. Bei den Hausdurchsuchungen wurde das komplette Musik- und Computerequipment mitgenommen, sagt Daschkewitsch. 

    „Die hätten fast einen LKW gebraucht, um das alles wegzubringen. Allein bei Golowatsch haben sie sieben Gitarren mitgenommen“, erzählt eine Bekannte der Band. 

    Damals schrieb das Menschenrechtszentrum Wjasna, dass auch die Wohnungen jener durchsucht würden, die in den Videos der Band aufgetreten waren. Dimitri Golowatschs Ehefrau Julia wurde vom Gericht zu 960 Rubel Strafe verurteilt. Die Bandmitglieder und Jaremtschuks Frau Anna Musyka wurden für 15 Tage in Gewahrsam genommen, vorgeworfen wurde ihnen die Verbreitung „extremistischen“ Materials. Bis dahin war Tor Band in keinerlei „extremistischen Listen“ aufgetaucht, aber diese Informationen verbreiteten sich in den Betrieben von Rogatschow.

    Am 4. November wurde die republikweite Liste der extremistischen Materialien um den Gerichtsbeschluss des Bezirksgerichts Gomel vom 29. August ergänzt. Die Social-Media-Seiten, der Youtube-Kanal und zehn Songs der Band wurden für „extremistisch“ erklärt. Am nächsten Tag wurden die Videos, die millionenmal angeschaut wurden, vom Youtube-Kanal der Band gelöscht. 

    Die Musiker kamen nicht nach 15 Tagen Gewahrsam frei, auch nicht nach 60 Tagen. Am 16. Januar erklärte der KGB die Band zu einer „extremistischen Vereinigung“. Neben den drei Bandmitgliedern nahm der KGB auch Julia Golowatsch in die Liste auf. 

    Die Bandmitglieder wurden in Untersuchungshaft überführt, gegen sie wurde Anklage erhoben. Man wirft ihnen Volksverhetzung, Bildung einer extremistischen Vereinigung, Diskreditierung des Landes und Beleidigung Alexander Lukaschenkos vor. Auf einen der Anklagepunkte stehen zwölf Jahre Freiheitsentzug. Der Gerichtsprozess begann am 14. September 2023 und wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. 
     
    Laut Daschkewitsch hat sich Jewgeni Burlos Gesundheitszustand in der Untersuchungshaft ernsthaft verschlechtert. Er habe bereits früher an einer Krebserkrankung gelitten, aber „ohne kritischen Verlauf“. Zudem leide der Musiker dauerhaft unter Rückenschmerzen und nehme Schmerzmittel. Informationen von Wjasna zufolge wurde bei Burlo in der U-Haft eine Hüftgelenknekrose diagnostiziert, er wurde im Gefängniskrankenhaus behandelt. 

    Über den Zustand der anderen Mitglieder von Tor Band ist nichts bekannt. 

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